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Delphói

 

1931–1933

Ὁ ἄναξ, οὗ τὸ μαντεῖόν ἐστι τὸ ἐν Δελφοῖς,
οὔτε λέγει οὔτε κρύπτει ἀλλὰ σημάινει.

Heraklit

 

Apollon
Anruf und Antwort

Anrufung des Gottes

Du irrst dich, Gott! Ich wünsche nur noch eines:
Bei dir zu sein bis zu der letzten Lösung.
Von deiner Schwelle kann mich niemand weisen,
Auch du nicht mehr, da du dich mir verhaftet.

Du warst Befehler. Heute bist du mehr:
Ich wuchs durch Dienst in deine Bruderschaft.
Die Sprache, die wir sprechen, ist die gleiche.
Ich habe Anspruch, daß das Tor sich öffne  ...

Nicht eines Tones Hauch gab Antwort.
Die Bläue stand. Es standen die Zypressen  ...
Doch neben mich, mit meinem eignen Lächeln,
War der Beschworene getreten: «Bleibe!».

 

Antwort des Gottes

I

Ich wußte nicht, wie weit du vorgedrungen,
Ganz ohne mich, an ein mir fremdes Ziel  ...
Wie farblos dir schon sind Erinnerungen,
Seitdem dein Geist in solche Schwermut fiel.

Erlosch dir mein Gestirn, muß ich dich weisen
In meines großen Gegen-Wirkers Hut:
Doch ihn erreichst du erst nach langen Reisen
Und um den Preis des letzten Tropfens Blut.

Ich seh dich nicht an seinen Stufen enden,
In Rauch und Kerzenglut nicht untergehn –
Noch dünkt mich Zeit, den Sinn zurückzuwenden:
Ich will im Ausgleich dir zur Seite stehn.

Nur einen Wink, und du wirst wiederhören
Kastalisches Wasser, das sich lauter macht,
Um deine falsche Trauer zu beschwören –
Und meine Harfe, welche schluchzt und lacht.

 

II

Des Geschehens
Dämmerwege
Kannst du rückwärts
Nicht ergründen.
Alle Fragen münden
An dem gleichen, schwanken Stege.
Unten aber braust das Leben
Weiter, schäumt und
Stürzt und bricht.
Augen aus dem Strudel streben
Zu dem Wandrer an der Brücke,
Haften neidvoll, spüren nicht
Trauer seiner Abendschau,
Die ihm wohl die Weite schenkt,
Doch das prüfende Gewicht
Des Erkennens
Nicht um einer Unze Schwere
Tiefer in den Abgrund senkt.

 

III

So fragst du noch: Warum?
Und willst dich nie bescheiden?
Ausbrechen aus dem Ring
Der vorbestimmten Leiden?
Gleichsetzen nicht den Weg,
Ihn tötend, mit dem Ende,
Im großen Fließen noch
Dich quälen um die Wende?

Was bist du? Nur ein Schein
In meiner Helle,
Nur eines Kelches Duft
Im Blust vor meiner Schwelle  ...
Dein Sinn: zu blühn
In Sturm und Stille  ...
Dein Recht: zu sein
Jenseits von Wunsch und Wille!

 

IV

Nach soviel Kämpfen und nach soviel Siegen
Gab es ein Zaudern, gab es eine Wahl?
Du sagst mir, nein? So war es ein Erliegen
Aus Müdigkeit, weil ich dir nicht befahl?

Willst du ein Bild, in dem ich dich umfange?
«Ich will nur dich! Mir sind die Bilder tot  ...
Wenn ich, wie nun, in deinem Odem hange,
Ist alles gut – und dieses nur von Not!

Du kannst nicht wollen, daß ich mich verzehre
In Wiederholung lang gebannter Leiden  ...
Du mußt mir Schützer sein, wenn ich mich wehre,
Nochmals Erkenntnis und Gefühl zu scheiden.

Aus neuer Flamme steigt kein neues Wunder,
Aus neuem Sturm wird mir kein Stern beschieden:
Was jetzt noch brennt, verkohlt und schwelt wie Zunder –
Die Losung meiner Reife lautet: Frieden.»

V

Ich werde so in deinem Schlummer wachen,
Daß er Vergessen, nicht nur Dämmern sei,
Ich werde keinen Traum in ihm entfachen:
Das Frühlicht finde dein Erwachen frei

Von allem Nachtgespinst der grauen Mahre!
O wolle, Übermüder, mir vertraun:
Das letzte Flammen deiner Krönungsjahre
Wirst du als Gold am Rand der Meere schaun.

Nun bist du mein, da du in meiner Hürde
Von allen andren Göttern Abschied nahmst.
Ich bin der einzige, der dich entbürde,
Weil du als Ungerufener kamst.

VI

Ein Bruder lebte mir: schon früh die Beute
Der Nacht, da er zu strahlend sich erging  ...
Wie dünkt mich wunderbar, daß ich mich heute
Vor deinem Schlaf in Baldurs Bild verfing.

Er war in mir, ja fast mit mir ein Eines,
Aus Welten, sternenweit  ... Und als er schied,
Stand ich beraubt des zauberischsten Scheines,
Und meine Harfe lehnte ohne Lied.

Sein Name barg, was du mir oftmals schenktest:
Duft deiner Tannen, deiner Wiesen Tau,
Die Sehnsucht auch, mit der du südwärts lenktest,
Und deiner Lieben längste: weiß und blau.

VII

Alles Wesenhafte fordert Wahrung,
Duldet Wandlung nur im eignen Kreis,
Gott ist niemals Kette von Erfahrung,
Die Gestirne schreiten fern und leis.

Da du diesen dienst, ist dir verboten,
Dich um irgendeinen Traum zu mühn,
Flammen, die in deinem Anfang lohten,
Dürfen nur als Angedenken blühn.

Aber was du brauchst an süßer Regung,
Wie sie jeweils deiner Stufe frommt,
Schenke ich, als lindernde Bewegung,
Wenn die Angst dich manchmal überkommt,

Deinen eignen Schritt nicht mehr zu hören
Noch des Herzens langvertrauten Ton:
Atmen sollst du, nie mehr dich betören –
Ist nicht meine Liebe mehr als Lohn?

VIII

Wenn dich der Stunden bangste übermannen,
Die Welten deiner Wahl ins Dunkel treten,
Die Freunde gehn, die besser sich besannen,
Und gute Geister nicht mehr für dich beten  ...

Wenn Wahrheit wird, was du so oft erwogen:
Daß die gewohnten Formen ganz versagen
Und auch die Brücken brechen, weil die Bogen
Die Überlast der Lügen nicht mehr tragen:

So wirst du nicht nach Trost und Hilfe schreien
Bei dem, der dich als Künder auserkoren:
Er kann von keinem Schicksal dich befreien,
In das dein Stern, aufsteigend, dich geboren.

Doch kann er so zum Brand die Flamme schüren,
Durch die du lebst, daß sie den Schutt vernichtet:
Dann wirst du wieder die Verkettung spüren,
Die als Gesetz dein Leben regt und richtet.

IX

Wenn alles dies verrauscht und wie ein Alp vergessen,
Wirst du verstehn, warum ich Einsamkeit befahl,
Warum ich Freuden auch dir nur noch karg bemessen,
Und dich genährt mit Gram und vieler Unrast Qual.

Ich hätte wenig nur an Liebe dir bewiesen,
Wenn ich den vollen Glanz dir schon vorausgeschenkt:
Was im September blüht, kann nicht im Juni sprießen –
Ich habe deinen Schritt nach deinem Stern gelenkt.

Sieh, wie er bläulich glüht, zur Weiterfahrt gerüstet,
Und ohne Beben strahlt im späten Firmament:
Ich weiß, daß ihn nicht mehr nach Morgenrot gelüstet  ...
Er herrscht im Duft der Nacht, wo kein Erinnern brennt,

Kein Wunsch dich ruft, kein Bildnis mehr dich blendet,
Nur deine eigne Glut, die meiner Glut entfließt,
Unfühlbar deinen Fuß nach den Gefilden wendet,
Wo deines Lebens Kelch sich bald im Abend schließt.

X

Blut und Erde sind die Mütter,
Doch die Erde lebt vom Äther,
Und das Blut, das nicht im Lichte
Sich beseelt, zeugt nie den Täter.

Kinder mühen sich, zu scheiden,
Was gebunden nur von Sinn ist:
Anfang, Mitte, End in Einem,
Ohne Ende noch Beginn ist.

Weißt du dieses, willst du fürder
Dem Verhängnis nicht entrinnen  ...
Alles Außen ist verwandelt,
Und was brennt, ist nur noch innen.

Ob es wärme, ob es flamme,
Ob es auch dich ganz vernichte:
Bist du, wer du glaubst, so weißt du:
Nur die Treue gilt als Richte.

 

Pythia

Die Mütter

 

Pythia

Ich bin nur Mund. Ich diene nur dem Laute,
Fühlloser als der Stein, auf dem ihr kniet.
Ich halte nie als Form das fern Geschaute
Und ahne nie, was durch mein Wort geschieht.

Ich wese nur, weil mich die Ewigen brauchen,
Ich werde Nichts, wenn sie nicht überstehn:
Doch wo verwandelt sie der Nacht enttauchen,
Wird man auch mich erneut am Werke sehn  ...

Und wieder werdet ihr mein Tor umstarren,
Den Rauch verfärben, der mir farblos steigt  ...
Ich werde künden, und ich werde harren,
Bis sich auch dieser neue Ablauf neigt.

Was uns Minute ist, dünkt euch Äonen  ...
Wer durch die Mutter kam, faßt nie den Sinn
Der Gleichung, die gestaltlos wir bewohnen:
Ihr sagt: «Ich werde» – wir: «Ich bin».

 

Die Mütter

I

Fragwürdige nennen wir euch,
Wenn euer Fragen schweigt  ...
Wer glaubt, er hat,
Enthebt sich aus dem Ring.

Nur Finsternis gebiert  ...
Die Form im Lichte stürzt
In Nacht  ... das Licht
Stürzt seinen Bildern nach.

Was ist geschehn? Ein Nichts.
Was ist geschehn? Ein All  ...
Ist Wandel Wissen? Sucht,
Ob euch ein Sinn erscheint.

 

II

Es rauscht aus Flut und Luft,
Schafft Ruh, indem es rauscht:
Ihr fühlt nicht, wie sich Gott
Mit Gott im Dritten tauscht.

Ihr trennt noch Klang und Klang,
Was dröhnt und tönt,
Seid in euch selber nicht
Mit laut und leis versöhnt  ...

Glaubt noch, daß Antwort sei,
Die ihr euch selbst nicht gebt,
Angstvoll beschwört die Hand,
Die euch den Schleier hebt  ...

Hört, was die Tiefe ruft:
Ihr seid wie Schnee, der taut:
In ein Geschehn gestaut,
Ist zwiefach Stoff gestuft.

 

III

Wes wir Verwalter sind,
West ohne Rang, ist blind:
Keimt, wo die Hand nicht greift,
Blüht, wo der Traum nicht schweift.

Als Litanei verquillt
Nicht im getürmten Bau,
Als Wunder nicht entschwillt
Dem heiligen Grau  ...

 

IV

Wir weben euch das graue Tuch
Und tilgen Ruhm und Schuld  ...
Wir hören nicht auf Lob und Fluch,
Wir weben die Geduld  ...

Wir sind nicht müd und sind nicht wach,
Es schlägt uns keine Uhr.
Wir wissen nichts von Fug und Fach,
Wir weben, weben nur.

Mit eurem Schwang und eurem Schwall
Ihr wäret lang schon, lang
Zerstoben ohne uns im All:
Wir weben euch den Zwang.

 

V

Aber die Seligen unter euch sind,
Die mit unvollendeten
Bildern hinscheiden,
Die Über-Schwingenden:
Gesang, den Sterne
Weiterwiegen: Nahrung
Dem Dunkel der Kreisung.

Hütet euch, raunen die Mütter,
Euch selber das Siegel zu setzen:
Alles Lebendigen Siegel setzen
Die Unerbittlichen:
Frevelt nicht, Gleitende,
An den blut-losen Händen!

 

VI

Habt ihr erst dies erkannt,
Daß nur der Bruchteil gilt,
Seid ihr von vielem frei,
Das heute noch euch quält.

Die ganze Zahl – als Traum –
Ist dieser Erde Fluch:
Krieg, Lug und Pestilenz,
Krampf, Kreuz und Flammenpfahl.

Die Tat wird dann gemein,
Wenn sie sich selber meint.
Die wahre Tat ist Dienst,
Gebunden vor und nach.

 

VII

Wir gaben euch im Blau
Erblühten Pflaumenzweig  ...
Den Amselruf
Durch späten Duft  ...
Auf Meilern, fern, den Rauch,
Der heimwärts wölkt  ...
Die lange Abendfahrt
Durch Land, das schlafen geht:
Wie kann euch dünken je,
Daß ihr umsonst gelebt?

 

VIII

Wir sind die Hüterinnen.
Wachen ist unser Auftrag.
Unser Amt ist der Frieden.
Die Tat ist des Mannes, doch wiegt sie
Gering vor dem großen Erbarmen.

 

Παμμήτωρ.

Komm näher, Wartender, und leih dein Ohr,
Der Mütter mächtigste will zu dir sprechen,
Der Mütter mütterlichste, Pammetor,
Will für den Sohn, der ruft, das Schweigen brechen  ...

«Kommst du nach Hause? Reift dein Los, mein Kind?
Die zu dir redet, ist, die dich geboren  ...
Die eines Abends, mit dem Frühlingswind,
Aufbrach und von euch ging aus offnen Toren.

Es starb ihr keiner nach, auch du nicht, Sohn,
Und schienst doch so mit ihrem Sein verbunden  ...
Was wundert dich, daß ihr verscholl der Ton,
Mit dem du ehmals oft ihr Herz gefunden?

Das nährende All ist tiefer als der Ruf
Der Frucht. Erschöpfter Schoß kehrt zu den Gründen.
Die Gründe schweigen. Was dein Geist erschuf,
Durch deinen Gott, kann mich nicht rückverbünden.

Einsam verglüht, wer sich Apoll verschreibt,
Umhüllt ist nur, wem nie der Ursprung dunkelt,
Wem noch ein Weg zu uns geheiligt bleibt
Und unsre Nacht noch als ein Feuer funkelt.

Zwiefach ist Delphis Rätsel: Nacht und Licht:
So jeden Ablaufs der geborenen Wesen,
Sie finden erst im Ausgleich ihr Gesicht
Und können nur als Schwebende genesen.

Vom Fluch der Adern und vom Fluch der Manen,
Von alles falschen Tätertumes Glut,
Gefährlichem Anspruch, unbedachtem Planen  ...
Nur wo das Leben leicht an Leben ruht,

So Geist an Geist und Traum an Traum, erscheint
Auch Fremdes schön und so, daß es verbindet  ...
Die Wahrheit schaut ein Herz nur, das erblindet,
Weil es in Mit-Leid um ein anderes weint.»

 

Apollon

Standbild

 

I

Stahlblaue Mulden, grüne Kämme, Gischt,
Anrollend aus dem Glanz erregter Weiten,
Ein Äther, aus Kristall und Gold gemischt,
Herden, die still zum Strande niederschreiten  ...

Du aber, unsichtbar im weißen Beben,
Doch meiner Liebe nah als Marmorbild,
Bleibst zwischen Myrtenduft und Falterschweben
Das Lächeln über Woge und Gefild.

II

Die Flöte ruft aus Moos- und Farrenfeuchte:
Wenn Pan sich regt, füllt sich auch Unsre Stunde,
Du niemals müder Lenker im Geleuchte,
Du Wirker mit Gestirn und Firn im Bunde.

Verlangend greift mein Arm in deine Bläue,
Du neigst dich zu mir, rührst an meine Finger:
Die Welt erblüht, als ob sie sich erneue:
Von je und eh du einziger Bezwinger!

Wie lange hab ich dich geliebt, und wie
Dein Bild bewahrt auf meinen trübsten Wegen –
Nun, da der Sänge späteste sich regen,
Fühl ich: nur du noch bist mir Melodie.

Verflogen jeder Ton, der dich nicht ganz
Enthüllte, mich nicht ganz verklärte,
Und alle Schmerzen sind mir nun verjährte,
Und auch der Übergang ist nichts als Glanz.

 

III

Den Glocken, Bruder, fern, und fern den Kerzen,
Dem Dämmer, der aus blauen Fenstern bricht,
Fern aller Glorie der durchbohrten Herzen,
Bist du mir aufgestellt im kühlsten Licht.

Ich bringe dir als Opfer nicht mein Leiden,
Ich rufe dich nicht um Erlösung an,
Wie soll vom Sein das Nichtmehrsein mich scheiden?
Du bist mir Gott: so bist du Ziel und Bahn.

Und jegliches, das mein erregtes Leben
Als Kampf mir und Erfüllung anbefahl,
Hat nur den einen Sinn, zurückzustreben
In deine Hand als Dank für deine Wahl.

Den Gebenden erkennst du an der Gabe:
Nur das in dir Geläuterte besteht.
Der Stoff ist Wahn. Was ich zu schenken habe,
Soll dich nicht anders rühren als Gebet.

 

IV

Wenn sich mein Geist noch manchmal rückwärts wendet
In jene fernen Jahre der Verzückung,
Dünkt mich, du hast mir überreich gespendet
Den Segen der Beseelung und Entrückung,

Das Maß, das alle Widersprüche bindet,
Das Wissen, das die Nacht als Schwester hütet,
Den Glauben, der auch da den Weg noch findet,
Wo neben jedem Schritt der Abgrund brütet.

So großer Überfluß, will nun mir scheinen,
Da alle Straßen gegen Abend streben,
Läßt mir als mindeste Verpflichtung, deinen
Geschenken noch das Heiligtum zu geben,

Wo sie, umstrahlt vom Abglanz deiner Milde,
Für alle sichtbar bleiben, die sich mühen
Im schönen Dienst vor dem erhabenen Bilde
Und keine Sehnsucht haben als: zu blühen.

 


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