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II. Capitul. Betrachtet die Lust der Einsamkeit.

Diese Lehren nahm ich teils aus dem Kloster, teils auch von mir selbsten, und wie ich zuvor gemeldet, so taten die unterschiedlichen Schriften der Geistlichen nicht ein geringes, sowohl was meine einsame Zeitvertreibung als die Gemütserbauung betrifft. Ich ließ mir aber unter andern herrlichen Büchern absonderlich wohl gefallen des andächtigen Thomas a Kempis sein Büchlein von der Nachfolgung Christi, welches, ob es gleich nicht von Gold, dennoch viel kostbarer als das Gold und alle Schätze der Welt ist. Ich hielt solches Büchlein nicht allein deswegen so hoch, weil es mir von dem Abten in dem Kloster vor allen andern so sehr gelobet worden, sondern weil ich in demselben einen solchen Weg angetroffen, auf welchem man nicht irren kann. Alle Wort dieser Schrift waren mir süßer denn Honig, und ich lernete daraus von Tag zu Tag, ja von Stund zur Stund, die Eitelkeiten dieser vergänglichen Erden mehr und mehr kennen und dieselben auch vorsichtig fliehen.

Das zwanzigste Capitul des Ersten Buches ließ ich mir absonderlich zum Leitstern dienen, weil es handelt von der wahren Einsamkeit, und daß es dem Menschen sehr nötig sei, sich zuweilen selbst zu prüfen, wie und wo er lebe, daß es nicht genug sei, den Händeln der Welt und seinen äußerlichen Geschäften obliegen, sondern daß man vor allen Dingen das Herz wohl reinige und sein Gewissen zufriedenstelle. Denn es ist sehr nützlich, daß der Mensch, er sei, wer er wolle, zuweilen eine gelegene Stunde suche, allein zu sein und von allen diesen Guttaten mit sich selbsten zu discurrieren anfange, welche er die Zeit seines Lebens von Gott und guten Freunden genossen habe. Man soll billig in der Einsamkeit solche Materien und Schriften durchlesen, die vielmehr in dem Menschen eine Andacht als Verwunderung auswirken können. Wenn man nur will, so hat man Zeit genug, von den zeitlichen Eitelkeiten entäußert, solchen Gedanken vollkommen nachzugehen. Die Heiligen selbsten haben alle Gesellschaft der Menschen, wo sie gekonnt und vermocht, geflohen und haben ihre Lust alleine gesucht, Gott den Allmächtigen im Verborgnen anzurufen. Dahero sprach jener: Sooft ich unter den Menschen gewesen, bin ich allzeit ein wenigerer Mensch zurückgegangen. Dieses erfahren wir gar oft, wenn wir nämlich unter- und miteinander bald von diesem, bald von jenem Märlein schwätzen. Denn es ist viel leichter, ganz und gar schweigen, als sich in solchen Unterredungen alles Fehlers enthalten können, und es ist weit sicherer, zu Hause verborgen zu sein, als sich unter dem Volk vor Unglück wohl zu beschirmen. Wer dannenhero geistlichen Sachen obliegen will, dem ist nötig, daß er sich, so viel er kann, von allen solchen Gelegenheiten entziehe und enthalte, die ihm können an der Seelen schädlich sein. Niemand kann in dieser Welt sicherer erscheinen, als welcher gern verborgen lieget. Niemand redet sicherer als derjenige, so gerne schweiget. Und niemand führt eine bessere Zucht, als der sich der Zucht selbsten unterwürfig machet.

Es kann sich kein Mensch recht vollkommen freuen, es sei denn, daß er das Zeugnis eines guten Gewissens in sich fühle. Aber nichtsdestoweniger so ist doch die Freude der Gewissenhaften und Frommen allezeit mit Tränen und einer billigen Furcht gegen Gott vermischet. Und es ist genugsam bekannt, daß auch die heiligen Leute jederzeit in voller Demut gestanden, ob sie gleich bei sich selbsten große Gnad von oben herab gespüret haben. Hingegen ist das Frohsein der Gottlosen eine solche Sicherheit, die vielmehr aus einer angemaßten Hoffart und Übermut entspringet, und diese Sicherheit findet sich endlich an dem Ende und Ausgang durch sich selbsten betrogen und hinter das Licht geführt. Dahero hast du Ursache, dir nimmermehr eine gewisse Sicherheit zu versprechen, ob du gleich bei dir selbst meinest, daß du ein frommer Einsiedler, Mönch oder Waldbruder seiest.

Es ist oftermals geschehen, daß diejenige, auf welche die Welt viel gehalten hat, gefallen sind wegen des großen Vertrauens, so sie auf ihre eigene Tugenden gesetzet haben. Dannenhero ist es vielen Menschen, ja den meisten unter uns viel nützlicher, daß wir mancherlei Anfechtungen und Widerwärtigkeit haben, auf daß wir nicht zu sicher und frei werden und also wie die Pfauen die Federn auseinanderbreiten. Oh, wer so klug wäre und nimmermehr einer zeitlichen Freude verlangte! wer sich auch aller Welthändel enthalten könnte! wahrhaftig, dieser würde allezeit ein unverletztes Gewissen behalten. Oh, wer da alle eitle Sorgen von seinem Herzen abschneiden könnte! und nur allein himmlischen und heilsamen Gedanken obläge! dieser würde seine Hoffnung ganz in Gott setzen und großen Fried samt einer steten Ruhe genießen.

Derjenige Mensch ist nicht würdig eines himmlischen Trostes, welcher nicht in einer steten Reue über seine Sünden begriffen ist. Wenn du willst von Herzen über deine Sünden büßen, so gehe in dein Kämmerlein und schließe aus alles Weltgetümmel. Du wirst in deiner Klausen finden, was du außer derselben bald verlieren kannst. Ein solcher einsamer Ort, in welchem man stets wohnet, wird dem Gemüt sehr angenehm und süße, aber wo man ihn nicht groß achtet, so gibt er statt des Honigs nichts als bittern Verdruß und Widerwillen. Wenn du im Anfang deiner Bekehrung eine solche Wohnung mit deinem Gebet fleißig bewohnen wirst, so wird sie dir hernachmals eine angenehme Freundin und Enthalterin deines Lebens sein.

Es ist ohne Streit, daß man in stiller Ruhe die Seele mit großer Andacht ernähren kann. In einer solchen Einsamkeit kommt man viel leichter zum Verstand der göttlichen Schrift, und dorten kann man auch unverhindert beweinen alle Sünden, über welche wir so sehr betrübet werden. Und also werden wir dem Himmel viel näher zugetan, je weiter wir von der Erden entfernet leben. Wer sich derohalben von seinen Bekannten und Freunden äußert, der wird sich zu Gott nähern und seine Engel zu Gesellschaftern kriegen; denn es ist viel besser, daß man auf sich und sein Heil Achtung gebe, als daß man mit Vergessung sein selbst große und unvergleichliche Heldentaten verrichte. Es ist einem geistlichen Menschen sehr löblich, daß er selten ausgehe, daß er fliehe, von andern gesehen zu werden, und daß er auch einen Scheu trage, die Weltmenschen zu sehen.

Was hilft dichs, du elender Mensch, daß du etwas siehest, was du doch nicht genießen kannst? Die Welt vergehet, und all ihre Lüsten verschwinden. Du hast unterweilen eine Lust, spazierenzugehen, aber wenn ein kurzes Stündlein vorüber ist, was hast du anders davon und was trägst du zurück als ein schweres Herz und zerstreuetes Gemüt? Ein fröhlicher Ausgang zeucht gar oft einen traurigen Rückweg nach sich, und ein kurzweiliger Abend macht oftermalen einen mühsamen Morgen. Also gehet alle fleischliche Lust überaus lieblich ein, aber am Ausgang martert und peiniget sie als eine unleidentliche Folter. Und was kannst du anderwärts sehen, das du nicht in deiner Einsamkeit sehen kannst? Siehe über dich gegen dem Himmel, hebe das Gesicht auf die Erden und betrachte alle Elementen, da hast du alles, was du sehen kannst, denn aus diesem ist alles geschaffen.

Und was verhoffest du wohl zu sehen, das in der Welt möge beständig sein? Du bildest dir vielleicht ein, dich an solchen Sachen zu sättigen, aber du wirst nimmermehr zu einem solchen Endzweck gereichen. Wenn du gleich alle Sachen hier vor dir sähest, was wäre es denn änderst als eitles Wesen? Hebe deine Augen vielmehr auf zu Gott in die Höhe und bete zu ihm, daß er dir verzeihe deine große Sünden und Missetat. Lasse du den eitlen Menschen das Eitle, du aber betrachte mehr solche Sachen, daran dein ewiges Heil gelegen ist. Schließe deine Tür zu und rufe zu dir deinen geliebten Bräutigam Christum. Mit diesem bleibe in deiner Klausen, weil du anderwärtig keine solche Ruhe finden kannst. Wäre mancher nicht ausgegangen, sondern bei seiner Andacht zu Hause geblieben, hätte er ohne allen Zweifel nicht so manchfältigem Unglück unterliegen dörfen. Denn so sehr von der Neugierigkeit die Ohren ergetzet werden, so sehr wird öfters, ja viel heftiger, das Herz gemartert.

Alle diese Worte las ich in überwärmtem zwanzigsten Capitul des frommen Canonici Regularis Thomas a Kempis, welche ich, wie auch das ganze Werklein, zu meinem besseren Gebrauch und Zeitvertreib aus dem Lateinischen in die teutsche Sprache übersatzte, mit welchem ich fast in die acht Wochen umging. Und also täten auch die andere Gesellschafter, die doch nicht allerdings unterlassen konnten, ihren Zustand durch Schreiben zu berichten, denn wir hielten einen Ordinari-Boten, welcher, zwar nicht so oft, als vormals geschehen, jedennoch zu gewissen Zeiten, unsere Briefe hin und wider trug, in welchen wir meistenteils aufgezeichnet, was wir lasen, was wir schrieben oder was wir sonsten vor Betrachtungen vorgenommen. So schickten wir auch einander ein Buch da-, das andere dorthin und hielten unser sonderlich Diarium, darinnen zu ersehen war, wie einer und der andere sein Leben vollführte. Philipp schrieb ein Buch von der Ewigkeit, ich einen Tractat von der Gemütsruhe. Christoph, als ein in der Revier wohlerfahrner Mensch, machte eine Landkarte über unsere Landschaft. Dietrich schrieb ein Buch von den alten Rittern und ihren Gebräuchen; unsere Weiber aber näheten zum Teil in der Teppichtnaht oder auch andere Tücher, zum Teil schrieben sie Kochbücher, gleich als wäre den Einsiedlern so viel an den kostbaren und wohl zugerichteten Tafelspeisen gelegen. Die Frau Philippin klöppelte Spitzen, gleich als hätte sie ihrem Herren große Überschläge davon machen müssen. Also bekamen wir, wider unsern eigenen Willen, über die Weiber und ihren vorgenommenen Zeitvertreib zu lachen, und Philipp konnte noch nicht allerdings die Schnacken und Grillen fahrenlassen, denen er von Natur zugeneigt war; so stackten ihm auch die alte Possen noch häufig in dem Kopf, und ich muß es gestehen, daß ich unter allen anderen seine Briefe sehr ungern gelesen, weil sie mich entweder noch der begangenen Stücklein erinnert oder sonsten in meiner Andacht, bald da, bald dorten, verstöret haben.


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