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Das Leben hat viele Gesichter.

Wenn es nun hinter den Scheiben wenig für Lauras Wißbegier zu sehen gab, sollte sie dafür in ihrer nächsten Umgebung Wunderliches genug erfahren. Manche Leute sagen, daß spätes Glück närrisch macht, und andere wieder behaupten, daß es verjünge. Eine von diesen Künsten hatte es bei Frau Bombach angewandt. Sie hatte sich vollständig verändert. Das früher glatt gescheitelte Haar wellte sich nach der neuesten Tagesmode, ihre Kleider, die sonst unauffällig gewesen waren wie die einer Krankenschwester, waren hell und flott und eng geschnitten.

Dem Klavier, das längst nichts anders mehr sein wollte als ein stummes und sauber gehaltenes Möbel, wurde von Fachleuten die Stimme zurückgegeben. Frau Bombach holte die Noten ihrer Mädchenjahre hervor und übte so fleißig, daß die Flurnachbarn sofort ihre Wohnung kündigten.

Auf Herrn Bombachs beunruhigte Einwendungen erwiderte sie, daß Musik das Gemüt erheitere, daß Musik für ein Kind notwendig sei. Und sie schwenkte sich auf dem hohen Stiefelabsatz so rasch einmal um sich selbst herum, daß Herr Bombach entsetzt zurückprallte.

Herr Bombach begann spazierenzugehen. Jedesmal, wenn er zurückkehrte und die Tür seines stillen Heims aufschließen wollte, glaubte er sich verirrt, zu haben. Das Duett von Kindergeschrei und Klavierspiel quoll ihm schreckenerregend entgegen.

Immer ausgedehnter wurden seine Spaziergänge. Was sollte er auch zu Hause? Seine Frau kümmerte sich nicht um ihn. Für sie gab es nur einen eben geborenen Bombach. Gewiß, er liebte auch seinen Jungen. Er war zufrieden, daß er da war und sein schönes Geld nun nicht in fremde Hände kommen würde. Aber welche Opfer forderte diese Freude!

Herr Bombach rechnete aus, wie lange es dauern würde, bis der geliebte Junge erwachsen sein könnte und seine eigenen Wege gehen müsse. Aber wenn man fünfzig ist, machen solche Rechenaufgaben auch kein Vergnügen. Er wurde gereizter von Tag zu Tag.

Bis es wirklich zu einem ernsten Zerwürfnis kam.

Eines Morgens hatte er Minchens heiteres Klavierspiel unterbrochen und ihr vorgeworfen, daß sie ihn nicht mehr liebe und nur noch an den Jungen denke. Sie war aufgestanden, hatte die neueste Fotografie von Hans Friedrich zur Hand genommen und, während sie diese eingehend betrachtete, achselzuckend gesagt, daß sie nicht den ganzen Tag an ihn denken könne, daß das übertrieben wäre.

Von diesem Augenblick an sprach Herr Bombach nicht mehr mit seiner Frau. Wenn er ihr etwas zu sagen hatte, benutzte er Laura als Telefon. Dieser Fernsprecher besaß die Vorzüge, daß er keine besonderen Gebühren kostete, und daß man sich beim Sprechen sehen konnte, so daß die Augen mitreden durften.

Laura vermittelte ruhig und gehorsam den Anschluß, sobald sie angerufen wurde.

Es ist immer schön, wenn man etwas Neues zulernt. Aber wenn Laura für einige Stunden ausgeschaltet wurde, hatte sie nichts dagegen. Auf den freien Sonntagnachmittag freute sie sich die ganze Woche.

Der Sonntag, der diesen Tagen folgte, brachte die erste Ahnung vom Frühling. Bei jedem Atemzug, mit dem man die herbe durchsonnte Luft einzog, spürte man's, daß der Winter zu Ende ging.

Laura saß mit den Eltern neben der Haustür am Saum der Straße. Vor ihnen rollte ein langer Film mit Menschen, Wagen und Bahnen endlos und lebendig vorüber. Der Lärm von zahllosen Rädern und vielen gleichzeitig gesprochenen Worten gab die Musik dazu.

Auf dieses Schauspiel waren Hempels Abonnenten. Sie sahen ihm zu durch Jahre und Jahreszeiten.

Die Pfeife im Mund, beobachtete Hempel ruhig das bunte Gewühl. Bemerkte dann und wann einen gut gearbeiteten Schuh im Gedränge und ärgerte sich über jeden abgetretenen Absatz unter einem eleganten Rock.

Frau Hempel war nicht so ruhig. Sie fand Laura blaß und weniger fröhlich. Der Dienst bei Bombachs schien ihr nicht zu bekommen. Sie müßte fort von dort. Aber wohin? Um welche Ecke würde endlich das Glück kommen, auf das sie für Laura wartete?

Oft kam eine Wolke Blütenstaub aus irgendeinem vorüberrauschenden Seidenkleid. Laura sog den Duft ein, sah die bunten Blumen auf den Hüten der geputzten Frauen und Mädchen und wurde traurig. Sie sehnte sich nach grünen Wiesen voll kleiner Blumen, wünschte sich in einen Kahn auf einem stillen See.

Der Graf und die Gräfin kamen aus dem Haus. Sie grüßten und schritten dann aufrecht Arm in Arm davon. Ihre Sonntagskleider sahen von weitem noch sehr elegant aus.

Laura überlegte, wo der junge Graf wohl jetzt sein möge. Zugleich fiel ihr auf, wie viele hübsch geputzte Mädchen vorüberkamen. Und alle verschieden. Sie seufzte.

Herr Bombach kam zur Tür heraus, und Laura stand auf und verbeugte sich. Der Hausherr blieb stehen, als er sein Telefon lebendig und preiswert vor sich sah und sagte, wenn Laura wieder hinaufginge, solle sie seiner Frau bestellen, daß er nach dem Waldsee gefahren sei. Herr Bombach wußte, daß Minchen, die heute den ganzen Tag über Frühlingslieder spielte, für den Waldsee im Frühling schwärmte.

Jeder Stand hat sein Leid, aber auch seine Freude. Ein langes Zusammenleben schmiedet viele brauchbare Waffen für den täglichen Lebenskampf.

Jetzt fuhr ein Automobil vor, und bald kamen Herr und Frau Bankdirektor mit dem Brautpaar herunter. Sie waren alle nach der neuesten Mode gekleidet, stiegen scherzend ein und fuhren fort in den Frühling.

Sobald der Wagen um die Ecke gebogen war, kam die Köchin aus dem Haus.

»Weg sind sie«, sagte sie. »Nun will ich auch mein bißchen Frühling schnappen.«

Über die Stufen des Schenkladens kam Fritz Kempke, und er begrüßte die jungen Damen mit tiefem Blick. Seit dem Weihnachtsabend hatte er manches Wort mit Bankdirektors Köchin gewechselt, aber zu seinem Ärger gefiel ihm Laura noch immer besser. Die Köchin war leider gar nicht als Verlockung geschaffen. Eher war sie ein Beweis dafür, daß sich die Natur häufig mit wenigem begnügt.

Doch wenn man ernste Absichten hat, darf es nicht allein auf Reiz und Üppigkeit ankommen.

Die Köchin blinzelte in die Sonne und sagte: »Wenn die Hochzeit mit dem Trinkgelderregen vorüber ist, gehe ich aufs Heiratsbüro und melde mich mit 10 000 Mark an.«

10 000 Mark sind eine nette Summe.

Als jetzt alle Augen hoch flogen, weil ein Luftschiff wie eine große gelbe Raupe über die Dächer kroch, flüsterte Fritz der braunäugigen Köchin zu, daß er eine Wirtin für sein neues Gasthaus brauche, das »Zum braunen Mädchenauge« heißen werde. Dann verabschiedete er sich. Das Geschäft rief ihn zurück. Frühling macht Durst.

Das Mädchen sah ihm nach, bis er im Laden verschwunden war. Dann rückte sie näher an Frau Hempel heran und sagte, daß sie Wichtiges mit ihr zu besprechen habe. Man suchte eine Zofe für den neuen Haushalt des jungen Fräuleins und hätte dabei auch an Laura gedacht. Der Lohn wäre groß, die Behandlung gut, und der Dienst angenehm und leicht.

Mit allen Farben ihrer kräftigen Köchinnenphantasie malte sie den schönen Posten aus, der Laura den allzu häufigen Blicken Fritz Kempkes entziehen würde.

Einfache Herzen, einfache Mittel. –

Geflüsterte Worte sprechen doppelt laut im Gedächtnis. Frau Hempel dachte an nichts anderes mehr. Sie sah Laura durch kostbare Räume aufs zierlichste gekleidet gehen. Sie sah auf einmal den Weg zum Glück gebahnt.

Aber den Mut, sich mit dem Hauswirt darüber auseinanderzusetzen, fand sie noch nicht.

Laura vermittelte weiter den Verkehr zwischen Herrn und Frau Bombach und wußte nicht, was sie sich wünschen sollte. Sie sagte sich, daß das Osterfest nahe war, wo gewiß wieder drei Personen bei dem Grafen zu beobachten wären und die Gräfin wieder heiterer ausschauen würde, und doch konnte sie sich plötzlich wieder mit aller Macht fortsehnen – nach fremden Straßen, in unbekannte Zimmer.

Unschlüssigkeit kuriert der Zufall gern mit derben Mitteln.

Es war um die Mittagsstunde. Herr Bombach hatte seiner Frau durch Laura gesagt, daß er den Klavierschlüssel zum Fenster hinauswerfen werde, wenn das mit dem Klavier verbundene Geräusch nicht bald aufhörte. Frau Minchen, die gerade in ein »Lied ohne Worte« versunken war, erschrak über diesen Text und fiel in Ohnmacht.

Dadurch hatte sie das Mitleid beider Mädchen erregt. Jetzt saßen sie in der Küche beim Mittagsbrot, und Laura machte sich Vorwürfe, daß sie Herrn Bombach bis jetzt für einen guten Menschen gehalten hatte.

Ida sagte, das hätte sie nie getan, denn gute Menschen hätten keine kahlen Köpfe.

Darüber mußte Laura lachen, und Ida stimmte ein, weil Laura lachte und weil ihr der Kalbsbraten schmeckte.

So merkten sie nicht, daß Herr Bombach die Küche betrat.

Seit Hans Friedrich auf der Welt war, ging er auf Gummisohlen. Ahnungslos wiederholte Ida ihre Weltanschauung.

Man kann auch an einem kahlen Kopf ein Haar finden.

Herr Bombach geriet außer sich vor Wut. Der ganze Ärger, der sich seit Wochen bei ihm angesammelt hatte, explodierte. Er jagte die Mädchen zum Haus hinaus.

Laura flüchtete zu den Eltern. Ida suchte ein Stockwerk tiefer Zuflucht bei Bankdirektors Köchin.

Des einen Unglück ist des andern Freude. Die Köchin war recht zufrieden mit diesem Vorgang voll Ungewöhnlichkeit und Erregung. Sie sah Laura schon weit entfernt von hier, sich aber in der Tür »Zum braunen Mädchenauge«.

Glück macht freigebig. Sie lief zu Frau Bankdirektor hinein und pries die Vorzüge Idas so lange, bis sie die Köchinnenstelle in des jungen Fräuleins Haushalt erhielt. –

Unten bei Hempels war man nicht wenig erschrocken, als Laura hereingeweint kam. Aber als Frau Hempel alles erfahren hatte, sagte sie, daß sie sich nur darüber freue, und daß es so gekommen war, weil es so hatte kommen müssen.

In Wahrheit war ihre Freude nicht so groß. Sie sagte sich, daß nun auch ihre Stellung gefährdet sei.

Diese Befürchtung war nicht falsch. Herr Bombach hatte die Absicht, der ganzen Familie Hempel den Laufpaß zu geben. Aber der Trieb der Selbsterhaltung sollte ihn daran hindern.

Es war nicht leicht, zwei neue Dienstboten zubekommen.

Herr und Frau Bombach mußten allein wirtschaften.

Not lehrt beten, somit auch sprechen. Da Laura nicht mehr da war, blieb Herrn Bombach nichts anderes übrig, als seine Worte wieder direkt an seine Ehegenossin zu richten.

Dabei bemerkte er, daß er Minchen noch immer liebte. Auch war das Klavierspiel verstummt, weil die Zeit dazu fehlte. Je weiter sich der Frühling fühlbar machte, je mehr mußte Herr Bombach Minchen recht geben. Sie waren noch keine Großeltern. Sollte das Kind vor ihnen erschrecken? Er bestellte sich einen hellgrauen Frühlingsanzug, kaufte sich Bartbinden, Bartbürsten, angenehmes Parfüm und mit raschem Entschluß auch eine tadellos gearbeitete Täuschung für die kahle Stelle seines Kopfes.

Vaterschaft ist die Quelle vieler Pflichten und Ausgaben. »Es bleibt nichts anderes übrig, wir müssen Frau Hempel bitten, uns zu helfen«, sagte Frau Bombach.

Und weil Herr Bombach wieder glücklich war, denn Minchen hatte gerührt über den neuen Scheitel gestrichen und richtig verstanden, daß es eine Huldigung für sie sein sollte, versprach er, Frau Hempel zu holen. Vielleicht auch Laura.

Frau Hempel zuckte mit keiner Miene, als Herr Bombach vor ihr stand. Sie versprach von Herzen gern zu kommen, zu helfen und alles zu tun, soweit es ihre eigene Person anginge. Laura wäre leider inzwischen vergeben. Sie hätte eine andere Stelle angenommen.

Bei diesen Worten band sich Frau Hempel schon eine frische Schürze um. Sie wollte sofort hinaufkommen, um ihre alten Kräfte neu zu bewähren.

*

Furcht und Hoffnung treiben das Leben. Laura mußte wahr machen, was Frau Hempels Geistesgegenwart Herrn Bombach vorgegeben hatte.

Heute nachmittag sollte sie das elterliche Haus verlassen, um in die Wohnung des jungen Paares überzusiedeln. Am Abend kehrten die Neuvermählten zurück. Aus Italien oder von sonst irgendwo her, wo es schön war und arme Leute nicht hinkommen.

Laura saß neben dem hämmernden Vater und nähte sich kleidsame Niedlichkeiten für den neuen Posten. Frau Hempel half treulich bei Bombachs. Aber diesmal spürte auch ihr kräftiger Körper den Frühling.

Als sie den Balkon in Ordnung brachte und die Blumentöpfe aus dem Keller zu Licht und Sonne heraufholte, dachte sie lebhafter als je an ihren heimlichen Zukunftstraum. Das war eine Wohnung, still und klein, aber mit großen Fenstern, durch die Licht und Helle hineinkommen konnten, so viel sie wollten. Da säße man ruhig hinter den Scheiben, besah sich die Straße und dachte dabei an Laura, die eine feine Dame geworden war.

Doch bis dahin wird sich der Hausschlüssel noch manches Mal im Schloß drehen müssen. Nachdenklich reihte sie die kahlen Töpfe auf den Rand des Balkons.

Warten ist eine schwere Kunst.

Bei besonderen Gelegenheiten nahm Frau Hempel der künftigen Wohlhabenheit schon etwas vorweg. Dann verirrte sich eine Bratgans auf ihren Herd, oder ein Bündel Spargel, oder sie schaffte irgendein feines Kleidungsstück an, das in Seidenpapier gewickelt hinter den Vorhang kam.

Lauras Auszug aus dem elterlichen Heim war wieder ein Anlaß zu solcherlei Ausschweifungen. Ein feines Lederköfferchen war besorgt worden, und die Abfahrt sollte im Automobil vor sich gehen.

Hempel fragte, ob ihre Stiefel nicht mehr gut genug zum Laufen wären. Aber Frau Hempel sagte:

»Wie man fährt, kommt man an. Das Mädchen soll seinen Weg machen.«

Als das Automobil herangetöfft war und der Chauffeur den Koffer der jungen Dame holte, stand Frau Hempel in einem seidenen Umhang und mit einem grünen Samthut, der mit großen gelben Rosen verziert war, so unbeweglich da, als ob sie niemals im Leben gewohnt gewesen wäre, eine Hand zu rühren.

Gerade in der Tür stieß der feine Lederkoffer mit einem gewöhnlichen Kollegen aus Segeltuch zusammen. Der junge Mann, der ihn trug, entschuldigte sich vielmals. Es war der Graf, der in die Ferien heimkam. Erst als er tief gegrüßt hatte, erkannte er in den Damen die ihm bekannten Mitglieder der Portiersfamilie.

Laura war über und über errötet. Ihre Gedanken blieben bei dem kleinen Vorgang, und sie hatte nicht die rechte Freude an dem flinken Sauselauf des Wagens. Frau Hempel lehnte sich weit zurück gegen das glänzende Leder und genoß die kostbare Fahrt mit Andacht.

Wie alles Gute ging sie rasch vorbei. In einer Straße des neuen westlichen Stadtteils hielt der Wagen vor einem großen Haus, das sich Frau Hempel bewundernd von oben bis unten ansah, bevor sie es betrat. Den Eingang bildeten hohe Marmorsäulen, als ginge es in eine Kirche hinein. Das erste Stockwerk mit der Galerie sah aus wie ein vornehmes Schweizerhaus. Die anderen Wohnungen darüber hatten große Glasfenster zwischen glatter Mauer und erinnerten an ein schönes Warenhaus. Oben auf dem Dach aber waren noch lustige bunte Türme, wie auf einem Vergnügungsrestaurant. Es war ein wunderschönes Haus.

Schweigend glitten Mutter und Tochter im Fahrstuhl hinauf.

Ida öffnete ihnen die Wohnungstür, und als sie den bekannten braunen Krauskopf des Mädchens über der derben roten Wollbluse sah, die sie von Frau Bombach zu Weihnachten bekommen hatte, verlor sie die unsichere Befangenheit, und sie begannen sich heimischer zu fühlen. Frau Hempel untersuchte alles mit neugieriger Kennermiene. Die Küche war ein Prachtstück. Der Herd stand in der Mitte, wie in einer Hotelküche. An den Wänden blinkten blanke Löffel, blanke Teller, blanke Deckel, bunt bemalte Töpfe, kupferne Geräte in allen Formen. Aus blanken Hähnen kam kaltes und warmes Wasser, soviel man haben wollte. Neben der Tür hing ein Telefon, das ging ins Speisezimmer, wovon die gnädige Frau ihre Befehle elektrisch geben konnte. Frau Hempel bemerkte noch ein anderes Sprachrohr, in das sie neugierig hineingucken wollte, aber sie prallte entsetzt zurück.

Ida erklärte ihr lachend, daß dies eine Rutschbahn für den Müll sei, der ganz allein und rasch auf den Hof sauste. Und hier war auch eine Maschine, die das Gemüse klein hackte.

Frau Hempel schüttelte den Kopf und sagte, wovon die Armen leben sollten, wenn sich alle Arbeiten allein machten, und begann durch die Zimmer zu gehen.

Als sie alles gesehen und geprüft hatte, mußte sie schließlich die Wohnung und Laura verlassen. Aber ihre Gedanken blieben noch dort, und sie folgte ihnen wieder und wieder, als sie nun heimfuhr in der voll besetzten Straßenbahn, wo niemand ahnte, auf wie vornehme Weise sie den Hinweg zurückgelegt hatte.

Als sie nach Hause kam und sofort mit dem Erzählen beginnen wollte, sagte Hempel, daß bei Bombachs etwas nicht in Ordnung sein müsse. Der Hauswirt sei ohne Mantel aus der Tür gestürzt und eben mit dem Arzt von gegenüber zurückgekommen.

Frau Hempel war schon draußen und auf dem Weg zur Treppe.

Oben öffnete Herr Bombach selbst. Sein Gesicht war weiß wie gutes Mehl. Er schob Frau Hempel schweigend in die Küche und flüsterte:

»Der Junge hat einem Chauffeur den Kopf abgebissen. Gott steh uns bei.«

Frau Hempel stierte sprachlos auf die neuen Haare des Hausherrn, die sie zum erstenmal sah.

»Gott steh uns bei«, murmelte Herr Bombach wieder. »Ich wag' mich nicht hinein.«

Frau Hempel wurde es unheimlich. War es auch drinnen in seinem Kopf nicht mehr richtig?

Drohend vor Angst rief sie:

»Sagen Sie doch deutlich, was geschehen ist.«

Aber es dauerte noch eine Weile, ehe sie erfuhr, daß Herr Bombach ein kleines Auto aus Holz mitgebracht hatte, an dessen Chauffeur Hans Friedrich so grausam dem natürlichsten Triebe des Menschen nachgegeben hatte.

Endlich kam der Doktor aus dem Zimmer, um fortzugehen. Er lächelte Herrn Bombach an, der wie ein Raubtier auf ihn zustürzte.

»Es ist nichts«, sagte er freundlich. »Seien Sie unbesorgt, mein Herr, Ihre Frau Gemahlin durchsuchte mit mir das Zimmer, und wir fanden das vermißte Köpfchen unter einem Sessel. Es wäre auch anders nicht denkbar gewesen.«

Er meckerte ein Lachen, stülpte den Hut auf und eilte die Treppen hinunter.

Das war ein inhaltsreicher Tag für Frau Hempel gewesen.

Als sie endlich am späten Abend herunterklapperte und die Haustüren verriegelt hatte, war sie kaum noch imstande, an Hempel den gewohnten Anteil ihrer Erlebnisse weiterzugeben.

Aber es mußte sein. Diese vielen Neuigkeiten hätten sie des Nachts gedrückt wie ein Stück Käse, das man zu hastig gegessen hat.

So erfuhr Hempel doch noch einige Einzelheiten der schönen Wohnung, die Geschichte vom Chauffeurkopf und vor allen Dingen das Dasein der neuen Haare auf dem alten Kopf des Hauswirts.

Sie fragte, ob Hempel glaube, daß sie durch eine teure Medizin wieder hervorgewachsen wären.

Aber Hempel sagte, daß nichts wieder neu würde, was einmal abgenutzt sei. Höchstens könne man einen guten Flicken draufsetzen.

Sie löschten die Lampe aus, gingen zur Ruh, dachten an Laura, die zum erstenmal unter einem fremden Dach schlief, und fielen in den festen Schlaf des Gerechten.

*


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