Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Am Vormittag tobten die Rechtshändel. Am Nachmittag strömte das Volk ins Bad. So lassen auch wir auf so ernste Dinge in unserer Besprechung unvermittelt das Trivialste folgen. Das römische Leben will es nicht anders. Da ragt in Rom über der Straße wie ein Ursaurier über Eidechsen das ungeheure Trümmerskelett der Bäder Caracallas. Sie übertrafen an Ausdehnung die Basilika noch bei weitem. In der Tat ist in den Thermen Roms der Gipfel der antiken Baukunst zu erblicken. Und auch sie waren von Einfluß auf den christlichen Kirchenbau.
Der antike Tempel war Außenarchitektur, d. h. er zeigte seinen Schmuck nach außen. Die Kirchen waren wie das Privathaus und wie die Thermen Innenarchitektur. Die Gewölbespannungen, vor allem aber den Innenschmuck des Mosaizierens der Gewölbe lernte der Kirchenbau von jenen Bäderhallen. Noch einleuchtender ist aber, daß sich die christliche Taufkapelle aus dem profanen Tauchraume entwickelt hat; denn das Taufen, bapthesthai, bedeutete ein Untertauchen des ganzen Körpers. Das Baptisterium der Badeanstalt verwandelte sich also in das geistliche Reinigungsbad: es blieb eine runde Wanne zum Hineinsteigen mit Umbau, konzentrisch angelegt.
Die Nutzzeit für das Freibad beginnt am Mittelmeer ziemlich spät. Wir handeln hier jedoch nicht von Fluß- und Seebad, wir handeln von jenem warmen Bad der Römer, das man zur Sommers- und Winterszeit genoß und dessen durchdachten Luxus 64 unsere Gegenwart nicht von fern wieder erreicht hat. Er entwickelte sich etwa in der Zeit von Sulla auf Augustus.
Wie stark an Tugend war noch die schlichte alte Zeit, ruft Seneca, als man sich nur wusch und als selbst ein Scipio nur einmal in der Woche ein Vollbad nahm! Für waschen und baden hat das Latein nur ein Wort: lavare. Der Baderaum heißt davon Latrina oder Lavacrum. Er lag von alters her im Privathaus bei der Küche und wurde stets von der Hausdienerschaft benutzt. Dagegen dienten die großen öffentlichen Bäder zwar vornehmlich der ärmeren Bevölkerungsklasse, aber sie dienten nur den Freien: ein Sammelort für die Bürgerschaft, wo man sich trefflich unterhielt. Die beliebteste Stunde war etwa 2–4 Uhr nachmittags.
Nicht jeder hatte freilich Lust, sich mit den Menschen gemein zu machen, und so stellten die Magnaten in ihren Schlössern sich ihre eigenen Privatthermen her, die sie ihren Freunden zur Mitbenutzung öffneten. Das sind die Thermen, wo jener märchenhafte Luxus sich entfaltete, in dessen Schilderung Martial und Statius ihr Dichtertalent üben: über die Wände hin buntschimmernde Marmorinkrustation, wie wir sie heute etwa in der Villa Borghese sehen, aus Alabaster (Onyx) die Hohlräume, in die die trockene Hitze geleitet wird, silberne Wasserröhren, so köstlich, daß das Wasser, das übrigens filtriert war (aqua saccata), zaudert hindurch zu fließen, weil es sich im Silber so wohl fühlt. Das Marmorbad Jerômes in Kassel ist dagegen ein Kinderspiel. An der Küste baute man die Fundamente der Thermen ins kühle Meer hinaus. Aber es waren meist Freigelassene, die so protzten.
Viel hausbacken-einfacher sind natürlich die Thermen Pompejis, die eben zur Zeit jener Dichter, die ich nannte, verschüttet wurden. Aber sie lassen die Anlagen mit allen Einzelheiten gleichwohl vortrefflich erkennen.
Das Bad hieß balneum; thermae hießen heiße Quellen. Das sind griechische Lehnwörter. Die Sache war also griechisch. Aber erst die Römer haben sie, soviel wir wissen, im höchsten Sinne zweckmäßig, ja, im Dienst übertriebener Genußsucht ausgebildet. Im griechischen balneum (balneion) bekam man gegen Eintrittsgeld sein Bad und weiter nichts. Davon sind die mit Turnräumen verbundenen Bäder der Griechen zu unterscheiden, welche Turnräume Gymnasium hießen. »Gymnasium« bedeutet den Übungsraum, in dem man sich nackt bewegt, und wenn wir heute von 65 Mädchengymnasien reden, so sind wir uns, wie es scheint, nicht genügend bewußt, daß das eigentlich den Raum für entkleidete Mädchen bedeutet. Anschließende Wandelgänge und Exedren (Sitzgelegenheiten) dienten für gebildete Unterhaltung; daher hat sich die antike Philosophie auf dem griechischen Turnboden entwickelt, wo man wandelnd oder sitzend über die großen Fragen des Lebens disputierte. Endlich gab es da auch warme und kalte Bäder für die Turner, die ihre Haut salbten und pflegten, wenn die anstrengende Körperübung zu Ende war.
Die Römer übernahmen von diesem Vorbild sowohl die einfachen Bäder (balnea) als auch die Gymnasien mit Bad, die sie in ihre Thermen umwandelten. Für den Unterschied beider Einrichtungen ist schon die Erzählung bezeichnend von dem reichen Mann, der sich in Rom sowohl ein »Bad« aus Holz als auch »Thermen« aus Marmor baut. Aber ihm fehlt es an Holz, um seine Thermen zu heizen, und der Dichter Martial rät ihm: heize die Thermen doch mit deinem Bade! Solche »Bäder« wurden von den Kommunen, aber auch von Privaten gebaut und an Unternehmer verpachtet. Der Literat, der in Rom verhungert, wird in irgendeiner Kleinstadt Badepächter und lebt da vom Eintrittsgeld.
Ganz anders die Thermen. Der Römer hatte für Gymnastik, den Turnsport der Hellenen mit Ringkampf und Boxen und Stangenwurf, wenig Sinn. Deshalb verwandelte er die Turnräume in Unterhaltungsräume, das Baden aber machte er zur Hauptsache, zu einem täglichen Vergnügen: die schönste Art des Faulenzens, ein Schlemmen in Sauberkeit, das zugleich immer den prächtigsten Hunger und Durst entzündet; denn gleich nach dem Bade wurde gespeist.
Römisches Bad! Man unterscheidet räumlich und sachlich laues, heißes und kaltes Bad, tepidarium, caldarium und frigidarium, und auch die Ärzte des Altertums unterlassen nicht, sie in dieser Abstufung therapeutisch zu verwerten. Schon die Benennungen aber zeigen uns, daß das Verfahren ganz eigentlich römisch oder doch von den Römern ausgebildet war. Nähern wir uns, um einen Einblick zu gewinnen, einer der schlichten Anlagen Pompejis.
Sie bedeckt ein Areal von 56×60 Metern. Die Außenseiten sind zum Teil in Kaufläden und Butiken aufgelöst, die nach innen keinen Zugang haben und einen guten Mietzins abwerfen. Schon dieser Kleinhandel gibt buntes Leben. Denn wir befinden 66 uns mitten im engen Stadtgetriebe. Aus dem unbedeckten Thermenhof schallt Lärmen, Lachen und Geschrei. Die Tür, die auf ihn führt, ist aber so angelegt, daß kein Neugieriger, der vorbeikommt, von der Straße aus ins Innere sehen kann, wo sich die nackten Leute im Spiel tummeln. Zweidrittel des Gesamtgrundstücks dienen solchen Unterhaltungszwecken, nur ein Drittel dem Bade. Da werden Kugeln geschoben, Rappier gefochten, besonders eifrig aber Ball gespielt, und zwar auch von alten und würdigen Herren. Das Ballspiel war die ganz besondere Liebhaberei des Römers. Da gab es kleinere Bälle, mit Haaren und Federn gestopft; die großen waren mit Luft gefüllt; dazu kam noch der Springball trigôn, der nur zwischen drei Spielern hin und her schnellt. Der Ball darf beim Spiel nie zur Erde fallen. Dazu endlich der Fußball, um den zwei Parteien sich streiten; auch er fliegt hoch, und der Staub wirbelt. – Rings um den freien Platz läuft ein Schattengang. Im Hintergrund ein Wasserbecken von fast 13 Meter Länge, wo man sich kühlen und auch schwimmen kann (natatio).
Doch wir fragen nach den Thermen. Das Gong ertönt schon. Sein Signal bedeutet: es eilt! Wer jetzt nicht kommt, findet drinnen keinen Platz mehr. Eintrittsgeld wird gezahlt. Die Sammelbüchse geht herum. In Rom zahlte man nur 2 Pfennige, in Provinzialstädten mehr, die Männer 4, die Frauen gar 8 Pfennige. Korpulente Damen müssen das dreifache geben; denn sie nehmen zuviel Platz weg; so fordert Martial, der immer zu Scherzen aufgelegt ist.
Man konnte auch warme Sitzbäder (solia) in Einzelkabinen haben. Aber das war sehr ungesellig. Zu meinem Bedauern muß ich feststellen, daß das benutzte Wasser in diesen Sitzbädern gelegentlich stehenblieb für den nächsten Benutzer. Suchen wir uns lieber im geselligen Bad zurechtzufinden.
Eine weise Verwaltung spart gern mit Heizung, und das Bad wurde daher zumeist nicht vor 2 Uhr geöffnet und schon bei Sonnenuntergang geschlossen. Zeitweilig brachte Kaiser Alexander Severus das Baden bei Nacht in Aufnahme, und das kam wohl auch sonst vor. Übrigens unterschied man nach Größe und Heizeinrichtung Sommerthermen und Winterthermen. Für das Frauenbad dienten besondere Räume. Nur in kleinen Ortschaften war das nicht der Fall; wir erfahren, daß in einem Bergnest in Spanien die Frauen vormittags, die Männer nachmittags in 67 denselben Räumen badeten. Zwischen den Räumen des Frauen- und Männerbades liegt zentral der große Ofen mit 3 Kesseln, die den 3 Baderäumen rechts und links entsprechen. Das Frauenbad ist weniger glänzend ausgestattet (die vornehmen Frauen erschienen eben nicht), auch fehlt ihm ein Spielplatz. Davon abgesehen, haben beide Anlagen dieselbe Einteilung, natürlich so, daß das heiße Bad, das Caldarium, hier und dort dem gemeinsamen Heizraum am nächsten liegt.
Die Männer, die von ihrem Spielplatz ins Bad eilten, gelangten durch ein paar kleine Warteräume mit Bänken zunächst zu dem Aufseher, capsarius, bei dem man seine Wertsachen, besonders die Ringe, ablegen konnte (wer mit Fingerringen badete, machte sich lächerlich). Es folgte ein Auskleideraum; von da trat man ins Tepidarium, um zunächst in lauer Luft sich durchzuwärmen, und erst danach in das heiße Wannenbad des benachbarten Caldariums. Dahin drängte sich alles. Es war der höchste der Genüsse. Nicht das heiße, nur das warme Bad macht schlaff, so wird uns mit Wichtigkeit gepredigt. Dann aber ließ man sich mit lauwarmem Wasser besprudeln, wobei man in einem runden Becken (labrum) stand, das sich in der Apsis desselben Saales befindet. Dabei hat anscheinend auch der Schwamm geholfen. Für gewisse Glatzköpfe war das aber gefährlich. Es gab nämlich alte Gecken, die sich, statt Perücken zu tragen, die Haare mit Farbe auf die Glatze malen ließen. Die ganze Herrlichkeit war vorbei, wenn sie ins Nasse kamen, und sie schnitten sich also, wie ein Witzbold sagt, die Haare gleichsam mit dem Schwamm ab.
Das kalte Bad aber mußte vorschriftsmäßig den Abschluß bilden. Dafür diente der hübsche Rundbau des Frigidariums, eines hohlen Steinzylinders, dessen Mitte die runde Marmorwanne einnimmt, ringsum 4 Nischen. Diese Wanne ist in Pompeji 1,30 Meter tief. Der Raum selbst aber steht mit dem Caldarium unzweckmäßigerweise in keiner direkten Verbindung, und es scheint, daß sich viele, zumal in Sommerzeiten, mit dem Frigidarium allein begnügten; daher ist der Raum auch so schön geformt; er ist hell und wurde im Hellen benutzt, während die vorher genannten Räume oft nur dämmerndes Halblicht hatten.
Nach vollendetem Bad genügte es aber nicht etwa, sich von seinem Diener abtrocknen zu lassen, sondern es folgten noch sorgliche Abreibungen, Massage und Ölung der Haut. Dazu diente u. a. auch jenes Schabeisen (strigilis), das wir in der Hand der 68 herrlichen Statue des Lysippischen »Schabers« im Vatikan gewahren. Man wird bemerken, daß es seinen besonderen Sinn hatte, wenn Agrippa das Originalwerk des Apoxyomenos des Lysipp gerade vor seinen Thermen aufstellte.
Aber wir sind auch jetzt noch nicht zu Ende. Denn das eigentlich römische Bad fehlt noch, das Schwitzbad in erhitzter, trockner Luft, wofür es wiederum einen abgesonderten Raum gab, das Laconicum, auch dies hell und daher schön geformt. Das Laconicum hatte wie das Frigidarium stets die Form der Taufkapelle, der Rotunde mit halbkugelförmigem Dach: also ein verkleinertes Pantheon. Sein Dach stand in seinem höchsten Scheitel offen, und in der Öffnung hing eine Metallscheibe, mit deren Hilfe man die Luft temperierte. Das Schwitzbad selbst aber war das angreifendste und taugte besonders für die Schlemmer, die nach schweren Gelagen einer Neubelebung bedurften. Der Weindunst zog aus dem Körper; der aufgeschwemmte Magen beruhigte sich.
Wie viele Hilfsmittel der öffentlichen Hygiene – Impfung, Desinfektion –, deren wir uns heute erfreuen, hat das Altertum entbehren müssen! Aber das Bäderwesen trat an ihre Stelle; es war bestimmt, durch Verbreitung der Sauberkeit die Volksgesundheit in allen Volksschichten zu gewährleisten. Denn es handelte sich hier tatsächlich um Volksbäder für alle. Nur im gesunden Körper ist eine gesunde Seele, war der Wahrspruch jener Zeit. Nebenher aber gingen noch andere Vorteile. Denn den Baumeistern, den Technikern des Altertums hat dieser Luxus ganz neue und gewaltige Aufgaben gestellt. Man denke allein an die Beleuchtung und Heizung. Da entstand im Dienste des badenden Volkes die Idee der Durchbrechung der Wand, des Kolossalfensters, des Fensters mit Aussicht. Wie oft hören wir seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. das naive Staunen der Alten, wenn es gelang, in diesen großen geschlossenen Räumen, völlige Tageshelle herzustellen! Aber die erhitzten Räume brauchten bei möglichster Helligkeit zugleich festen Wandverschluß, und dazu war also Glas nötig, Fensterglas, große Glasscheiben. Die Glasfabrikation war alt; sie war auch in Süditalien zu Hause; ihr war damit eine neue Aufgabe gestellt.
Sodann die künstliche Erwärmung selbst, die Leitung der Heizung durch große Räume. Als die Römer Frankreich, das Rheinland und England in Verwaltung nahmen, brachten sie in den kalten Norden zum Glück ihre fertigen Heizeinrichtungen mit, die 69 sie daheim nicht etwa im Privathaus, sondern im Bäderwesen ausgebildet hatten. Hohle Fußböden! hohle Wände! Die Erfindung wird auf den Römer C. Sergius Orata, einen Zeitgenossen Ciceros, zurückgeführt. In diese Hohlräume werden die heißen Wasserdämpfe geleitet, und die Dämpfe umgeben also allseitig den zu erwärmenden Raum, ohne doch in ihn einzudringen. Der Hohlraum unter dem Fußboden (hypocaustum) ist nur etwa 75 cm hoch. Auf niedrigen Ziegelpfeilern (suspensurae) ruht da über ihm zunächst ein Fußboden von Tonplatten; erst auf diesen Platten liegt der Mosaikfußboden des Bades auf. Man wußte, daß die Wärme von unten nach oben steigt, und es galt vor allem, die unteren Luftschichten der benutzten Räume warm zu halten. Das Hypocaustum war also das Wichtigste. Aber auch die Seitenmauern wurden an der Innenseite mit Ziegelplatten bekleidet und gleichsam austapeziert, mit einem leeren Abstand von 7 cm, durch den man die Dämpfe leitete. Die Leitung geschah auch in Tonröhren. Oft zog sie sich endlich auch noch über die Decke des Raumes.
Der Bürger des Altertums hatte viel Muße. Denn die Kleinarbeit lag großenteils in den Händen der unfreien Bevölkerung, und auch das war nicht viel. Hat doch auch heute der Südländer, zu dem noch keine Kohlenindustrie, kein Fabrikwesen gedrungen ist, so wenig zu tun, und der Müßiggang ist sein köstliches Naturrecht: Freiheit Leibes und der Seele! Nirgends aber ist dies Gefühl so siegreich wie im Bade. Es ist, als ob mit dem Kleid die letzte Sorge vom Menschen fiele, und eine urwüchsig losgebundene Fröhlichkeit beginnt. Wie sollte es damals in jenen Thermen anders gewesen sein? Man hockt, man sitzt, man liegt und kauert durcheinander, läßt sich abtrocknen, und alles schiebt sich und kommt und geht, und der Vornehme mischt sich leutselig unter die Gemeinen; auch Kaiser Titus, auch Hadrian legten Wert darauf, so mit dem Volke zu baden. Und jeder spricht mit jedem: ein Necken, Plaudern und Singen. Die Stimmen sind im Bad glockenrein, und in den gewölbten Räumen hallt es herrlich. Man macht neue Bekanntschaften und lädt sich die Badegenossen sogleich auf morgen zum Speisen ein. Martial ist ein so guter Unterhalter, daß sein Gönner Fabian ihn zwingt, mit ihm zu baden; Martial aber verliert dabei die Laune: denn der Weg zum Bad des Fabianus ist ihm viel zu weit. Aber auch der Schmeichler fehlt nicht, der dir, auch wenn er selbst eben frisch aus dem Bad kommt und sich also vor Staub hüten müßte, doch beim Ballspiel gleich jeden 70 Ball aufhebt, der zu Boden fällt. Dein Badetuch bewundert er und findet, daß es weißer als Schnee, auch wenn es schmutziger ist als die Windeln eines Kindes, und wenn du dir deine paar Haare mit dem Finger glatt streichst, sagt er enthusiastisch, du habest des Achill Locken geordnet!
Augenscheinlich brachte man mißbräuchlich auch Hunde mit ins Bad, ja, auch andere Tiere, aufwärts bis zum Rhinozeros. Das war im schlimmsten Wortsinn sensationell. Die ärgste Plage waren jedoch die Dichter, die entbrannt sind, ihre neusten Verse vorzutragen. In den Bädern fanden sie ihr sicherstes Publikum; denn das Publikum war unbekleidet und konnte nicht entrinnen. Daß es dabei auch an krassen Unanständigkeiten nicht fehlte, kann man sich leicht vorstellen, und wir ersparen uns die Nachweise. Aber auch an allerhand Aufregung fehlte es nicht. Garderobendiebstähle ereigneten sich täglich. Ein besonderer Abschnitt in den Pandekten handelt über die Bäderdiebe, Langfinger von Beruf, die die Griechen Balanoklepten nannten. Auch der Dichter Catull fährt gegen einen solchen Dieb los, und Petron schildert uns die Aufregung im Bade, als der Verlust entdeckt ist. Was lag freilich an einer Tunika? Sie kostete nicht viel. Aber man konnte doch ohne sie nicht nach Hause gehen.
Übrigens wurde auch im Bad gezecht, inter nudos. Noch aufregender, und zwar im anderen Sinne, wäre es, wenn wirklich Männer und Frauen zusammen gebadet hätten. Doch läßt sich die Prostitution in den Bädern wohl nur für die große Babel Rom und ähnliche antike Großstädte ersten Grades nachweisen. Der freche Martial setzt solche Situationen wirklich gelegentlich voraus: ein Mißbrauch, der in der christlichen Ära sich dann noch steigerte und ja auch noch das Mittelalter überdauert hat.
Schon die Thermen der Kleinstadt Pompeji betritt der Reisende mit Staunen. Pompeji ist erst zu einem Teil ausgegraben und hat schon drei solcher Anstalten geliefert. Von Rom erfahren wir nun gar, daß es 952 Bäder hatte. Agrippa allein legte 170 an. Ebenso ging es durch alle Kleinstädte, durch alle Provinzen. Thermenreste sind in England und Algier, sind in Trier und Badenweiler, in Carnuntum bei Preßburg und so fort gefunden. Wir haben nicht Raum, die Orte aufzuzählen. Reiche Privatleute stifteten solche Volksbäder allerorts und sicherten testamentarisch die Badebetriebskosten. Das betraf besonders die Heizung. Ganze Wälder wurden verheizt. Selbst bei den Landleuten wurde das 71 Warmbaden so allgemein, daß die Ärzte, um der Verweichlichung zu wehren, dagegen einschritten, mit der Vorschrift, man solle nur an jedem vierten Tage baden.
Und nun gar erst das kaiserliche Rom mit seinem verhätschelten Pöbel! Augustus ließ an einem Festtage das ganze Volk bei freiem Eintritt baden. Agrippa dehnte das auf ein ganzes Jahr aus. Und aus eben dieser Fürsorge für die Majestät des Proletariats sind dann jene Monsterbauten hervorgegangen, wie sie in den Kolossalresten der Caracallathermen und Diocletiansthermen vor uns stehen. Eine ganze Stadt könnte auf diesen Arealen Platz finden. Aus einem Bruchteil der Diocletiansthermen hat Michelangelo die Kirche Santa Maria dei Angeli hergestellt.
Auch ihre Spielhöfe wurden damals mit Riesengewölbespannungen überdeckt, und diese zum Herumstehen eingerichteten Hallen boten nun dem Publikum etwa dasselbe, was ihm in Mailand oder Neapel die gewaltigen gewölbten Glasgalerien und Passagen bieten: Galeria Vittorio Emanuele und so fort. Denn in den Hundstagen war es darin herrlich kühl, so daß wir auf die Frage: wo bewahrt man im Sommer am besten einen Fisch auf? die Antwort hören: in den Thermen!
Aber auch die dekorative Kunst kam hinzu: die weiten Fußböden bilderreiche Mosaiken, bilderreiche Mosaiken auch die farbenstrahlenden Apsiden in der Höhe. Ja, auch Statuen in Erz und Marmor wurden da aufgestellt, wie es uns Dichter schildern.Siehe Anthol. lat. 210 und 214. Und wirklich stammen so die sogenannte Flora, der farnesische Stier, der farnesische Herkules in Neapel aus denselben Diocletiansthermen, aus den Constantinsthermen die wundervollen Rosse, die heute den Quirinalplatz schmücken. Das sind Meisterwerke der antiken Kunst.Die Namen der Thermen in Alexandria, Hippos, Hygeia u. a. stammen gleichfalls von Kunstwerken her, die darin aufgestellt waren. Der Leib ergötzt sich am Wasser, der Geist an Schildereien, so rühmt uns ein Badegast.Besonders die Privatbäder der Freigelassenen strotzten von Statuen; Seneca Epist. 86. Schon Agrippa hatte seine Thermen beim Pantheon in dieser vornehmen Weise geschmückt, und wir hören, daß der treffliche Mann zudem eine herrliche Rede gehalten hat über öffentliche Aufstellung der Kunstwerke, die sich im Privatbesitz befinden. Es war eine soziale Mahnrede an die Großen Roms. Besäßen wir diese Rede noch!
72 Wir brauchen unsere minderbemittelten Volksgenossen freilich nicht an Müßiggang zu gewöhnen und durch Zerstreuungen »ungefährlich« zu machen. Das Heilmittel für das moderne Volksleben ist die Arbeit. Aber wir sollten Front machen gegen unsere Kunstmuseen, diese trostlosen Bildermagazine, in denen das Viele das Gute tötet. Die Gans wird auf Gänseleber gemästet, der Mensch auf Kunstsinn. Aber weder die Gans wird dessen froh, noch der Mensch. Die antiken Thermen, das waren die richtigen Museen. So sollten auch heute in allen Städten die besten Originalwerke, die unsere Zeit besitzt, auf die Gefahr hin, daß sie früher zugrunde gehen, als wir wünschen möchten, an öffentlichen Stellen zum täglichen Umgangsgegenstand für die Allgemeinheit gemacht werden. Denn für sie ist gerade nur das Beste gut genug, und nicht durch gewolltes Studium, sondern nur durch den ungewollten täglichen Umgang wird jene tiefgehende ästhetische Verfeinerung, wird jene Kunstnatur erworben, wie sie nur das Altertum besaß.
Die größten Vergnügungspaläste moderner europäischer oder amerikanischer Großstädte mit ihren Bädern, Kinos, Cafés, Eisdielen und Sportarenen vermögen auch heute noch nicht den Vergleich mit den Caracallathermen des alten Rom auszuhalten, welche eine Fläche von über 110 000 m² bedecken. Und man darf mit Recht bezweifeln, ob Cafés und Lichtspieltheater dieser Bauten den ästhetischen Idealen gerecht werden, die uns Roms großes Beispiel vorhält.
Wie schon gesagt ist, hatte Agrippa den »Schaber« des Lysipp öffentlich aufgestellt. Tiberius schaffte das köstliche Werk neidisch in seinen Palast, das römische Gassenvolk aber erhob sich, demonstrierte und zwang den Kaiser, es wieder an den alten Platz zu stellen. Das ist lehrreich für die Kunstliebe der Volksmassen in jenen Zeiten.