Otto Fürst von Bismarck
Gedanken und Erinnerungen, Band 1
Otto Fürst von Bismarck

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Vorwort zur Volksausgabe.

Es war ein dankenswerther Entschluß der Verlagsbuchhandlung, in einer Volksausgabe das nachgelassene Werk des Fürsten Bismarck den weitesten Kreisen zugänglich und damit zu einem Gemeingute des deutschen Volkes zu machen. In der That kann es ein besseres Buch für den deutschen Staatsbürger nicht geben als Bismarck's »Gedanken und Erinnerungen«. Was ihn selbst zur Abfassung trieb, das lehrt die Widmung, die dem Werke vorgesetzt ist. Sie wurde erst nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe unter den Papieren des Fürsten Bismarck gefunden und soll dem deutschen Volke nicht vorenthalten bleiben, denn sie zeigt, aus welchem Geiste das Werk geboren ist. Es sollte nicht eitler Selbstbespiegelung dienen und ruhmredigem Lobpreis errungener Erfolge, sondern durch die Erinnerung an die Vergangenheit, ihre Kämpfe und Siege die Enkel mahnen, das Erbe der Väter zu erhalten. Es ist zugleich ein Rechenschaftsbericht und ein politisches Testament, nach beiden Seiten hin will es gewürdigt sein und ist es gewürdigt worden. In der That hat sich eine an Nummern nicht unbeträchtliche Literatur an das Erscheinen der »Gedanken und Erinnerungen« geknüpft, theils ernste historische Untersuchungen mit allem Rüstzeug wissenschaftlicher Kritik, theils Parteischriften voll Anmaßung und Ueberhebung, theils widerwärtige Pamphlets rein persönlichen Charakters, in denen nur Haß und Schmähsucht zu Worte kommen. Mit allen diesen mich auseinanderzusetzen, konnte ich nicht als meine Pflicht anerkennen. Es ist nun einmal deutsche Art, an dem Großen zu mäkeln und sich und andern den Genuß durch kleinmeisterliche Einzelkritik zu verderben; wo die wissenschaftliche Untersuchung auf Irrthümer der Darstellung oder auch der Auffassung aufmerksam gemacht hat, da habe ich meinerseits die erhobenen Einwände nachgeprüft und in längeren oder kürzeren Anmerkungen mich zur Sache geäußert. Daß auch das treueste Gedächtnis Irrungen unterworfen ist, wird jeder ohne Weiteres zugeben müssen; wunderbar bleibt trotz alledem, mit welcher Genauigkeit Fürst Bismarck sich oft der Einzelheiten einer weit zurückliegenden Vergangenheit zu erinnern vermochte, wie ganze Gedankengänge sich in ihm wiederbelebten, so daß die gleichen Gedanken sich fast in die gleichen Worte kleideten. Wenn dagegen geltend gemacht worden ist, daß dieselben Erzählungen bei verschiedenen Berichterstattern verschieden lauteten, so darf dafür nicht Bismarck verantwortlich gemacht werden, sondern die geringe Fähigkeit der meisten Berichterstatter, Gehörtes richtig aufzufassen und in der richtigen Form zu Papier zu bringen. Mit aller Schärfe ist der Vorwurf abzuweisen, daß Fürst Bismarck absichtlich die Darstellung hier und da gefärbt habe, um die Meinung seiner Leser in gewisser Richtung zu beeinflussen, daß er – wie im Kapitel von der Emser Depesche – nicht überall der strengen Wahrheit die Ehre gegeben, sondern manches verschwiegen habe, um minder schuldig zu erscheinen. Wer das von Fürst Bismarck zu denken vermag, hat ihn nie verstanden und wird ihn nie verstehen. Er hat immer den Muth der Verantwortlichkeit gehabt und mit rücksichtsloser Offenheit sein Inneres erschlossen. Es ist auch unerfindlich, was ihn am Abende seines Lebens bestimmt haben sollte, seinen Antheil an den Dingen in einem unsicheren Lichte darzustellen, noch dazu, wo es sich um eine seiner größten Ruhmesthaten handelt. Gerade, daß er es ablehnt, die Hohenzollern'sche Candidatur darum gefördert zu haben, weil sie den französischen Grund zur Kriegserklärung geben konnte, beweist, wie wenig es ihm um Selbstlob zu thun war. Einen unvermeidlichen Krieg rechtzeitig herbeigeführt zu haben, ist noch immer als ein Ruhmestitel eines seiner Aufgabe bewußten Staatsmannes angesehen worden; Bismarck hielt den Krieg bei der Stimmung der Franzosen für wahrscheinlich, aber er hielt doch auch nicht für unmöglich, daß er vermieden werden könnte, und so hat er alles gethan, was in seinen Kräften stand, um den Franzosen nicht den Anlaß zu geben, nach dem sie suchten. Wen auch das nicht überzeugt, den könnte die lobenswerthe Offenheit der Geschichtsschreiber des französischen Generalstabswerkes belehren, die rückhaltlos zugeben, daß der Krieg von den maßgebenden Kreisen eifrig vorbereitet und zum Ausbruch gebracht wurde, als die spanische Frage willkommenen Vorwand bot.

Uebrigens sollte doch nie vergessen werden, daß der Fürst in den letzten Jahren nur noch schwer zu bewegen war, die durch Bucher's Tod unterbrochene Arbeit wieder aufzunehmen. Es fehlte seitdem die treibende Kraft; körperliches Unbehagen, gemüthliche Depressionen mancherlei Art, Abneigung gegen die Arbeit am Schreibtische, lebhafte Beschäftigung mit den Dingen der Gegenwart und eine fast ununterbrochene Wirksamkeit als politischer Redner, wie er sie bei den Massenempfängen in Friedrichsruh und Varzin, sowie auf seinen Reisen entwickelte, alles entfremdete den Fürsten Bismarck der stillen Arbeit des Geschichtsschreibers, die der Sammlung und Concentration der Gedanken bedarf. Daß er uns aber bei seinem hohen Alter gleichwohl so viel und manches Kapitel in geradezu meisterhafter Darstellung hinterlassen hat, bleibt ein Gewinn für unser Volk, den wir nicht hoch genug anschlagen können.

Den Text habe ich überall gewissenhaft nachgeprüft; an Stelle der Entwürfe, die dem Fürsten Bismarck in seinen Concepten vorlagen, konnten mehrfach die Redactionen letzter Hand eingesetzt werden, so das Schreiben vom 27. November 1870 an Ludwig von Bayern und der Brief an Graf Schuwalow vom 25. Februar 1877; andere Stücke, für die zur Zeit der Abfassung nur zum Theil recht fehlerhafte Abschriften vorlagen, konnte ich nach den inzwischen aufgefundenen Originalen berichtigen. So bietet die Volksausgabe an vielen Stellen einen besseren Text als die erste Ausgabe; sie wird darum auch vielen Besitzern dieser Ausgabe willkommen sein. Die in Bismarck's Briefen und sonstigen eigenhändigen Aufzeichnungen beobachtete Schreibung der Worte ist in der Volksausgabe einheitlich durchgeführt, auch in den Ueberschriften der Seiten. Sie ist ein Theil seines Wesens und in ihren Abweichungen vom Schulmäßigen so sehr ein Wiederspiel gewisser Eigenschaften seines Charakters und seiner Persönlichkeit, daß der Herausgeber sich für berechtigt hielt, sie auch in denjenigen Abschnitten anzuwenden, die, weil sie im Entwurf nach Dictat von Bucher's oder Chrysander's Hand geschrieben sind, andere Schreibung aufweisen.

Mit besonderem Danke möchte ich der selbstlosen Hülfe gedenken, die mir Herr Professor Dr. A. Eigenbrodt in Kassel bei Durchsicht des Textes und der Erörterung der kritischen Fragen hat zu Theil werden lassen; er war der Einzige, der meiner Bitte gern und freudig entsprach.

Leipzig, 13. Juli 1905.

Horst Kohl.


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