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Das Gelöbnis

 

I

Margret hatte das Gesicht in den Händen verborgen und weinte still vor sich hin. Die Tränen rannen leise an den Wangen herab, und da sie den Kopf vornüber gesenkt hatte, sickerten sie durch die Finger und tropften auf die Erde.

Neben Margret stand Peter, von Zeit zu Zeit sah er auf und schaute sie an, aber da sie immer noch weinte, blickte er wieder zu Boden und versank in tiefes Schweigen.

Auch ringsumher war alles still geworden, gleichsam aus Achtung vor ihrem Leid. Die Stimmen auf dem Felde waren erstorben. Der Abendwind schlief, und im Gehölz hatten die dichtbelaubten Bäume sich langsam in dunkle Schatten gehüllt.

So verstrichen einige Minuten. Am Horizont wurde die letzte helle Spur, die die sinkende Sonne hinterlassen hatte, fortgewischt; undeutlich umrissen zeichnete sich der Mond auf dem violetten Grunde des dämmernden Himmels ab, und nach und nach wurden die größeren Sternbilder sichtbar.

Peter brach schließlich das beängstigende Schweigen. Stockend, mit leiser Stimme, und als ob er mit sich selber spräche, rief er:

»Es ist doch unmöglich, ganz unmöglich!«

Darauf wandte er sich wieder zu dem fassungslosen Mädchen, und, ihre Hand ergreifend, fuhr er milder und zärtlicher fort:

»Margret, für dich bedeutet die Liebe alles, und du siehst nichts außer ihr. Aber es gibt etwas, das ebenso heilig ist wie unsere Liebe: das ist meine Pflicht. Unser Herr, der Graf von Gomara, verläßt morgen seine Burg, um seine Scharen mit dem Heer des Königs Ferdinand zu vereinigen. Es gilt, die Stadt Sevilla aus der Macht der Ungläubigen zu reißen – und ich muß dem Grafen Gefolgschaft leisten. Als Waise unbekannter Herkunft, ohne Namen und ohne Sippe, schulde ich ihm alles, was ich bin. Ihm hab' ich gedient in der müßigen Friedenszeit; unter seinem Dach hab' ich geschlafen; an seinem Herd mich gewärmt und von dem Brot seines Tisches gegessen. Wenn ich ihn heute im Stich lasse, wird man morgen höchlichst verwundert sein, mich nicht unter der Schar zu sehen, die aus den Burgtoren zieht. Seine Mannen werden fragen: ›Ja, wo steckt denn der Lieblingsknappe des Grafen von Gomara?‹ Meinem Herrn wird Scham den Mund schließen, aber seine Pagen und Spaßmacher werden höhnisch erwidern: ›Des Grafen Knappe ist nur im Turnier ein Held, er bricht nur Lanzen um lieber Frauen willen!‹«

Als Margret ihn also reden hörte, hob sie den tränenfeuchten Blick und sah ihrem Liebsten in die Augen. Ihre Lippen bewegten sich, als ob sie etwas sagen wollte, aber ihre Stimme erstickte in Schluchzen.

»Um Gottes willen, hör' doch auf zu weinen,« fuhr Peter fort, und seine Stimme ward noch wärmer und überzeugender, »deine Tränen tun mir weh. Wenn ich auch jetzt in die Ferne ziehen muß – ich komme wieder, und dann hat sich mein unbekannter Name ein wenig mit Ruhm bedeckt ...

Der Himmel wird uns bei dieser heiligen Heerfahrt beistehen. Wir werden Sevilla erobern und der König wird uns siegreichen Kriegern ein Lehen an den Ufern des Guadalquivir geben. Dann komme ich zurück und hole dich, und zusammen machen wir uns auf, um uns in jenem Paradies der Mauren ein Heim zu gründen, wo sogar der Himmel noch klarer und blauer sein soll als hier in Kastilien.

Also ich schwöre dir: ich komme wieder! Ich komme wieder und halte das Wort, das ich dir feierlichst gegeben – damals, als ich dir auch den Ring aufsteckte, zur Bekräftigung meines Gelöbnisses.«

»Peter!« rief nun Margret, mit fester, entschlossener Stimme ihre Erregung meisternd, »geh, ja geh um deiner Ehre willen!« Und mit diesen Worten warf sie sich noch ein letztes Mal ihrem Liebsten in die Arme. Dann aber fügte sie dumpfen Tones und seltsam bewegt hinzu: »Ja, geh, um deiner Ehre willen, aber komm wieder ... komm wieder um der meinigen willen!«

Peter küßte Margret auf die Stirn, ergriff sein Roß, das an einem Baum festgebunden war, beim Zügel und ritt im Trab durch den Baumweg davon.

Margret schaute Peter nach, bis sich sein Bild im Schatten der Nacht verlor, und als sie ihn nicht mehr sehen konnte, kehrte sie langsam ins Dorf zurück, wo ihre Brüder ihrer schon warteten.

»Leg' deine Sonntagskleider zurecht,« sagte einer von ihnen zur ihr, als sie eintrat, »morgen gehen wir mit dem ganzen Dorfvolk nach Gomara, um den Grafen nach Andalusien ausrücken zu sehen.«

»Ich hab' keine Freude daran,« antwortete Margret seufzend. »Mich stimmt es traurig, wenn ich all die vielen Menschen fortziehen sehe, die vielleicht nie wiederkommen!«

»Trotzdem hast du mit uns zu kommen,« beharrte der andere Bruder, »und mußt dich putzen und fröhlich aussehen! Die Klatschweiber sollen nicht sagen, du habest ein Verhältnis mit einem der Burginsassen und dein Liebster zöge in den Krieg!«

 

II

Kaum zeigte sich am Himmel das erste Morgenrot, als im ganzen Gemark von Gomara das laute Blasen der gräflichen Reisigen anhub. Und schon aus der Ferne sah das Landvolk, das in zahlreichen Gruppen aus den nahen Weilern herbeiströmte, auf dem Bergfried das herrschaftliche Banner im Winde flattern.

Überall sammelten sich Neugierige an, des Schauspiels gewärtig. Am Grabenrand hockten sie und in die Bäume waren sie geklettert, weit im Felde streiften sie umher, auf allen Hügeln der Umgegend saßen sie, und längs der Landstraße hatten sie sich in langen Reihen aufgestellt.

Eine Stunde war ungefähr verstrichen, und einige fingen schon an ungeduldig zu werden. Da erklangen von neuem Trompetenstöße. Alsobald rasselten die Ketten in der Windberge, und langsam wurde die Zugbrücke über den Graben gelassen. Dann wurde das Fallgatter hochgezogen, in den Angeln kreischend öffneten sich nacheinander die schweren Flügel des Außentors, und man blickte hinein in den Zwinghof.

Die Menge drängte sich auf den höchsten Punkten des Weges zuhauf, um die glänzenden Rüstungen und prunkvoll aufgezäumten Pferde besser sehen zu können. Denn die Gefolgschaft des Grafen von Gomara war in der ganzen Gegend wegen ihrer Pracht und ihres Reichtums bekannt.

Den Zug eröffneten die Ausrufer, die von Zeit zu Zeit stehenblieben und nach einem Trommelwirbel mit weithin schallender Stimme das Sendschreiben vorlasen, demzufolge der König seine getreuen Vasallen zur Heerfahrt gegen die Mauren aufrief und den freien Städten und Dörfern gebot, seine Scharen ungehindert durchziehen und ihnen Schutz und Beistand angedeihen zu lassen.

Den Ausrufern folgten die Wappenkönige, stolz und prächtig anzuschauen mit ihren weißen Federbaretts und in den seidenen Heroldsröcken, auf denen in Gold und bunten Farben die Wappenschilder eingestickt waren.

Eine Schar von etwa zwanzig jener berühmten Zinkenisten, denen in den alten Chroniken der spanischen Könige unglaubliche Lungenkraft nachgesagt wird, zogen einem Ritter voran, der, bis an die Zähne gewappnet, auf einem Rappen saß und das gräfliche Banner mit dem Wahlspruch und allen Insignien trug. Es war der Bannerherr des Hauses. Ihm zur Linken ritt, in Schwarz und Rot gekleidet, der herrschaftliche Generalprofoß.

Kaum war das fürchterliche Zinkengeschmetter verklungen, als man ein dumpfes, schrittmäßiges Stampfen vernahm. Dienstleute, mit langen Spießen und ledernen Schilden bewaffnet, zogen vorüber. Ihnen schlossen sich die Sturmtruppen an, mit Antwerken und Schleudermaschinen, mit Mauerbohrern, Sturmböcken und Leitern, und hinter ihnen kamen die Troßbuben und Lasttiertreiber.

Eingehüllt in eine Staubwolke, die von den Hufen der Rosse aufgewirbelt wurde, folgte in großen Haufen das Burggesinde. Die eisernen Brustharnische funkelten in der Sonne, und von ferne glich es einem Wald von Lanzen.

Schließlich erschien auch der Graf selbst, im Kreise seiner Pagen, die mit kostbaren, goldgestickten Seidenwämsern bekleidet waren. Ihm voran zogen auf kräftigen, mit Schabracken und Zederbüschen gezierten Maultieren die Paukenschläger, und den Nachtrupp bildeten die Knappen seiner Burg.

Als die Menge seiner ansichtig wurde, begrüßte sie ihn mit einem ungeheuren Jubel. Im selben Augenblick, erstickt von dem Stimmengebraus, erklang ein Schrei, und eine Frau sank ohnmächtig, wie vom Blitz getroffen, in die Arme der Umstehenden, die ihr schnell beisprangen.

Es war Margret. In dem gnädigen und gefürchteten Grafen von Gomara, der zu den vornehmsten und mächtigsten Vasallen der Krone Kastiliens zählte, hatte sie ihren heimlichen Liebsten erkannt!

 

III

Das Heer des Königs Ferdinand war aus Cordoba ausgerückt und nach langen Tagesmärschen vor Sevilla angekommen. In Ecija und Carmona hatten heftige Kämpfe stattgefunden, in Alcala am Guadaira war die berühmte Burg erobert und hier, schon im Angesicht der Stadt der Ungläubigen, das königliche Banner gehißt worden. –

Unbeweglich, bleich und finster, saß der Graf von Gomara auf einem Schemel in seinem Zelt. Die Hände ruhten auf dem Knauf seines Schwertes, die Augen starrten ins Leere – mit jenem Blick, der einen Gegenstand zu betrachten scheint und doch nichts von dem wahrnimmt, was ringsumher vor sich geht.

Neben ihm stand der älteste Knappe seines Hauses, der einzige, der in solchen Stunden schwärzester Laune es wagen durfte ihn anzureden, ohne den Ausbruch des Zornes auf sich zu lenken.

»Was habt Ihr, gnädiger Herr?« fragte er ihn. »Welch Leid bewegt Euch und verzehret Euch? Traurig zieht Ihr in den Kampf und traurig kehrt Ihr zurück, selbst dann, wenn Ihr siegreich wart. Wenn all die andern Ritter, von des Tages Lasten ermüdet, ruhig schlummern, hör' ich Euch stöhnen, wie von einem Alp gequält. Und eil' ich dann an Euer Lager, so find' ich Euch im Kampf mit etwas Unsichtbarem, das Euch zu martern scheint. Ihr schlagt die Augen auf, und doch will nicht der Schrecken von Euch weichen. Was fehlt Euch, gnädiger Herr? Sagt es mir doch! Wenn's ein Geheimnis ist, so weiß ich es zu wahren auf dem Grunde meines Herzens und zu schweigen wie ein Grab.«

Der Graf schien anfangs nicht auf den Knappen zu hören. Doch dann, nach langem Schweigen und als ob die Worte seines Dieners dieser Spanne Zeit bedurft hätten, um bis ans innere Ohr des Begreifens zu gelangen, löste er sich allmählich aus seiner Starrheit. Er zog ihn liebevoll zu sich heran und sagte zu ihm in ernstem, ruhigem Ton:

»Ich habe im stillen viel gelitten. Und aus Scham hab' ich bisher geschwiegen, weil ich mich für den Spielball eines eitlen Wahns hielt. Aber nein, es ist nicht Überspanntheit, was ich erlebe.

Ich muß mich unter der Einwirkung irgendeines schrecklichen Fluches befinden. Himmel oder Hölle müssen etwas von mir wollen und künden mir dies durch übernatürliche Zeichen.

Erinnerst du dich an den Tag, an dem wir zum erstenmal in der Ebene von Triana mit den Mauren aus Lebrija zusammenstießen? Wir waren wenige; hart wurde gekämpft, und ich war nahe daran, mein Leben zu verlieren. Du hast gesehen, wie mitten im wildesten Schlachtgetümmel mein armes verwundetes Roß, blind vor Raserei, durchging und sich gegen die Hauptmacht der maurischen Scharen wandte. Vergebens suchte ich es zurückzuhalten: die Zügel waren mir aus der Hand gefallen, und das widerspenstige Tier trug mich dem sichern Tode entgegen.

Schon schlossen die Mauren ihre Reihen: schon stellten sie ihre langen Spieße mit dem Beschläg fest auf den Boden, um mich zu empfangen. Ein Hagel von Pfeilen sauste mir um die Ohren. Um ein paar Fußlängen nur war mein Pferd noch von dem Eisenwall entfernt, an dem wir zerschellen sollten, als ich ... glaub' mir, es war keine Einbildung! ... als ich sah, wie eine Hand dem Roß in die Zügel griff, es mit übernatürlicher Kraft zum Stehen brachte und es augenblicks zu den Reihen meiner Krieger zurücksandte. Auf diese wunderbare Weise wurde ich gerettet!

Umsonst fragte ich diesen und jenen nach meinem Retter: niemand wußte von ihm, niemand hatte ihn gesehen!«

›Als Ihr dem Wald von Spießen entgegenjagtet,‹ – sagte man mir, – ›wart Ihr allein, völlig allein! Daher wunderten wir uns, als wir Euch plötzlich wenden sahen, obwohl wir wußten, daß das Roß nicht mehr dem Reiter gehorchte.‹

Von Ahnungen erfüllt, trat ich an jenem Abend in mein Zelt, vergebens versuchte ich von der Erinnerung an das seltsame Abenteuer freizukommen. Da aber, als ich mein Lager aufsuchen wollte, sah ich dieselbe Hand wieder – eine schöne, blendend weiße Hand ... Sie zog die Bettvorhänge auf, und, als sie hiermit fertig war, verschwand sie. Seit dem Tage sehe ich immer und überall diese geheimnisvolle Hand, die meine Wünsche errät und meinem Handeln zuvorkommt. Bei dem Sturm auf die Burg Triana sah ich, wie sie einen Pfeil, der auf mich zugeflogen kam, in der Luft ergriff und zerbrach. Bei einem Zechgelage, wo ich meinen Kummer in Saus und Braus ersticken wollte, sah ich sie meinen Becher mit Wein füllen ... immer, immer habe ich sie vor Augen, und wohin ich gehe, folgt sie mir: ins Zelt und in den Kampf, am Tage und in der Nacht – da, jetzt wieder! Schau doch nur, schau doch nur, wie sie sich sanft auf meine Schulter legt!«

Bei diesen Worten sprang der Graf auf und trat einige Schritte zurück, wie außer sich vor Entsetzen.

Der Knappe wischte sich eine Träne ab, die ihm über die Backe lief. Er glaubte, sein Herr härte den Verstand verloren. Indessen hielt er es nicht für geboten, ihm seine Idee auszureden, sondern sagte nur tiefbewegt:

»Kommt, gnädiger Herr, wir wollen auf eine Weile ins Freie treten. Vielleicht, daß der Abendwind Eure Stirne kühlt und das unfaßbare Leid lindert, für das auch ich keine tröstenden Worte finde.«

 

IV

Das Heerlager der Christenheit erstreckte sich über die ganze Ebene des Guadaira bis an das linke Ufer des Guadalquivir. Dem Heerlager gegenüber, scharf umrissen vom lichtblauen Himmel, erhoben sich die Mauern Sevillas mit Zinnen und starken Türmen. Über diese Zinnenkrone lugte das strotzende Grün der tausend Gärten der maurischen Stadt, und zwischen dem dunklen Laubwerk leuchteten die schneeweißen Türmchen der Häuser, die Minarette der Moscheen und hochragend über allem der Wartturm mit seiner luftigen Brüstung und den vier großen goldenen Kugeln, die, in der Sonne funkelnd, sprühende Lichter aussandten und vom Christenlager aus vier riesigen Flammen glichen.

Die Heerfahrt König Ferdinands war eine der kühnsten und heldenhaftesten jener Zeit. Die berühmtesten Ritter aus allen Königreichen der Halbinsel hatten sich ihr angeschlossen, und auch aus fernen, fremden Ländern waren einige von dem edlen Unternehmen herbeigelockt worden und hatten ihre Streitkräfte mit denen des frommen Königs vereint.

So erblickte man in dem Heerlager, das sich über die ganze Ebene ausdehnte, Gezelte von allen Formen und Farben. Auf ihren Spitzen flatterten die verschiedensten Feldzeichen im Winde – mit gleichgeteilten Wappen, mit Sternen, Greifen und Löwen, mit Ketten, Pfählen und Braupfannen und mit hundert und aberhundert Heroldsfiguren und Wappenbildern, die Namen und Rang ihrer Herren verkündeten. In den Gassen dieser von heute auf morgen entstandenen Stadt wogte eine Menge von Kriegsknechten auf und ab, ein jeder in seiner Sprache redend, ein jeder nach Brauch seines Landes gekleidet, ein jeder gerüstet nach seinem Gutdünken, – ein fremdartiger, malerischer Anblick!

Hier saßen einige Herren auf Schemeln vor dem Eingang ihres Gezelts und erholten sich beim Brettspiel von den Anstrengungen des Gefechtes, während ihre Pagen die zinnernen Becher mit Wein füllten. Dort benutzten einige Troßbuben einen müßigen Augenblick, um ihre Waffen, die beim letzten Scharmützel gelitten hatten, wieder herzurichten und blankzureiben. An einer anderen Stelle bejubelte die Menge die überraschende Geschicklichkeit einiger besonders tüchtigen Armbrustschützen, die in eine Mauerbresche einen Hagel von Pfeilen sandten. Und dazu der Lärm der Pauken und Zinken; das Schreien der fliegenden Händler; das Dröhnen des Eisens auf dem Amboß; das Singen der Spielleute, die ihre Zuhörer mit der Erzählung von wunderbaren Heldentaten unterhielten; die Stimmen der Ausrufer, die der Feldherren Befehle kundtaten – kurz und gut, tausend und abertausend schrille Laute schwirrten durch die Luft und verliehen jenem kriegerischen Bild eine so lebendige und übermütige Färbung, daß es sich mit Worten nicht wiedergeben läßt! –

Von seinem treuen Knappen begleitet, schritt der Graf von Gomara durch die bunt bewegte Menge – still und traurig, ohne den Blick zu erbeben, als ob es nichts gäbe, das sein Auge fesseln noch sein Ohr treffen könnte. Mechanisch wie ein Schlafwandler, dessen Geist in einer Welt von Träumen weilt, wandelte und handelte er, ohne sich seiner Handlungen bewußt zu werden, gleichsam einem fremden Willen unterworfen.

Unweit des Königszeltes hielt ein Mann von seltsamem Aussehen allerlei Krimskrams feil, den er mit vielem Geschrei und übertriebenen Anpreisungen ausbot. Und all die Kriegsknechte, Pagen und Troßbuben, die ihn in großer Menge umstanden, offenen Mundes lauschend, rissen sich um die Ware.

Teils sah er aus wie ein Pilger, teils wie ein Spielmann. Bald sagte er in schlechtem Latein eine Art Litanei her, bald erzählte er eine Schnurre oder Narrensposse, durchpfefferte sein unendliches Geschwätz mit Witzen, die selbst einen Armbrustschützen rot machen konnten, und mengte schelmische Liebesgeschichten mit frommen Gebeten und Heiligenlegenden. In dem geräumigen Mantelsack, der ihm von der Schulter hing, lagen wirr durcheinander tausenderlei Dinge: Bänder, am Grab Santiagos geweiht ... Kleine Zettel mit Worten darauf, die er als hebräisch bezeichnete und die von König Salomon bei der Gründung des Tempels gesprochen sein sollten, – die einzigen Amulette, die gegen jede Art von ansteckenden Krankheiten zu schützen vermöchten ... Dann wunderwirkende Salben, die einen Kerl wieder zusammenflicken könnten, selbst dann, wenn er mittendurch gehauen wäre ... Evangelienbücher, in Brokatbeutelchen eingenäht ... Geheimmittel, um sich bei allen Weibern beliebt zu machen ... Reliquien der Schutzheiligen aus allen Wallfahrtsstätten Spaniens ... Schmuckstückchen, kleine Ketten und Gürtel, Denkmünzen und vielerlei alchimistischen Plunder aus Glas und Blei.

Als der Graf in die Nähe der lauschenden Menge kam, fing der Pilger gerade an, eine Art Bandola oder arabische Gusla zu stimmen, auf der er sich beim Vortrag seiner Romanzen zu begleiten pflegte. In aller Ruhe stimmte er eine Saite nach der andern ab, während sein Begleiter herumging und aus der mageren Geldkatze der Zuhörer die letzten Cornados hervorlockte. Mit näselnder Stimme und zu einer eintönigen, herzergreifenden Weise begann schließlich der Pilgersmann eine Romanze zu singen, die immer mit dem gleichen Kehrreim schloß.

Der Graf trat näher und wurde aufmerksam. Infolge eines, wie es schien, seltsamen Zusammentreffens entsprach der Titel jener Geschichte völlig den düsteren Ahnungen, die sein Gemüt beschwerten. Wie der Sänger zu Beginn der Romanze verkündet hatte, hieß sie nämlich: die Romanze von der toten Hand.

Der Knappe versuchte, als er diesen eigenartigen Titel hörte, seinen Herrn zum Weitergehen zu bewegen. Der Graf aber rührte sich nicht von der Stelle; das Auge starr auf den Spielmann gerichtet, lauschte er dem Gesang:

Das Mädchen einen Liebsten hat,
er gibt als Knappe sich aus.
Und eines Tags erzählt er ihr,
er zög in den Krieg hinaus.
»Du gehst und kehrst nicht wieder!«
»So wahr ich lebe, Kind!«
Dieweil ihr Liebster schwören tut,
ein Flüstern geht im Wind:
»Verflucht, wer eines Mannes
Gelöbnis glaubhaft find't!«

Der Graf zieht mit der Kriegerschar
aus seiner Burg hinaus.
Die Maid erkennt den Grafen, ruft
in groß Betrübnis aus:
»Weh mir! er zieht von hinnen,
mein' Ehre ist dahin!«
Dieweil die Ärmste klagt und weint,
ein Flüstern geht im Wind:
»Verflucht, wer eines Mannes
Gelöbnis glaubhaft find't!«

Ihr Bruder steht daneben
und hört die Worte ihr.
»Du hast uns Schande angetan!«
»Er schwur die Treue mir.«
»Er soll dich nicht mehr finden,
wo er dich sonstens find't!«
Dieweil die Unglückselige stirbt,
ein Flüstern geht im Wind:
»Verflucht, wer eines Mannes
Gelöbnis glaubhaft find't!«

Sie legen sie ins Grab hinein,
im Schatten wohlversteckt.
Doch soviel Erd' sie werfen drauf,
die Hand bleibt unbedeckt:
die Hand, sie trägt das Ringelein,
des Grafen Angebind ...
Und nächtens über ihrem Grab
ein Flüstern geht im Wind:
»Verflucht, wer eines Mannes
Gelöbnis glaubhaft find't!«

Kaum hatte der Sänger die letzte Strophe beendet, als sich der Graf einen Weg durch die Neugierigen bahnte, die ihm ehrerbietig Platz machten, als sie ihn erkannten, und an den Pilger herantrat. Er packte ihn heftig am Arm und fragte ihn leise mit bebender Stimme:

»Aus welcher Gegend bist du?«

»Aus der Gegend von Soria,« antwortete dieser gleichmütig.

»Und wo hast du diese Romanze gelernt? Auf wen bezieht sich das, was du berichtest?« rief der Graf in steigender Erregung.

»Gnädiger Herr,« sagte der Pilger und sah dem Grafen fest und unerschütterlich ins Auge, »dies Lied singen die Bauern in der Gemarkung von Gomara, und es bezieht sich auf ein unglückliches Mädchen, das ein mächtiger Herr in schmählicher Weise betrogen hat. Als man sie verscharrte, hat Gottes unerforschlicher Rat bestimmt, daß die Hand, auf die ihr Liebster ihr einen Ring steckte, als er ihr ein gewisses Gelöbnis gab, immer außerhalb des Grabhügels bleiben sollte. Ihr wißt vielleicht, wen es trifft, dies Gelöbnis zu halten ...«

 

V

In einem elenden Dörfchen, das an der Landstraße liegt, die nach Gomara führt, sah ich vor nicht langer Zeit den Ort, wo des Grafen seltsame Hochzeit stattgefunden haben soll.

Wie man erzählt, ist dieser an Margrets armseligem Grabhügel niedergekniet, hat ihre Hand in die seine gelegt, und ein vom Papst eigens dazu ermächtigter Priester hat der schauerlichen Verbindung den Segen erteilt. Darauf soll die »tote Hand« ins Grab zurückgesunken sein und das Wunder sich nicht wieder gezeigt haben.

Im Schatten einiger alten, mächtigen Bäume ist ein Stückchen Rasen, das sich in jedem Frühling von selbst mit kleinen Blumen bedeckt.

Die Leute aus der Umgegend sagen, dort läge Margret begraben ...


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