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Fünftes Kapitel.
Unter dem Hollunderbaum.

Das Gebäude, welches den goldenen Löwen im Zeichen führte, war ehemals ein Kloster gewesen, und man erzählte sich von demselben schauerliche Geschichten. Man wollte eingemauerte Gerippe gefunden haben, man munkelte von einem langen, unterirdischen Gang, der sich bis zu den Trümmern eines andern, entlegenen Klosters erstrecken sollte, und von vergrabenen Schätzen. Es ging auch im Lande die Sage von einem Mönch und einer Nonne, die wegen eines begangenen Frevels keine Ruhe im Grabe finden könnten und nächtlicher Weile in dem ehemaligen Kloster spukten.

Auch zu Fritz Hederich war die Sage gedrungen, die alte Hanne aber, die ihm sonst über jedes Ding bereitwillig Auskunft ertheilte, gab ausweichende Antworten, wenn der Subjekt auf den Klosterspuk die Rede brachte.

An das Haus stieß ein großer Garten, der sich bis an die alte Stadtmauer erstreckte. Diese hatte Herr Thomasius theilweise abtragen lassen und mit Epheu bepflanzt. Ein alter, zerfallener Thurm war zu einem Gartenhäuschen umgestaltet worden, aus dessen Fenstern man eine herrliche Aussicht nach den Bergen genoß. Den größten Theil des Gartens nahmen Gemüsebeete ein, welche unter der Obhut der alten Hanne standen, auf einem abgegrenzten Raum kultivirte der Apotheker Arzneipflanzen.

Als es Frühling geworden war, hatte sich Fritz Hederich, der etwas von der Gärtnerei verstand, mit Vergnügen der Arbeit unterzogen, diesen Theil des Gartens in Stand zu halten. Wenn er nicht in der Offizin oder im Laboratorium beschäftigt war, so begab er sich in den Garten und pflegte die heilsamen und die Giftkräuter mit gleicher Liebe. Die Bewegung in der freien Luft und der Duft der frischen Erde thaten ihm gut und verliehen seinen Gliedern wieder die ehemalige Geschmeidigkeit.

Eines Tages, als Fritz Hederich die Erde um einen Busch auflockerte, hörte er plötzlich einen dumpfen Knall, das Fenster des geheimen Laboratoriums fiel in Scherben in den Garten, und aus dem Innern drang schwarzer Qualm.

Fritz war mit ein paar Sätzen im Haus und eilte nach der Thür des Laboratoriums. Diese wurde eben von Innen aufgestoßen, und auf der Schwelle stand, angethan mit einem langen, rothen Talar, Herr Thomasius, starr und steif wie das zur Salzsäule verwandelte Weib des Erzvaters. Zerschmetterte Kolben und Flaschen lagen auf dem Estrich, und zwischen den Trümmern floß eine brennende Substanz.

Der Baccalaureus sprang schnell herzu und ergriff eine Tischdecke, mit der es ihm gelang, die Flamme zu dämpfen.

Herr Thomasius war noch stumm vor Schreck; willenlos ließ er sich von seinem Subjekt den rothen Mantel ausziehen und sich ins Freie führen. Fritz eilte noch einmal in das Laboratorium zurück, um sich zu vergewissern, daß kein glimmender Funke zurückgeblieben sei. Die Flamme war völlig erstickt, und durch das zerbrochene Fenster entflohen die letzten Rauchwolken. Er verschloß die Thür und kehrte zu dem Apotheker zurück, der bleich und gebrochen auf einer Bank im Garten saß. Mechanisch nahm er den Schlüssel des Laboratoriums und nickte nur mit dem Kopf, als ihn Fritz fragte, ob er zu seiner Stärkung Wein begehre.

Als Fritz mit dem Weinkrug zurückkam, hatte sich der Apotheker etwas erholt, er trank und brach dann in heftige Klagen aus:

»Nun war alles vergebens, nun muß ich das Werk wieder von neuem beginnen, all' die Mühe war umsonst, umsonst!« – »Habt Ihr die Thür verschlossen?« unterbrach er sich plötzlich.

»Freilich, und ich habe Euch bereits den Schlüssel gegeben.«

»Richtig, richtig. Ach Fritz, das ist ein harter Schlag für mich. Ihr seht mich verdutzt an und könnet nicht begreifen, daß ich wegen der paar Gläser jammere, aber wenn Ihr wüßtet –! Kommt, begleitet mich hinein, wir wollen sehen, wie es drinnen aussieht!«

Sie gingen nach dem Laboratorium.

»Ein Glück ist's nur,« sagte Herr Thomasius, »daß weder die Hanne noch meine Else etwas gemerkt hat, wenn ich jetzt zu all' dem Unglück auch noch das Weibergewinsel und das neugierige Gefrage anhören müßte! Ihr seid ein verständiger Mensch, habt Geistesgegenwart, thut, was zu thun ist, und fragt nicht wie, wo, warum.«

Man trat in das Laboratorium, und der Apotheker betrachtete jammernd den Schaden. Fritz Hederich ließ seine Augen umhergehen, es war hier nicht anders als in jedem Laboratorium, nur sah er mehrere alte Codices, von denen einer mit einer schweren Kette geschlossen war. Der Apotheker räumte zusammen und ließ es geschehen, daß ihm der Subjekt half.

»Glücklicher Weise,« sagte er, »hat das Feuer meinen Büchern und Schriften nicht geschadet. Es ist kein Unglück so groß, daß es nicht noch größer hätte sein können. Hier ist jetzt nichts mehr zu thun, ich muß eben wieder von vorn anfangen. Laßt uns gehen.«

Draußen vor der Thür blieb Herr Thomasius noch einmal stehen, faßte seinen Subjekt beim Rockknopf und drehte denselben hin und her.

»Weil Ihr durch das Unglück gewissermaßen mein Vertrauter geworden seid,« sagte er, »so will ich Euch heute Abend, nein, besser morgen früh, sagen, was ich hier laborirt habe, und welche Hoffnung mir zu Schanden geworden ist. Übrigens glaube ich, habe ich in der Verwirrung vergessen, Euch zu danken; das thue ich hiermit, und von heute an zahle ich Euch pro Quartal drei Gulden mehr und gebe Euch die Permission, an zwei Wochentagen des Abends nach sechs Uhr auszugehen.«

Das, was Herr Thomasius am folgenden Tag seinem Subjekt mittheilte, war sozusagen ein Stadtgeheimniß. Nicht nur die Bewohner der Löwenapotheke, sondern die ganze Stadt wußte, daß Herr Thomasius viel, viel Geld ausgab, um die Tinktur zu entdecken, mit der man unedle Metalle in edle verwandeln könne. Da er aber geflissentlich jedes Gespräch über seine geheimen Arbeiten vermied, und da man wußte, wie übel er neugierige Fragen aufnahm, so hütete man sich wohl, in seiner Gegenwart an die Heimlichkeiten zu rühren.

»Seht, Fritz,« sagte der Apotheker zu seinem Subjekt, als sie beisammen in dem geheimen Laboratorium saßen, dessen Fenster vom Glaser bereits wieder geflickt waren; »seht, es ist mir nicht um's Gold zu thun – ich habe Gott sei Dank genug, um meiner Else eine reiche Aussteuer geben zu können, – sondern um die Entdeckung selbst. Daß es eine Tinktur giebt, oder vielmehr zwei, eine weiße, welche Silber, und eine rothe, die Gold erzeugt, fällt niemandem ein, in Abrede zu stellen.«

Fritz Hederich nickte zustimmend.

»Der Bischof Albertus Magnus, der große Rocher Baco von Engelland und Theophrastus Bombastus Paracelsus haben die Tinktur gekannt und über deren Bereitung Andeutungen hinterlassen. Leider aber sind dieselben so dunkel, daß nur Männer, die unter gewissen siderischen Einflüssen stehen, in den Sinn der geheimnißvollen Formen einzudringen vermögen. Ob ich zu diesen Auserwählten gehöre, weiß ich nicht.«

Herr Thomasius ließ den Kopf hängen und schwieg eine Weile.

»Als ich ein junger Gesell war wie Ihr,« fuhr er fort, »bin ich weit in der Welt herumgekommen, ich war sogar in Wien. Dort blüht die Alchymie wie nirgends im Reich, und mehrere Kaiser haben die Adepten mit großen Ehren überhäuft. Ich selbst bin fast ein Jahr lang Schüler des hochberühmten Meisters Richthauser gewesen, den Kaiser Ferdinandus nachmals zum Freiherrn von Chaos gemacht hat. Das war einer von denen, welche unter glücklichen Zeichen geboren sind. Ich hab' es mit meinen Augen gesehen, wie er Gold, lichtes, gelbes Gold, aus seinem Schmelztiegel gezogen hat. Viel habe ich beim Meister Richthauser gelernt, aber das, worauf es ankommt, das große Magisterium, hat er sorgfältig gehütet, daß ich's nicht zu ergründen vermochte. Ich habe dann Wien verlassen müssen, wie mein Vater seliger sich zur Ruhe setzen wollte, und ich die Apotheke übernehmen mußte. Einem andern aber ist es gelungen, hinter das Geheimnis des Meisters Richthauser zu kommen, und das läßt mir keine Ruhe.«

Herr Thomasius schloß einen Schrein auf, nahm ein Goldstück hervor und zeigte es dem Baccalaureus. Es war ein Dukaten von feinstem Gold und trug die Aufschrift:

»Durch Wenzel Seilers Macht
Bin ich von Zinn zu Gold gebracht.«

Fritz Hederich blickte staunend bald auf das Goldstück, bald auf den Apotheker. Dieser nickte mit dem Kopf und sprach mit wehmüthiger Stimme:

»Und diesen Wenzel Seiler hab' ich gekannt. Er war Gehilfe beim Richthauser, aber täppisch und ungeschickt und zu nichts zu brauchen, als zur Feuerwacht. Und doch hat er das große Magisterium gefunden, und ich plage mich seit Jahren, und wenn ich denke, jetzt hab' ich's bei allen vier Zipfeln, so ereignet sich irgend ein unglücklicher Zufall. Einmal, als alles im besten Zug war, und die Mixtur schon wie Purpur schimmerte, ließ ich vor Freude die Phiole auf den Boden fallen. Ein andermal tropfte mir Ruß in den Kolben, und gestern – doch Ihr wißt ja, was gestern geschah. – Ich werde nun wieder von vorn beginnen und morgen schon will ich nach Ammerstadt reisen, um das Nöthige einzukaufen. Ihr aber, Fritz, sollt von nun an mein Gehilfe bei der Arbeit sein. Ich will Euch alles lehren, was ich von dem Magisterium weiß, damit, wenn ich plötzlich von hinnen gerufen werde, das mühsam Errungene nicht verloren gehe, sondern jemand das Werk fortsetzen kann. Vielleicht auch seid Ihr glücklicher als ich und findet das Geheimniß. Habt Ihr Euch schon einmal das Horoskop stellen lassen? Nicht? Das müßt Ihr thun, sobald Ihr Gelegenheit habt, denn, wie gesagt, es hängt viel von den planetischen Einflüssen ab, unter denen der Adept steht. – Jetzt wißt Ihr meine Heimlichkeit, nun seid klug und haltet reinen Mund. Vor allem aber sagt dem Magister kein Sterbenswörtchen, er wäre im Stande, die Geschichte in Verse zu bringen.«

Fritz Hederich versprach, stumm wie ein Fisch zu sein. »Morgen also fahre ich nach Ammerstadt,« endigte der Apotheker. »Habt fein Acht in der Offizin! Den Magister habe ich schon gebeten, ein Auge auf das Hauswesen zu haben. Und nun geht an Eure Arbeit!«

Am andern Morgen bei guter Stunde hielt ein Kaleschlein vor der Löwenapotheke. Bald trat Herr Thomasius reisefertig aus der Thür, geleitet von allen Hausbewohnern. Er gab seiner Tochter einen Kuß, reichte den Übrigen der Reihe nach die Hand und stieg in die Kutsche. Von seinem Sitz aus ermahnte er die Zurückbleibenden noch einmal, auf das Haus sorgsam Acht zu geben, dann zogen die Pferde an, und fort ging's dem Thore zu.

Der Magister wurde zwei Zoll größer, als der Wagen um die Ecke gerollt war, nun war er der Hausherr.

»Ich begebe mich jetzunder in das Lyceum,« sagte er mit einer Feldherrnmiene zur alten Hanne, »wenn ich nach Hause komme, so hoffe ich alles in der gehörigen Ordnung zu finden. Und Ihr, Jungfer Else, thut mir den Gefallen und guckt nicht so viel zum Fenster hinaus, Ihr wißt, daß Euer Vater das nicht leiden kann.«

Else wurde roth vor Ärger über des Magisters anmaßende Rede, aber sie konnte im Augenblick kein passendes Wort der Entgegnung finden; nicht so die schlagfertige Hanne. Sie stemmte die Arme in die Seite und sah den Sprecher mit zornfunkelnden Augen an.

»Herr Magister,« sprach sie, »es fällt mir nicht ein, meine Nase in Eure Angelegenheiten zu stecken, macht Ihr in Eurem Lyceum und in Eurer Studirstube, was Ihr wollt, meinetwegen schlagt Purzelbäume, aber laßt mich ungeschoren. Ich bin länger als zwanzig Jahre hier im Haus und weiß, was ich zu thun habe. Geht in Euer Lyceum, und wenn Ihr nach Haus kommt, so wird wie sonst die Suppe auf dem Tisch stehen ohne Euer Zuthun. Und was die Else angeht, die ist kein kleines Kind mehr, das zum Fenster hinausfallen könnte, und wenn sie jemanden nöthig hätte, der auf sie Acht giebt, so wäre ich da, ich, die Jungfer Hanne Storchschnabelin. – Komm, Else!«

Die alte Hanne ging mit Else die Treppe hinauf. – Der Magister reichte dem Subjekt die Hand zum Abschied und sagte:

»Sie ist eine gute Person, aber eine Zunge hat sie, wie des weisen Sokrates Ehehälfte. – Auf Wiedersehen!«

Else hatte sich eigentlich vorgenommen, in Abwesenheit des Vaters das Weißzeug einer Musterung zu unterziehen, aber jetzt unterließ sie das und schaute den ganzen Vormittag zum Fenster hinaus, nur um zu zeigen, wie wenig sie sich aus des Magisters Mahnung machte, und als dieser gegen Mittag nach Hause kam, sah er schon von weitem den blonden Kopf seiner Hausgenossin am offenen Fenster. Er unterließ es jedoch, irgend eine Bemerkung laut werden zu lassen, denn die alte Hanne sah aus wie eine in Kriegsbereitschaft gesetzte Festung und schien nur auf eine Gelegenheit zu warten, ihr grobes Geschütz spielen zu lassen.

Nachmittags, als der Magister wieder in's Lyceum gegangen war, setzte Else ihre Beschäftigung vom Vormittag fort, aber bald ward ihr das Zumfensterhinaussehen langweilig, denn auf der Straße war's still und öde. Sie ging in ihre nach dem Garten zu gelegene Kammer und setzte sich dort mit dem Nähzeug an das offene Fenster.

Die Luft war rein und lind. Der Hollunderbaum drunten im Garten schickte ganze Wolken von Duft empor, und im Gezweig sang der Goldammer:

»Mädel, Mädel, wie blüht's!«

Es dauerte nicht lange, so erklang vom Apfelbaum im Nachbargarten leise zirpende Antwort. Der Ammerling sang lauter, brünstiger, und plötzlich schwirrte das Ammerfräulein herüber zum Ammerling. Da saßen nun die beiden gelben Vögel auf dem Blüthenzweig und schnäbelten sich und zwitscherten, als ob's keine Katzen auf der Welt gebe.

Else seufzte, sie wußte selber nicht warum, sie ließ die Hände, die das Nähzeug hielten, in den Schooß sinken und blickte hinaus nach den Wolken, die langsam den blauen Bergen zuschwebten.

Warum fiel ihr jetzt der Magister ein? Sie wollte nicht an ihn denken, aber es war unmöglich. Sie zählte von eins bis hundert und wieder rückwärts – vergebens. Im Grund war sie dem Magister nicht gram, sie wußte, daß der Vater große Stücke auf ihn hielt, und daß er's gut mit ihr meine, aber jetzt war eine Stimmung über sie gekommen, in welche der Gedanke an den Magister störend eingriff. Sie nahm sich vor, ihm morgen sein Leibgericht, Beitzfleisch mit Kraut zu kochen, und hoffte, er werde nun so gefällig sein, ihre Gedanken nicht mehr zu durchkreuzen, aber immer wieder, wie ein unter das Wasser gedrücktes Stück Korkholz, tauchte das Bild des Magisters mit seinem süßlichen Lächeln vor ihr auf.

Sie legte die Arbeit weg und sang das Lied, welches die Mädchen seit der Erschaffung der Welt in allen Zungen singen:

»Wär' ich ein Vögelein,
Wollt' ich bald bei dir sein.«

Aber sie wußte nicht, bei wem sie gern sein wollte, nur daß es der Magister Xylander nicht war, das wußte sie. Da war sie mit ihrem Gedankengang wieder beim Magister angekommen. Ärgerlich setzte sie sich von neuem mit ihrer Handarbeit an das Fenster. Da ging die Thür, welche aus dem Haus in den Garten führte, auf, und heraus schritt der Subjekt Fritz Hederich, um sich an seine Gartenarbeit zu begeben.

Und da kam Else auf andere Gedanken.

Wie der Subjekt jetzt heraus in's Freie trat, sah er ganz anders aus als gewöhnlich, wenn er in der Offizin stand oder schweigsam bei Tisch saß. Er trug den Kopf aufrecht und schüttelte die Haare zurück, wie ein junger Löwe, sagte Else bei sich, aber sie hatte noch nie einen jungen Löwen gesehen. Und nun nahm er die beiden Gießkannen und füllte sie am Brunnen. Else wußte, wie schwer sie waren. Sie selber konnte mit beiden Händen kaum eine emporheben, und der Magister, der ihr früher einmal im Garten geholfen, hatte geächzt und gekeucht, als er eine Gießkanne eine Strecke tragen mußte; Fritz Hederich hob beide empor und trug sie fort, als wären's zwei Federn.

»Wie stark er ist!« sagte Else halblaut, »und wie gut er gewachsen ist!«

Aber gleich daraus verzog sie den Mund. »Meinetwegen mag er sein wie der Simson, oder der gehörnte Siegfried, was kümmert's mich!«

Else nähte eifrig.

»Dort hinten sitzt er bei seinen Blumen und thut, als ob nichts weiter auf der Welt wäre als die dummen Kräuter. Da ist mir der Magister doch zehnmal lieber. – Oho, Herr Subjekt, wenn er denkt, ich schaue nach ihm aus, so irrt er sich sehr. Nein, so eine Einbildung!«

»Au,« schrie Else auf; sie hatte sich mit der Nadel gestochen. Aus dem weißen Finger quoll ein purpurrother Tropfen. Jetzt war's aus mit dem Nähen, sie packte zusammen, und wenige Minuten später war sie unten im Garten.

Fritz Hederich wühlte mit beiden Händen in der Erde wie ein Maulwurf. Da fiel ein Schatten vor ihm auf das Beet, und als er aufschaute, sah er der blonden Else ins Gesicht. Er erhob sich und wünschte guten Tag.

»Schön Dank, Herr Fritz,« entgegnete Else, und dann waren beide still.

Fritz Hederich blickte zum Himmel empor, räusperte sich und bemerkte, es sei heute ein schöner Tag.

Else hob gleichfalls ihre blauen Augen zu den Wolken empor und bestätigte die Wahrnehmung des Herrn Subjekt. Dann trat wieder eine Pause ein.

»Aber am Abend können wir einen Regen bekommen,« hub Fritz von neuem wieder an, »dort drüben kommt eine Wolke, die bedenklich ausschaut, und auch der Laubfrosch sitzt schon seit ein Uhr unten im Wasser.«

»Sagt einmal, Herr Fritz, so ein Laubfrosch muß doch ein erschrecklich kluges Thier sein! Meint Ihr nicht? Woher in aller Welt weiß der Wicht, daß es regnen wird?«

Fritz Hederich zuckte die Achseln. »Wer kann das sagen?«

»Ich will einmal den Magister fragen, das ist ein grundgelehrter Mann, der weiß alles.«

»So,« entgegnete der Baccalaureus, den dieses Lob ärgerte, »dann fragt ihn doch auch gleich, warum sich die Zaunwinde schließt, wenn das Wetter umschlägt.«

»Thut das die Winde?« fragte Else und beugte sich nieder, um die Blumen zu betrachten. »Das ist merkwürdig. Ihr habt wohl die Blumen sehr lieb, Herr Fritz?«

»Ich habe sie lieb,« entgegnete dieser, »denn etwas muß der Mensch lieb haben. Und glaubt mir, Jungfer Else, wenn man genau auf das Leben der Kräuter Acht giebt, so entdeckt man jeden Tag etwas Neues. Da giebt's Heimlichkeiten, die kein Mensch ergründen kann, Euer Magister auch nicht. Hier steht zum Beispiel die Krausemünze und dicht daneben das Bilsenkraut; beide haben denselben Boden und denselben Sonnenschein, und doch ist jene ein heilendes Kraut, und diese enthält ein scharfes Gift. Woher kommt das? – Es ist just so bei den Menschen. Eine Mutter hat zwei Söhne, beide wachsen unter gleicher Pflege auf, der eine wird ein rechtschaffener Mann, der andere ein Thunichtgut. Wer davon die Ursache ergründen könnte!«

Else betrachtete den Baccalaureus mit großen Augen. Wer hätte das hinter dem Subjekt vermuthet, der ihr immer geschienen hatte, als könne er nicht drei zählen. Er sprach ja fast so schön wie der Magister, nein, noch viel schöner, denn der war zuweilen unverständlich, aber was der Subjekt gesprochen hatte, das kam ihr vor, als ob sie's selber gedacht hätte.

»Ihr seid wohl sehr gelehrt?« fragte sie mit schüchterner Stimme.

»Nein, Jungfer Else, so arg ist's nicht, aber ich hätte mit Gottes Hilfe vielleicht ein tüchtiger Gelehrter werden können, wenn mich das Unglück nicht ereilt hätte.«

Else wurde neugierig. Der Vater hatte ihr zwar gleich am ersten Tage, als Fritz Hederich in's Haus gekommen war, streng untersagt, den neuen Subjekt nach seiner Vergangenheit zu befragen, und sie hatte bis jetzt das väterliche Gebot nicht zu übertreten gewagt. Jetzt aber, da Fritz Hederich selber von seinem Schicksal zu sprechen anfing, war es doch am Ende natürlich, daß sie sagte:

»Ihr müßt viel erlebt haben, Herr Fritz!«

»Das weiß der Himmel!« entgegnete dieser mit einem Seufzer, »Gutes und Schlimmes, aber mehr des letzteren.«

»Wißt Ihr,« sagte Else mit lachendem Mund, »daß die alte Hanne Euch anfangs für einen verwünschten Prinzen oder etwas Ähnliches gehalten hat?«

Fritz Hederich lächelte. »Nein, mein Vater war kein König, er war Pastor. Ich erinnere mich nur dunkel seiner, denn ich war noch ein kleines Kind, als meine Eltern starben.«

»So sind Eure beiden Eltern todt?« fragte Else.

»Sie starben an der Pest. Ich war fünf Jahre alt, als das große Sterben in unser Dorf kam. Zuerst legte sich der Vater; am Abend war er todt, und in derselben Nacht starben meine zwei Geschwister. Ich sah das alles mit an und wußte nicht, was es zu bedeuten hatte. Am andern Morgen rief mich meine Mutter an ihr Bett und sprach mit schwacher Stimme: Fritz, sagte sie, stecke dir ein Stück Brot in den Sack und lauf hinüber zum Vetter Gabriel. Ich freute mich über das Geheiß meiner Mutter, wollte ihr um den Hals fallen und sie küssen. Sie aber wehrte mich von sich ab und sprach: Lauf, lauf, als ob's hinter dir brenne. Und da lief ich denn zum Haus hinaus und durch das Dorf. Kein Mensch war auf der Straße, die Hausthüren waren verschlossen, und die Hunde heulten. Mir ward's unheimlich, und ich eilte, was ich konnte. Der Vetter Gabriel wohnte in einem benachbarten Dorfe und war Schulmeister. Er nahm mich liebreich auf und behielt mich bei sich. Meine Mutter hab ich nimmer wieder gesehen; sie ist gestorben und mit den andern begraben worden.«

Fritz Hederich schwieg. Else blickte ihn mit feuchten Augen an.

»Ihr habt Eure Mutter doch wenigstens gekannt, ich aber die meinige gleich bei meiner Geburt verloren, das ist noch viel schlimmer.«

Fritz sah Else treuherzig an und reichte ihr die Hand; da er sich aber besann, daß seine Hand voll Erde war, so zog er sie wieder zurück.

»Gebt mir nur die Hand, Herr Fritz,« sagte Else, »das bischen Erde schadet nichts.« Und da schüttelten sie sich die Hände wie alte Kriegskameraden.

Dann sprang Fritz Hederich fort und holte eine Gießkanne voll Wasser. Else tauchte zuerst ihre kleine Hand hinein und nachher der Herr Subjekt, und weil sie keine Handzwele hatte, so schwenkte Else die Hände in der Luft umher, daß die Wassertropfen dem Herrn Subjekt in's Gesicht flogen, und dazu lachte sie hell wie ein übermüthiges Kind. Endlich waren die Hände trocken.

»Wollt Ihr mir nicht mehr von Euren Schicksalen erzählen?« fragte Else.

»Gern,« erwiderte Fritz, »es thut mir gut, mich einmal aussprechen zu können, doch glaube ich kaum, daß Ihr groß Behagen an meiner Geschichte finden werdet.«

»Doch, doch,« sagte Else eifrig, »kommt, wir wollen uns dort auf die Bank setzen, da ist mehr Schatten als hier.«

Unter dem Hollunderbaum stand eine Bank, nur roh zusammengefügt, und gerade für zwei Personen groß genug. Dort saß nun Else neben Fritz Hederich, und letzterer erzählte, wie ihn sein Pflegevater, der Vetter Gabriel, in die Stadt auf die lateinische Schule gebracht habe, damit er das werde, was der Vetter selbst vergebens angestrebt habe, nämlich ein Gelehrter. Später sei der Vetter gestorben, zuvor aber habe er ihm sein väterliches Erbtheil, das er getreulich verwaltet, eingehändigt; es sei just genug gewesen, um die Hochschule beziehen zu können. Und nun erzählte Fritz von seinem Leben in der Universitätsstadt, von den hochberühmten Professoren daselbst und von den lustigen Schwänken der Studenten.

»Fast drei Jahre lang, man nennt das auf lateinisch Triennium,« fuhr Fritz fort, »habe ich in Zechstädt die Medizinerei studirt; ich war schon Baccalaureus und wollte nächstens disputiren, um den Doktorhut zu erlangen, da brach auf einmal alles zusammen.«

Der Baccalaureus hielt inne und heftete den Blick auf den Boden.

»Wenn Ihr nicht gern von Euren weiteren Erlebnissen sprecht, so will ich nicht in Euch dringen,« sagte Else und wollte sich erheben. Fritz Hederich bat sie zu bleiben.

»Es wird mir leichter um's Herz, wenn ich einmal frei heraussprechen kann,« sagte er. »Jungfer Else, ich will Euch alles haarklein beichten, und dann sollt Ihr sagen, ob mein Vergehen in Euren Augen so gar groß ist.«

Der kleine blondhaarige Beichtvater rückte verlegen hin und her. Der Subjekt sprach so feierlich, die Sache schien eine ernste Wendung nehmen zu wollen. Wär's nicht am End' besser, das Gespräch abzubrechen? Wer weiß, wer weiß, welch ein Ungeheuer der Fritz ist! Else erinnerte sich an die Bruchstücke, die sie damals, als Fritz mit ihrem Vater sprach, erhorcht hatte, und es überlief sie kalt. Aber die Neugier siegte, Else blieb sitzen und ließ sich herbei, des Subjekts Beichte zu hören.

»Ich hatt' einen Kameraden,« erzählte Fritz, »das war ein sonderbarer Kumpan. Ihn freute nicht der Wein, nicht Lustbarkeit und Gesang. Nur unter alten gebräunten und verstäubten Pergamenten war's ihm wohl. So saß er tagelang, nächtelang und mühte sich, Geheimnisse zu ergründen, an die nicht gut rühren ist. Ich machte ihm Vorstellungen, wollte ihn mit Gewalt hinaus in's lustige Leben führen – vergebens. Er blieb dabei, daß keine Erdenfreude ihn entschädigen könne für das geheime Entzücken, welches er empfinde, wenn sich vor seinem Blick der Vorhang hebe, der das Sichtbare vom Unsichtbaren trenne. Der, sagte er, habe die höchste Stufe der Gelehrsamkeit erreicht, der es verstünde, sich die geheimen Kräfte dienstbar zu machen, der es vermöchte, die Geister zu bannen.«

Else schauderte.

Der Baccalaureus fuhr fort: »Ich selbst wurde neugierig, und mein Freund ließ sich willig finden, mich zu belehren. Oft saßen wir bis nach Mitternacht bei der Lampe und suchten die magischen Zeichen des Höllenzwanges zu entziffern, oft auch versuchten wir es, einen Geist zu beschwören, aber es erschien keiner.

Da kam ein fahrender Schüler von Königsberg nach Zechstädt, mit dem mein Freund bald vertraut wurde. Der fremde Student ließ bald merken, daß er einen tiefen Blick in die Geheimnisse der Natur gethan habe und unterwies uns in der Magie. Dafür gaben wir ihm Zehrung und Obdach. Wir hatten ihn oft gebeten, eine Beschwörung vorzunehmen, und er hatte es uns auch zugesagt, aber er verschob das Werk immer von einem Tage zum andern. Endlich sagte er uns die Nacht an, in der die Citation vor sich gehen sollte.

Es war eine ruhige, dunkle Frühlingsnacht, als wir uns zu dem geheimen Ding anschickten. Fenster und Thüren wurden wohl verwahrt. Der Königsberger zog Kreise auf den Fußboden und schrieb magische Zeichen hinein. Wir saßen in dem innersten Kreis, vor uns standen drei brennende Lichter und ein Becken mit glühenden Kohlen. Der fremde Student ertheilte uns noch allerlei Verhaltungsmaßregeln, namentlich schärfte er uns ein, keinen Laut von uns zu geben, und dann begann die Beschwörung.

Er warf Räucherwerk und Kräuter auf die Kohlen, und als der trübgelbe Dampf aufwirbelte, sprach er ein Gebet. Hierauf nahm er ein Buch zur Hand und las mit murmelnder Stimme die Formeln. Er las lange, die Stube verfinsterte sich durch den Dampf der Kohlen, und die Lichtflammen erschienen nur noch wie dunkelrothe Punkte. Mir war's, als ob ich ein fernes Singen und Klingen hörte, und in dem aufsteigenden Rauch vermeinte ich sonderbare Gestalten zu sehen. Das Klingen und Rauschen nahm zu, eine furchtbare Angst kam plötzlich über mich, ich wollte aufspringen, aber da vergingen mir die Sinne.«

»Hu, das ist schauerlich,« sagte Else und betrachtete den Erzähler mit furchtsamem Blick.

»Als ich wieder zu mir kam,« fuhr der Baccalaureus fort, »lag ich im Bett, und viele Leute waren um mich beschäftigt. Man bestürmte mich mit Fragen, aber der Kopf war mir schwer wie Blei, ich konnte mich auf nichts besinnen. Nach und nach erinnerte ich mich des Geschehenen, und nun erfuhr ich, daß man mich und meine zwei Kameraden am Morgen, der auf jene Nacht folgte, leblos auf dem Boden liegend gefunden hatte. Der Königsberger war und blieb todt, meinen Freund und mich hatte man wieder in's Leben zurückgerufen, aber nur ich genas, mein armer Kamerad gab nach wenigen Stunden seinen Geist auf.

Kaum war ich wieder soweit hergestellt, um gehen und stehen zu können, so kam das Gericht, und ich wurde in's Gefängniß geführt. Mein Freund hatte vor seinem Tod alles, was er wußte, bekannt, möglicherweise hatte er in der Todesangst auch mehr bekannt, als er wußte, – kurzum die Herren vom Konsistorio rückten mir stark zu Leib. Ich sollte gestehen, daß wir mit dem Teufel im Bund gewesen seien. Es hieß nämlich in der Stadt, der Teufel habe dem Königsberger Studenten den Hals umgedreht, und der Schreck habe uns, den beiden andern Beschwörern, die Besinnung geraubt. Es gab freilich Männer, namentlich unter den Professoren der Medizin, die der Ansicht waren, das Unglück sei durch den Dampf des Kohlenbeckens verursacht worden, und dasselbe sagt auch Euer Vater, aber ihre Stimme drang nicht durch. Die Herren von der Geistlichkeit und vom Gericht ließen sich's nicht nehmen, daß der Böse seine Hand im Spiele gehabt habe, und ließen mit Inquiriren nicht nach. Natürlicherweise wollte und konnte ich nicht das bekennen, um was es ihnen zu thun war; da ward mir denn die peinliche Frage angekündigt und alles zur Tortur hergerichtet.«

Else bebte, und ihre Augen füllten sich mit Thränen.

»In der letzten Nacht, ich werde die Nacht nie vergessen, als ich verzweifelnd in meinem Gefängniß auf und nieder ging, klirrten plötzlich die Riegel an meiner Thür. Sie sprang auf, und herein traten mehrere meiner Freunde. Um mich vor dem schrecklichen Schicksal zu bewahren, hatten sie den Wärter bestochen und kamen jetzt, um mich hinaus in die Freiheit zu führen. Ich lief noch in derselben Nacht der Grenze zu, erst gegen Morgen, als ich mich bereits tief im Gebirge befand, gönnte ich mir einige Rast.«

Fritz Hederich machte eine Pause und blickte Else an. Diese saß da mit gesenkten Augen und vermied es, den Sprecher anzusehen.

Weiter erzählte der Baccalaureus, wie er auf seiner Flucht den fahrenden Medikus im Walde getroffen habe, und wie er dessen Gesell geworden sei. Von dem schönen Zigeunermädchen, die ihn bethört hatte, schwieg er, vermuthlich weil er sich jener Begebenheit nicht mehr erinnerte. Er berichtete, wie er mit dem Marktschreier im Land herumgezogen sei, und wie elend er sich in dieser Lage gefühlt habe; wie er endlich nach Finkenburg gekommen sei, und wie ihm Else's Vater die rettende Hand gereicht habe.

»Nun kennt Ihr mein Leben,« schloß Fritz, »und wißt, was mich drückt, und wenn Ihr Euch jetzt von mir abwendet, so will ich's Euch nicht verübeln.«

»Nein, Herr Fritz,« sagte Else, »das werde ich nicht; mein Vater hat Euch als Gehilfen angenommen und Euch sein Vertrauen geschenkt – der weiß, was er thut. Es will mich wohl bedünken, als hättet Ihr ein freventlich Spiel getrieben mit Eurer Beschwörung, aber Ihr habt Euer Fehl schwer gebüßt, und Eure Schuld ist wohl schon lange getilgt.«

Fritz bückte sich nieder, ergriff die Hand der Jungfrau, die ihn freigesprochen, und küßte sie.

Else entzog sie ihm rasch und wurde glühend roth. Wenn das jemand gesehen hätte! Sie ließ geschwind ihre Augen über die Fenster des Hauses schweifen, aber da war kein Mensch zu sehen, nicht einmal Jakob, der Rabe.

Fritz Hederich war mit seiner Geschichte zu Ende, und die beiden Leutchen hätten sich füglich trennen können. Sie blieben aber unter dem Baum sitzen und schauten wieder auf den Sand zu ihren Füßen.

»Jetzt,« hub Else wieder an, »kann ich mir Eure Schweigsamkeit erklären. Seht, Herr Fritz, ich war Euch anfangs, als Ihr in's Haus kamt, fast gram, weil Ihr immer stumm waret wie ein Fisch, und ich dachte, aber gelt, Ihr nehmt mir's nicht übel, ich dachte, Ihr müßtet hier (sie tippte mit dem Zeigefinger auf die Stirn) nicht gut beschlagen sein. Jetzt weiß ich, was Euch den Mund verschlossen hat und bitt' Euch herzlich das Unrecht ab, das ich Euch gethan.«

»Ihr habt mir nichts abzubitten,« entgegnete Fritz. »Das Unglück hat mich arg mitgenommen. Ehemals war ich ein lustiger Gesell, gewandt in der Rede und darum wohlgelitten. Jetzt bin ich ein stiller Mann, dem die Ruhe im Hause Eures Vaters und die stetige Arbeit wohlthut. Ich möchte nicht wieder hinaus in das Treiben der Menschen; hier möchte ich am liebsten meine Tage beschließen.«

»Armer Junge,« sagte Else bei sich, und laut setzte sie hinzu: »Ihr werdet auch wieder lustig und guter Dinge werden, gebt nur Acht. Jetzt ist die Erinnerung an die böse Zeit, die Ihr durchlebt habt, noch zu neu in Euch, laßt noch ein Jahr vergehen, und Ihr denkt nicht mehr an Euer Unglück. Ich habe einmal eine Cyperkatze gehabt so lieb, so lieb! Sie war schneeweiß und zierlich wie eine Prinzessin. Wie sie gestorben ist, hab' ich geweint und hab' nicht geglaubt, je wieder froh werden zu können, und nach acht Tagen war ich wieder so lustig wie zuvor. So wird's Euch auch gehen.«

Fritz Hederich lachte herzlich.

»Seht, Ihr könnt schon lachen, das ist gut. Kennt Ihr die Geschichte von der Prinzessin, die nicht lachen konnte? Nicht? Die will ich Euch erzählen. Aber ich bin wohl recht einfältig, daß ich solches Zeug schwatze?«

Fritz versicherte hoch und theuer, daß er sich an der gelehrtesten Rede seiner ehemaligen Professoren nicht so erbaut habe als an Else's holdem Geplauder.

Und so schwatzte denn Else weiter. Sie erzählte von ihrer Kindheit, von der verstorbenen Muhme Ursula, von der Cyperkatze und vom Magister Xylander. Fritz Hederich hörte aufmerksam zu, als ob ihm das Evangelium gepredigt werde, und sah der blonden Else in die Augen und freute sich, wenn ihre kleinen weißen Zähne beim Sprechen zum Vorschein kamen.

Else sagte, daß der Magister ein sehr braver Mann sei, daß sie ihn aber eigentlich nicht leiden könne, und daß ihr das leid thue, und daß sie froh sei, einmal jemanden gefunden zu haben, mit dem man ein vernünftiges Wort sprechen könne. Und der Herr Subjekt möchte um's Himmels willen nicht glauben, daß sie ihn seiner Vergangenheit wegen gering achte, im Gegentheil, sie schätze ihn sehr hoch, und wenn er ihr Bruder wäre, so könnte sie nicht mehr Antheil an ihm nehmen. Sie habe zwar nie einen Bruder gehabt, aber wenn sie einen hätte, so möchte sie nicht, daß er anders sei als der Herr Subjekt, nur etwas lustiger.

Und nachdem sie das gesagt hatte, so glaubte Fritz Hederich, auch nicht länger schweigen zu dürfen und pries der Jungfer Else Tugend und Häuslichkeit und gedachte rühmend ihrer Kochkunst und ihrer Fertigkeit mit Nadel und Spindel. Dann kam er auf ihr süßes Geplauder zu sprechen und endlich auf ihr seidenschimmerndes Haar, ihre blauen Augen.

Else saß still und blickte zur Erde nieder. Sie ließ es geschehen, daß Fritz ihre Hand in die seinige nahm und sie streichelte.

Droben im Hollunderbaum rauschte es, weiße Blättchen rieselten nieder, und auf dem Zweig sang der Goldammerling:

»Mädel, Mädel, wie blüht's!»

Else fühlte ihr Herz geschwinder klopfen, sie wollte Fritz ansehen, aber sie vermochte ihre Augen nicht bis zu seinen Augen emporzuheben, und doch wußte sie, daß sein Blick auf ihr ruhe.

»Else,« sagte Fritz Hederich leise.

Es durchschauerte sie, wie er ihren Namen nannte, sie hob ihren gesenkten Kopf, und vier Augen, zwei braune und zwei blaue, trafen sich.

»O Du –,« stammelte Else. Da knarrte das Thor des Hauses, und in den Garten trat der Magister.

Schnell fuhren die Beiden auseinander. Fritz bückte sich behende zur Erde nieder und betrachtete mit Eifer Augentrost und Ehrenpreis. Else ging mit klopfendem Herzen dem Magister entgegen und bot ihm mit möglichst freundlicher Stimme guten Abend, eilte aber schnell an ihm vorüber und athmete erst wieder auf, als sie die Hausthür hinter sich hatte.

Froh gestimmt über Else's freundlichen Gruß, schritt der Magister weiter und fand den Subjekt bei den Arzneigewächsen. Er wühlte in der Erde, summte dazu und war so in seine Arbeit vertieft, daß er des Magisters Kommen überhörte. Als dieser ihn anrief, fuhr er wie erschreckt empor und mußte sich gefallen lassen, daß der Magister ihn wegen seiner Schreckhaftigkeit hänselte.


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