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Fürst Clemens von Metternich an den Grafen Anton von Prokesch-Osten

Wien, 21. Dezember 1854.

Lieber General!

Ich benütze die erste sichere Gelegenheit, um Ihnen für Ihre freundschaftliche Erinnerung an den 23. November zu danken. Der Tag hat sich zum 81. Mal eingestellt, und er bietet mir also kaum andere Blicke als in die Vergangenheit; die Zukunft gehört mir nicht mehr, und die Gegenwart bietet mir wenig Befriedigung.

Ich bin ein geborener Feind der Nacht und Freund des Lichts. Zwischen der totalen Finsternis und dem Zwielicht mache ich einen geringen Unterschied, denn in dem letzteren fehlt ebenfalls die belebende Helle. Wo wird hell gesehen? Wenn Sie es wissen, so sind Sie begabter als ich es bin. Ich sehe in allen Richtungen Widerspruch in den Worten und den Taten, den ehrlich aufgestellten Vorsätzen und den eingeschlagenen Wegen, dem Verständlichen in den Zwecken und dem Unverständlichen in der Wahl der Mittel! Irgend Neues vermag ich in den Objekten nicht zu entdecken, die Sachen sind die alten, und sie sind selbst nicht in einem neuen Gewand aufgestellt, das Handgreifliche in der Lage sind die gewechselten Rollen unter den Darstellern des Schaustückes. Daß dasselbe mit Flugwerken und kostbarer mise en scène ausgestattet wurde, hieran ist kein Zweifel. Man führe mir nur das Stück nicht als ein neues an und erlaube mir, die Entwicklung zum Ausspruch über die Behandlung des Stoffes abzuwarten.

Wahrhaft Neues liegt in der Art der Kriegführung der Seemächte, und es zeigt sich in der Dampfkraft. Ein Unternehmen wie das in der Krim wäre vor wenigen Jahren unmöglich gewesen, und es gehört unzweifelhaft zu den großen Experimenten. Wird der Nutzen den Kosten entsprechen? Dies wird auch die Zukunft lehren, welcher viele große Aufklärungen anheimgestellt bleiben. Der Himmel lenke sie zum besten!

Im Jahre 1855 wird sich vieles deutlicher zeigen, als ich es heute zu erkennen vermöchte. Ich hoffe Sie in dessen Verlauf zu sehen. Pläne mache ich nie über eine oder höchstens zwei Jahreszeiten hinaus; ich habe mich in allen Zeiten und Lagen nach der Decke zu strecken gewußt, und je älter meine Decke wird, um so mehr verkürzt sie sich.

Erhalten Sie mir Ihre Gefühle, wie Sie der meinigen versichert sein können.

Metternich.


Gottfried Keller war ein großer Briefschreiber. Es lag wohl in seiner schreibenden Hand ein Mitteilungsbedürfnis, das der Mund nicht kannte. »Es ist sehr kalt heute; das Gärtchen vor dem Fenster schlottert vor Kühle; siebenhundertundzweiundsechzig Rosenknospen kriechen beinahe in ihre Zweige zurück.« Solche Verlautbarungen mit ihrem kleinen Bodensatz von Nonsens in der Prosa (den Goethe einmal für den Vers obligat erklärt hat) sind der sinnfälligste Beleg dafür, daß das Schönste und Wesentlichste diesem Schriftsteller mehr noch als andern unter dem Schreiben kam, weswegen er sich qualitativ immer weniger zutraute, als er konnte, quantitativ immer mehr. Im übrigen sind seine Briefe nicht nur räumlich in einer Grenzmark des sprachlichen Bereichs gelegen. Sie stellen in vielen ihrer besten Exemplare ein Mittleres zwischen Brief und Erzählung dar, Gegenstücke der Mischform zwischen Brief und Feuilleton, wie sie gleichzeitig Alexander von Villiers pflegte. Den hingebenden Überschwang des 18. Jahrhunderts, die formvollendete Konfession der Romantik darf man in diesen Briefen nicht suchen. Ein Muster ihrer spröden, verschrullten Art ist der folgende, zudem wohl die ausführlichste Äußerung, die wir vom Schreiber über seine Schwester haben – jene Regula, von der er gesagt hat, daß sie »in puncto alte Jungfer leider auf die unglücklichere Seite dieser Nation zu stehen gekommen« sei. Auch der unfehlbare, nicht ganz unverschworene Blick, den Keller für das Angefaulte, Lumpige besaß, verleugnet sich nicht, wenn er dem Adressaten das Einverständnis der beiden fahrenden Vortragskünstler beschreibt. Und wie so oft beginnt er damit, seine Säumnis zu entschuldigen. »Die Korrespondenzen«, heißt es gelegentlich, »stehen wie Wolken über meinem armen Schreibtisch.« Er selber aber ist ein wolkenschiebender, von langer Hand schweigender, die Schwüle unversehens mit gezackten Spaßen zerreißender, dumpf nachdonnernder Jupiter epistolarius.


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