Otto Fürst von Bismarck
Gedanken und Erinnerungen, Band 1
Otto Fürst von Bismarck

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Zehntes Kapitel.

PetersburgZu diesem Kapitel vgl. Bismarck's Briefwechsel mit dem Minister Freiherrn v. Schleinitz. Stuttgart und Berlin, J. G. Cotta'sche Buchh. Nachf. 1905.

I.

Es ist in der Geschichte der europäischen Staaten wohl kaum noch einmal vorgekommen, daß ein Souverän einer Großmacht einem Nachbarn dieselben Dienste erwiesen hat, wie der Kaiser Nicolaus der östreichischen Monarchie. In der gefährdeten Lage, in welcher diese sich 1849 befand, kam er ihr mit 150 000 Mann zu Hülfe, unterwarf Ungarn, stellte dort die königliche Gewalt wieder her und zog seine Truppen zurück, ohne einen Vortheil oder eine Entschädigung zu verlangen, ohne die orientalischen und polnischen Streitfragen beider Staaten zu erwähnen. Dieser uninteressirte Freundschaftsdienst auf dem Gebiet der innern Politik Oestreich-Ungarns wurde von dem Kaiser Nicolaus in der auswärtigen Politik in den Tagen von Olmütz auf Kosten Preußens unvermindert fortgesetzt. Wenn er auch nicht durch Freundschaft, sondern durch die Erwägungen kaiserlich russischer Politik beeinflußt war, so war es immerhin mehr, als ein Souverän für einen andern zu thun pflegt, und nur in einem so eigenmächtigen und übertrieben ritterlichen Autokraten erklärlich. Nicolaus sah damals auf den Kaiser Franz Joseph als auf seinen Nachfolger und Erben in der Führung der monarchischen Trias. Er betrachtete die letztre als solidarisch der Revolution gegenüber und hatte bezüglich der Fortsetzung der Hegemonie mehr Vertrauen zu Franz Joseph als zu seinem eignen Nachfolger. Noch geringer war seine Meinung von der Veranlagung unsres Königs Friedrich Wilhelm für die Führerrolle auf dem Gebiete praktischer Politik; er hielt ihn zur Leitung der monarchischen Trias für so wenig geeignet wie den eignen Sohn und Nachfolger. Er handelte in Ungarn und in Olmütz in der Ueberzeugung, daß er nach Gottes Willen den Beruf habe, der Führer des monarchischen Widerstandes gegen die von Westen vordringende Revolution zu sein. Er war eine ideale Natur, aber verhärtet in der Isolirung der russischen Autokratie, und es ist wunderbar genug, daß er sich unter allen Eindrücken, von den Decabristen an durch alle folgenden Erlebnisse hindurch, diesen idealen Schwung erhalten hatte.

Wie er über seine Stellung zu seinen Unterthanen empfand, ergibt sich aus einer Thatsache, die mir Friedrich Wilhelm IV. selbst erzählt hat. Der Kaiser Nicolaus bat ihn um Zusendung von zwei Unteroffizieren der preußischen Garde, behufs Ausführung gewisser ärztlich vorgeschriebener Knetungen, die auf dem Rücken des Patienten vorgenommen werden mußten, während dieser auf dem Bauche lag. Er sagte dabei: »Mit meinen Russen werde ich immer fertig, wenn ich ihnen in's Gesicht sehn kann, aber auf den Rücken ohne Augen möchte ich mir sie doch nicht kommen lassen.« Die Unteroffiziere wurden in discreter Weise gestellt, verwendet und reich belohnt. Es zeigt dies, wie trotz der religiösen Hingebung des russischen Volks für seinen Zaren der Kaiser Nicolaus doch auch dem gemeinen Manne unter seinen Unterthanen seine persönliche Sicherheit unter vier Augen nicht unbeschränkt anvertraute; und es ist ein Zeichen großer Charakterstärke, daß er von diesen Empfindungen sich bis an sein Lebensende nicht niederdrücken ließ. Hätten wir damals auf dem Throne eine Persönlichkeit gehabt, die ihm ebenso sympathisch gewesen wäre wie der junge Kaiser Franz Joseph, so hätte er vielleicht in dem damaligen Streit um die Hegemonie in Deutschland für Preußen ebenso Partei genommen, wie er es für Oestreich gethan hat. Vorbedingung dazu wäre gewesen, daß Friedrich Wilhelm IV. den Sieg seiner Truppen im März 1848 festgehalten und ausgenutzt hätte, was ja möglich war ohne weitre Repressionen derart, wie Oestreich sie in Prag und Wien durch Windischgrätz und in Ungarn durch russische Hülfe zu bewirken genöthigt war.

In der Petersburger Gesellschaft ließen sich zu meiner Zeit drei Generationen unterscheiden. Die vornehmste, die europäisch und classisch gebildeten Grands Seigneurs aus der Regirungszeit Alexander's I., war im Aussterben. Zu ihr konnte man noch rechnen Mentschikow, Woronzow, Bludow, Nesselrode und, was Geist und Bildung betrifft, Gortschakow, dessen Niveau durch seine übertriebene Eitelkeit etwas herabgedrückt war im Vergleich mit den übrigen Genannten, Leuten, die classisch gebildet waren, gut und geläufig nicht nur französisch, sondern auch deutsch sprachen und der crême europäischer Gesittung angehörten.

Die zweite Generation, die mit dem Kaiser Nicolaus gleichaltrig war oder doch seinen Stempel trug, pflegte sich in der Unterhaltung auf Hofangelegenheiten, Theater, Avancement und militärische Erlebnisse zu beschränken. Unter ihnen sind als der ältern Kategorie geistig näher stehende Ausnahmen zu nennen der alte Fürst Orlow, hervorragend an Charakter, Höflichkeit und Zuverlässigkeit für uns; der Graf Adlerberg Vater und sein Sohn, der nachherige Hofminister, mit Peter Schuwalow der einsichtigste Kopf, mit dem ich dort in Beziehungen gekommen bin und dem nur Arbeitsamkeit fehlte, um eine leitende Rolle zu spielen; der Fürst Suworow, der wohlwollendste für uns Deutsche, bei dem der russische General nicolaitischer Tradition stark, aber nicht unangenehm, mit burschikosen Reminiscenzen deutscher Universitäten versetzt war; mit ihm dauernd im Streit und doch in gewisser Freundschaft Tschewkin, der Eisenbahn-General, von einer Schärfe und Feinheit des Verständnisses, wie sie bei Verwachsenen mit der ihnen eigenthümlichen klugen Kopfbildung nicht selten gefunden wird; endlich der Baron Peter von Meyendorff, für mich die sympathischste Erscheinung unter den ältern Politikern, früher Gesandter in Berlin, der nach seiner Bildung und der Feinheit seiner Formen mehr dem alexandrinischen Zeitalter angehörte und in ihm durch Intelligenz und Tapferkeit sich aus der Stellung eines jungen Offiziers in einem Linienregimente, in dem er die französischen Kriege mitgemacht, zu einem Staatsmanne emporgearbeitet hatte, dessen Wort bei dem Kaiser Nicolaus erheblich in's Gewicht fiel. Die Annehmlichkeit seines gastfreien Hauses in Berlin wie in Petersburg wurde wesentlich erhöht durch seine Gemalin, eine männlich kluge, vornehme, ehrliche und liebenswürdige Frau, die in noch höherm Grade als ihre Schwester, Frau von Vrints in Frankfurt, den Beweis lieferte, daß in der gräflich Buolschen Familie der erbliche Verstand ein Kunkellehn war. Ihr Bruder, der östreichische Minister Graf Buol, hatte daran nicht den Antheil geerbt, der zur Leitung der Politik einer großen Monarchie unentbehrlich ist. Die beiden Geschwister standen einander persönlich nicht näher als die russische und die östreichische Politik. Als ich 1852 in besondrer Mission in Wien beglaubigt war, war das Verhältniß zwischen ihnen noch derart, daß Frau von Meyendorff geneigt war, mir das Gelingen meiner für Oestreich freundlichen Mission zu erleichtern, wofür ohne Zweifel die Instructionen ihres Gemals maßgebend waren. Der Kaiser Nicolaus wünschte damals unsre Verständigung mit Oestreich. Als ein oder zwei Jahre später, zur Zeit des Krimkriegs, von meiner Ernennung nach Wien die Rede war, fand das Verhältniß zwischen ihr und ihrem Bruder in den Worten Ausdruck: sie hoffe, daß ich nach Wien kommen und »dem Karl ein Gallenfieber anärgern würde«. Frau von Meyendorff war als Frau ihres Gemals patriotische Russin und würde auch ohnedies schon nach ihrem persönlichen Gefühl die feindselige und undankbare Politik nicht gebilligt haben, zu welcher Graf Buol Oestreich bewogen hatte.

Die dritte Generation, die der jungen Herrn, zeigte in ihrem gesellschaftlichen Auftreten meist weniger Höflichkeit, mitunter schlechte Manieren und in der Regel stärkre Abneigung gegen deutsche, insbesondre preußische Elemente als die beiden ältern Generationen. Wenn man, des Russischen unkundig, sie deutsch anredete, so waren sie geneigt, ihre Kenntniß dieser Sprache zu verleugnen, unfreundlich oder garnicht zu antworten und Civilisten gegenüber unter das Maß von Höflichkeit herabzugehn, welches sie in den Uniform oder Orden tragenden Kreisen untereinander beobachteten. Es war eine zweckmäßige Einrichtung der Polizei, daß die Dienerschaft der Vertreter auswärtiger Regirungen durch Tressen und das der Diplomatie vorbehaltne Costüm eines Livree-Jägers gekennzeichnet war. Die Angehörigen des diplomatischen Corps würden sonst, da sie nicht die Gewohnheit hatten, auf der Straße Uniform oder Orden zu tragen, sowohl von der Polizei als von Mitgliedern der höhern Gesellschaft denselben zu Conflicten führenden Unannehmlichkeiten ausgesetzt gewesen sein, welche ein ordensloser Civilist, der nicht als vornehmer Mann bekannt war, im Straßenverkehr und auf Dampfschiffen leicht erleben konnte.

In dem Napoleonischen Paris habe ich dieselbe Beobachtung gemacht.S. o. S. 101.. Wenn ich länger dort gewohnt hätte, so würde ich mich haben daran gewöhnen müssen, nach französischer Sitte mich nicht ohne Andeutung einer Decoration auf der Straße zu Fuß zu bewegen. Ich habe auf den Boulevards erlebt, daß bei einer Festlichkeit einige hundert Menschen sich weder vorwärts noch rückwärts bewegen konnten, weil sie infolge mangelhafter Anordnung zwischen zwei in verschiedner Richtung marschirende Truppentheile gerathen waren, und daß die Polizei, welche das Hemmniß nicht wahrgenommen hatte, auf diese Masse gewaltthätig mit Faustschlägen und den in Paris so üblichen coups de pied einstürmte, bis sie auf einen »Monsieur décoré« stieß. Das rothe Bändchen bewog die Polizisten, die Protestationen des Trägers wenigstens anzuhören und sich endlich überzeugen zu lassen, daß der anscheinend widerspenstige Volkshaufe zwischen zwei Truppentheilen eingeklemmt war und deshalb nicht ausweichen konnte. Der Führer der aufgeregten Polizisten zog sich durch den Scherz aus der Affaire, daß er, auf die bis dahin von ihm nicht bemerkten, im pas gymnastique defilirenden chasseurs de Vincennes deutend, sagte: »Eh bien, il faut enfoncer ça!« Das Publikum, einschließlich der Mißhandelten, lachte, die von Thätlichkeiten Verschonten entfernten sich mit einem dankbaren Gefühl für den décoré, dessen Anwesenheit sie gerettet hatte.

Auch in Petersburg würde ich es für zweckmäßig gehalten haben, auf der Straße die Andeutung eines höhern russischen Ordens zu tragen, wenn die großen Entfernungen es nicht mit sich gebracht hätten, daß man sich in den Straßen mehr zu Wagen mit Tressenlivree als zu Fuße zeigte. Schon zu Pferde, wenn in Civil und ohne Reitknecht, lief man Gefahr, von den durch ihr Costüm kenntlichen Kutschern der höhern Würdenträger wörtlich und thätlich angefahren zu werden, wenn man mit ihnen in unvermeidliche Berührung gerieth; und wer hinreichend Herr seines Pferdes war und eine Gerte in der Hand hatte, that wohl, sich bei solchen Conflicten als gleichberechtigt mit dem Insassen des Wagens zu legitimiren. Von den wenigen Reitern in der Umgebung von Petersburg konnte man in der Regel annehmen, daß sie deutsche und englische Kaufleute waren und in dieser ihrer Stellung ärgerliche Berührungen nach Möglichkeit vermieden und lieber ertrugen, als sich bei den Behörden zu beschweren. Offiziere machten nur in ganz geringer Zahl von den guten Reitwegen auf den Inseln und weiter außerhalb der Stadt Gebrauch, und die es thaten, waren in der Regel deutschen Herkommens. Das Bemühn höhern Ortes, den Offizieren mehr Geschmack am Reiten beizubringen, hatte keinen dauernden Erfolg und bewirkte nur, daß nach einer jeden Anregung derart die kaiserlichen Equipagen einige Tage lang mehr Reitern als gewöhnlich begegneten. Eine Merkwürdigkeit war es, daß als die besten Reiter unter den Offizieren die beiden Admirale anerkannt waren, der Großfürst Constantin und der Fürst Mentschikow.

Auch abgesehn von der Reiterei mußte man wahrnehmen, daß in guten Manieren und gesellschaftlichem Tone die jüngre zeitgenössische Generation zurück stand gegen die vorhergehende des Kaisers Nicolaus und beide wieder in europäischer Bildung und Gesammterziehung gegen die alten Herrn aus der Zeit Alexander's I. Dessenungeachtet blieb innerhalb der Hofkreise und der »Gesellschaft« der vollendete gute Ton in Geltung und in den Häusern der Aristokratie, namentlich so weit in diesen die Herrschaft der Damen reichte. Aber die Höflichkeit der Formen verminderte sich erheblich, wenn man mit jüngern Herrn in Situationen gerieth, welche nicht durch den Einfluß des Hofes oder vornehmer Frauen controllirt waren. Ich will nicht entscheiden, wie weit das Wahrgenommne aus einer socialen Reaction der jüngern Gesellschaftsschicht gegen die früher wirksam gewesenen deutschen Einflüsse oder aus einem Sinken der Erziehung in der jüngern russischen Gesellschaft seit der Epoche des Kaisers Alexander I. zu erklären ist, vielleicht auch aus der Contagion, welche die sociale Entwicklung der Pariser Kreise auf die der höhern russischen Gesellschaft auszuüben pflegt. Gute Manieren und vollkommne Höflichkeit sind in den herrschenden Kreisen von Frankreich außerhalb des Faubourg St. Germain heut nicht mehr so verbreitet, wie es früher der Fall war, und wie ich sie in Berührung mit ältern Franzosen und mit französischen und noch gewinnender bei russischen Damen jeden Alters kennen gelernt habe. Da übrigens meine Stellung in Petersburg mich nicht zu einem intimen Verkehr mit der jüngsten erwachsenen Generation nöthigte, so habe ich von meinem dortigen Aufenthalt nur die angenehme Erinnrung behalten, welche ich der Liebenswürdigkeit des Hofes, der ältern Herrn und der Damen der Gesellschaft verdanke.

Die antideutsche Stimmung der jüngern Generation hat sich demnächst mir und Andern auch auf dem Gebiete der politischen Beziehungen zu uns fühlbar gemacht, in verstärktem Maße, seit mein russischer College, Fürst Gortschakow, seine ihn beherrschende Eitelkeit auch mir gegenüber herauskehrte. So lange er das Gefühl hatte, in mir einen jüngern Freund zu sehn, an dessen politischer Erziehung er einen Antheil beanspruchte, war sein Wohlwollen für mich unbegrenzt, und die Formen, in denen er mir Vertraun zeigte, überschritten die unter Diplomaten zulässige Grenze, vielleicht aus Berechnung, vielleicht aus Ostentation einem Collegen gegenüber, an dessen bewunderndes Verständniß mir gelungen war ihn glauben zu machen. Diese Beziehungen wurden unhaltbar, sobald ich als preußischer Minister ihm die Illusion seiner persönlichen und staatlichen Überlegenheit nicht mehr lassen konnte. Hinc irae.Vgl. Juvenal, Satiren I 168: Inde irae et lacrimae und Terenz, Andria I 1: Hinc illae irae. Sobald ich selbständig als Deutscher oder Preuße oder als Rival im europäischen Ansehn und in der geschichtlichen Publicistik aufzutreten begann, verwandelte sich sein Wohlwollen in Mißgunst.

Ob diese Wandlung erst nach 1870 begann oder ob sie sich vor diesem Jahre meiner Wahrnehmung entzogen hatte, lasse ich dahingestellt. Wenn Erstres der Fall war, so kann ich als ein achtbares und für einen russischen Kanzler berechtigtes Motiv den Irrthum der Berechnung in Anschlag bringen, daß die Entfremdung zwischen uns und Oestreich auch nach 1866 dauernd fortbestehn werde. Wir haben 1870 der russischen Politik bereitwillig beigestanden, um sie im Schwarzen Meere von den Beschränkungen zu lösen, welche der Pariser Vertrag ihr auferlegt hatte.Vgl. Bd. II 126. Dieselben waren unnatürlich, und das Verbot der freien Bewegung an der eignen Meeresküste war für eine Macht wie Rußland auf die Dauer unerträglich, weil demüthigend. Außerdem lag und liegt es nicht in unserm Interesse, Rußland in der Verwendung seiner überschüssigen Kräfte nach Osten hin hinderlich zu sein; wir sollen froh sein, wenn wir in unsrer Lage und geschichtlichen Entwicklung in Europa Mächte finden, mit denen wir auf keine Art von Concurrenz der politischen Interessen angewiesen sind, wie das zwischen uns und Rußland bisher der Fall ist. Mit Frankreich werden wir nie Frieden haben, mit Rußland nie die Nothwendigkeit des Krieges, wenn nicht liberale Dummheiten oder dynastische Mißgriffe die Situation fälschen.

II.

Wenn ich in Petersburg auf einem der kaiserlichen Schlösser Zarskoe oder Peterhof anwesend war, auch nur, um mit dem daselbst in Sommerquartier lebenden Fürsten Gortschakow zu conferiren, so fand ich in der mir angewiesenen Wohnung im Schlosse für mich und einen Begleiter ein Frühstück von mehren Gängen angerichtet, mit drei oder vier Sorten hervorragend guter Weine; andre sind mir in der kaiserlichen Verpflegung überhaupt niemals vorgekommen. Gewiß wurde in dem Haushalte viel gestohlen, aber die Gäste des Kaisers litten darunter nicht; im Gegentheil, ihre Verpflegung war auf reiche Brosamen für den »Dienst« berechnet. Keller und Küche waren absolut einwandsfrei, auch in Vorkommnissen, wo sie uncontrollirt blieben. Vielleicht hatten die Beamten, denen die nicht getrunknen Weine verblieben, durch lange Erfahrung schon einen zu durchgebildeten Geschmack gewonnen, um Unregelmäßigkeiten zu dulden, unter denen die Qualität der Lieferung gelitten hätte. Die Preise der Lieferungen waren nach allem, was ich erfuhr, allerdings gewaltig hoch. Von der Gastfreiheit des Haushalts bekam ich eine Vorstellung, wenn meine Gönnerin, die Kaiserin-Witwe Charlotte, Schwester unsers Königs, mich einlud. Dann waren für die mit mir eingeladnen Herrn der Gesandschaft zwei, und für mich drei Diners der kaiserlichen Küche entnommen. In meinem Quartier wurden für mich und meine Begleiter Frühstücke und Diners angerichtet und berechnet, wahrscheinlich auch gegessen und getrunken, als ob meine und der Meinigen Einladung zu der Kaiserin garnicht erfolgt sei. Das Couvert für mich wurde einmal in meinem Quartier mit allem Zubehör auf- und abgetragen, das zweite Mal an der Tafel der Kaiserin in Gemeinschaft mit denen meiner Begleiter aufgelegt, und auch dort kam ich mit ihm nicht in Berührung, da ich vor dem Bette der kranken Kaiserin ohne meine Begleiter in kleiner Gesellschaft zu speisen hatte. Bei solchen Gelegenheiten pflegte die damals in der ersten Blüthe jugendlicher Schönheit stehende Prinzessin Leuchtenberg, später Gemalin des Prinzen Wilhelm von Baden, an Stelle ihrer Großmutter mit der ihr eignen Grazie und Heiterkeit die Honneurs zu machen. Auch erinnre ich mich, daß bei einer andern Gelegenheit eine vierjährige Großfürstin sich um den Tisch von vier Personen bewegte und sich weigerte, einem hohen General die gleiche Höflichkeit wie mir zu erweisen. Es war mir sehr schmeichelhaft, daß dieses großfürstliche Kind auf die großmütterliche Vorhaltung antwortete: in Bezug auf mich: on milü (er ist lieb), in Bezug auf den General aber hatte sie die Naivität, zu sagen: on wonjaet (er stinkt), worauf das großfürstliche enfant terrible entfernt wurde.

Es ist vorgekommen, daß preußische Offiziere, welche lange in einem der kaiserlichen Schlösser wohnten, von russischen guten Freunden vertraulich befragt wurden, ob sie wirklich so viel Wein u. dergl. verbrauchten, wie für sie entnommen werde; dann würde man sie um ihre Leistungsfähigkeit beneiden und ferner dafür sorgen. Diese vertrauliche Erkundigung traf auf Herrn von sehr mäßigen Gewohnheiten; mit ihrem Einverständnisse wurden die von ihnen bewohnten Gemächer untersucht: in Wandschränken, mit denen sie unbekannt waren, fanden sich zurückgelegte Vorräthe hochwerthiger Weine und sonstiger Bedürfnisse in Massen.

Bekannt ist, daß dem Kaiser einmal das ungewöhnliche Quantum von Talg aufgefallen war, welches jedes Mal in den Rechnungen erschien, wenn der Prinz von Preußen zum Besuche dort war, und daß schließlich ermittelt wurde, daß er bei seinem ersten Besuche sich durchgeritten und am Abend das Verlangen nach etwas Talg gestellt hatte. Das verlangte Loth dieses Stoffes hatte sich bei spätern Besuchen in Pud verwandelt. Die Aufklärung erfolgte zwischen den hohen Herrschaften persönlich und hatte eine Heiterkeit zur Folge, welche den betheiligten Sündern zu Gute kam.

Von einer andern russischen Eigenthümlichkeit gab es bei meiner ersten Anwesenheit in Petersburg 1859 eine Probe. In den ersten Tagen des Frühlings machte damals die zum Hofe gehörige Welt ihren Spaziergang in dem Sommergarten zwischen dem Pauls-Palais und der Newa. Dort war es dem Kaiser aufgefallen, daß in der Mitte eines Rasenplatzes ein Posten stand. Da der Soldat auf die Frage, weshalb er da stehe, nur die Auskunft zu geben wußte: »Es ist befohlen«, so ließ sich der Kaiser durch seinen Adjutanten auf der Wache erkundigen, erhielt aber auch keine andre Aufklärung, als daß der Posten Winter und Sommer gegeben werde. Der ursprüngliche Befehl sei nicht mehr zu ermitteln. Die Sache wurde bei Hofe zum Tagesgespräch und gelangte auch zur Kenntniß der Dienerschaft. Aus dieser meldete sich ein alter Pensionär und gab an, daß sein Vater ihm gelegentlich im Sommergarten gesagt habe, während sie an der Schildwache vorbeigegangen: »Da steht er noch immer und bewacht die Blume; die Kaiserin Katharina hat an der Stelle einmal ungewöhnlich früh im Jahre ein Schneeglöckchen wahrgenommen und befohlen, man solle sorgen, daß es nicht abgepflückt werde.« Dieser Befehl war durch Aufstellung einer Schildwache zur Ausführung gebracht worden, und seitdem hatte der Posten Jahr aus Jahr ein gestanden. Dergleichen erregt unsre Kritik und Heiterkeit, ist aber ein Ausdruck der elementaren Kraft und Beharrlichkeit, auf denen die Stärke des russischen Wesens dem übrigen Europa gegenüber beruht. Man erinnert sich dabei der Schildwachen, die während der Überschwemmung in Petersburg 1825, im Schipka-Passe 1877 nicht abgelöst wurden, und von denen die Einen ertranken, die Andern auf ihren Posten erfroren.

III.

Während des italienischen Krieges glaubte ich noch an die Möglichkeit, in der Stellung eines Gesandten in Petersburg, wie ich es von Frankfurt aus mit wechselndem Erfolge versucht hatte, auf die Entschließungen in Berlin einwirken zu können, ohne mir klar zu machen, daß die übermäßigen Anstrengungen, die ich mir zu diesem Zwecke in meiner Berichterstattung auferlegte, ganz fruchtlos sein mußten, weil meine Immediatberichte und meine in Form eigenhändiger Briefe gefaßten Mittheilungen entweder garnicht zur Kenntniß des Regenten gelangten oder mit Commentaren, die jeden Eindruck hinderten. Meine Ausarbeitungen hatten außer einer Complicirung der Krankheit, in welche ich durch ärztliche Vergiftung gefallen war, nur die Folge, daß die Genauigkeit meiner Berichte über die Stimmungen des Kaisers verdächtigt wurde, und um mich zu controlliren, der Graf Münster, früher Militärbevollmächtigter in Petersburg, dorthin geschickt wurde. Ich war im Stande, dem mir befreundeten Inspicienten zu beweisen, daß meine Meldungen auf der Einsicht eigenhändiger Bemerkungen des Kaisers am Rande der Berichte russischer Diplomaten beruhten, die Gortschakow mir vorgelegt hatte, und daneben auf mündlichen Mittheilungen persönlicher Freunde, die ich in dem Cabinet und am Hofe besaß. Die eigenhändigen Marginalien des Kaisers waren mir vielleicht mit berechneter Indiscretion vorgelegt worden, damit ihr Inhalt auf diesem weniger verstimmenden Wege nach Berlin gelangen sollte.

Diese und andre Formen, in denen ich von besonders wichtigen Mittheilungen Kenntniß erhielt, sind charakteristisch für die damaligen politischen Schachzüge. Ein Herr, welcher mir gelegentlich eine solche vertraute, wandte sich beim Abschiede in der Thür um und sagte: »Meine erste Indiscretion nöthigt mich zu einer zweiten. Sie werden die Sache natürlich nach Berlin melden, benutzen Sie aber dazu nicht Ihren Chiffre Nr. so und so, den besitzen wir seit Jahren, und nach Lage der Dinge würde man bei uns auf mich als Quelle schließen. Außerdem werden Sie mir den Gefallen thun, den compromittirten Chiffre nicht plötzlich fallen zu lassen, sondern ihn noch einige Monate lang zu unverfänglichen Telegrammen zu benutzen.« Damals glaubte ich zu meiner Beruhigung aus diesem Vorgange die Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, daß nur dieser eine unsrer Chiffres sich im russischen Besitze befand. Die Sicherstellung des Chiffres war in Petersburg besonders schwierig, weil jede Gesandschaft russische Diener und Subalterne nothwendig im Innern des Hauses verwenden mußte und die politische Polizei unter diesen sich leicht Agenten verschaffte.

Zur Zeit des östreichisch-französischen Krieges klagte mir der Kaiser Alexander in vertraulichem Gespräche über den heftigen und verletzenden Ton, in welchem die russische Politik in Correspondenzen deutscher Fürsten an kaiserliche Familienglieder kritisirt werde. Er schloß die Beschwerde über seine Verwandten mit den entrüsteten Worten: »Das Beleidigende für mich in der Sache ist, daß die deutschen Herrn Vettern ihre Grobheiten mit der Post schicken, damit sie sicher zu meiner persönlichen Kenntniß gelangen.« Der Kaiser hatte kein Arg bei diesem Eingeständniß und war unbefangen der Meinung, daß es sein monarchisches Recht sei, auch auf diesem Wege von der Correspondenz Kenntniß zu erhalten, deren Trägerin die russische Post war.

Auch in Wien haben früher ähnliche Einrichtungen bestanden. Vor Erbauung der Eisenbahnen hat es Zeiten gegeben, in denen nach Ueberschreitung der Grenze ein östreichischer Beamter zu dem preußischen Courier in den Wagen stieg, und unter Assistenz des Letztern die Depeschen mit gewerbsmäßigem Geschicke geöffnet, geschlossen und excerpirt wurden, bevor sie an die Gesandschaft in Wien gelangten. Noch nach dem Aufhören dieser Praxis galt es für eine vorsichtige Form amtlicher Mittheilung von Cabinet zu Cabinet nach Wien oder Petersburg, wenn dem dortigen preußischen Gesandten mit einfachem Postbriefe geschrieben wurde. Der Inhalt wurde von beiden Seiten als insinuirt angesehn, und man bediente sich dieser Form der Insinuation gelegentlich dann, wenn die Wirkung einer unangenehmen Mittheilung im Interesse der Tonart des formalen Verkehrs abgeschwächt werden sollte. Wie es in der Post von Thurn und Taxis mit dem Briefgeheimniß bestellt war, wird aus meinem Briefe an den Minister von Manteuffel vom 11. Januar 1858 anschaulich:

»Ich habe schon telegraphisch die dringende Bitte ausgesprochen, meinen vertraulichen Bericht, betreffend die Beschwerde Lord Bloomfield's in der Bentinck'schen Sache, nicht durch die Post an den Grafen Flemming in Karlsruhe zu schicken und so zu Oestreichs Kenntniß zu bringen. Sollte meine Bitte zu spät eingetroffen sein, so werde ich nach mehren Richtungen hin in unangenehme Verlegenheiten gerathen, welche kaum anders als in einem persönlichen Conflict zwischen dem Grafen Rechberg und mir ihre Lösung finden könnten. – Wie ich ihn beurtheile und wie es die östreichische Auffassung des Briefgeheimnisses überhaupt mit sich bringt, wird er sich durch den Umstand, daß diese Beweise einem geöffneten Briefe entnommen sind, von der Production derselben nicht abhalten lassen. Ich traue ihm vielmehr zu, daß er sich ausdrücklich darauf beruft, die Depesche könne nur in der Absicht auf die Post gegeben sein, damit sie zur Kenntniß der kaiserlichen Regirung gelange.«

Als ich 1852 die Gesandschaft in Wien zu leiten hatte, stieß ich dort auf die Gewohnheit, wenn der Gesandte eine Mittheilung zu machen hatte, die Instruction, durch die er von Berlin aus dazu beauftragt war, dem östreichischen Minister des Auswärtigen im Original einzureichen. Diese für den Dienst ohne Zweifel nachtheilige Gewohnheit, bei der eigentlich die vermittelnde Amtsthätigkeit des Gesandten als überflüssig erschien, war dergestalt tief eingerissen, daß der damalige, seit Jahrzehnten in Wien einheimische Kanzleivorstand der Gesandschaft aus Anlaß des von mir ergangnen Verbots mich aufsuchte, um mir vorzustellen, wie groß das Mißtraun der kaiserlichen Staatskanzlei sein werde, wenn wir plötzlich in der langjährigen Gepflogenheit eine Aenderung eintreten ließen; man würde namentlich mir gegenüber zweifelhaft werden, ob meine Einwirkung auf den Grafen Buol wirklich dem Text meiner Instructionen und also den Intentionen der Berliner Politik entspräche.

Um sich selbst gegen Untreue der Beamten des auswärtigen Ressorts zu schützen, hat man in Wien zuweilen sehr drastische Mittel angewandt. Ich habe einmal ein geheimes östreichisches Aktenstück in Händen gehabt, aus dem mir dieser Satz erinnerlich geblieben ist:

»Kaunitz ne sachant pas démêler, lequel de ses quatre commis l'avait trahi, les fit noyer tous les quatre dans le Danube moyennant un bateau à soupape

Vom Ersäufen war auch die Rede in einer scherzenden Unterhaltung, die ich 1853 oder 1854 mit dem russischen Gesandten in Berlin, Baron von Budberg, hatte. Ich erwähnte, daß ich einen Beamten im Verdacht hätte, bei den ihm aufgetragnen Geschäften das Interesse eines andern Staates zu vertreten. Budberg sagte: »Wenn der Mann Ihnen unbequem ist, so schicken Sie ihn nur einmal bis an das Aegäische Meer, dort haben wir Mittel, ihn verschwinden zu lassen« – und fuhr auf meine etwas ängstliche Frage: »Sie wollen ihn doch nicht ersäufen?« lachend fort: »Nein, er würde im Innern Rußlands verschwinden, und da er anstellig zu sein scheint, später als zufriedner russischer Beamter wieder zum Vorschein kommen.«

IV.

In der ersten Hälfte des Juni 1859 machte ich einen kurzen Ausflug nach Moskau.Vgl. Briefe aus Moskau an die Gattin vom 6. bis 8. Juni 1859, S. 435 ff. Bei diesem Besuche der alten Hauptstadt, der in die Zeit des italienischen Kriegs fiel, war ich Zeuge einer merkwürdigen Probe von dem damaligen Hasse der Russen gegen Oestreich. Während der Gouverneur Fürst Dolgoruki mich in einer Bibliothek umherführte, bemerkte ich auf der Brust eines subalternen Beamten unter vielen militärischen Decorationen auch das eiserne Kreuz. Auf meine Frage nach dem Erwerb desselben nannte er die Schlacht von Kulm, nach welcher Friedrich Wilhelm III. eine Anzahl etwas abweichend gestalteter eiserner Kreuze an russische Soldaten hatte vertheilen lassen, das sogenannte Kulmer Kreuz. Ich beglückwünschte den alten Soldaten, daß er nach 46 Jahren noch so rüstig sei, und erhielt die Antwort, er würde noch jetzt, wenn der Kaiser es erlaubte, den Krieg mitmachen. Ich fragte, mit wem er dann gehn würde, mit Italien oder mit Oestreich, worauf er stramm stehend mit Enthusiasmus erklärte: »Immer gegen Oestreich.« Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß Oestreich doch bei Kulm unser und Rußlands Freund und Italien unser Gegner gewesen sei, worauf er, immer in militärisch strammer Haltung und mit der lauten und weit hörbaren Stimme, die der russische Soldat im Gespräch mit Offizieren hat, antwortete: »Ein ehrlicher Feind ist besser als ein falscher Freund.« Diese unverfrorne Antwort begeisterte den Fürsten Dolgoruki dergestalt, daß im nächsten Moment General und Unteroffizier in der Umarmung lagen und die herzlichsten Küsse auf beide Wangen austauschten. So war damals bei General und Unteroffizier die russische Stimmung gegen Oestreich.

Eine Erinnrung an den Ausflug nach Moskau ist der nachstehende Briefwechsel mit dem Fürsten Obolenski.

Moscou, le "2" Juin 1859.In dem Datum liegt ein Fehler. Bismarck verließ Petersburg am 5. Juni Mittags und stieg am 6. Juni früh 8 Uhr im Hôtel de France in Moskau ab. Er trat am 10. Juni die Rückreise an. Wahrscheinlich datirt das Original des Briefes vom 12. Juni. Die an sich unverständlichen Anführungsstriche vor und nach der Zahl weisen vielleicht auf eine undeutlich geschriebene Zahl hin.

En visitant dernièrement les antiquités de Moscou, Votre excellence a porté une grande attention aux monuments de notre ancienne vie politique et morale. Les vieils édifices du Kremlin, les objets de la vie domestique des Tzars, les précieux manuscrits grecs de la bibliothèque des Patriarches de Russie, – tout enfin a excité Sa curiosité éclairée. Les remarques scientifiques de V. E. au sujet de ces monuments ont prouvé qu'outre Ses grandes connaissances diplomatiques, Elle en réunissent d'aussi profondes en archéologie. Une pareille attention de la part d'un étranger pour nos antiquités m'est doublement chère, comme à un Russe et comme à un homme qui consacre ses loisirs aux recherches archéologiques. Permettez-moi d'offrir à votre V. E. en souvenir de Son court séjour à Moscou et de l'agréable connaissance que j'ai eu l'honneur de faire avec Elle, un exemplaire du »Livre contenant la description de l'élection et de l'avènement au trône du Tzar Michel Feodorowitch«. Elle y verra sur des dessins quoique peu artistiques mais curieux par leur anciennté, les mêmes édifices et objets qui L'intéressaient tant au Kremlin.

Agréez p. p.

P. M. Obolenski

Pétersbourg (Juli 1859).Nach dem Concept..

Je serais bien ingrat, si après toutes les bontés dont vous m'avez comblé à Moscou, j'avais laissé quatre semaines sans des raisons majeures s'écouler avant de répondre à la lettre dont V. E. m'a honoré. J'ai été saisi après mon retour d'une maladie grave, une espèce de goutte, qui par de fortes douleurs rhumatismales m'a tenu à l'état de perclus depuis près d'un mois avec des intervalles minimes et absorbés par les affaires courantes restées en arrière. Encore aujourd'hui je me trouve hors d'état de marcher, mais mieux portant du reste, de sorte que je tâcherai d'obéir à un ordre de mon gouvernement qui m'appelle à Berlin. Pardonnez ces détails, mon Prince, mais ils sont nécessaires pour expliquer mon silence.

J'avais espéré que par ce retard de ma réponse je serais mis à même d'y joindre celle que j'attends de Berlin à l'envoi dont vous avez bien voulu me charger à destination de Sa Majesté le Roi. Je ne la tiens pas encore, mais je ne puis partirs, mon Prince, sans vous dire, combien je suis touché de la manière digne et aimable à la fois dont vous faites des honneurs du département que vous dirigez, et de la capitale que vous habitez, en montrant à l'étranger un noble modèle de l'hospitalité nationale. Le magnifique ouvrage que vous avez bien voulu me donner, restera toujours un ornement précieux de ma bibliothèque et un objet auquel se rattache le souvenir d'un gentilhomme russe qui sait bien concilier l'illustration du savant avec les qualités qui distinguent le grand-seigneur.

Agréez p. p.

von Bismarck

V.

Neuling in dem Klima von Petersburg, ging ich im Juni 1859 nach anhaltendem Reiten in einer überheizten Reitbahn ohne Pelz nach Hause, hielt mich auch noch unterwegs auf, um exercirenden Rekruten zuzusehn. Am folgenden Tage hatte ich Rheumatismus in allen Gliedern, mit dem ich längre Zeit zu kämpfen hatte.Siehe Bismarck's Brief an die Gattin vom 25. Juni 1850, S. 440 ff., Brief an Frau v. Arnim vom 29. Juni 1859, Bismarckbriefe, herausgegeben von H. Kohl, 8. Aufl., S. 268 f. Als die Zeit herankam abzureisen, um meine Frau nach Petersburg zu holen, war ich übrigens wieder hergestellt, nur daß sich in dem linken Beine, das ich auf dem Jagdausflug nach Schweden im Jahre 1857 durch einen Sturz vom Felsen beschädigt hatte,S. o. S. 220. und das infolge unvorsichtiger Behandlung der locus minoris resistentiae geworden war, ein geringfügiger Schmerz fühlbar machte. Der durch die frühere Großherzogin von Baden mir bei der Abreise empfohlne Dr. Walz erbot sich, mir ein Mittel dagegen zu verschreiben, und begegnete meiner Erklärung, ich fühle kein Bedürfniß etwas anzuwenden, da der Schmerz gering sei, mit der Versichrung, die Sache könne auf der Reise schlimmer werden und es sei rathsam, vorzubeugen. Das Mittel sei ein ganz leichtes; er werde mir ein Pflaster in die Kniekehle legen, welches in keiner Weise belästige, nach einigen Tagen von selbst abfallen und nur eine Röthe hinterlassen werde. Mit der Vorgeschichte dieses aus Heidelberg stammenden Arztes noch unbekannt, gab ich leider seinem Zureden nach. Vier Stunden, nachdem ich das Pflaster aufgelegt und fest geschlafen hatte, wachte ich über heftige Schmerzen auf, riß das Pflaster ab, ohne seine Bestandtheile von der schon wund gefressenen Kniekehle entfernen zu können. Walz kam einige Stunden später und versuchte mit irgend einer metallischen Klinge die schwarze Pflastermasse aus der handgroßen Wunde durch Schaben zu entfernen. Der Schmerz war unerträglich und der Erfolg unvollkommen, die corrosive Wirkung des Gifts dauerte fort. Ich wurde mir über die Unwissenheit und Gewissenlosigkeit meines Arztes klar trotz der hohen Empfehlung, die mich bestimmt hatte, ihn zu wählen. Er selbst versicherte mit entschuldigendem Lächeln, die Salbe sei wohl etwas zu stark gepfeffert worden; es sei ein Versehn des Apothekers. Ich ließ von dem Letztern das Recept erbitten und erhielt die Antwort, Walz habe es wieder an sich genommen; Letztrer besaß es nach seiner Aussage nicht mehr. Ich konnte also nicht ermitteln, wer der Giftmischer gewesen war, und erfuhr nur von dem Apotheker, der Hauptbestandtheil der Salbe sei der Stoff gewesen, der zur Herstellung von sogenannten immerwährenden spanischen Fliegen verwendet werde, und nach seiner Erinnrung sei derselbe allerdings in einer ungewöhnlich starken Dosis verschrieben gewesen. Es ist mir später die Frage gestellt worden, ob meine Vergiftung eine absichtliche gewesen sein könne; ich schreibe sie lediglich der Unwissenheit und Dreistigkeit des ärztlichen Schwindlers zu.

Er war auf Grund einer Empfehlung der verwitweten Großherzogin Sophie von Baden Dirigent sämmtlicher Kinderhospitäler in Petersburg geworden. Meine spätern Ermittlungen ergaben, daß er der Sohn des Universitätsconditors in Heidelberg war, als Student nicht gearbeitet und keine Prüfung bestanden hatte. Seine Salbe hatte eine Vene zerstört, und ich habe viele Jahre lang schwer daran gelitten.

Um bei deutschen Aerzten Hülfe zu suchen, reiste ich im Juli auf dem Seewege über Stettin nach Berlin; heftige Schmerzen veranlaßten mich, den berühmten Chirurgen Pirogow, der mit an Bord war, zu fragen; er wollte mir das Bein amputiren, und auf meine Frage, ob über oder unter dem Kniee, bezeichnete er eine Stelle hoch darüber. Ich lehnte ab und wurde, nachdem in Berlin verschiedne Behandlungen erfolglos versucht waren, durch die Bäder von Nauheim unter Leitung des Professors Beneke aus Marburg so weit wiederhergestellt, daß ich gehn, auch reiten und im October den Prinzregenten nach Warschau zur Zusammenkunft mit dem Zaren begleiten konnte.Vgl. über den Verlauf der Krankheit die Briefe der Frau v. Bismarck aus Wiesbaden vom 12. August 1859 und Reinfeld vom 23. October 1859 an v. Keudell in Rob. v. Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck. Berlin 1901. S. 71 f. Brief Bismarck's an Schleinitz vom 19. December 1859, Bismarck's Briefwechsel mit dem Minister Freiherrn von Schleinitz S. 51 f. – Zur Reise nach Warschau vgl. die Briefe vom 14. bis 22. October, Bismarck's Briefe an seine Braut und Gattin, S. 451 ff., an die Schwester vom 14. October, an den Bruder vom 20. October, Bismarckbriefe, 8. Aufl., S. 276. 278. Während ich auf der Rückreise nach Petersburg Herrn von Below in Hohendorf im November einen Besuch machte, riß sich nach ärztlicher Meinung der Thrombus los, der sich in der zerstörten Vene gebildet und festgesetzt hatte, gerieth in den Blutumlauf und verursachte eine Lungenentzündung, die von den Aerzten für tödtlich gehalten, aber in einem Monate langen Siechthum überwunden wurde.Vgl. Brief der Frau v. Bismarck an v. Keudell vom 30. Jan. 1860, a. a. O. S. 74 ff. Merkwürdig sind mir heut die Eindrücke, die damals ein sterbender Preuße über Vormundschaft hatte. Mein erstes Bedürfniß nach meiner ärztlichen Verurtheilung war die Niederschrift einer letztwilligen Verfügung, durch welche jede gerichtliche Einmischung in die eingesetzte Vormundschaft ausgeschlossen wurde. Hierüber beruhigt sah ich meinem Ende mit der Bereitwilligkeit entgegen, die unerträgliche Schmerzen gewähren. Zu Anfang des März 1860 war ich so weit, nach Berlin reisen zu können, wo ich, meine Genesung abwartend, an den Sitzungen des Herrnhauses Theil nahm und bis in den Mai verweilte.Bismarck traf am 5. März 1860 in Berlin ein und verließ es am 23. Mai.


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