Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nómoi

1929-1930

 

καὶ ἐκ πάντων ἓν καὶ ἐξ ἑωὸς πάντα.

Heraklit

 

Stimme der Götter

I

Was sollen wir euch nur Nach-weinenden sagen?
Wer seinen Geist ganz an Gewesenes verschwendet,
Steht schon vom fernsten Fanale der Wandlung geblendet:
Warnende Mahnung erlischt in dem Rinnsal der Klagen.

Wenn ihr gewahrtet, wie eure Brüder sich mühten,
Größre als ihr, und niemals um Linderung riefen:
Kam euch nicht Schaudern, ob eure buntüberblühten
Straßen der Frühe vielleicht nicht im Sande verliefen?

 

II

Viele vergessen, wozu wir sie erdwärts gesendet,
Andre ertragen nicht lange ein Sein,
Das nicht der Hoffnung entfließt, in Erlösung nicht endet,
Bleiben im Dienen nicht stumm, im Verlangen nicht rein.

Wähle: es gibt nur die Wahl – und es gibt kein Vergelten.
Wie du entscheidest, ist über dich selbst das Gericht,
Dem wir die Uhren nach unsren Umkreisungen stellten,
Dem wir nach unsrer Umrandung gestellt das Gesicht.

 

Den Fragenden

Nein, ich vergaß nicht, ihr Fragenden, doch es sind Zeiten,
Wo sich das kleinste Entäußern dem Schöpfer verbietet:
Wenn er verspürt, wie verschlossene Runen sich weiten,
Wenn sich beklemmendes Ahnen zum Wissen ihm nietet.

Wann ich noch einmal und wie und ob jemals euch rufe:
Wollet nicht heute voreilige Antwort erzwingen,
Da ich im Dunkel, mich tastend von Stufe zu Stufe,
Suche nach Harfen, die über dem Abgrund noch klingen.

Wahret, was schön euch von meinen Gesängen erschienen,
Preist, wie ich selber, das Leben: doch wisset, das meine
Rüstet sich langsam, den Göttern des Endes zu dienen  ...
Hütet das Feuer, auch wenn ich euch nie mehr erscheine.


Wir sind nicht da verschieden, wo ihr glaubt.
Uns gab die längere Prüfung kälteres Maß.
Daß «andere» Zeit beginnt, ist selbstverständlich.
Wir wissen nichts, das nicht im Fließen sei.

Daß Form sich löse, neue Form sich binde,
Ist der Gesetze allgemeinstes: doch
Getriebene nun, könnt ihr erst Treiber werden,
Wenn ihr die Stelle fandet, wo ihr steht.

Ihr seht den Wandel: wir die Wiederholung  ...
Vernahmt ihr je, daß wir die Tat verleugnet?
Was wir verleugnen, ist das Wichtigtun:
Der Gott, dem wir gehorchen, will die Demut.

 

Ausweg? Nein! Möge mir beschieden sein,
Den inneren Gang geduldig zu vollenden!
Ich weiß von keinem Ziel, das außen liegt.
Die Umkreis-Tat dient nur dem Gleichgewicht.

Das Wichtige ist selten offenbar.
Daß ihr den Tod als einen Abschluß seht,
Läßt euch den Sinn des Kreises nicht begreifen:
Der eure schließt sich erst mit eurem Tode.

 

Wir hoffnungslos und glaubenslos Genannte,
Sind mehr erfüllt von wirkenden Gewalten
Als ihr, Zerstiebende! Daß ihr im Nächsten
Nicht atmen könnt, zeigt eure ganze Schwäche.

Nur da, wo Mitte ist, hat Ferne Geltung:
Das leuchtende Zurückbezogensein  ...
Gebt ihr den Standort auf, weicht auch der Kreis  ...
Ihr rennt nach etwas, das nur innen ist.

 

Wir wollen nichts als wirkende Gemeinschaft.
Wir sind: dem Gang der Sterne eingelagert,
Berufene, ein Wissen zu verwalten,
Das keinem taugt, der es aus sich nicht teilt.

Wir schmähen keinen, stehen nur verwundert,
Wenn einer sich so sehr bedeutsam dünkt,
Und fragen uns zuweilen, wo die Bilder
Im Raume ruhn, nach denen er sich formt.

 

Das Kleinste so zu tun, wie es ihm frommt,
Sich nicht zu rühmen und des Ruhms zu spotten,
Ist ein Befehl, der aus uns selber kommt.
Was uns die klare Kraft verleiht, ist Scham,
Wenn das Gemeine urteilslos sich brüstet.
Solang uns dies Erröten bleibt,
Sind wir gefeit. Doch unsres Spruches Ende
Gilt nur für uns. Wir wollen keinen richten.
Gesinnung wecken, dünkt uns höchste Pflicht.
Gesinnung wandeln, vorverlorenes Spiel.

 

Weil wir erfuhren, daß der Dinge Zahl
Sich niemals auf den gleichen Nenner schreibe,
Sind wir zu dem gelangt, was wir vertreten:
Wir stehn in Ehrfurcht, wo Gefühl sich äußert,
Und bleiben Zweifler, wo der Geist sich bläht.
Vom Stoff zu sprechen, der als Stoff sich breitet,
Ist unsres Amtes nicht. Nur was als Blüte
Aus Hüllen drängt, gilt uns als Zeugnis Gottes.
Das Blühn ist groß im Umkreis und ist vielfach:
So groß und vielfach auch ist unser Glück.
Wir haben teil an allem: also dünkt uns
Der Güter höchstes niemals der Besitz.


Ich bin euch Lehrer nicht. Doch da ihr fordert,
Will ich die Antwort euch nicht vorenthalten.
Wie ihr sie deutet, steht bei euch. Ich kann sie
Nicht mildern für die ungeübte Seele.

Verschreibt euch nie dem Traum der Paradiese,
Noch weniger dem Lob vergangner Zeit.
Was war und sein wird, hält der Augenblick.
Mit ihm seid eines, wenn er euch ergreift!

So unermeßlich quillt das große Leben,
Daß jeder – dienend – sich erfüllen kann.
Es gibt kein andres Glück. Das Schwerste aber:
Es lebt nur der, der ohne Trugbild lebt.

 

Je mehr der Seele große Regung schwindet
Und nach dem billigsten die Wünsche streben:
Um so beglückter ist, wer plötzlich findet
Ein ganz in sein Gesetz gestelltes Leben.

 

Ihr sagt, ich sei Verneiner stets und ahne
Von eurem Lieben nichts und eurem Sehnen?
O daß ihr endlich doch den Sinn verständet
Von dem, was in mir brennt an Traum und Größe!
Nein, ich verzeichne nicht, was ich «gewahre»,
Vom Stoffe unbewegt! Ich forme, was ich fühle!
Und sah ich je Begreifende sich lösen
Aus hemmender Gewohnheit und die Banner
Entbundner Herzen um den Standort pflanzen,
Auf den Mein Gott mich wies: sah ich sie willig
Aus eigner Kraft, bewogen durch das Beispiel,
Das Wunder unsres Lebens frei zu leben
Von falschem Traum: so fand ich Ihn bestätigt!
Die Masse zeugt: doch nur der Seltne wirkt,
Bekümmert nicht um Frucht. Aus einem Korne
Kann die Verwandlung einer Welt erwachsen:
Das Korn ist wichtig, nicht der Anschein.

 

Da einmal einer nur geboren wird
Und nie ein gleicher unter gleichen Sternen,
Gilt für erwiesen uns das Grundgesetz:
Unteilbarkeit. – Die wahre Würde fließt
Aus eines Menschen Einklang mit sich selbst,
Doch Ich und Ich bleibt stets ein Ungefähr.
Dies wissend, wirkt, und wirkt euch in Gemeinschaft!
Doch keiner taste je an Sterne! Wollen
Ist mitbedingt im eingeborenen Los:
Soviel an Glut, soviel an Meilen. Weiter
Dringt keine Kraft. Wo aber wäre einer,
Der seiner Einverleibung Möglichkeiten
Zur Hälfte nur erfüllt? Ich kenne keinen.
So seht: es bleiben doch noch viele Stufen
Des Weges zu den Göttern unbetreten,
Wie sehr bedingt auch unser Dasein sei.

Es hülfe nichts, das Rad zurückzudrehn.
Das Vorrecht ist verwirkt durch lange Schuld.
Denn Dauer-Geltung schafft nur Innerstes,
Das, was sie selbst in sich verkommen ließen.
Zu ruhn ist keinem Irdischen vergönnt
Als Stand noch Zustand. Was sie heut noch wünschen,
Kommt niemals mehr  ... So endet alles,
Das seinen Gott verriet. Erwählt ist nur,
Wer durch Verpflichtung lebt.


Ihr «Weltbeglücker» wollt an fremden Völkern
Versuchen, was ihr nicht am eignen Stoffe
Vermocht? Gebild zu schaffen aus verschlostem Wust?
Armselige Schwätzer! Was ihr um euch schart,
Ist die vorausbetrogene Not der Herzen,
Die den Betrügern schon den Galgen richtet!
Verheißt! Versprecht! Die böse Saat geht auf,
Eh ihr's gewahrt – und Zins, den ihr nicht zahlt,
Wird eingetrieben! Seht doch: Jugend aller Länder
Gehorcht dem Rückruf ungebrochner Seele:
Verkrampfte Lippen wollen wieder blühen,
Von Lüge frei – die unversehrten Worte
Aus der verschütteten Tiefe heben: Heimat
Und – mehr als alle Süße – Vaterland!

 

O werdendes Vaterland! O Erde der Väter!
Es blühen die Linden um Dächer im Mond,
Aus Wiesen ergeht sich voll Heuduft ein Wind  ...
Wie leuchten die Lilien am Zaune  ...
In schlummernden Höfen, wie rieseln die Brunnen.
Begreifst du, warum ich so still bin?
An Ewiges rührt nicht die frevelnde Hand.
Der Unseele Walstatt ist keines Gedankens wert.
Laß klingen mit meinem den Becher,
Gefährte, Vertrauter! Die Reben vom Rheine
Besiegeln den Schwur: die Heilige Erde
Bekennt sich zu ihren Bekennern!
Nur Stufung ist göttlich.

 

Der Fragen ewigste: wem sind wir pflichtig?
Dem Gott, der, uns erwählend, uns geküßt,
Als wir, noch blind, aus Mutter-Dunkel traten.
Du weißt, wie mild er ist, obwohl Verlanger,
Und welches Glück er den Berufnen schenkt.
Da er vom Geiste ist, des Lichtes Bringer,
Kann, wer ihm dient, nur Lichtbewahrer sein.
Dies ist der Sinn, der uns der Welt verbindet:
Das Licht zu hüten, wenn die Nacht sich rüstet,
Bekümmert nicht um Folger noch Verdammer.
Es folgt uns nur, wer auch das Zeichen trägt,
Die Stirne, der es fehlt, denkt sich nicht an.
Was viele nicht ertragen, hüten wir
Als das Geheimnis unsrer Kraft: zu stehn
Für Gott. Doch dieser Gott ist unser Bruder.

 

Vernimm zum Troste für dein falsches Leid:
Niemals ist Mensch gleich Mensch! Du kannst
Nicht fremden Stoff an fremdem Stoffe messen.
Es gelten Werte nur für gleichen Stoff.
Was jemals war, ist allen eingelagert:
Erst was du äußerst, gibt dir deine Stufe.
Die Ebene, die dich gab, hat Recht auf dich.
Man kämpft so hoch, so tief als wie man eintrat.
Dein ganzes Amt ist: stehn. Zu allen Zeiten
Galt der Bewahrer. Das Geheimnis ist es,
An dem das trügerische Wort zerschellt.
Beweise lächelnd, daß sich nie die Türen
Des Allerheiligsten dem Forderer öffnen.
Ein Gott erzwingt sich nicht. Denn Gott ist Gnade.
Und alle Tempelwege waren steil.

 

Es werden dir manche reden von heilendem Durchgang:
Den mittleren Seelen verbrämt sich leicht eine Not.
Die Trauer ist Seltnen Erfüllung. Dein fragendes Auge
Vermag nicht zu glauben? So mußt du dich weiter gedulden.

Vielleicht noch bist du zu fordernd, um mich zu begleiten,
Bedarfst noch der greifenden Flamme, des fachenden Windes:
Ich bin nur die Luft und die Glut: der ruhende Mittag.
Wie lange noch? Wisse: wer vieles geträumt und gelitten,

Wer fast sich verzehrte im Glück: dem stehen die Weiser
Der Seele auf Abend gerichtet, und jegliche Deutung
Fließt ihm von Abend. Es ist nicht Verklärung
Wo noch ein Werdendes dämmert im wachsenden Lichte.

 

Wem Ergriffenheit sich nicht mehr auflöst,
Dem fehlt der Trost der Unterschiede.
Ewig gleich im Gewicht lastet ihm Erlebnis –
Und sein Auge steht ohne Schatten.

So lange du dieses nicht weißt:
Daß Nicht-mehr-Weinen die Grenze ist,
Sind viele Meilen zwischen uns.
Glaube mir: du mußt noch im Dämmer
Verweilen  ... reifen lernen. Die Weisheit
Ist ohne Süße. Sie ist ein
Großes Erschrecken im Anfang – und dann
Wie die Stille auf den Gesichtern
Gestorbener, die wir sehr geliebt.

 

Die Weisheit ist, sagt niemals, daß sie sei,
Und nie begeht unweiseste der Sünden:
Sich mitzuteilen, wo ein Geist nicht fragt,
Noch je dem fragenden sich zu verbünden.
Sie hat nicht Wohnung, wo ein Herz verzagt,
Weil seine Wünsche nicht in Bilder münden,
Und bleibt vom Wahne der Vollendung frei.

 

Nenne mich, wie du willst.
Wem Silber sich stahl an die Schläfe,
Dem gilt gering
Eines Namens Umschreibung.

Vom Schwebenden kommen wir her,
Bemühend uns um die Gestalt  ...
Nun wir im Feuer unsrer Formung leben,
Atmen wir wieder dem Schwebenden zu,
Wissend, auch das Umrissene sei
Schwankenden Sinnes.

 

Alles früh Gedachte noch einmal zu denken
Und zu erkennen: es war nicht zu früh gedacht  ...
Ohne Bedauern den Vorhang am Auge zu senken:
Gott ist nicht reifer, als er uns selber gemacht.


 << zurück weiter >>