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Ein neues Jahr begann mit neuen Zahlen und alten Rechenexempeln. Frau Hempel erinnerte sich der vergangenen Zeiten, wo sie auf neuen Sohlen treppauf spaziert war, um Glück zu wünschen und sich selbst etwas davon in die Tasche zu holen. Die Jahre, die sie auf Hempels Schuhen durchlaufen hatte, waren nun vorbei. Heute wollte sie Tag und Jahr mit einem Gang zum Kirchhof beginnen.

Ehe sie das Haus verließ, kam Frau Speck in die Küche, um ein gutes neues Jahr zu wünschen und die gute neue Eisenpfanne zu borgen. Sie wollte heute einen besonderen Eierkuchen machen. Speck hatte Pflaumenmus mitgebracht.

Als sie aus der warmen Küche fröstelnd ins Freie trat, stellte sich Frau Speck einen Augenblick lang auf die dreimal bestrumpften Zehenspitzen und spähte über den See, wo Ida mit einem großen Besen den Schnee davonfegte und ein Lied in die Morgenkälte trällerte.

»Solche Kälte«, sagte Frau Speck erschauernd. »Ihnen braucht man nicht erst Glück zu wünschen.« Eilig ging sie mit der großen Eisenpfanne davon.

Neid vergrößert das Besitztum des Nachbarn, aber doch ist noch keiner davon reich geworden.

Specks vertrieben sich die Winterabende damit, daß sie sich gegenseitig vorrechneten, wie unendlich viel Frau Hempel wieder verdient haben mußte. Aber Frau Hempel hatte trotzdem wenig Erfreuliches auf Hempels Grab zu bringen. Nachdem sie von dem schönen Brief berichtet hatte, den Graf Egon geschrieben, als er seinen Tod erfuhr, und die bunten Augen von Fritz Kempkes rundbusiger Braut getadelt hatte, sagte sie seufzend, daß ihnen aus diesem See kein Goldfeld wachsen werde. Die hundert Karten, die verkauft sein mußten, ehe man ein Zwanzigmarkstück in die Tasche bekam, waren im Winter schwerer zusammenzubringen, als Sohlen und Hacken. Was im Sommer die Wunderwiese abgeworfen hatte, das hatte Lauras Aussteuer und sein Begräbnis erster Klasse gekostet. Es war nicht wahr, daß der Tod umsonst sei, wenn man es seinen Verstorbenen ein wenig nett machen wollte. Allerdings war das feine Grab für sie beide bestimmt. Sie wollte nicht, daß Laura später einmal so viel Geld für sie hergeben sollte. Das wäre ihr peinlich gewesen. Ihm gewiß auch. Eltern sollen für Kinder sorgen, aber nicht umgekehrt. Vielleicht würde dieses neue Jahr besser werden und keine zu großen Ausgaben bringen, die von niemand vorauszusehen wären. –

Von solcher Aussprache kam Frau Hempel mit neuem Mut nach Hause. Auch früher hatte Hempel schweigend zugehört und am Seil der Gewohnheit führt uns die Zeit über Gut und Böse.

Die Tage wurden länger, ein suchender Hauch von Wärme mischte sich mit der rauhen Luft. Die Bäume tropften, und das Eis wurde weich. Der Frühling kehrte zurück.

In Frau Hempels Haus bückten sich wieder drei Frauenköpfe über die Näharbeit. Auf dem See war nichts mehr zu tun, ehe der Sommer wiederkam. Er mußte selbst sehen, wie er die Eisdecke los wurde, um sich wieder in kleinen Wellen blank und beweglich tummeln zu können. Lauras Aussteuer wurde tüchtig gefördert. Badetücher wurden gezählt und ausgebessert. Die vergilbte Fahne war aus ihrem Winterversteck geholt und stand in einem Winkel der Küche.

Mutter und Tochter mieden nicht mehr Hempels Namen, sondern sprachen oft von ihm mit halblauter Stimme, wie man sich von jemand erzählt, der für lange Zeit auf Reisen gegangen ist. Draußen erklang zwischen den Pfiffen des fegenden Frühlings das gleichmäßige Klopfen fleißiger Hämmer. Schon im Herbst hatte man nicht weit vom See den Grundstein zu neuen Häusern gelegt, die nun geschwinder als die ersten Blumen aus dem Boden stiegen. Sie sahen lustig aus wie Pfefferkuchenhäuschen.

Wenn sich das Hammergeklopf besonders stark in das Gespräch der Nähenden mischte, sagte Frau Hempel, daß die dort drüben schneller ein Haus machten, als Vater ein Paar gute Stiefel fertig gebracht hatte, aber daß das auch still stehen könne, wenns fertig ist und nicht durch dick und dünn zu laufen brauche.

Nach einer wilden Sturmnacht hatten die ernsten Winterbäume fröhliches Grün angesteckt. Frau Hempel ging auf den Kirchhof und ließ eine hübsche, grüne Bank aufstellen auf den Platz, der ihr gehörte. Der Schnee war fort, und der Hügel war nichts als ein Haufen schwarze, weiche Frühlingserde. Ganz in der Nähe aber blühte schon ein kleiner rosiger Baum. Der Gärtner sagte ihr, daß dies ein italienisches Mandelbäumchen sei. Die Dame, die darunter läge, wäre eine große Blumenfreundin gewesen. Nach kurzer Überlegung bestellte Frau Hempel einen gleichen Baum für Hempel. Nun ging sie jeden Morgen, nachdem sie die Vormittagsarbeit verrichtet hatte, hierhin. Die Bank verspürte es, wenn sie sich etwas müde von dem Weg und ihren Gedanken darauf niederließ, denn Lina war noch immer breit und kräftig. Ihre Hände, die in diesen Tagen die bretterne Badeanstalt gründlich durchscheuerten, hatten den festen Griff behalten, aber über ihre Wangen liefen zwei tiefe Furchen. Nichts bleibt verborgen. Sie verrieten die vielen Tränen, die heimlich diesen Weg gerannt waren. –

Der Zaun um Specks Haus war mit gewaschenen Wollstrümpfen garniert. Speck düngte das Kohlfeld und schlief wieder mit zwei gefüllten Dungkübeln zu Häupten des Bettes. Mit dem Taschentuch vor der Nase eilte Frau Hempel hier vorbei.

Aber eines Morgens rief Speck sie auf dem Rückwege an und fragte, die Pfeife im Mund und die Hand im Mistkübel, ob man heute wieder jemand da oben begraben hätte. Sie antwortete, daß sie nichts dergleichen bemerkt habe, alles sei still wie immer gewesen. Speck schüttelte verwundert den Kopf und berichtete, daß mehrere Herren mit hohen Hüten auf dem Kopf lange seine Wiese umschnuppert hätten. Frau Hempel meinte, daß dabei nichts Wunderliches sei. Wenn man aus der Stadt käme, könnte man hier schon schnuppern, denn solchen Duft bekäme man dort nicht alle Tage unter die Nase. Speck sah sie an, spuckte einmal aus, wahrscheinlich, weil ihn der Tabak biß, und berichtete breit, daß die Herren auch die neuen Pfefferkuchenhäuser lange beäugt hätten. Dann wären sie zurückgekommen und hätten ihn gefragt, ob dies eine neue Gegend sei. Er habe ihnen geantwortet, daß die Gegend nicht neu sei, aber die Häuser, und darauf hätten sie die feinen Hüte vor ihm gezogen und wären nach dem Bahnhof zu davongegangen. Vorher aber hätten sie noch ihrem sauberen See von allen Seiten Maß genommen, als ob sie ihm einen Sommeranzug bestellen wollten.

Auch Laura und Ida erzählten von den fremden Herren, die den See mit Zentimetermaßen aus Holz gemessen und sich alles mit Neugierde angesehen hätten. Frau Hempel meinte, daß es vielleicht Leute für die Wunderwiese gewesen wären, Kunsttaucher oder Wasserakrobaten, aber da lachten Laura und Ida. Es waren feine Herren gewesen mit kleinen runden Bäuchen und goldenen Uhrketten darauf.

Als am Abend der Schutzmann kam, beunruhigte ihn dieser Bericht. Er sagte, die Welt sei voll von Verbrechern, und er wolle diese Nacht vorm Hause bleiben. Frau Hempel meinte, Diebe hätten keine runden Bäuche, und er könne sich diesen Schnupfen sparen. Er blieb aber bei seinem Vorschlag und sagte, daß die Nächte schon sehr frühlinghaft seien. Er wisse es. Frau Hempel sagte, daß des Menschen Wille sein Himmelreich sei, und wenn die Einbrecher kämen, solle er sie wecken. Somit gingen sie alle ins Bett, und der Schutzmann blieb draußen. Die Nacht war recht frisch, und ehe sie halb herum war, steckte Ida den Kopf zum Fenster hinaus. Auch ein Schutzmann ist nur ein Mensch und kann sich erkälten. Ida machte dem treuen Wächter den Vorschlag, sich in ihrem Zimmer zu wärmen.

Manchmal belohnt sich Güte –

Der Schutzmann hatte auf diese Weise schon mehrere Nächte durchwacht, ohne daß sich Verdächtiges gezeigt hätte. So vergaß man die Herren mit den hohen Hüten. Es gab genug zu tun. Man wollte die Badeanstalt neu anstreichen; denn die schöne Buntheit, die noch der tote Herr Godowsky angemalt hatte, war vom Schnee rücksichtslos fortgewaschen worden.

Speck half die Farben mischen. Man hatte sich für rot und blau entschieden, weil rot die Liebe, blau die Treue war.

Die Hälfte der Bretter blendeten schon im neuen Glanz, und die Luft war erfüllt von Terpentin. Laura machte das Pinseln großen Spaß, und sie wollte gar nicht damit aufhören. Aber jetzt verschleierte der Abend die Farben, und bis morgen mußte die Arbeit eingestellt werden. Frau Hempel ging ins Haus, um sich die Farbe von den Händen zu bürsten. Laura, die kein Fleckchen an den geschickten Fingern hatte, blieb mit Ida auf der Treppe des Sees, der seinen weißen Pelz längst abgeworfen hatte und jetzt mit dem rötlichen Abendhimmel spielte.

So war Frau Hempel allein im Haus, als es klopfte und zwei schwarz gekleidete Herren, ohne viel Umstände zu machen, durch die nur angelehnte Tür traten. Frau Hempels feuchte Hände griffen nach dem Herd, und mit dem Küchenbeil spielend fragte sie, womit sie dienen könne.

Die Herren baten um einen Augenblick Gehör, und als Frau Hempel sie näher ins Auge faßte, fand sie, daß sie beide Ähnlichkeit mit Herrn Bombach hatten. Sie waren von seiner Art. Ruhig legte sie das Beil beiseite.

Die Herren erklärten, daß es jemand gäbe, der den See kaufen möchte, das Wasser und das Land ringsum. Frau Hempel sagte, daß das nicht ginge, weil sie selbst schon den See gekauft hätte und ebenso das Stück Wiese und das Haus hier.

Die Herren lächelten sich an und erwiderten höflich, daß ihnen das bekannt sei. Sie wollten den See daher von Frau Hempel kaufen.

Diese runzelte die Stirn. Das Lächeln war ihr nicht entgangen, und sie sagte, daß die Herren nicht so aussähen, als wenn sie einer Badeanstalt vorstehen wollten.

Sie lachten laut auf und sagten, da habe sie vollkommen recht, aber man wolle hier eine Art Villenkolonie bauen.

Frau Hempel horchte auf. Da konnten die nächsten Jahre besser werden. Sie sagte, daß sie den See nicht verkaufen werde, wenn Leute in die Nähe zögen, die darin baden könnten.

Jetzt fingen die Herren an, sich untereinander zu zanken.

»Wo Ihre Geschäftsklugheit steckt, möchte ich wissen«, schnauzte der eine den andern an, der eben gesprochen hatte.

»Nennen wir endlich eine Summe«, sagte der Angegriffene, »mit Worten habe ich noch nie ein Grundstück gekauft«.

Frau Hempel hatte sich gleichgültig abgewendet und schürte das Feuer auf dem Herd.

»Also, liebe Frau, wenn Sie noch einen Augenblick Zeit für uns haben«, sagte der kurze, starke Herr, der das meiste gesprochen hatte.

Frau Hempel drehte sich um und sagte, daß sich die Herren schon einen anderen See suchen müßten. Dieser wäre nicht zu verkaufen, und jetzt müsse sie Abendbrot machen. Wer arbeitet, muß essen.

Darauf sagte der andere Herr lächelnd:

»Also wir bieten Ihnen hunderttausend Mark für den ganzen Quark, bar ausgezahlt durch unsere Bank.«

Dabei lachten die beiden Herren.

»Nun hab' ich aber genug von Ihrem Gespött«, schrie Frau Hempel.

»Gut, also hundertzwanzigtausend Mark«, sagte der Herr, ohne irgendwelche Verwunderung zu zeigen. Beide lächelten weiter.

Frau Hempel hob die Feuerzange, die sie in der Hand hatte, in die Höhe und machte damit unangenehm wirkende Bewegungen durch die Luft.

Auch die praktischsten Dinge können durch falschen Gebrauch gefährlich werden.

Die Herren griffen eilig zu den Hüten und gingen. Der kleine Dicke drehte sich in der Tür noch einmal um und sagte:

»Sie kennen nun unser Angebot, liebe Frau.«

Die Mädchen kamen aus dem Badehaus, und während Laura zur Mutter lief, schlich Ida den Fremden noch ein Stück nach. Sie hörte, wie der eine sagte:

»Das ist ja eine ganz rabiate Frau. Wie heißt sie doch?« Und er blickte in sein Notizbuch.

Diese Worte schrieb sich Schutzmann Degenbrecht erregt auf, als er kurze Zeit darauf an den Herren vorübergehend zu Besuch kam.

»Diese Kerle werden wir bald auf Nummer Sicher haben«, sagte er, und des nachts bewachte er wieder tüchtig das Haus.

Aber es kam niemand anders als der Morgen. –

Man vergißt die Dinge schneller, als man sie erlebt, und bald waren die schwarzen Herren zum zweitenmal aus aller Gedächtnis.

Die Badeanstalt war jetzt ringsherum blau und rot gestreift, als ob sie in einen flotten Trikotanzug geschlüpft wäre. Die Fahne war auch geflickt, gewaschen und geplättet und konnte jeden Tag in die Luft schweben.

Die Sonne zeigte sich schon zugänglicher, und man nähte bei geöffneten Fenstern.

Als Laura das erste Veilchen fand, sagte sie, daß es nun nur noch sechs Monate bis zum Herbst wären. Und sie lächelte dankbar, denn wenn der Sommer vorbei war, wollte Graf Egon zurückkehren.

Es wäre jetzt an der Zeit gewesen, die Wunderwiese wieder anzukündigen, aber Frau Hempel verschob es von Tag zu Tag, weil sie der Hundertmarkschein dauerte, den es kosten würde. Aber eines Morgens erinnerte sie sich auf dem Platz neben dem Mandelbaum, wie oft Hempel gesagt hatte: was sein muß, muß sein. Am nächsten Tag steckte sie das Geld in den Pompadour, zusammen mit den Zetteln, die ihr Herr Otto im Vorjahr aufgeschrieben hatte. Sie kleidete sich mit Sorgfalt an und legte gerade den langen Witwenschleier vorsichtig über den Hut, als es klopfte und wieder die beiden schwarzen Herren auf dem Sonnenstreifen, der durch die halb geöffnete Tür fiel, hereintraten.

Am Morgen sieht alles besser aus. Die lächelnden Herren und die Dame im Schleier begrüßten sich um vieles freundlicher, als sie sich voneinander verabschiedet hatten. Auch brachten die Herren heute etwas Geschriebenes mit, das Frau Hempel langsam und genau durchbuchstabierte. Es sah wirklich so aus, als ob jemand so verrückt sein wollte, ihr einen Haufen Geld auszuzahlen, wenn sie den See wieder hergab. Am Schluß des Schreibens stand ein Name, den sie kannte. Der Direktor der Bank war der Bankdirektor aus Bombachs Haus. Frau Hempel gab das Schreiben zurück und sagte, daß sie ohnedies in die Stadt hineinwollte und den Herrn Direktor besuchen werde. Wenn es der sei, den sie kenne, werde er sie nicht zum Narren halten; denn der kenne sie. Die Herren verbeugten sich, und man verließ gemeinsam das Haus. Als sie an den neuerbauten bunten Häusern vorüber kamen, sagte der dicke, kurze Herr, dem beim Gehen der Atem durch die Nase pfiff, als hätte er eine kleine Flöte dort eingeklemmt, daß solche Häuserchen reizend wären, wenn man nicht darin zu wohnen brauchte. –

Auch ein gutes Gedächtnis braucht Anhaltspunkte. Als der Herr Bankdirektor die schwarz verschleierte Dame empfing, die an der Tür stehen blieb, breit lächelte und fragte: »Kennen Sie mich noch, Herr Direktor?« hatte er keine Ahnung, wer vor ihm stand. Er verbeugte sich und durchflog rasch das Schreiben, das ihm einer der Herren übergeben hatte. Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen. Es lag ihm viel an diesem Grundstück. Der Bauwind wehte mit aller Macht nach Frohndorf. Er wußte, daß sich die Wasserwerke um den See bemühten.

Er schob der gnädigen Frau den tiefen Ledersessel zu und bat sie, Platz zu nehmen. Aber die Dame blieb an der Tür stehen und wiederholte nur lächelnd:

»Kennen Sie mich wirklich nicht wieder, Herr Direktor?«

Es gibt wenige Männer, die ganz unbesorgt sein können, wenn eine verschleierte Frau geheimnisvoll lächelnd fragt, ob man sie nicht wiedererkenne. Der Herr Direktor warf unruhige Blicke auf Frau Hempels Riesengestalt und atmete erleichtert auf, als sich Frau Hempel auf sein Zureden hin endlich zu erkennen gab und ihn daran erinnerte, daß sie mehr als einmal seine Hemden gewaschen habe. Er lächelte und erwiderte, das werde die gnädige Frau nun wohl nicht mehr nötig haben, schob ihr den Sessel noch etwas näher und bat sie, auf die heutige Angelegenheit zurückzukommen. Er habe in fünf Minuten eine wichtige Sitzung.

Aber es dauerte eine Stunde, ehe sich Frau Hempel davon überzeugen ließ, daß alles seine Richtigkeit habe. Vor allen Dingen verzögerte es den Schluß der Verhandlung, daß Frau Hempel schon in kurzer Zeit das Haus und die neu bemalte Badeanstalt verlassen sollte. Sie hatte 40 Mark und 60 Pfennige allein für Farbe ausgegeben. Der Direktor, dessen Zehenspitzen in Lackschuhen wie Sekundenzeiger auf dem dicken Teppich tippten, kam schließlich auf den Gedanken, die Unkosten des Anstreichens vergüten zu lassen. Die Kaufsumme von 120 000 Mark wurde um 40 Mark und 60 Pfennige erhöht. Der Direktor wollte der Bequemlichkeit halber 50 Mark zuschreiben lassen, aber Frau Hempel wehrte heftig ab. Betrügen wollte sie nicht.

So war man endlich einig geworden. Beiden Verhandelnden stand kalter Schweiß auf der Stirn. Kein Preis ohne Mühe. –

Als Frau Hempel durch das Glücksrad der schweren Spiegeltür aus dem gewaltigen Steingebäude auf die lebhafte Straße gedreht wurde, war ihr nicht anders zumute, als ob Herr Bombach den Dienst gekündigt hätte. Ihr Kopf war schwer, und in der Nase noch den feinen Duft von Juchtenleder und echtem Tabak, versuchte sie, ihre Gedanken gewaltsam zusammenzuhalten. Aber es wollte ihr nichts anderes deutlich werden, als daß sie in Kürze aus dem Hause sollte, das so nahe bei Hempel lag, und daß sie die hübsche, bunte Badeanstalt vergeblich von unten bis oben in Ordnung gebracht hatte.

Sie war heute eine Dame geworden, der man einen Sessel zuschiebt, wenn sie ins Zimmer tritt, aber gerade jetzt regte sich das Bauernblut in ihr. Sobald sie in das stille Haus zurückgekehrt war, um das die Frühlingserde duftete, rief sie Laura in das kleine Stübchen hinein, das sie hinter ihr und sich fest verriegelte. Mit halber Stimme erzählte sie, was sich ereignet hatte. Laura hörte ängstlich zu. Das Herz hat seine eigenen Gedanken, und sie atmete erst wieder freier, als sie hörte, daß nichts geschehen war, was sie von Egon trennen könnte.

»Die Hauptsache ist, daß niemand uns das viele Geld anmerkt«, sagte Frau Hempel.

»Aber warum hat man es denn?« fragte Laura enttäuscht.

Frau Hempel schwieg und sann angestrengt nach.

Laura wiederholte ihre Frage.

»Ich glaube, damit man die nicht mehr zu fürchten braucht, die auch vieles haben«, sagte Frau Hempel langsam.

Dann stand sie auf und ging in die Küche, um den Sauerkohl abzuschmecken, der auf dem Herde brodelte und dessen kräftiger Geruch endlich den süßen Duft aus dem teppichbelegten Zimmer des Herrn Bankdirektors davonjagte. –

Bis zum Abend nähte man, ohne viel zu sprechen. Frau Hempel wollte nun herausfinden, was nun werden sollte, und Laura versuchte zu begreifen, daß es Wirklichkeit werden sollte, was sie hinter ihrer Stirn gebaut und geträumt hatte.

Draußen kreischten die Spatzen in wildem Frühlingsmut, sie fühlten, daß der Sommer vor ihnen lag.

Als es Abend wurde und man den gewärmten Kohl, der vom Mittag übriggeblieben war, verzehrt hatte, kochte man Seifenwasser, denn morgen sollte Waschtag sein. Frau Hempel wusch auch alles, was zu Specks Haushalt gehörte, wofür sie einige große Kohlköpfe als Bezahlung nahm.

Als die Wäsche in der Seife lag, ging man schlafen. Frau Hempel sagte, daß sie müde wäre, als hätte sie heute eine Riesenarbeit verrichtet.

Das Licht verlöschte hinter den Fenstern. Der Tag war vorüber, an dem sie in aller Heimlichkeit eine höhere Stufe der Gesellschaft erstiegen hatten. –

Aber Geheimnisse gibt es nur in unserer Einbildung. Was wir selbst dafür halten, ist unseren Bekannten der behaglichste Gesprächsstoff.

Am andern Morgen trennten Wolken von Seifendampf und Schaum das kleine Haus mit dem großen Geheimnis von der Außenwelt. Aber am Nachmittag, als sich die Wolken teilten und nur ein sanfter Kaffeeduft durch den Küchendunst zog, kamen Herr Otto und die Nachbarn Speck lebhaft sprechend darauf zu.

Frau Hempel trat vor die Tür und fragte, ob der Sonntag diesmal einen Tag früher falle.

Herr Otto schwang ein Zeitungsblatt und sagte bedeutungsvoll, man müsse die Feste feiern wie sie fallen. Aber ehe sie die Küche betraten, winkte auf der Lindenallee jemand heftig mit einem dicken Regenschirm, und man erkannte Frau Kempke, die sich mit schnellen Schritten näherte. Rot und außer Atem rief sie schon über den Gartenzaun, ob es wahr sei, daß die Badeanstalt mit ungeheurem Gewinn verkauft wäre.

Frau Hempel überhörte diese Frage, weil sie für ihre Gäste Kaffee aufbrühen wollte. Aber als Frau Kempke dicht neben sie an den Herd trat und ihre Frage wiederholte, sagte sie achselzuckend, daß sie allerdings die Badeanstalt ohne besonderen Schaden verkauft hätte.

»Ist es die Möglichkeit?« schrie Frau Kempke auf und schien ganz den Atem verlieren zu wollen. »Zwanzig Jahre haben Godowskys diese Baracke ausgeboten wie ranzigen Likör, und keine Katze hat auch nur einen Pfifferling dafür geben wollen.«

Frau Hempel erinnerte sie daran, daß sie ihr im vorigen Jahr sehr zu diesem Kaufe geraten habe.

Frau Kempke antwortete, daß sie sich nicht mehr darauf besinnen könne, und warf den Kopf so heftig zurück, daß ihr der kleine Tüllhut mit der zitronengelben Rose, der in Eile und Erregung aufgesetzt worden war, in den Nacken rutschte.

Sobald man sich gesetzt hatte, entfaltete Herr Otto das Zeitungsblatt und las mit erhobener Stimme vor:

»Wieder ein Stück Heimat geopfert. Der liebliche Frohndorfer See, wo die Stille noch Volkslieder sang, ist heute in den Besitz einer Großbank übergegangen. Bald werden wir Steine finden, wo Blumen standen. Die vielen Großstädter, die dort täglich von weither kamen, um die Morgenfrische zu atmen oder die Abendsonne in rötlichem Glänze untergehen zu sehen, sind wieder um ein köstliches Kleinod bestohlen. Gestern noch atmete ich dort stundenlang den stillen Abendfrieden ...«

»Hier ist seit Wochen kein Mensch gewesen«, unterbrach Frau Hempel den Lesenden, »und Blumen gibt's hier gar nicht.«

»Aber wie schön klingt es«, sagte Frau Speck und schluchzte auf ihr Strickzeug.

»Mir kann es gleich sein«, sagte Herr Otto und legte das Blatt in Falten. »Ich wäre in diesem Jahre doch nicht gekommen. Ich reise mit einem reichen Patienten, der beinahe normal ist. Sein einziger Fehler ist, daß er sich einbildet, auf der Sonne zu sein. Damit schadet er keinem Menschen, und schließlich ist jeder auf seine Weise verrückt.«

Er hatte sich in Heftigkeit geredet und warf das Zeitungsblatt weit von sich fort.

Speck lachte, daß die Pfeife zwischen seinen Lippen Sprünge machte.

»Auf der Sonne«, sagte er und lachte wieder, »da kann er seinen Kohl gleich gebraten pflanzen.«

Das Lachen brachte das Gespräch in behaglichere Bahnen. Auch war der Kaffee fertig und eingeschenkt. Aber sobald die Tassen leer waren, verabschiedete man sich. Der Werktag rief alle wieder zurück. Als man sich die Hände zum Abschied drückte, atmeten alle Gäste eine Kälte aus, als ob Frau Hempel sie alle bestohlen hätte und es nur ihrer Güte verdanke, daß man sie nicht bei der Polizei angab.

Erschreckt und allein blieb sie mit Laura zurück.

Ida machte mit Degenbrecht einen Gang um den See, weil sie miteinander zu reden hatten.

*

Man sagt oft, daß Reichtum nicht glücklich macht; obwohl die wenigsten aus Erfahrung sprechen, muß etwas Wahres daran sein.

Beängstigende Träume störten Frau Hempels guten Schlaf. Speck hatte den hübschen klaren See mit Mist füllen wollen, während seine Frau mit gräßlichen großen Nadeln dicht vor Frau Hempels Augen strickte. Herrn Ottos reicher Patient hatte ihr die Sonne an den Kopf geworfen, und Frau Kempke war mit der Badeanstalt auf dem Rücken zum Bahnhof gerannt.

Als Frau Hempel glücklich erwacht war, fühlte sie noch die Schrecken der Nacht in den Gliedern. Müde und schwer stand sie auf, um die Fenster dem Sonntagmorgen zu öffnen. Schwere goldene Sonne flutete ins Zimmer, und die frische tauige Luft tat wohl. Frau Hempel wollte sich gerade des schönen Wetters freuen, das dem Bäumchen auf Hempels Grabe und den andern Pflanzen, die inzwischen dazugekommen waren, gut tun würde, als sie auf dem Tisch einen großen Brief fand, den Laura leise hereingebracht haben mußte, während sie im Kampf mit den feindlichen Träumen gelegen hatte.

Auf dem Umschlag stand der Name der Bank, von der sie das viele Geld erhalten sollte. Vielleicht schrieben sie, daß das Ganze ein Irrtum gewesen wäre und alles beim Alten bleiben könne. Sie öffnete den Brief ohne Zagen. Man fragte die sehr geehrte Frau, wie sie das auf ihrem Namen stehende Vermögen angelegt zu haben wünsche, bat noch um einige Papiere und um eine Rücksprache an einem der nächsten Tage.

Da saß Frau Hempel vor einem neuen Schreck. Wie soll man Geld – anlegen? Mißtrauisch las sie noch einmal Wort für Wort des kurzen Schreibens, ohne dadurch klüger geworden zu sein noch Rat gefunden zu haben.

Von draußen summte ein süßes Klingen herein. Laura plättete im Garten auf dem Tisch, der alle frohen Sommergäste gesehen hatte, weiße Wäsche, und im Takt des auf und nieder gleitenden Eisens sang sie von einem, der ihr im Herzen und im Sinn lag.

Mit der gleichen Unermüdlichkeit, womit sich die täglichen Bedürfnisse wiederholen, kamen diese Worte wieder und wieder in Frau Hempels angestrengtes Sinnen, bis auch ihre Gedanken plötzlich zu Graf Egon sprangen, zu ihrem Schwiegersohn, dem Grafen, der selbst ein Teil einer solchen geheimnisvollen Bank war.

Noch einmal nahm sie den Brief zur Hand, aber schon nach den ersten Worten legte sie ihn wieder fort.

Der Mensch soll das Unerklärliche nicht zu enträtseln suchen. Frau Hempel rief nach Laura. Der Gesang verstummte, und Laura kam angesprungen.

Frau Hempel fragte, ob sie glaube, daß Graf Egon diese Geldgeschichten verstehen und ehrlich ausführen würde. Laura antwortete, daß Graf Egon natürlich alles aufs vortrefflichste verstehe, weil er der beste und der klügste Mann der Welt sei.

Daraufhin meinte Frau Hempel, man müßte ihm mitteilen, daß er hier notwendig sei. Laura überfiel der Wagemut der Liebe, und sie sagte, daß man das nur telegraphisch machen könne, weil es sonst viel zu lange dauern würde, bis Graf Egon hier sein konnte. Sie habe für Frau Leutnant viele Telegramme zur Post bringen müssen und wisse genau, wie man das mache. Einige Augenblicke später sah Frau Hempel sie schon zwischen der knospenden Lindenallee mit großen, wiegenden Schritten nach Frohndorf zum Postamt gehen.

Aber als Laura ganz in der Nähe der runden Augen des Postbeamten Graf Egons feinen Namen und seine schwere Adresse sauber niedergeschrieben hatte, errötete sie und wußte nicht weiter. Endlich schrieb sie mit ganz kleinen Buchstaben: bitte kommen. Und möglichst weit davon ihren Namen. Dann gab sie das Papier ab.

Schon am Nachmittag kam eine Antwort. In drei Tagen wollte Graf Egon hier sein. Frau Speck, die sich zum Sonntagskaffee eingefunden hatte, weil sie und Speck sich seit gestern fortwährend stritten, wie hoch die Summe sein mochte, die Frau Hempel bekommen hatte, sagte bei dem Erscheinen des Telegrafenboten, man merke, daß man bei reichen Leuten sei. Sie setzte auf alle Fälle ihre Brille auf und fragte, ob es nichts Unangenehmes wäre.

Frau Hempel sagte, daß es eine angenehme Nachricht sei. Sonst war nichts zu erfahren, und Specks Abendfrieden war wieder aufs neue gestört. Wissenseifer verscheucht den Schlaf.

Graf Egon jedoch war überzeugt davon, daß ein großes Unglück geschehen sein müßte, und er legte die weite Reise in großer Sorge zurück.

Kein Unheil ist so groß wie die Angst davor. Als er erfuhr, was sich ereignet hatte, überwand er baldigst den großen Schreck.

Er verstand sofort, um was es sich in dem Brief und in den Papieren handelte. Das merkte Frau Hempel. Sie glaubte ihm, als er sagte, daß er ihr alles aufs beste werde ordnen können. Als es Abendbrotzeit war, beschloß sie, ihm als Dank Kartoffelpuffer zu backen. Seit Hempels Tode waren keine mehr auf diesem Herde gebraten worden.

*


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