Theodor Birt
Zur Kulturgeschichte Roms
Theodor Birt

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VIII. Spiel und öffentlicher Zeitvertreib

Aber das Frommsein genügt nicht und die Gelehrsamkeit auch nicht; der Mensch will auch lachen und weinen und sich zerstreuen. Ja, er braucht den Taumel der Leidenschaft. Die schonungslose Kraft und Wildheit des Römers lebte noch, und der weichliche Friede der beginnenden Kaiserzeit vermochte nicht, sie zu ertöten. Wie bedauernswert die Vornehmen, die jetzt Brett spielen müssen, statt ins Feld zu ziehen! Wir lesen, wie ein Schmeichler die Feldherrnkunst des großen Piso zu Neros Zeit feiert, aber es war die Feldherrnkunst auf dem Schachbrett, ein Schlagen und Mattsetzen von Puppen aus Glas oder Elfenbein! Dazu die Spielhöllen, der Hasard; das war eine alte Passion der Lebemänner in Rom. Aber die früheren spielten doch daneben noch ein anderes Glücksspiel, sie spielten mit dem Schwert um Königreiche. Jetzt bleibt dem Römer nur der Würfelbecher, und er zählt mit gierigen Augen die gefallenen Punkte nach. Welche Entnervung des 98 Heldentums! Die Volksmenge aber will Blut sehen. Die siebenhundertjährige Kriegszeit ist vorüber, und Gott Mars ist gesättigt. Aber die Gewohnheit bleibt mächtig. Die Leidenschaft lebt sich im Zirkus aus und im Amphitheater. Tierhetze, Fechterspiel! Es ist die Leidenschaft für die Gefahr, der großzügig starke Trieb nach Erschütterung durch das Unerhörte und Gräßliche.

Das alte Römervolk hatte eine ausgesprochene Begabung für getragene Deklamation; es besaß auch einen kernhaften Witz; es hatte Sinn für die grell komische Grimasse. Aber ihm fehlte vollständig die Phantasie, und ein Theaterwesen hätte es aus sich selbst wohl nie erzeugt. Freilich, grob karnevalistischen Ulk und Mummenschanz auf der Gasse, den gab es von jeher, und in der Kaiserzeit kam solcher Spaß beim großen Schenkfest der Saturnalien im Dezember (unserm Weihnachten) zur vollsten Blüte, wo in toller Ausgelassenheit ein Festkönig gewählt und ausstaffiert wurde, wo der Rausch herrschte und die Sklaven als Herren galten. Indes alle Scherze, die alljährlich dabei sich wiederholten, blieben immer nur Improvisation, und ähnlichen Stils war auch das altoskische Maskenspiel der Atellane, wo ein buckliger Pfiffikus, ein Fresser und ein alter Tölpel ihre Streiche zum besten gaben. Frauenrollen fehlten. Weiter kannte man in Rom von alters her auch schon ein Wettrennen von Tieren, etwa so, wie man es heutzutage in Siena auf dem Marktplatz erlebt. Den eigentlichen Rennsport dagegen und das eigentliche Theaterwesen lernte das gelehrige Rom vom Ausland. Die Religion gab dazu Anlaß. Schon im 5. Jahrhundert oder früher wurde zu Ehren Jupiters das Wettfahren im Zirkus aus Thurii eingeführt. Als im Jahre 364 eine Pest ausbrach, ließ man Schauspieler aus Etrurien kommen und zum erstenmal ein Bühnenfestspiel geben: auch dies wieder zur Beschwichtigung der Götter. Daraus entwickelte sich alsdann das ständige Theater, und die griechische Komödie und Tragödie hielten ihren Einzug:Auch die Etrusker ahmten die griechische Tragödie nach; siehe Volnius bei Varro l. lat. V, 55. Orest und Priamus und Medea und der listenreiche Bediente, der im griechischen Lustspiel alle Lachlust und Sympathie auf sich lenkt, indem er den mürrischen Greisen das Geld abnimmt und den jungen Liebespaaren flott und selbstlos zum Glück verhilft. So wurde das Größte und Beste, was das alte Athen erzeugt hatte, rasch zum Eigentum Roms. Dies geschah im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr.

99 Aber so wie die vornehme Haltung der großen Politik Roms schon im 2. Jahrhundert v. Chr. zu Ende ging, so verlor sich ebendamals auch die sittliche Vornehmheit im Spielprogramm des Theaters. In Ciceros Zeit hatte das Publikum schon kein Ohr mehr für erhabene Lehrsätze der Moral und fromme Weltbetrachtung. Was war ihm Kassandra und Ödipus? Ausstattungsstücke von unerhörtem Pomp und Schaugepränge, ganze Truppenzüge, zu Fuß, zu Roß, mit weißen Elefanten, die über die Bühne gingen, sättigten die Neugier. Und so wie im Berlin der unseligen Nachkriegsjahre klassische Trauerspiele der Großen unserer Literatur fast nur noch aus Respekt gespielt wurden, der echte Großstädter aber, verblendet und verhetzt, nichts wollte als die zumeist durchaus eindeutigen Frivolitäten des Tages, so eroberte sich damals der Mimus die römische Bühne, der griechische Mimus, der in dem Vielerlei, was er gab, an dreister Gewöhnlichkeit, an gemeinem, verderbtem Wirklichkeitssinn und schmutzig lüsterner Frechheit um nichts vor jenen Machwerken zurückstand, die man vor wenig Jahren auch uns Deutschen noch als »modern« anpreisen konnte, und die noch heute an den Bühnen der westlichen Weltstädte, London, Paris, New York, als »modern« gelten. Diese sogenannten Modernen dünken sich neu; aber es ist alles schon dagewesen, und zwar vielleicht sogar besser, jedenfalls ehrlicher; denn man wagte damals, das Unanständige noch mit seinem Namen zu nennen.

Alle diese Aufführungen geschahen anfangs im Anschluß an Götterfeste, und selbst bei den Leichenbegängnissen der Großen kamen auf dem Forum Lustspiele zur Aufführung. Allein der gottesdienstliche Zweck der Spiele verlor sich im Bewußtsein mehr und mehr. Zugleich steigerten die ehrgeizigen Beamten als Spielgeber den Glanz der Ausstattung ins Ungeheure, um damit der Gunst des Volkes zu schmeicheln. Die Kaiser setzten dies fort, und die Folge war, daß das Theater immer mehr vor anderen drastischeren Vergnügungen, vor Zirkus und Arena zurücktrat.

Eine gewisse patriotisch religiöse Weihe behielten nur die Zirkusrennen. Auch sie hatte man dereinst, wie so vieles, von den Griechen entlehnt, aber sie wurden und blieben das eigentliche Nationalspiel des Stadtrömers, ein Symbol der Zentralstellung Roms, und aus allen Teilen des Reichs strömten die Zuschauer herbei. Denn sonst besaßen wohl nur Großstädte ersten Ranges wie Alexandria, Antiochia, auch Merida (Emerita), das Rom 100 Spaniens, eine Rennbahn.Deshalb trauert, wer aus Rom auswandert: Juvenal XI, 53. Eben deshalb wurden bei Eröffnung eines jeden Rennens zuerst die Götter Roms, dazu auch die Kaiserbilder, in feierlicher Prozession durch den Zirkus getragen, und das Volk huldigte mit Zuruf jedem Bilde, das ihm lieb war. Der festgebende Beamte selbst zog wie ein Triumphator in die Bahn.

Dies war kein Reitsport. Jene Südländer sind kein Reitervolk gewesen, ganz anders als die Hunnen und Germanen. Auch wäre der bloße Distanzritt unserer heutigen Wettrennen für ein antikes Gemüt zu undramatisch, ein Hürdenrennen wäre für die Masse schwer zu verfolgen gewesen. Die Gefahr, das Wagnis ist heute zu gering. Daher die Wagenrennen Roms; zumeist mit dem Viergespann. Es war ein Nachklang der Heldenzeit Homers, wo die Könige im Wagen in die Schlacht jagten; so auch noch die Könige der Etrusker. Ebenso hatte ein Alkibiades im olympischen Wagenrennen konkurriert. Warum sollten die Vornehmen Roms dies nicht tun? Nero selbst? Auch bei uns reiten Herren in Farben.

In den Schlußzeiten der Republik wuchsen diese alten Zirkusspiele an Bedeutung. Großen Stils ist alles, was in Rom geschieht: so steigerte sich damals auch hierfür das Interesse ins Außerordentliche. Es bildeten sich »Faktionen«, die sich durch Farben unterschieden; und nicht einzelne Private, sondern diese Gesellschaften, Klubs oder Faktionen waren die Besitzer der Gespanne: anfangs zwei, dann vier Parteien, die sich Ställe halten und Kutscher mieten. Der Kutscher ist meistens Unfreier oder Freigelassener und fährt für den, der ihm am meisten zahlt. Seine eng geraffte ärmellose Tunika und seine Kappe zeigt weithin die Farbe der Partei. Aber die Erfolge der Weißen und Roten gingen mehr und mehr zurück; es ist vor allem ein Zweikampf der Blauen und der Grünen, der durch die Jahrhunderte ging. Auch die Kaiser sind leidenschaftlich beteiligt, Vitellius und Caracalla für die Blauen, Nero, Domitian für die Grünen und so fort. Warum auch nicht? Auch heute noch segelt die Yacht des Königs von England in der Regatta von Cowes mit, spielt Schwedens greiser König auf allen vornehmen Tennisplätzen der Riviera als Mister X und galoppieren indische Fürsten und ägyptische Prinzen hinter dem weißen Ball auf allen Poloplätzen von Cannes bis Hurlingham.

Unmittelbar zu Füßen der Kaiserpaläste zog sich der große Zirkus hin, in der Senkung zwischen Aventin und Palatin, in einer 101 Länge von zirka 650 m und mehr; der Bau wurde öfter noch mächtig erweitert. Im 4. Jahrhundert fanden etwa 270 000 Zuschauer Platz. Lauter Marmorsitze. Ein Wassergraben (Euripus) lief anfangs unter den Sitzreihen entlang; Mauerzüge, Spina genannt, trennten die Bahn in zwei Hälften. Siebenmal mußte diese Spina hin und zurück umfahren werden, und an ihren Enden standen die gefürchteten Metae, je drei freie Kegelsäulen aus Goldbronze, an denen nur zu leicht der Wagen zerschellte. Solcher Wettfahrten gab es 20–24 an einem Tag. Für hinreichenden Wettbewerb mußte der Festgeber sorgen, der die Gesellschaften entschädigte.Einer der Gordiane verteilt 200 Rennpferde an die Faktionen: Script. hist. Aug. Gord. 4. Die domini factionum werden durch das Rennen bereichert: Commodus c. 16, 9. Wer in Rom auch fernab wohnte, hörte das Geschrei aus dem Zirkus durch die Stadt hallen und merkte: aha! die Grünen haben gesiegt.Juvenal XI, 198.

Die Rosse scharren am Start. Lautlos atemlose Spannung in der unendlichen Menge. Da gibt der Festgeber das Signal, indem er aus seiner Laube ein Tuch herabwirft: ein einziger Aufschrei aus hunderttausend Kehlen ist die Antwort. Der Staub wirbelt auf; die Fahrt hat begonnen. Alles ruft den Namen des Favoriten, des Kutschers oder des Hauptpferdes. Hauptpferd der Quadriga ist das, das an der Außenseite der Bahn läuft. Jeder weiß den Namen des Tieres, seinen Stammbaum. Es laufen drei- bis fünfjährige. Die besten Renner kamen aus Spanien, Sizilien, Kappadozien, Afrika. Ihre Namen sind uns zu hunderten erhalten. Es sind ausschließlich männliche Tiere. Die Wagen sind zweirädrige Gestelle ohne Federn. Berufskutscher und Wagen, beide möglichst leicht: daher müssen die Leute sich trainieren, und es fahren schon zehnjährige Knaben. Weit vorgebeugt stehen sie hetzend im Gestell und belauern den Gegner, halten erst zurück, jagen plötzlich vor, verlegen dem Gegner den Weg, biegen in engster Kurve um die ersten Zielsäulen: ein Angstschrei der Masse – siebenmal wird die gefährliche Biegung genommen. Wehe, wenn im Anprall der Wagen sich zerschlägt! Der Lenker von den Pferden geschleift! Die nächsten Wagen verfahren sich in die Trümmer. Oder der Haß siegt; die Wettfahrer überfallen einander mit Peitschenhieben – welches Rasen! Wer die Kutscher des Neapel der Vorkriegszeit noch erlebt hat, wenn sie 102 heranstürmen, um dem Reisenden sich anzubieten, und sich wie toll dabei mit den Peitschen schlagen, der bekommt eine Ahnung von jener fanatischen Wut. Alles aber wurde überboten, wenn die Lenker die Gespanne vertauschen mußten und der Favorit mit den ihm fremden Rossen des Gegners siegte.

Diese Menschen hatten etwas barbarisch Heldenhaftes; wir haben Grabinschriften von solchen, die über 2000 Siege davontrugen. Der Kutscher Scorpus wird von Martial als das Entzücken Roms besungen; die Todesgöttin, heißt es, verwechselte seine Siege mit seinen Lebensjahren; deshalb ist er schon als Jüngling gestorben. Ein anderer, Eutychus, ist für uns denkwürdig, weil Phaedrus ihm seine Tierfabeln gewidmet hat. Eine Fülle von Bildsäulen wurde diesen Leuten errichtet, und Elagabal machte den Kutscher Cordius unmittelbar zum Kommandanten der Feuerwehr, der wahnsinnige Caligula wollte gar ein Siegerpferd zum Konsuln machen. Es ist derselbe Elagabal, der auch Quadrigen von Kamelen laufen und gar den großen Wassergraben im Zirkus mit Wein anfüllen ließ, worauf dann noch Schiffskämpfe inszeniert wurden. Das Stadtvolk aber, dem alle Politik, dem das Heerwesen selbst entzogen war, und das sonst keine Helden mehr besaß – wer kann es ihm verdenken, wenn es an diese Dinge sein Herz hing? Selbst in das selige Jenseits hinein träumte man von den Freuden des Circus Maximus; denn auf den Marmorsärgen der Toten finden wir ihn oft dargestellt, aber es sind Engel, Flügelknäblein, die da heiter im Wagenkorb stehen und die bäumenden Rosse durch die offene Bahn zum Ziele lenken.

Welch strahlendes Leben! Aber die dunkelsten Farben in unserm Kulturbild fehlen noch. Auch Blut floß in Strömen im Dienst des Vergnügens, Tierblut bei den Tierhetzen, Menschenblut bei den Fechterspielen; das eine waren Jagden, das andere Hinrichtungen: und die Arena tut sich vor uns auf. Das Wettfahren war von Haus aus edles Griechentum, die Kämpfe der Arena waren spezifisch römisch. Das brutale Römertum ist in ihnen nicht zu verkennen. An dem kämpfenden Personal selbst haftete die Verachtung. Aber nicht nur in Rom, in fast allen Provinzen, auch in vielen Kleinstädten des Reichs sah man diese grausamen Vorführungen. Denn überall sind Amphitheater gefunden worden.

Der neugierige Sinn für wilde und seltene Tiere war im Volk groß. Zoologische Gärten hatte man nicht, auch keinen Hagenbeck, keine Menagerien – aber man hatte mehr. Man sah die Tiere 103 in ihrer natürlichen Wildheit kämpfen und sterben. Abgerichtete Tiere freilich wurden geschont: Löwen, die friedlich den Wagen ziehen; ein Löwe, der den Hasen apportiert, ohne ihn zu verletzen; Elefanten als Seiltänzer, oder Elefanten, die gar griechisch und lateinisch schreiben, und dergleichen mehr. Elagabal hielt sich solche zahmen Löwen und Panther in seinen Stuben, zum größten Unbehagen seiner Gäste.

Aufregender, wenn man Bestie gegen Bestie hetzte, und schon vor Sonnenaufgang füllten sich die Zuschauerränge, um dem zuzusehen. Auf freiem Feld sah das Volk zu seinen Füßen den Elefanten vom Nashorn getötet und aufgeschlitzt, den Tiger vom wilden Stier aufs Horn genommen. Das fesselndste aber waren die eigentlichen Jagden, venationes. Herden von Antilopen, Giraffen, Wildschweinen, auch Hasen, 300 Strauße, die man zur Erheiterung ganz rot angemalt, trieb man durch die Fläche; dann aber die Tiger, die Hyänenjagd, der Kampf mit dem Bären, selbst mit dem Nilpferd. Seltsamerweise fehlt unter den reißenden Tieren der Wolf fast ganz. Die Kämpfer oder Jäger waren gut geschult, gut bewaffnet, von Hunden unterstützt und verstanden ihr Handwerk, sowie ja auch die Stierkämpfer in Spanien heute zu ihrem Beruf erzogen werden. Aber die Aufregung war, wie bei diesen modernen Stierkämpfen, grenzenlos. In Nimes wird das wundervoll erhaltene antike Amphitheater für sie noch heute benutzt, und wer sie da einmal miterlebt und dazu den rasenden Fanatismus der Südfranzosen mit angesehen hat, der ist im echten römischen Altertum gewesen.

Das war aber nicht etwa nur ein Volksvergnügen. Rom hat damit zugleich ein unvergleichliches Kulturwerk geleistet. Das müssen wir rühmend anerkennen. Wenn Kaiser Augustus im ganzen 3500 afrikanische Tiere im Amphitheater hat umbringen lassen, wenn bei einer einzigen Hetze des Pompejus allein 500 Löwen umkamen und wenn der Betrieb so bis ins 5. Jahrhundert der gleiche blieb, so summierte sich das schließlich zu Millionen. So aber geschah es, daß alle Provinzen von dem Raubzeug, daß so auch die deutschen Wälder von Bären planvoll und gründlich gesäubert worden sind. Dafür sind die auf deutschem Boden ausgegrabenen Mosaikfußböden denkwürdige Monumente, wenn sie uns den Bären im Kampf der Arena zeigen.Man sehe z. B. das herrliche Mosaik in Bad Kreuznach (Hüffelsheimerstraße Nr. 26), etwas aus dem Jahre 300.

104 In derselben Arena folgten auf solche Hetzjagden nun oft noch die Fechterspiele. Aus Leichenspielen waren die Fechterspiele hervorgegangen, bei den Etruskern und so auch in Rom, in jenen Zeiten, als auf dem Forum bei dem Begräbnis eines Feldherrn die Kriegsgefangenen, die er erbeutet hatte, auf Tod und Leben miteinander kämpfen mußten. Suchen wir nach einer Wertbezeichnung, so kann man dies Hinrichtungen in der Form des Zweikampfs nennen. Vielfach waren die Kämpfer schwere Verbrecher, die gegenseitig an sich das Todesurteil vollziehen. Sie taten es nicht ungern; Seneca sagt,Epist. 93. fin. ein solcher stirbt lieber öffentlich kämpfend in der Arena, als daß er sich im geschlossenen Raum hinrichten ließe. Und dazu war also das Volk geladen, geradeso, wie noch im 18. und 19. Jahrhundert das Henken und Köpfen vor großem Publikum geschah. Der Frage, in welcher Ausdehnung auch unschuldig Verurteilte als Gladiatoren umkamen, können wir hier nicht nachgehen. So wie aber heute, wer sich im Gefängnis gut führt, begnadigt wird, so wurde auch dem, der brav focht und durch Tapferkeit Bewunderung erregte, vom Volk selbst durch Akklamation das Leben geschenkt. Übrigens kämpften auch viele Kriegsgefangene; auch mißliebige Sklaven wurden als Gladiatoren verhandelt. Ja, seitdem in Italien keine Soldatenaushebungen mehr geschahen, ließen auch eine Menge rauflustiger Freigeborener sich dort in die Fechterschulen aufkaufen, eine konfiszierte Gesellschaft, die mit Ruten und Ketten in Zucht gehalten werden mußte. In Ciceros Zeit war Kapua für diese »Schulen« Hauptstandort, hernach Rom, und sie ersetzten zum Teil die Gefängnisse, in denen der moderne Staat der Räuber und Mörder sich versichert.

Das Publikum aber hatte damit wieder sein Schauspiel. 10 000 Mann fochten, wie es heißt, in Rom bei den viermonatlichen Siegesfesten Trajans im Jahre 107. Gewöhnlich standen bei jedem Gefecht etwa hundert gegen hundert: die einen mit großen, die andern mit kleinen Schilden, die einen mit Netz und Harpune, die andern mit Schwert und Dolch. Die Waffen waren Kostbarkeiten der Schmiedekunst, gelegentlich aus purem Silber oder mit Edelsteinen ausgelegt; Pfauenfedern als Helmbusch. Zum Kampf erscholl grelle Musik. Die Toten bedeckten die Wahlstatt. Die Leichen wurden fortgeschleift, frischer Sand gestreut, die 105 Blutlachen zugedeckt, und das Werk der Justiz war geschehen. Gewandten Fechtern aber gelang es oft, alle solche Schlachten zu überleben; sie wurden die Heroen des Tags und Lieblinge des Publikums, wie es heute den Stierkämpfern in Spanien ergeht, und der Festgeber beschenkte sie in der Arena selbst mit Schüsseln voll blinkenden Goldes.

Gegen die ärgsten Missetäter aber, wie den Kaisermörder Mnesteus, richtete sich ein anderes und entsetzlicheres Strafverfahren, das uns an die Hexen- und Ketzerprozesse des ausgehenden Mittelalters gemahnt, wo der zu Verbrennende wehrlos an einen Pfahl gebunden wird und das Publikum zuschaut, während die Flamme des Scheiterhaufens den Unglücklichen verzehrt. Dies Verfahren der Inquisition, dem ein Huß und Savonarola zum Opfer fielen, hat echt Neronischen Geist. Denn nichts anderes ist es, wenn Nero Christen an Pfählen verbrennen ließ; ich meine die sogenannten Brandfackeln Neros. Jedoch steht dieser Fall sehr vereinzelt da,Einen Theaterdichter hatte schon der verrückte Caligula öffentlich verbrennen lassen. und Nero wählte für sie den Flammentod gewiß nur darum, weil die Bestraften die Urheber der großen römischen Feuersbrunst gewesen sein sollten. Sonst zog man es vor, gegen den festgebundenen und so gleichsam gekreuzigten Verbrecher vielmehr die wilden Tiere loszulassen, und das mag uns allerdings noch scheußlicher erscheinen; doch ist es fraglich, ob die Flamme oder die Zerfleischung den schmerzhafteren Tod bringt. Solchen Tod starb jener Mnesteus; und nicht besser erging es manchen der christlichen Märtyrer, die in den Augen des alten Rom Ketzer waren.

Das Äußerste der Verirrung hat zu unserm Befremden der große Menschenfreund Kaiser Titus begangen oder doch geschehen lassen. Die Arena des Kolosseums ist in einen Wald verwandelt – ein Verurteilter soll sterben. Er tritt, als Sänger Orpheus verkleidet, in prächtigen Gewändern aus dem Wald hervor und spielt friedevoll auf seiner Leier, während wie bezaubert wilde und zahme Tiere seinem Lied folgen; das alte Sängermärchen ist zur Wirklichkeit geworden, das Publikum staunt: aber der Bär naht schon, der über diesen Orpheus herfällt und ihn zerreißt. Welch perverses Spiel mit der Würde des Todes! und mit dem Sinn der Todesstrafe! Die Hinrichtung wird zum Märchenzauber, der sterbende Verbrecher wird zum Schauspieler, der eine ihm 106 fremde Tragödie spielt. Ein derartiger Kitzel war damals immerhin gut für den Stadtpöbel Roms; aber es läßt sich nicht nachweisen, daß Ähnliches auch sonst vorkam.

Soll ich nun noch über den Aufwand reden, den alle diese Darbietungen kosteten? Wie viele senatorische Vermögen sind nicht durch die prätorischen Spiele zugrunde gegangen! Aber das betraf vor allem wieder Rom selbst, und um die kleinen Städte brauchen wir uns weniger zu sorgen, wie wenn wir von Bologna hören, daß da ein reichgewordener Schuster ein Fechterspiel gab.Martial III, 16. Der größte Luxus war jedenfalls der märchenhafte Raum selbst.

Rom gelangte zuerst im Jahre 29 v. Chr. zu einem Amphitheater (durch Statilius Taurus). Dieser Bau ging zugrunde und wurde überboten durch das Weltwunder des Kolosseums, das noch aufrecht steht, ein hohler Becher von fast 50 m Höhe, der in 4 Stockwerken über 40 000 Menschen auf marmornen Sitzen Platz gab. Wurde des Kaisers Gegenwart erwartet, so erschien darin das ganze Publikum weißgekleidet und bekränzt. Der ovale Boden des Bechers, die Arena, mißt 86 m in der Länge. Wenige steinerne Amphitheater wie das in Pompeji, sind älter, Bauten, die überall möglichst die ganze freie Stadtbevölkerung aufzunehmen bestimmt waren. Denn auch die Frauen erschienen; auch die Kinder brachte man mit. Die Frauen saßen im Amphitheater getrennt, im Zirkus dagegen mitten unter den Männern. Das Zelttuch, mit dem man das Kolosseum überspannte, mußte eine Länge von etwa 180 m haben. Unter der Fläche der Arena selbst aber befanden sich nun noch unterirdisch tiefe und weite Hohlräume, aus denen im Lift, wie durch Zauber, die ganzen Kämpfergruppen oder auch eine Arche Noah voll von wilden Tieren emporgehoben werden konnten. Der großartigste Triumph der Technik war es jedoch, wenn die Arena sich plötzlich mit Wasser füllte und ganze Flotten herein fuhren, mit tausend, ja zehntausend Gladiatoren bemannt, und der Menschenleben und Schiffe vernichtende Massenkampf begann. Welch Schauspiel! Aber ach, nicht ein Schauspiel nur!

Genug! Denn wer könnte diese Darbietungen einer unerhört maßlosen Ruhmsucht, Prunksucht und Sensationssucht erschöpfen? Wohl kein Menschenalter hat so Ausschweifendes gesehen. Aber es ist schon gesagt, daß, was von Rom gilt, keineswegs auch von 107 den Amphitheatern kleinerer Städte gilt; und vor allem der Grieche stand abseits. Der tiefer Gebildete, der griechisch Denkende bevorzugte das Theater, er schauerte vor dem Amphitheater zurück. Es ist bezeichnend, daß die griechischen Städte in Italien, Neapel und Tarent, ein Amphitheater nie erbaut haben. Beides, Humanität und Kunstsinn, mußten auf dasselbe hinführen. Auch der Kunstsinn; denn alle Kunst ist Nachahmung; Kunst darf also nicht blutige Wirklichkeit sein, und dasjenige Spiel ist das feinste, das nicht mit großen Mitteln, sondern mit geringen wirkt und viel mit wenigem erreicht.

In solchem Spiel sind bis auf den heutigen Tag die Kinder die größten Virtuosen. Und so hatte sich denn auch damals das Volk noch immer Kindlichkeit genug bewahrt, um zu den bescheidenen Akrobaten, Seiltänzern und Messerschlingern, Pudeln und Affen zu laufen, die sich dann zeigten, wenn die Theater und Arenen sonst leerstanden. Aber auch das Theaterspiel wirkte in der Kaiserzeit fast durchweg mit den einfachsten Mitteln, und eine illusionistische Ausstattung fehlte im Drama fast ganz. Wir hören gelegentlich, daß Rom in jedem Jahr 175 regelmäßige Spieltage hatte, die außerordentlichen nicht gerechnet; davon entfielen 10 Tage auf die Gladiatoren, 64 auf Wagenrennen, 101 dagegen auf das Theater. Das schlichtere Theater waltete also doch immer noch vor. Das ist der Mimus und Pantomimus.

Vom Mimus war schon die Rede. Es ist jener Wechselbalg von Theaterstück, bald Posse, bald Operette, bald ernsthaftes Schauspiel, dessen Koupletmelodien man auf allen Gassen pfiff und dem die gröbsten ebenso wie die feinsten Effekte nach freier Laune zur Verfügung standen. Wurde ein dummer König dargestellt, so machte man ihm die Krone von Papier, das Szepter aus Rohr, und das genügte. Der Text blieb oft unausgearbeitet; das meiste improvisierten die genialen Schauspieler. Oft wurden dabei stadtbekannte Personen verspottet. Man spielte ohne Masken. Die Mimen traten aber auch oft in privaten Kreisen auf und brachten da gewiß ihre feinsten Feinheiten. Wenn man bei uns (in der Zeit, als der Deutsche noch die Fremdwörter liebte) in Berliner Zeitungen solche Anzeigen wie die folgende las: »Intimes Kabaret mit erstklassigen Künstlern und reizenden Melodien; sämtliche Nummern neu; der Konferenzier Fritz Grünfeld entfesselte wahre Lachstürme; eine brilliante Akquisition hat man in der Diseuse Miezchen Berna gemacht, ein Gemisch von Pikanterie und 108 Dezenz;« dazu etwa noch»ein keckes Gamingesicht oder eine fesche Person aus Wien«, so könnte man die Anpreisung einfach übernehmen, wenn man für Miezchen Berna etwa Kytheris einsetzte und Adonis für Fritz Grünfeld. Sittengeschichtlich aber ist das Wichtigste, daß in den Frauenrollen, die ja sonst im Altertum nur von Männern gegeben wurden, im realistischen Mimus wirklich Frauen auftraten: die ersten großen Schauspielerinnen der Weltgeschichte, auf Brettern, die nicht etwa die Welt, sondern die die Halbwelt bedeuteten. Eine solche Schauspielerin war die Maitresse des großen Triumvirn Antonius; und die christliche Kaiserin Theodora, die an einer der Kirchenwände Ravennas so fromm gemalt ist, trat in Byzanz in den frechsten Mimenrollen auf. Eine Chanteuse als Kaiserin! Das monarchische Prinzip litt nicht darunter.

Ganz anders der Pantomimus. Während wandernde Schauspielertruppen den Mimus in alle Kleinstädte trugen, gab es den leckeren Pantomimus nur in wenigen Hauptzentralplätzen der Kultur. Zur Zeit des Kaisers Augustus wurde diese große »Neuheit« erfunden, und der Kaiserhof hat ihr dauernd seine liebreiche Fürsorge gewidmet. Man denke sich auf der Bühne einen einzigen Tänzer, der in stummer Pantomime eine ganze Tragödie vorführt, indem er sich proteusartig in alle Rollen verwandelt. Ein Triumph der Geste, der beredten Hand! Welch eigenartig feine Volkskultur setzt dies voraus, dies stundenlange Andeuten und Verstehen! Wenn solch schöner griechischer Tänzer mit Verleugnung seines Geschlechts die Phädra, Kanake oder Medea spielte, war die Wirkung berückend, ergreifend, überwältigend. Kostüme und Gebärden waren, dem griechischen Schönheitssinn entsprechend, ganz ideal gehalten; auf das täuschendste wurden vor allem sinnliche Stimmungen, auch an Frauen, dargestellt, und man hütete die Jugend nach Möglichkeit vor dem schamlosen Anblick. Als künstlerisches Prinzip aber erkennen wir deutlich dasselbe, das auch die antike Plastik beherrscht, nämlich nur durch eine einzige bewegte Figur einen ganzen Mythus darzustellen: die Statue der in Schlaf versunkenen Ariadne genügt; jeder kann sich den Theseus, der sie treulos verläßt, jeder sich den Dionys, der sie zur Freude erweckt, selbst hinzudenken.

Dies stumme, tragische Ballet war das Ende, es war gleichsam das Verstummen der erhabenen, sonoren Tragödie auf der Bühne des Altertums. Aber diese Pantomime war doch nicht ganz stumm. 109 Vielmehr kam Chorgesang und Orchester dazu, eine sinnfällig klangreiche und weichliche Begleitung. Denn man machte Musik in Rom – wir hätten das beinahe vergessen! – und natürlich nur die allermodernste. Rom und Musik, welcher Gegensatz! Kein Volk war von Haus aus unmusikalischer als die Römer. Kaum irgendein römischer Dichter ist imstande gewesen, seine Texte selbst in Musik zu setzen. Da mußten immer die Griechen helfen. Trotzdem hat sich Rom damals auch ein Musikleben angequält. Hauptbezugsquelle dafür war Alexandria. Aber man begnügte sich nicht mit dem Herkömmlichen; denn in Rom mußte natürlich alles gleich riesig sein; zum mindesten 100 Trompeten oder Harfen unisono (das nannte man Symphonie) oder 1000 Choristen auf einen Haufen: dazu Pauken und Zymbeln, Janitscharengetöse. Für harte Ohren kann man ja nicht genug tun, das weiß auch unsere Gegenwart. Man muß schmettern und girren und die Sinne kitzeln. So war es auch damals. Daß die Ausübenden Sklaven waren, versteht sich, und zwar griechisch gebildete. Warum sollte ein Nabob sich nicht 100 Musikanten kaufen und mit auf die Badereise nehmen? Die beiden Musikkaiser Nero und Domitian haben dann in Rom das Konzertleben sogar zu regulieren, zu veredeln versucht, indem sie regelmäßige Vorführungen herstellten. Das Wort »Konzert« bedeutet Wettstreit; sie veranstalteten also wirklich Konzerte oder Wettkämpfe von Solisten mit Preisverteilung. Aber keiner der redseligen Zeitgenossen hat Muße gefunden, uns seinen Eindruck, seine Ergriffenheit zu schildern. Es fehlte dafür augenscheinlich ein Publikum, und solche hochgegriffenen Kunstfreuden waren entbehrlich. Unentbehrlich dagegen erschien bei den Mahlzeiten die Tafelmusik während der Eßpausen: ganze Orchester, ganze Chöre. Schon damit ist denn doch dieser Betrieb für ein deutsches Gemüt gerichtet, und uns interessiert daran eigentlich nur die Steigerung im Bau der Instrumente, die er mit sich brachte. Im 4. Jahrhundert n. Chr. hatte man Zithern so groß wie unsere Konzertflügel, so daß sie per Achse befördert werden mußten, und seit dem 1. Jahrhundert ist auch die Wasserorgel in öffentlichen Konzerten immer häufiger gehört worden. Es berührt uns in der Tat fast modern, wenn das Mosaik von Nennig bei Trier uns im Bild ein Hornsolo mit Orgelbegleitung zeigt: man setze an die Stelle des Horns nur die Geige oder die Menschenstimme, und man glaubt da ein Kirchenkonzert zu hören. Denkwürdig ist auch, daß der biedere Dudelsack, der sich bis heute 110 erhalten hat, zu Neros Zeit hoffähig und das Allerneueste war. Nero selbst wollte in seinen Konzerten mit dem Dudelsack auftreten (Nero als utricularius!), aber er wurde durch seinen Tod an dieser Großtat verhindert.

 


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