Theodor Birt
Charakterbilder Spätroms und die Entstehung des modernen Europa
Theodor Birt

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Septimius Severus

Die goldene Zeit der Antonine war zu Ende. Auf den letzten Mehrer des Reichs, Trajan, auf den Neuordner des Reichs, Hadrian, war im Regiment Antoninus Pius und sein Adoptivsohn, Mark Aurel, der sich gleichfalls Antoninus nannte, gefolgt. Der große Germanenkrieg, den Mark Aurel führte, hatte sich jenseits der Reichsgrenzen abgespielt; bis nach Böhmen und Schlesien waren die römischen Adler gedrungen. Im Reich selbst herrschte auch noch unter ihm beglückende Ordnung, friedliches Gedeihen. Die Tüchtigkeit des Reichsheeres hatte sich durch den Krieg von neuem gesteigert, und die besondere Fürsorge des Herrschers widmete sich jetzt dem Soldatenstand. Einer der kriegerischen Minister Mark Aurels, Paternus, arbeitete damals zum ersten Mal ein »Militärrecht« aus; es galt die Lebensverhältnisse der Berufssoldaten dauernd auf einen sicheren Rechtsboden zu stellenSo wie Paternus ein ius militare, so schrieb auch unter Severus der Halbgrieche Menander, ein Mitglied des kaiserlichen Konsistoriums, im gleichen Sinne De re militari.. Aber auch die sonst stets aufsässigen Garden der Prätorianer regten sich nicht und blieben gefügig in diesen Zeiten. Vor allem fühlten sich die Herren Senatoren in Rom geachtet und geehrt, der Senat, der nominell noch immer die Kaiser zu wählen oder doch die Kaiserwahl zu bestätigen hatte, und seine verfassungsmäßigen Rechte blieben dem Schein nach gewahrt. Noch immer beherrschte Rom die Welt.

So verband sich in den Herzen aller, die gut altrömisch dachten, mit dem Namen der Antonine die Vorstellung der Glückseligkeit, und die Sehnsucht nach ihnen hörte nicht auf. Sie hat inmitten des Wirrsals der Zustände, das nun folgte, durch ein volles Jahrhundert triebhaft weitergewirkt: eine unsichtbare ethische Macht, ein Ideal, zu dem man zurückwollteIch erinnere an Gordian, der zur Verherrlichung der Antonine ein Gedichtwerk von 30 Büchern dichtete; Vita der Gordiane c. 3..

Wo war der Mann zu finden, der, als Mark Aurel in Wien starb, das Regiment würdig weiterführte? Commodus war es nicht. Schon bei seinen Lebzeiten hatte Mark Aurel diesen seinen Sohn Commodus zum Mitregenten erhoben; der junge Mensch sollte den Krieg, er sollte die Verwaltung frühzeitig lernen. Aber er lernte nur den Größenwahn.

Mochte der Vater in täglicher Arbeit sich zermürben! Das Philistertum der Pflicht war für alle anderen Leute gut; um so 33 mehr konnte der Sohn seine sinnliche, in Genußsucht fiebernde Natur ausleben. Dreizehn Jahre der schmählichsten Mißwirtschaft brachte er jetzt über Rom (in den Jahren 180–192). Mit Schrecken und Ekel sah man ihm zu; es war ein schlechter Trost, wenn man sich sagte: Rom hat ja einen Nero und Caligula ertragen, warum denn nicht auch den Commodus?

Das Erbkaisertum war ein Unheil; man wußte es längstVgl. Tacitus, Hist. I, 20; Röm. Charakterköpfe, S. 280.. Es war ein Unglück, daß Mark Aurel anders als Trajan und Hadrian einen Sohn eigenes Blutes hatte. Das Dynastiengründen, die »im Purpur Geborenen« sind allemal für Rom zum Fluch geworden; aber – wir werden es sehen – weder Severus ließ sich warnen noch Constantin noch Theodosius der Große.

Fast alle kriegerischen Eroberungen seines Vaters gab Commodus preis: im übrigen mochten die ausgezeichneten Feldherren, die Mark Aurel herangebildet hatte, die Grenzen hüten. Er selbst wollte nichts weiter als in Rom wie Nero sorgenlos schwelgen, sich königlich amüsieren und am Beifall des Stadtpöbels sich erlaben. Er strotzte von Begierden wie ein schönes Tier.

In der Tat: ein schlank gewachsener schöner Mensch, der sich geckenhaft schmückte, sich Goldpuder ins Haar streute, aber den Bart lang trug, weil er sich vor dem Messer des Bartscherers fürchtete, der ihm die Kehle durchschneiden konnte. Die Staatsgelder verschleuderte er an die Garde. Mochte der Senat Gesichter ziehen: er griff sich die Senatoren und tötete sie, ihr Vermögen wurde eingezogen und an Günstlinge verschenkt. Seinen Lieblingen aus dem Sklavenstand, Eklektus und anderen, spielte er die höchsten Gewalten in die Hände. In seinem Harem von angeblich 300 Weibern und 300 schönen Knaben herrschte Marcia, seine Geliebte; er ließ ihr schönes Bild auf Münzen schlagen, aber er machte sie nicht zur Kaiserin.

Gleichwohl war Commodus ein Held und Herkules sein Vorbild. Er leistete als Bogenschütze das noch nie Dagewesene. Herkules war für die stoische Frömmigkeit jener Zeiten allerdings der erhabenste Held. Man feierte in ihm das Vorbild 34 des Pflichtmenschen, der sein Leben in Mühsal hinopfert zum Wohl der Mitwelt. So ließ Trajan sich als Herkules verehren. Commodus nannte sich Herkules, aber er sah in ihm nur den Jägersmann, der Sport trieb, wenn er den kaledonischen Eber und nemeïschen Löwen erlegteVgl. hierzu die Vita des Caracalla c. 5, 5 u. 5, 9.. Im Colosseum ließ sich Commodus einen Schießstand errichten, und das Volk strömte herzu und mußte Beifall schreien, wenn er von da aus hunderte von wilden Tieren abschoß, angeblich ohne je zu fehlen. Es war wie bei den Hofjagden Ludwigs XIV. und der Souveräne bis in unsere Zeiten, wo auch gleich 500 Wildschweine oder Hirsche auf der Strecke bleiben. Nero hatte dereinst Arien vor dem Volk gesungen; Commodus trat als Meisterschütze auf, aber auch als Berufsfechter; er verliebte sich in den Metzgerberuf der Gladiatoren und ließ auf Inschriften die Zahl seiner Siege und derer, die er mit dem Säbel abgestochen, verewigen. Der Pöbel rief Ah und Oh! Die Verwalter in den Provinzen schüttelten die Köpfe.

Das Jahr 192 ging zu Ende. Das Jahr 193 sollte beginnen. Vor dem Jahreswechsel sollte das ausgelassene Fest der Saturnalien gefeiert werden. Es ist das Fest, wo alles in der Filzkappe, dem Zeichen der Freiheit, umherläuft, wo alles lacht, sich küßt, beschenkt, betrinkt und wo man aus der Tafelrunde einen Narrenkönig wählt, alle Standesunterschiede aufhören und sogar der Monarch gutmütig sich mit der Menge gemein macht. Es war Stil, daß der Monarch morgens aus seinem Palast in das Publikum trat. Commodus aber schlief die Nacht in der Kaserne; er war ganz zum Gladiator geworden. Da beim Fest Redefreiheit herrschte, erlaubten sich Marcia und andere Hofleute, ihm hierüber Vorwürfe zu machen. Voll Wut beschloß Commodus gleich, Marcia und die anderen töten zu lassen, und schrieb sich die Namen auf eine Tafel. Die Liste geriet durch Zufall in Marcias Hand, und sie vergiftete ihn; denn sie hatte nicht Lust zu sterben. Das waren herrliche Saturnalien in Rom. Aber das Gift wirkte nicht, und während Commodus in Erbrechen und Krämpfen lag, hetzte Marcia einen Kraftmenschen, einen Athleten auf ihn, der ihn erwürgte.

35 Der Narrenkönig war tot. Und er hatte keine Erben. Mitten unter dem io-Saturnalia-geschrei und dem Knallen der Würfelbecher galt es, der Welt einen neuen Kaiser zu schaffen. Woher ihn nehmen? Noch war nichts verloren, wenn man nur jetzt den rechten Mann fand.

Und er fand sich. Es war Pertinax. Pertinax gehörte zu den erprobten Generalen Mark Aurels, und er war gerade jetzt in der Hauptstadt anwesend. Der Senat, das Stadtvolk ist für ihn. Auch die Garde opponiert nicht. Pertinax ist Kaiser, aber nur für 60 Tage.

Dieser Mann ist ein schönes Beispiel für den Aufstieg der Talente im menschlich freien Altertum. Ein armer Italiener aus dem Apennin; sein Vater war dereinst Sklave gewesen; im Kornhandel beschäftigte der Vater den Sohn; dann lernte der junge Mensch Griechisch und wurde Schulmeister; als aber der Kaiser Mark Aurel Soldaten brauchte, ging er ins MilitärDie von Domaszewsky (Sitzungsbericht der Heidelberger Akademie 1916, Abhandlung 15 S. 9) angeregten Zweifel kann ich nicht teilen., führte als Offizier eine Cohorte und wurde bald einer der erprobtesten Feldherren. Jetzt war er schon 66 Jahre alt, aber rechtschaffen, tatkräftig und auch vom Geist Mark Aurels erfüllt und getragen. So mußte sein Regiment zum Heil der Menschheit werden; auch erkannten ihn sämtliche Statthalter in den Reichsländern freudig an.

Aber eben darum, weil Pertinax kein Commodus wer, mißfiel er der Garde, die mit Gold gekirrt sein wollte. Eines Tages drängte sich eine Abteilung mißgelaunter Soldaten in den Palast, das Messer in der Hand, und erstachen den Wehrlosen. Es war, als hätte man Mark Aurel gemordet.

Diese nichtswürdige Tat besiegelte das Schicksal der Garde, sie besiegelte das Schicksal Italiens. Ja, von diesem Tage an beginnt eigentlich schon im ersten Keim das neue Europa, das ist die innere Auflösung des Römerreichs.

Zunächst freilich wuchs der Übermut der Prätorianer. Es waren 10 000 Mann, lauter italienische Leute, die aber fast nie in den Krieg zogen, sondern nur die Majestät des Kaisers in Rom zu schützen hatten (sie hatten sich daran gewöhnt, den 36 Kaiser zu terrorisieren; sie töteten, sie machten den Kaiser). Jetzt boten sie den Thron für Geld aus. Da war ein Senatsherr, Julian, ein Mailänder von Geburt, der kam ins Lager und bot, ein anderer Römer kam gleichfalls und bot, 5000 Drachmen pro Mann und mehr. Es war wie ein Kuhhandel. Schließlich war so der Nichtsnutz Julian Kaiser. Das Essen des Pertinax stand noch auf dem Tisch; Julian aß es auf. Der Senat verachtete ihn; auch der Pöbel empfing ihn mit Zischen, aber ihn hielten die Soldaten. Julian kümmerte sich nicht um die Provinzen; er dachte in Rom das Leben des Commodus fortzusetzen.

Aber die weiten Provinzen ließen sich das nicht bieten, und auf einmal hatte das Reich vier ebenbürtige Kaiser: Julian saß in Rom: Albin wurde in England, Niger im Orient, Severus in Österreich-Ungarn (d. i. in Pannonien) von den Legionen zum Kaiser gemacht.

Den Kaiser macht das Heer; das provinziale Militärkaisertum war damit plötzlich fertig, das die nächsten achtzig Jahre beherrscht hat, und die Reichseinheit war jetzt verloren. Es gab nun vier Monarchien. Was sollte daraus werden? Albinus und Niger waren als Statthalter wohlbewährte, vornehme Männer und beim Senat gut angeschrieben; es ließ sich nichts gegen sie einwenden. Aber beide dachten nicht daran, ihre Herrschaft etwa weiter auszudehnen. England war schon damals ein herrliches Land, nicht nur an Wald und Wiesen, auch an Kornbau reichNordfrankreich bezog damals sein Brotkorn aus England; wie anders heute! Vgl. Amm. Marcellinus 18, 2, 3. und durch das Meer gesichert; Albin war damit völlig zufrieden, und die Geschichte des englischen Königtums beginnt also eigentlich mit ihm. Seine Residenz war York, nicht London.

Niger, mit vollerem Namen Pescennius Niger, gewann zum griechischen Orient noch Ägypten hinzu; es war das volle Reich des Mark Anton, das er in Händen hielt; er machte Antiochien zu seiner Hauptstadt; aber auch er dachte nicht daran, weiter erobernd vorzugehen. Er wollte nicht den Bürgerkrieg. Der Auseinanderfall des Reichs war fertig.

Aber da war noch der vierte, Septimius Severus, und 37 der dachte anders. Er war der Mann der großen Pläne. Er las in den Sternen. Das Schicksal schob ihn. Dem Senat war er unheimlich. Er trug sein Geheimnis mit sich herum. In Leptis in Afrika stand seine Wiege, und er war wie vom Wunder umgeben. In der Wiege hatte sich eine Schlange wie ein Metallkranz oder wie eine Krone um sein Köpfchen gelegt. Dann hatte er die Sterndeuter gefragt, und seine Laufbahn trug ihn, den jungen Provinzmenschen, überraschend schnell voran. Dankte er das nur seine Begabung?, seiner stählernen Willenskraft? 26jährig, also im Alter unserer Referendare, zog ihn der Kaiser schon zur Verwaltung des Fiskus heran, und er lernte da das Finanzwesen und die verschiedensten bürgerlichen Verhältnisse kennenD. h. er wurde im J. 172 Advokat des kaiserlichen Fiskus, wir wissen nicht, an welchem Standort, ein gewiß verantwortlicher Posten.. Im selben Jahre wurde er auch schon Quästor und damit in den Senat eingeführt. So jung saß er schon in der hohen Curie Roms. Dann kam er als Beamter aufsteigend nach Spanien, Sardinien, Afrika. In Afrika heiratete er seine erste Frau, Marcia, die ihm nur Töchter gab und die er daher in seiner Selbstbiographie totschwieg. Im Jahre 179 lernte er Syrien kennen: er erhielt da für kurze Zeit ein militärisches Kommando. Aber er war kein Soldat; er hatte nur die Zivilkarriere gemacht.

Das war unter Mark Aurel. Als Commodus Kaiser wurde, im Jahre 180, schien plötzlich das Seil zerrissen, das ihn höher zog. Er privatisierte jetzt in Athen und beschloß, für sein geistiges Ich zu sorgen. Er trieb dort volle sechs Jahre lang griechische Studien. Athen war immer noch die vornehmste Bildungsstätte, und Severus war nachher mehr Grieche als Römer. Es blühte damals in der Stadt eine neue Gattung durchdachter Redekunst, die sich in den Dienst der Moral und Volkserziehung stellte, soziale Fragen behandelte, sich der Predigt näherte und somit unverkennbar auch den Interessen des Staates diente. Es war das Beste, was damals der griechische Geist noch bot, und wir begreifen, daß der Geheimnisvolle dem seine ganze Teilnahme schenkte.

Da fiel es dem Commodus ein, sich des Mannes zu erinnern. 38 Das Schicksal begann wieder zu schieben. Im Jahre 187 saß Severus als Statthalter Frankreichs, als Stellvertreter der Kaisermacht in Lyon; es war wie ein Sprungbrett, und seine Pläne reckten sich nun plötzlich hoch. Er wollte zum zweiten Male heiraten, aber er wollte nur eine zukünftige Kaiserin. Die Sterne mußten sie ihm weisen. Er ließ unter den vornehmen Frauen im Reich nach einer Dame forschen, die eine günstige Nativität hatte, und erfuhr, daß der Syrerin Julia Domna, die in Emesa nahe dem Libanon lebte, das Horoskop gestellt war: sie sollte dereinst Kaiserinβασίλεια und βασίλισσα, βασίλιννα ist das griechische Wort für Kaiserin. werden. Sie war Vollsemitin, der Erziehung nach Griechin, und Tochter des dortigen Hohen Priesters des Gottes Baal.

Julia Domna kam; Severus heiratete sie in Lyon, und sie gab ihm alsbald zwei Söhne, Basianus und Geta. Für Thronerben war so im voraus gesorgt. Dann wurde er (i. J. 191) Statthalter Pannoniens, des weiten Donaulandes. Hatte er in Frankreich germanisches Kriegsvolk unter sich gehabt, so hatte er jetzt die illyrischen Legionen. Kriege hatte er noch nie geführt, aber strenge und verschwenderisch zugleich, hielt er Truppen und Offiziere fest in der Hand.

Vor Pertinax beugte er sich; er hätte den trefflichen Mann gewiß nie gestürztMan kann sogar vermuten, daß Pertinax daran dachte, den Severus zu seinem Nachfolger zu machen. Dafür spricht nicht nur das abwartende Verhalten des Severus, sondern auch der Umstand, daß Pertinax als Kaiser seinen eigenen Sohn nicht zum »Cäsar« machte, sondern ihn seine bürgerliche Erziehung fortsetzen ließ. Dies wird als auffällige Tatsache überliefert: der Sohn sollte sich keine Hoffnung auf den Kaiserthron machen. Wenn sich Severus hernach selbst Pertinax benannte, so machte er sich damit zum Adoptivsohn des Ermordeten, worin vielleicht eine Andeutung liegt, daß diese Adoption beabsichtigt gewesen ist. Augenscheinlich wollte Pertinax das Erbkaisertum vermeiden und zu den Grundsätzen des Trajan und Hadrian zurückkehren, die allemal nach freier Wahl den besten Mann zum Nachfolger bestimmten (vgl. oben S. 33).. Severus konnte warten; die Sterne trogen nicht.

Die Sterne! Mit Inbrunst war er der Astrologie ergeben. Auch an Träume glaubte er. So träumte ihm, er stünde auf hoher Warte, die ganze Welt, Land und Meer lag unter ihm, und er griff hinein wie in ein großes Musikinstrument, ein Pan-Harmonium, und ließ die Welt unter seiner Hand erklingenDio 74, 3. Er war offenbar musikalisch; unmusikalische Menschen träumen solche Träume nicht.. Er redete später selbst ausdrücklich hiervon, und sein Freund, der Geschichtschreiber Cassius Dio, schrieb auf seinen Wunsch hierüber eine besondere SchriftAuch in seiner Selbstbiographie, in der er sein Privatleben offen darlegte, sprach Severus ausdrücklich von diesen Vorzeichen.. Dies sind Tatsachen.

Es ist billig und leicht für uns heute, hierüber, insbesondere über die Astrologie zu spotten, die jene Zeit geradezu beherrscht hat. Seit Copernicus Ordnung in das Planetensystem brachte, war das große Weltgeheimnis entschleiert und der 39 Wahn schwand, aber auch da noch sehr langsam, als hinge unser Schicksal an der Bewegung der Sterne. Damals wandelten noch Sonne und Mond mit den Planeten um unsere Erde; nach Willkür schienen sie sich am Himmel zu bewegen; also hatten sie Willen, sie hatten Seele, sie waren denkende Götterwesen und das Wissen von ihnen (die »Mathesis«) war der Gipfel aller Wissenschaft. Nur gerade die Gebildetsten jener Zeiten haben sich damals mit Astrologie befaßt. Die stoische Philosophie selbst, die die Trägerin der höchsten Bildung war, gipfelte seit Posidonius in dieser Lehre. Auch der Klügste der Klugen, Kaiser Hadrian, war gläubig und Kenner dieser Dinge.

Durch tausend Vorzeichen reden die Götter zu uns, und nichts ist erhabener, als ihren Sinn zu erforschen. Ein Lehrbuch hierüber ist uns erhalten, das heute 600 enge Druckseiten fülltDie Mathesis des Firmicus Maternus.. Man stellte die Nativität; d. h. nach der Konstellation oder Sternengruppierung, unter der der Mensch geboren war, richtete sich allemal sein Schicksal, sein Wollen und Werden. Die Bilder des Tierkreises und die Planeten wirken dabei zusammen; jedes Tierkreiszeichen wird überdies in Felder zerlegt, und wer nun z. B. im 9. Teil des Steinbocks sein Horoskop hat, so daß der Planet Mars im selben Felde steht, von dem heißt es, daß er früh sterben wird. Wessen Horoskop dagegen in den ersten Teil des Wassermanns fällt, so daß Jupiter und Saturn sich in dem nämlichen Felde befinden, der wird, wenn auch der Mond dazu günstig steht, großer König und Kaiser, wird lange leben und das ganze Erdreich besitzenFirmicus VIII, 28 u. 29.. Die alten Götter Jupiter, Mars, Venus waren damals schon so verblaßt; aber als Planeten werden sie, heißt es, wieder zu Göttern, die wir verehren könnenFirmicus I, 6.. Eine Sympathie wirkt von ihnen zu uns, und das Leben des »wissenden« Menschen ist an den Himmel gebunden.

In prachtvollen Versen hatte schon 200 Jahre früher der Dichter Manilius diese Astrologie gefeiert: »Den Himmel erklomm die Intelligenzratio: Manilius I, 1., und ergriff die Natur der Dinge an ihren Ursachen. Weil wir selbst Teil Gottes sind, können wir Gottes Gedanken im All erkennen. Das Schicksal selbst will es, 40 daß wir es ergründen, und der Himmel freut sich daran, daß ich seine Geheimnisse im Gesang erschließeManilius II, 115 f.; 149; 142.. Ob du reich, ob arm, von der Geburtsstunde hängt alles ab. Der Vater tötet seine Kinder, die Brüder töten sich im Wechselmord: es ist nicht ihr Werk; das Schicksal zwingt sie so zu handelnManilius III, 16 f. u. 82 f.. Gleichwohl sollen wir den Mörder hassen, so wie wir das Giftkraut hassen, dem es vom Schicksal beschieden ist, giftig zu sein, an den tüchtigen Menschen aber uns doppelt freuen, weil es gottgewollt ist, daß sie gut sindManilius III, 108 ff.. Der Maßstab des Sittlichen gerät nicht ins Wanken.

So soll sich aber auch der Sterndeuter selbst, der die Nativitäten stellt, als Vertreter der Götter fühlen, soll sittenrein dastehen, sich gesellschaftlich unabhängig halten und darin alle Priester übertreffenFirmicus II, 30, 2–10.. Seine erste Pflicht aber ist die tiefste Verschwiegenheit.

Verschwiegenheit! Man begreift allerdings, daß die regierenden Kaiser sofort jeden zu vernichten suchten, dem irgendwo im Reich durch die Astrologen das Herrschertum in Aussicht gestellt war; denn um solchen bildete sich nur zu leicht ein gläubiger Anhang; und so wird auch Severus bis oben zugeknöpft das Geheimnis seiner Zukunft mit sich herumgetragen haben, bis die Stunde gekommen war. Wer denkt hier nicht an Wallenstein? In der Tat, wer von Severus handelt, wird mehr als einmal an Schillers mystisch erregsamen Helden erinnert. In seiner Brust sind seines Schicksals Sterne; das traf auch hier zu; d. h. der Wille des düsteren Mannes war seinem Schicksal gewachsen. Kaltes Blut galt es zu haben; jedes Mittel ist recht, das zum Ziel führt.

Kaum war Julian Kaiser, da warf sich Severus zum Rächer des Pertinax auf, wie einst Octavian der Rächer des ermordeten Caesar war. Er beschloß den Einmarsch in Italien. Niger war fern und konnte ihn nicht stören; den Albinus erkannte er mit gleißnerischer Freundlichkeit ausdrücklich als Herrscher Britanniens anGenauer: Severus ernannte Albinus zum Cäsar und adoptierte ihn sogar; daher nannte sich dieser mit vollem Namen D. Clodius Septimius Albinus.. So deckte er sich den Rücken. Spanien und 41 Frankreich blieben neutral. Die tüchtigsten Legionen des Reichs führte er mit sich, illyrische und germanische Truppen.

In zehn Tagen stand er, ein dreister Usurpator, auf italienischem Boden. Rom war wehrlos. Seit hundert Jahren sonnte sich Italien übermütig im tiefsten Frieden, alle Festungsmauern verfallen, nirgends organisierte Abwehr. Es war das unantastbare Herrscherland. Der Senat schickt zum Severus demütig Gesandte; Julian aber machte die lächerlichste Figur; er versuchte erst durch Sendlinge Severus umbringen zulassen; ob der Senat von diesem Anschlag wußte, steht nicht fest. Dann verbarrikadiert er die Straßen Roms, läßt gar die Türen des Kaiserpalastes mit neuen Schlössern versehen, als könnte ein abgezogener Schlüssel ihn schützen. Die Senatoren selbst sind es, die Julian töten lassen.

Des Severus Zorn aber traf die Garde. Des Pertinax Mörder ließ er sich von ihr ausliefern. Dann aber mußte die ganze stolze Truppe, die 10 000 Italiener, waffenlos oder doch nur mit dem Paradedegen an der Hüfte ihr Kastell räumen; Severus ließ sie umzingeln und löste dann für immer ihren Verband; übers Land mußten sich die Leute verstreuen, sie mochten sehen, wo sie blieben. Viele von ihnen wurden Räuber im Gebirge. Das Bedeutsamste ist, daß es fortan in der Welt überhaupt keine italienischen Soldaten mehr gab. Ganz Italien war politisch matt gesetzt. Eine neue Garde, die aus grobkörnigen Barbaren bestand, legte Severus nach Rom. Rom war fortan in Händen der verhaßten ProvinzialtruppenWie die Bürgerschaft sie haßte, zeigt Herodian VII, 6.. Es war gewiß, daß sie keine italienische Sonderpolitik treiben würden.

War das alles, was der unheimliche Mann über Rom brachte? Rom gab sich Mühe ihm zuzujubeln, und er dämpfte noch seinen Zorn. Vielmehr ließ er jetzt eine Leichenfeier und Apotheose des Pertinax inszenieren, dergleichen die Stadt noch nicht gesehen hatte: große Prozessionen mit Klagechören, Redeakt, Zuschauertribünen, militärische Waffenspiele auf dem Marsfeld. Dio schildert es auf das ausführlichste. Alle Senatoren, auch die Frauen, mußten mit heran. Auf einem Ruhebett sah 42 man Pertinax im Wachsbild, schlummernd, neben ihm einen Knaben, der mit dem Fächer die Fliegen von dem Leichnam zu scheuchen schien. Das Ruhebett wurde auf den turmhohen Scheiterhaufen gehoben, den die Konsuln in Brand setzten. Eine Feuersäule schlug auf; auch reiche Totenspenden, auch der goldene Wagen des Pertinax verbrannte mit. Aus der Flamme aber schwang sich ein losgelassener Adler, der die Seele des Vergöttlichten bedeutete, zum Himmel auf.

Severus selbst nannte sich jetzt mit Zunamen Pertinax, als Erbe des Vergöttlichten.

Die Handlung wirkte wohl günstig, aber es blieb trotzdem ein gespanntes Gefühl. Severus hatte dem Senat nur mitgeteilt, daß er Kaiser sei, aber seine Bestätigung nicht erbeten. Das war kränkend. Auch sympathisierte der Senat mehr mit Niger und Albinus, und Severus wußte das. Man war in Angst vor ihm; man kannte ihn ja längst in Rom; er hatte früher selbst im Senat gesessen. Seine geborene Herrschernatur muß sich schon damals verraten haben. Was plante er jetzt? doch nicht die Unterwerfung Englands und Asiens? Römer gegen Römer? einen Bürgerkrieg, weittragend wie der Julius Caesars? Es schien unausdenkbar.

Er war ein kleiner Mann, aber kräftig gebautDio 77, 16., damals schon 47 Jahre alt, von schönen männlichen Zügen, ehrfurchtgebietend. Das früh ergraute Haupthaar drängte sich ihm in dicht gerollten Locken um Stirn und Schläfen; das Kinn im Bart vergraben. Das Auge groß und sicher: es mochte schwer sein, den Blick zu ertragen. Verhaltener Jähzorn schlummerte darin. Aber ein massiver Wille hielt seine Züge fest, so erzen wie auf dem meisterhaften Erzbild, das wir von Severus besitzen und das im Museum zu Brüssel steht. Der Ausdruck denkend, fast brutal, aber großartig bedeutend, mit Ablehnung aller Pose, aller Gefallsucht und Prahlsucht, volkstümlich derb: der Typus des Großkaufmanns und Praktikers. Das Heimtückische seines Wesens aber verbirgt sich dem Betrachter; es lauert im Hintergrunde, im Versteck seiner Seele.

Septimius Severus und Julia Domna

Septimius Severus und Julia Domna

Septimius Severus und Julia Domna. Relief am Bogen der Goldschmiede in Rom. Bernoulli, Röm. Ikon. II/3, Taf. XV.

43 Man hat sich phantastisch ausgemalt, daß er, der grimmige Afrikaner, speziell afrikanische Politik zu treiben unternahm, ja darauf ausging, als ein zweiter Hannibal Karthago an Rom zu rächen. Aber nichts davon ist wahrMan hat dafür die Bagatelle geltend gemacht, daß Severus von Hannibal Statuen errichtet haben soll; aber der Hannibalkultus war damals überhaupt Mode; denn auch von Pescennius Niger lesen wir ja, daß er sich auffällig im Lob desselben Hannibal erging (vgl. dessen Vita 11, 4 f.), und Niger war doch kein Afrikaner; s. übrigens Atti del Congresso internaz. di scienze storiche, Roma 1903, VI, S. 79.. Sein Latein hatte zwar afrikanischen Akzent; seine Schwester mußte er gar vom Kaiserhofe nach Afrika zurückschicken, weil sie das Latein zu erbärmlich sprach. Aber was beweist das? Wie viele Afrikaner saßen nicht schon seit langem in Rom im Senat! So auch ein Onkel des Severus, der römischer Konsul war. Daß in Severus der große römische Staatsgedanke lebte, zeigt alles Weitere.

Schon zog er gegen den Orient. Nur zwanzig Tage war er nach Julians Tod in Rom geblieben. Er war kein Feldherr, aber organisierte meisterhaft, blitzschnell in allem. Mit großem Train ging es über Bulgarien, Mazedonien, an Byzanz vorüber, nach Kleinasien. Der Geier stieg auf, nach Beute.

Es gilt aber zu wissen, daß in Wirklichkeit die Kaiserin ihn trieb. Ein guter Berichterstatter sagt uns: Severus selbst hätte mit seinen Nebenbuhlern einen Ausgleich versuchtVita des Albinus 3, 4 nach Marius Maximus.. Der zähe Einfluß der syrischen Weiber setzte schon hier ein. Julia Domna, die Syrerin, wollte eine neue Weltdynastie. Wozu hatte sie dem Severus sonst Söhne geboren?

Niger, übrigens Italiener von Geburt, war auf den Kampf nicht genügend vorbereitet, auch seine Orienttruppen waren wohl minderwertig. In zwei Schlachten siegt Severus, ohne selbst zu führen. Niger stellte sich nochmals im steilen Taurusgebirge, das wie ein Riegel Syrien von Kleinasien abschließt. Aber Severus wußte: das Schicksal war für ihn; ein Regenguß und Unwetter zerstörte die uneinnehmbaren Verschanzungen des Gegners: er drang hindurch. Bei Issus, wo einst Alexander der Große siegte, siegt auch Severus. Schon ist Niger in Antiochien belagert; er flieht, wird ergriffen und stirbt. Der Feldzug währte nur einen Sommer.

Daß Severus den Leichnam des Niger auch noch enthaupten ließ war selbstverständlich; es geschah nach dem Herkommen.

44 Halbwegs war er hiernach schon jetzt Herr der Welt, und vom Orient aus begann er sie schon zu regieren. Die Kaiserin Julia Domna war mit ihm und die Söhne. Personalfragen, Entscheidungen gab es sofort in Fülle. Eine Anzahl von Städten des Ostens waren von Niger gleich zu Severus abgefallen, und Severus belohnte sie königlich; die gegnerischen aber strafte er als Rebellen mit schneidender Härte; er forderte ihr Geld, ihr Blut. Viele Vermögen zog er ein; alle vornehmen Offiziere in Nigers Heer mußten sterben. Severus heißt auf deutsch der Gestrenge; er wollte seinem Namen Ehre machenDer Name galt als asperitatis nomen; s. Vita des Macrinus c. 11, 2.. Am schlimmsten aber ging es Byzanz.

Byzanz, heute Constantinopel, das Bollwerk des türkischen Orients; auch heute hat es auf das erfolgreichste Rußland und England Trotz geboten. Es hielt damals zu Niger. Schon damals lag die Stadt in einem Paradies von Gärten und üppigstem Fruchtland am Goldenen Horn. Schon damals führte sie den Halbmond als WappenzeichenAuf ihren Münzen.. Sie steckte auch nach dem Meere zu in hohen Mauern, die Quadern so fest gefügt als wären sie aus Beton gegossen; eherne Platten lagen noch darüber. Berühmt waren die sieben Mauertürme, die so lagen, daß jedes leise geflüsterte Kommando deutlich von einem zum anderen drang. Der heutige Serailhügel und Hippodromhügel lagen schon damals im Innern der Stadt.

Der englischen Flotte ist es neuerdings nicht gelungen, kämpfend bis vor die Stadt zu dringen. Anders die Flotte des Severus; sie legte sich sogleich hart vor die Stadtmauer. Gleichwohl hielt sich Byzanz drei Jahre. Severus ließ den Kopf des Niger über die Mauer werfen; Byzanz blieb trotzig. Ein gewisser Priskus verteidigte die Werke, ein großer Techniker wie Archimedes; unvergeßlich war im Altertum diese Leistung: bis endlich doch der Hunger die Übergabe erzwang (i. J. 196). Severus frohlockte; er hatte es im voraus gewußt: ihm sollte nichts mißlingen. Aber sein Jähzorn war maßlos. Alle Kämpfer ließ er über die Klinge springen, die Stadtmauern schleifen; ja auch die Stadt selbst gab er schließlich der Zerstörung 45 preis. Byzanz sollte hinfort ein Dorf sein. Später, ja, wohl schon ein Jahr danach, hat er die Stadt jedoch selbst wieder aufbauen lassen; das ist die Art damaliger Despotie; Octavian hatte es ja einst mit Perusia nicht anders gemacht. Ein solches Städtebauen, wie man es damals betrieb, haben wir heute völlig verlernt. In seiner Selbstbiographie scheint Severus die Sache so dargestellt zu haben, als hätte sein Sohn Basianus, der Knabe, ihn zum Wiederaufbau überredet. Er wollte damit gewiß nur die eigene Inkonsequenz bemänteln und zugleich seinen Sohn beliebt machen. In Wirklichkeit hatte er erkannt, daß ein solcher Welthandelsplatz sich nicht einfach ausradieren läßt; das Bedürfnis erzeugt ihn immer wieder.

Der aber würde weit irre gehen, der in Severus nur den wilden Mann, den Scharfrichter, das herzlose Werkzeug des Schicksals sieht. Er war Mensch zu Menschen, voll von geistigen Interessen und für die feinen griechischen Redner, die Populärphilosophen, die, voll Begeisterung für ihre Heimatstädte, über politische und religiöse Fragen der Vergangenheit und Gegenwart eifrig handelten, gern zu sprechen. Er hatte jetzt eben einige Muße, und nahm seine Beziehungen zu Athen wieder auf. Julia Domna, die Kaiserin, unterstützte ihn hierbei, sie, die späterhin die Philosophin hieß. Wäre uns doch in dies ihr Privatleben ein etwas deutlicherer Einblick gewährt! Nur Philostrat, der kluge, der damals am Hofe verkehrte, plaudert uns darüber einiges aus. Einen jener Literaten machte Severus alsbald zum Erzieher seiner Söhne und ehrte ihn sogar mit dem Konsulat. Einem anderen wollte er fürsorglich eine Frau verschaffen; leider war die Person nicht hübsch genug, und der Plan schlug fehl. Eben denselben Schriftsteller (er hieß Hermokrates), bewunderte Severus so sehr, daß er im echten Stil des Kalifen sagte: wünsche dir jede Kostbarkeit, ich will sie dir geben. Der Grieche, ein Feinschmecker, wünschte sich dann nur ein Rebhuhn, aber mit einem seltenen Gewürz dazuλιβανωτός; Philostrat II. S. 111 ed. Kayser., das kaum noch aufzutreiben war. Severus ließ ihm wirklich ein Quantum davon im Wert von 50 Talenten kommen und errötete dabei, weil 46 die Gabe so gering sei. Auch als Schiedsrichter bei schöngeistigen Konkurrenzvorträgen trat er auf; aber er war dabei bisweilen von seinem Generalstab, den Offizieren in großer Uniform umgeben, und der martialische Anblick bewirkte, daß der Sprecher nervös wurde und den Faden verlor. Ein Theaterdichter hatte irgendwo im Wettbewerb einen Preis gewonnen; der Mensch war aber Byzantiner und mußte den Zorn des Kaisers fürchten, der ja mit Byzanz im Krieg lag. Selbst im Dichterwettkampf durfte es nicht heißen: der Byzantiner hat gesiegt. Hernach aber hat Severus den Poeten (er hieß Clemens) wie es scheint, durchaus gut behandelt, wie er denn überhaupt ein Liebhaber und Förderer des Theaterwesens warVgl. zum Voraufgehenden Philostrat, Vitae sophist. p. 103 u. 111 ed. Kayser. Die Geschichte vom Theaterdichter Clemens, ebenda p. 115. Vielleicht hat Severus eben diesen Clemens dann selbst nach Rom berufen; darauf führt hin, daß er, wie wir bei Herodian III, 8, 9 lesen, von allen Seiten μοίσης ὑποκριτάς nach Rom kommen ließ. Noch sei erwähnt, daß dem Severus zugleich mit seinem Sohne auch das umfangreiche griechische Gedicht Oppians über den Fischfang gewidmet ist..

Ihm hatte geträumt, die Welt läge friedvoll in seiner Hand und er spiele darauf wie auf einer Harfe. Der Traum begann sich zu verwirklichen. Das Schicksal aber begann wieder zu schieben; die Sterne riefen. Severus machte erst noch eine militärische Demonstration gegen die Parther und befestigte in Mesopotamien den großen Handelsstapelplatz Nisibis und andere Plätze. Dann ging er nach Rom, und seine Herrschermiene war voll Grimm. Er ließ die Maske fallen. Im Senat saßen Anhänger des Niger, also Rebellen. Er stellte sie unter Anklage; dann gab er ihnen eine Galgenfrist. Es galt erst noch den letzten großen Streich zu führen. Denn Albinus lebte noch.

Er hatte des Albinus Herrscherrechte ausdrücklich anerkannt. Aber das waren Worte. Er mußte zum Ziel und schickte tückisch Mörder aus. Solch ein Dolchstoß war zwar niederträchtig, aber nützlich; denn lebte Albinus nicht, so brauchten die Heere nicht erst zu kämpfen; es wurde viel Blut gespart; es gab keinen Bürgerkrieg. Aber auch Albin war klug; er folterte die Abgesandten, die von Severus Briefe brachten, und sie gestanden.

Auch Albinus, der kraushaarige, stammte aus Afrika. Der Afrikaner stand jetzt gegen den Afrikaner. Die Sachlage war nicht leicht. Ganz Frankreich und Spanien waren inzwischen zu dem Beherrscher Englands abgefallen, und mit ausgezeichneten Heereskräften stand Albin schon bei Lyon, als Severus 47 auf ihn stieß, am 18. Februar d. J. 197: angeblich 150 000 Mann auf beiden Seiten. Es war die letzte Glücksprobe. Severus beschloß zum ersten Mal, die Schlacht selbst zu leiten. Der Himmel wollte ja seinen Sieg. Aber seine Truppen standen nicht; in hartem Kampf wurden sie schließlich geworfen. Der Herr ritt schließlich selbst ins Getümmel und fiel vom Pferde. »Der Kaiser ist tot«, hieß es. Erst danach brach Laetus, der General, der bis dahin seine Legionen zurückgehalten hatte, vor und entschied den Sieg zu des Severus Gunsten. Severus aber war nicht tot, und Laetus kam in den Verdacht, daß er sich absichtlich zurückhielt, daß er des Severus Fall benutzen wollte, um selbst Kaiser zu werden, und er hat später sein Verhalten mit dem Tode gebüßt.

Albinus war eine der hervorragendsten Persönlichkeiten, der weithin menschliche Sympathien genoß, beiläufig auch DichterEr dichtete Novellen, milesische Geschichten, wie wir sie aus dem munteren Apulejus kennen.. Was lag daran? Wie der Tiger nach dem Kampfe noch rast, ließ Severus seinen Leichnamen zerstückeln; der Kopf wurde auf den Spieß gesteckt und nach Rom getragen. Die Herren Senatoren sollten ihn sehen. Denn der Senat hatte schon Geldstücke auf des Albinus Namen zu prägen begonnen; auch im Archiv des Albin fand Severus Briefe von Senatoren, und so folgte nun endlich in Rom das Blutgericht. Die Anhänger des Niger und des Albin wurden denunziert und getötet, auch politisierende vornehme Frauen nicht geschont, nicht nur in Rom, sondern auch in Frankreich, Spanien, und ihre großen Vermögen konfisziert. 29, nach anderen 41 Senatoren ließ er sterben. Das Geld war willkommen. Sich selbst bereicherte Severus damit. Neben dem Staatsfiskus steht jetzt im Staatshaushalt die kaiserliche Privatkasse, in die die Gelder fließen. So war Severus der Mann des Schreckens. Er sagte es selbst: Sulla ist mein Vorbild, nicht Julius Caesar. Und er hatte Recht: Caesar hatte seine Gegner geschont und dies mit dem eigenen Tode büßen müssen. Sulla hatte sich behauptet, ebenso aber auch der vielgepriesene Octavian, der den Senat massakrierte, um dann 50 Jahre als Augustus in Frieden zu herrschen.

48 In alledem zeigt sich eine unerbittliche Folgerichtigkeit. Warum sollte Italien mehr Einfluß im Reich haben als alle anderen Länder? Das betraf eben den Senat; der Senat machte nur Schwierigkeiten. Man mußte ihn vor Schrecken stumm machen. Des Severus Dynastie sollte sich nicht auf Rom, sondern auf das Gesamtreich stützen.

Mit hellem Lachen erzählt uns der Senator Dio einmal von den Stimmungen, die im Senat herrschten. Es war keine rühmliche Gesellschaft (die Sache spielt allerdings einige Jahre später). Über den Senator Apronianus, der in Asien stand, verlautete, ein Orakel habe verheißen, er würde Kaiser werden. Damit war der gefährliche Mann dem Tode verfallen. Severus teilte nun dem Senat mit, es gebe unter den Senatoren in Rom noch einen geheimen Mitwisser jenes Orakels; der Senat selbst solle feststellen, wer der fragliche Mann sei; einziges Merkmal sei, er habe einen Kahlkopf. Alle die vielen Glatzköpfe im Senat erstarben da gleich vor Schreck. Man spähte nach allen Glatzen und rief durcheinander: »Der ist's! nein, der!« »Ich griff mir selbst nach meinem Schädel«, sagt Dio, »um nachzusehen, ob ich meine Haare noch hätte. Zum Glück waren sie wirklich noch da.« Die Sache verlief unerfreulich genug; man einigte sich schließlich darauf, einer sei wirklich der Gesuchte, und der unselige Kahlkopf wurde sofort von seinem Rumpf getrennt. Der geängstete Senat verfügte selbst eilfertig eine Hinrichtung, die Severus gar nicht befohlen hatte.

Severus war nun Herr der Welt. Er atmete auf. Jetzt konnte er versuchen, das Instrument zu spielen, von dem er geträumt, und die Welt mit Harmonie und Wohlklang zu erfüllen. »Wer die Einheit des Reiches retten will«, sagte er, »darf für kurze Zeit das Blut nicht sparen, um für den Rest seines Lebens Menschenfreund zu sein«Aurelius Victor c. 20. Solche Aussprüche dürfen wir für echt nehmen; sie können ganz wohl aus des Severus Selbstbiographie stammen.. Er wollte es lernen, sein wildes Temperament zu zügeln. So hatte es auch Octavian gemacht. In diesem Sinne hatte er schon vorher eine Namensänderung vollzogen; er nannte sich offiziell Sohn des Markus, als hätte Mark Aurel ihn adoptiert; Antoninus nannte er auch gleich 49 seinen älteren Sohn Basianus. Das war sinnvoll und wie ein Programm. Eine Kontinuität in der Kaiserfolge war damit hergestellt, und die Prinzipien der Antonine sollten wieder herrschen; denn man wußte es noch: die Antoninenzeit, das war die goldene Zeit gewesenEs war nur folgerichtig, daß Severus zum Entsetzen Roms sogar die Statuen des erbärmlichen Commodus wieder aufrichten ließ und ihn unter die vergöttlichten Kaiser aufnahm; denn auch Commodus gehörte zu den Antoninen..

Natürlich setzte da gleich auch der Spott ein. Denn des Severus rechter Vater war für Rom eine Null; nun hieß es: »unser Kaiser hat endlich einen Vater bekommen.« Severus nahm den Spott nicht übel.

Man tadelte, daß er so viel Gelder raffte, die konfiszierten Vermögen an sich zog. Aber er konnte nicht bestehen ohne ein starkes Hausvermögen. Woher es nehmen? Für seine Person trieb er durchaus keinen Luxus. Seinen Sohn Geta lachte er aus, wenn er sein Taschengeld dazu benutzte, sich kostbar und elegant zu kleiden, und ging selbst in einer geringwertigen Tunika, an der kaum etwas Purpur zu sehen war, einher; darüber ein griechischer Mantel aus rauhem StoffVgl. Herodian II. 11, 2 u. III, 8, 5. Vita. des Geta 5, 2; Vita des Severus 19, 7.. Sein Privatleben war allem Anschein nach tadellos, so auch sein Eheleben. Für das Treiben seiner Frau und ihres üppigen weiblichen Anhangs, von dem noch zu reden sein wird, war er nicht verantwortlich. Sein Sport war der Fischfang; mit sicheren Bootsleuten fuhr er aufs Mittelmeer hinaus und freute sich, wenn die Beute zappelnd am Angelhaken hingDies schildert Oppian, Halieutika I, 69..

Ein Herr über drei Weltteile mußte mit Milliarden um sich werfen können. Es galt fortan nicht nur die Garde in Rom, nein, alle Truppenkörper in den Reichsländern, 200 000 Mann und mehr, persönlich an sich zu fesseln. Auf unbedingter Ergebenheit beruhte das Regiment. Es sollte kein Niger und Albinus irgendwo in der Welt wieder erstehen. »Mehr Lohn oder wir streiken!« das war damals der Ruf der Soldaten in den Kasernen, wie es heute der Ruf der Arbeiterlegionen in den Fabriken ist. Nicht nur Sold, auch außerordentliche Dotationen wurden oft nötig, und aus der Privatschatulle des Kaisers waren die Gelder zu zahlen. Mehr noch: auch in die Zivilämter brachte Severus vielfach jetzt OffiziereVgl. O. Hirschfeld, Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten, 2. Aufl. S. 421; Fuchs, Geschichte des Septimius Severus S. 39.; auch die 50 Verwaltung begann durch ihn militarisiert zu werden, und alle diese Beamten waren hinfort durch Besoldung und Militäreid an den Kaiser persönlich geknüpft. Damit steigerte sich die Zentralisation, und das Kaisertum war jetzt Soldatenkaisertum, die Soldatenkaste privilegiert. Goldene Ringe gestattete Severus den Soldaten zu tragen und tat auch sonst viel für ihr WohlbefindenEin Veteran kann, wenn er straffällig wird, doch nie den Tieren vorgeworfen noch in die Bergwerke geschickt werden noch Prügelstrafe erleiden: Dig. 49, 18, 1 ff.. Der Jurist Menander, der im kaiserlichen Kronrat saß, schrieb ein neues Werk über Militärrecht, ein anderer Jurist über die Sicherung des Privatvermögens der SoldatenTertullian, De peculio castrensi.. Doch ließ Severus es nicht zum Übermut kommen; bei Einquartierung legte er es den Soldaten auf, die bürgerlichen Familien nicht zu drücken und zu belästigenDuruy, Histoire des Romains VI, S. 66 u. 111. Ein Soldat, der im Bad etwas stiehlt, wird mit Schande entlassen: Digest. 47, 17, 3.. Gab es keinen Kampf, so mußten sie Straßen bauen und andere Friedensarbeit verrichten. Praktisch war es übrigens auch, daß er gewisse Provinzländer in Teile zerlegte, also die Regierungsbezirke verkleinerteSo wurde Britannien in zwei Provinzen mit getrennter Verwaltung zerteilt, Numidien von der Provinz Afrika, Phönizien von Syrien getrennt.. Die Gouverneure durften nicht zu viel selbständige Macht gewinnen, nicht auf zu breiter Grundlage stehen.

Aber der Friede, er war noch nicht da. Es war das Jahr 197. Der Kaiser sehnte sich gewiß nach Rast. Allein er hatte bisher nur Bürgerblut vergossenAuch zogen sich die Verfolgungen der Anhänger des Niger in den Provinzen noch etliche Jahre hin; vgl. Vita 15, 4; Tertullian Apol. 35.; seine Ehre forderte, daß er auch einen auswärtigen Krieg geführt habe. Die Germanen reizte man nicht gern; darum zog er gegen die Parther. Die Parther rückten eben gegen Nisibis vor; es galt sie zu strafen. Und er strafte sie. Mit der gewohnten Umsicht betrieb er die Sache. Palmyra und Edessa ließ er gesichert in seinem Rücken und nahm siegreich Babylon und Ktesiphon am Tigris. Im Grunde war es jedoch nur einer der vielen Grenzkämpfe, die sich seit des Crassus Zeit immer wiederholten. Dauernde Eroberungen beabsichtigte er nicht. Ihm genügte die mächtige Beute, die er fand.

Gleichwohl ging sein Ehrgeiz dahin, Trajan, den siegreichsten aller Kaiser, zu überbieten. Es ging um die Märchenstadt Hatra. In den oberen Strecken Mesopotamiens lebten arabische Beduinen; Hatra war ihre einzige feste Stadt; sie war kreisrund gebaut wie die Sonnenscheibe, von einer Rundmauer 51 eingeschlossen; dem Sonnengott war die Stadt geweiht. Trajan hatte sie im Jahre 116 umsonst belagert und umritten. Jetzt ließ Severus alles, was die damalige Technik, die Ballistik, an Belagerungsmaschinen besaß, durch die öden Steppen herbeischaffen. Die Aufgabe war die schwerste. Die Beduinen gefährdeten die Transporte. Nirgends Trinkwasser; nur Salzwasserlachen. Kein Gras wuchs, nur bitterer Drachenwurz und Absinthkraut war zu finden; man mußte die Kamele, die Zugtiere schlachten, um zu lebenSo war es wenigstens später, nach Ammian. Marcellinus 25, 4, 6.. Einerlei! Er, der Byzanz bezwang, sollte Hatra nicht zwingen? Priskus, den Verteidiger von Byzanz, hatte er jetzt als Helfer bei sich. Er hatte den genialen Mann weislich geschont. Aber der Feind trotzte, ja, er steckte den ganzen Belagerungspark in Brand, und Severus war so gut wie entwaffnet; er mußte abziehen. Mit brennendem Naphta kämpfte der Araber, jenem Naphtaöl, das dort auch heute noch am Kaspischen Meer aus der Erde quillt. Des Kaisers Starrsinn empörte sich. Er rückte von neuem an. Wieder wirkten die Brände zerstörend; jetzt aber gelang es den Römern schließlich doch, in die Mauer Bresche zu legen. Sie drangen ein. Da verbot ihnen Severus das Plündern; das Heiligtum des Sonnengottes mit seinen Schätzen sollte auf alle Fälle geschont werden. Die Truppen gingen zurück und stürmten nicht wieder. Sie murrten und versagten den Gehorsam. Der Konflikt war da. Der Mann, dem alles glückte, mußte unverrichteter Sache abziehen. Natürlich hieß es dann, der Sonnengott selbst rettete die StadtDio 75, 12..

Der Senat bot ihm alleruntertänigst den Triumph an. Severus lehnte ab; er war überhaupt kein Mann des Prunkens. Darauf erbaute der Senat voll Eifer ihm zu Ehren den Septimius-Severusbogen; es ist der Triumphbogen, der noch heute steht. Jedem, der heut das ehrwürdige Forum Romanum betritt, fällt er zuerst in die Augen. Denn auf dem Trümmerfeld des Forums reckt er sich als das einzige unbeschädigte Bauwerk; er ist zugleich das einzige, das des Kaisers Namen für immer lebendig hält. An die betonteste Stelle setzte der Senat den Bogen, unmittelbar neben die »Rostren« und vor seinen eigenen 52 Senatssaal; über Treppenstufen strömte das Volk hindurch, denn er stand hoch. Aber mir war es immer, als drückte der Bogen sich verlegen vor mir zur Seite und spräche: »Verzeih, daß ich so geschmacklos bin«. Denn er ist mit Illustrationen aus dem Krieg an allen möglichen und unmöglichen Stellen bedeckt, wie ein edles Schloßportal, an das ein Nichtsnutz von oben bis unten Reklamezettel geklebt hat. Es wirkt wie Ausschlag. Und so erblicken wir in dem Bogen zugleich das erste namhafte Denkmal für den Verfall der klassischen Kunst. Nicht zwar die Baukunst verfiel, wohl aber die Dekorationskunst. Der alte echt griechische Geist, der noch in Kaiser Hadrian so schönheitssüchtig sich regte, erstickte jetzt unter dem Einfluß des Afrikanertums und des Semitentums. Das Leben im Bilde erlosch; es siegte das Unlebendige.

Severus aber hatte Besseres zu tun. Er widmete sich als Neuordner der Verhältnisse im Reich einem aufreibenden Reise- und Wanderleben. Von Provinz ging es zu Provinz, nach Syrien, Palästina, Ägypten, dann Nordafrika entlang, dann wieder nach Syrien, endlich in die Balkanhalbinsel. Wirres galt es zu schlichten, Übles zu bessern, ohne Ende. Er war ein Mensch, sagt Dio, den alles interressierte, und nichts ließ er unerforscht. Das betraf vor allem Ägypten, das Reich der Felsentempel und Pyramiden, das eigentliche Kronland der Kaiser. Den Nilstrom fuhr er aufwärts bis nach Luxor und hat noch lange von den Eindrücken, die er da gewonnen, gezehrt. Bewundernswert, wie er die arabische Wüstenstrecke jenseits des Jordan, das Land des Durstes, wo auch heute wie damals der Mensch nur als Nomade lebt, der Kultur erschloßDuruy, Histoire des Romains, VI, S. 66.. Es geschah nicht nur aus übler Laune, daß er in Alexandria das Grab Alexanders des Großen schließen ließ; an dies Grab knüpfte sich noch immer eine übertriebene Verehrung der BevölkerungMan lese nur Herodian IV, 8, 9. Auch gegen die Zauberei trat Severus in Ägypten auf und ließ alle Zauberpapyri sammeln und zerstören (ἀνεῖλε). Diese Mitteilung Dios ist von Fuchs, Geschichte des Septimius Severus S. 87, falsch verstanden.. Er wollte, die Ägypter sollten sich als Römer fühlen. So hat er in derselben Weltstadt auch einen Senat nach Roms Vorbild eingesetzt und ihr die Autonomie gewährtÜber einen Papyrus, der den Aufenthalt des Severus in Ägypten betrifft, vgl. Klio, Bd. VII, S. 131.. Ja, es ist, als hätte er sich zeitweilig sogar schon mit dem Gedanken Constantins des Großen 53 getragen, die Residenz des Weltreichs nach dem Osten zu verlegen. Denn auch Byzanz, das zukünftige Constantinopel selbst, schmückte er nunmehr mit den glänzendsten Bauten, so daß die Stadt sich jetzt nach ihm geradezu die Antoninstadt nannteἈντωνινία., wie sie später die Constantinstadt genannt worden ist.

Als er endlich nach Rom zurückkam, im Jahre 202, war er ein kranker Mann. Das unstete Leben, der Klimawechsel in jenen Ländern hat auch so starke Naturen wie den Trajan und Hadrian früh zerrüttet. Es war nicht Sache der römischen Kaiser, alt zu werden. Die Welt aber begann sich allmählich ihres Herrschers zu freuen. Zahlreiche Inschriftensteine, die noch erhalten sind, bezeugen uns, wie er im Reich (sogar auf der Insel Cypern) Straßen baute, Kastelle anlegte, den Stadtgemeinden mannigfache Hilfe bot. Auch für Spanien ist das bezeugt. Die Inschriften nennen den Severus lobpreisend den restitutor, den fundator pacis und ähnlich. Vor allem wurde Afrika damals erst durch Severus' Fürsorge zu einer den anderen Reichsländern ebenbürtigen Provinz; Severus erfüllte damit nur eine Herrscherpflicht. Die in Dörfern verstreuten Stämme Nordafrikas wurden in Stadtgemeinden gesammelt, ungezählte Städte mittlerer Größe geschaffen, für Bewässerung der Feldwirtschaft gesorgt.

Rom aber blieb ihm, so machtlos es jetzt war, schließlich doch noch immer die Kaiserstadt; es war doch immer die Stadt, die dem Weltreich den Namen gab. Auch hatte sich das Stadtvolk nicht zu beklagen. Meisterhaft hat Severus die Kornversorgung Roms organisiert; die Speicher bargen Vorräte für Jahre. Dem Altertum fehlte die Butter; es kochte nur mit Öl; Severus legte der Landwirtschaft Tripolis in Afrika, die er gegen Beduineneinfälle gesichert hatteÜber Tripolis und die Sicherung seiner Grenzen s. Kornemann, Klio, Bd. VII, S. 111., auf, zum Dank dafür in alle Zukunft Rom gratis mit Öl zu versorgen; das ist gerade so, als würde heute Frankreich verpflichtet, zum Dank für seine Befreiung gratis ausreichend Kochbutter nach New York zu liefern. Auch reiche Spiele gab er: panem et circenses! Vor allem gedachte er der Gründung Roms und beging 54 großmächtig ein Jahrhundertfest der Gründung der ewigen Stadt. Die alte Ruhmsucht Roms lebte sich da noch einmal aus. Welchen Dank er sich von den verschiedenen Berufsständen verdiente, daß verraten uns die Silberschmiede (argentarii), deren Innung dem Kaiser den hübschen kleinen Ehrenbogen auf dem Velabrum setzte, der da noch heute steht; die uralte Kirche S. Giorgio ist an ihn angelehnt. Die zahlreichen Bauten, mit denen Severus selbst dann Rom und Italien schmückte, namhaft zu machen, ist unmöglich. Es waren vorzugsweise Werke der Nützlichkeit und nicht des PrunkesIch erinnere nur an die große kreisrunde Säulenhalle des Viktualienmarktes (macellum) in Puteoli, dem damaligen Haupthandelshafen Italiens (heute Puzzuoli); Severus hat diese Halle glänzend restauriert; die Kolossalsäulen stehen zum Teil heute noch..

Der Friede war jetzt da, der Weltfriede, und Severus konnte nun zeigen, daß er sich nicht Selbstzweck, sondern daß er ein Diener der Welt, die er beherrschte, war. So stand es in den Sternen. Täglich trat er in der frühen Morgenstunde mit seinem Kronrat (consistorium) zusammen und beriet mit ihm die laufenden Dinge. Es wurde da abgestimmt; in Zweifelsfällen entschied der Kaiser. Dann kam die Tagesarbeit; vor allem die Rechtsprechung. Ihr widmete er sich auf das eifrigste. Persönlich saß er wie Mark Aurel tagtäglich als Richter in den großen Prozessen, und es wird uns gerühmt, daß er gleichbleibend gerecht urteilte, vor allem die Verteidigung ausreichend zu Worte kommen ließ. Freilich tat er dies nicht mehr öffentlich in einer der Volkshallen auf dem Forum, sondern in seinem Palast, und entzog die Verhandlungen der Neugier des müßigen Publikums. Im gleichem Geist beeinflußte er die Gesetzgebung. »Ich stehe zwar über dem Gesetz, aber ich will nach dem Gesetz leben«, war sein AusspruchJustinians Institutionen II, 17, 8.. An vielen Stellen liest man noch heute seinen Namen in den Pandekten; da redet er selbst zu uns, knapp und sachlich; es handelt sich immer um sorglich erwogene Bestimmungen, und aus allen spricht durchweg ein wohlwollender Geist. Nichts aber ist denkwürdiger, als daß in seinem Kronrat die größten Juristen gesessen haben, die das kaiserliche Rom je besaß: es war das Dreigestirn Papinian, Ulpian und Paulus, dazu auch der schon erwähnte Menander. Papinian und Ulpian stammten aus Syrien; im Orient hat der 55 Kaiser diese Männer entdeckt, und er brachte sie mit nach Rom. Regulierung des Lebens durch das Recht: diese Männer wurden dafür die wichtigsten Lehrmeister durch zwei Jahrtausende bis heute; es betrifft Handel und Verkehr, Geldgeschäft, Schuldner und Gläubiger, Depositen, Servituten, Pfand und Hypothek, Erbrecht, Mitgift, Pflichten des Vormunds, Strafrecht, Sicherung der öffentlichen Anlagen, Behandlung des Arbeiterstandes usf. Natürlich mußten sie ihre Bücher lateinisch schreiben, und sie taten es meisterhaft. Papinian ist hierfür der erste große Klassiker, sein Edelsinn weltberühmt: man nannte ihn das Asyl des Rechts. Sehen wir in seine Schriften hinein, so nennt er den Kaiser da regelmäßig optimus imperator noster SeverusDigesten 31, 67, 9; 50, 5, 7; vgl. auch 22, 1, 6.. Das ist wie ein Zeugnis.

Jeder weiß, daß es die stoische Ethik war, die in diesen Juristen wirkte; sie bringen die Erfüllung der gesellschaftlichen Forderungen, die Seneca, der Stoiker und Staatsmann, einst für Rom aufgestellt hatte. Die Härte im Recht wich, die Menschlichkeit, die Billigkeit waltet; ausdrücklich wird das oft gesagt, das Unbillige (iniquum) abgelehntVgl. z. B. Digest. 13, 5, 1; 25, 7, 2; 37, 6, 1; 48, 5, 14 u. 5, 16; benignitas 48, 19, 11. aequitas des Severus 48, 17, 1 u. 19, 31. Milderung von Strafen 48, 19, 42; 49, 1, 1.. Das ius ist die ars boni et aequi; damit hebt Ulpian in den Digesten an. Allen Menschen soll gleiche Sicherheit gegeben werdenDigest. 48, 19, 26 med..

So hat die Zeit des Severus der Nachwelt das wertvollste gegeben, was wir der römischen Kultur überhaupt verdanken. Dies scheint nicht zu viel gesagt. Der Herbst war da; die heitere Schönheit des Lebens der Antike ging damals zur Neige; sie blühte ab. Aber der Herbst ist die Zeit, wo die Früchte reifen. Der christliche Kaiser Justinian hat das kosmopolitische Recht, das damals reifte, ehrfürchtig kodifiziert und zu dem seinen gemacht und für uns und alle Zukunft gerettet.

Und Severus selbst? Feste Gesichtspunkte stellte er auf. Niemandem dürfe in absentia der Prozeß gemacht werden, so entschied er; denn das verbiete die BilligkeitDigest. 48, 17, 1.. Ein Angeklagter darf nur am Tatort abgeurteilt werdenDigest. 49, 16, 3. usf. Die abgöttische Behandlung der Kaiserstatuen schränkte er einDigest, 48, 4, 5.. Unendlich wichtig war die Behandlung der Sklaven; zahlreich sind 56 seine Bestimmungen hierüber. Wir können hierbei nicht verweilenWeitere Entscheidungen des Severus finden sich z. B. Digest. 1, 93; 1, 12, 8 u. 30; 1, 16, 6; 4, 4, 3; 19, 2, 49; 23, 2, 20; 27, 1, 10; 37, 14, 3 u. 4; 47, 11, 4; 47, 12, 3; 48, 5, 2; 48, 5, 14; 48, 13, 12; 49, 1, 7; 49, 14, 22. Den Freigelassenenstand betrifft die wohlwollende Bestimmung über das Vermögen der verurteilten Freigelassenen, 37, 14, 4 u. 48, 4, 9. Übrigens redigierte Papinian z. T. die Erlasse des Kaisers; vgl. Archiv f. Lex. VII, S. 614.. Die wohlwollende Haltung geht durch alles hindurchDas benignissime rescripsit gilt Digest. 37, 14, 4 von ihm.. Vor allem stemmte er sich gegen das üble Eheleben auf; er wollte eine Gesundung der ehelichen Verhältnisse, wie sie schon Augustus, dann Seneca angestrebt hatten: ein Idealismus, der ihm Ehre macht; es war natürlich vergebens. Damit aber hängt eine Anordnung zusammen, die das Heer betraf. Die Soldaten dienten im Heer volle 20 Jahre lang und durften in all der Zeit nicht heiraten. Daraus entstanden natürlich in den Heerlagern die wildesten Verhältnisse. Man male sich aus, wie viele uneheliche Kinder damals herumgelaufen sein müssen. Severus erkannte es als soziale Pflicht, hier einzugreifen, und gestattete den Soldaten eine Frau zu nehmen. Rechtlich galt diese Ehe zwar nur als Konkubinat, aber die Kinder hatten doch nun einen legitimen Vater. Das war gewiß heilsam. In die weiten Kreise jener rohen Mannschaften wurde dadurch der Familiensinn getragenMan warf dem Severus vor, er habe dadurch die Soldaten verweichlicht, die Disziplin gelockert. Dieser Vorwurf scheint ziemlich sinnlos. Denn auch schon vorher verkehrten die Soldaten natürlich regelmäßig in Frauenhäusern, die sich in dem Krämerrevier befanden, das bei keinem Militärlager fehlte; nachdem durch Severus ein festes Konkubinat gestattet war, wohnte die Frau natürlich gleichfalls da draußen in den canabae und nicht etwa mit dem Soldaten in der Kaserne. Die Disziplin konnte durch Regulierung der Verhältnisse nur gewinnen..

So waren die Tage für den Kaiser mit drangvoller Arbeit ausgefüllt. Ob er auch noch Zeit für Muße und für literarische Freuden fand? Gewiß, er schrieb seine Selbstbiographie. Auch hören wir, daß er sich mit einer vornehmen Römerin, Arria, deshalb befreundete, weil sie den Plato lasGalen Bd. XIV, S. 218 ed. Kühn.. Das gibt etwas Einblick in seinen Verkehr mit Frauen und den Austausch geistiger InteressenIch erwähne hier noch einige Rhetoren oder Populärphilosophen, die dem Hof näher traten: Antipater, der die Prinzen erzog und ein Leben des Severus schrieb; Philiskos, den die Kaiserin begünstigte; Aspasios von Ravenna, kaiserlicher Sekretär, dann Professor in Rom; Fronto von Emesa, der gleichfalls als Sophist in Rom wirkte; vgl. W. Christ, Griech. Literaturgeschichte II, S. 606 f.. Es verlohnt festzustellen, daß Platos Buch vom Idealstaat damals ein Leitbuch für die römischen Kaiser war. Sie lockte der Grundgedanke des Buches, der da fordert, daß der Philosoph im Staat herrschen sollDaß Hadrian seine Reichsverwaltung nach Platos Staat einzurichten versuchte, steht mir fest (vgl. Römische Charakterköpfe, S. 304). Auch Alexander Severus werden wir späterhin als eifrigen Leser des Werkes kennen lernen; auch Julian, sogar Zenobia. Man beachte auch, daß sogar die Digesten 50, 11, 2 Platos Staat wörtlich zitieren; dies tut dort der Jurist Callistratus, Zeitgenosse des Severus und des Papinian. Wie man Platonismus mit Stoizismus oder Cynismus verband, zeigt Maximus Tyrius sehr schön. Er predigte zur Zeit des Commodus griechisch in Rom; seine erhaltenen Predigten handeln u. a. über die Frage, ob man den Beleidiger wieder kränken soll, über Nächstenliebe, ob Götter Bildnisse haben sollen.. Das wichtigste aber endlich ist, daß durch Severus sich Dio, der Senator, zur Schriftstellerei treiben ließ; so wurde Dio damals zum größten Historiker Roms nach Livius; die römische Reichsidee lebte in ihm wie in dem Kaiser.

Bisher hatten die Sterne nicht getrogen. Ein fabelhafter Aufstieg, wunderbares Gelingen; die Reichseinheit gesichert; die Dynastie, die neu begründete, unangefochten, ja, schließlich sogar des Beifalls froh! Mit blutigen Händen Segen spendend, 57 so stand dieser Kaiser da; so brauchte ihn das Schicksal, so wollte es ihn. Er fühlte sich, wie er war, stark als Werkzeug in des Schicksals Hand. Aber schon nahten die grellen Enttäuschungen. Die ihm am nächsten standen, brachten sie ihm. Wehrlos sah er sein Glück in Scherben gehen. In der Glyptothek in München steht der ausdrucksvolle Marmorkopf des Severus; man braucht ihm nur ins Gesicht zu sehen: wie verändert ist da der Ausdruck! Resignation, schmerzvolles Verzagen, ein stummes Bitten um Mitleid spricht aus diesen edlen Zügen.

Hier gilt es endlich von Plautian zu reden. Plautian war des Severus Jugendfreund, der Gespiele seiner Knabenzeit; auch er ein Afrikaner. In Freundschaft blieb Severus mit ihm ganz verwachsen und tat alles für ihn. Die höchste Macht im Reich, die zu vergeben war, gab er ihm schließlich; er machte ihn zum Präfekten der neu umgestalteten Kaisergarde in der Hauptstadt; ja, den eigenen Sohn Antoninus, den man im Volksmund auch Caracalla nannte, vermählte er mit dessen Tochter Plautilla. Auch in den Orient mußte der Freund ihn begleiten. Das frech breitspurige Auftreten dieses nach Macht durstenden Emporkömmlings fiel allen auf; Severus übersah es. Der Kaiser lebte einfach; Plautian protzte in sultanischer Pracht. Wollte der Kaiser etwas von ihm, so ließ der Mann die kaiserlichen Abgesandten nicht vor; der Kaiser mochte selber kommen. Die Stadt Rom terrorisierte er, als wäre er der Herr; willkürliche Justizmorde häuften sich, die er beging, um sich zu bereichern. Severus wollte es nicht wahrnehmen. Wie ein höheres Wesen schritt er mit seinem Gefolge über die Straße; kein Mensch durfte es wagen ihn anzusehen; seine Platzmacher verboten es. Sein Machtanspruch wuchs mehr und mehr. Inmitten der Bilder der kaiserlichen Familie ließ er seine Standbilder öffentlich aufrichten. Das Volk im Zirkus rief de Plautian ermutigend zu: »Warum so ängstlich? Greif zu! Du bist ja schon mächtiger als das Kaiserhaus.« Caracalla, der Sohn, durchschaute den Mann und warnte den Vater. Severus wollte das Offenkundige nicht glauben. »Eher stürzt der Himmel ein, als 58 daß dem Plautian von Severus ein Leid geschieht«, sagten die Leute. Diese Blindheit ist nur begreiflich, wenn wir annehmen, daß irgendein Sternorakel oder sonst eine Wunderstimme ihn an diesen Menschen kettete, so wie Wallenstein bei Schiller magisch an den Octavio gekettet ist: »Denn wißt, ich hab' ein Pfand vom Schicksal selbst, das er der treuste ist, von meinen Freunden.«

Es war im Januar 205. Plautian glaubte, der Augenblick zum Handeln sei gekommen. Caracalla war wach; er haßte Plautian wie Gift und darum auch die Plautilla; auch seinem Vater grollte er gewiß, der ihn zu dieser Ehe gezwungen. Jetzt fürchtete Caracalla für sich selber. Er hinterbrachte dem Vater, Plautian plane Mord; es gelte dem Kaiser und den Kaisersöhnen. Severus glaubte eigensinnig auch jetzt nicht.

So kam es zu der Blutszene, deren Verlauf der Hofklatsch verschieden erzählt hat.

Plautian schickt einen Gardeoffizier des Namens Saturninus mit dem Mordauftrag in den Kaiserpalast. Saturninus aber ist in Wirklichkeit kaisertreu, er läßt sich den Befehl schriftlich ausfertigen, tritt mit dem Schriftstück vor Severus und eröffnet ihm alles. Auch jetzt noch sträubt sich das Herz des Kaisers. »Unmöglich!« ruft es in ihm. Da stellt Saturnin dem Plautian eine Falle. Er läßt ihm melden, die kaiserlichen Personen seien tot; er solle nur kommen.

Es war schon Abend, als Plautian wirklich kam, gepanzert, aber mit geringem Gefolge. Er kam im Galopp mit dem Maultiergespann. Aber die Tiere stürzten unterwegs; das war ein schlimmes Vorzeichen. Bei der Dunkelheit fuhr es sich nämlich in den Stadtstraßen schlecht, die nur für Fußgänger oder nur für Schrittfahren eingerichtet waren.

Als er den Kaiser lebend findet, wird er aschfahl, aber er faßt sich rasch und weiß die Sache so geschickt zu wenden, daß Severus sich auch jetzt beschwichtigen läßt. Da packt Caracalla die Wut. Eigenmächtig läßt er unter des Severus Augen den Schurken niederschlagen.

59 Severus hatte den Freund, er hatte auch den Glauben an den Freund verloren. Es muß das Gemüt des kränkelnden und tief abergläubigen Kaisers schwer getroffen haben. Seine stolze Selbstgewißheit, seine fatalistische Vertrauensseligkeit war zerstoßen, gebrochen. Gleichwohl hielt er auch jetzt noch darauf, daß Plautian wie jeder ehrliche Bürger bestattet wurde. Aber es kam noch schlimmer. Auch sein Glaube an die Zukunft zerbrach. Auf seinen Söhnen stand die Zukunft; für sie hatte er das Kaisertum aufgebaut, für sie den großen Hausschatz gesammelt. Aber die Söhne machten ihm tiefes Herzeleid, bis zum Gräßlichen. Sein Lebenswerk schien umsonst.

Den Antoninus Caracalla hatte er schon im Jahre 198 zum Augustus, zu seinem ebenbürtigen Mitkaiser gemacht, den Sohn Geta zum Cäsar. So erpicht war Severus darauf, seine Dynastie zu sichern. Caracalla war damals 13jährigCaracalla ist i. J. 186, Geta i. J. 189 geboren., und der junge Fant, ein Mensch von entsetzlicher Frühreife, unterzeichnete nun bald auch die kaiserlichen Erlasse mit seinem Vater. Ähnlich hatte es Mark Aurel mit seinem Sohne Commodus gehalten; aber wie Commodus, so entartete auch Caracalla rasch, und es geschah in beiden Fällen aus den gleichen Gründen.

Ein unerhörter Bruderhaß aber entzweite die Söhne. Neid, Furcht, Eifersucht mischten sich hinein. Es kam über sie wie eine Seuche. Caracalla haßte den Geta, und der Haß war gegenseitig. Geta wird uns sonst als gutartig geschildert; Caracalla war in jedem Fall der schlimmere. Schon beim Kinderspiel, bei den Hahnenkämpfen, als sie noch Knaben waren, brach die Wut los. Hernach, im großen Stadtleben Roms, bei den Wagenrennen und ähnlichen Anlässen, wurde der Zwist offenkundig und zum öffentlichen Skandal. Die Hauptstadt spaltete sich geradezu in zwei Faktionen. Jeder der Brüder hatte seine Gefolgschaft, ganze Banden, die sich bedrohten. Jeder fürchtete Mordanschläge des anderen. Hilflos sah Severus dem zu. Er mahnte und warnte; an die grausige Tragödie des Euripides erinnerte er die Söhne, wo Eteokles 60 und Polynikes, die Brüder, im Wechselmord sich töten und die Mutter jammernd über den Leichen der Söhne stirbt. Was halfen Ermahnungen? Sein Wort verhallte; aber Caracalla ging noch weiter. Der Vater war kränklich und so dumm tugendhaft! Warum starb er nicht? Wer seinen Bruder hassen kann, kann auch seinen Vater hassen.

So fielen über das Lebensende des Severus die Schatten des Grauens. Wer mag der Schuld nachspüren, die an ihm haftete? Wer selbst heimtückisch war, soll auch Tücke ernten, und wer im Gewaltsamen lebt, wie er es tat, sät Drachenzähne, und das ungeahnt Schreckliche wächst daraus empor.

Im Jahre 208 kam es noch einmal zum Krieg. Severus begab sich nach England. Im rauhen Bergland nördlich des Forth und Clyde, im heutigen Schottland, wohnten die freien Mäaten und Caledonen. Gegen sie hatte dort einst Hadrian den Hadrianswall errichtet; Antoninus Pius hatte den Wall noch verstärkt. Gleichwohl fielen die Barbaren verwüstend ins britische Land ein, dessen zunehmende Kultur sie lockte. In der Sänfte zog Severus, schwer gichtleidend, in diesen Krieg und drang wirklich tief in das schottische Hochland ein. Caracalla war mit ihm, während Geta als junger Statthalter in England zurückblieb. Die Mühen waren groß, aber auch der Sieg vollkommen. Einen Grenzwall mit festen Mauern und Kastellen ließ alsdann der Kaiser gegen Caledonien errichten; auch sonst wandte er der Insel seine letzte Fürsorge zu. Zahlreiche in England gefundene Inschriften geben davon Zeugnis. Ein schöner Erfolg war also auch jetzt errungen. Dem Caracalla aber riß die Geduld. Wollte der Vater denn ewig leben? Als Severus zur Friedensverhandlung den Feinden entgegenritt (er saß also doch noch ab und an zu Pferde), sprengte Caracalla plötzlich mit gezogenem Schwerte hinter ihm her, um ihn zu durchbohren. Nur das Geschrei des Gefolges verhinderte die scheußliche Tat. Mit welchem Ausdruck mögen da die Augen des Vaters und des Sohnes ineinander geruht haben? Auch der edle Papinian, damals Präfekt der Garde, 61 war bei dem Gespräch zugegen, als Severus dem Entarteten die Schandtat vorhielt: »Hier ist das Schwert«, sagte er; »töte mich jetzt noch, mein Sohn, wenn ich dir im Wege bin, oder hier ist Papinian; laß ihn mich töten, wenn deine Hand zittert.« Auch die Soldaten soll der Sohn damals gegen den Vater zum Aufstand aufgehetzt haben. Diese Anschläge mißlangen. Des Severus Schwäche aber nahm zu, und bald danach ist er in York (Eboracum) in England gestorben, 65 Jahre alt, nach einer 18jährigen Regierung, am 4. Februar 211. Laboremus war die letzte Losung, die er seiner Militärwache gab; »seid einig« das letzte Wort an seine Söhne. Man vermutet, daß Caracalla die Ärzte beredete, seinen Tod zu beschleunigen.

Das war der erschütternd leidvolle Ausgang des Mannes, der, aus engen provinziellen Verhältnissen stammend, hochfahrend sich sein Kaisertum aus den Sternen holte. Nun ruhte er, und von ihm konnte das Wort gelten:

Weg ist er über Wunsch und Furcht, gehört
Nicht mehr den trüglich wankenden PlanetenSchiller: Wallenstein, Vers 3427..

Er hätte nie geboren werden oder aber nie sterben sollen, so urteilte man nach seinem Tode. Das Wahlkaisertum, das sich seit Trajan so gut bewährt hatte, war von ihm bei Seite gesetzt; er wollte den Thron vererben, seinem eigenen Blut zu Liebe. In der Tat: hätte Severus Söhne und Enkel hinterlassen, die ihm glichen, eine neue Epoche hätte mit ihm begonnen und er stände als einer der ganz Großen in der Weltgeschichte da. Jetzt war er nichts als ein Meteor, das sprühend vom Himmel stürzt, um sich im Erdreich zu verlieren, eine ephemere Erscheinung, die auf seine Zeitgenossen den tiefsten Eindruck machte, aber die drohende Auflösung des Reichs nicht aufhalten konnte. Denn als seine Erben standen Caracalla und Geta, zwei ebenbürtige Kaiser da, die Brüder waren, aber sich tötlich haßten.

Er war der Freund der Planeten. Denken wir noch einmal hieran zurück. Wenn Severus dem altmodischen Gott Jupiter auf dem Kapitol regelmäßig sein Opfer brachteVgl. Herodian II, 14, 2: er opferte in allen Tempeln νόμῳ βασιλικῷ., so folgte er 62 dem Herkommen, aber er wird zugleich dabei an den Planetenstern Jupiter gedacht haben, der für ihn auch Himmelsgott war und der als der freundlichste Glücksstern galt. Denn als Sterngötter waren nach dem Glauben der Astrologen die alten abgebrauchten Götter immer noch wirksam; sie hatten sich in den Sternen verjüngt. So aber ist des Severus Name noch in anderer Weise mit den Planeten verknüpft. Ich meine die Woche.

Dieser Kaiser ist der Verkünder und vornehmste Prophet der Woche gewesen, und der Sieg der lieben Gewohnheit, über die heute kaum jemand nachdenkt, daß wir unser Jahr in Wochen teilen, wird allem Anschein nach für Westeuropa seinem mächtigen Einfluß verdankt. Denn die sieben Wochentage gehören den sieben Planeten.

Der Römer hatte Festtage genug, die über das Jahr verteilt waren. Aber die gleichmäßige Zählung der sieben Tage, die 52 mal im Jahre wiederkehren, kannte er nicht. Von den Juden ging dies aus. Die Juden können sich dessen rühmen, daß sie zuerst die Zeit in Wochen teilten, mit dem Rasttag des Sabbat. Aber die Juden wußten dabei nichts von Planeten. Als die Juden sich in die Welt verstreuten, hat der griechische Orient ihnen dies abgelernt und die Sache alsbald mit den Planeten kombiniert. Schon in Neros Zeiten war diese Planetenwoche in Italien in Aufnahme gekommenSeneca bezeugt es bei Augustin, Civ. dei VI, 11.. Denn sie hatte nicht nur Frömmigkeitswert; jeder mußte einsehen, wie praktisch ihre Durchführung zugleich für Handel und Wandel und jeden Berufsbetrieb ist. Nun war also der Dienstag der Tag des Marsplaneten, der Mittwoch des Merkur, der Donnerstag des Jupiter, der Freitag der Venus, der Sonnabend des Saturn, der Sonntag der Sonne, der Montag des Mondes. Die septimana war fertig.

Die Kaiserin Julia Domna war Orientalin; durch sie mag Severus dem zugeführt worden sein, und seine Phantasie, sagen wir besser, sein praktischer Verstand war dafür gewonnen. Auch war er ja selbst mit der Siebenzahl verwachsen; denn er 63 hieß Septimius, der Siebenmann, und Namen sind für Menschen seiner Art nie bedeutungslosIn welchem Grade die Siebenzahl mit der Erinnerung an Septimius Severus verknüpft war, zeigt auch der merkwürdige Umstand, daß der Historiker Marius Maximus, der des Severus Leben schrieb, die Einzelbücher, in die diese Biographie zerfiel, libri septenarii nannte, d. h. jedes Buch war schematisch in sieben Abschnitte geteilt. Das ist ein Spiel mit Zahlen, ebenso äußerlich, wie Cassiodor das erste Buch seiner Institutiones in 33 Kapitel teilte, die den 33 Lebensjahren Jesu entsprechen sollten..

So hat er nun hoch auf dem Palatin, dem Palastberg Roms, den Circus maximus überragend, das ganz einzigartige Haus der sieben Wochengötter erbaut, es ist das SeptizodiumDer Name Septizonium ist eine Verballhornung des Wortes, die früh eintrat und sich daraus erklärt, daß »zone« u. a. den Himmelsgürtel, in dem sich die Planeten bewegen, bedeutet hat. Zur Orthographie vgl. Dessau, Inscriptiones sel. n. 5076; Commodian, Instuitut. I, 7 u. W. Schmitz, Archiv f. Lex. VII, S. 272., eine großmächtige, mit sprudelndem Wasserwerk geschmückte Steinkulisse, deren Mauerreste die Archäologen noch heute studieren und deren Bedeutung der Kaiser ohne Frage durch Bildwerke und Inschrift seinem Publikum deutlich machte. Weithin verkündete der Bau dem Wanderer, der von der Appischen Straße her in Rom einzog, daß fortan die Woche, die sich nach den Wandersternen einteilt, unser Leben und Treiben beherrschen und ordnen soll, ein wohltätig ebenmäßiger Pulsschlag der Zeit, der, wie der Wechsel von Tag und Nacht und von Ebbe und Flut, den pausenlos nervös hastenden Menschengeist beruhigt. In der Tat sind die Spuren der Verehrung der zusammengruppierten sieben Tagesgötter auch sonst, und zwar just seit der Zeit des Septimius Severus, auf den Monumenten Westeuropas nachweisbar.

Das Leben wurde gleichsam modern. Und auch die christliche Kirche griff zu; sie hat nicht die jüdischen Woche, sie hat vielmehr die Planetenwoche übernommen. Durch die heidnischen Götternamen haben sich ihre Heiligen nicht stören lassen. 65

 


 


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