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1.

T Tut mir ja sehr leid, mein Herr, aber vor morgen früh läßt sich unmöglich etwas für Sie tun.«

»Wenn nun aber in der Nacht ein Feuer ausbricht, oder wenn ein Erdbeben stattfindet, was doch auch vorkommen kann, wie komme ich dann aus meinem Zimmer hinaus?«

»Der Herr belieben wohl zu scherzen, derartiger Katastrophen wegen braucht man sich doch wahrlich nicht zu ängstigen. Und ich muß vielmals um Entschuldigung bitten, das Hotel ist voll, und ich werde überall gebraucht.«

»Machen Sie, daß Sie fortkommen. Muß ich also wirklich bis morgen hier eingesperrt bleiben?«

»O, durchaus nicht. Es ist bereits zwölf vorbei, und heute noch wird der Herr aus seiner unfreiwilligen Gefangenschaft befreit werden. Um acht, spätestens ein halb neun, können wir einen Schlosser holen lassen, und der wird die Tür schon öffnen. Es war des Herrn eigene Schuld –, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, daß ich mir die Freiheit nehme, das zu sagen –, es war des Herrn eigene Schuld, daß der Schlüssel abbrach. Und obendrein hat der Herr noch, um sich bemerkbar zu machen, so heftig gegen den Knopf der elektrischen Leitung gedrückt, daß diese jetzt auch nicht mehr funktioniert. Der Herr war eben zu heftig!«

»Nein, das war ich nicht. Der Schlüssel brach ab, als ich versuchte, ihn umzudrehen. Sie wollen mir also nicht helfen?«

»Der Herr weiß recht gut, daß ich das leider nicht kann. Ich bin darüber ganz trostlos, aber – für jetzt habe ich die Ehre, dem Herrn eine gute Nacht, oder vielmehr einen guten Morgen zu wünschen.«

Und ich hörte, wie der Mann, der draußen vor meiner Tür stand, gemächlich davonging. Ich lauschte, wie der Schall seiner Fußtritte auf dem langen Korridor verhallte, und setzte mich auf mein Bett, um über meine Lage nachzudenken.

Ich befand mich in einer recht peinlichen Situation. Ich hielt mich zurzeit in einem Hotel in Monte Carlo auf und war eines Abends nach einem Besuch im Kasino ziemlich spät nach Hause gekommen. Am Roulettetisch hatte ich einen oder zwei Napoleonsdor verloren, und da ich kein gewohnheitsmäßiger Spieler bin – im Gegenteil, ich rühme mich, alle Hasardspiele zu verachten –, so war ich durch diesen kleinen Verlust doch recht mißgestimmt worden. Vielleicht hatte diese Mißstimmung auch schuld daran, daß ich mit meinem Zimmerschlüssel vielleicht doch nicht so zart umgegangen war, wie ich dem Hotelbeamten, den ich zu meiner Hilfe herbeigerufen hatte, als ich mich in meinem Zimmer gefangen sah, gern glauben machen wollte. Wie die Folge zeigen wird, machten mir zwar noch verschiedene andere Umstände Verdruß, in diesem Augenblicke aber glaubte ich, meine üble Laune dem geringen Spielverlust zuschreiben zu müssen.

»Ja,« sagte ich mir, »wenn ich eine große Summe gewonnen, wenn ich die Bank gesprengt hätte, dann würde dieses kleine Unglück auch sein Gutes gehabt haben. Gegen unwillkommene Besucher wäre ich geschützt gewesen, und Hoteldiebe hätten mich meines Gewinnes nicht berauben können. So aber war der Nutzen recht fraglich und die ganze Geschichte eigentlich recht dumm.« Und ich selbst mußte jetzt über mein Mißgeschick lachen.

Ich muß leider fürchten, daß es recht egoistisch klingen mag, daß ich bisher nur von mir gesprochen habe. Wenn ich jedoch alles sagen soll, was ich von der merkwürdigen Geschichte, die den Gegenstand dieser Darstellung bildet, weiß, so muß ich auch die Gemütsverfassung, in der ich mich damals befand, so genau als möglich schildern. Ich will gern zugeben, daß ich ärgerlich war, als ich das Kasino verließ, ich mag auch ärgerlich gewesen sein, als ich meinen Stubenschlüssel zerbrach, ganz gewiß habe ich mich auch über die Weigerung des Hotelwirts oder seines Stellvertreters, sofort die erforderlichen Maßnahmen zu meiner Befreiung zu treffen, geärgert, aber andererseits kann ich versichern, daß ich, als ich mich zu Bett begab, so ruhig und gefaßt war, wie nur je in meinem Leben.

So deutlich, als wenn es erst gestern gewesen wäre, erinnere ich mich, daß ich gelacht habe, als ich zum Bewußtsein meiner Ohnmacht kam. Ich, ein kräftiger, starkgebauter, junger Mann im Alter von achtundzwanzig Jahren, dem an körperlicher Gewandtheit nicht bald ein Zweiter gleichkam, sah mich hilflos im Schlafzimmer eines fremden Hotels eingeschlossen!

Auf den Wirt oder seinen Stellvertreter zu schimpfen oder zu fluchen, hätte wenig Zweck gehabt, denn einmal verabscheute ich derartige Gefühlsergüsse, und zweitens war auch meine Kenntnis der französischen Sprache nicht so groß, daß ich das in derselben hätte tun können. Und was hätte ich auch damit erreicht? Man hatte mich ohnedies schon meinem Schicksal überlassen, und meine hilflose Lage hatte mich lachen gemacht.

»Im Grunde genommen ist die Geschichte doch nicht so schlimm, wie sie aussieht,« tröstete ich mich. »Die Herren im Hotel haben auch vollkommen recht. Daß heute nacht im Hotel ein Feuer ausbrechen würde, war doch nicht sehr wahrscheinlich, und wenn wirklich ein Erdbeben eintreten sollte, nun, so würde dies doch wenigstens meine Tür aufreißen, und das wäre doch immerhin ein Vorteil. Also ruhig Blut.«

Da ich die ehrenvolle Stellung eines Rechtsanwalts, und zwar eines Barristers, einnahm, bin ich es gewohnt, Rechtsfülle verständlich darzustellen, und so will ich es auch mit vorliegendem Falle zu tun suchen. Zur Aufklärung deutscher Leser sei mir die Bemerkung erlaubt, daß ein »Barrister« ein Anwalt ist, der eine gediegene juristische Bildung besitzen muß und das Recht hat, vor höheren Gerichtshöfen zu plädieren. Abweichend von der in Deutschland herrschenden Gewohnheit verkehrt er mit dem Publikum, den prozeßführenden Parteien, niemals direkt, sondern er tut dies durch Vermittelung anderer Anwälte, der »Solicitors«, von denen er seine Instruktionen und das Beweismaterial erhält.

Nun muß ich aber offen bekennen, daß ich von den Herren Solicitors, mit denen ich in Beziehung stand, nicht allzu sehr in Anspruch genommen wurde, wenn ich auch schon einige bedeutende Prozesse geführt hatte. Meine Praxis ließ mir indessen viel mehr freie Zeit, als mir erwünscht war, und um dieselbe nutzbringend auszufüllen, folgte ich dem Beispiele vieler Kollegen und befaßte mich damit, junge Herren in die Geheimnisse der Rechtswissenschaft einzuführen und sie auf das Examen vorzubereiten.

Während der zweiten Hälfte des Sommers waren meine sämtlichen Schüler in die Ferien gegangen, und so hatte auch ich freie Zeit, die ich zu einer Erholungsreise benutzte. Nach einem Aufenthalte in der Schweiz hatte ich mich etwas in Italien umgesehen und wollte über die Riviera nach London zurückkehren.

So kam es denn, daß ich mich an jenem verhängnisvollen Septemberabend des Jahres 188. in Monte Carlo befand, und nochmals betone ich, ich mag wohl aufgeregt gewesen sein, als ich die Entdeckung machte, daß ich in meinem Zimmer eingeschlossen war, aber ich hatte mich auch gleich wieder beruhigt.

Auf meiner Reise war ich auch verschiedenen Kollegen begegnet, und nachdem ich einige allgemeine Höflichkeitsphrasen ausgetauscht hatte, war ich stets froh gewesen, wenn ich ihnen wiederum Adieu sagen konnte.

Wie alle Schotten, bin auch ich Fremden gegenüber sehr zurückhaltend, und so hatte ich nur wenig Reisebekanntschaften gemacht. Ja, um ganz offen zu sein, muß ich erwähnen, daß ich nur mit einer einzigen Familie verkehrte. Der Hausherr dieser Familie war schon seit langen Jahren in den Kolonien ansässig, wo es ihm geglückt war, sich ein ungeheures Vermögen zu erwerben. Er sowohl als auch seine Gattin waren beide in England geboren, dagegen hatten ihre Kinder das Licht der Welt unter dem Zeichen des südlichen Kreuzes erblickt.

Im Laufe meiner Erzählung werde ich noch viel von dieser Familie zu sagen haben, aber an jenem Abend in Monte Carlo, an dem ich wider Willen in meinem Zimmer eingeschlossen war, hatte ich sie erst seit ungefähr drei Wochen kennen gelernt. Herr Furst senior war ein sehr kluger und gescheiter Mann. Mit einer Frau, die nichts weiter verstand, als viel Geld auszugeben, hatte er England, ohne einen Pfennig Vermögen in der Tasche, verlassen, und jetzt kehrte er als Millionär dorthin zurück. Ihre gesellschaftlichen Neigungen und ihre Vorliebe für die »große Welt« hatte Frau Fürst nie vergessen können.

Als ich ihr vorgestellt wurde, schien sie nicht übel geneigt, mich über die Achsel anzusehen; erst als sie hörte, daß eine der vornehmsten juristischen Körperschaften Englands mir die Ehre erwiesen hatte, mich als ihr Mitglied aufzunehmen, änderte sie ihr Benehmen gegen mich und behandelte mich fortan mit einer Herzlichkeit, die sicherlich für mich sehr schmeichelhaft gewesen wäre, wenn ich nicht darin eine gewisse Absichtlichkeit hätte erblicken müssen.

Bob Furst, der Sohn dieser würdigen Dame, war durchaus kein schlechter Bursche; er war aufrichtig, ehrliebend und mannhaft. Man wird mich hoffentlich nicht für bestechlich halten, wenn ich erwähne, daß seine Absicht, während des Aufenthaltes seines Vaters in England sich dem juristischen Studium zu widmen, mir seinen Umgang noch viel sympathischer erscheinen ließ. Aber andererseits darf ich auch nicht verhehlen, daß ich damals schon, in jenem ersten Stadium unserer Bekanntschaft, seiner Gesellschaft stets die Unterhaltung mit seiner Schwester Florence, die geradezu entzückend war, bei weitem vorzog. Ich will kurz andeuten, daß die Tatsache, daß ich Fräulein Florence so entzückend fand, vielleicht etwas mit der oben erwähnten Absichtlichkeit zu tun haben mag.

Fräulein Fursts Mutter hatte »Absichten«, die wohl auf einen Schwiegersohn, der eine Krone in seinem Wappen führen durfte, hinauslaufen mochten.

Und ich bin überzeugt, daß, wenn ich trotz meiner jugendlichen Jahre schon Lordkanzler gewesen wäre, ich bei Frau Furst sicherlich viel beliebter gewesen wäre und bei ihr auch in größerer Achtung gestanden hätte, während freilich bei dem Fräulein der hohe Rang und Titel wenig ausgemacht hätten.

Ein seltener Zufall fügte es, daß wir von unserem ersten Zusammentreffen an stets dieselben Orte besuchten und im gleichen Hotel abstiegen. An diesem Abend hatten wir dem »Kasino« einen gemeinschaftlichen Besuch abgestattet.

Frau Furst ließ sich indessen nicht bewegen, die Spielsäle zu betreten; sie zog es vor, uns auf einer der Terrassen, von denen sich solch wundervolle Blicke auf das Meer bieten, zu erwarten. Ihre Angehörigen, Gatte sowohl als auch Sohn und Tochter, waren weniger skrupulös gewesen und hatten mich in jene heiligen Räume begleitet, in denen man der Göttin des Roulettes huldigt.

Wir spielten jedoch nur sehr wenig. Wie schon erwähnt, hatte ich ein paar Napoleons verloren, und dieses Kunststück hatte ich damit fertig bekommen, daß ich Fräulein Florence zeigen wollte, wie ein gewisses »System«, von dem ich gehört hatte, unter allen Umständen gewinnen müsse. Die junge Dame hatte sich dabei über meinen Mißerfolg vor Lachen ausschütten müssen.

»Es scheint Ihnen ja viel Spaß zu machen,« bemerkte ich ziemlich kurz.

»Sie waren so sicher, heut die Bank zu sprengen, Herr Mac Gregor! Ich glaubte, Sie würden dabei ein Vermögen gewinnen.«

»Und wenn ich es täte, was würden Sie wohl dazu gesagt haben?«

»Ich würde mich nämlich sehr gefreut haben und auch Ihre anderen Freunde würden das getan haben,« und mit einem bedeutungsvollen Lächeln fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort: »O, ich weiß genau, daß es auch der lieben Mama sehr angenehm gewesen wäre.«

»Heut abend scheint das Glück der Bank hold zu sein. Was meinen Sie wohl, gnädiges Fräulein, ob es Zweck hat, nochmals mein »System« zu erproben?«

»Nein, ich glaube nicht,« antwortete sie, »aber sehen Sie doch nur dort den schönen Kreolen! Der scheint das Glück gepachtet zu haben. Sechs Mal hintereinander hat er auf die »vier Letzten« gesetzt, und alle sechs Mal hat er das Geld eingestrichen.«

Es war in der Tat so, und dieser kleine Zwischenfall hatte mich nur noch ärgerlicher gemacht. Der Kreole, von dem Fräulein Florence gesprochen hatte, ein Mann in den besten Jahren, war eine in Monte Carlo gut bekannte Persönlichkeit.

Für gewöhnlich wurde er vom Glück begünstigt, und fast seine ganze Zeit verbrachte er an den Spieltischen. Er besaß eine recht störende Angewohnheit. Sobald er nämlich aus dem Spielsaale heraus war, summte er eine italienische Melodie beständig vor sich hin, als ob diese Musik ihm bei Aufstellung seiner »Kalkulationen« helfen würde.

In demselben Augenblick, als Fräulein Florence die Bemerkung über ihn machte, schickte er sich zum Gehen an und begann seine ewige Melodie zu summen.

»Ich kann dieses fortwährende Singen nicht ertragen,« bemerkte ich, während er sich entfernte.

»Was Sie sagen? Ich glaube, er hat sogar eine sehr gute Stimme. Ihren Widerwillen gegen ihn würde aber Papa zweifellos teilen, wenn er ihn sehen würde. Papa kann Kreolen gar nicht leiden.«

»Das ist aber doch recht seltsam! Etwa ihrer Farbe wegen? Ich habe bisher immer geglaubt, daß nur die Yankees die dunklen Rassen verabscheuten. Teilen die hochgebildeten und allgemein geachteten Bewohner Neuseelands es vielleicht auch, das Vorurteil unserer amerikanischen Vettern?«

»Urteilen Sie, bitte, nicht vorschnell über mein Vaterland,« entgegnete Fräulein Florence, ihr kleines, hübsches Köpfchen schüttelnd. »In der Regel sind die Neuseeländer sehr tolerant und hochherzig; Papa bildet eine Ausnahme, freilich nur in dem einen Punkte. Hoffentlich ist der glückliche Kreole nicht auch im Hotel Blanc abgestiegen, denn Papa würde ganz bestimmt sofort ausziehen, wenn er erführe, daß der Kreole und wir Hausgenossen sind.«

»Wirklich?«

»Ja, ist das nicht recht merkwürdig? Ich wenigstens vermag es mir nicht zu erklären. Sie wissen doch, wie liberal sonst mein Papa denkt, und dennoch, einen Kreolen kann er nicht einmal sehen, schon der bloße Anblick regt ihn auf.«

»Und wie steht es mit Ihrem Herrn Bruder Bob, ich wollte sagen Robert? Hat er auch eine Abneigung gegen Farbige?«

»Bob? O keineswegs,« entgegnete Fräulein Furst; »im Gegenteil, ich möchte sogar wetten, daß, wenn sie einander kennen lernen sollten, sie in kürzester Zeit intime Freunde werden würden.«

»Ihr Herr Bruder ist ein prächtiger Kerl,« wagte ich zu bemerken.

»Ja, das ist er,« rief sie. »Jeder hat ihn gern und auch Papas und Mamas Liebling ist er von jeher gewesen; mich überrascht das auch weiter nicht, denn er ist zweifellos ein besserer Kerl, ein viel besserer sogar, als ich.«

»Das möchte ich doch nicht so schroff behaupten,« widersprach ich, »vor allem müßte ich gegen die Bezeichnung »Kerl«, soweit Sie dabei in Betracht kommen, Einspruch erheben.«

»Als was sonst würden Sie mich dann wohl bezeichnen?«

»Als etwas, das größere Achtung, größere Ehrerbietung erfordert. Aber darf ich Sie jetzt vielleicht nach dem Garten begleiten, gnädiges Fräulein?«

»Wollen Sie nicht lieber noch einmal versuchen?« fragte sie lachend. »Vielleicht haben Sie jetzt mehr Glück und ich möchte Sie zu gern gewinnen sehen. »Wie kann ich übrigens an Ihr wundervolles »System« glauben, wenn Sie im Verlieren aufhören?«

»Gerade das möchte ich gern tun, im Verlieren aufhören,« antwortete ich selber lachend, fuhr dann aber ernst fort: »Wollen wir doch nicht lieber in den Park gehen? Ich muß leider fürchten, daß es Ihrer Frau Mama nicht sehr angenehm sein wird, so lange auf uns warten zu müssen.«

Sie nickte zustimmend, und wir verließen den Saal. Vorher warf ich noch einen Blick auf die Gruppe, die sich um den Spieltisch gebildet hatte, aber weder Herrn Furst noch dessen Sohn konnte ich in derselben erkennen.

Wir verließen die Spieler, die sich mit größtem Eifer ihrer eintönigen Arbeit hingaben, und traten ins Freie, wo uns wohltuend die balsamische Luft einer schönen Sommernacht umfächelte. Der Mond war aufgegangen und sein silbernes Licht fiel auf die tiefblauen Wogen des Mittelländischen Meeres.

»Sie sind noch nie in England gewesen?«

»Nein, noch nie,« entgegnete Fräulein Florence, »mir kommt es recht komisch vor, daß wir Tausende von Meilen reisen mußten, um endlich einmal nach unserer Heimat zu kommen.«

»Ich hoffe, sie wird Ihnen gefallen; was halten Sie übrigens von den Engländern?«

»Ach, das sind reizende Leute. Sie sind so höflich und so liebenswürdig und so klug, alle ohne Ausnahme.«

»Für das Kompliment bin ich Ihnen sehr verbunden.«

»Für das Kompliment?« wiederholte Fräulein Florence, überrascht tuend. »Ach so, setzt verstehe ich. Aber Sie sind doch gar kein Engländer. Sie sind ein Schotte, nicht wahr?«

»Diese Ehre genieße ich,« antwortete ich in einem einigermaßen stolzen Tone, denn wie mir meine Freunde versichern, ist der Stolz auf meine Nationalität wohl meine schwächste Seite. »Schon seit Jahrhunderten sind meine Vorfahren in Schottland ansässig. Von Ihnen darf ich aber wohl als selbstverständlich annehmen, daß Sie Engländer sind, abgesehen davon, daß Sie in Neuseeland leben?«

»Darüber kann Ihnen Mama die beste Auskunft geben,« rief Fräulein Florence in lachendem Tone. »Ma ist nämlich auf die Geschichte unserer Familie sehr stolz. Ich glaube sogar, vor vielen, vielen hundert Jahren soll der Name unserer Familie Fitzurse Das englische »Fitz« vor einem Personennamen läßt ebenso wie das schottische »Mac« und das irische »O« auf uralte vornehme Abstammung der Familie schließen. gelautet haben.«

»Ist es möglich! Aber weswegen ist der Name später geändert worden?«

»So viel ich weiß, hat einst ein Sprosse unseres Geschlechts einen verruchten Mord begangen, und wahrscheinlich, um der Entdeckung zu entgehen, verwandelte er seinen Namen in »Furst«. Ich kann mich noch ganz dunkel aus meiner Kindheit erinnern, wie mir eine greise Wärterin eine alte Sage erzählte, laut der in jeder Generation unserer Familie ein Mörder vorhanden wäre. So was zu glauben, ist gewiß recht dumm, Tatsache aber ist, daß infolge eines unglücklichen Zufalls mein Onkel Wilhelm meinen Onkel Thomas erschoß.«

»Wie ging das zu?«

»Sie waren zusammen auf der Jagd, und durch einen unglücklichen Stoß entlud sich vorzeitig das Gewehr. Onkel Thomas blieb auf der Stelle tot, und Onkel Wilhelm folgte ihm bald aus Kummer und Gram, denn die beiden hatten einander sehr geliebt.«

»Das sieht aber nicht wie »Mord« aus, denn bei einem Morde muß die Absicht der verbrecherischen Tötung vorliegen.«

»O gewiß. Sie werden doch nicht etwa geglaubt haben, daß ich die Nichte eines Mörders bin? Die Jury sprach meinen Onkel nicht nur von jeder Schuld frei, sondern drückte ihm sogar ihr Beileid aus.«

»Mögen Ihre Verwandten alle nur denkbaren Verbrechen begehen, meine Meinung über Sie, gnädiges Fräulein, würde dadurch in keiner Weise beeinflußt werden,« entgegnete ich in einem zärtlichen Tone.

»Sehr verbunden,« antwortete die junge Dame vollkommen ungezwungen, »dort drüben sehe ich aber Mama sitzen, und ich möchte Sie daher sehr bitten, unsere Unterhaltung über dieses höchst interessante Thema auf eine spätere Gelegenheit zu verschieben. Hier sind wir endlich, liebe Mama, ich hoffe, die Zeit des Wartens ist Dir nicht lang geworden.«

»Es wäre mir lieb gewesen, wenn Du Papa mitgebracht hättest,« erwiderte Frau Furst. »Die Luft hier ist so prachtvoll, aber allein zu sitzen und zu warten, ist doch recht langweilig. Uebrigens, Herr Mac Gregor, haben Sie vielleicht meinen Sohn Robert gesehen?«

»Nein, gnädige Frau,« in diesem Augenblick mußte auch ich an ihn denken. »Schon beim Frühstück habe ich ihn vermißt und auch bei der Table d'hote war er nicht.«

»Das erklärt auch Papas Abwesenheit,« sagte die ältere Dame zur jüngeren mit zitternder Stimme, die recht besorgt klang. »Zweifellos sucht er ihn. Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sie um eine Gefälligkeit zu bitten, Herr Mac Gregor?«

»Mit größtem Vergnügen bin ich jederzeit zu Ihrer Verfügung.«

»Danke vielmals. Würden Sie vielleicht die Güte haben, sich nochmals nach den Spielsälen zu bemühen? Wenn Sie dort meinen Mann sehen, so schicken Sie ihn gefälligst nach dem Hotel. Es ist spät geworden und für alle anständigen Leute Zeit, die Ruhe aufzusuchen. Gute Nacht, Herr Mac Gregor. Nochmals meinen besten Dank. Komm, Florence, es wird kühl.«

Die beiden Damen verabschiedeten sich. Bald, waren sie hinter einem jener großen tropischen Gewächse, deren es in Monte Carlo so viele gibt, verschwunden.

Ich begab mich nach dem Spielsaale zurück, und unter den Zuschauern am Roulettetisch gewahrte ich auch Herrn Furst. Er spielte nicht, sondern schien tief in Gedanken versunken.

Ich trat zu ihm heran, was gar keine so leichte Sache war, denn er stand ganz vorn, und ich mußte mir den Weg mit dem Ellenbogen zu ihm bahnen, und bestellte ihm die Botschaft seiner Frau.

»Sagen Sie ihr gefälligst, daß ich Besseres zu tun habe, als mich um ihre Dummheiten zu bekümmern,« gab er mir zur Antwort. Ich sah ihn erstaunt an. Denn wenn ich auch nicht gerade Herrn Furst als ein Muster von Höflichkeit betrachtete, so hatte ich ihn doch auch noch nie unhöflich gesehen.

Meine Verwunderung entging ihm auch nicht, und er sah sich zu einer Entschuldigung veranlaßt. »Ich möchte nicht gern grob gegen meine Frau sein, noch viel weniger gegen Sie, Herr Mac Gregor,« sagte er, »um aber die Wahrheit zu gestehen, mir ist heute so eigentümlich zu Mute. Mich verfolgt heute schon den ganzen Tag ein gewisses Etwas, was, weiß ich selber nicht, und mir ist so furchtbar angst.«

»Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen, Herr Furst?«

»Nein, danke bestens. Ich fürchte, Sie können leider nicht, und ich muß schon allein mit mir fertig zu werden suchen. Jedenfalls bin ich Ihnen für Ihr gütiges Anerbieten sehr verbunden; es ist wohl möglich, daß ich mich eines Tages an Sie wenden werde.«

»Und sollten Sie dies einst tun, so bitte ich Sie, im voraus überzeugt zu sein, mein lieber Herr Furst, daß ich mit ganzen Kräften bemüht sein werde, Ihnen beizustehen, um Ihrer selbst willen, dann auch schon Ihrer Frau Gemahlin, Ihres Sohnes Bob und Ihrer übrigen Familie wegen.«

»Worunter Sie wohl Florence verstehen. Sehr gütig von Ihnen, Herr Mac Gregor, vergessen Sie aber nicht, daß Florences Mutter sehr ehrgeizig ist.«

Ich richtete mich zu meiner ganzen Höhe auf und wollte gerade eine recht hochfahrende Antwort geben, als Herr Furst fortfuhr:

»Seien Sie nur nicht beleidigt, bester Herr Mac Gregor, es war nicht böse gemeint. Ich habe Sie recht gern, und gerade deswegen wollte ich Ihnen einen Wink geben. Es würde mir leid tun, wenn Sie den Narren spielen sollten.«

»Ich den Narren spielen?«

»Abermals muß ich um Entschuldigung bitten. Ich meine es wirklich nicht böse. Allein in unserem Haushalt führt meine Frau das Regiment. Wir wollen aber lieber von etwas anderem sprechen. Haben Sie heut Bob gesehen?«

»Nein, Herr Furst, und nachdem ich mich meines Auftrages entledigt habe, gestatten Sie wohl, daß ich mich jetzt empfehle. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.«

Und mit einer kühlen Verbeugung zog ich mich zurück. Ich war im höchsten Grade ärgerlich, denn meiner Ansicht nach hatte sich Herr Furst eine große Freiheit herausgenommen. Aus dem, was ich bereits gesagt habe, mag man wohl annehmen, daß ich kein reicher Mann bin, aber dennoch hat noch nie ein Mitglied der Familie, der anzugehören ich die Ehre habe, des Geldes wegen geheiratet.

Herr Furst hatte es gewagt, mich zu warnen, seiner Tochter nicht zu sehr den Hof zu machen – das war doch Wohl der Sinn seiner Worte –, und ich konnte ihm leider auf diese Unverschämtheit nicht die gebührende Antwort geben.

Ich war furchtbar empört, und meine üble Laune besserte sich nicht, als ich beinahe den glücklichen Kreolen umgerannt hätte, der, seine ewige Barkarola vor sich hinträllernd, froh, einen erfolgreichen Tag am Spieltisch verbracht zu haben, sich nach seinem Hotel begab.

» Mille pardons, Monsieur!« entschuldigte er sich noch dafür, daß ich ihn fast niedergerannt hatte.

» Pardon, Monsieur!« antwortete ich, den Hut ziehend. Ohne weitere Fährlichkeit erreichte ich sodann mein Zimmer in dem Hotel, in dem ich abgestiegen war.

Mit dem mir vom Portier übergebenen Schlüssel hatte ich die Tür geöffnet, und da fiel es mir auf einmal ein, die Tür von innen zu verschließen. Es war das ein ganz plötzlicher Gedanke, denn wenn ich auch eine nicht unbeträchtliche Summe Geldes und eine wertvolle Uhr bei mir hatte, so hatte ich bisher doch noch nie zu einem derartigen Schritte meine Zuflucht genommen.

Der Gedanke mag mir wohl gekommen sein, als ich ein Plakat las, das ich zwar schon oft vorher gesehen hatte, ohne indessen seinem Inhalt weitere Beachtung zu schenken. Den Hotelgästen wurde der Rat erteilt, ihre Wertgegenstände dem Wirte zur Aufbewahrung zu übergeben, da die Verwaltung des Hotels für Gegenstände, die auf dem Zimmer verloren gingen, keine Verantwortung übernehmen könnte.

»Dagegen wollen wir uns schützen!« dachte ich, und mit einer Heftigkeit, die keineswegs angebracht war, zog ich den Schlüssel aus dem Schloß auf der einen Seite der Tür heraus, um ihn in das Schloß auf der anderen Seite wieder hineinzustecken. Rasch drehte ich um, und – zu meinem großen Schreck brach der Schlüssel ab. Dann klingelte ich; den Erfolg, den ich damit erzielte, habe ich bereits erzählt.

Ich war also allein und eingesperrt! Und vor dem nächsten Morgen bot sich mir keine Aussicht auf Befreiung!

Und die Entdeckung, daß mein Vorrat an Licht ein äußerst geringer war, verstimmte mich noch mehr. Denn in den beiden Leuchtern steckte nur je ein ungefähr zwei Zoll langes Stück von einer Wachskerze.

Ich befand mich in großer Unruhe, und ich suchte zu überlegen, welche Aussichten sich mir zur Flucht boten, falls mir eine solche wünschenswert erscheinen sollte. Ich öffnete das Fenster und sah, daß von außen an demselben Läden angebracht waren, ferner lief um diesen Flügel des Hotels ein schmaler Balkon.

In der einen Ecke stand eine eiserne Leiter, die zur Erde führte. Wahrscheinlich war sie dort einmal angebracht worden, als die Zeitungen bei einem Hotelbrande darauf hinwiesen, wie oft die Hotels von Feuer heimgesucht würden und in welch großer Gefahr Gäste und Angestellte dann schwebten.

»Mag jetzt kommen, was da wolle,« sagte ich mir, »im allerschlimmsten Falle kann ich auf den Balkon klettern und von da vermittelst der eisernen Leiter die Erde erreichen.«

Schon hatte ich nicht übel Lust, das immerhin nicht ganz ungefährliche Experiment einmal zu versuchen, meine notwendigsten Sachen zusammenzupacken und das Zimmer zu verlassen. Aber noch rechtzeitig fiel es mir ein, daß ich dann nicht nur mein Genick brechen könnte, sondern auch die Nacht über im Freien kampieren müßte. Wie ich zufällig erfahren hatte, war das Hotel vollständig besetzt, ich selbst hatte an diesem Nachmittag erst gesehen, wie mehrere Reisende vom Portier abgewiesen wurden, und wenn ich jetzt aus einer bloßen Laune mein Schlafzimmer verlassen hätte, so würde ich sicherlich kein anderes bekommen haben.

Und in dasselbe auf eben dem Wege, auf dem ich es verlassen hätte, wieder zurückzukehren, wäre doch zu dumm gewesen! Ich zog es daher vor, dort zu bleiben, wo ich war. Ich betrachtete mir die Fensterläden näher. Sie schienen in ihren Angeln eingerostet und monatelang nicht benutzt worden zu sein.

Inzwischen war die eine meiner beiden Kerzen fast ganz zu Ende gebrannt. Ich zog meine Uhr auf und traf Vorbereitungen, um zu Bett zu gehen. Ich wusch mein Gesicht, mußte aber in der besten Arbeit innehalten, um zu lauschen. Richtig, da ließ sich diese ewige Barkarole wiederum vernehmen!

Der glückliche Kreole hatte sein Zimmer gewechselt; wahrscheinlich war er aus dem fünften Stock nach dem dritten übergesiedelt, und jetzt war er mein Stubennachbar. Möglich, daß das auch ein Erfolg seines heutigen glücklichen Spiels war. Ich nahm mir fest vor, am anderen Tage selbst umzuziehen, und mit diesem Entschluß ging ich zu Bett.

Ich muß wohl eingeschlafen sein, ohne daß ich das Licht ausgelöscht hatte, denn als ich plötzlich aus dem Schlafe auffuhr und ein Streichholz ansteckte, gewahrte ich, daß der Leuchter leer war. Ich sah auf die Uhr, es war gerade vier. Das Streichholz verlöschte und zu meiner großen Ueberraschung war es stockfinster im Zimmer. Es erschien mir das um so merkwürdiger, als es um diese Stunde schon fast hell hätte sein müssen. Und ich erinnerte mich auch noch, daß ich beim Schlafengehen den schönen Mondschein bewundert hatte, der zum Fenster hereinfiel.

Ich sah nach dem Fenster, aber jetzt war überhaupt kein Fenster zu sehen. Wie ging das zu? Ich stieg aus dem Bett und zündete das Stückchen der anderen Kerze an, um damit das Zimmer zu erleuchten. Es war nur ein ganz kleines Stückchen Licht, viel kleiner als das in dem anderen Leuchter gewesen war.

Ich trat zum Fenster und sah dort, daß die Läden geschlossen waren. Im ersten Augenblick glaubte ich, daß sie vielleicht der Wind zugeschlagen hätte, aber das konnte nicht sein, denn draußen war es vollkommen windstill. Durch eine Ritze in den Läden konnte ich das Licht des herandämmernden Morgens sehen.

»Ich werde sie schon bald wieder offen haben,« sagte ich mir und öffnete das Fenster.

Ich stieß heftig gegen die Läden, doch vergeblich, sie gaben nicht nach. Sie waren von außen verschlossen!

Und jetzt, zum ersten Male, wurde mir ängstlich zu Mute. Ich kann nicht gerade sagen, daß ich mich fürchtete, denn ich glaube behaupten zu dürfen, daß mich auch mein ärgster Feind nicht für einen Feigling halten wird; ich muß aber doch gestehen, daß, als ich mich in meinem Schlafzimmer, teils durch Zufall, teils mit Absicht, ohne jede Möglichkeit zu entkommen, eingesperrt sah, sich meiner doch ein unheimliches Gefühl bemächtigte.

»Unsinn!« suchte ich mich selber zu beruhigen, »Alexander Mac Gregor, alter Junge, solche Dinger wie Geister gibt es nicht, und wenn die Läden von draußen geschlossen sind, kann sie auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut zugemacht haben.«

Dann fiel es mir ein, daß die Läden wahrscheinlich von jemand festgemacht worden waren, der sich den Balkon, der freilich so schmal war, daß er kaum mit diesem Namen bezeichnet werden konnte, entlang geschlichen hatte.

Ich hatte bemerkt, daß die Läden von außen zugeschraubt werden konnten, und ihre Schraube mochte einem, der auf dem schmalen Balkon keinen festen Halt hatte, ganz gut als Stützpunkt dienen. Aber weswegen ist der nächtliche Besucher denn nicht in mein Zimmer gekommen?« fragte ich mich. Dies ließ sich jedoch sehr leicht verstehen, denn das Fenster war von innen verschlossen und ging ohne Zerbrechen der Scheiben von außen nicht zu öffnen.

Ich freute mich, daß der Spaziergänger auf dem Balkon nicht auf diesem Wege in das Haus eingedrungen war, denn sonst wären wir beide in einem Zimmer gefangen gewesen.

Und jetzt wurde mir auch der Zweck des unerwarteten nächtlichen Besuchs klar; denn daß jemand in das Haus hatte eindringen wollen, war mir ebenso zweifellos, wie die Tatsache, daß ein Diebstahl beabsichtigt gewesen war. Der Einbrecher wollte unter allen Umständen in das Haus gelangen. Hatte er sämtliche Fenster der Fremdenzimmer so fest verschlossen gefunden wie das meine, so war er wahrscheinlich durch ein Zimmer am Ende des Korridors, das, wie ich mich erinnerte, offen stand, in das Hotel eingedrungen.

Was sollte ich aber tun? Lärm schlagen und die Hotelbeamten herbeirufen, erschien wohl als das Natürlichste und Praktischste. Ja, aber wie? Bei meinen Bemühungen, Hilfe zum Oeffnen des Zimmers herbeizurufen, hatte ich in meiner Aufregung vor einigen Stunden die elektrische Klingel beschädigt, so daß diese nicht mehr funktionierte. Ich war also von jeder Verbindung mit der Außenwelt vollständig abgeschnitten. Sollte ich einen meiner Nachbarn zur Hilfe rufen. Das mußte ich mir erst doch noch überlegen.

Was hatte mich so plötzlich aus dem Schlafe auffahren lassen?

Ich habe zwar einen leisen Schlaf und lasse mich nicht im Schlafe stören, aber dessenungeachtet schlafe ich doch meine gewohnte Zeit hintereinander weg. Im gewöhnlichen Lauf der Dinge wäre ich vor acht Uhr des Morgens, oder vielleicht sogar noch später, nicht aufgewacht. Mein plötzliches, vorzeitiges Erwachen mußte also durch irgend ein Geräusch verursacht worden sein. Das Schließen der Fensterläden konnte es aber nicht gewesen sein, denn im Augenblick des Erwachens war ich auch schon vollkommen munter, und ich hätte das Zuschrauben der Läden noch hören müssen. Als ich noch darüber nachdachte, hörte ich eine Tür zuschlagen, und ich vernahm draußen auf dem Korridor Fußtritte. Und gerade jetzt ging mein Licht aus.

Ich tastete mich nach der Tür und lauschte mit größter Spannung. Ja, ich hatte mich nicht getäuscht, es waren Fußtritte. Der aber draußen auf dem Korridor ging, schien keine Eile zu haben und auch kein Freund von Heimlichkeiten zu sein. Denn es war der Schall eines festen Fußtrittes, der zu mir drang, so wie ich vielleicht selbst auftreten mochte, aber nicht der schleichende Gang eines Diebes.

Es konnte vielleicht auch der Nachtportier oder ein Fremder, der noch so spät angekommen war, sein. Nein, ein Fremder war es keinesfalls, denn das Hotel war ja besetzt, wie ich wußte. Und wenn es ein neuer Gast gewesen wäre, so würden ihn doch auch Angestellte des Hotels begleitet haben. Während ich noch horchte, erstarben die Fußtritte in der Ferne und alles blieb vollständig ruhig.

Was sollte ich tun? Daß eine Tür zugeschlagen wurde, war doch im Grunde genommen weiter nichts so sehr Auffallendes, doch machte mich das Schließen der Fensterläden stutzig.

Aber andererseits wurde ich auch wieder zweifelhaft. War ich denn wirklich meiner Sache so sehr sicher, daß die Fensterläden auch offen standen, als ich mich zu Bett legte? Denn schon öfters hatte mich mein Gedächtnis getäuscht, und konnte dies vielleicht nicht auch jetzt der Fall sein? Ich suchte mir einzureden, daß ich mich geirrt haben müßte, und ging wieder zu Bett. Aber schlafen konnte ich nicht.

Ich vermochte nicht, mich zu beruhigen. Ich hatte das Gefühl, daß etwas nicht in Ordnung war, aber noch einmal, was sollte ich tun?

Wiederum dachte ich an meine Nachbarn. Der eine war durch eine dicke Wand von mir getrennt und kam nicht in Frage; zwischen dem anderen und mir befand sich jedoch nur eine Tür. Sollte ich an diese Tür klopfen? Dann mußte ich daran denken, daß diese Tür zum Zimmer des Kreolen gehörte.

Ich habe meinen Nachbarn bei verschiedenen Gelegenheiten gesehen, und mein Eindruck von ihm war der, daß, wenn ich ihn ohne genügenden Grund aus dem Schlaf wecken mochte, er wahrscheinlich Streit anfangen würde. Was konnte ich ihm wohl sagen? Daß, während ich schlief, die Fensterläden von außen geschlossen worden waren und ich daher glaubte, daß irgend etwas nicht in Ordnung wäre.

Je mehr ich über diese recht schwache Erklärung nachdachte, desto dümmer erschien sie mir. Nein, viel gescheiter tat ich, wenn ich wieder schlafen ginge.

Aber ich konnte nicht schlafen.

Ich hatte das Gefühl, daß ich etwas tun mußte. Ich stand auf und suchte zu der Verbindungstür zu gelangen. Ich klopfte, erhielt aber keine Antwort. Ich klopfte zum zweiten, zum dritten Male, und auch jetzt blieb alles stumm.

Da kam mir ein anderer Gedanke. Wahrscheinlich war das Zimmer des Kreolen leer. Die Fußtritte, die ich gehört hatte, rührten von ihm her, als er sein Zimmer verließ. Seine Gewohnheiten kannte ich zwar nicht, in Monte Carlo gab es aber viele Frühaufsteher, die, auf der Terrasse sitzend, ihre Zigarre rauchen und dem Aufgang der Sonne zusahen. Warum sollte er nicht auch einer sein? Dieser Gedanke beruhigte mich und wiederum ging ich zu Bett. Was ich tun konnte, hatte ich getan, was sollte ich mir noch weiter Kopfzerbrechen machen?

Ich nahm mir jedoch vor, eine Weile wach zu bleiben, um zu sehen, ob er zurückkommen würde. Eine Zeitlang saß ich im Bett auf, auf die Dauer wurde mir das jedoch unbequem, und so nahm ich wieder meine beim Schlafen gewohnte Lage ein, in der ich allmählich einschlief.

Wie lange ich geschlafen habe, weiß ich nicht. Als ich erwachte, sah ich, daß die Zimmertür bereits erbrochen war und zwei Männer mit großem Interesse die Fensterläden untersuchten. Als ich meine Blicke dem Fenster zuwandte, zogen sie sich von dort zurück. Dem Anschein nach waren sie von einer Erklärung, die ihnen der Wirt des Hotels gegeben hatte, befriedigt.

»Was ist denn los?« fragte ich.

»Nichts von Bedeutung,« antwortete der Wirt, der seine Aufregung nur schlecht verbergen konnte, »nichts von Bedeutung, nur eine kleine Unannehmlichkeit. Aber wir hier in Monte Carlo sind an Unannehmlichkeiten gewöhnt, mein Herr, und wenn sich welche ereignen, so behalten wir sie hübsch für uns.«

»Eine Unannehmlichkeit!« rief ich aus. »Was ist das für eine Unannehmlichkeit?«

»O, es ist kaum der Rede wert, mein Herr. Des Herrn Zimmernachbar ist heute nacht plötzlich gestorben. Ist dabei vielleicht etwas Merkwürdiges? Es sterben doch viele Leute plötzlich, besonders in Monte Carlo.«

»Plötzlich gestorben! Hat er sich das Leben genommen?«

»Nein, mein Herr. Ich wenigstens glaube nicht, daß hier ein Selbstmord vorliegt. Freilich, die Herren von der Polizei meinen –« Hier stockte er.

»Nun, was meinen die Herren von der Polizei?«

»Ja, mein Herr, die Polizei glaubt annehmen zu dürfen, daß des Herrn Zimmernachbar im Schlafe ermordet worden ist.«


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