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[6.]

Es unterlag mir keinem Zweifel, daß sich Silas Schwink während seines Besuches in Nettleford in den Besitz von Doktor Atterbutts Visitenkarten gesetzt hatte.

Es erschien mir mehr als wahrscheinlich, daß dieser gefährliche Mensch (wie ihn sein Vater selbst genannt hatte) sich in der bestimmten Absicht die Karten angeeignet hatte, daß sie ihm eines Tages von Nutzen werden möchten.

Und diese ersehnte Gelegenheit erschien ihm zweifellos gekommen, als in Monte Carlo die bewußte Untersuchung abgehalten wurde.

Wohl oft genug mochte Doktor Schwink seine Theorie vom »unbewußtes Morde« entwickelt haben, – in Ermangelung eines besseren will ich diesen Ausdruck beibehalten, obwohl ich als Jurist recht gut weiß, daß es einen »unbewußten« Mord nicht geben kann –, und bei seinen Vorträgen hatte der gute Doktor in der Person seines Sohnes einen Zuhörer gefunden, der sich seine Theorie wohl gemerkt hatte, um gelegentlich einen geeigneten Gebrauch davon zu machen.

Seinen Zwecken mochte es dienlich erscheinen, die Untersuchung einstweilen zu schließen, um später wenn Zeit und Umstände es ihm geraten erscheinen lassen mochten, sie wieder aufnehmen zu lassen, denn daß sich für diesen Mord keine Spur fand, die zu irgend einer Belastung hätte führen können, war seinem Scharfsinne nicht entgangen.

Er wußte, daß Herr Furst ein sehr reicher Mann war. Und wahrscheinlich war es ihm eingefallen, daß, wenn er ihm eine glaubhaft klingende Geschichte erzählen konnte, nach der er (Herr Furst) selbst den Mord, ohne es zu wissen, begangen habe, er dann in dem reichen Herrn aus den Kolonien ein erwünschtes Opfer für Erpressungen gefunden haben würde.

Freilich war das ein teuflischer Plan, und ich wurde durch seine Verruchtheit sehr erregt. Schon die bloße Vorstellung, daß jemand einen Mord begangen haben sollte, mag er nun entschuldbar gewesen sein oder nicht, mußte diesen mit beständiger Angst und Furcht erfüllen.

Und wenn er ein unantastbares Alibi nicht beweisen konnte, was sollte er dann wohl tun?

Und wenn er den Mord vielleicht doch in einem Zustande des Wahnsinns begangen hätte?

Wäre die Tat dann offenbar geworden, so wäre lebenslängliche Einsperrung in einem Irrenhause im günstigsten Falle die unausbleibliche Folge gewesen.

Auch der Ton, den Herr Doktor Aunsett mir gegenüber angeschlagen hatte, verstimmte mich.

Dem Anscheine nach mochte auch er wohl glauben, daß Herr Furst in den Mord mit verwickelt war.

Jetzt begriff ich auch, wenigstens zum Teil, den feinen Takt, den er in seiner Unterredung mit mir beobachtet hatte. Das aber war auch für mich über jeden Zweifel erhaben, daß, wenn ein Mord vorlag, der Mörder auch der strafenden Gerechtigkeit überliefert werden müßte.

Aber bei diesen Gedanken stieg das Bild von Florence, meiner süßen Florence, vor meinem inneren Auge auf und mir wurde weh ums Herz.

Was sollte ich tun?

Während mich der Zug von Chelmsford nach London zurückführte, überlegte ich alle Pros und Contras und alle Contras und Pros so lange, bis ich ganz wirr im Kopfe wurde und gar nicht mehr denken konnte.

»So geht das nicht weiter!« sagte ich zu mir. »Alick Mac Gregor, Mensch, nimm Dich zusammen. In den nächsten Tagen muß sich das Schicksal des Mädchens, das Du liebst, entscheiden.«

Dann wurde ich ruhiger. Warum sollte ich nicht Doktor Schwinks Rat befolgen und nach Monte Carlo zurückfahren?

Wenn der Kreole ermordet, und zwar von einem anderen als Herrn Furst ermordet worden war, und ich konnte das nachweisen, dann war doch auch Herrn Fursts Unschuld erwiesen.

Und warum sollte ich nicht wenigstens versuchen, diesen Nachweis zu führen? Mißglückte er, nun, so war ich nicht schlechter daran als jetzt; entdeckte ich aber, daß der Kreole tatsächlich durch die Hand des Herrn Furst gestorben war, so war diese Erkenntnis auch nicht schlimmer, als wenn ich ihn beständig dieser Tat verdächtig halten mußte.

Als der Zug endlich auf dem Perron des Liverpool-Straßenbahnhofes hielt, war ich fest entschlossen, nach Monte Carlo zurückzukehren.

Zunächst wollte ich aber erst nach meinem Büreau gehen, um zu sehen, ob Berichte während meiner Abwesenheit angekommen wären, und sodann Herrn Doktor Aunsett besuchen, um ihm über den Stand der Dinge zu berichten.

Die Außentür meines Büreaus war geschlossen, und mein Klerk hatte sich bereits entfernt. Auf meinem Pult fand ich ein paar geschäftliche Briefe, die indessen nichts Wichtiges enthielten. Auch ein Billet von meinem Schüler Jack Crawshaw war eingegangen. Es enthielt nur wenige Zeilen; er schrieb mir, daß der Arzt ihm zur Schonung seiner Gesundheit eine Luftveränderung empfohlen habe, um den berüchtigten Londoner Nebeln, die sich um Weihnachten regelmäßig einzustellen pflegten, zu entgehen. Er sei daher in Begleitung eines Freundes nach dem Auslande gegangen. Zum Schlusse sagte er noch, daß er nach den Weihnachtsferien, also gegen Mitte Januar, zurückkehren und mich dann sofort besuchen würde.

Obwohl dieses Schreiben durchaus nichts Unhöfliches oder Außergewöhnliches enthielt, so lag doch ein gewisses »Etwas« darin, das Entfremdung und Empfindlichkeit befürchten ließ. Ich steckte den Brief in meine Tasche und verließ das Büreau.

Plötzlich kam mir der Gedanke, erst einmal bei Herrn Zetland vorzusprechen, bevor ich zu Herrn Doktor Aunsett ginge.

Herry Zetlands Wohnung befand sich, wie ich wußte, in nächster Nähe von Scotland Yard, dem Londoner Polizeipräsidium. Zum Glück traf ich ihn zu Hause.

»Ich habe den Fall des sogenannten Doktor Atterbutt zur Bearbeitung bekommen,« erzählte er mir. »Die Briefe, die er empfing, waren von armen Teufeln, die er natürlich beschwindelt. Auf dem Präsidium liefen Klagen über ihn ein, und ich sollte die Geschichte untersuchen. Ich schickte ihm also einen eingeschriebenen Brief und legte mich auf die Lauer, ob er wohl den Brief abholen würde.

Ja, Kuchen. Dazu war er doch viel zu gerieben. Auf irgend eine Art muß er Lunte gerochen haben, und er war auf seiner Hut. Der Brief kam als unbestellbar zurück, und als ich endlich einen Haftbefehl gegen ihn erwirkt hatte und ich ihn damit in seiner Wohnung aufsuchte, war der Vogel entwischt. Doktor alias Atterbutt war verreist und hatte seine Adresse nicht zurückgelassen. Ich habe keine blasse Ahnung, wo er jetzt stecken mag.«

Ich erzählte sodann dem Detektiv, welches Ergebnis meine Reise nach Nettleford gehabt hatte.

»Silas Schwink, also das ist sein richtiger Name. Na, wie Sie jetzt selber sehen, habe ich recht gehabt, als ich Ihnen riet, dieser Monte Carloer Geschichte wegen nach Nettleford zu fahren. Apropos, wie steht's jetzt damit?«

Ich hielt es für das beste, darüber so wenig als möglich zu sagen, und bemerkte daher nur, daß die Angelegenheit für mich jedes Interesse verloren hätte.

»Schade!« rief Herr Zetland, und man konnte es ihm wohl ansehen, daß es ihm leid tat. »Ich habe Ihnen ja oft genug gesagt, Herr Anwalt, ich habe mit der Geschichte nicht amtlich zu tun und mich geht sie eigentlich gar nichts an. Ich muß Ihnen aber doch gestehen, daß es nicht in Ordnung ist, eine solche Sache auf halbem Wege liegen zu lassen.«

Herr Zetland machte aus seinem Aerger kein Hehl, und ich hielt es daher schließlich doch für richtiger, ihn zu meinem Vertrauten zu machen.

Ich wollte mit ihm auf gutem Fuße bleiben, einmal weil ich ihn hochschätzte, und dann auch, weil er mich in meiner Absicht unterstützte dadurch, daß er diesen Silas Schwink alias Doktor Atterbutt verfolgte.

»Es wird Sie interessieren, Herr Zetland,« begann ich, »daß ich im Begriff stehe, wiederum nach Monte Carlo zu reisen.«

»Das hab' ich mir gleich gedacht.«

»Das haben Sie sich gedacht?«

»Nun ja, Herr Anwalt. Sie wissen doch, daß ich daran gewöhnt bin, Sachen ausfindig zu machen. Es ist das mein Geschäft, und es war jetzt nicht schwer für mich, zu sehen, daß Sie etwas vor mir geheim halten wollten. Beleidigt war ich deswegen nicht, das werden Sie mir wohl glauben, ich konnte nur nicht recht verstehen, weswegen Sie es tun wollten, denn ich habe den aufrichtigen Wunsch, Ihnen zu helfen. Aber schließlich sind Sie doch selber ein Mann, der das Gesetz kennt, und auch viel klüger als ich.«

»Das letztere möchte ich doch sehr bezweifeln, Herr Zetland. In letzter Zeit habe ich viel Aerger und Aufregung gehabt, und ich würde Sie gebeten haben, mich zu begleiten, wenn –«

»Danke verbindlichst, Herr Anwalt. Das »wenn« liegt aber bei mir. Wenn Sie auch gewollt hätten, würde ich doch nicht gekonnt haben. Denn dieser Silas Schwink, alias Doktor Atterbutt, nimmt mich vollständig in Anspruch. Es wird noch einen schönen Tanz mit ihm geben, denn er ist so glatt wie ein Aal. Jedenfalls wünsche ich Ihnen viel Glück, Herr Anwalt.«

Und damit verabschiedeten wir uns. Zehn Minuten später saß ich wiederum im Sprechzimmer von Herrn Doktor Aunsett und berichtete diesem Herrn über meine Unterhaltung mit Herrn Doktor Schwink.

»Herr Doktor Schwink ist ein sehr verständiger Mann,« urteilte der Arzt, während er wie gewöhnlich mit seiner Uhrkette spielte, die er dieses Mal mit ganz besonderer Aufmerksamkeit sich zu betrachten schien. »Herr Doktor Schwink ist ein sehr verständiger Mann, und ich muß ihm darin beistimmen, daß Herr Furst, der doch von der Erinnerung an den Mord verfolgt wird, niemals diese Tat in einem Zustande der Bewußtlosigkeit begangen haben kann. Es freut mich, daß Sie sich vorgenommen haben, die Nachforschungen wieder aufzunehmen.

Ich meine, daß es unsere Pflicht sowohl dem Lebenden als auch dem Toten gegenüber ist, soviel zu entdecken, als in unseren Kräften steht.«

»Wenn wir aber entdecken sollten, daß Herr Furst –« Ich konnte nicht weiter sprechen.

»Sollten wir zu der Ueberzeugung gelangen, daß Herr Furst das Verbrechen begangen hat,« antwortete der Doktor, den Satz für mich vollendend, »so ist es zweifellos unsere Pflicht, eine Wiederholung dieses Verbrechens zu verhindern zu suchen. In des Mörders Vorgehen mag ja keine moralische Schuld liegen, denn nehmen wir Doktor Schwinks Theorie als möglich an, so haben wir es nur mit einem nach Blut dürstenden Irrsinnigen zu tun, der für seine Taten nicht verantwortlich ist.

Ist uns aber die Ursache für solche Greueltaten bekannt, so möchte ich behaupten, daß uns selbst die Verantwortung für die Wiederholung derartiger Verbrechen trifft, wenn wir sie nicht dadurch verhindern, daß wir ihre Ursache beseitigen. Diese Wahnsinnsanfälle kehren von Zeit zu Zeit wieder, und zu jeder Stunde können sie ausbrechen. Setzen wir einmal den Fall, nur um ein Beispiel zu haben, daß Herr Furst der Mörder ist, so wird er eben noch jemand ermorden. Vielleicht seine Frau oder Tochter.«

»Daran habe ich nicht gedacht,« antwortete ich und wurde dabei ganz blaß.

»Und doch ist es möglich, wenn auch sehr unwahrscheinlich, wie ich gern zugeben will.«

»Sie glauben also, daß, wenn er einen Menschen ermordet hat, er auch noch einen anderen ermorden kann.«

»Gewiß. Nach Doktor Schwinks Theorie ist indessen anzunehmen, daß er es wahrscheinlich vorziehen wird, Individuen derselben Gattung, ich meine damit Personen, die dieselben Körpereigenschaften haben, den Garaus zu machen. Hatte er zum Beispiel jemand mit roten Haaren ermordet, so wird er sich das nächste Mal wieder einen Menschen mit roten Haaren aussuchen. Zeigte das Opfer in Monte Carlo irgend eine Eigentümlichkeit?«

»Es war ein Kreole.«

»Dann können Sie überzeugt sein, daß dieser mörderische Irre, immer vorausgesetzt, daß Doktor Schwinks Theorie richtig ist, einen anderen Kreolen noch töten wird. Wann gedenken Sie abzureisen?«

»Sobald als möglich, vielleicht morgen schon.«

»Darf ich Ihnen noch zum Abschiede einen guten Rat geben? Ja? Nun, so folgen Sie mir und lassen Sie sich vor Ihrer Abreise nicht mehr in der Nähe von Richmond Gardens blicken.«

»Aber Florence – ich wollt' sagen Fräulein Furst, darf ich doch nochmals sehen?«

»Mein lieber Freund,« antwortete Doktor Aunsett und drückte mir dabei recht herzlich die Hand, »viel besser wäre es, Sie täten es nicht. Glauben Sie mir, Sie werden noch Ihre Kräfte gebrauchen. Sie sind ohnedies schon aufgeregt, und diese neue, große Anspannung könnte doch vielleicht zuviel für Sie werden. Auch müssen wir auf Fräulein Florence Rücksicht nehmen, denn sie weiß doch nichts von unserem Verdacht. Es wäre ein furchtbarer Schlag für sie, wenn sie aus irgend einer unbedachten Aeußerung merken sollte, daß wir auf ihren Vater Verdacht haben.«

»Wir haben ihn aber doch gar nicht im Verdacht!« schrie ich.

»Sie haben vollkommen recht. Wir haben ihn nicht im Verdacht. Und dennoch stellen wir Nachforschungen an, die uns nach –, wir wissen selbst nicht wohin führen können. Für Sie, und vielmehr noch für Fräulein Florence, wird es das beste sein, wenn Sie sie erst nach Ihrer Rückkehr wiedersehen. Und stellen Sie sich dann die Freude vor, wenn Sie zurückkommen und die Nachricht mit sich bringen, daß die Wolke sich verzogen hat. Es wird dies das Leben ihres Vaters retten!«

Und jetzt erst, zum ersten Male während meines Besuches, ich schäme mich fast, es zu gestehen, fiel es mir ein, mich nach dem Befinden des Patienten zu erkundigen.

»Herr Furst befindet sich langsam auf dem Wege zur Besserung,« erhielt ich zur Auskunft. »Er befindet sich schon entschieden wohler, er ist aber doch noch viel zu schwach, um eine Aufregung ertragen zu können. Sobald es sein Zustand erlaubt, will ich ihn über den bewußten Todesfall in Monte Carlo befragen.

Sollte ich dann etwas erfahren, was Ihnen bei Ihren Nachforschungen dienen könnte, so werde ich es Ihnen unverzüglich mitteilen. Und da Sie jetzt entschlossen sind, sofort abzureisen, so würde ich es für einen großen Segen betrachten, wenn Sie den jungen Herrn Furst als Reisebegleiter mitnehmen könnten. Seit Herr Crawshaw aus London fort ist, zeigt er sich in seinem elterlichen Hause recht störend. Sie wissen doch, daß die beiden unzertrennliche Freunde waren?«

»Gewiß, haben Sie von Herrn Crawshaws Verbleib Kunde?«

»Nein. Ich fragte heut' morgen Herrn Furst junior nach ihm, aber auch er kannte weder die Adresse seines Freundes noch dessen Reiseziel. Er vermochte mir nur zu sagen, daß er ins Ausland gegangen ist, wohin aber wußte er selber nicht.«

Mit dem Versprechen, während meiner Abwesenheit meine Interessen im Auge zu behalten, mit anderen Worten, Florence besondere Beachtung zu schenken, sagte mir Doktor Aunsett Adieu!

Ich ging sodann an dem Hause in Richmond Gardens, in dem mein ein und alles wohnte, vorbei und warf einen schmerzlichen Blick zu dem Fenster ihres Boudoirs hinauf. Ich glaubte, ihre Gestalt zu erkennen, und ich war nicht wenig enttäuscht, als ich merkte, daß es nur ein Hausmädchen war, das ich für sie gehalten hatte.

Dadurch wurde ich aber auch in die rauhe Wirklichkeit versetzt, und ich beschloß, mich nach meinem Klub zu begeben, um dort zu speisen.

Nach dem Essen wollte ich einen langen Brief an Florence schreiben und dann meine Sachen packen, so daß ich mit dem ersten Frühzuge am nächsten Morgen nach Monte Carlo abdampfen konnte.

Unterwegs begegnete ich Bob Furst, der mir aus dem Wege zu gehen wollen schien.

»Alick! Sind Sie es!« rief er, als ich ihm den Weg vertrat. »Was führt Sie hierher?«

»Nichts Besonderes, Bob. Ich will nur nach dem Klub speisen gehen. Sie könnten eigentlich mitkommen.«

»In welchen Klub?«

»Nach dem ›akademischen‹.«

»Dorthin passe ich nicht, da geht es zu vornehm zu. Ja, wenn's der »Neue Derby« wäre, das ist mehr mein Fall!«

»Unsinn, Bob! Wenn Sie sonst nichts vorhaben, lasse ich Sie nicht locker, dann müssen Sie mit.«

»Ich bin aber nicht in der Garderobe dazu.«

»Ich auch nicht!« antwortete ich, und seinen Arm ergreifend, führte ich ihn in jenes palastähnliche Lokal, in dem die früheren Hörer der Universitäten Oxford und Cambridge ihre Zusammenkünfte zu feiern pflegen.

Während wir bei unserem kleinen Diner saßen, nahm ich mit Betrübnis wahr, daß Bob geneigt war, den Getränken in allzu reichlichem Maße zuzusprechen. Meinen gelinden Vorstellungen gegenüber erwies er sich indessen als folgsam, und es gelang mir auch, ihn abzuhalten, noch eine dritte Flasche von 74er Perier Joust zu bestellen.

»Sie mögen recht haben,« meinte er ein bißchen mürrisch. »Man sollte dieses Gewächs nicht so trinken, als wenn es bloß Wasser wäre.«

»Das ist nicht allein der Grund, Bob. Ich sollte aber meinen, daß eine Flasche für jeden von uns vollständig bei dieser frühen Abendstunde genügt, ganz abgesehen von den üblichen Likören, die man noch dazu trinkt.«

»Das ist ja der reine Blödsinn! Im »Neuen Derby« bekommen Sie einen ganz guten Champagner für nur acht Silberlinge – freilich keinen »Veuve Cliquot«, schadet aber nichts –, und davon kann man wer weiß wieviel trinken. Neulich abends habe ich mir selber vier Flaschen geleistet.«

»Aber, Bob, das ist doch zu viel.«

»Nun ja, es war aber so. Ich will auch nicht leugnen, daß ich am anderen Morgen einen ordentlichen Brummschädel hatte. Im Gegenteil, es war sogar ein ganz gehöriger. Auch habe ich mich mit ein paar Kerls herumgehauen, und kolossal gefreut hat es mich am nächsten Tage, daß der »Alte« von der verdammten Geschichte nichts erfahren hat.«

»Aber sagen Sie mir doch, Bob, lieber Junge, glauben Sie denn, daß ein solches Leben Ihnen gut tut?« fragte ich ihn, während wir im Rauchzimmer saßen und ich ihm eine Zigarre reichte.

»Natürlich glaube ich das nicht. Es ist sogar höllisch unrecht von mir.

Freilich, wenn Sie mir noch eine Extra-Bouteille von diesem Perier Joust erlaubt hätten, Sie Geizhals, würde ich Ihnen das nicht zugestanden haben.«

»Und Papa ärgert sich darüber?«

»Jetzt kann er das nicht tun, denn der arme Kerl ist viel zu krank, um von meinen Heldentaten hören zu können.

Und doch, neulich abends hätte er um ein Haar selber ein Beispiel davon haben können. Ich brachte einen kleinen Schwips mit nach Hause und in demselben vergaß ich vollständig die Krankheit des lieben Papas.

So laut ich konnte, sang ich und machte Radau, bis mich das betrübte Gesicht von Mama wieder zur Besinnung brachte.

Beim Zeus! Alick! Alter Freund, ich hab' mich vor mir selber geschämt. Ja wirklich, das tat ich.«

Einen Augenblick schwieg er, und als er mich wieder ansah, standen Tränen in seinen Augen.

Ob diese aber vielleicht eine Folge des reichlich genossenen Weines waren, vermag ich nicht zu sagen.

»Hören Sie mal, Bob,« sagte ich allen Ernstes zu ihm, »Sie könnten mir einen Gefallen erweisen, morgen früh muß ich in Geschäften nach Monte Carlo fahren, und da könnten Sie mich begleiten.«

»Ich soll Sie begleiten?« erwiderte er. »Was würde aber der »Alte«, die verehrte Frau Mama und Florence dazu sagen?«

»Mein lieber Junge, es wäre das allerbeste, was Sie tun könnten.

Der Ansicht ist auch Herr Doktor Aunsett. Nun, machen Sie, folgen Sie meinem Rate und kommen Sie morgen früh mit.«

»Ich muß allerdings zugeben, daß es hier furchtbar langstielig ist, seitdem sich Jack Crawshaw fortgemacht hat,« versetzte er.

»Was den ›Alten‹ anbetrifft, Alick, so muß ich Ihnen leider recht geben, denn ich kann mich nicht auf mich verlassen.

Erinnern Sie sich noch, als wir uns in Monte Carlo begegneten und ich auch in einer derartigen Verfassung war? Es würde für mich ein wahrer Segen sein, wenn Sie so gütig wären, auf mich zu achten und mich ein wenig im Zaume halten zu wollen.

Mit solcher Hundearbeit werden Sie sich aber nicht abgeben wollen.«

»Es gereicht mir stets zum größten Vergnügen, Ihnen und den lieben Ihrigen dienen zu können.«

Und mit dem Wunsche, er möge ohne weitere Einkehr in eine Kneipe glücklich nach Hause kommen, setzte ich ihn in meine Droschke, und begab mich selbst nach meiner Wohnung, in der ich bald die Ruhe aufsuchte.

Ein paar Tage später befand ich mich wiederum in Monte Carlo, und der Zufall fügte es, daß ich dasselbe Zimmer bewohnte, das ich damals eingenommen hatte.

Die Saison hatte bereits begonnen, und im Kasino drängte sich die spiellustige Menge.

Das Wetter und die Luft bildeten einen seltsamen, aber angenehmen Kontrast zu dem finsteren, nebligen London, das ich eben verlassen hatte.

Mir war es, als wäre ich plötzlich aus einer dunklen Gefängniszelle in den hellen Sonnenschein eines warmen Frühlingstages gekommen.

Des Morgens war es so warm wie im Sommer, des Abends aber war es doch so kühl, daß man den Ueberzieher und ein geheiztes Zimmer recht gut vertragen konnte.

Bobs Betragen hatte mir unterwegs zu keiner Klage Anlaß gegeben, nur in Marseille, wo er die Briefe vorgefunden hatte, gerieten wir in eine kleine Meinungsverschiedenheit.

»Es wird Sie freuen, zu hören, Alick, daß es dem »Alten« besser geht. Die verehrte Frau Mama schreibt mir, daß er sein Bewußtsein wieder erlangt hat, und wenn er erst so weit ist, bin ich überzeugt, daß er sich bald wieder ganz rausgemausert haben wird.

Wenn es also in Monte Carlo zu langstielig werden sollte, können wir uns wieder nach unserem heimatlichen Stall trollen.

Im übrigen bleibt Weihnachten doch Weihnachten, mag man das Fest in England oder irgend sonstwo feiern. Meinen Sie nicht auch?«

Als wir aber erst in Monte Carlo angekommen waren, änderte Herr Bob seine Gesinnung.

Sein böser Stern wollte es, daß er einigen der Herren begegnen sollte, mit denen er während seines vorigen Besuches verkehrt hatte.

Und besonders der eine dieser Herren wollte mir gar nicht gefallen; es war das ein gewisser Kapitän Huggard, der niemals nüchtern wurde.

Es ist keine Uebertreibung, wenn ich von ihm behaupte, daß er beständig betrunken war, doch kannte er seine Natur so gut, daß er sich immer in demselben Stadium des Rausches befand; stets betrunken, das eine Mal aber nicht mehr als das andere.

»Er ist gar kein halb-schlechter Kerl,« meinte Bob, »und ich wundere mich sehr, daß Sie ihn nicht leiden mögen.«

»Sehr richtig. Ein »halb-schlechter« Kerl ist er nicht, wohl aber ein »ganz schlechter«, und ich wundere mich sehr, daß Sie ihn gern haben.«

»Er hat mir noch nichts Böses getan.«

»Aber auch nichts Gutes,« entgegnete ich. »Wir wollen uns jedoch nicht zanken, denn ich hasse jeden Streit.

Tun Sie mir den Gefallen, Bob, und lassen Sie sich mit diesem Menschen nicht ein.«

»Na, ich will mich allmählich von ihm zurückziehen. Aber da kommt er gerade. Seien Sie nur hübsch höflich gegen ihn.«

»Ihretwegen will ich's versuchen.«

Kapitän Huggard kam auf uns zugetaumelt.

Er sah wie ein Franzose aus, trug einen kurzgeschorenen Bart, und seine schwachen Augen wurden zum Teil durch ein Pincenez verdeckt.

Uns gegenüber schlug er einen recht vertraulichen Ton an.

»Servus, verehrte Sportskollegen,« begrüßte er uns. »Wertes Befinden? Schon die Bank gesprengt?

Prächtig, fehlen grad' noch zwei Herren zum Diner, das ich heut' abend auf meiner Bude gebe.

Werden Landsleute begrüßen können – Fritz Juman-Pegg von den kanadischen Husaren und Rob Rey, den Schotten. Klein, aber gemütlich, und nicht zu spät. Was sagen Sie dazu, he?«

»Sie sind außerordentlich liebenswürdig, Herr Kapitän,« antwortete Bob, der sich meine Worte zu Herzen genommen zu haben schien, wenigstens für den Augenblick, »wir sind jedoch leider bereits für heute abend versagt.«

»Schade, jammerschade! Wäre so 'ne lustige Gesellschaft gewesen. Fritz Jumans Geschichten von seinen Jagden auf wilde Elefanten sind zum Kobolzschießen, und Pegg von den kanadischen Husaren weiß nie genug von seinen Abenteuern unter den amerikanischen Indianern zu erzählen.

Und Rob Rey Smith, der Schotte, erst, was hat der nicht alles erlebt!

Wissen Sie auch, meine Herren, daß er einst in chinesische Gefangenschaft geriet und nur dadurch der Folter entging, daß er Bibliothekar des Kaisers wurde, ein Amt, zu dessen Pflichten es gehörte, bei festlichen Gelegenheiten auf einem Kissen einen Mops von Porzellan in feierlichem Zuge zu tragen.

Auch mußte er immer die Vordertür aufmachen. Tatsache, meine Herren, ich versichere Sie, Tatsache!«

»Sie sind kolossal gütig, Herr Kapitän, und mein Freund Mac Gregor sowohl als auch ich würden sich bei Ihnen ganz zweifellos vortrefflich amüsiert haben.

Wir können aber leider nicht kommen. Riesig fatal, Sie können es uns glauben; riesig fatal!« entschuldigte sich und mich Bob.

»Wenn Sie nicht kommen können, können Sie eben nicht kommen. Darüber ist weiter nichts zu sagen.

Meine nur, daß Sie bei mir einen vergnügten Abend verbracht hätten.«

»Davon bin ich überzeugt. Meinen letzten Abend bei Ihnen habe ich noch nicht vergessen.«

»Ich erinnere mich auch noch. Es war der Abend, bevor der arme Teufel von einem Nigger sich im Hotel Blanc das Leben nahm.

Aber warten Sie mal, verehrtester Sportsheld! Sie hielten sich ja damals gar nicht lange bei uns auf. Wissen Sie noch?

Sie hatten sich mit jemand herumgeschlagen und wollten uns dann alle totstechen. Und als wir merkten, daß Sie betrunken waren wie ein Schwein, ja betrunken wie ein Schwein, packten wir Sie und warfen Sie zur Tür hinaus.«

»Das taten Sie,« bestätigte Bob und lachte dabei recht närrisch. »Ich weiß nur noch, daß ich dann in eine sehr böse Gesellschaft geriet und in einem ordinären Spielsalon in eine tüchtige Prügelei verwickelt wurde.

Am anderen Morgen hatte ich tüchtige Kopfschmerzen, das können Sie mir glauben. Ich will mich hängen lassen, wenn ich jetzt noch weiß, was ich dann später getan habe.«

Der Kapitän fuchtelte eine Weile mit seinem Spazierstöckchen in der Luft herum, und als er sich überzeugt hatte, daß wir keine Neigung zeigten, an seiner Tischgesellschaft teilzunehmen – die erwiesene Gastfreundschaft pflegt bei solchen Herren in einem nach dem Diner folgenden »Jeuchen« stets sehr teuer bezahlt zu werden –, schlenderte er weiter, um einen anderen zu kapern.

Bei der Rückkehr nach dem Hotel fand ich ein Telegramm vor, das während meiner Abwesenheit eingetroffen war.

Es war mit »Aunsett-London« unterzeichnet und enthielt nur die wenigen Worte:

»Keine Nachforschungen anstellen, bis mehr von mir gehört habt.«

Was sollte das zu bedeuten haben?

Ich hatte den Doktor mit der festen Absicht verlassen, jede Spur zu verfolgen, die zur Entdeckung des Mörders des Kreolen führen könnte.

Doktor Aunsett wußte das auch, und dennoch telegraphierte er mir, meine Hand davon zu lassen und weitere Nachforschungen nicht mehr anzustellen. Aber warum?

Konnte es möglich sein, daß der Mörder bereits entdeckt war?

Ich zitterte bei dem Gedanken, der plötzlich mein Gehirn durchfuhr:

Wenn sich Doktor Aunsetts Verdacht bestätigte, dann war Herr Furst der Mörder.

Hatte er sich vielleicht, als er wieder zum Bewußtsein gekommen war, selbst als Täter bezeichnet?

Vielleicht war er gar schon in diesem Augenblick verhaftet …?

Ich war außer mir vor Furcht. Nur das eine wußte ich, daß ich weitere Nachforschungen nicht mehr anstellen durfte.

Die Sache sollte ruhen bleiben, bis mir Doktor Aunsett schreiben würde. Ein Glück war es, daß ich mit meinen Erkundigungen noch nicht begonnen hatte.

Des Nachmittags über war ich in einer eigentümlichen Stimmung. Ich setzte mich hin, um einen recht langen Brief an Florence zu schreiben, der als Antwort auf einen Brief, den ich am vorigen Abend von ihr erhalten hatte, dienen sollte.

Ich war gerade mit dem Briefe im Lesesaale des Kasinos beschäftigt, als Bob auf mich zutrat!

»Ich sag' Ihnen, Alick, es ist furchtbar langstielig hier.«

Ich nickte zustimmend und schrieb dabei weiter, womit ich andeuten wollte, daß ich nicht gestört zu werden wünschte.

»Furchtbar langstielig! Glauben Sie, daß es viel schaden könnte, wenn ich die Table d'hote heute schwänzen und auswärts speisen würde?«

»Wenn Sie dazu Lust haben, gewiß nicht. Aber jetzt seien Sie so gut und lassen Sie mich allein, denn ich möchte den Brief noch vor Postschluß beenden.«

»Sie schreiben wohl an Florence, na, natürlich! Grüßen Sie, bitte, von mir, und sagen Sie der verehrten Frau Mama, was für ein guter Junge ich bin. Also Adieu dann, ich gehe aus.«

»Und in wessen Gesellschaft gedenken Sie zu speisen?«

»Mit Huggard und seinen Freunden. Der Kapitän hat mich nochmals furchtbar gequält, zu kommen, und ich würde auch gern gehen, wenn Sie es nicht übel nehmen und als unkameradschaftlich ansehen möchten.«

Ich war jetzt nicht in der Stimmung, um dagegen erst noch lange Einwendungen zu erheben.

Ich sagte ihm nur, er könne selbstverständlich tun, was er wolle, doch riet ich ihm, beim Spiel recht vorsichtig zu sein und nicht zu viel Geld zu riskieren.

»Der Kapitän hat im Ecarté sehr viel Glück,« sagte ich zu ihm, »und im Vergleich zum Roulette und Trente et quarante sieht Ecarté so unschuldig aus.

Halten Sie aber die Augen offen, Bob, und lassen Sie sich nicht hineinlegen.«

»Ich mich hineinlegen lassen! Keine Angst.«

Und damit entfernte sich Herr Furst junior.

Ich schrieb meinen Brief zu Ende und begab mich sodann nach dem Hotel.

Hier verbrachte ich die Zeit, ohne etwas Besonderes zu tun, bis zur Table d'hote gerufen wurde.

Allein trat ich in den Speisesaal – der neben mir stehende, für Bob reservierte Stuhl blieb natürlich unbesetzt.

Ich hatte ein nicht zu angenehmes Diner. Zwischen dem ersten und zweiten Entree – die Schüsseln wurden mit auffallender Geschwindigkeit herumgereicht –, hörte ich, wie im Hofe Wagen vorfuhren und die Hotelglocke stark geläutet wurde, zum Zeichen, daß neue Gäste angekommen waren. Das lange Diner, das heißt die vielen Gänge, erreichte aber schließlich doch sein Ende.

Ich lenkte meine Schritte nach dem Rauchzimmer, indem ich mich bei einer Tasse Kaffee und einer Zigarre in die Lektüre einer drei Tage alten Nummer der »Times« vertiefte.

Nachdem ich die Berichte über die auswärtige Politik, die Leitartikel, die Gerichtsverhandlungen, welch letztere mich übrigens mehr als andere interessierten, durchflogen hatte, schlief ich ein.

Ich mochte wohl eine halbe Stunde geschlafen haben, als mich der Kellner weckte.

»Der Herr wollen gütigst verzeihen,« meldete er, »eine junge Dame wünscht den Herrn zu sprechen.«

Eine junge Dame! Was für eine Dame!

Ich hatte mich in den Konversationssälen nur wenig blicken lassen, und meine Versuche am Spieltische waren, wie gewöhnlich, von der bescheidensten Art gewesen.

Zu den schönen oder auch nicht schönen Stammgästen Monacos, die reichen Engländern ihre Dienste als zeitweilige Bankiers anzubieten pflegen, konnte also diese junge Dame nicht gehören.

»Der Herr wird gütigst entschuldigen,« fuhr der Kellner fort, »die junge Dame wünscht den Herrn in einer sehr dringenden Angelegenheit zu sprechen.

Sonst würde ich es auch nicht gewagt haben. Sie zu wecken. Die junge Dame wartet im Empfangszimmer.«

»Sie wartet im Empfangszimmer!«

Das ließ die ganze Geschichte freilich in einem anderen Lichte erscheinen, denn das Hotel Blanc tat sich auf seine Vornehmheit und Achtbarkeit viel zugute.

Ohne ein Wort zu erwidern, stand ich auf und folgte dem Kellner.

»Florence!«

Sie befand sich in sehr großer Aufregung.

Rasch warf ich einen Blick auf ihre Toilette. Sie war zwar dunkel, aber nicht schwarz gekleidet.

»Was macht Papa?«

»Papa ist hier, Schatz. Ich habe ihn von England hierher begleitet. Doktor Aunsett erlaubte ihm zu reisen, ja er meinte sogar, die Reise würde ihm gut tun.

Er sehnte sich so sehr, hierher zu kommen, ja schrecklich hat er sich danach gesehnt.«

»Und Mama?«

»Ist in England geblieben. In demselben Augenblick, in dem Doktor Aunsett die Einwilligung gegeben hatte, drängte Papa zur Reise und bestand darauf, daß sie sofort angetreten würde.

Ohne uns irgendwo auch nur eine Stunde aufzuhalten, sind wir Tag und Nacht gefahren. Papa hat die Anstrengungen der Reise aber besser ausgehalten, als ich zu hoffen wagte. Er ist zwar sehr schwach und leidend, er wollte aber durchaus hierher. Er sagte, es handle sich um Leben oder Tod, und er müsse Dich unbedingt sofort sprechen.«

»Er will mich sofort sprechen?«

»Ja, jetzt gleich. Immer und immer wieder hat er es gesagt. Erst vor ungefähr zwei Stunden sind wir hier angelangt, und nur mit größter Mühe habe ich ihn veranlassen können, etwas Nahrung zu sich zu nehmen.

Erst als ich ihm vorstellte, daß Du wahrscheinlich ausgegangen sein würdest, gab er mir nach und aß eine Kleinigkeit. Und jetzt soll ich Dich holen. Er sagt, er muß Dich sofort sprechen.«

Ich schritt neben ihr her, und als wir am Büreau des Hotels vorbeigingen, drehten sich zwei Herren, die in eifriger Unterhaltung mit dem Buchhalter des Hotels begriffen waren, um und sahen uns an.

Ich erkannte sie und war nicht wenig überrascht. Der eine war Silas Schwink, der falsche Doktor Atterbutt, der andere Jack Crawshaw, der Kreole!

Mit Ausnahme von Frau Furst, die in England geblieben war, hatte sich also dieselbe Gesellschaft wieder im Hotel Blanc zusammengefunden, die in der Nacht dort verweilte, als der vermeintliche Selbstmord oder vermutliche Mord dort vorkam.

Jack Crawshaw zog vor Florence seinen Hut, die für den Gruß höflich dankte. Silas Schwink folgte seinem Beispiele.

»Das trifft sich aber gut,« sagte er so, daß ich es noch hören konnte.

»Das trifft sich aber gut, Sie werden also dasselbe Zimmer einnehmen, in dem Ihr Herr Onkel starb, um Ihnen seine große Erbschaft zu hinterlassen. Genau das nämliche Zimmer! Welcher Zufall!«

»Und wenn jemand versuchen sollte, mir ans Leben zu gehen,« antwortete der Kreole, »dann weiß ich, wie ich mich zu verhalten habe. Ohne meinen sechsläufigen Revolver reise ich nie!«

Wir gingen vorüber.

Beim Hinaufsteigen der Treppe, die zu Herrn Fursts Zimmer führte – das Hotel war wiederum sehr besetzt – fragte ich Florence, ob sie die beiden Herren, denen wir eben begegnet waren, unterwegs gesehen hätte.

»Mir ist es so, als wenn ich Herrn Crawshaw an irgend einem Bahnhofsbüfett erblickt hätte,« meinte sie.

»Ich schenkte ihm indessen weiter keine Beachtung, denn wie Du ja weißt, hat Papa solch dummen Widerwillen gegen alle Kreolen.«

»Und hast Du vielleicht auch Herrn Schwink, den anderen Herrn, gesehen?«

»Ich entsinne mich nicht. Er mag ja Herrn Crawshaw begleitet haben, aber ich dachte nur an Papa und hatte für nichts anderes Sinn.«

Inzwischen waren wir an der Tür von Herrn Fursts Zimmer angekommen.

»Du wirst ihn sehr verändert finden,« sagte sie beim Oeffnen der Tür.

Wir traten ein.

Ihr Vater, der abgemagert und aschfahl im Gesicht geworden, dessen Augen aber vor innerer Erregung glühten, suchte sich zu erheben, um mich zu begrüßen.

»Gott sei Dank, daß Du gekommen bist! Ich konnte nicht – ich wollte nicht sterben, bevor ich Dich noch einmal gesprochen habe.«


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