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Elftes Kapitel.
Jakob, der Unglücksrabe.

Hör, Else,« sagte Herr Thomasius, ehe er nach Ammerstadt fuhr, »Du bist heute die Hausfrau. Halte dich an die Hanne und gehe dem Subjekt aus dem Wege. Hast Du mich verstanden? – Er wird uns ohnehin demnächst verlassen – Du verstehst mich schon. Er selbst hat mich gebeten, ihm ein anderes Unterkommen zu suchen, und ich werde thun, was ich kann. Während meiner Abwesenheit könnte es ihm einfallen, Abschied von Dir nehmen zu wollen. Du verstehst mich schon – und darum ist es besser, wenn Du ihn heute vermeidest. Er ist ein braver Junge, aber – Du verstehst mich schon – es ist besser so. Verstanden?«

Else hatte von dem Allen nur das verstanden, daß Fritz ihr väterliches Haus verlassen wollte, und das war genug, um ihr für ein paar Augenblicke den Kopf schwindeln zu machen.

Herr Thomasius streichelte sein schönes Kind über den blonden Kopf und fuhr ab. Else hörte nicht das Rollen der Räder, sie sah nicht, daß der Vater ihr nochmals zunickte und mit der Hand winkte. Er geht fort! der Gedanke lag ihr bleischwer auf dem Gehirn.

Seit jenem Frühlingstag, wo ihr Fritz seine Lebensgeschichte erzählt hatte, war Else noch nicht wieder allein mit ihm zusammengetroffen. Es kam die Zeit, wo Fritz tagelang, nächtelang in dem geheimen Laboratorium über dem großen Magisterium brütete. Dann wieder hatte ihn der Magister in Anspruch genommen, so daß ihn Else nur selten zu Gesicht bekam. Nun war die Komödie abgespielt, nun, hatte sie gehofft, werde Fritz Hederich wieder zugänglich sein, da mußte sie vernehmen, daß er scheiden wolle.

Welche Qualen hatte Else in der letzten Zeit ausgestanden. Das Erscheinen des Magisters hatte damals, als sie mit Fritz unter dem Hollunderbaum gesessen, das Geständniß, welches Beide auf den Lippen hatten, nur zur Hälfte laut werden lassen. Wie hatte sie an den folgenden Tagen, wenn Fritz ihr bei Tisch gegenüber saß, sich zusammennehmen müssen, daß ihr Geheimniß nicht offenbar werde! Wie hatte sie auf eine Stunde gepaßt, die sie mit dem zusammenführe, für welchen ihr junges Herz schlug! Ein Tag nach dem andern verging. Wohl lustwandelte Else oft im Garten, aber der, welcher sonst der Blumen wartete, kam nicht mehr! Er saß in dem Laboratorium, gebeugt über seinen Schmelztiegel, und auf den Beeten schoß lustig das Wegekraut empor. Wie oft hatte sie in der Ungeduld Blüthen abgerissen und im Zorn mit dem kleinen Fuß auf den Kies gestampft, wenn sie vom Garten aus die trüben Rauchwolken aus dem Laboratorium aufsteigen sah. Sie wußte freilich nicht, um welchen Preis Fritz arbeitete. Dann kamen Tage, an welchen Fritz gar nicht sichtbar wurde, und wenn er Else zufälliger Weise begegnete, so schlug er die Augen nieder und schritt hastig vorüber. Dann ging Else wohl hinauf in ihre Kammer und weinte sich recht aus, und dann regte sich der Stolz ein klein wenig in ihr, und sie dachte: »Du, des angesehensten Bürgers Tochter, weinst um den – den –« Und wenn sie das gedacht hatte, so bat sie es ihm im Stillen wieder ab und tröstete sich mit dem Gedanken: »Er hat den Kopf voll, die Goldmacherei, die Komödie, – aber es wird schon die Zeit kommen, dann will ich ihm sagen, was er mir angethan hat, und wie lieb, wie lieb ich ihn habe. Aber vorher will ich ihn quälen, ein wenig nur, aber er soll's doch fühlen, denn er verdient's nicht besser.« Und dann lächelte sie unter Thränen und trocknete sich ihr Gesicht und ging an ihre Geschäfte. Und nun endlich der gestrige Abend, als sie den Geliebten im vollen Glanz seiner Jugendschönheit von Hunderten bewundert und vom Fürsten hochgeehrt sah! Wie hatte ihr armes, kleines Herz geklopft und gezittert! Wie war sie bald erröthet, bald erblichen, wenn seine dunklen Augen auf ihr ruhten! »Er liebt mich doch!« hatte es in ihr gerufen. Und als die Zuschauer flüsternd ihre Bemerkungen über den Baccalaureus austauschten, als sie sah, wie die Augen aller Frauen und Mädchen, sogar die der hochmüthigen Käthe an ihm hingen, da hätte sie laut in den Saal hinausrufen mögen: »Mir gehört er, mich liebt er, mein ist er!« Als ihr der Vater ankündigte, daß er zu verreisen beabsichtige, war ihr erster Gedanke der, daß sie einen Tag mit Fritz allein sein werde. Das Blut kreiste schneller in ihren Adern, aber sie wagte es kaum, sich zu gestehen, warum sie dies denke. Mit stiller Freude hörte sie den Entschluß des Magisters, eine Wanderung in die Berge unternehmen zu wollen. »Fritz,« dachte sie, »wird die Gelegenheit ergreifen und mich aufsuchen, und diesmal wird kein Magister uns stören, wenn wir uns sagen, wie lieb wir uns haben.« Mit diesen Gedanken war die blonde Else eingeschlafen, und die Träume hatten ihr den Hollunderbaum im Garten und die kleine Bank unter demselben gezeigt, und auf der Bank saßen Zwei, die hatten sich lieb und sagten sich's hundertmal in einem Athem. Nun theilte ihr der Vater mit, daß Fritz Hederich demnächst die Stadt verlassen werde, und daß dies sein eigener Wunsch sei.

Mit gesenktem Haupt ging Else in ihre Kammer und starrte in die blaue Ferne hinaus.

»Was treibt ihn fort? Was ist geschehen?«

Wieder fiel ihr sein Benehmen während der letzten Zeit ein.

»Warum ward er plötzlich so scheu, warum ist er mir geflissentlich aus dem Wege gegangen?«

Sie sann und sann, ob sie ihn vielleicht unbewußt verletzt habe, aber es wollte ihr nichts einfallen. Und abermals regte sich in dem schönen Patrizierkinde der Dämon des Stolzes und flüsterte ihr böse Worte zu:

»Laß ihn fahren, den Abenteurer! Du hast's nicht nöthig, Dich ihm an den Hals zu werfen!«

Dann aber stand ihr des Jünglings Wohlgestalt wieder vor Augen, und sie vermeinte, seine Stimme zu hören, wie er leise das einzige Wort »Else« flüsterte.

Sie bedeckte die Augen mit den Händen und schluchzte, daß es einen Stein in der Erde hätte erbarmen müssen.

»Fahr' hin, du Frühlingstraum, fahr' hin, du meine Freude! Ich habe einen kleinen Mandelbaum gehabt, der trug im Frühling viel tausend röthliche Blüthen. Da kam der Sturm, der brach ihm die Krone ab, und seit der Zeit trieb er keine Knospen mehr. Der junge Baum bin ich. Warum muß ich das erleiden? Was hab' ich denn gethan, daß mir mein junges Leben zerstört wird?«

So klagte Else. Aber sie klagte nicht lange. Sie besaß die starke Natur ihres Vaters, des alten Thomasius, der sich durch kein Unglück, selbst wenn es seine Kolben und Tiegel betraf, niederschmettern ließ. Sie richtete sich auf, kühlte ihre rothgeweinten Augen mit Wasser und glättete vor dem kleinen Spiegelglas ihr Haar.

»Aber wissen will ich, warum er unser Haus verlassen will,« sagte sie, »ich will ihn selbst fragen, er soll mir Rede stehen.«

Noch einen Blick warf sie in den Spiegel und ging dann mit emporgehobenem Haupt raschen Schrittes aus ihrem Zimmer.

Fritz Hederich saß in dem Laboratorium. Da hinein konnte Else nicht dringen, das wußte sie wohl, sie beschloß deshalb, den falschen Fritz in den Garten zu zitiren. Schnell, damit sie ihr Vorsatz nicht gereuen möge, betrat sie den Garten und warf eine Hand voll Sand gegen das Fenster des Laboratoriums. Im nächsten Augenblick erschien der Kopf des Herrn Subjekt an dem Fenster.

»Könnt Ihr nicht einen Augenblick herauskommen?« fragte Else, »ich habe etwas mit Euch zu reden.«

»Ich komme,« sagte Fritz und verschwand von dem Fenster.

»Jetzt werden wir sehen,« murmelte Else.

Sie hatte die Hände auf den Rücken zusammengelegt, wie ein Schulmeister, der einen jugendlichen Apfeldieb verhören will.

»Warum wollt Ihr fort?« wollte sie in strengem Ton fragen.

Als aber Fritz vor ihr stand und sie mit seinen braunen Augen aus dem bleichen Gesicht ruhig ansah, da war es mit ihrer Strenge vorbei, und sie sprach das »Warum wollt Ihr fort« mit weicher Stimme und aufgehobenen Händen.

Fritz Hederich senkte die Augen. »Ich muß gehen,« sagte er, »ich habe einmal geglaubt, hier eine Heimath finden zu können, – es war ein thörichter Gedanke.« Er lachte bitter.

»Hat Euch mein Vater gekränkt?« fragte Else. »Er ist heftig, aber er meint's nicht so schlimm; oder hat Euch der Magister etwas angethan?«

»Ach, der Magister!«

»Was ist's mit dem Magister, Fritz? Worüber habt Ihr Euch entzweit?«

»O, der Magister ist mein Freund,« sagte Fritz und biß die Zähne zusammen. »Wißt Ihr, was er mir versprochen hat? Ich soll sein Brautführer sein, wenn er mit Euch zum Altar tritt.«

Jetzt hatte er seinen Trumpf ausgespielt, jetzt mußte Else seiner Berechnung nach vernichtet, zerknirscht vor ihm stehen. Die Falsche! Es kam aber nicht so, wie er gedacht hatte; Else brach in ein leidenschaftliches Weinen aus.

Dem Baccalaureus wurde angst. »Um Gottes willen,« bat er, »hört auf zu weinen. Es war nicht klug von mir, daß ich Euer Geheimniß ausgesprochen habe, aber ich schwör's mit tausend Eiden, daß ich zu keiner Menschenseele ein Wort von Eurem Verspruch sagen will. Ich komme ohnehin nicht unter die Leute, und binnen Kurzem geh' ich fort auf Nimmerwiederkommen. Es ist ebenso gut, als ob ich nichts gehört hätte. Beruhigt Euch nur, Jungfer Else.«

Aber Else weinte immer heftiger.

»Auch das noch zu all' dem Elend,« jammerte sie. »Müßt Ihr mich auch noch verhöhnen, Fritz? Was hab' ich armes Ding Euch gethan?«

Der Herr Subjekt machte in diesem Augenblick ein nicht sonderlich kluges Gesicht. Er war gekommen, um anzuklagen, – das Blättlein hatte sich gewandt – jetzt stand er da wie ein armer Sünder. Er wußte nicht, was er gleich sagen sollte, denn Else's Betragen war ihm unbegreiflich.

Sie wandte sich und ging in das Haus zurück.

»Nein, im Zorn soll sie nicht von mir gehen,« dachte Fritz und eilte ihr nach. Im Hausflur erreichte er sie und redete sie an:

»Else, wer weiß, ob ich Euch vor meinem Weggang noch einmal sprechen kann; scheiden wir als Freunde! Wenn ich Euch gekränkt habe, so bitt' ich's Euch ab. Es war thöricht von mir, auch nur einen Augenblick zu denken, daß Ihr mich – daß Ihr mehr in mir sähet, als den Gehilfen Eures Vaters. Damals, dort unter dem Hollunderbaum« – seine Stimme zitterte – »damals, Else, als ich Euch neben mir sah in Eurer Jugendschönheit, als der Wind mit Euren gelben Haaren spielte, und Ihr mir sagtet, daß Ihr mich nicht verachten wolltet wegen meiner Vergangenheit – da kam mir der Gedanke, – Else, warum waret Ihr auch so holdselig und liebreich gegen mich? War's denn ein Wunder, daß ich den Verstand verlor? Nun weiß ich freilich, daß Ihr einem Andern angehört, und das treibt mich fort. – Ich weiß wohl, ich darf keinerlei Groll gegen Euch hegen, nein, ich wünsche alles Gute auf Euer Haupt herab, und wenn ich mich wieder ruhelos draußen in der Welt herumtreibe, so will ich denken an jene Stunde, da Ihr mich von meiner Schuld freigesprochen habt. Das darf ich doch, Else? Und wenn ich sterbe, – vielleicht hinter dem Zaun, – so will ich in der letzten Stunde denken an den Hollunderbaum –«

Seine Stimme stockte, und er wandte sich ab.

In Else aber war's aufgegangen wie ein heller Stern in der Nacht, und ihr Herz jubelte wie ein Waldvögelein. »Also das war's!« Sie hätte die ganze Welt umarmen mögen, und da sich dies nicht thun ließ, so flog sie dem, der ihr zunächst stand, an die Brust und weinte und lachte und stammelte wie ein kleines Kind

Fritz Hederich athmete schwer. Was war das? Wie war das gekommen? Herr des Himmels und der Erde, er hielt Else in seinen Armen. Wenn es nur ein Traum wäre, wenn er jetzt plötzlich erwachte! Nein, es war Wirklichkeit, er fühlte ihr Herz pochen und spürte ihren lebenswarmen Athem.

»Else, Else, Du hast mich lieb?«

Aber Else lachte und weinte in einem fort, und er küßte ihr die Thränen von den Wimpern und küßte sie auf Stirn und Mund und streichelte ihren blonden Kopf.

In der Küchenthür aber stand die alte Hanne und wischte sich mit dem Schürzenzipfel abwechselnd das rechte und linke Auge. Endlich hatte sie den Thränenquell vorläufig gestopft und schickte sich an, nunmehr handelnd einzugreifen. Sie stemmte die Arme in die Seite und hub an:

»Schöne Bescheerung das! Else, Herr Subjekt, seid Ihr wohl bei Trost?«

Fritz und Else fuhren bei dem ersten Wort der alten Schaffnerin zusammen und ließen sich los. Die Überraschung war zu jäh gewesen. Else wurde blutroth und senkte den blonden Kopf; auch Fritz war betreten wie ein beim Honigtopf ertappter Näscher und konnte kein Wort finden. So war es gerade der alten Hanne recht; mit großem Behagen betrachtete sie die Zerknirschung der beiden abgefaßten Sünder, und nun war der richtige Zeitpunkt gekommen, um die Rede, die sie für diesen Fall schon längst präparirt hatte, loszulassen.

»Aber Kinder,« begann sie, »was sind das für Geschichten! Was wird der Vater dazu sagen und der Magister?«

Diese beiden Fragen waren allerdings sehr geeignet, die beiden Liebenden einigermaßen zur Besinnung zu bringen. Else schmiegte sich wie Schutz suchend an die Brust des geliebten Mannes.

»Jungfer Hanne Storchschnabelin,« hub Fritz an, »ich weiß, Ihr liebt meine Else, wie eine Mutter ihr Kind –«

»Das weiß der liebe Himmel,« fiel Hanne ein und tastete nach dem Schürzenzipfel.

»Gut also, Ihr seht, Else liebt mich, und ich liebe sie. Da wäre es denn doch eine Grausamkeit sonder Gleichen, wenn Ihr Einsprache erheben und uns verrathen wolltet. Nein, Hanne, das könnt Ihr nicht über's Herz bringen; Ihr seid kein Judas Ischariot.«

Der Schürzenzipfel wurde emporgehoben.

»Hanne,« flehte Else, »gute, liebe Hanne, ich kann nicht anders, der Fritz ist mir lieb wie mein Leben.«

Hanne schluchzte.

»Eh' ich den Magister freie, lieber spring' ich in die Ammer, wo sie am tiefsten ist –«

Die alte Hanne trug kein Tigerherz im Busen; sie ließ sich erweichen. Vorerst fuhr sie in ihrer Rede, in der sie unterbrochen worden war, fort und führte den Beiden ihren grenzenlosen Leichtsinn zu Gemüthe, bis diese ganz mürbe geworden waren. Dann machte sie eine Kunstpause und schloß endlich mit den versöhnenden Worten:

»Nun, nun, es ist freilich eine schlimme Geschichte; da 's aber einmal so weit gekommen ist, – und ich hab' mir's wohl gedacht, – so müssen wir eben sehen, wie wir's zu einem guten End' führen. Seid nur ruhig, Kinder, und laßt mich machen; mit der Hilfe Gottes und der Jungfer Johanna Storchschnabelin wird sich alles zum Guten wenden!«

Hierauf erhielt Else einen Kuß, und dann bat auch der Herr Subjekt um eine gleiche Vergünstigung, die ihm auch nach einigem jungfräulichen Sträuben von Seiten der alten Hanne zu Theil wurde.

Nun ging es an ein Erzählen und Erklären. Fritz Hederich berichtete, was ihm Herr Thomasius mitgetheilt und was er selbst gedacht habe, und schließlich baten sie sich gegenseitig um Verzeihung und küßten sich von neuem.

Daß der Magister nun die Else doch nicht bekäme, das war der alten Hanne die größte Lust, und sie ermangelte nicht, dies kund zu geben.

Man wurde eins, vorläufig sowohl gegen den Vater als auch gegen den Magister zu schweigen, bis sich eine passende Gelegenheit fände; man könne ja warten, komme Zeit, komme Rath.

Schließlich trieb Hanne ihren Liebling in die Küche und gab dem Herrn Subjekt den wohlgemeinten Rath, sich im Liebestaumel kein Versehen gegen den Tiegel des Alten zu Schulden kommen zu lassen, überhaupt klug die Augen offen zu halten, denn wenngleich sie selbst im Grund nichts gegen die Sache einzuwenden habe, so sei doch auch Else's Vater um seine Meinung zu fragen, ja dieser sei doch eigentlich, beim Licht betrachtet, die Hauptperson. Das solle der Herr Subjekt ja bedenken und sein Thun danach einrichten.

Fritz dankte für die guten Lehren und ging zu seiner Tinktur zurück. Der Kolben, in welchem diese dampfte, glühte wie ein großer Granat, das Feuer knisterte und knackte, Fliegen summten und Millionen Stäubchen tanzten in den Sonnenstrahlen, welche schräg durch die runden Fenster fielen und auf allen Flaschen und Gläsern zitterten. Dem Baccalaureus kam das alles wie etwas Neues, nie Gesehenes vor; die Sonne schien ihm bis in's Herz hinein, und drinnen sang und klang es wie Vogelschlag und Kirchenglocken. Dazwischen schwirrte freilich der Gedanke an Else's Vater und an den Magister; zu seiner Ehre müssen wir gestehen, daß er einige Gewissensbisse empfand, als er an den arglosen Hieronymus Xylander dachte.

»Was wird der Vater, der alte Thomasius sagen! Das wird ein Auftritt werden! Wenn die Tinktur geräth, dann ist Hoffnung vorhanden, – aber wenn sie nicht geräth? Ei was, laß das Schicksal herankommen! Kopf oben, Augen offen! Else ist mein, bleibt mein; den will ich sehen, der sie mir nimmt.«

Seine Brust hob sich stolz. Er öffnete das Fenster und jauchzte in die Welt hinaus, daß es von der Gartenmauer und dann noch einmal leise, leise von den Bergen drüben zurückhallte.

Vor dem Fenster, zwischen den Gemüsebeeten lustwandelte Jakob der Rabe und spähte nach Schnecken und Regenwürmern. Als der liebestrunkene Subjekt seine Freude so laut kund gab, fuhr Jakob erschreckt zusammen, wie er aber sah, daß der Schreier kein anderer war als sein Gönner Fritz, kam er flügelschlagend herbeigehüpft und krächzte: »Else, Else!« dann flog er in's Fenster und ließ sich von Fritz in den Halsfedern krauen.

»Wart', alter Herr,« sagte Fritz, »Du sollst auch eine Freude haben, ich werde Dir ein Stück Ochsenleber holen lassen.«

Jakob schien das zu verstehen, denn er nickte eifrig mit dem Kopf. Die Leber wurde gebracht, der Herr Subjekt zerschnitt sie eigenhändig und setzte sie dem Raben vor.

»Du warst der erste,« sagte er, »der mir bei meinem Eintritt in dies Haus ihren Namen nannte, weißt Du's noch, alter Schelm? Wenn sich meine Hoffnung erfüllt, dann sollst Du's gut haben, alle Tage Ochsenleber und Sonntags ein Stück Käse; hörst Du, Jakob?«

Jakob hielt sich an die Gegenwart und widmete der Ochsenleber seine ungetheilte Aufmerksamkeit

*

Unterdessen saß die alte Hanne in der Küche und gab der blonden Else allerlei gute Lehren und weise Rathschläge. Dann erzählte sie von ihrer Jugendliebe, und der Schürzenzipfel wurde wieder in Bewegung gesetzt. Else hörte geduldig zu und dachte dabei: »Nachmittags treffe ich ihn unter dem Hollunderbaum.«

Leider umzog sich bald der Himmel, und ein leichter, aber gleichmäßiger Regen senkte sich nieder.

Nach Tisch kam Bürgermeisters Käthe zu Besuch. Sie sprach viel von dem gestrigen Festspiel, von der Auszeichnung, die dem Magister Xylander zu Theil geworden, und von der Belohnung, die er erhalten werde. Dann lenkte sie die Rede auf den Subjekt. Alle Leute, selbst ihre Mutter sei seines Lobes voll, und es sei sehr leicht möglich, daß der Fürst etwas für ihn thun werde, wenn ihm nur einer die Sache an's Herz legte; dazu sei nun niemand geeigneter, als ihr Vater, der Bürgermeister, auf welchen Fritz Hederich einen außerordentlich günstigen Eindruck gemacht habe.

Else mußte den Wortschwall ihres Gespiels über sich ergehen lassen. Noch nie war ihr Käthe so lästig gewesen, als heute. Die alte Hanne kam mit einem ungeheuren, rothen Regenschirm unterm Arm und erklärte, eine Base besuchen zu wollen.

Käthe hatte nun erst recht Ursache, ihren Besuch zu verlängern, denn sie behauptete, es sei ihre Pflicht, Else Gesellschaft zu leisten und ihr die Zeit zu verkürzen.

Die Zeit schwand allerdings rasend schnell. Der Regen hatte aufgehört, und die Sonne schien wieder. Jetzt wäre der geeignetste Zeitpunkt gewesen, um eine Stunde mit dem Geliebten im Garten beisammen zu sein. Aber Käthe dachte nicht an's Fortgehen; unermüdlich schnurrte das Räderwerk ihres Mundes, und Else rang in der Verzweiflung unter der Schürze ihre kleinen Hände.

Endlich erinnerte sich Käthe, daß sie mit ihrer Mutter ausgehen solle, und verabschiedete sich. Mit erleichtertem Herzen gab ihr Else das Geleite und küßte sie unter der Hausthür mit solcher Inbrunst, daß ein Dritter geglaubt haben würde, hier nehme eine Schwester von der andern Abschied auf Nimmerwiedersehen.

Jetzt flog Else in den Garten und warf wieder ein paar Steinchen gegen das Fenster, hinter welchem Fritz Hederich in der Gesellschaft des Raben Jakob weilte.

»Ich komme, ich komme,« winkte Fritz, legte ein Scheit in das Feuer und eilte in den Garten.

Sie saßen auf der hölzernen Bank unter dem Hollunderbaum, er konnte freilich keine weißen Blüthen mehr auf ihre Häupter schütteln, denn er trug schwarze Beeren; auch sang der Ammerling nicht mehr, denn er hatte für fünf unmündige Gelbschnäbel zu sorgen. Einzelne vergilbte Blätter kreiselten zur Erde, aber Frühling war's doch in den Herzen der Beiden.

Ihr Kopf ruhte an seiner Brust, und er neigte sein Ohr, um ihre Herzschläge zu hören. Aus ihren schweren Flechten hatte sich eine Locke gelöst und flatterte im Wind; er wickelte sie um seine Finger und freute sich, wie sie sich schnellkräftig wieder loswand.

Alte Märchen zogen durch seinen Sinn; von der Königstochter mit dem goldenen Haar, die den armen Hirten liebte.

»Else,« sagte er leise, um sich zu vergewissern, daß er nicht träume. Und Else erhob ihre Augenlider und bot ihm den Mund. Nein, es war kein Traum! Er küßte ihre Lippen, und dann küßte er auch das kleine, braune Mal auf ihrer Schulter. Else schlang ihre Arme um seinen Hals und sah ihm in's Gesicht.

»Also so schaust Du aus, Deine Augen sind braun, das sehe ich erst jetzt, und hier auf der Wange hast Du eine Narbe.«

Sie fuhr mit dem Finger leicht darüber, und es durchschauerte ihn.

»Meine Else!«

»O, mein Geliebter!«

Hanne, alte verständige Hanne, wo bist Du?

Als sich die Liebenden satt geküßt hatten, erhoben sie sich von der Bank und lustwandelten im Garten Hand in Hand wie zwei kleine Kinder.

»Hier bei der Krauseminze war es, wo wir uns zum ersten Mal sprachen. Weißt Du's noch?«

Fritz riß einen blühenden Zweig ab und steckte ihn Else in's Haar.

Sie kamen an den alten Thurm, der in ein Gartenhäuschen umgewandelt war, und stiegen die Treppe hinauf.

Von dem Fenster aus sah man die Berge im Schmuck ihrer dunkelgrünen Tannenwälder. Der Regen hatte die Luft gereinigt, der Höhenzug war so nahe gerückt, daß man jede Erhebung, jeden Abhang erkennen konnte.

»Dort oben,« sagte Fritz, »steigt jetzt der Magister umher, weißt Du, Else, daß ich bei dem Gedanken an den Magister große Unruhe fühle? Wenn er heute Abend heim kommt, ich kann ihm nicht in's Auge sehen.«

»Laß den Magister, Fritz! – Sieh, wie hell dort drüben die Klosterruinen in der Sonne glänzen! Weißt Du, daß dort ein armes Gespenst haust? Nein? – Hast Du nie gehört, daß nach dem Glauben der Leute allnächtlich in der Geisterstunde ein verzauberter Mönch von den Klosterruinen in unsern Garten kommt und mit einer verwünschten Nonne spazieren geht?«

Fritz hatte wohl von einer Sage gehört, wußte aber nichts Näheres.

Else schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. »Die ganze Stadt kennt die Sage, und der Herr Subjekt, der seit Jahr und Tag in der Löwenapotheke wohnt, nicht! Ich habe die Geschichte von meiner Muhme gehört; sie hat in Deiner Stube gewohnt. – Ach Fritz, wenn die gute Muhme Ursula noch am Leben wäre, dann wären wir geborgen. Ich war noch ein kleines Mägdlein, als sie vom Schlag getroffen wurde, – es war am Dreikönigstag – aber ich habe darum ihr liebes, freundliches Gesicht nicht vergessen, und gar oft, wenn ich Abends meine Augen schließe, sehe ich die gute Muhme Ursula im hellen Glanz vor mir. Gott geb' ihr eine sanfte Ruh!«

Fritz Hederich beugte sich nieder und küßte Else auf die Stirn.

»Komm,« sagte er, »laß uns zurück zum Hollunderbaum gehen; dort sollst Du mir von Deiner Muhme erzählen und vom Mönch und der Nonne. Willst Du?«

»Gern Fritz, aber Du bist so gelehrt und klug, das sagen alle Leute, auch der Vater und der Magister. Kannst Du Gefallen an meiner Rede finden? Ich bin nur ein einfältiges –«

Fritz verschloß ihr den Mund mit einem Kuß.

Wieder saßen sie unter dem Hollunderbaum. Die Sonne war nicht mehr weit von den Bergen entfernt.

Hanne, alte Hanne, wo bleibst Du?

Else erzählte: »Jeden Nachmittag pflegte die Muhme in ihrer Postille zu lesen; sie war eine gar kluge Frau und konnte lesen und schreiben und rechnen, aber die Regula de tri kannte sie nicht. Dann mußte ich mich auf ein Bänklein neben sie setzen und durfte nicht mucksen, sonst zauste sie mich am Ohr.«

Fritz konnte sich nicht enthalten, Else geichfalls ein wenig am Ohrläppchen zu zausen.

»Das war keine angenehme Stunde für mich,« fuhr Else fort, »aber wenn sie ihre Predigt zu Ende gelesen hatte und den Spinnrocken vornahm, dann begann meine fröhliche Zeit. Stundenlang saß ich ihr gegenüber und horchte wie ein Mäuschen, wenn sie mir die wundersamen Mären von dem gehörnten Siegfried, von der schönen Magellone und den sieben Raben erzählte; auch schauerliche Sachen wußte sie in Menge, Hexen- und Gespenstergeschichten, vom Wärwolf, von feurigen Drachen und anderen Unholden. Gruselig war's anzuhören, aber doch ergötzlich! Kam dann aber unversehens der Vater, und das geschah meistens, wenn die Geschichte noch nicht beendet war, wenn ich auf den Schluß spannte, da verstummte die Muhme Ursula, und der Vater sprach mit gerunzelter Stirn: »Frau Muhme, Sie hat dem Kind doch keine Gespenstergeschichten erzählt? Ich leid's nicht, daß Sie dem Mägdlein den Kopf verdreht.« – Dann schlich ich mich leise hinaus, und oft hab' ich in kindischem Jammer über des Vaters Härte geweint, denn ich wußte nicht, wie gut er's meinte. Die Muhme Ursula also hat mir auch erzählt, was es für eine Bewandtniß mit dem Mönch und der Nonne hat, die im Garten spuken sollen. Unser Haus ist früher ein Nonnenkloster gewesen; das weißt Du doch?«

Fritz nickte.

»Da hat denn vor vielen, vielen Jahren einmal ein Edelfräulein den Schleier genommen, weil ihr Geliebter im Morgenlande von den Türken erschlagen worden war; so hatten nämlich die erzählt, die sich in die Heimath gerettet hatten. Der Ritter aber war nicht todt, sondern nur gefangen. Große Noth mußte er leiden bei den Türken, endlich nach drei langen Jahren machte er sich frei und kam zurück in's deutsche Land. So schnell ein Roß traben konnte, eilte er nach dem Schloß seines Fräuleins, aber o weh, sie war eine Nonne. Da band sich der Ritter den Helm ab, hing Schild und Schwert an die Wand und klopfte an die Pforte des Klosters, das dort am Berg stand. Sie nahmen ihn auf, und er wurde ein Mönch. So lebten denn Ritter und Fräulein als Klosterleute, und hiemit könnte schließlich die Geschichte zu Ende sein. Was nun kommt, ist grausig und schauerlich, und mich überläuft's, wenn ich daran denke. Beide vergaßen, was sie geschworen hatten; in nächtlicher Stunde schlich die Nonne aus ihrer Zelle, und von drüben herüber kam der Mönch und schwang sich über die Mauer. Hier im Garten trafen sie sich. Einmal nun geschah es, daß sie die Zeit vergaßen, sie kosten und küßten sich so lange, bis das Glöcklein zur Mette rief, bis die Klosterleute sie beisammen fanden. Da haben sie die arme Nonne im Kreuzgang lebendig begraben, und dem Mönch ist drüben im Kloster ein Gleiches geschehen. Nun erzählen sich die Leute, die beiden könnten keine Ruhe im Grabe finden, sie müßten allnächtlich wandeln von Mitternacht bis zum ersten Hahnenschrei. Es wollen sie manche selbander hier im Garten gesehen haben, der Wurzelpeter schwört Stein und Bein, daß er sie gesehen hat, und auch unsere Hanne glaubt an den Spuk. Ja, sogar der Magister, wenn er schon am Tage über den Aberglauben des Volkes lacht, würde sich bei Nacht um keinen Preis in den Garten wagen, trotz meines Vaters Spott und Schelten. – Ist die Geschichte nicht schauerlich, Fritz?«

»Gruselig, Else, aber das Märlein kann noch nicht zu Ende sein. Die armen Gespenster müssen doch nicht etwa bis zum jüngsten Tage umgehen? Es muß doch einmal die Erlösungsstunde für sie kommen. Hat denn Deine Muhme Ursula nichts darüber gesagt?«

Else verneinte.

»Gut, dann will ich Dir den Schluß erzählen. Der Mönch und die Nonne sind allerdings verdammt worden, allnächtlich zu wandeln, aber nur so lange, bis hier unter dem Hollunderbaum, wo sie ihr Gelübde brachen, zwei andere sich Treue schwören und den Bund für's Leben mit einander schließen. Wenn das geschehen ist, so gehen Mönch und Nonne ein zur ewigen Seligkeit und beten droben für das Heil derer, die sie erlöst haben. Und die beiden Liebenden werden glücklich, so glücklich, wie nur immer zwei Menschen auf Erden werden können.«

Else lachte, wie ein fröhliches Kind lacht. »Ja,« rief sie, »so muß die Geschichte enden. Wir haben die armen Geister erlöst, es ist nur schade, daß wir die Erlösung des Mönchs und der Nonne noch nicht in alle Welt verkündigen dürfen.«

Wieder küßten sie sich und schwuren sich Treue, und keins von beiden dachte daran, wie weit sie noch bis an's Ziel hatten. Die untergehende Sonne goß ihr rothes Licht auf die Kräuter im Garten, und die Zweige des Hollunderbaumes rauschten: »Geht, geht!« Aber Fritz und Else verstanden nicht die Sprache des alten, klugen Baumes, sie merkten nicht, wie die Stunden verschwanden, just ebenso wie vor Jahrhunderten Mönch und Nonne an derselben Stelle.

Hanne, alte Hanne, wo bleibst Du?

*

Jakob der Rabe hatte längst die Leber vertilgt und wollte zur besseren Verdauung der schweren Speise einen Spaziergang in den Garten unternehmen, fand aber die Thür und das Fenster verschlossen.

»Ja, so sind die Menschen,« murmelte er ingrimmig, »vorhin verspricht mir einer alles Mögliche, Ochsenleber und Käse, und jetzt ist er davongegangen und hat mich vergessen. O Menschen, Menschen!«

Hierauf suchte er seinen Sprachschatz hervor und rief zuerst laut und mahnend seinen eigenen Namen: »Jakob, Jakobi«

Alles blieb still. Dann krächzte er kläglich: »Else, Else!«

Armer Jakob, jetzt hat Else keine Zeit, an dich zu denken.

Endlich schrie er erbost: »Lump, Lump, Lump!«

Aber auch das verfing nicht. Dem Raben wurde Angst; wer weiß, wie lange er hier eingeschlossen zubringen muß. Das Bild einer Ohreule, die sich auf dem Bodenraum gefangen hatte und daselbst langsam verhungert war, trat vor seine Seele. Mit teuflischer Lust hatte er sich damals an den Qualen des armen Thiers geletzt, jetzt sah er sich von dem gleichen Schicksal bedroht.

Als umsichtiger Vogel trat er sofort eine Entdeckungsreise an, um etwas Eßbares zu finden, aber da sah's schlimm aus. Flaschen und Gläser gab's genug, aber der Inhalt derselben war nichts für einen Rabenschnabel. Der große Kolben auf dem Ofen, der mußte noch einer genauen Prüfung unterzogen werden; die rothe Flüssigkeit, die er enthielt, war vielleicht Rothwein, und Jakob kannte dies edle Getränk recht wohl. Er flatterte auf den Ofen und tauchte prüfend seinen Schnabel in die rothe Tinktur.

Pfui! Was war das für ein nichtswürdiges Gebräu! Jakob pustete und schüttelte sich, dann schlug er, ein rasender Roland, mit den Flügeln gegen den Kolben. Dieser wankte und fiel um, die Scherben klingelten, und die rothe Tinktur floß zischend über den Ofen und tropfte auf den Fußboden nieder.

Jakob betrachtete einigermaßen erschreckt den angerichteten Schaden. Es dämmerte in ihm auf, daß er ein Unglück angestiftet habe, und weil eben jetzt ein Geräusch an dem Thürschloß vernehmbar war, so verbarg er sich eilig hinter einem Haufen alter Flaschen.

Die Thür des Laboratoriums ging auf, und Herr Thomasius, der soeben zurückgekehrt war, steckte seinen Kopf herein.

»Fritz,« rief er, »was soll das heißen, daß Ihr den Schlüssel von außen stecken laßt?«

Jetzt merkte er, daß der Subjekt nicht zugegen sei. Ahnend flog sein Bick nach der Stelle, wo sonst der Kolben mit der werdenden Tinktur gestanden hatte, – dort lag ein Häuflein Scherben, und der letzte Rest der rothen Flüssigkeit verdampfte auf den erhitzten Steinplatten. Der Apotheker betastete mit zitternden Händen abwechselnd die Glasscherben und seine Stirn, und vor seinen Augen wurde es dunkel.

Es war ein großes Glück für den alten Mann, daß er in diesem Augenblick die Gruppe unter dem Hollunderbaum gewahrte. Die Entdeckung brachte seinen stockenden Lebenssaft wieder in Wallung und bewahrte ihn vor einem Schlagfluß. In aufloderndem Zorn stieß er einen Schrei aus, ballte die Fäuste und stürzte aus dem Laboratorium.

Kaum war er verschwunden, so kam Jakob, der Unglücksrabe, vorsichtig aus seinem Versteck hervor und strebte ängstlich hüpfend und flatternd der Thüre zu, um den Schauplatz seines verruchten Thuns zu verlassen und sein böses Gewissen in irgend einem Winkel des Hauses zu bergen.

*

Kühne Reisende, die sich in fernen Ländern mit allerlei wilden Bestien herumgeschlagen haben, versichern, es gebe nichts Fürchterlicheres, als das Trompeten eines gereizten Elephanten.

Aber das Wuthgebrüll einer ganzen Elephantenheerde, verstärkt durch einige Nashörner und Nilpferde, würde dem Pärlein unter dem Hollunderbaum sicherlich nicht einen solchen Schrecken eingejagt haben, wie das Schnauben, welches ihnen jetzt das Herannahen des wüthenden Apothekers verkündete.

Da kam er quer durch die Kohlpflanzungen der alten Hanne einher, und jetzt stand er mit zornsprühenden Augen und geschwollenen Stirnadern vor den ertappten Sündern.

»O Ihr, Ihr, Ihr –«

Mehr konnte der aufgeregte Mann zuerst nicht hervorbringen.

Else näherte sich ihrem Vater mit aufgehobenen Händen, wich aber zurück, als dieser drohend die Hand emporhob.

Fritz Hederich streckte schützend seinen Arm über die Geliebte und rief: »Hört mich, Herr Thomasius –«

»Schweig!« schrie dieser, »mit Dir ist das Unglück in mein Haus eingezogen. Drinnen liegt der Kolben, in dem die Tinktur zeitigte, in Scherben, nun willst Du mir auch noch mein Kind verderben? Fort, fort! Hinaus aus dem Haus, oder ich vergreife mich an Dir!«

»Herr Thomasius,« sagte Fritz mit flammenden Augen, »Ihr werdet Euch nicht an mir vergreifen. Aus dem Haus könnt Ihr mich weisen, das ist Euer Recht. Ich werde gehen, aber schonet meine Else!«

»Deine Else!« schrie der Apotheker wüthend.

»Ja, Vater,« sagte Else leise, »ich bin sein und will es bleiben in alle Ewigkeit.«

Der Apotheker stand sprachlos da ob dieser Kühnheit.

»Gut, Du ungeratenes Kind, geh mit ihm, – ich halte Dich nicht.«

Else stand todtenblaß vor ihrem Vater und blickte auf den Boden nieder.

»Geh, geh!« lachte Herr Thomasius ingrimmig.

»Vater,« sagte Else mit zitternder Stimme, »das kann Dein Ernst nicht sein; ich weiß, wie lieb Du mich hast – verzeih uns, Vater.«

»Mit diesem da,« erwiderte Herr Thomasius jetzt ruhiger, »habe ich nichts mehr zu schaffen, er geht noch in dieser Stunde. Ob ich Dir verzeihe, das wird von Dir selbst abhängen. – Entscheide Dich, willst Du bei mir bleiben und mein Kind sein, oder willst Du Deinen alten Vater verlassen und mit diesem da gehen?«

»Else wird bei Euch bleiben, Herr Thomasius,« sagte Fritz, »ich gehe allein. Leb' wohl Else, und denk' an mich, Du wirst doch mein. – Lebt wohl, Herr Thomasius, ich danke Euch für alles Gute, das Ihr an mir gethan habt, es ist mir herzlich leid, daß Euch durch meine Schuld ein Kummer bereitet worden ist.«

Er wandte sich und verließ den Garten.

Herr Thomasius winkte seiner Tochter und stieg mit ihr die Treppe hinauf. Oben öffnete er Elses Kammer und sagte:

»Hier bleibst Du so lange, bis ich Beweise habe, daß Du andern Sinnes geworden bist.«

Dann drückte er die Thür zu, zog den Schlüssel ab und steckte ihn in seine Tasche.

Kurze Zeit darauf verließ Fritz Hederich mit seinem Bündel das Haus. Der Apotheker hatte ihm seinen Lohn bis zum nächsten Termin durch den Lehrling auf seine Stube bringen lassen. Er schritt aufrechten Ganges aus dem Thor; trotz der Niederlage, die er erlitten, war's ihm zu Muth wie einem Sieger. Else, das wußte er, liebte ihn, – nun komm, Schicksal!

Der Löwe, der noch immer auf Vergoldung harrte, sah in dem Abenddunkel doppelt düster aus. Fritz Hederich strich ihm über den Rücken und sagte:

»Alter Geselle, wir sehen uns wieder; dann scheint die Sonne, dann soll auch Dein Fell wieder vergoldet werden, wenn auch nicht mit Gold aus dem Schmelztiegel des Alten.«

Er stieg die Treppe hinunter. Da kamen zwei Männer die Straße herab; der eine war offenbar der Magister, den andern kannte er nicht. Er wollte ein Zusammentreffen mit ersterem vermeiden und trat deshalb in den Schatten. Die beiden Männer blieben vor der Apotheke stehen und schüttelten sich die Hände.

»Gute Nacht, Herr Graf!« schrie der Magister mit überlauter Stimme, so daß einige neugierige Nachbarn die Köpfe aus den Fenstern steckten, und trennte sich von seinem Begleiter.

Dieser ging mit großen Schritten dem unteren Thor zu. Fritz Hederich folgte ihm, denn das Wirthshaus zur Goldenen Gans, wo Fritz vorläufig Quartier nehmen wollte, lag dicht vor dem Thor.


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