Björnstjerne Björnson
Der Bärenjäger
Björnstjerne Björnson

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Blacken

(1868)

Björgan war früher Pfarrhof der Gemeinde Kvikne in Dovrekjäden. Das Gehöft liegt hoch oben, vollkommen für sich allein; als kleiner Knabe stand ich im Wohnzimmer auf dem Tisch und sah sehnsüchtig zu den Kindern unten im Tal hinab, die im Winter auf Schneeschuhen den Fluß entlangliefen oder im Sommer auf dem Rasen spielten. Björgan lag so hoch, daß Getreide daselbst nicht mehr wuchs, weshalb das Gehöft jetzt auch an einen Schweizer verkauft und ein Pfarrhof im Tal angekauft worden, wo es doch wenigstens etwas ebener ist. Schmerzlich früh trat der Winter auf Björgan ein! Ein Acker, den Vater in einem warmen und frühen Frühling versuchsweise bestellt hatte, lag eines Morgens unter Schnee verhüllt da; anstatt eines Platzregens konnte ein Schneesturm das gemähte Gras ereilen, und wenn der Winter nun erst zunahm! Die Kälte wurde so groß, daß ich die Klinke der Haustür nicht anzufassen wagte, weil mir die Finger bei der Berührung des Eisens schmerzten. Mein Vater, der an der Küste des Randsfjord geboren und folglich abgehärtet war, mußte nach den entlegeneren Teilen seines Kirchspiels doch oft mit einer Maske vor dem Gesicht fahren. Es knarrte und knirschte auf den Wegen, sobald jemand gegangen kam, und kamen mehrere, so entstand ein ohrzerreißender Lärm. Der Schnee reichte oft bis zum zweiten Stockwerk des schwerfälligen Hauses, kleinere Nebengebäude schneiten ganz ein, Hügel, Gebüsche und Hecken verschwanden unter der Schneedecke völlig, ein unermeßliches Schneemeer dehnte sich aus, in dem bei jedem Sturm, welcher hier Höhlungen riß, dort Schneewehen zusammentrieb, die Gipfel hoher Birken wellenförmig hin und her schwankten. Ich stand auf dem Tisch und sah, wie Schneeschuhläufer von uns aus nach dem Tal hinabeilten, sah, wie die Lappländer aus den Bergwäldern mit ihren Renntierschlitten die steilen Felsenwände hinabsausten und dann wieder zu uns hinaufjagten. Ihre Schlitten schwankten hin und her, und ich werde nie vergessen, wie aus jedem, sobald der Zug endlich auf dem Hofe hielt, ein Pelzbündel herauskroch und sich als ein kleines, geschäftiges und lustiges Menschenkind entpuppte, das Renntierfleisch verkaufte.

Die Bewohner des Kviknetales sollen sich in späteren Zeiten zu einem intelligenten und kräftigen Volksstamm entwickelt haben, allein zu jener Zeit war die Pfarrei Kvikne eine der berüchtigtsten im ganzen Lande. Nicht allzulange vorher hatte ein Pfarrer Pistolen mit in die Kirche nehmen müssen; ein anderer fand bei seiner Heimkunft aus der Kirche all sein Hausgerät von Männern mit geschwärzten Gesichtern, die in das Pfarrhaus eingedrungen waren und seine Frau, welche allein zu Hause gewesen, fast zu Tode erschreckt hatten, zertrümmert und zerschlagen. Der letzte Pfarrer war von dort fortgezogen und hatte sich entschieden geweigert, zurückzukehren. Lange Jahre war die Gemeinde ohne Pfarrer geblieben, bis Vater – vielleicht gerade deshalb – die Pfarrei erhielt, denn man traute ihm zu, daß er imstande wäre, ein Boot gegen Sturm und Strom festzuhalten.

Ich entsinne mich noch ganz deutlich, wie ich eines Sonnabendmorgens eben im Begriff stand, die Treppe zur Amtsstube, die nach dem Scheuern einen wahren Eisspiegel bildete, auf allen vieren hinaufzuklimmen, und noch nicht viele Stufen emporgekommen war, als mich plötzlich ein aus der Amtsstube heraustönendes Krachen und Gepolter voller Angst wieder hinabjagte. Denn dort oben hatte es der Vorkämpfer und Hüne des Kirchspiels übernommen, dem widerspenstigen Pfarrer die dortige Volkssitte beizubringen, fand aber zu seiner Überraschung, daß ihm der Pfarrer erst seine eigene Sitte beibringen wollte. Er gelangte so zur Türe hinaus, daß er die ganze Treppe hinabrollte, unten seine verschiedentlichen Glieder zusammensuchte und in vier Sprüngen die Haustür erreichte. Die Leute in Kvikne wußten nicht besser, als daß der Pfarrer ihnen die Gesetze gab, welche vom Reichstag ausgingen. Deshalb wollten sie ihm die Ausführung des Schulgesetzes verbieten; sie boten meinem Vater Trotz und versammelten sich zahlreich bei dem Zusammentritt des Schulvorstands, um seine Verhandlungen zu verhindern. Trotz der inständigen Bitten meiner Mutter begab er sich zu der Sitzung, und als ihm niemand bei der Einteilung der Schulbezirke und bei ähnlichen wichtigen Angelegenheiten beizustehen wagte, tat er es unter dem drohenden Murren der Menge selbst nach bestem Wissen; aber als er mit dem Protokoll unter dem Arm hinausging, wichen sie auseinander, und niemand tastete ihn an. Man denke sich den Jubel meiner Mutter, als sie ihn, ruhig wie immer, angefahren kommen sah.

In diesen Verhältnissen und Umgebungen wurde Blacken geboren! Seine Mutter war eine große, rote Stute aus dem Gudbrandsdal, aller Freude, die sie sahen; sein Vater war ein rechter Wildfang, ein echter schwarzer Fjordhengst, der an einer fremden Stelle, als man sorglos mit der Stute vorüberzog, wiehernd aus dem Walde hervorbrach, über Hecken und Gräben setzte und mit dem Recht der Liebe nahm, was sein war. Schon früh wurde von Blacken gesagt: er wird das stärkste Pferd werden, das je ein Mensch hier im Norden gesehen hat, und sowenig ich auch Geschichten von Kämpfen und Schlägereien liebte, so betrachtete ich das Fohlen doch wie einen reichbegabten Kameraden. Es war übrigens keineswegs gegen mich immer artig; ich trage noch eine von seinem Hufe herrührende Narbe über dem rechten Auge; aber trotzdem begleitete ich getreulich die Stute und das Fohlen, schlief mit ihnen auf der Erde und kugelte mich zwischen den Beinen der Stute hindurch, wenn sie weidete. Aber einmal war ich zu weit mitgegangen. Der Tag war warm gewesen, ich war in einer offenstehenden Waldscheuer, in der wir wohl alle drei Schutz gesucht hatten, eingeschlafen; die Stute und das Fohlen waren weitergegangen, aber ich war liegengeblieben. Es war schon spät geworden, als die Leute, welche mich vergebens gerufen und gesucht hatten, mit der Nachricht heimkehrten, daß ich nirgends zu finden wäre. Man denke sich den Schrecken meiner Eltern – alle mußten hinaus, mich zu suchen, Felder und Wälder wurden rufend durchschritten, Bäche und Abgründe untersucht, bis jemand endlich ein Kind im Innern der Scheune weinen hört und mich im Heu sitzend entdeckt. Ich war so voller Angst, daß ich lange nicht reden konnte, denn ein großes Tier war gekommen und hatte mich mit feurigen Augen angeblickt. Ob ich es nur geträumt oder wirklich erlebt hatte, vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen, aber gewiß ist, daß ich noch vor einigen Jahren erwachte, weil ich dieses Tier über mir stehen sah.

Blacken und ich, wir bekamen bald Kameraden: erst einen kleinen Hund, der mich Zucker stehlen lehrte, dann eine Katze, die eines Tages unerwartet in der Küche erschien. Ich hatte vorher nie eine Katze gesehen; totenblaß stürzte ich in das Zimmer hinein und schrie, daß eine große Ratte aus dem Keller gekommen wäre. Im nächsten Frühjahr wurden wir unserer noch mehr, denn da kam noch ein kleines Ferkel hinzu – und sooft Blacken seine Mutter auf die Arbeit begleitete, hielten doch wir stets zusammen: der Hund, die Katze, das Ferkel und ich. Wir vertrieben uns die Zeit ziemlich gut, namentlich damit, daß wir zusammen schliefen. Ich gab diesen Kameraden ja alles, was ich selbst gern hatte; so brachte ich dem Ferkel einen silbernen Löffel hinaus, damit es anständiger fressen sollte; es versuchte auch in der Tat, das heißt den silbernen Löffel zu fressen. Wenn ich meine Eltern zu den Leuten unten im Tal begleiten mußte, so kam auch der Hund, die Katze und das Ferkel mit. Die beiden ersten setzten sich neben uns in die Fähre, die uns über den Fluß setzen sollte. Das Ferkel grunzte etwas und schwamm darauf hinterher. Wir wurden dann jedes nach seiner Weise bewirtet, und des Abends zogen wir wieder in derselben Ordnung heimwärts.

Allein bald sollte ich diese Kameraden verlieren und nur Blacken behalten, denn mein Vater erhielt die Pfarrei Nässe im Romsdal. Es war ein merkwürdiger Tag, als wir fortzogen, wir Kinder und ein Kindermädchen in einem kleinen Hause, welches auf einen langen Schlitten gesetzt war, so daß uns weder Wind noch Schnee erreichen konnten, und mein Vater und meine Mutter in einem breiten Schlitten voran, und alle diese Menschen rings um uns her, die uns wieder und immer wieder Lebewohl sagen wollten. Ich kann nicht sagen, daß mir sonderlich traurig zumute war, denn ich zählte erst sechs Jahr und wußte, daß in Drontheim für mich ein Hut und Rock und Beinkleider gekauft waren, die ich bei unserer Ankunft in dem neuen Pfarrort anziehen sollte. Und dort, in unserer neuen Heimat sollte ich zum erstenmal die See sehen! Und dann war ja auch Blacken mit!

Hier auf dem Nässeter Pfarrhof, einem der schönsten Gehöfte im Lande, welches stattlich zwischen zwei zusammenstoßenden Fjorden mit grünen Felsen über sich daliegt, mit der Aussicht auf Wasserfälle und herrschaftliche Güter auf dem gegenüberliegenden Ufer, auf wogende Getreidefelder und reges Leben tief unten im Tal, und von dem aus man den ganzen Fjord entlang sich Landzunge an Landzunge, jede mit einem großen Hute gekrönt, weit in die See erstrecken sieht – hier auf dem Nässeter Pfarrhof, wo ich des Abends stehen und im Spiele der Sonnenstrahlen über Felsen und Fjorde blicken konnte, bis ich weinte, als ob ich etwas Böses getan hätte – und wo ich auf meinen Schneeschuhen unten in einem oder dem andern Tal plötzlich stehenbleiben konnte, wie bezaubert von einer Schönheit, von einer Sehnsucht, die ich mir nicht klarzumachen vermochte, die aber so groß war, daß ich auf dem Gipfel der höchsten Freude die höchste Mutlosigkeit und Trauer fühlte – hier auf dem Nässeter Pfarrhof wuchsen meine Eindrücke, aber einen der lebhaftesten erhielt ich von Blacken, denn hier wuchs auch er, wurde ein Held und verrichtete Heldentaten.

Er hatte nicht viel über Mittelhöhe, war aber vergleichungsweise sehr lang und von einer wahrhaft lächerlichen Breite; der Farbe nach war er falb, mehr gelb als weiß, mit schwarzer, ungewöhnlich üppiger Mähne; er wurde ein schwerfälliges, gutmütiges Tier – zum täglichen Gebrauch stets bereit. Die Arbeit, an die er gewöhnt war, tat er ruhig und geduldig wie ein Ochse, aber gründlich und ordentlich. Außerdem daß er mehr als die halbe Pferdearbeit bei der Landwirtschaft, bei dem Anfahren des Holzes und so weiter auf diesem schwer zu bearbeitenden Gute verrichtete, schleppte er zu einem großen, neuen Hauptgebäude und zu dem vielen, was mein Vater sonst noch bauen ließ, mehr als die Hälfte des Materials, und zwar von einer sehr ferngelegenen, entsetzlichen Trift herbei. Wo zwei Pferde es nicht herausschaffen konnten, da wurde Blacken angespannt, und wenn das Geschirr nur hielt, dann kam es heraus. Er blickte sich gern nach den Knechten um, während sie ihm eine doppelte und dreifache Ladung aufluden; er sagte gerade nichts dazu, allein man mußte ihn doch erst drei- bis viermal bitten zu gehen, ehe er ging, und auch dann machte er erst einige Probezüge – aber darauf legte er sich mit aller Kraft in das Geschirr! Er ging ganz gemächlich, Schritt für Schritt; bisweilen kam ein neuer Knecht, der Blacken auf eine schnellere Gangart einüben wollte, aber es endete immer damit, daß sich der Knecht an die des Pferdes gewöhnen mußte. Die Peitsche wurde nie angewandt, denn man gewann den gewaltigen Arbeiter bald so lieb, daß alles in Güte zuging. Je berühmter er in der Gegend wurde, zu desto größerer Ehre gereichte es ja, ihn zu fahren.

Denn Blacken war bald ohne Vergleich des Kirchspiels größtes Wunder. Es begann wie überall, wo etwas Großes dahinter ist, mit gräßlichem Lärm und Haß, es begann nämlich damit, daß Blacken, welcher auf der Trift und im Gebirge unter den übrigen Pferden des Kirchspiels ging, sämtliche Stuten für sich allein behalten wollte. Er schlug die Nebenbuhler, die sich etwas einbildeten, dermaßen zuschanden, daß die Bauern sie unter groben Flüchen und Entschädigung verlangend nach dem Pfarrhof hinschleppten. Allmählich gaben sie sich zufrieden, da sie recht gut einsahen, daß sie dabei trotzdem nicht zu kurz kamen, denn Blackens Nachkommen gereichten ihm zum Ruhme! Gleichwohl schmerzte es sie doch lange, daß seine Überlegenheit so unerhört und so unbestreitbar war. Unser Nachbar, der Leutnant, konnte sich als Krieger gar nicht hineinfinden; er trieb zwei starke Tiere der gudbrandsdalschen Rasse, herrliche Pferde, auf – und diese sollten Blacken Respekt beibringen. Es wurde für und gegen gewettet; mit welcher Spannung sah man nicht dem Ausgang des ersten Zusammentreffens im Frühjahre auf den Weideplätzen im Gebirge entgegen! Ich vergesse deshalb nie den schönsten Pfingstabend, an dem ich draußen stand und dem Birkhahn zuhörte, der an der Berghalde mit lautem Ruf die Hennen lockte, als ein Mädchen angesprungen kam und berichtete, daß die beiden Pferde des Leutnants dort bei den Schleifsteinen ständen und sich dicht aneinander schmiegten. Alle hin – und siehe, die beiden schönen Tiere standen da und zitterten, aus Wunde an Wunde blutend! Sie waren unter Blackens gewaltigen Hufen und Zähnen gewesen. Die Furcht hatte ihnen die Kraft verliehen, über die hohe Umzäunung des Pfarrhofes zu setzen, denn sie hatten nicht gewagt, haltzumachen, ehe sie nach Hause kamen. Den Tag darauf ertönte Blackens Lob unter der sich vor der Kirche versammelnden Gemeinde und wurde von dort über »Berg und See« verbreitet.

Blacken hatte den Schmerz, daß einer seiner Söhne, ein kräftiger, brauner Hengst, nach einigen Jahren die Herrschaft mit ihm teilen wollte. Aber er ertappte ihn mitten in seinem ersten Aufruhrversuch, und als der freche Sohn nicht die Flucht ergreifen wollte, sondern ein herausforderndes Kampfgeschrei erhob, da richtete sich der erprobte Held empor, auf den Hinterbeinen gingen sie aufeinander los, legten einander die Vorderfüße um die Hälse und begannen den Ringkampf, denn auf diese Weise findet stets der Zweikampf der Hengste statt. Zuerst stand der junge Taugenichts gerade wie ein Violinbogen da; gleich darauf aber lag er niedergeschmettert auf dem Boden und erhielt seine väterliche Züchtigung. Ich stand dabei und sah es mit an.

In den nächsten Sommern hauste der Bär in der ganzen Gegend, der uns und andren viele Kühe und Schafe raubte. Alle Augenblicke hörten wir den Hirtenknaben schreien und den Hirtenhund anschlagen; dann wurde die Sturmglocke gezogen, die Arbeiter kamen angelaufen, und mit Flinten, Äxten und eisernen Stangen ging es zu den Almen hinauf; gewöhnlich kamen sie jedoch zu spät; entweder hatte der Hund bereits den Bären verjagt, oder ein Stück Vieh war bereits zerrissen, ehe die Hilfe erschien. Die Pferde konnten sich besser in acht nehmen, allein es geschah doch bisweilen, daß er ein Pferd tötete, entweder dadurch, daß er es in einen Sumpf lockte, wo das Pferd einsank und leicht ein Opfer wurde, oder dadurch, daß er es jagte, bis es von irgendeiner Felsenwand hinabstürzte. Namentlich in einem Sommer verursachte er großen Schaden; fast keine Woche ging vorüber, ohne daß sich der Bär an den Weideplätzen zeigte; die Pferde kamen oft plötzlich bis zu den Ställen hinab und waren dann stets in größter Angst und Aufregung, denn jedesmal wurden sie von dem Bären gejagt. Allein Blacken und die Stute mit ihrem Fohlen, die er scharfbeschlagen bewachte, kamen nie. Schließlich wußten wir gar nicht, wie es ihnen ergangen war; schon seit mehreren Tagen hatte der Hirt die Schelle der Stute nicht mehr erklingen hören. Als sie jedoch auch nach einem länger anhaltenden Unwetter, währenddessen sich die Pferde sonst der Heimat zu nähern pflegten, ja sich sogar oft an das Gattertor stellten, welches zum Stall führte, noch immer nicht angekommen waren, wurde ein großer Trupp Knechte nach dem Wald hinaufgeschickt, um Nachsuchung zu halten. Sie richteten ihr Augenmerk vorzüglich auf die Sumpfgegenden, falls der Bär das kampflustige Pferd dorthin gelockt, es auf diese Weise besiegt und dann vielleicht das Fohlen und die Stute, welche das Fohlen natürlich verteidigen würde, geraubt haben sollte. Sie suchten und suchten, ohne etwas Verdächtiges wahrzunehmen; Bärenspuren waren überall zu sehen, aber kein Merkmal eines Kampfes mit Pferden. Als die Knechte wieder zusammenkommen und sich darüber besprechen und sich der besten Pferdeweide im ganzen Walde nähern, wird einer von ihnen darauf aufmerksam, daß sich gerade in der Nähe eines Sumpfes Spuren eines Fohlens und der Mutterstute finden. Die Tiere waren aber unaufhörlich auf demselben Platze, also in großer Angst, umhergegangen, und dieses war vor kurzem geschehen, ganz gewiß erst an demselben Tage. Bei näherer Untersuchung des Moorbodens fanden sie ganz deutlich, daß er an vielen Stellen infolge eines heftigen Kampfes zertreten war. Die Knechte fingen an besorgt zu werden, aber sie wollten doch erst noch genauer nachsehen. Am Rande des Sumpfes entdeckten sie Spuren von den Hinterfüßen des Bären wie des Hengstes; sie hatten sich also beide sofort auf den Hinterfüßen emporgerichtet, der Bär hatte sich, um den Hengst zu verlocken, rückwärts in den Sumpf zurückgezogen, und dieser war ihm gefolgt, denn die breiten Tatzen des Bären vermag der Sumpfboden zu tragen, zumal ein Bär nicht so schwer wie ein Pferd ist, welches einsinkt und festsitzt. Allein diesmal hatte sich der Bär verrechnet, denn Blacken war zwar eingesunken, aber die Riesenkräfte seiner Lenden hatten es ihm möglich gemacht, die Beine wieder aus dem Schlamm des Sumpfes herauszuziehen, während die scharfbeschlagenen Vorderfüße schlugen und die scharfen Zähne bissen – und bald sah man nicht mehr die Spuren der Hinterfüße des Bären, sondern dagegen einen getreuen Abdruck seines Pelzes und immer wieder und wieder einen und so den ganzen Sumpf entlang. Er war niedergeworfen worden, hatte sich nicht wieder aufzurichten vermocht und hatte sich nun, um sich gegen die Schläge und Bisse des wütenden Pferdes zu schützen, weiter und weiter gewälzt, und das konnten sie bis auf den festen Boden verfolgen. Angeregt und begeistert von dem, was ihnen der Anblick des Kampfplatzes so deutlich verkündigte, hörte das Ohr der Knechte noch schärfer und sah ihr Auge noch gespannter um sich, und bald waren sie imstande, in der jetzt nach dem Regenwetter sonnenhellen und zitternden Luft die Schelle der Stute aus dem Laubwald am Fuße der Berghalde zu vernehmen. Sie eilten hin, trafen aber auf Blacken, der ihnen mit feuersprühenden Augen näher zu kommen verbot. Er war nicht wiederzuerkennen. Mit hoch erhobenem Kopf und wallender Mähne trabte er in weiten Kreisen um die Stute und das Fohlen herum, und erst nach vielen guten Worten und mit Hilfe von Salz gelang es, ihm wieder in Erinnerung zu bringen, daß bekannte Leute zu ihm kamen. Aber diese Heldentat Blackens, die einzig in ihrer Art dastand, verbreitete um seinen Namen einen solchen Glanz, daß sein bisheriger Namen »Pfarrerblacken« zum »Bärenblacken« erhöht wurde. Einmal nach dem andern, Jahr für Jahr, hatte er einen Strauß mit dem Bären, und jedesmal war er noch lange nachher nicht zu bändigen. Einmal hatte er eine Wunde von den Klauen des Bären davongetragen. Ein alter erfahrener Held des Bärengeschlechts hatte den Hengst dicht unter den Augen gepackt und ihm, als er seinen Kopf gewaltsam losriß, eine tiefe Wunde beigebracht. Einen so alten Hengst scharfbeschlagen auf die Trift zu lassen, war sonst gefährlich, allein die Pferde kannten ihn und flohen, und wenn auch eines oder das andere noch dumm genug war, standzuhalten und seine Schläge hinzunehmen, so hatte man doch mit Blacken seines weit berühmten Namens wegen Nachsicht. Ein Pferd, welches den Bären zu Boden schlug, mußte ja tun dürfen, was es wollte.

Wie bewundert er war, konnte am besten bemerkt werden, wenn wir, wie selten geschah, gezwungen waren, mit ihm zur Kirche zu fahren. Sollte die ganze Familie nebst Hausjungfer und Hauslehrer die Kirche besuchen, so mußte Blacken drei bis vier von uns in einem alten Gig fahren, in dem man »nicht bloß zu eitler Lust« dasaß. Weil keines der gewöhnlichen feineren Sielengeschirre groß genug für ihn war, so mußte er in seinem Arbeitsgeschirr schwerfällig dahertraben, und da ihm die schwere, sich sträubende Mähne bis in die Augen hinabhing, so sah er eben nicht danach aus, als befände er sich auf der Fahrt nach der Kirche. Sein Wagen mußte der letzte in der Reihe sein, denn teils wollte er nicht laufen, sondern nur langsam wie vor dem Arbeitswagen gehen, teils wollte er mit den Kirchgängern in alle Waldwege einbiegen, an die er gewöhnt war. War er jedoch der hinterste in der Reihe, so folgte er, wenn auch in seiner Weise: Wenn die anderen Pferde liefen, sprang Blacken wie ein Bär, und so kamen die, welche im Gig saßen, stoßweise oder wie bei hohem Wellenschlag vorwärts, und einmal trat bei ihnen wirklich eine förmliche Art Seekrankheit ein. Bei der Kirche trat dagegen eine vollkommene Veränderung ein. Dort befanden sich nämlich viele andere Pferde, und er erhob sofort den Kopf und stieß einen herausfordernden Kampfesruf aus. Dieser wurde von allen Seiten ringsum beantwortet, und nun wollte er mit dem Gig auf seine Gegner los, wurde aber gehalten, ausgespannt und ihm darauf der Spannstrick angelegt. Für ihn wurde ein ganz besonderer Spannstrick mitgenommen, und dann wurde er nach einem Platz dicht unter dem Felsenabhang gebracht, um von den andren Pferden so fern wie möglich zu sein. Allein er wollte zu ihnen, zerrte an seinem Spannstrick, richtete sich auf den Hinterbeinen in die Höhe, schüttelte die Mähne und wieherte in das Tal hinab. Um ihn waren mehr Menschen versammelt als in der Kirche. Wenn er einen Augenblick ruhig war, streichelten sie ihn und maßen seine Brust, seinen Hals, seine Lenden, griffen auch wohl nach seinem Maul, um sein Gebiß zu betrachten; sobald aber eines der andren Pferde wieherte, riß er sich von ihnen los, richtete sich auf den Hinterbeinen in die Höhe und gab wiehernd seine Antwort – allen kam es so vor, als hätten sie noch nie etwas so Herrliches gesehen. Ich meinesteils bin nie über etwas so stolz gewesen, wie ich damals über Blacken war, wenn ich unter den Bauern stand und die begeistertsten Lobsprüche mit anhörte.

Und hier auf der Höhe seiner Siegeslaufbahn will ich ihn verlassen. Ich kam in die Welt hinaus und bekam andere Ziele für meine Bewunderung und andere Helden für meinen Nacheifer.


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