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VIII. Capitul. Wolffgang siehet auf dem Schloß ein Gespenst. Der Barthel auf der Heide bekommt vom Advocaten seinen Rest. Wolffgangs Vater und sein einziges Kind sterben auf einen Tag.

Es schlich sich immer eine nach der andern aus dem Freithof, bis sie endlich wieder zu Pferde saßen und ganz schamrot nicht die geringste Antwort zurücke ließen. Und obgleich aus ihren getanen Fragen eine hauptsächliche Action hätte können ausgearbeitet werden, konnten wir doch keine bewegen, daß sie uns auf Herren Dietrichs Schloß zuzusprechen versprochen undzugesaget hätte, weil sieleichtlich merken können, daß sie wegen dieses frevelhaften Beginnens abscheulich würden durch die Hechel gezogen werden. Doch gaben sie so viel gegen der Frau Philippin zu verstehen, daß sie an unserer Bescheidenheit keinesweges zweifelten, und dannenhero würden wir in dieser Sache nichts vornehmen, was zu ihrem Nachteil gereichen könnte. Deswegen habe ich auch diese Gesellschaft und keine aus derselben mit Namen oder ihrem Geschlechte genennet, weil ich vor mich selbst wohl so bescheiden bin, daß man zwar mit einem Frauenzimmer wohl scherzen, aber keine solche Streiche an den Tag bringen soll, welche ihnen an ihrem guten Namen schaden können.

Weil mich dazumal meine absonderliche Gedanken ergriffen, als nahm ich, nachdem unsere Pferde aus dem Dorfe hiehergebracht worden, meinen Weg auch unter die Füße und ritt mit meinem Laquay recta auf mein Schlößlein zu, als ich zuvor versprochen, allerehestens mich bei Herren Dietrich einzufinden. Also galoppierten wir durch den Staub, daß uns die Augen vergingen, und erlangten unser Heimat noch selbigen Abends, gleich als es Nacht wollte werden.

Ich fand meine Liebste wieder gesund, aber hingegen mein Kind ganz krank und matt, darüber ich mich recht von Herzen betrübte, also daß ich fast die ganze Nacht schlaflos zubrachte. Um Mitternacht fängt etwas an, nächst meinem Fenster zu rauschen, gleich als käme ein Mann in einem großen Pelz gegangen. Gleichwie nun die Nacht an sich selbst Grauen verursachet, als schrecken dergleichen Zustände den Menschen viel mehr, als sonsten zu geschehen pfleget. Ich richtete mich, weilen ich allein lag, in dem Bett auf, konnte aber niemand in dem Zimmer sehen, so hell und klar auch meine Nachtlampe brannte. Legte mich demnach auf die andere Seite und dachte, es wären nur bloße Phantasien, welche einen betrübten Menschen leichtlich auf eine falsche Meinung verleiten könnten. Kurz darauf klopfte es an der Stubentür so ausführlich an, daß nichts Deutlichers hätte können gehöret werden. Ich dachte, es wäre vielleicht der Laquay oder eine Magd, die mich wegen großer Krankheit des Kindes aufweckten, und fragte: »Wer da?« Aber es wollte sich nichts melden, viel weniger eine Antwort geben. Darauf schmiß es, gleichwie man mit einer Spießrute schlaget, dreimal auf das Gemäl meines Vaters, welches ich in diesem Zimmer auf der Türrahme stehen hatte, so deutlich und ausführlich, daß ich den Staub davongehen sah.

Dieses Spectacul, wie leichtlich zu erachten, jagte mir eine große Furcht ein. Ich sprang aus dem Bette, eilete in meinen Nachtpelz und hatte doch das Herz nicht, zu der Tür hinauszugehen, wo es zuvor angeklopfet hatte. Eröffnete demnach ein Fenster, und als ich mich an demselben meiner Angst entledigen wollte, kam mir auf einem Baum, welcher ziemlich nahe stund, ein helles Licht zu Gesichte, und unter dem Baum stund ein Weibsbild, ganz weiß eingeschleiert, welches sich von unten bis oben so hoch und lang vergrößerte, bis sie das Licht auf dem Gipfel des Baumes ausgeblasen und mir zugleich vor Augen verschwunden.

Ich schlug das Fenster wieder zu und läutete durch ein Glöcklein meinem Diener, der ganz erblaßt zu mir kam, weil er gleichwie ich eine weiße Frau in dem innersten Hofe gesehen, die sich über das Dach hereingelassen hätte. Aus dieser Relation des Dieners wie auch aus dem, was ich gesehen hatte, konnte ich mir keinen guten Morgen verkündigen, sondern fing schon an, an dem Aufkommen meines kleinen Kindes, welches ich so sehr liebhatte, zu zweifeln, wie es denn auch mit meiner unbeschreiblichen Herzensangst gestorben ist.

»Es ist«, sagte ich zu dem Diener, »in diesem Schlosse etwas Ungewöhnliches und also kein gutes Omen; bringe dein Bett herein und schlafe die übrige Zeit, bis es Tag wird, bei mir.« Hiermit ging ich hinunter und sah das Kind, welches in großer Hitze darnieder lag, noch zu guter Letze mit nassen Augen an, und war mir leid, daß ich es nur eine so kurze Zeit solle gesehen haben. Aus großem Schmerzen ging ich wieder zurücke und brachte dieselbe Nacht in steter Kümmernis hin. Da fing ich aufs neue an zu betrachten, was die Ewigkeit wäre und wie schrecklich sie demjenigen sein müsse, der sich in derselben keines Trostes zu erfreuen, sondern immer mehr und mehr Betrübnis zu fürchten hätte.

Der anbrechende Morgen war mir angenehmer als viel Schätze der Welt, und als ich mich kaum angekleidet, entstund vor meinem Schlosse ein großes Geschrei. Ich sah hinunter, und es war der Advocat und Barthel auf der Heide in Person mit ihren Degen übereinander und fochten so blutbegierig zusammen, daß ich einen schlechten Ausgang urteilen konnte. Die Gebühr und mein Hausrecht ließ nicht anders zu, die Duellanten von meinem Platz abzuschaffen. Darum eilete ich mit meinem Hirschfänger hinunter, entweder Friede zu machen oder sie von dem Platze abzutreiben. Ich war aber noch nicht über dem Hofe, als der Advocat den mehr als unglückseligen Barthel mit seinem Degen bis aufs Gesäße durch und durch gestoßen. Ich mußte also den Entleibten in seinem eigenen Blute ersticken sehen und noch viel Lästerwort reden hören, unter welchen er seinen unruhigen Geist aufgegeben. »Ach, Freund,« sprach ich zu dem Advocaten, »was hat Er getan?« – »Ich habe«, antwortete er, »getan, was er mir hat tun wollen. Er ist sich selbst einen weiten Weg zum Grabe gegangen, indem er mich auf vier Meil Weges verfolget und mein Pferd unter mir auf offener Straßen totgeschossen. Nun liegt der ehrliche Vogel hier ausgestrecket; wie er gewollt hat, so ist ihm geschehen. Ich bin ihm weiter als zwei gute Feldweges immer ausgewichen, glaubend, er würde sein schreckliches Fluchen und Rasen bleiben lassen. Nichtsdestoweniger verfolgte er mich bis hieher, allwo ich für Müd- und Mattigkeit nicht mehr anders gekonnt, als mich auf das äußerste zu wehren.«

Hierauf nahm ich ihn als Zeuge seiner Handlung zu mir in meinen Schutz, und wir waren kaum in das Schloß hinein, als schon etliche Gesellen des Bartheis mit bloßen Dolchen gelaufen kamen und, als sie ihren Rädelführer tot sahen, etliche Puffer in die Fenster schossen. Ich aber antwortete ihnen mit meinen gut gezogenen Röhren dergestalten, daß ihrer zwei auf dem Platze liegenblieben und ihrem Haupte sowohl im Tod als Leben Gesellschaft leisten mußten. Die übrigen drei verfolgte ich mit zweien Pferden und kriegte noch einen unter diesen, welcher dergestalten zerhauen und zerfetzet worden, daß ihm schwerlich ein Zahn mehr wird wehe tun. Also legte ich das Gespenst viel mehr auf diese Begebenheit als auf mein totes Kind aus und war zugleich froh, daß der berufene Barthel auf der Heide, von welchem wir alle so große Überlast in dem Lande gehabt, nunmehr seinen Rest bekommen, ob ich schon gewünschet, daß er vor seinem Tod noch zur Erkenntnis seiner Missetat gelangen und noch wahre Buße hätte tun können. Denn es war abscheulich, wie in großem Zorn und vollem Grimm er dahingefahren, da er ohne Zweifel aus einem kalten in ein warmes Bad geplumpset, daraus er sich mit seinen tausendfältigen Practiquen nicht mehr wird los und ledig machen können.

War demnach voller trauriger und betrübter Gedanken, die bei einem solchen Zustand nicht ausbleiben können. O Wolffgang, gedachte ich, du stürzest dich von einem Unglück in das andere, dein guter Geist hat dirs neulich eingegeben, dein voriges Leben in dem Turm wieder anzufangen; und es hat dir geschwant, was für eine Verantwortung du über deinen Hals ziehen wirst. Vielleicht sind diese Bösewichte in ihrer Unbußfertigkeit gestorben! Hättest du sie nicht anders als mit der äußersten Schärfe bezwingen können? Aber nein! Es hat so sein müssen. Wie man in den Wald rufet, so lautet das Echo. Wer trüb einschenket, muß trüb austrinken; man muß eine Schärfe gebrauchen, wer könnte sonst dem Landfrieden trauen? Ich liege auf der Einöde und würde durch meine Gelindigkeit nicht sowohl das Übel von mir abtreiben als mir solches vielmehr zuziehen. Dieses billigte der Advocat durch viele Articul der Rechten, und also machte er mir und meiner Sophia das Herz wieder in etwas leichter, weil sie trefflich gewissenhaft war und sich über der allergeringsten Sache einen schweren Zweifel machte.

Ich schickte einen Knecht mit dem Bericht, welchen der Advocat umständlich concipierte, in die Stadt nach Ollingen, daß er solchen daselbst dem Gericht überlieferte und auf Antwort wartete, was mit den toten Körpern sollte vorgenommen werden. Indessen blieb der Advocat mit gutem Mut bei dem Mittagmahl in meinem Hause und ließ sich wegen der vorübergegangenen Schlägerei im geringsten nichts anfechten.

Als wir nun über Tische saßen und noch immerzu von diesen Sachen redeten, kam ein Knecht von meinem Vater Alexander, welcher in seiner frommen Lebensart bis daher seine Tage zugebracht und sich heute morgens, als er in seine Kapelle gehen wollen, über eine steinerne Treppen so sehr verletzet, daß er, allem Ansehen nach, bald sterben würde. Es schien dazumal, als hätte das Unglück zusammen geschworen, mich auf einmal zu betrüben. Derohalben machte ich mich fertig, geschwinde dahin zu eilen, und befahl indessen dem Advocaten, zu allen diesen Sachen im Namen meiner gute Anstalt zu machen, derer er vom Gericht würde Befelch erhalten. Also ritt ich, so geschwind es sein konnte, in großem Wind und Wetter gegen das Schlößlein meines Vaters, fand ihn aber schon tot; wie er sich denn auch gleich tot gefallen, der Bot mir aber, meinen Schrecken zu hinterhalten, eine andere Post gebracht hatte. Dieser Zustand schlug mir um so viel mehr zu Herzen, weil ich, noch ingedenk der vorigen Begebenheit, mich je länger je mehr peinigte und nunmehr die Art ganz vergessen hatte, durch welche ich mich sonsten nicht leichtlich etwas habe anfechten lassen. Ich ordnete hierauf, weil es ja nicht anders sein konnte, fleißig an und nahm von dem Verwalter einen Eid an, daß er sich, wie seinem Amt zuständig wäre, in allem treu, gehorsam und aufsichtig solle erzeigen und als ein aufrichtiger Diener finden lassen.

Alle Kästen und Gewölber wie auch Keller und Speiskammern versiegelte ich. Damit aber das Gesind sich keiner Filzigkeit zu beklagen hatte, mußte der Verwalter indessen auslegen, bis ich mit ehestem wieder würde zurückgekommen sein. Also ritt ich mit vielen Tränen wiederum davon und mußte erfahren, wie wehe es tue, wenn man seine Eltern und Kinder in einem Tage zugleich verloren hat.

Der abgeschickte Knecht brachte von Ollingen Befelch, daß man die Totenkörper so lange liegen ließe, bis sie von dem Henker würden aufgehoben und an den gewöhnlichen Ort begraben werden. So blieb die Sache dermalen anstehen, und der Advocat wurde vor das Gericht citiert, daselbst mündliche Relation seines Duells abzustatten, dazu er gar willig und bereit war. Er nahm noch selbigen Abends Abschied, sich morgen vor der Gerichtsstube zu stellen. Ich aber sah die Auslegung meines gesehenen Gespenstes mehr als klar vor Augen. Die Streiche, welche an meines seligen Vaters Bildnis geschehen, gingen mir, sooft ich daran gedachte, noch durchs Herz; aber mein Weib tröstete mich in meinem höchsten Betrübnis, ob sie schon, gleichwie ich, nicht ohne Kummer und Schmerzen war. Ich gab mich endlich zufrieden und erquickte meinen Geist durch Lesung lustiger Schriften, weil es sich ja nicht anders machen, viel weniger das Geschehene wieder zurückbringen ließ. »Wohlan!«sagte ich, »wer in der Welt lebt, muß die weltliche Zustände ertragen; man kann nicht immer lachen, man kann auch nicht immer weinen. Wolffgang, werde wieder ein Eremit, so wird sich das andere alles finden.«


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