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Wie sah G. A. Becquer aus!

Leise, ganz leise tritt er auf, wie um den Schlaf der Jahrhunderte nicht zu stören ... Einsam sind seine Spaziergänge schon von frühester Jugend an, ausgefüllt mit Träumereien, mit Zeichnungen seiner geschickten Hand. Er wandelt umher wie jemand, der als reifer Mann die Stätten seiner Kindheit wiedersieht und aus Erinnern und Erfragen eine Kette stiller Verehrung aneinanderflicht. Ein verträumter, lang aufgeschossener, blasser Knabe mit dunklen Locken, schreitet er durch die engen, bunten Gassen seiner schönen Vaterstadt, mit der Körpertraurigkeit edler Tiere einherschleichend. Jedes Tor, jede Säule, jedes Stück Mauerwerk werden lebendig und sprechen zu ihm, sprechen in deutlicher, eindringlicher Sprache. Stets begleitet ihn ein Buch zu seinem Lieblingsplatz am Ufer des Guadalquivir, weit draußen vor dem Macarenator, beim verfallenen Kloster des Sankt Hieronymus. Dort, im Schatten der Pappeln, läßt er seinen Gedanken freien Lauf und träumt seine jugendlichen Träume ... träumt von einem friedlichen Dichterleben ... träumt, daß seine Geburtsstadt einst stolz sein wird auf seinen Namen ...

Er liest viel, träumt noch mehr und ist immer beschäftigt, beschäftigt mit Studien, Arbeiten, Plänen. In Madrid finden ihn seine Freunde den ganzen Tag in seiner dürftigen Kammer hocken, die er mit seinen Zeichnungen geschmackvoll hergerichtet hat. Er friert, hungert, leidet die ärgsten Entbehrungen – aber nie kommt ein Wort der Klage von seinen Lippen. Alles erträgt er mit einer stoischen Geduld, mit müdem, wehmutsvollem Lächeln. Seine Freunde nennen ihn einen »Engel«. Laute Freuden sind ihm zuwider, knabenhafte Schüchternheit und mädchenhafte Keuschheit schließen ihn aus von den jubelnden Freunden und ihren durchtollten Nächten. Er kennt keine »Weiber« – will sie nicht kennen. Immer und überall sucht er die ideale Frau, die ersehnte Frau seiner Träume, wo andere klar und nüchtern sehen, ist er blind; wo andere blind sind, wird er zum Seher. Das Leben betrachtet er durch seine eigene Brille; er sieht überall andere Farben und andere Formen als die übrigen Sterblichen.

Sein ganzes Wesen ist ernst und düster, ebenso schwarz wie sein Haar, ebenso dunkel wie seine Hautfarbe, ebenso weich und verträumt wie seine Augen ... Sein Äußeres, das in den jungen Jahren den Künstler verrät – mit wallenden Locken und kleinem Kinnbart, wie ihn sein Bruder Valerian gemalt hat –, wird immer unauffälliger, immer bescheidener, dem Zustand seines Innern entsprechend. In den letzten Jahren seines kurzen Lebens wird er als großer, ernster Mann beschrieben, das bleiche Gesicht von schwarzem Vollbart umrahmt, in der Kleidung stets einfach und sorgfältig.

Gewöhnlich schweigsam und verschlossen, wird er nur gesprächig, wenn die Rede auf Kunst und Literatur kommt. Dann verteidigt er seine Ansichten, entwickelt seine Ideen und zeigt eine Leidenschaftlichkeit, die in seltsamem Gegensatz steht zu seiner Alltagsruhe. Im Kaffeehaus, das er hin und wieder besucht, beteiligt er sich wenig an der allgemeinen Unterhaltung, sitzt still und versonnen in einer Ecke, hört die Freunde sprechen, ohne ihnen zu lauschen. Er geht neben ihren Gesprächen her, wie seine Kunst neben der seiner Zeitgenossen ... Manchmal wirft er ein Wort dazwischen, irgendeine kurze, geistreiche Bemerkung, die so ungewöhnlich ist, daß sie nicht verstanden wird und nur Kopfschütteln erregt. Danach versinkt er wieder in sein melancholisches Brüten ...

Aber es kann geschehen, daß er, gepackt von der Erkenntnis seiner namenlosen Einsamkeit, plötzlich aufspringt und ohne Gruß hinausstürmt in die Nacht ... hinaus in die unbegrenzten Gefilde seiner Träume ...

S. R.-W.


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