Otto Fürst von Bismarck
Gedanken und Erinnerungen, Band 1
Otto Fürst von Bismarck

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Sechzehntes Kapitel.

Danziger Episode.

I.

Kaiser Friedrich, der Sohn des Monarchen, den ich in specie als meinen Herrn bezeichne, hat es mir durch seine Liebenswürdigkeit und sein Vertrauen leicht gemacht, die Gefühle, die ich für seinen Herrn Vater hegte, auf ihn zu übertragen. Er war der verfassungsmäßigen Auffassung, daß ich als Minister die Verantwortlichkeit für seine Entschließungen trug, in der Regel zugänglicher, als sein Vater es gewesen. Auch war es ihm weniger durch Familientraditionen erschwert, politischen Bedürfnissen im Innern und im Auslande gerecht zu werden. Alle Behauptungen, daß zwischen dem Kaiser Friedrich und mir dauernde Verstimmungen existirt hätten, sind ungegründet. Eine vorübergehende entstand durch den Vorgang in Danzig, in dessen Besprechung ich mir, seitdem die hinterlassenen Papiere Max DunckersR. Haym, Das Leben Max Duncker's (Berlin 1891) S. 292 ff. veröffentlicht worden sind, weniger Zurückhaltung auflege, als sonst geschehn wäre. Am 31. Mai 1863 reiste der Kronprinz zu einer militärischen Inspection nach der Provinz Preußen ab, nachdem er den König schriftlich gebeten hatte, jede Octroyirung zu vermeiden. Auf dem Zuge, mit dem er fuhr, befand sich der Ober-Bürgermeister von Danzig, Herr von Winter, den der Prinz unterwegs in sein Coupé einlud und einige Tage später auf seinem Gute bei Culm besuchte. Am 2. Juni folgte ihm die Kronprinzessin nach Graudenz; am Tage vorher war die Königliche Verordnung über die Presse auf Grund eines Berichtes des Staatsministeriums erschienen, welcher gleichzeitig veröffentlicht wurde. Am 4. Juni richtete Se. Kgl. Hoheit an den König ein Schreiben, in welchem er sich mißbilligend über diese Octroyirung aussprach, sich über die unterlassene Zuziehung seiner zu den betreffenden Beratungen des Staatsministeriums beschwerte und über die Pflichten aussprach, die ihm als dem Thronfolger seiner Meinung nach oblägen. Am 5. Juni fand im Rathhause in Danzig der Empfang der städtischen Behörden statt, bei dem Herr von Winter ein Bedauern darüber aussprach, daß die Verhältnisse es nicht gestatteten, der Freude der Stadt ihren vollen lauten Ausdruck zu geben. Der Kronprinz sagte in seiner Antwort unter Anderm:

»Auch ich beklage, daß ich in einer Zeit hergekommen bin, in welcher zwischen Regirung und Volk ein Zerwürfniß eingetreten ist, welches zu erfahren mich in hohem Grade überrascht hat. Ich habe von den Anordnungen, die dazu geführt haben, nichts gewußt. Ich war abwesend. Ich habe keinen Theil an den Rathschlägen gehabt, die dazu geführt haben. Aber wir Alle und ich am meisten, der ich die edlen und landesväterlichen Intentionen und hochherzigen Gesinnungen Seiner Majestät des Königs am besten kenne, wir Alle haben die Zuversicht, daß Preußen unter dem Szepter Seiner Majestät des Königs der Größe sicher entgegengeht, die ihm die Vorsehung bestimmt hat.«

Exemplare der »Danziger Zeitung« mit einem Berichte über den Vorgang wurden an die Redactionen Berliner und andrer Zeitungen versandt, die das genannte Blatt bei seinem wesentlich localen Charakter nicht zu halten pflegten. Die Worte des Kronprinzen erhielten daher sofort eine weite Verbreitung und erregten im In- und Auslande ein begreifliches Aufsehn. Aus Graudenz übersandte er mir einen förmlichen Protest gegen die Preßverordnung und verlangte Mittheilung desselben an das Staatsministerium, die jedoch auf Befehl des Königs unterblieb. Am 7. ging ihm eine ernste Antwort Sr. Majestät auf die Beschwerdeschrift vom 4. zu. Er bat darauf den Vater um Verzeihung wegen eines Schrittes, den er um seiner und seiner Kinder Zukunft Willen geglaubt hätte nicht unterlassen zu können, und stellte die Entbindung von allen seinen Aemtern anheim. Am 11. erhielt er die Antwort, die ihm die erbetne Verzeihung gewährte, seine Beschwerden über den Minister und sein Entlassungsgesuch überging und ihm für die Zukunft Schweigen zur Pflicht machte.

Während ich die Erregung des Königs als berechtigt anerkennen mußte, bemühte ich mich zu verhindern, daß er ihr durch staatliche oder auch nur öffentlich erkennbare Acte Folge gebe. Ich mußte es mir im dynastischen Interesse zur Aufgabe stellen, den König zu beruhigen und von Schritten, die an Friedrich Wilhelm I. und Küstrin erinnert hätten, abzuhalten. Es geschah das hauptsächlich am 10. Juni auf einer Fahrt von Babelsberg nach dem Neuen Palais, wo Se. Majestät das Lehrbataillon besichtigte; die Unterhaltung wurde wegen der Dienerschaft auf dem Bocke französisch geführt. Es gelang mir in der That, die väterliche Entrüstung durch die Staatsraison zu besänftigen, daß in dem vorliegenden Kampfe zwischen Königthum und Parlament ein Zwiespalt innerhalb des Königlichen Hauses abgestumpft, ignorirt und todtgeschwiegen werden, daß der Vater und König in höherm Maße dafür Sorge tragen müsse, daß die Interessen beider nicht geschädigt würden. »Verfahren Sie säuberlich mit dem Knaben Absalom!« sagte ich in Anspielung darauf, daß schon Geistliche im Lande über Samuelis Buch 2, Kapitel 15, Vers 3 und 4 predigten; »vermeiden Ew. Majestät jeden Entschluß ab irato, nur die Staatsräson kann maßgebend sein.« Einen besondern Eindruck schien es zu machen, als ich daran erinnerte, daß in dem Conflicte zwischen Friedrich Wilhelm I. und seinem Sohne dem Letztern die Sympathie der Zeitgenossen und der Nachwelt gehöre, daß es nicht rathsam sei, den Kronprinzen zum Märtyrer zu machen. Nachdem die Sache durch den oben erwähnten Briefwechsel zwischen Vater und Sohn wenigstens äußerlich beigelegt war, erhielt ich ein aus Stettin vom 30. Juni datirtes Schreiben des Kronprinzen, das meine ganze Politik in starken Ausdrücken verurtheilte.Nach dem Original mitgetheilt im Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen II  349 ff., ebd. S. 354 das Concept der Antwort Bismarck's vom 10. Juli, S. 355 die Replik des Kronprinzen vom 14. Juli, S. 355 f. die Duplik Bismarck's vom 16. Juli 1863. Sie sei ohne Wohlwollen und Achtung für das Volk, stütze sich auf sehr zweifelhafte Auslegungen der Verfassung, werde sie dem Volke werthlos erscheinen lassen und dieses in Richtungen treiben, die außerhalb der Verfassung lägen. Auf der andern Seite werde das Ministerium von gewagten Deutungen zu gewagteren fortschreiten, endlich dem Könige Bruch mit derselben anrathen. Er werde den König bitten, sich, so lange dieses Ministerium im Amte sei, der Theilnahme an den Sitzungen desselben enthalten zu dürfen.

Die Thatsache, daß ich, nachdem ich diese Aeußerung des Thronfolgers erhalten hatte, auf dem eingeschlagnen Wege beharrte, war ein sprechender Beweis dafür, daß mir nichts daran lag, nach dem Thronwechsel, der ja sehr bald eintreten konnte, Minister zu bleiben. Gleichwohl nöthigte der Kronprinz mich in einem später zu erwähnenden Gespräche,S. u. S. 352 f. ihm das mit ausdrücklichen Worten zu sagen.

Zur Ueberraschung des Königs war am 16. oder 17. Juni in der »Times« zu lesen: »Der Prinz erlaubte sich bei Gelegenheit einer militärischen Dienstreise mit der Politik des Souverains in Widerspruch zu treten und seine Maßregeln in Frage zu stellen. Das Mindeste, was er thun konnte, um diese schwere Beleidigung wieder gut zu machen, war die Zurücknahme seiner Aeußerungen. Dies forderte der König von ihm in einem Briefe, hinzufügend, daß er seiner Würden und Anstellungen beraubt werden würde, wenn er sich weigerte. Der Prinz, in Uebereinstimmung, wie man sagt, mit Ihrer K. H. der Prinzessin, schrieb eine feste Antwort auf dieses Verlangen. Er weigerte sich, irgend etwas zurückzunehmen, bot die Niederlegung seines Commandos und seiner Würden an und bat um Erlaubniß, sich mit seiner Frau und Familie an einen Ort zurückzuziehn, wo er frei von dem Verdacht sein könne, sich auf irgend eine Weise in Staatsangelegenheiten zu mischen.Der Brief des Kronprinzen an den König findet sich, in englischer Übersetzung im Annual Register for the year 1863 S. 242. Dieser Brief, sagt man, sei ausgezeichnet, und der Prinz sei glücklich zu preisen im Besitz einer Gattin, welche nicht nur seine liberalen Ansichten theilt, sondern auch im Stande ist, ihm in einem wichtigen und kritischen Augenblicke seines Lebens so viel Beistand zu leisten. Man könne sich nicht leicht eine schwierigere Stellung denken als die des Prinzlichen Paares ohne jeden Rathgeber, mit einem eigenwilligen Souverain und einem verderblichen Cabinet auf einer Seite und einem aufgeregten Volke auf der andern.«

Die Nachforschungen nach dem Vermittler dieses Artikels haben zu keinem sichern Ergebnisse geführt. Eine Reihe von Umständen ließ den Verdacht auf den Legationsrath Meyer fallen. Die ausführlichern Mittheilungen an die »Grenzboten« und die »Süddeutsche Post« des Abgeordneten Brater scheinen durch einen kleinen deutschen Diplomaten gegangen zu sein, der das Vertrauen der Kronprinzlichen Herrschaften besaß, behielt und ein Vierteljahrhundert später durch indiscrete Veröffentlichung ihm anvertrauter Manuscripte des Prinzen mißbraucht hat.

Der Versicherung des Kronprinzen, um diese Veröffentlichung nicht gewußt zu haben, habe ich nie einen Zweifel entgegengebracht, auch nicht, nachdem ich gelesen, daß er in einem Briefe an Max Duncker vom 14. JuliA. a. O. (Haym) S. 308. geschrieben hat, er wäre wenig überrascht, wenn man sich Bismarckischer seits in Besitz von Abschriften des Briefwechsels zwischen ihm und dem Könige zu setzen gewußt hätte.

Die Urheberschaft der Veröffentlichung glaubte ich auf derselben Seite suchen zu müssen, von woher nach meiner Ueberzeugung der Kronprinz zu seiner Haltung bestimmt worden war. Wahrnehmungen während des französischen Krieges und neuerdings die Mittheilung aus Duncker's Papieren haben meine damalige Auffassung bestätigt. Wenn eine ganze Schule von politischen Schriftstellern ein Vierteljahrhundert lang das, was sie die englische Verfassung nannten, und wovon sie keine eindringende Kenntniß besaßen, den festländischen Völkern als Muster gepriesen und zur Nachahmung empfohlen hatten, so war es erklärlich, daß die Kronprinzessin und ihre Mutter das eigentümliche Wesen des preußischen Staates, die Unmöglichkeit verkannten, ihn durch wechselnde parlamentarische Gruppen regiren zu lassen, war es erklärlich, daß aus diesem Irrthume sich der andre erzeugte, es würden sich in dem Preußen des 19. Jahrhunderts die inneren Kämpfe und Katastrophen Englands im 17. wiederholen, wenn nicht das System, durch welches jene Kämpfe zum Abschluß kamen, bei uns eingeführt werde. Ich habe nicht feststellen können, ob die mir damals zugegangne Nachricht wahr ist, daß im April 1863 die Königin Augusta durch den Präsidenten Ludolf Camphausen und die Kronprinzessin durch den Baron von Stockmar kritisirende Denkschriften über die inneren Zustände Preußens ausarbeiten ließen und zur Kenntniß des Königs gebracht haben; daß aber die Königin, zu deren Umgebung der Legationsrath Meyer gehörte, mit der Besorgnis vor Stuartischen Katastrophen erfüllt war, wußte ich und fand es schon 1862 ausgeprägt in der gedrückten Stimmung, in der der König aus Baden von der Geburtstagsfeier seiner Gemalin zurückkehrte.S. o. S. 311 ff. Die im Kampfe mit dem Königthume liegende, von Tag zu Tag auf den Sieg rechnende Fortschrittspartei versäumte es nicht, in der Presse und durch die Personen einzelner Führer die Situation unter die Beleuchtung zu stellen, welche auf weibliche Gemüther besonders wirksam sein mußte.

II.

In Gastein erhielt ich im August den Besuch des Kronprinzen, der dort von englischen Einflüssen freier sein Verhalten im Sinne seines ursprünglichen Mangels an Selbständigkeit und seiner Verehrung für den Vater bescheiden und liebenswürdig aus seiner ungenügenden politischen Vorbildung, seiner Fernhaltung von den Geschäften erklärte und ohne Rückhalt in den Formen eines Mannes sprach, der sein Unrecht einsieht und mit den Einwirkungen, die auf ihn stattgefunden hatten, entschuldigt.

Im September, nachdem der König mit mir über Baden, der Kronprinz direct von Gastein nach Berlin zurückgekehrt war, gewannen die Einflüsse und Befürchtungen wieder die Oberhand, die ihn zu dem Auftreten im Juni bewogen hatten. Den Tag, nachdem die Auflösung des Abgeordnetenhauses beschlossen worden, schrieb er mir:

»Berlin, 3/9. 63.

Ich habe Sr. M. die Ansichten heute mitgetheilt, welche ich Ihnen in meinem Schreiben aus Putbus [rectius Stettin]Das Schreiben ist von Putbus aus abgesendet worden. auseinandersetzte und die ich Sie bat, nicht eher dem Könige zu eröffnen, als bis ich selber dies gethan. Ein folgenschwerer Entschluß ward gestern im conseil gefaßt; in Gegenwart der Minister wollte ich Sr. M. nichts erwidern; heut ist es geschehen; ich habe meine Bedenken geäußert, habe meine schweren Befürchtungen für die Zukunft dargelegt. Der König weiß nunmehr, daß ich der entschiedene Gegner des Ministeriums bin.Bleistiftnotiz Bismarck's: wir auch.

Friedrich Wilhelm.«

Es kam nun auch die in dem Briefe des Kronprinzen vom 30. Juni angekündigte Bitte, von der Theilnahme an den Sitzungen des Staatsministeriums dispensirt zu werden, zur Erörterung. Wie das Verhältniß zwischen den beiden hohen Herrn damals noch war, beweist der nachstehende Brief des Ministers von Bodelschwingh vom 11. September 1863:

»Ungewiß, zu welcher Stunde Sie von Ihrer aus so trüber VeranlassungTod meiner Schwiegermutter. Ich war vom 6. bis zum 11. von Berlin abwesend. unternommenen Reise zurückkehren und ob bald nachher ich Sie sprechen kann, theile ich schriftlich mit, daß, nach durch den Flügeladjutanten mir gewordener Weisung Sr. M., ich dem Adjutanten Sr. K. H. des Kronprinzen in Ihrem Auftrage Ihre schleunige Abreise und deren Grund mit dem Ersuchen mitgetheilt, Sr. K. H. für den Fall davon Kenntnis zu geben, daß Ihre Bitte um Audienz bereits Sr. K. H. vorgetragen oder schon über die Audienz Bestimmung getroffen sei. S. M. haben, wie Prinz Hohenlohe mir sagte, nicht angemessen erachtet, Seinerseits mit dem Kronprinzen über Ihre Abreise und die fragliche Audienz zu reden.«

Der König hatte sich dafür entschieden, daß der Kronprinz, wie seit 1861 geschehn, auch ferner den Sitzungen des Staatsministeriums beiwohnen solle, und mich beauftragt, ihn darüber zu verständigen. Ich nehme an, daß es zu der zu diesem Zweck erbetnen Audienz nicht gekommen ist; denn ich erinnre mich, daß ich das mißverständliche Erscheinen des Kronprinzen zu einer Ministersitzung, die an dem betreffenden Tage nicht stattfand, dazu benutzte, die Erörterung einzuleiten. Ich fragte ihn, weshalb er sich so fern von der Regirung halte; in einigen Jahren werde sie doch die seinige sein; wenn er etwa andre Prinzipien habe, so sollte er lieber den Uebergang zu vermitteln suchen als opponiren. Er lehnte das scharf ab, wie es schien in der Vermuthung, daß ich meinen Uebergang in seine Dienste anbahnen wolle. Ich habe den feindlichen Ausdruck olympischer Hoheit, mit dem das geschah, Jahre hindurch nicht vergessen können und sehe noch heut den zurückgeworfnen Kopf, das geröthete Gesicht und den Blick über die linke Schulter vor mir. Ich unterdrückte meine eigne Aufwallung, dachte an Carlos und Alba (Act 2, Auftritt 5) und antwortete, ich hätte in einer Anwandlung dynastischen Gefühls gesprochen, um ihn mit seinem Vater wieder in nähere Beziehung zu bringen, im Interesse des Landes und der Dynastie, das durch die Entfremdung geschädigt wäre; ich hätte im Juni gethan, was ich gekonnt, um seinen Herrn Vater von Entschließungen ab irato abzuhalten, weil ich im Interesse des Landes und im Kampfe gegen die Parlamentsherrschaft die Uebereinstimmung in der königlichen Familie zu erhalten wünschte. Ich sei ein treuer Diener seines Herrn Vaters und wünschte ihm, daß er, wenn er den Thron bestiege, anstatt meiner ebenso treue Diener finde, wie ich für seinen Vater gewesen. Ich hoffte, er würde sich des Gedankens, als ob ich danach strebte, einmal sein Minister zu werden, entschlagen; ich werde es niemals sein. Ebenso rasch wie erregt, ebenso rasch wurde er weich und schloß das Gespräch mit freundlichen Worten.

Das Verlangen, an den Sitzungen des Staatsministeriums nicht weiter Theil zu nehmen, hielt er fest, und richtete noch im Laufe des September eine vielleicht nicht ohne fremde Einwirkung entstandne Denkschrift an den König, worin er seine Gründe in einer Weise entwickelte, die zugleich als eine Art von Rechtfertigung seines Verhaltens im Juni erschien. Es entstand darüber zwischen Sr. Majestät und mir eine private Correspondenz, die mit folgendem Billet abschloß:Nach dem Original berichtigt.

»Babelsberg, 7. 11. 1863.

Anliegend sende ich Ihnen meine Antwort an meinen Sohn den Kronprinzen auf sein Mémoir vom September. Zur besseren Orientirung sende ich Ihnen das Mémoir wiederum mit, sowie Ihre Notizen, die ich bei meiner Antwort benutzte.«

Von der Denkschrift habe ich eine Abschrift nicht entnommen; der Inhalt wird aber erkennbar aus meinen Marginal-Notizen, die hier folgen:

Seite 1. Der Anspruch, daß eine Warnung Sr. Königlichen Hoheit die nach sehr ernster und sorgfältiger Erwägung gefaßten Königlichen Entschließungen aufwiegen soll, legt der eignen Stellung und Erfahrung im Verhältniß zu der des Monarchen und Vaters ein unrichtiges Gewicht bei.

Niemand hat glauben können, daß Se. K. H. »an den Octroyirungen Theil gehabt«, denn jedermann weiß, daß der Kronprinz kein Votum im Ministerium hat, und daß die in ältern Zeiten übliche amtliche Stellung des Thronfolgers nach der Verfassung unmöglich geworden ist. Das démenti in Danzig war daher überflüssig.

Seite 2. Die Freiheit der Entschließungen Sr. K. H. wird dadurch nicht verkümmert, daß Se. K. H. den Sitzungen beiwohnt, Sich durch Zuhören und eigne Meinungs-Aeußerung au courant der Staatsgeschäfte hält, wie es die Pflicht jedes Thronerben ist. Die Erfüllung dieser Pflicht, wenn sie in den Zeitungen bekannt wird, kann überall nur eine gute Meinung von dem Fleiße und der Gewissenhaftigkeit hervorrufen, mit der der Kronprinz Sich für Seinen hohen und ernsten Beruf vorbereitet.

Die Worte »mit gebundenen Händen« u. s. w. haben gar keinen Sinn.

Seite 2. »Das Land« kann garnicht auf den Gedanken kommen, Se. K. H. mit dem Ministerium zu identificiren, denn das Land weiß, daß der Kronprinz zu keiner amtlichen Mitwirkung bei den Beschlüssen berufen ist. Leider ist die Stellung, die S. K. H. gegen die Krone genommen hat, im Lande bekannt genug und wird von jedem Hausvater im Lande, welcher Partei er auch angehören mag, offen gemißbilligt als ein Lossagen von der väterlichen Autorität, deren Verkennung das Gefühl und das Herkommen verletzt. Sr. K. H. könnte nicht schwerer in der öffentlichen Meinung geschadet werden als durch Publication dieses mémoirs. Schon predigen Geistliche im Lande über 2. B. Samuelis 15 V. 3 u. 4.

Seite 2. Die Situation Sr. K. H. ist allerdings eine »durchaus falsche«, weil es nicht der Beruf des Thronerben ist, die Fahne der Opposition gegen den König und den Vater aufzupflanzen, die »Pflicht«, aus derselben herauszukommen, kann aber nur auf dem Wege der Rückkehr zu einer normalen Stellung erfüllt werden.

Seite 3. Der Conflict der Pflichten liegt nicht vor, denn die erstre Pflicht ist eine selbstgemachte; die Sorge für Preußens Zukunft liegt dem Könige ob, nicht dem Kronprinzen, und ob »Fehler« gemacht sind und auf welcher Seite, wird die Zukunft lehren. Wo die »Einsicht« Sr. Majestät mit der des Kronprinzen in Widerspruch tritt, ist die erstre stets die entscheidende, also kein Conflict vorhanden. S. K. H. erkennt selbst an, daß in unsrer Verfassung »kein Platz für Opposition des Thronfolgers« ist.

Seite 4. Die Opposition innerhalb des conseil's schließt den Gehorsam gegen Se. Majestät nicht aus, sobald eine Sache entschieden ist. Minister opponiren auch, wenn sie abweichende Ansicht haben, gehorchen aberHier ist am Rande von der Hand des Königs der Zusatz: wenn es nicht gegen ihr Gewissen läuft. doch der Entscheidung des Königs, obschon ihnen selbst die Ausführung des von ihnen Bekämpften obliegt.

Seite 4. Wenn S. K. H. weiß, daß die Minister nach dem Willen des Königs handeln, so kann S. K. H. Sich auch darüber nicht täuschen, daß die Opposition des Thronfolgers gegen den regirenden König Selbst gerichtet ist.

Seite 5. Zur Unternehmung eines »Kampfes« gegen den Willen des Königs fehlt dem Kronprinzen jeder Beruf und jede Berechtigung, grade weil S. K. H. keinen amtlichen »status« besitzt. Jeder Prinz des Königlichen Hauses könnte mit demselben Rechte wie der Kronprinz für sich die »Pflicht« in Anspruch nehmen, bei abweichender Ansicht öffentlich Opposition gegen den König zu machen, um dadurch »seine und seiner Kinder« eventuelle Erbrechte gegen die Wirkung angeblicher Fehler der Regirung des Königs zu wahren, das heißt, um sich die Succession im Sinne Louis Philipp's zu sichern, wenn der König durch eine Revolution gestürzt würde.

Seite 5. Ueber die Aeußerungen des Minister-Präsidenten in Gastein hat derselbe sich näher zu erklären.

Seite 7. Der Kronprinz ist nicht als »Rathgeber« des Königs, sondern zu seiner eignen Information und Vorbereitung auf seinen künftigen Beruf von des Königs Majestät veranlaßt, den Sitzungen beizuwohnen.

Seite 7. Der Versuch, die Maßregeln der Regirung zu »neutralisiren«, wäre Kampf und Auflehnung gegen die Krone.

Seite 7. Gefährlicher als alle Angriffe der Demokratie und alles »Nagen« an den Wurzeln der Monarchie ist die Lockerung der Bande, welche das Volk noch mit der Dynastie verbinden, durch das Beispiel offen verkündeter Opposition des Thronerben, durch die absichtliche Kundmachung der Uneinigkeit im Schoße der Dynastie. Wenn der Sohn und der Thronerbe die Autorität des Vaters und des Königs anficht, wem soll sie dann noch heilig sein? Wenn dem Ehrgeize für die Zukunft eine Prämie dafür in Aussicht gestellt wird, daß er in der Gegenwart vom Könige abfällt, so werden jene Bande zum eignen Nachtheile des künftigen Königs gelockert, und die Lähmung der Autorität der jetzigen Regirung wird eine böse Saat für die zukünftige sein. Jede Regirung ist besser als eine in sich zwiespältige und gelähmte, und die Erschütterungen, welche der jetzige Kronprinz hervorrufen kann, treffen die Fundamente des Gebäudes, in welchem er selbst künftig als König zu wohnen hat.

Seite 7. Nach dem bisherigen verfassungsmäßigen Rechte in Preußen regirt der König, und nicht die Minister. Nur die Gesetzgebung, nicht die Regirung, ist mit den Kammern getheilt, vor denen die Minister den König vertreten. Es ist also ganz gesetzlich, wie vor der Verfassung, daß die Minister Diener des Königs, und zwar die berufnen Rathgeber Sr. Majestät, aber nicht die Regirer des Preußischen Staates sind. Das Preußische Königthum steht auch nach der Verfassung noch nicht auf dem niveau des belgischen oder englischen, sondern bei uns regirt noch der König persönlich, und befiehlt nach Seinem Ermessen, so weit nicht die Verfassung ein Andres bestimmt, und dies ist nur in Betreff der Gesetzgebung der Fall.

Seite 8. Die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen verstößt gegen die Strafgesetze. Was als Staatsgeheinmiß zu behandeln sei, hängt von den Befehlen des Königs zu dienstlicher Geheimhaltung ab.

Seite 8. Warum wird so großer Werth auf das Bekanntwerden »draußen im Lande« gelegt? Wenn S. K. H. nach pflichtmäßiger Ueberzeugung im conseil Seine Meinung sagt, so ist dem Gewissen Genüge geschehn. Der Kronprinz hat keine offizielle Stellung zu den Staatsgeschäften und keinen Beruf, Sich öffentlich zu äußern; das Einverständniß S. K. H. mit den Beschlüssen der Regirung wird Niemand, der unsre Staatseinrichtungen auch nur oberflächlich kennt, daraus folgern, daß S. K. H. ohne Stimmrecht, also ohne die Möglichkeit wirksamen Widerspruchs, die Verhandlungen des conseil's anhört.

Seite 8. »nicht besser erscheinen«; der Fehler der Situation liegt darin eben, daß auf das »Erscheinen« zu viel Werth gelegt wird; auf das Sein und das Können kommt es an, und das ist nur die Frucht ernster und besonnener Arbeit.

Seite 9. Die Theilnahme Sr. K. H. an den conseil's ist keine »active« Stellung, und »Abstimmungen« des Kronprinzen finden nicht statt.

Seite 9. Die Mittheilung an »berufne« (?) Personen ohne Ermächtigung Sr. Majestät würde gegen die Strafgesetze verstoßen. Das Recht der freien Meinungs-Aeußrung wird ja Sr. K. H. nicht verschränkt, im Gegentheil, gewünscht; aber nur im conseil, wo die Aeußrung ja allein von Einfluß auf die zu fassenden Entschließungen sein kann.

Den Gegensatz »vor dem Lande offen zu legen«, kann nur eine Befriedigung des Selbstgefühls bezwecken, und muß die Folge haben, Unzufriedenheit und Unbotmäßigkeit zu fördern, und dadurch der Revolution die Wege zu bahnen.

Seite 10. Erschweren wird S. K. H. den Ministern die Arbeit ohne Zweifel, und bequemer würde ihre Aufgabe sein, wenn S. K. H. Sich nicht an den Sitzungen betheiligte. Aber kann Se. Majestät Sich der Pflicht entziehn, so viel als in menschlichen Kräften steht, dafür zu thun, daß der Kronprinz die Geschäfte und Gesetze des Landes kennen lerne? Ist es nicht ein gefährliches Experiment, den künftigen König den Staatsangelegenheiten fremd werden zu lassen, während das Wohl von Millionen darauf beruht, daß Er mit denselben vertraut sei? S. K. H. beweist in dem vorliegenden mémoire die Unbekanntschaft mit der Thatsache, daß die Theilnahme des Kronprinzen an den conseil's eine verantwortliche niemals ist, sondern nur eine informatorische, daß ein votum von S. K. H. niemals verlangt werden kann. Auf dem Verkennen dieses Umstandes beruht das ganze raisonnement.

Wenn der Kronprinz mit den Staats-Angelegenheiten vertrauter wäre, so könnte es nicht geschehn, daß S. K. H. dem Könige mit Veröffentlichung der conseil-Verhandlungen drohte, für den Fall, daß der König auf die Wünsche Sr. K. H. nicht einginge; also mit einer Verletzung der Gesetze, und obenein der Strafgesetze. Und das wenige Wochen, nachdem S. K. H. selbst die Veröffentlichung des Briefwechsels mit Sr. Majestät in sehr strengen Worten gerügt hat.

Seite 11. Der erwähnte Vorwurf ist allerdings für Jedermann im Volke ein sehr nahe liegender; Niemand klagt S. K. H. einer solchen Absicht an, aber wohl sagt man, daß Andre, welche solche Absicht hegen, dieselbe durch die unbewußte Mitwirkung des Kronprinzen zu verwirklichen hoffen, und daß ruchlose Attentate jetzt mehr als früher ihren Urhebern die Aussicht auf einen Systemwechsel gewähren.

Seite 12. Das Verlangen, rechtzeitige Kenntniß von den Vorlagen der Sitzungen zu haben, ist als ein begründetes jederzeit erkannt worden und wird stets erfüllt, ja der Wunsch ist häufig laut geworden, daß S. K. H. die Hand dazu biete, genauer als es bisher möglich war, au courant gehalten zu werden. Dazu muß der Aufenthalt Sr. K. H. jederzeit bekannt und erreichbar, der Kronprinz für die Minister persönlich zugänglich, und die Discretion gesichert sein. Besonders aber ist nöthig, daß die vortragenden Räthe, mit denen allein S. K. H. die schwebenden Staatssachen zu bearbeiten berechtigt sein kann, nicht Gegner, sondern Freunde der Regirung seien, oder doch unparteiische Beurtheiler ohne intime Beziehung zur Opposition im Landtage und in der Presse. Der schwierigste Punkt ist die Discretion, besonders gegen das Ausland, so lange nicht bei Sr. K. H. und bei Ihrer K. H. der Frau Kronprinzessin das Bewußtsein durchgedrungen ist, daß in regirenden Häusern die nächsten Verwandten nicht immer Landsleute sind, sondern nothwendig und pflichtmäßig andre als die Preußischen Interessen vertreten. Es ist hart, wenn zwischen Mutter und Tochter, zwischen Bruder und Schwester eine Landesgränze als Scheidelinie der Interessen liegt; aber das Vergessen derselben ist immer gefährlich für den Staat.

Seite 12. Die »letzte Conseilsitzung« (am 3.) war keine conseil-Sitzung, sondern nur eine den Ministern selbst vorher nicht bekannte Berufung zu Sr. Majestät.

Seite 13. Die Mittheilung an die Minister würde dem mémoire einen amtlichen Charakter geben, welchen Auslassungen der Thronfolger an sich nicht haben.


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