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Der Magister begab sich, wie wir berichtet haben, jeden Abend in die Goldene Gans. Im Herrenstüblein daselbst trank er, wie er dies seit Jahren zu thun gewohnt war, einen, zuweilen auch zwei Schoppen und unterhielt sich mit den Anwesenden über Witterung, Stadtneuigkeiten und Welthandel.
Seitdem er die Bekanntschaft des italienischen Grafen gemacht hatte, kam er eine Stunde früher als sonst, bevor sich noch die Stammgäste eingefunden hatten. Traten dann diese einer um den andern herein, so beeilte er sich sein Glas zu leeren, und entfernte sich, nicht um nach Hause zu gehen, sondern um dem Grafen einen Besuch zu machen. Diese Besuche waren natürlich den Gästen des Herrenstübleins kein Geheimniß und gaben zu mancherlei Bemerkungen Veranlassung. Und das war es gerade, was den Magister bewog, die Gesellschaft der Stammgäste zu vermeiden.
Es war ihm daher sehr angenehm, als Fritz Hederich ihm sein Zimmer anbot. Dahin ließ er sich nun allabendlich seinen Schoppen bringen und verplauderte ein Stündchen mit dem Baccalaureus. Was zwischen letzterem und Else vorgefallen war, davon ahnte der Magister nichts, und gutmüthig sprach er ihm Trost ein.
Er habe klug gehandelt, vorläufig die Stadt Finkenburg nicht zu verlassen; er müsse abwarten, bis sich die gallige Stimmung des Herrn Thomasius verbessere, dann wolle er, der Magister, zu seinen, des Baccalaureus Gunsten schon ein Wort reden. Überdies stehe auch der fürstliche Recompens für die Komödie in Aussicht, und er zweifle nicht, daß ... u. s. w.
Wenn der Magister so sprach, regte sich in dem Baccalaureus einigermaßen das Gewissen, da er aber von dem Grundsatz ausging, daß jeder sich selbst der Nächste sei, so beschwichtigte er die mahnende Stimme in seinem Innern und verdoppelte äußerlich seine Aufmerksamkeit gegen seinen Gast. Wie zuvorkommend nahm er ihm den Mantel ab, wie dienstbeflissen rückte er ihm den Stuhl zurecht, und wie zartfühlend vermied er jede Anspielung auf den italienischen Grafen. Kam dann der Magister von seinem Besuch bei dem Grafen zurück, so stand Fritz wie ein treuer Diener schon mit der Lampe bereit, hüllte den Körper des Herrn Hieronymus Xylander sorgfältig in den Mantel und leuchtete ihm bis an die Hausthür.
»Er ist mir sehr zugethan,« sagte dann der Magister bei sich, »ich wollte es dem braven Knaben wohl gönnen, wenn er auf einen grünen Zweig käme.«
Seitdem der welsche Graf dem Magister Unterricht in der Goldmacherei ertheilte, führte letzterer wie ein gewissenhafter Student ein Heft, in welches er allabendlich das Erlernte aufzeichnete.
Staub bedeckte seine Bibliothek und die umfangreichen Manuskripte, welche die Perlen der Xylandrischen Poesei bargen, und dem gekrönten Poeten an der Wand hatte eine Kreuzspinne mitleidig Augen und Ohren mit dichtem Gewebe verhangen, damit er von dem Gebahren des Abtrünnigen nichts wahrnehme. Statt hochtönender Verse mit kunstreich verschlungenen Endreimen, welche vordem diejenigen zu hören bekamen, die in später Abendstunde an der Thür des Xylandrischen Musei vorübergingen, hätte jetzt ein Lauscher die mystischen Lehren vom großen Magisterium vernehmen können, welche der Magister mit halblauter Stimme sich vorsagte.
Unter ihm in dem geheimen Laboratorium saß Herr Thomasius. Aber das Laboratorium war kein solches mehr. Staub bedeckte wie die Bücher des Magisters so auch die Apparate des Apothekers. Herr Thomasius hatte den Muth verloren. Jetzt saß er Tag für Tag neben dem erloschenen Feuer seines Schmelzofens in einem alten Lehnstuhl und brütete über den dunklen Schriften des Theophrastus Bombastus Paracelsus.
Ehemals hatte er viel auf ein reputirliches Äußere gehalten, seine Manschetten und die Krause, die ihm vorn zu der seidenen Weste heraussah, waren stets blendend weiß gewesen, und ein Fleck auf dem Tuch seines Rockes hatte unter Umständen für den mit der Reinigung der Kleider betrauten Knecht verhängnißvoll werden können. Jetzt vernachlässigte er seine Kleidung, statt der glänzenden Stiefel trug er alte, niedergetretene Pantoffel an den Füßen, sein ergrautes Haar war verwirrt, und sein Bart, über den kein Schermesser mehr kam, stand ihm struppig von Wange und Kinn und gab ihm das Aussehen eines alten bengalischen Tigers, der mit sich und der Welt hadert. Seine Wangen fielen ein, und aus dem lederfarbenen Gesicht leuchteten seine grauen Augen mit eulenhafter Unheimlichkeit. Dazu war Herr Thomasius in einer Stimmung, welche von der des geduldigen Tobias sehr verschieden war. Niemand konnte ihm etwas zu Dank machen. In der Offizin, wo er seit des Subjekts Ausgang nothgedrungen hin und wieder erscheinen mußte, behandelte er seine Untergebenen tyrannisch und die Kunden grob. Der alten Hanne aber gab er kein gutes Wort mehr, mit Else sprach er nur das Nothwendigste und den Magister Xylander behandelte er geradezu verächtlich. Der einzige, mit dem er noch auf ziemlich gutem Fuß stand, war Jakob, der Unglücksrabe, der es verstanden hatte, durch harmloses Gebahren und sicheres Auftreten jeglichen Verdacht von seiner Person abzulenken.
Der Apotheker hatte sein Mittagsmahl beendet und fütterte den Raben mit Brocken, Else hatte das Zimmer verlassen, und der Magister saß träumend in seinem Sessel.
»Da, Jakob,« sagte der Hausherr, »es ist dir gegönnt, wohl bekomm dir's.«
»Lump!« krächzte der Vogel und blickte den Apotheker zutraulich an.
»Ja,« sagte dieser, »Du bist der einzige, der's redlich mit mir meint. Alles fällt von mir ab, die Alte, mit der ich fünfundzwanzig Jahre zusammen gehaust habe, schmiedet Anschläge hinter meinem Rücken, und er, den ich liebgewonnen hatte, thut mir das an!«
»Herr Thomasius,« räusperte sich der Magister.
»Was wollt Ihr?« fuhr der Apotheker auf.
»Ihr thut mir Unrecht, Herr Thomasius –«
»Ich hab' Euch nicht gemeint,« versetzte der Apotheker.
»Ihr thut mir Unrecht, glaubt mir, ich bin noch der Alte.«
»Das glaub' ich Euch gern, und Ihr werdet Euch nunmehr auch schwerlich ändern.«
»Hört mich an, Herr Thomasius. Ihr habt Ursache, mich argwöhnisch zu betrachten, aber ich versichere Euch, daß meine Gefühle für Euch und Eure Tochter –«
Der Apotheker lachte ingrimmig.
»– noch dieselben sind wie vordem; wenn ich Euch in den letzten Tagen etwas zerstreut und flatterhaft vorgekommen bin –«
»Ihr seid mir gar nicht vorgekommen, Magister!«
»– so hat das seinen Grund. Bald werde ich Euch einweihen in das Geheimniß, welches ich auf meinem Herzen trage. Bis dahin geduldet Euch und bis dahin muß sich auch Else gedulden.«
»Ich denke, sie hält's aus,« spottete der Apotheker.
Der Magister erhob sich, trat auf ihn zu, ergriff seine Hand und sprach: »Mag auch kommen, was da kommen will, Herr Thomasius, ich bin ein Mann, der sein Wort hält.« In dem Ton eines Sehers fuhr er fort: »Der Stufen sind drei: Notio, Mutatio, Multiplicatio. Ihr, Herr Thomasius, mühet Euch vergeblich, die erste zu erreichen, ich stehe mit dem Fuß auf der dritten. Bald wird die Stunde schlagen, da sich der Schleier heben wird und dann –« der Magister hob die Rechte empor wie zum Schwur – »dann wird eitel Freude sein in dem Haus, so den güldenen Löwen im Zeichen führt!«
»Entweder ist er übergeschnappt,« sprach der Apotheker, indem er dem abgehenden Magister nachschaute, »oder er hat einen tiefen Blick gethan.«
Der Magister hatte eigentlich beabsichtigt, dem Herrn Thomasius nicht eher etwas von den geheimen Zusammenkünften in der Goldenen Gans mitzutheilen, als bis er zu einem Resultat gekommen sei; da ihm aber das Leid des alten Herrn, dessen Gestalt von Tag zu Tag gebeugter wurde, zu Herzen ging, so faßte er den Entschluß, eine Zusammenkunft zwischen dem italienischen Grafen und dem Apotheker zu veranstalten, und wider sein Erwarten stieß er nicht auf erheblichen Widerstand. Herr Thomasius lebte ordentlich auf, als der Magister ihm seine Eröffnungen machte, und drängte zu einer Unterredung mit dem Grafen. Dieser runzelte zwar die Stirn, als ihm der Magister vorschlug, den Apotheker an dem anzustellenden Experiment Theil nehmen zu lassen, gab aber doch schließlich seine Einwilligung zu einer Zusammenkunft.
An einem der nächsten Abende saßen die drei Goldmacher in dem Laboratorio des Herrn Thomasius beisammen. Der Graf ließ sich von diesem ausführlich über seine Arbeiten berichten und schüttelte bisweilen den Kopf. Dann begann er seine Auseinandersetzungen und sprach so gelehrt und dunkel, daß Apotheker und Magister nicht wußten, wo ihnen die Köpfe standen. Schließlich bat Herr Thomasius den Grafen, in seiner und des Magisters Gegenwart einen Versuch anzustellen. Der Graf willigte nach einigem Zögern ein. Die Constellationen seien allerdings günstig, auch sei der Mond im Zunehmen begriffen, und man könne ein Experiment wohl wagen.
»Ich sehe dort in Eurem Garten einen alten Thurm,« fuhr der Graf fort, »ist das Innere desselben so beschaffen, daß man dort den Apparatus aufstellen kann?«
Der Apotheker bejahte dies, fragte aber einigermaßen verwundert, warum der Herr Graf nicht im Laboratorio das Werk vornehmen wolle.
»Weil,« entgegnete dieser, »das siderische und lunarische Licht nicht ungehinderten Eingang in diesen Raum findet. Dort auf dem Thurm kann man es bequem auffangen und zur Mitwirkung zwingen.«
Das leuchtete dem Apotheker ein, und der Graf versprach, in einigen Stunden wiederzukommen und den nöthigen Apparat mitzubringen.
Gegen Mitternacht kam er in der That mit seinem Gehilfen in die Löwenapotheke und wurde von dem Hausherrn und dem Magister nach dem Thurmzimmer geleitet, welches durch Kerzen erhellt war.
Der Graf entnahm dem Kasten, den sein Gehilfe getragen hatte, mehrere Hohlspiegel, einen Tubus und andere Geräthschaften. Mit diesen hantirte er eine Weile herum, beobachtete den Himmel und stellte die Spiegel so auf, daß die matten Strahlen, die sie zurückwarfen, eine kleine Schale von Malachit trafen, die in die Mitte des Tisches gestellt worden war. Dann zog er ein Stückchen Gold, nicht größer als eine Linse, hervor und reichte es dem Apotheker.
»Seht zu, Herr Thomasius, ob das Gold ist.«
Der Apotheker erklärte nach genauer Prüfung, es sei in der That reines Gold.
»Gut,« fuhr der Graf fort, »nun legt das Gold dort in die Schale, verlöscht die Lichter und haltet Euch ruhig.«
Der Apotheker that, wie ihm geheißen war, und das Gemach war nunmehr nur durch den Schein des Mondes erhellt. Das Stückchen Gold in der grünen Schale leuchtete wie ein kleines Flämmchen.
Der Graf wandte sein Gesicht nach dem Monde und bewegte leise die Lippen.
Der Apotheker blickte gespannt bald auf die Schale, bald auf den gräflichen Adepten. Der Magister zitterte vor Angst und Aufregung und hielt den Rockschoß des Apothekers krampfhaft fest. Jetzt wandte sich der Graf vom Fenster ab, trat an den Tisch und goß aus einer kleinen Phiole ein paar Tropfen in die Malachitschale. Alsbald wallte ein bläulicher Dampf auf. Schnell ergriff der Gehilfe eine kleine Marmorplatte und bedeckte die Schale, der Graf aber sprach in ruhigem Tone:
»So, nun ist's geschehen. Zündet die Kerzen immerhin wieder an.«
Es geschah. Der Graf und sein Gehilfe räumten kaltblüthig das Geräthe zusammen und packten es in den Kasten.
»Ist das Experiment zu Ende?« fragte Herr Thomasius ungläubig. »Völlig,« erwiderte der Graf, »und es ist gelungen. Geduldet Euch nur ein paar Augenblicke noch, dann mögt Ihr den Deckel heben.«
Mit zitternder Hand hob endlich der Apotheker die Marmorplatte, und auf dem Grunde der Schale lag ein rundliches Stück Gold, groß wie eine Nußschale.
»Nehmt und prüft,« sagte der Graf.
Es war Gold, feines Gold, ohne Beimischung von Silber oder Kupfer und hatte das Gewicht von fünf Dukaten. Das Gold hatte sich also hundertfach vermehrt.
Der Apotheker und der Magister standen sprachlos da und blickten mit Ehrfurcht und geheimem Schauer auf den Mann, der die Multiplikation bewerkstelligt hatte und jetzt so gleichgültig drein blickte, als wäre das etwas ganz Alltägliches.
»Es ist erstaunlich,« sagte Herr Thomasius nach langem Schweigen.
»Erstaunlich!« wiederholte der Magister.
Dann schwiegen sie wieder alle beide, während der Graf sich zum Gehen rüstete. Der Apotheker hielt noch immer das Gold in der Hand.
»Erlaubt Ihr,« fragte er zu dem Grafen gewandt, »daß ich dieses Gold einwechsele? Ich möchte es zum Andenken behalten.«
Der Graf antwortete vornehm: »Das Gold welches ich bei solchen Gelegenheiten im Kleinen erzeuge, gehört meinem Gehilfen. Einigt Euch mit dem.«
Herr Thomasius fuhr schnell in die Tasche und reichte dem Gehilfen ungezählt einige Goldstücke, welche dieser ohne Dank einsteckte.
»Herr Graf,« hub der Apotheker wieder an, »Ihr seht in mir einen Mann, der die besten Jahre seines Lebens geopfert hat, um dem Geheimniß, das Ihr besitzt, auf die Spur zu kommen. Gebt mir die Bedingung an, unter welcher Ihr mich einzuweihen gedenkt.«
Der Graf machte eine verneinende Handbewegung und lächelte so überlegen, daß der Apotheker schwieg.
»Freilich,« dachte er, »wer mit ein paar Tropfen aus einem Dukaten hundert machen kann, der darf hochmüthig sein.«
Dennoch aber ließ er nicht ab, mit Bitten in den Grafen zu dringen, und der Magister unterstützte ihn dabei. Der Graf aber blieb ungerührt. Er sei, sagte er, im Dienst des Fürsten, seine Zeit sei dermaßen in Anspruch genommen, daß er unmöglich dem Ansinnen des ehrsamen Herrn willfahren könne. Damit selbiger aber seinen guten Willen erkennen möge, erkläre er sich bereit, das Experiment der Multiplikation zu wiederholen, und zwar mit jedem beliebigen Quantum des edeln Metalls. Er beanspruche für sich selbst keinerlei Belohnung, müsse aber darauf bestehen, daß man seinem getreuen Gehilfen einen Antheil gönne.
Das war wenigstens etwas. Dem Apotheker lag freilich mehr an dem Geheimniß der Multiplikation als an dem Gold, der Magister aber zitterte vor Wonne, als er vernahm, daß ihm die Möglichkeit geboten werden solle, seine Habe zu verhundertfachen. Die beiden Herren nahmen also den Vorschlag mit großem Dank an und erklärten, jede Bedingung gegen den Gehilfen eingehen zu wollen.
»Gut,« sagte der Graf, »gebt ihm zehn vom Hundert, damit wird er zufrieden sein. Gelt, Balthasar?«
Der Gehilfe nickte.
»Sorgt also für eine Last Gold und hütet Euch vor falschen Münzen, denn das könnte eine üble Wendung herbeiführen, die Tinktur darf kein unedles Metall benetzen. Und beeilt Euch, daß wir baldigst das Experiment anstellen können, denn die Zeit ist jetzt außerordentlich günstig.«
Apotheker und Magister versprachen, den Wünschen des Grafen gewissenhaft nachzukommen, und geleiteten denselben nebst seinem Gehilfen unter häufigen Dankesworten und ehrerbietigen Bücklingen durch den Garten und das Haus bis auf die Straße.
*
Kaspar, der Sohn des Ganswirths, hatte einen harten Schädel, und da Fritz die einem Lehrer nöthige Geduld nicht besaß und häufig von der ihm durch die väterliche Gewalt des Ganswirths ertheilten Erlaubniß Gebrauch machte, so hatte sich Kaspars Lage keineswegs verbessert, seitdem er in den Gelehrtenstand eingetreten war. Seine Thätigkeit war eine andere geworden, die Rippenstöße und Schopfbeutler waren geblieben, und es konnte ihm im Grunde einerlei sein, ob er sie für die leichtsinnige Behandlung der Teller und Gläser oder der Deklination des klassischen Wortes mensa erhielt.
So schlimm aber wie heute war's ihm noch nie ergangen. Da saß der arme Junge über ein Schreibheft gebeugt in der Stube des gestrengen Herrn Hederich. Ängstlich duckte er sich auf sein Heft, welches er mit entsetzlich großen, schiefen Buchstaben bemalte, und von Zeit zu Zeit fiel ein salziger Tropfen von seiner Nasenspitze auf das Papier. Dann hob er scheu seine Augen empor und schlug sie schaudernd sogleich wieder nieder, denn drohend über seinem Haupte schwebte das große Lineal, welches der Herr Baccalaureus mit unheimlich glänzenden Augen verdächtig hin und her schwenkte. Endlich konnte der arme Bursche seines Jammers nicht mehr Herr werden. Er legte den Gänsekiel bei Seite und schluchzte und gluckste so erbärmlich, daß in der Brust des Baccalaureus das Mitleid rege wurde.
»Was giebt's zu flennen, Kaspar?« fragte er.
Statt der Antwort heulte Kaspar immer lauter und bohrte die tintenbeklexten Fäuste in die Augenhöhlen.
»Weißt Du was, Kaspar,« fuhr Fritz in wohlwollendem Tone fort und legte väterlich die Hand auf den Kopf des Heulenden, »weißt Du was, Kaspar? Räume Deine Bücher zusammen und packe Dich.«
Kaspar hob sein von Thränen und Tinte bethautes Antlitz fragend empor.
»Ja, Kaspar, es ist mein Ernst; geh' und komm' nicht wieder! Ich will mit Deinem Vater sprechen, an Dir ist Hopfen und Malz verloren.«
Das waren Äolsharfen in Kaspars Ohren. Er sah mit einem rührenden Dankesblick zu dem Sprecher empor.
»Zeuch hin, mein Sohn!« sagte Fritz Hederich noch einmal und öffnete eigenhändig die Thür seines Zimmers.
Kaspar ging zwar mit Thränen in den Augen, aber mit großer Freude im Herzen über die unvermuthete Wendung seines Geschickes.
Die aufgeregte Stimmung, in der sich Fritz Hederich befand, war durch einen Brief hervorgebracht worden. Seit jener Nacht, da er als Mönch vermummt über die Gartenmauer gestiegen war, brachte der Magister alle Abend unter seinem Mantelkragen Botschaft vom Goldenen Löwen in die Goldene Gans und zurück. Am letztvergangenen Abend aber überbrachte er dem harrenden Baccalaureus außer dem Brief, von dem er nichts wußte, einen andern, den ihm Herr Thomasius eingehändigt hatte.
Der Apotheker zeigte in demselben kurz an, daß sein Kollege in Ammerstadt einen Subjekt brauche, und daß dem Herrn Hederich nichts im Weg stehen würde, wenn er diesen Dienst antreten wolle.
Dieser Brief gab dem Baccalaureus viel zu denken.
»Es ist doch schön von dem Alten, daß er mich das wissen läßt,« war sein erster Gedanke. »Aber jetzt fort von hier, fort aus der Nähe meiner Else? – Nein.«
Dann erhob die Vernunft, die zwar in der letzten Zeit wenig Einfluß auf die Handlungen des Baccalaureus ausgeübt hatte, ihre Stimme und rief ihm zu: »Thu's, greif zu! In alle Ewigkeit kannst Du nicht das Brot des Ganswirths essen. Vorwärts, Fritz!«
»Zum Glück durch Leid,
Zur Ruh durch Qual
Über Berg und Thal
Die Welt ist weit!«
Schließlich lag ja die Stadt Ammerstadt auch nicht im Mond, und wer weiß, ob ihm dort nicht endlich das Glück blüht, das er seit Jahren sucht.
»Es muß sein,« schloß er mit einem Seufzer, »aber sprechen muß ich meine Else noch einmal, ehe ich scheide.«
Am Abend des Tages, da der Baccalaureus beschlossen hatte, nach Ammerstadt zu wandern, um daselbst als Apothekersubjekt den Besuch der Glücksgöttin abzuwarten, trug der Magister unter seinem Mantelkragen nach der Löwenapotheke einen Brief, in welchem Jungfer Else Thomasius von dem Entschluß des Baccalaureus Fritz Hederich benachrichtigt und in den bewegendsten Worten um eine heimliche Zusammenkunft im Garten gebeten wurde.
Die Antwort der blonden Else enthielt erneuerte Liebesschwüre und rührende Klagen, aber die bestimmte Weigerung, mit Fritz zusammenkommen zu wollen.
Darauf beschrieb der arme Fritz einen großen Bogen Kanzleipapier mit lauter abgerissenen Sätzen, die ein so fürchterliches Durcheinander von Liebe, Verzweiflung, Gram, Hoffnung, Bitten und Schwüren bildeten, daß Else ein Herz von Feuerstein hätte haben müssen, wenn sie nach Empfang der Epistel noch länger auf ihrer Weigerung bestanden hätte.
Der Zettel, den Fritz am nächsten Abend von dem Mantel seines Nebenbuhlers löste, enthielt die mit zitternder Hand geschriebenen Worte: »Ich komme; Gott wolle mir die Sünde verzeihen! Vorsicht, Fritz, Vorsicht!«
*
Das war eine Nacht!
Die wetterkundigen Bürger, die vor dem Schlafengehen prüfend ihre Nasen zum Fenster hinaussteckten, behaupteten: »Es giebt Reif.« Und sie hatten Recht, denn am andern Morgen trugen die Halme auf dem Feld und die dürren Blätter am Busch glitzernde Spitzengewänder, die verspäteten Blumen senkten ihre Köpfe, und die Gurken im Garten des Herrn Bürgermeisters hingen kraftlos an den Stielen, der feindliche Frost war über sie hinweggefahren und hatte ihren Lebenssaft erstarren gemacht. Ein früher Frost war sonst ein Ereigniß, welches den Finkenburgern mindestens für drei Tage Stoff zu lehrreichen Gesprächen bot. Diesmal ward desselben kaum gedacht, denn in der Nacht, da des Bürgermeisters Gurken erfroren, geschah noch etwas, das den Leuten viele Jahre lang im Gedächtniß blieb.
Um die Zeit, da in Finkenburg alles auf dem Ohr lag, mit Ausnahme des Nachtwächters (der schlief sitzend auf einem Eckstein), kletterte Fritz Hederich als Mönch verkleidet über die Gartenmauer der Löwenapotheke, wand sich wie ein Marder durch die dürren Büsche der Arzneigewächse und kam an der Hinterthür des Hauses eben an, als eine verhüllte weibliche Gestalt in derselben sichtbar wurde.
Er zog die zitternde Else an die Brust, und sie schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn auf den Mund.
»Komm,« sagte er, »noch einmal wollen wir unter dem Hollunderbaum sitzen, wo wir so glücklich waren, dann muß ich scheiden von Dir – nicht auf immer, Else – aber wer weiß, wann ich wiederkomme, wie ich wiederkomme. Kennst Du das Lied? Sie singen's bei uns daheim:
»Wer reitet im Trab zum Thor herein?
Das muß ein edeler Reiter sein,
Sein Rößlein ist weiß, von Gold sind die Sporen,
Im Städtchen hat er ein Lieb erkoren.«
Else, weine nicht, mir sagt eine Stimme: Alles wird gut! Weißt Du, hier unter dem Baum ist's gewesen, wo Du mir ein Märchen erzählt hast. Ich will Dir heut' ein anderes erzählen von Einem, der ausging in die weite, weite Welt und daheim sein Lieb in Leid zurückließ. Und da kamen Grafen und Fürsten, und zuletzt kam auch ein Königssohn und freiten um sie. Sie aber schüttelte das Haupt und sagte: In meines Vaters Garten – da blüht ein' schöne Blum' – drei Jahr' noch muß ich warten – drei Jahr' sind bald herum. Und als die drei Jahre um waren, da kam in der Nacht beim Sternenschein –«
»Still, Fritz, um Gottes willen still! Ich höre etwas.«
Fritz horchte auf. An der Thür des Hauses war ein Geräusch vernehmbar. Die beiden Liebenden duckten sich hinter die Büsche wie Hasen im Krautacker. Die Thür wurde langsam geöffnet, und ein rother Lichtschein strömte aus dem Innern des Hauses.
»Das ist eine unverzeihliche Nachlässigkeit,« wurde die Stimme des Herrn Thomasius vernehmbar, »die Thür steht offen. Na wartet!«
Fritz und Else sahen zu ihrem Schrecken, wie aus dem Haus der alte Thomasius, der Magister und zwei andere Männer traten. Der Magister trug eine Laterne, die übrigen waren mit unkenntlichen Gegenständen schwer beladen.
»Seid so gut, Magister, schließt die Thür zu und zieht den Schlüssel ab,« sagte der Apotheker, »es ist für alle Fälle.«
Der Magister that wie ihm geheißen, dann schritten die vier Personen quer durch den Garten nach dem alten Thurm.
»Fritz,« stöhnte Else leise, »jetzt ist's um mich geschehen; die Thür ist verschlossen, ich kann nicht mehr zurück. Fritz, ich sterbe vor Angst, was soll nun werden?«
»Ruhe, mein Herz,« tröstete Fritz, aber während er der Geliebten Muth einsprach, suchten seine eigenen Gedanken ängstlich einen Ausweg aus der peinlichen Lage.
»Wer waren die beiden Anderen?« fragte er.
»Ich glaube, es sind die Fremden aus der Goldenen Gans, die der Magister in's Haus gebracht hat.«
»Hm, dann wird dort vermuthlich ein Experiment gemacht, das kann lange dauern. Wenn wir der alten Hanne ein Zeichen geben könnten.«
»Thu' das nicht, Fritz! ich stürbe vor Scham, wenn jemand erführe, daß ich mit Dir bei Nacht im Garten zusammengekommen bin.«
»Dann muß ich versuchen, das Schloß aufzubrechen –«
Else rang in stummer Verzweiflung die Hände.
»Horch! Was war das? Hast du nichts gehört?«
Fritz erhob sich und lauschte in die Nacht hinaus. Da drang zum zweiten Mal ein dumpfer Laut von dem alten Thurm herüber.
»Hilf, Fritz!« schrie Else, »meinem Vater geschieht ein Unglück!«
Fritz Hederich sprang, so schnell er konnte über die Beete vorwärts, unterwegs riß er eilig einen Pfahl, der den schwanken Ranken einer blauen Winde zur Stütze gedient hatte, aus dem Boden und stürmte, diese Waffe schwingend, auf den Thurm los. Hinter ihm her eilte mit fliegenden Gewändern Else, jede Rücksicht vergessend.
*
Die vier Männer im Thurmzimmer hatten ihr nächtliches Werk begonnen. Der Gehilfe des welschen Grafen stellte Geräthschaften auf, während Herr Thomasius und der Magister einen ansehnlichen Vorrath gemünzten Goldes aus einem Sack in die bereitstehenden Gefäße schütteten.
Der Apotheker hatte all sein baares Geld in Gold umgewechselt, und der Magister hatte mit seinem Sparpfennig ein Gleiches gethan.
»Wenn's nur erst glücklich vorüber wäre,« flüsterte der Magister, »mir ist gar nicht wohl zu Muth.«
»Ich glaub's Euch,« sagte der Graf und warf einen spöttischen Blick auf den ängstlichen Sprecher. »Dafür werdet Ihr nachher, wenn alles vorüber ist, desto ruhiger sein, verlaßt Euch darauf. Jetzt schließt die Thür und schweigt still. Es ist doch kein falsches Stück unter den Münzen?«
»Keine Sorge, Herr Graf,« erwiderte der Apotheker. »Alles ist in Ordnung.«
»Dann wollen wir beginnen. An's Werk, Balthasar!«
Im nächsten Augenblick fühlte der Apotheker seinen Hals durch eine Schlinge zusammengeschnürt und sich von hinten zu Boden gerissen; mit einem dumpfen Laut stürzte er nieder. Gleichzeitig warf sich der Gehilfe des Grafen auf den Magister.
»Mord, Mord!« zeterte dieser und flüchtete sich in eine Ecke.
»Schneid' ihm den Hals ab, wenn er nicht still ist!« rief der welsche Graf, der dem Apotheker auf der Brust kniete und ihm mit großer Gewandtheit die Hände zusammenschnürte.
Der Magister knickte zusammen und schloß die Augen. Balthasar schickte sich an, den Widerstandslosen zu knebeln.
Herr Thomasius lag gebunden mit verstopftem Munde am Boden. »Kennst Du mich?« rief ihm der italienische Graf in's Ohr. »Kennst Du den Doktor, der Deinetwegen auf dem Esel reiten mußte? Jetzt ist die Stunde der Rache gekommen. – Balthasar, beeile Dich, mit dem verrückten Magister an den Rand zu kommen – raffe das Gold zusammen, so – wir müssen über die Gartenmauer zurück – Höll' und Tod! Was ist das?«
Die Thür flog auf, und herein stürzte der Mönch mit geschwungener Waffe.
Knirschend vor Wuth zog der Graf das Messer und drang auf den Mönch ein, aber der schwere Pfahl, den dieser führte, fuhr sausend durch die Luft, und schwer getroffen sank der Betrüger zusammen.
Balthasar dachte nicht an Widerstand; wie der Blitz schwang er sich zu dem geöffneten Fenster empor, um zu entwischen, aber der Mönch war nicht minder schnell; wieder schwirrte der Pfahl durch die Luft und Balthasar rollte betäubt vom Fensterbrett in das Gemach zurück.
»Balthasar Klipperling, der Hanswurst!« schrie Fritz, als er dem Bewußtlosen in's Gesicht sah. »Dann ist der Doktor Rapontiko nicht weit. – Richtig, er ist's,« sagte er nach einem Blick auf den andern, dem das Blut aus einer klaffenden Wunde über das Gesicht lief.
Else kniete längst neben dem Vater und mühte sich mit zitternden Händen die Stricke zu lösen, mit denen er gefesselt war. Fritz sprang hinzu, schnitt sie rasch durch und richtete den Ohnmächtigen auf. Dann löste er ebenso schnell die Bande des Magisters, der fortwährend leise um Gnade winselte.
»Seid ein Mann,« mahnte Fritz, »und helft mir die Schurken binden.«
»Gnade, Gnade!« wimmerte der Magister, der über das Erscheinen des Mönchs womöglich noch mehr erschrocken war, als über den Mordanfall. »Alle guten Geister loben Gott den Herrn! – Mönch, was ist Dein Begehr?«
»Kommt zu Euch, Magister, ich bin's, Euer Freund, der Fritz Hederich, und dort kniet Else neben ihrem Vater. Ihr seid gerettet. – Wie wir hierher gekommen sind, das erzähl' ich Euch ein ander Mal. – Jetzt ermannt Euch und steht mir bei, daß wir die beiden Schurken in Gewahrsam bringen. Den Hausschlüssel muß Herr Thomasius in der Tasche haben. Hier ist er. Nun eilt!«
Der Magister kam zu sich. »Ich hole Hilfe,« rief er und lief schreiend durch den Garten dem Hause zu.
Unterdessen schnürte Fritz seinem ehemaligen Genossen, Balthasar Klipperling aus Wien, die Arme zusammen, Doktor Rapontiko war vorläufig unschädlich, – und trat dann an die Seite des Apothekers.
Der Alte lächelte matt und mühte sich, seine Hand leise auf das blonde Haupt seiner Else zu legen, die weinend vor ihm auf den Knieen lag. Fritz Hederich beugte sich zu ihm herab und fragte leise:
»Wie geht's Euch, Herr Thomasius?«
Dieser konnte nicht reden, aber er streckte die Hand aus, und als Fritz die seinige hineinlegte, zog er ihn sanft an sich heran. Dann nickte er mit dem grauen Kopf und schloß, die Hände der Kinder haltend, wieder die Augen.
Das Zetergeschrei des Magisters hatte alles auf die Beine gebracht. Der Knecht, der Lehrling und zuletzt die alte Hanne stürmten jetzt nach dem Thurm. Des Magisters Hilferuf hatte auch die Nachbarn aus dem Schlaf geweckt, und sie kamen in Nachtjacken und Zipfelmützen herbeigeeilt, um zu helfen. Nachdem sich der Magister überzeugt hatte, daß die herangezogenen Streitkräfte genügend seien, um jeden Widerstand der beiden Schurken unmöglich zu machen, bewaffnete er sich selbst mit einer Mörserkeule und ging zurück nach dem Schauplatz seiner Niederlage.
Dort traf er begreiflicher Weise alles in der größten Verwirrung. Die Insassen der Löwenapotheke und die Nachbarn bestürmten einander mit Fragen, Hanne heulte laut und rang die Hände, Else war um ihren Vater beschäftigt; der einzige, welcher den Kopf nicht verloren hatte, war Fritz Hederich. In gedrängter Kürze berichtete er, was geschehen war, und traf dann die nöthigen Anordnungen. Der Lehrling wurde abgeschickt, um die Wache zu holen, der Magister erhielt den Auftrag, das Gold zu bergen, einige der Nachbarn blieben bei den Gefangenen zurück, während andere den halbtodten Apotheker in das Haus trugen.
Er wurde zu Bett gebracht, und Fritz Hederich flößte ihm stärkende Arzneien ein, während Else und Hanne hin- und herliefen, um alles, was dem Kranken dienlich sein konnte, herbeizuschleppen.
Die zeisiggrünen Stadtknechte kamen mit ihren Hellebarden, der Herr Bürgermeister führte sie in eigener Person an. Fritz mußte von dem Lager des Alten herbei, auch der Magister wurde citirt, um Rede zu stehen. Dann wurde Balthasar Klipperling aus Wien, der längst aus seiner Betäubung erwacht war, von den Stadtsoldaten in die Mitte genommen. Sein Herr, der fürstliche Astrologus, war durch den erhaltenen Schlag und den Blutverlust zu entkräftet, um gehen zu können; er mußte auf einer Bahre in das Gefängniß getragen werden.
Als man die Kasten und Bündel der beiden Gauner untersuchte, fand man eine große Summe in Goldstücken, die der Bürgermeister einstweilen in Verwahrsam nahm.
Nachdem die Ordnung durch die Diener des Gesetzes hergestellt war, entfernte sich zwar die zusammengeströmte Menge, aber noch lange standen aufgeregte Gruppen vor der Apotheke auf der Straße und besprachen das unerhörte Ereigniß.
Im Innern des Hauses, welches den goldenen Löwen als Wahrzeichen führte, that in dieser Nacht niemand ein Auge zu mit Ausnahme des Hausherrn, der hatte die Augen geschlossen und war eingeschlafen. An seinem Lager saßen Fritz Hederich und Else und horchten ängstlich auf jeden seiner Athemzüge.
Auf den Fußspitzen schlich die alte Hanne ab und zu. Bald war sie um den Kranken beschäftigt, bald betrachtete sie die beiden Kinder, die sich am Bett des Vaters gegenüber saßen, bald war sie im Zimmer des Magisters, um darauf zu sehen, daß er den von Fritz verordneten Trank gehörig einnehme; dazwischen fand sie auch einige Augenblicke, um mit dem Lehrling und dem Knecht, die sich bei einem Trunk von den Schrecknissen der Nacht erholten, das Geschehene zu besprechen, und ihr Schürzenzipfel war noch nie so häufig mit ihren Augen in Berührung gebracht worden, wie in dieser denkwürdigen Nacht.