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Georg Büchner an Karl Gutzkow

Darmstadt, Ende Februar 1835.

Mein Herr!

Vielleicht hat es Ihnen die Beobachtung, vielleicht, im unglücklicheren Fall, die eigene Erfahrung schon gesagt, daß es einen Grad von Elend gibt, welcher jede Rücksicht vergessen und jedes Gefühl verstummen macht. Es gibt zwar Leute, welche behaupten, man solle sich in einem solchen Falle lieber zur Welt hinaushungern, aber ich könnte die Widerlegung in einem seit Kurzem erblindeten Hauptmanne von der Gasse aufgreifen, welcher erklärt, er würde sich totschießen, wenn er nicht gezwungen sei, seiner Familie durch sein Leben seine Besoldung zu erhalten. Das ist entsetzlich. Sie werden wohl einsehen, daß es ähnliche Verhältnisse geben kann, die Einen verhindern, seinen Leib zum Notanker zu machen, um ihn von dem Wracke dieser Welt in das Wasser zu werfen, und werden sich also nicht wundern, wie ich Ihre Türe aufreiße, in Ihr Zimmer trete, Ihnen ein Manuskript auf die Brust setze und ein Almosen abfordere. Ich bitte Sie nämlich, das Manuskript so schnell wie möglich zu durchlesen, es im Fall Ihnen Ihr Gewissen als Kritiker dies erlauben sollte, dem Herrn Sauerländer zu empfehlen und sogleich zu antworten.

Über das Werk selbst kann ich Ihnen weiter nichts sagen, als daß unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf Wochen zu schreiben. Ich sage dies, um Ihr Urteil über den Verfasser, nicht über das Drama an und für sich zu motivieren. Was ich daraus machen soll, weiß ich selber nicht, nur das weiß ich, daß ich alle Ursache habe, der Geschichte gegenüber rot zu werden; doch tröste ich mich mit dem Gedanken, daß, Shakespeare ausgenommen, alle Dichter vor ihr und der Natur wie Schulknaben dastehen. Ich wiederhole meine Bitte um schnelle Antwort; im Falle eines günstigen Erfolges können einige Zeilen von Ihrer Hand, wenn sie noch vor nächstem Mittwoch hier eintreffen, einen Unglücklichen vor einer sehr traurigen Lage bewahren.

Sollte Sie vielleicht der Ton dieses Briefes befremden, so bedenken Sie, daß es mir leichter fällt, in Lumpen zu betteln, als im Frack eine Supplik zu überreichen, und fast leichter, die Pistole in der Hand: la bourse ou la vie! zu sagen, als mit bebenden Lippen ein: Gott lohn' es! zu flüstern.

G. Büchner.


Das Schauspiel »Prominenter«, welche unter hergebrachten Floskeln einem Jubiläum, einer Ehrung sich scheinen entziehen zu wollen, ist uns geläufig. Um aber den Sinn eines Verhaltens zu finden, das dergestalt gewöhnlich nur imitiert wird, muß man wohl in den Zeugnissen deutscher Menschen ein wenig zurückblättern. Da stößt man denn auf diesen Brief des großen Chirurgen Dieffenbach (1795-1847), und jene echte Bescheidenheit, die nicht Demut vor den Leuten, sondern der Anspruch auf Namenlosigkeit ist. Auch von dem, was in diesem Schreiben berührt wird, gelten Dieffenbachs Worte aus der gleichzeitigen Vorrede seiner »Operativen Chirurgie«: »Es sind keineswegs Überschauungen und Rückblicke in ein mühevolles und bewegtes Leben, keine schwermutvollen Betrachtungen am Abend des eigenen Daseins, sondern noch mit der Glut der Jugend und der Gegenwart erfaßte Begebenheiten, nicht bloß von vorgestern, sondern noch von gestern und noch von heute.« Kurz vor dem Tod versichert dieser Brief das fast vollbrachte Leben jener Treue, die den Tätigen zum Feiern so ungeschickt macht. Sie ist gewiß kein Ideal an sich. Wohl aber eignet dies Verhalten den großen Typen des deutschen Bürgertums, denen wir in dieser Briefreihe nachgehen. Wie weit wir dabei aus dem Kreise der »Dichter und Denker« uns entfernen dürfen, ohne darum eine geringere Kraft seiner Prägung zu finden, wird man, mit einiger Verlegenheit vielleicht, den folgenden Zeilen entnehmen.


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