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2.

Ich muß offen gestehen, daß mich die. Antwort des Hotelbesitzers in die größte Bestürzung versetzte. »Im Schlafe ermordet!« In diesen wenigen Worten lag etwas über jede Beschreibung Unheimliches und Fürchterliches!

»Ein großes Glück für Sie, mein Herr, ist es,« fuhr der Wirt fort, »daß Sie in Ihrem Zimmer eingeschlossen waren. Es scheint, als ob die Vorsehung sich zu Ihren Gunsten mit eingemengt hat. Wie ich schon die Ehre hatte, dem Herrn Polizeikommissar zu bemerken, kann der Herr mit dem Tode seines Stubennachbars absolut nichts zu schaffen gehabt haben, da der Herr doch nicht imstande waren, sein Zimmer zu verlassen. Der Polizeikommissar gab mir auch zu, daß dem tatsächlich so war und trat auch schließlich meiner Auffassung bei, daß nämlich der Tod infolge eines Anfalles eingetreten sein müsse.«

»Wie kam es, daß meine Fensterläden geschlossen waren?« fragte ich. »So viel ich weiß, waren sie doch offen, als ich zu Bett ging.«

»Da muß sich der Herr doch wohl in einem Irrtum befinden,« erwiderte der Wirt schnell. »Es ist auch möglich, daß sie unser Wächter, der vielleicht fürchtete, daß das Wetter umschlagen würde, geschlossen hat. Das Wohlbefinden und die Bequemlichkeit unserer Gäste liegt unserem Wächter gar sehr am Herzen.«

»Und er ist ein achtbarer Mann, – ein Beamter, auf den Sie sich verlassen können?«

»Das ist er. Aber der Herr werden entschuldigen, der Herr scheinen sehr neugierig zu sein.«

»Nun ja. Sie müssen nämlich wissen, daß ich ein Rechtsanwalt, ein Advokat bin, und als jemand, der nicht nur zum Gericht in Beziehungen steht, sondern sich sogar als ein Beamter des Gesetzes betrachtet, habe ich begreiflicherweise ein Interesse daran, daß Verbrecher entdeckt und bestraft werden.«

»Ich versichere Sie, daß ich stolz darauf bin, daß der Herr mein Haus der Ehre seines Besuchs gewürdigt hat. Als Mann von Welt wird der Herr indessen verstehen, daß ein so peinlicher Vorfall, wie es ein plötzlicher Tod doch immerhin ist, einem Hotel sehr schaden kann, wenn er bekannt wird.«

»Aber er muß doch bekannt werden?«

»Das ist nicht unbedingt notwendig. Ja, wenn es feststände, daß hier ein Mord vorliegt, dann wäre es etwas anderes, denn jeder würde bemüht sein, den Mörder zu entdecken. Der Herr wird mir aber zugeben müssen, daß es sich hier doch nur um eine bloße Vermutung handelt, und wenn nur Vermutungen vorliegen, pflegen unsere Behörden recht nachsichtig zu sein. Auch ich hoffe, daß der Herr verschwiegen bleiben und von der fatalen Geschichte nicht mehr sprechen wird, als er gerade muß. Der Herr befindet sich doch in meinem Hotel gut aufgehoben und wird doch auch um den Ruf des Hotels besorgt sein, nicht wahr?«

»Wurde der Tote bestohlen?« fragte ich, ohne die schönen Redensarten des Wirtes irgendwie zu beachten.

»Durchaus nicht. Auf diesen Umstand habe ich auch die besondere Aufmerksamkeit des Polizeikommissars gelenkt. Auch nicht ein einziger Sou ist entwendet worden, und dabei hatte er eine große, eine sehr große Summe Geldes auf seinem Nachttisch liegen. Wäre der Herr ermordet worden, dann würde zweifellos diese große Summe gestohlen worden sein. Sie sehen also, verehrter Herr, die ganze Geschichte ist nichts weiter als ein Sturm im Glas Wasser, und je rascher sie vergessen wird, desto besser ist es.«

»Darf ich vielleicht die Leiche sehen?«

»O, ich bin ganz unglücklich, Ihnen nicht dienen zu können,« entgegnete der Wirt, »aber leider hat der Herr Kommissar die Zimmertür vom Korridor aus verschlossen und ich kann sie nicht öffnen. Der Herr wird wohl die Güte haben, mich zu entschuldigen, wenn ich mich jetzt zurückziehe. Der Herr wird doch verschwiegen sein? Ich bitte den Herrn nochmals dringend, mir doch den Gefallen zu tun und nicht darüber zu sprechen.«

Unter zahlreichen Verbeugungen verabschiedete sich der Wirt. Kurz darauf brachte mir ein Kellner Waschwasser, und ich nahm die Gelegenheit wahr, auch an ihn einige Fragen zu richten. Leider ohne Erfolg. Dem Anschein nach mochte der Kellner die Entdeckung von Verbrechen nicht als zu seinen Obliegenheiten gehörig betrachten. Ich machte Toilette und begab mich sodann in den Speisesaal, um dort zu frühstücken.

Außer mir befand sich nur noch ein Herr im Speisesaal. Es war das ein Engländer, der mir zwar sehr bekannt vorkam, doch ich wußte nicht, wo ich ihn schon vorher gesehen hatte. Eine ganze Weile sah er mich starr an, und dann setzte er sich dem kleinen Tische gegenüber, auf dem ich mir mein Frühstück hatte servieren lassen. Das störte mich, und um endlich ein Schweigen zu brechen, das schon anfing, peinlich zu werden, fragte ich ihn, ob er mir etwas zu sagen hätte.

»Ich bitte um Verzeihung, mein Herr, ich habe Sie doch hoffentlich nicht belästigt?«

»Nein,« antwortete ich und goß mir dabei die zweite Tasse Kaffee ein; ich ziehe nämlich die altenglische Art zu frühstücken dem modernen französischen Déjeuner à la fourchette vor. »Ich weiß nicht, wo ich Sie schon vorher gesehen habe, aber ich glaube, es ist nicht heut das erste Mal, daß wir uns begegnen?«

»Darin täuschen Sie sich auch nicht, denn ich kenne Sie recht gut, Herr Mac Gregor, wenn Sie auch mich vergessen zu haben scheinen. Ich hatte in einem Prozesse die Ehre, vor Ihnen, Herr Anwalt, auf der Zeugenbank zu erscheinen, um mich Ihrerseits einem Kreuzverhöre zu unterziehen.«

Lachend antwortete ich, daß es eigentlich doch recht komisch wäre, daß ich ihn vergessen konnte, denn meine Praxis wäre keineswegs eine allzu große.

»Ich gehöre zur Kriminalabteilung der Londoner Polizei, Herr Anwalt, und bin auch auf dem Gericht sehr gut bekannt. Darf ich bitten, hier ist meine Legitimation.«

Nachdem ich einen Blick auf das Dokument geworfen, reichte ich es seinem Eigentümer wieder zurück und rief: »Sie sind es also, Herr Zetland? Wie ist es Ihnen seit unserer letzten Begegnung ergangen?«

»Danke bestens, Herr Anwalt, gut, sehr gut sogar, nur bin ich gerade jetzt etwas niedergeschlagen. Die Sache ist nämlich die, daß man mich an der Nase herumgeführt hat. Der verehrte Herr, hinter dem ich her war, hat sich anders besonnen und hat Kehrt gemacht, und eben höre ich, daß er inzwischen ohne weitere Schwierigkeiten in England verhaftet worden ist. Zurzeit bin ich daher außer Dienst und kann mich dem süßen Nichtstun ergeben und ruhig spazieren gehen.«

»Das braucht Ihnen auch weiter nicht leid zu tun, Herr Zetland. Monte Carlo ist gerade der geeignete Ort, um hier einen freien Tag zu verbringen, und ich bin überzeugt, einen freien Tag haben Sie sich redlich verdient.«

»Ich bin kein großer Freund von Feiertagen, und ganz besonders dann nicht, wenn sie mir sozusagen aufgezwungen sind. Das »Nichtszutunhaben« hasse ich in den Tod, und wenn ich jetzt unverrichteter Sache auf das Präsidium zurückkomme, werden es meine Kollegen an Neckereien nicht fehlen lassen.«

»Aber, mein lieber Herr Zetland, Sie können doch unmöglich erwarten, daß Sie an jedem Tage Ihres Lebens ein Verbrechen ausfindig machen sollen. Das nächste Mal werden Sie mehr Glück haben.«

Herr Zetland zog seinen Stuhl an meinen Tisch heran, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß wir beide allein im Saale waren, sagte er zu mir:

»Ich hoffe, Sie werden mir meine Bemerkung verzeihen, Herr Anwalt, aber ich möchte fast glauben, daß hier in diesem Hotel nicht alles in Ordnung ist. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mich recht gut auf Zeichen verstehe. Man erzählte mir vorhin, daß es hier nur sehr selten vorkommen soll, daß man etwas vertuschen will, und gerade daraus schließe ich, daß man eben jetzt etwas zu vertuschen hat. Haben Sie vielleicht zufällig von etwas Derartigem Kenntnis erlangt, Herr Anwalt?«

Diese so plötzlich an mich gerichtete Frage machte mich erschrecken, und ich glaube, daß mich mein Gesicht wohl auch verraten haben mag.

»Wie ich sehe,« fuhr Herr Zetland fort, »scheinen Sie ja von der Sache zu wissen. Mich geht sie ja selbstverständlich nichts an, und Sie, Herr Anwalt, wahrscheinlich auch nicht, aber da wir doch beide von derselben »Fakultät« sind – ich hoffe, Sie werden mir meine kleine Freiheit nicht weiter übel nehmen –, so sollte ich meinen, daß wir uns doch ein wenig darum kümmern könnten. Ist das nicht auch Ihre Ansicht, Herr Mac Gregor?«

»Offen gestanden, nein, Herr Zetland. Wir sind hier im Fürstentum Monaco und nicht in England, und daher ist es auch durchaus nicht Ihres Amtes, mich zu veranlassen, den hiesigen Behörden meine Unterstützung angedeihen zu lassen.«

»Sie scheinen sich einen Spaß mit mir machen zu wollen, Herr Anwalt. Nun, ich bin gewiß ein Freund von einem guten Witz wie nur sonst wer. Aber glauben Sie denn wirklich, daß wir irgend welchen Schaden anrichten könnten, wenn wir in irgend einer Weise der Justiz helfen würden, selbst wenn dies hier in einem fremden Lande geschähe?«

Ein paar Augenblicke schwieg ich, weil ich mir die Geschichte überlegte. Es lag mir ja weiter nichts daran, in den Augen dieses Mannes insofern als Mitschuldiger zu erscheinen, als ich von der Tat wußte und keine Anzeige gemacht hatte, ein Vergehen, das nach englischem Recht strafbar ist. Andererseits hatte mich der Besitzer des Hotels gebeten, »verschwiegen« zu sein, ich konnte aber nicht einsehen, daß ich auch verpflichtet war, seine Wünsche zu respektieren. Ich war in einer recht peinlichen Lage. Aber weswegen sollte ich etwas verhehlen?

»Gut, Herr Zetland,« antwortete ich endlich, »Sie sollen recht haben. Ohne Zweifel sind Sie ein sehr geriebener Herr und Sie irren sich auch nicht. In diesem Hotel hat sich eine sehr geheimnisvolle Angelegenheit zugetragen, und wenn wir hier in England wären, würde ich keinen Anstand genommen haben, mich persönlich sofort mit dem Chef der Polizei in Verbindung zu setzen. Ist es Ihnen recht, wollen wir einen kleinen Spaziergang machen und dabei unsere Beobachtungen austauschen.«

»Ich stehe mit Vergnügen zu Ihrer Verfügung, Herr Anwalt.«

»Eine Zigarre gefällig? Es ist zwar nur eine kleinen Formates, dafür aber vom besten Tabak, der hier überhaupt erhältlich ist.«

»Besten Dank. Ich rauche zwar nur sehr wenig, wenn Sie selbst aber rauchen, will ich gern Ihrem Beispiele folgen.«

Wir steckten uns unsere Zigarren an und wanderten nach der dem Kasino gegenüberliegenden Terrasse. Auf den dort aufgestellten Stühlen nahmen wir Platz.

»Da wir nun hier sind,« begann Herr Zetland, »kann ich auch sagen, daß ich schon etwas von der Sache da drüben weiß. Daß jemand plötzlich gestorben ist, hatte ich bald herausgefunden, ob er aber ermordet worden ist oder nicht, das können weder Sie noch ich sagen, wenigstens bis jetzt noch nicht. Wenn ich recht unterrichtet bin, nehmen Sie das Nachbarzimmer des unglücklichen Gastes ein, Herr Anwalt?«

Im geheimen freute ich mich, daß ich aus dem Vorfall einem Manne gegenüber kein Hehl gemacht hatte, dem ich voraussichtlich noch sehr oft in London begegnen würde, und ich erzählte Herrn Zetland alles, was ich wußte. Auch die Geschichte von den geschlossenen Fensterläden und von den Fußtritten, die ich gehört hatte, erwähnte ich.

»Damit läßt sich freilich nicht viel anfangen. Meinen Sie nicht aber auch, daß wir gut täten, uns zunächst einmal die Leiche anzusehen?«

Ich erklärte ihm, daß auch ich diesen Wunsch bereits dem Wirt geäußert hatte und mir dabei eine zwar höfliche, aber doch entschiedene Absage geholt hatte.

»Das glaube ich gern,« antwortete der Detektiv, »wir von der Polizei besitzen aber auch Mittel und Wege, an einen Ort zu gelangen, der für andere verschlossen ist. Wenn Sie mir gestatten wollen, Sie auf Ihr Zimmer zu begleiten, dann hoffe ich, daß wir imstande sein werden, die Tür zu passieren, die Ihr Zimmer von dem des fremden Herrn trennt. Sie sagten doch, daß es ein fremder Herr war?«

»Ich darf das mit gutem Grund annehmen. Ich habe ihn an der Stimme erkannt.«

»Was mit ihm geschehen ist, muß sehr rasch geschehen sein, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Wenn er geschrieen hätte, hätten Sie ihn hören müssen.«

Wir erhoben uns von unseren Plätzen und gingen nach dem Hotel. Beim Hinaufsteigen der Treppe bemerkte Herr Zetland:

»Wenn man, wie Sie richtig vermuten, die Sache vertuschen will, dann können Sie auch überzeugt sein, daß man fast sämtliche Gäste, die während der letzten Nacht im dritten Stock geschlafen haben, hat weggehen lassen, ohne sich weiter um sie zu bekümmern. Man scheint hier solche Sachen sehr leicht zu nehmen, und ich möchte behaupten, daß wir den Herrn ungestört finden werden.«

Inzwischen hatten wir mein Zimmer erreicht. Herr Zetland trat an die Verbindungstür, kniete nieder und sah durchs Schlüsselloch.

»Das geht ganz gut,« sprach er vor sich hin, »die Tür werden wir bald offen haben.«

Und während er dies noch sagte, hatte er aus seiner Tasche bereits ein Bund Dietriche hervorgeholt. Mit einem Schlüssel daraus öffnete er die Tür, und wir traten in die »Zimmer des Todes«.

Was mir zuerst auffiel, war die peinliche Ordnung, die darin herrschte. Ein Kampf des Mörders mit seinem Opfer hatte augenscheinlich nicht stattgefunden. Die Kleider des Ermordeten lagen dort, wo er sie wahrscheinlich noch selbst hingelegt hatte – auf einem Stuhl.

Sein Geld und einige Ringe befanden sich auf dem Nachttische, und in einiger Entfernung davon seine Uhr mit Kette. Außerdem stand auf dem Nachttische noch ein Leuchter mit einer angebrannten Kerze. Die Polizeibeamten hatten alles unberührt stehen lassen, wahrscheinlich wollten sie, daß ein höherer Beamter alles genau so sehen sollte, wie sie es selbst gefunden hatten.

Herr Zetland schritt auf das Bett zu, auf dem die Leiche lag, und sah sich dieselbe ein paar Minuten lang schweigend an. Der Kreole lag da, den Kopf zur Seite geneigt, die linke Wange ruhte auf dem Kissen. Herr Zetland beugte sich nieder und betrachtete aufmerksam das Laken.

»Ein Blutfleck!« rief er fast atemlos. »Der Mann ist ermordet worden!«

Er untersuchte nur den Hals, der Spuren von Gewalttätigkeiten zeigte. Fingernarben, die sich unter dem Kinn befanden, ließen darauf schließen, daß der Unglückliche im Schlafe erdrosselt sein mußte, denn seine Augen waren noch geschlossen.

»Treten Sie, bitte, näher heran, Herr Anwalt,« rief er mir zu. »Bemerken Sie etwas?«

Ich trat an das Bett, an dem ich einen schwachen Geruch von Chloroform wahrnahm.

»Jawohl, Sie haben ganz recht,« fuhr Herr Zetland leise fort. »Der Mann wurde erst betäubt und dann getötet. Es war eine vorher reiflich überlegte Tat. Wer auch der Mörder gewesen sein mag, seinen Plan hatte er vor dem Betreten dieses Zimmers entworfen.«

»Sie sagten vorhin, daß ein Blutflecken vorhanden wäre?«

»Können Sie ihn nicht sehen? Hier auf dem Kissen, Herr Anwalt. Bald werden wir auch die zugehörige Wunde gefunden haben.«

Behutsam hob er den Kopf hoch und drehte ihn um, und unseren Augen bot sich ein gräßlicher Anblick. Das linke Ohr war gewaltsam zerrissen, es hing nur noch ganz lose am Kopfe.

»Das kann erst nach dem Tode geschehen sein,« erklärte Herr Zetland, »und dabei wollen diese Fremden behaupten, daß hier ein Selbstmord vorliegt! Nun ja, bekanntlich ist niemand so blind als der, der nicht sehen will. Ich denke, wir haben jetzt genug.«

Der Detektiv brachte mit größter Sorgfalt den Kopf in die Lage zurück, in der er ihn gefunden hatte, und dann verließen wir das Zimmer. Mit seinem Dietrich verschloß Herr Zetland die Verbindungstür.

Zusammen gingen wir die Treppe hinunter und kehrten zu der Terrasse zurück, von der sich ein hübscher Ausblick auf das blaue Meer bot.

»Ich bin hier nicht im Amt,« bemerkte der Detektiv, nachdem wir wiederum Platz genommen hatten, »und kann daher diesen Fall nur als eine kleine Privatangelegenheit von mir betrachten. Immerhin ist es aber möglich, daß er mir eines Tages von Nutzen sein kann, und deswegen will ich ihn weiter verfolgen.«

»Dieser Fall könnte Ihnen eines Tages von Nutzen sein? Habe ich Sie recht verstanden?«

»Ja, Herr Anwalt, das habe ich gesagt. Wäre der Mörder ein Fremder, so würde ich mich nicht weiter um die Geschichte kümmern, denn wir haben in England gerade genug zu tun und brauchen unsere Nasen nicht auch noch in die Geschäfte unserer französischen Kameraden zu stecken. Auch würden diese Herren mich vielleicht als einen unliebsamen Eindringling betrachten, der ihnen das Brot vom Munde wegnimmt. Es mag ja auch nicht kameradschaftlich sein; ich habe aber die feste Ueberzeugung, daß nur ein Engländer oder ein Yankee das Verbrechen begangen haben kann, und deswegen will ich die näheren Umstände zu ergründen suchen.«

»Und darf ich fragen, woraus Sie schließen, daß der Mörder ein –«

»Engländer oder Yankee war? Das will ich Ihnen gern sagen, Herr Anwalt. Fremde wissen nicht viel von Chloroform. Sie kennen nur das Kohlengas als geeignetes Erstickungsmittel. In diesem Falle aber wurde Chloroform gebraucht, und daraus folgere ich, daß der Mörder entweder ein Engländer oder ein Bürger der freien und aufgeklärten Vereinigten Staaten war.«

»Sie können recht haben.«

»Das glaube ich auch. Das ist aber nur ein Grund. Ich sage, die Geschichte kann mir noch von Nutzen werden, weil ich glaube, der Mörder wird dabei nicht stehen bleiben. Mich würde es gar nicht überraschen, wenn er die Sache von neuem probieren würde, das nächste Mal vielleicht in England. Dann habe ich einen Punkt, von dem ich ausgehen kann, oder wie die Zeitungen sich auszudrücken pflegen, »eine Spur gefunden, die sich weiter verfolgen läßt«.«

»Aber woraus glauben Sie annehmen zu dürfen, daß er es nochmals tun wird?«

»Weil ich der Ansicht bin, daß er es auch schon vorher getan hat. Das war nicht sein erster Mord, darauf können Sie sich verlassen.«

»Sie wollen doch damit nicht etwa sagen, daß wir hier auf die Spur eines gewohnheitsmäßigen Mörders gekommen sind?«

»Ich sage jetzt noch gar nichts, halte aber meine Augen offen. Für einen ersten Versuch war dieser Mord doch viel zu sauber. Mag der Mörder sein, wer er wolle, sein Handwerk versteht er sehr gut. Keine Ueberstürzung, kein Hin- und Herpfuschen. Er kam, um zu töten, und er hat auch getötet. Es war sehr kunstvoll gemacht, namentlich das Zerreißen des Ohres. Sie haben das doch gesehen, Herr Anwalt?«

»Ja. Der Mörder muß sein Opfer fürchterlich gehaßt haben.«

»Das will ich noch gar nicht sagen. Ich glaube viel eher, daß er eine Abneigung gegen die ganze Kategorie von Menschen, zu der sein Opfer gehörte, haben mag. Wäre er von einem persönlichen Haß gegen sein Opfer eingenommen gewesen, so würde das Gesicht der Leiche wahrscheinlich so entstellt gewesen sein, daß man es nicht mehr hätte erkennen können. Aber, wie Sie selbst gesehen haben, er hat das Ohr abgerissen, und das genügte ihm. Diesen Trick hat er schon öfters ausgeführt, und wenn ich mich nicht sehr täusche, ist es nicht das letzte Mal gewesen.«

»Haben Sie jemand im Verdacht?«

»Nein,« antwortete Herr Zetland und nahm sein Notizbuch zur Hand, in dem er blätterte. »Ich habe hier die Namen der Engländer und Amerikaner, die gestern im Hotel wohnten, und deren sind eine ganze Menge.«

»Wozu sollen die gut sein? Kann nicht auch der Mord von jemand begangen sein, der nicht im Hotel wohnte?«

»Sie denken dabei wohl an den Mann, der Ihre Fensterläden schloß? Mag ja sein, ich halte es aber nicht für recht wahrscheinlich. Ich müßte mich in einem sehr großen Irrtum befinden, wenn der Mörder nicht vorige Nacht im Hotel geschlafen hat. Ich will Ihnen einmal die Namen verlesen, vielleicht kennen Sie einige der Herrschaften?«

Er nannte mir wohl ein Dutzend verschiedene Namen, die mir mit Ausnahme des zuletzt genannten vollständig unbekannt waren. Das sagte ich ihm auch.

»Und was für Leute sind diese Fursts?«

»Eine höchst ehrbare Familie, die ebensowenig einen Mord begehen könnte, wie ich selbst dazu imstande wäre.«

»Dann will ich ihren Namen lieber durchstreichen. Wenn ich recht unterrichtet bin, besteht die Familie aus Vater, Mutter, Sohn und Tochter.«

»Stimmt genau.«

»Haben Sie sie heute schon nach Entdeckung des Mordes gesehen?«

»Nein. Weswegen fragen Sie?«

»Nichts für ungut, Herr Anwalt. Sie sagten doch, die Familie wäre Ihnen bekannt, und da Sie doch sonst niemand im Hotel kennen, so glaubte ich, so viel als möglich von Ihnen in Erfahrung bringen zu können.«

»Ich meine, Herr Zetland,« erwiderte ich einigermaßen erregt, »daß Sie mit Ihrem Verdacht zu weit gehen. Ich will Sie jedoch dahin aufklären, daß Frau Furst eine leidende Dame ist, die auch schon in physischer Beziehung vollständig unfähig ist, jemand zu verletzen. Ihr Gatte ist ein Mann in den besten Jahren, der Millionär sein soll, und der seine Bequemlichkeit und seine Ruhe so sehr liebt, nun, sagen wir, wie Rothschild oder der Zar die seine. Herr Furst junior ist einer der liebenswürdigsten und humorvollsten jungen Leute, die ich je kennen gelernt habe, und Fräulein Furst – nun, ich sollte wohl meinen, daß es nicht notwendig ist, auch sie in unsere Unterhaltung zu ziehen.«

»Gewiß nicht,« antwortete der Detektiv ziemlich kühl. »Ihre liebenswürdige Auskunft wird von mir mit der Rücksicht, die sie verdient, benutzt werden.«

»Tut mir leid, daß ich Sie jetzt verlassen muß, ich hoffe aber, Sie wiederzusehen,« verabschiedete ich mich von Herrn Zetland. »Sollten Sie irgend etwas von mir wünschen, nun, ich bleibe noch während der nächsten zwei bis drei Tage hier.«

»Ich wünsche sogar jetzt gleich etwas von Ihnen, Herr Anwalt. Ich möchte einen kurzen Bericht über unseren Besuch dort drüben zu Papier bringen, und wenn Sie die Güte hätten, ihn durchzulesen und seinen Inhalt billigen sollten, möchte ich Sie bitten, Ihre Unterschrift der meinigen hinzuzufügen. Es mag dieser Bericht vielleicht einst später unserem Gedächtnis zu Hilfe kommen.«

»Ganz wie Sie wünschen. Guten Morgen, Herr Zetland.«

»Guten Morgen, Herr Anwalt, und besten Dank für Ihre freundliche Unterstützung, die Sie mir bei dem Versuche geleistet haben, einen Fall aufzuklären, der noch von allergrößter Wichtigkeit werden kann.«

Ich nickte ihm zu und ging weg. Ich muß gestehen, daß der Anblick von heute früh mir auf die Nerven gefallen war, und daß mich derselbe fortwährend verfolgte. Ueberall glaubte ich den Toten in seinem Bett im halbdunklen Zimmer liegen zu sehen.

Und weswegen mochte dieser Herr Zetland an mich so viele Fragen über die Familie Furst gestellt haben? Es war ja lächerlich; sollte er denn wirklich glauben können, daß zwischen dem Morde und ihrer Anwesenheit im Hotel irgend ein Zusammenhang bestände?

Ich kam schließlich zu der Ueberzeugung, daß es zu seinem Berufe gehörte, jeden und alles zu verdächtigen. Ein Wunder war es nur, daß er mich noch nicht beschuldigt hatte.

Im Weitergehen bemerkte ich, daß Florence und ihre Mama ebenfalls auf der Terrasse anwesend waren. Sie saßen auf einer Gartenbank und freuten sich über den entzückenden Ausblick auf die Halbinsel Monaco, die sich zu ihren Füßen erstreckte.

»Guten Morgen, Herr Mac Gregor,« begrüßte mich Frau Furst. »Meine Tochter und ich haben heut schon das Palais des Fürsten besucht. Ach, wie entzückend ist es dort! Und wenn wir einem Artikel in einer unserer Zeitschriften Glauben schenken dürfen, so soll es bei weitem nicht mehr so interessant sein, wie es vor hundert Jahren war.«

Frau Furst brüstete sich gern mit ihrer Liebe zur Literatur, und hiermit wollte sie mir gewiß nur zeigen, wie auffallend und gediegen ihre Lektüre war.

»Und der ganze Ort scheint so vorzüglich verwaltet zu sein,« fuhr die gute Dame fort. »Keine Steuern und solch bewundernswerte hygienische Einrichtungen. Wissen Sie auch, Herr Mac Gregor, daß, wenn hier jemand an einer ansteckenden Krankheit stirbt, das Haus oder das Hotel, in dem er gestorben ist, sofort polizeilich geschlossen wird, damit der Ansteckungskeim nicht weiter getragen wird.«

»Dann muß ich mich nur wundern,« warf ich ein, »daß diese Verordnung nicht auch auf das Hotel Blanc angewendet wird, in dem doch heute nacht ein plötzlicher Todesfall vorkam.«

Die beiden Damen wollten natürlich Näheres über diesen Todesfall von mir wissen, und ich gab ihnen einen kurzen Bericht von der Tragödie. Von den Entdeckungen, die ich in Gemeinschaft mit Herrn Zetland gemacht hatte, sagte ich jedoch nichts.

»Ach, lieber Gott, wie schrecklich, wie furchtbar schrecklich,« rief Frau Furst. »Und gerade der Kreole muß es sein! Denk' Dir nur, Florence, der Kreole!«

Ich sah erst die eine, dann die andere Dame an. Florence schien weiter nicht übernatürlich aufgeregt. Meine Erzählung hatte sie zwar in Schreck versetzt, und auf ihrem Gesicht drückte sich auch aufrichtiger Kummer über das traurige Geschick eines Mitmenschen aus, aber in ihrem Benehmen ließ nichts darauf schließen, daß der Tod des Kreolen sie mehr erregte, als es der Tod eines anderen, ihr Unbekannten, getan haben würde.

»Ja, es ist wirklich sehr seltsam, liebe Mama,« meinte sie, »denn wie Du Dich erinnern wirst, hat Papa erst gestern gesagt, er wünschte sehr, daß der arme Mensch Monte Carlo verlassen möchte. Wie leid wird es ihm tun, wenn er seinen Tod erfahren wird.«

»Es wird ihm aufrichtig leid tun,« bestätigte Frau Fürst. »Ich muß Ihnen nämlich das Geständnis machen, mein lieber Herr Mac Gregor, daß wir sehr abergläubisch sind, und ich fürchte sehr, mein Mann wird sich jetzt einbilden, daß sein harmloser Wunsch, den er hinsichtlich der Entfernung des unglücklichen Menschen geäußert hat, als eine Art Fluch gewirkt haben mag. Ich kann Ihnen versichern, daß Herr Furst einer der gutmütigsten Menschen ist, die je gelebt haben. Wenn er auch bei oberflächlicher Bekanntschaft etwas rauh erscheinen mag, so kann er doch nicht einmal einer Fliege wehe tun. Er würde es sich niemals verzeihen können, daß seinen Wunsch, bei dessen Aeußerung er sich nichts weiter dachte, die Vorsehung durch den Tod des armen Kreolen erfüllt haben sollte.«

Während ich Frau Furst zuhörte, mußte ich denken, daß Herrn Zetlands Spur doch nur sehr geringe Aussichten bot. Hier war ein Mann, ein Familienvater, ein Millionär, die personifizierte Gutmütigkeit!

Wie sollte man den in irgend einer Form oder Gestalt mit einem nächtlichen Morde der grausamsten Art in Verbindung bringen können? So etwas zu denken, war doch zu lächerlich – geradezu dumm!

»Und was werden sie tun?« fragte Frau Furst. »Das Gericht wird sich wohl der Sache bemächtigen und eine regelrechte Untersuchung stattfinden, meinen Sie nicht auch, Herr Mac Gregor?«

»Ich weiß in der Tat nicht, was geschehen wird,« antwortete ich. »Von dem Wirte habe ich nichts weiter in Erfahrung bringen können, als daß man willens zu sein scheint, die Sache zu vertuschen. Ueber das hiesige Gerichtsverfahren bin ich nicht im geringsten orientiert. Wir sind hier nicht auf französischem Gebiet, und der allgemeine Eindruck, den man von Monaco erhält, ist der, daß seine Armee aus einem halben Dutzend Leuten und seine gesamte Polizei aus einem ganzen Schutzmann besteht. Doch Scherz beiseite, ich möchte glauben, man wird von der Geschichte so wenig Lärm als möglich machen.«

»Florence!« rief Frau Furst, plötzlich aufstehend, »Florence! Komm gleich mit fort von hier. Dort kommt Dein Bruder Robert, und nach seinem Benehmen von gestern abend halte ich es nicht für richtig, daß wir mit ihm sprechen sollten.«

»Aber, liebe Mama, Du willst doch etwa nicht auf lange Zeit mit ihm böse sein?«

»Ich denke gar nicht daran, ihm eher als heute bei Tisch verzeihen zu wollen, und wenn Dein Papa meinem Rate folgt, so wird er ihn ebenso hart bestrafen. Komm also gleich mit, meine liebe Tochter. Adieu, Herr Mac Gregor! Ich hoffe, Sie etwas später am Tage wiederzusehen.«

Frau Furst ging voran, ihre Tochter folgte ihr. Letztere erwiderte meine Verbeugung mit einem Lächeln, das anzudeuten schien, daß sie doch nicht so böse auf ihren Bruder war, als ihre Mama es gern haben wollte.

Kaum hatten mich die Damen verlassen, als Herr Bob mit einer Zigarre im Munde erschien. In einer recht nonchalanten Manier streckte er sich seiner ganzen Länge nach auf der Bank aus, von der seine Mutter und Schwester eben aufgestanden waren.

»Guten Morgen, Herr Mac Gregor,« begrüßte er mich, indem er seine Zigarre aus dem Munde nahm und eine Rauchwolke in die frische, reine Luft blies. »Sie müssen schon meine Faulheit entschuldigen, ich fühle mich heute nicht ganz auf dem Posten. Habe gestern den ganzen Tag fürchterliches Zahnweh gehabt, dann irgend ein Zeug aufgelegt, das mir gut getan hat, und schließlich die Genesung durch eine solenne Kneiperei gefeiert.«

Ich antwortete, er brauche sich nicht weiter zu entschuldigen, und holte einen Stuhl herbei, in den ich mich selber setzte.

Sehr gut sah er gerade nicht aus, er machte den Eindruck eines Menschen, der die ganze Nacht nicht ins Bett gekommen war; er sah blaß und verschwommen im Gesicht aus.

»Bei meiner Frau Mama mag ich wohl in furchtbare Ungnade gefallen sein, kann ich mir denken,« fuhr er fort. »Sie hält mich gewiß für einen recht verdorbenen Burschen. Als ich hierher kam, unterhielt sie sich ja mit Ihnen. Sie ließ Sie wohl bloß deswegen allein, um mir aus dem Wege zu gehen?«

»Das weiß ich nicht,« erwiderte ich, »das müssen Sie doch besser verstehen als ich. Haben Sie denn etwas verbrochen, um Ihrer Frau Mutter Grund zum Aerger zu geben?«

»I Gott bewahre,« antwortete er lachend. »Ich bin die ganze Nacht aus dem Hotel fortgeblieben.«

»Sie haben gar nicht im Hotel geschlafen?« rief ich überrascht aus.

»Nein. Ich war meilenweit entfernt. Aber weswegen fragen Sie? Nehmen Sie an meinen Taten solch großes Interesse?«

»Nicht im geringsten, ich meine nur, kein größeres Interesse als jeder andere. Entschuldigen Sie, es liegt mir nichts ferner, als Sie verletzen zu wollen, aber ich bin heute so aufgeregt.«

»Das wird sich schon legen,« meinte der junge Mann, der sich vor Lachen ausschütten wollte. »Aber, bester Herr Mac Gregor, je genauer ich Sie ansehe, desto blasser finde ich Sie aussehend. Was ist denn los mit Ihnen?«

»Gar nichts, nur in dem angrenzenden Zimmer desjenigen, das ich im Hotel inne hatte, ist heute nacht ein Herr unter sehr verdächtigen Umständen plötzlich gestorben, und das mag mich wohl ein bißchen aufgeregt haben.«

»Was Sie sagen! Erzählen Sie mir doch, bitte, alles, was Sie wissen!«

Ebenso wie seiner Mutter und Schwester gab ich auch ihm eine kurze Erzählung von der Tragödie. Mit unverkennbarem Interesse hörte er mir zu, und nur zuweilen unterbrach er mich durch einen Ausruf des Erstaunens.

»Der Kreole!« rief er, als ich mit meiner Geschichte zu Ende war. »Des Kerls erinnere ich mich. Ja, ich habe ihn oft genug am Spieltische gesehen. Er war ein Mensch, der immer ein Liedchen vor sich her trillerte, nicht wahr?«

»Ganz recht.«

»Der arme Bursche! Tut mir furchtbar leid, das hören zu müssen. Ich hatte immer geglaubt, er wäre im Gewinne gewesen. Es ist traurig genug, wenn ein armer Teufel, an dem das Pech klebt, sich auf die Fersen machen muß; noch schlimmer aber ist es, wenn ein edler Sportsmann, der eben erst einen großen Schlag eingeheimst hat, ins Gras beißen muß.«

Ich möchte hier bemerken, daß Herr Robert Furst in seiner Sprache mit Vorliebe Wendungen gebrauchte, die Sportausdrücke sein sollten, die aber mehr oder weniger seine eigene Erfindung waren.

Wie viele Bewohner der Kolonien, hatte auch er den Ehrgeiz, als »vollblütiger« Engländer genommen zu werden, und seinen Zweck glaubte er am besten dadurch zu erreichen, wenn er sich eines echt »sportmäßigen« Jargons bediente.

»Sie waren also nicht im Hotel?« wiederholte ich.

»Nein. Was hat das übrigens auch mit Ihrer Geschichte zu tun? Sie wollen doch nicht etwa glauben, daß ich etwas mit jenem Tode zu tun habe?« Und der junge Mann wälzte sich vor Lachen, es war ein echtes, aus dem Herzen kommendes Lachen. »Wurde er bestohlen? Glauben Sie vielleicht, daß ich mich mit seinen Moneten bereichern wollte? So etwas ist ja noch nicht dagewesen! Sind Sie denn verrückt geworden, mein lieber Herr Mac Gregor?«

»Hoffentlich noch nicht,« antwortete ich. »Ich habe vorhin mit einem englischen Detektiv, den ich zufällig hier getroffen habe, gesprochen, und der muß mich angesteckt haben, daß mir jetzt alles verdächtig erscheint. Ich brauche Ihnen jedoch wohl aber nicht erst zu versichern, daß ich auf Sie keinen Verdacht hatte.«

»Das will ich auch hoffen,« antwortete Herr Furst junior, der jetzt wieder ernst geworden war, »ich würde es auch als eine Beleidigung betrachtet haben. Da sich Detektivs hier herumtreiben und sich – Sie verzeihen das harte Wort – sich auch Barristers finden, die geneigt sind, ihren Theorien Glauben zu schenken, so ist es ja ein reines Glück für mich, daß ich während der letzten Nacht nicht im Hotel war. Ich soll ein Mörder sein! Ein köstlicher Spaß! Ha, ha, ha!«

Ich wurde recht verlegen, denn ich liebe es nicht, wenn meine Person Gegenstand des Gelächters wird, ich mußte aber andererseits zugeben, daß Bobs Heiterkeit nicht unberechtigt war.

»Wie kam es, daß Sie nicht im Hotel schliefen?« fragte ich in der Absicht, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

»Zuerst, mein lieber Herr Mac Gregor, müssen Sie mir sagen, ob Sie mich in Ihrer Eigenschaft als Freund oder als rechts- und gesetzeskundiger Advokat fragen. Im letzteren Falle wäre es Ihre Pflicht, mich vorher darauf aufmerksam zu machen, daß ich nichts auszusagen brauche, was bei einer etwaigen späteren Verhandlung gegen mich belastend wirken könnte. Ha, ha, ha, ein köstlicher Spaß, ha, ha, ha!«

Ich wollte fortgehen, denn ich war im höchsten Grade ärgerlich. Solch dummes Geschwätz kann ich überhaupt nicht leiden, am allerwenigsten befand ich mich aber jetzt in der Stimmung dafür.

»Werden Sie nicht übelnehmerisch,« rief mir der junge Mann zu, »es ist ja nicht bös gemeint. Es war nur Scherz, jetzt aber will ich ernst bleiben. In dem Augenblick aber konnte ich mir das Lachen nicht verhalten. Es war zu komisch, auch nur daran zu denken, daß gerade ich, ausgerechnet ich, einen Mord bei nachtschlafender Zeit begehen sollte! He, he, he, he. Ich muß schon wieder lachen, obwohl ich gar nicht wollte. Setzen Sie sich nur wieder, Herr Mac Gregor, ich möchte gern ein wenig mit Ihnen plaudern.«

Zögernd nahm ich wieder meinen Platz ein.

»Ich muß fürchten, daß ich in der vergangenen Nacht keine großen Ruhmestaten vollbracht habe. Sie haben mich ordentlich ausgebeutet. Sehen Sie her, – Börse, Uhr, Kette, alles ist weg.«

»Sie müssen in schlechter Gesellschaft gewesen sein,« bemerkte ich.

»Das war ich leider auch. Ich speiste mit Kapitän Huggard und seiner Gesellschaft zusammen. Nach Tisch bekam ich Streit mit ihnen und lernte dann ein paar Burschen kennen, die ich noch nie gesehen hatte und wohl auch nie Wiedersehen werde. In ihrer Begleitung ging ich nach einem ungefähr drei Meilen von hier entfernten Spielsalon niederster Gattung. Ich spielte und trank tüchtig, und ich weiß mich nur noch zu erinnern, daß ich schließlich in eine Schlägerei verwickelt und zur Tür hinausbefördert wurde. Heut morgen wachte ich in einem Blumenbeet auf, in dem ich die Nacht geschlafen hatte. Es war das gar nicht so weit von hier und ich vermute daher, daß ich mich schon auf den Nachhauseweg gemacht hatte. Ich ging nochmals nach der Spielbude zurück. Das Haus war jedoch geschlossen, und ich war um mein Geld und meine Schmucksachen leichter. Mir war katzenjämmerlich zu Mute, ich sagte mir aber, daß es keinen Zweck hatte, Lärm zu schlagen. Denn ich hätte damit doch nur an die große Glocke gehängt, was für ein leichtsinniger, dummer Junge ich gewesen bin. Ich zog es daher vor, ein paar Meilen weit in der frischen Lust auf der Straße nach Cornichi spazieren zu gehen; in einem Dorfwirtshaus unterwegs frühstückte ich – zum Glück hatte ich in meiner Hosentasche noch ein Fünffrankstück gefunden – und kam dann hierher. Meiner Alten konnte ich ansehen, daß sie schrecklich wütend auf mich zu sein scheint. Sagen Sie mir, bitte, Herr Mac Gregor, Sie haben sie ja gesprochen, ist sie böse auf mich?«

Ich mußte ihm allerdings zugeben, daß meines Wissens Frau Furst von dem Benehmen ihres Sohnes nicht sehr entzückt war.

»Das tut mir aufrichtig leid,« erklärte der junge Mann. »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß so was nicht oft bei mir vorkommt. Monatelang bin ich so sanft wie ein Lamm, wollte sagen, so lenksam wie ein Damenpferd, das sich reiten oder fahren läßt, dann kommt plötzlich der »Koller« über mich und ich will etwas vom Leben sehen. Das Leben in unserer Familie, so wohl ich mich auch sonst dabei fühle, erscheint mir dann entsetzlich öde und zwecklos. Ich muß irgend eine Aufregung haben. Es packt mich, in einem Ballon hoch in die Lüfte oder in einer Taucherglocke hinab ins Meer zu steigen, oder eine Entdeckungsreise nach dem Nordpol oder nach Innerafrika anzutreten. Was ich unternehmen will oder soll, ist mir dann ganz gleichgültig, nur aus dem unerträglichen Einerlei des Alltagslebens will ich heraus. Gewöhnlich schließe ich mich ein paar lustigen Kumpanen, die irgend einen Streich vorschlagen, an. Mir ist alles recht und ich bin bei der Partie. Und aus diese Vergnügungen folgt dann gewöhnlich eine Schlägerei und am anderen Morgen unerträgliche Kopfschmerzen.«

Lächelnd erwiderte ich: »Da Ihre Frau Mutter diese Ausbrüche jugendlichen Uebermuts früher stets verziehen hat, so darf ich wohl hoffen, daß sie sich auch dieses Mal leicht versöhnen lassen wird. Das eine fürchte ich nur, mein lieber Junge, daß Sie dadurch eines Tages in ernstliche Unannehmlichkeiten geraten könnten. Sich in einem Orte wie Monte Carlo mit Fremden einlassen, kann unter Umständen nicht ungefährlich werden.«

»Das weiß ich wohl,« entgegnete er, »und jetzt möchte ich mich vor mir selber schämen. Ich fühle mich ordentlich zerknirscht. Und was dabei das Allerschlimmste ist, wenn morgen wiederum die Versuchung über mich käme, so würde ich ihr wahrscheinlich von neuem unterliegen. Aber jetzt ist es Zeit für mich, ins Hotel zu gehen, um mit Mama Frieden zu schließen. Es ist schlecht von mir, ich weiß es, aber glauben Sie mir, ich kann nicht dafür. Auf Wiedersehen! Noch eins! Lassen Sie es, bitte, meinen »Alten« nicht wissen, daß ich in der Nacht nicht im Hotel war; er regt sich sonst erst wieder auf.«

Er erhob sich von der Bank, warf seinen Zigarrenstummel fort und verabschiedete sich. Er war noch keine zehn Schritte gegangen, als ich ihn rechts abbiegen und somit einen Umweg machen sah. Die Ursache hiervon sollte mir bald klar werden, denn kaum war der Sohn verschwunden, als der Vater in Sicht kam.

»Sie haben eben mit Bob gesprochen, Herr Mac Gregor?« war Herrn Fursts erste Frage an mich, nachdem er die Hand zum Gruße gereicht hatte. »Ich bin sehr besorgt um ihn, hoffentlich hat er keine dummen Streiche angestiftet.«

Ich tat mein möglichstes, um meines jungen Freundes Betragen in einem günstigen Lichte erscheinen zu lassen.

»Ich muß das Beste hoffen, ja, das Beste muß ich hoffen,« meinte Herr Furst, als ich mit meiner Rede zu Ende war. »Sie können es sich gar nicht vorstellen, Herr Mac Gregor, wie diese periodisch wiederkehrenden Anfälle, »Koller« nennt er sie, mich beunruhigen. Mein schwer erworbenes Vermögen würde ich gern zur Hälfte opfern, wenn er ein neues Blatt in seinem Leben beginnen und gesetzter und solider werden möchte. Aber da kommt jemand, der Sie zu sprechen wünscht.«

Ich drehte mich um und sah Herrn Zetland neben mir stehen. In der Hand hielt er mehrere beschriebene Foliobogen, die er mir überreichte.

»Hier ist der Bericht, Herr Anwalt,« sagte er dabei. »So ausführlich, als ich es vermochte, habe ich das, was sich während unserer hiesigen Anwesenheit ereignete, zu Papier gebracht. Vielleicht sind Sie so liebenswürdig, es durchzulesen, und wenn Sie gegen den Inhalt nichts einzuwenden haben sollten, wäre ich Ihnen recht dankbar, wenn Sie die Güte hätten, es mir zu unterzeichnen.«

»Um was handelt es sich?« fragte Herr Furst. »Wenn es nicht indiskret sein sollte, möchte ich mir die Frage erlauben, was Sie da zum Unterschreiben haben?«

»Es ist weiter nichts von Bedeutung,« antwortete ich. »Es ist nur eine Darstellung alles dessen, was über den Tod des Kreolen, der heute nacht im Hotel Blanc starb, zu unserer Kenntnis gelangt ist. Es ist nicht ausgeschlossen, daß hier ein Mord vorliegt.«

»Der Kreole tot!« rief Herr Furst, der kreideweiß geworden war. »Der Kreole ermordet!«

»Sie täten gut, einen Schluck Kognak zu nehmen,« sagte in seinem kühlen Tone Herr Zetland. »Ich glaube gar, der alte Herr wird ohnmächtig.«


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