Freiherr von Schlicht (Wolf Graf von Baudissin)
Die Kriegsurlauber
Freiherr von Schlicht (Wolf Graf von Baudissin)

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IV.

Wenn Herr von Hohenebra an dem Stammtisch Hans Arnim erzählte, die junge Dame, die er bisher geliebt, habe nicht das Leiseste davon bemerkt, wie er im stillen über sie dachte, und wenn er dann andeutete, er könne jederzeit den Rückzug antreten und sich einer anderen Dame widmen, so war er von der Wahrheit dessen, was er sagte, felsenfest überzeugt. In Wirklichkeit aber verhielt sich die Sache wesentlich anders, denn Kitty, um die es sich handelte, hatte es längst sehr deutlich bemerkt, wie es um ihn stand. Gewiß, der schöne Hugo war ihr mit keinem Wort zu nahe getreten, sein Mund hatte keine Silbe gesprochen, die nicht jeder andere hätte mit anhören können, aber umso deutlicher hatte Kitty aus seinen schönen träumerischen, schwermütigen Augen herausgelesen, wie er über sie dachte. Und wenn er ihr gegenüber trotzdem schwieg, dann erklärte sie sich das ganz einfach dahin, daß er die Zeit noch nicht für gekommen hielt, um ernstlich um sie zu werben. Als Soldat hielt er den Augenblick für einen Sturmangriff wohl noch zu früh, und wenn sie sein Zögern auch nicht recht verstand, so war sie ihm auf der anderen Seite doch dankbar, daß er ihr dadurch Zeit ließ, sich daraufhin zu prüfen, ob die 120 Gefühle, die sie für ihn empfand, wirklich die der echten wahren Liebe seien. Kitty hatte sich gleich bei der ersten Begegnung in ihn verliebt. Ihr gefiel seine große, stattliche Figur und sein hübsches Gesicht. Auch sie fand seine Stirn etwas zu niedrig und auch sie hatte es bald heraus, daß er nicht der Allerklügste war, aber du großer Gott, das war doch kein Grund, einen Menschen nicht zu lieben, wenn man ihn sonst liebte. Und sie liebte ihn, wenigstens hatte sie sich in sein Äußeres verliebt, am meisten aber in seinen wirklich auffallend hübschen Mund mit dem kurzen dichten schwarzen Schnurrbart, unter dem zwei Reihen blendend weißer Zähne hervorleuchteten. Kitty war durchaus kein übertrieben sinnliches oder sonst irgendwie veranlagtes junges Mädchen, aber sie konnte sich nicht helfen, wenn sie an diesen Mund dachte und sich zuweilen vorstellte, von dem einmal geküßt zu werden, dann durchströmte ein liebes, süßes, ihr bisher völlig unbekanntes Gefühl ihren Körper, so daß sie die Augen schloß und vor sich hin träumte. Noch manches andere kam hinzu, das den Entschluß in ihr wach werden ließ, den oder keinen anderen zu heiraten. Es reizte sie, daß er Kavallerieoffizier war und in einer mittelgroßen Residenzstadt in Garnison stand. Kitty hatte immer für die Kavallerie geschwärmt, für die Infanterie hatte sie nie viel übrig. Hätte sie einen Infanterieleutnant heiraten wollen, dann hätte sie das schon längst gekonnt, denn die Offiziere des Bataillons, das in Friedenszeiten hier in der Stadt lag, hatten sich alle in sie verliebt und so ernstlich wie nur möglich um sie geworben. Mehr als einmal war der eine oder der andere dicht daran gewesen, sich ihr zu erklären, aber im letzten Augenblick 121 war es ihr immer noch gelungen, ihr und dem anderen die peinliche Szene zu ersparen. Nicht, als ob sie nicht einige der Offiziere ganz gern gehabt hätte, aber trotzdem, einen Infanterieleutnant wollte sie nicht. Sie wünschte sich einen Mann, der schon durch seine Uniform eine glänzende Erscheinung bot, und sie dachte sich das Leben in einem Kavallerieregiment auch für die Offiziersdamen viel freier und ungebundener. Da dachte man in mancher Hinsicht sicher nicht so kleinlich und nicht so kommissig. Auch die Gesellschaften waren, schon weil die Offiziere sich finanziell besser standen, sicher anders, als diese Kommißpeccos bei der Infanterie. Dazu kam Kittys Vorliebe für den Sport. Wenn der Vater aus übertriebener Liebe und Ängstlichkeit für sein Kind es auch nicht erlaubte, daß sie ritt und sich dadurch der Gefahr eines Sturzes aussetzte, später, als die Frau eines Kavalleristen, war es doch ganz selbstverständlich, daß sie das Reiten lernte. Ach, wie schön würde das sein, wenn sie dann mit ihrem Mann spazieren ritt, oder sich mit den anderen Damen des Regiments an dem Jagdreiten beteiligte. Es war gar nicht auszudenken, wie schön das sein würde. Mindestens zwei Reitpferde wollte sie sich halten und, wenn möglich, auch noch einen eigenen kleinen Kutschierwagen mit zwei hübschen Juckern. Ihr Vater war ja reich, der würde ihr schon eine sehr hohe Mitgift geben, und Herr von Hohenebra sollte ja erst recht reich sein, das wußte sie aus gelegentlichen Äußerungen, die der Vater hatte fallen lassen, und wenn der als vorsichtiger Geschäftsmann schon einen Menschen für reich erklärte, sogar für außerordentlich reich, dann mußte schon sehr viel dahinter 122 sein. Und es schmeichelte ihr auch, daß der Kürassier sie lediglich um ihrer selbst willen zu lieben schien, daß der sich ganz sicher noch nicht ein einzigesmal gefragt hatte, was sie ihm wohl an Geld mit in die Ehe brächte.

Vor allem aber lockte es sie, daß Herr von Hohenebra als Garnison eine hübsche Residenz hatte. Der Herzog war sogar der Chef des Regiments. Da kamen nicht nur die Offiziere, sondern auch deren Damen zu Hofe, und das reizte sie sehr. An und für sich pflegten solche Hofgesellschaften ja wohl eigentlich nicht allzu amüsant zu sein, aber schon das Bewußtsein, bei Hofe zu verkehren, mit zu der Hofgesellschaft zu gehören, war doch etwas sehr Schönes.

Alles sprach dafür, daß sie sich mit Herrn von Hohenebra verlobte, und wenn der trotzdem das entscheidende Wort noch nicht sagte und wenn sie ihn noch nicht ermuntert hatte, das zu tun, so dachte er darüber wohl genau so, wie sie selbst. Die Sache eilte nicht, verloben würden sie sich todsicher miteinander, und ob das nun heute oder morgen geschah, war ja schließlich ziemlich gleichgültig. Und je näher man sich nicht nur vor der Ehe, sondern auch vor der Verlobung kennen lernte, desto besser war es für alle Teile. Kitty hatte mit dem Verloben Zeit, sie konnte warten, das umso mehr, da sie seiner absolut sicher zu sein glaubte. Eher ging die Welt nach ihrer Meinung unter, ehe er sich in eine andere verliebte. Dafür hatten seine Blicke ihr denn doch zuviel verraten und noch mehr verschwiegen, und ehe sie ihrem hübschen Kürassier, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde und wenn auch nur in Gedanken untreu wurde, eher geschah sonst etwas.

123 Und es geschah ja auch wirklich etwas: ihre Begegnung mit dem maßlos frechen Infanterieoberleutnant Hans Arnim von Kühnhausen.

Als sie den in dem Wagen ihrer Tante neben ihrem Auto halten sah, als sie schon nach dem Geschirr gleich wußte: das also ist der Kriegsurlauber, den meine Tante bei sich im Hause erwartet, da hatte sie sich den unwillkürlich etwas genauer angesehen und sich im stillen gesagt: ein hübscher Mensch, wenn auch nicht annähernd so hübsch wie der Kürassier, aber trotzdem, wenn überhaupt einer, dann könnte der dir vielleicht doch noch gefährlich werden.

Und als er sie dann mit seinen verdrehten und verliebten Augen ansah, da wußte sie, daß er es darauf anlegen würde, ihre Gunst zu erringen.

Zuerst war sie über seine Keckheit wirklich empört gewesen. Ja, wenn er sie zu Hause oder in einem geschlossenen Raume so angesehen hätte, dann würde sie sich das vielleicht, aber auch nur vielleicht haben gefallen lassen, aber hier auf offener Straße – unglaublich! Nur ein Glück, daß nicht zufälligerweise einer ihrer Bekannten vorüber ging und diesen Blick von ihm auffing. Was hätten die von ihr denken sollen, die würden doch unfehlbar geglaubt haben, sie hätte ihn zu einem solchen Blick gereizt.

Kitty war im ersten Augenblick tatsächlich so empört gewesen, daß sie allen Ernstes daran dachte, sich bei dem Vater ihrer Freundin Viki, dem Garnisonältesten, über das Benehmen dieses Herrn von Kühnhausen zu beschweren, aber dann hatte es sie gelockt und gereizt, ihn selbst zu bestrafen. Die Keckheit. die er ihr gegenüber bewies, sollte er ihr büßen. Und wenn er genug gebüßt hatte, wenn er sich aus Liebe zu ihr nicht mehr lassen konnte, dann verlobte sie sich sofort mit dem Kürassier.

Sie freute sich schon heute auf das Gesicht, das Herr von Kühnhausen dann machen würde, denn im Gesichterschneiden war er ja groß. Und sie gestand sich offen ein, daß er auch sonst nicht unnett war. Seine frische natürliche Art gefiel ihr, ebenso sein Humor, der zuweilen zum Durchbruch kam, und ebenso gefiel ihr die wenigstens bisher originelle Art, in der er ihr den Hof machte. Sicher war er amüsanter, klüger und lustiger als der Kürassier, aber trotzdem war es natürlich vollständig ausgeschlossen, daß sie sich jemals in ihn verlieben würde. Die Sache konnte ihm wohl passen, aber daraus wurde nichts, unter gar keinen Umständen.

Das stand bei ihr schon fest, als sie mit den Eltern nach Berlin fuhr, und als sie dort eine jungverheiratete Pensionsfreundin besuchte, mit der sie früher in der französischen Schweiz zusammen gewesen war, da wurde sie in diesem Beschluß noch bestärkt, denn nachdem die Freundin sich bei ihr erkundigt hatte, wie es nun mit ihrem kleinen Herzen aussähe und als sie dann ernsthaft von dem Kürassier und lachend und belustigt von dem Infanteristen erzählte, da rief die ihr zu: »Kitty, wenn du auf den Rat einer alten Frau hören willst und ich bin eine alte Frau geworden, obgleich ich kaum ein Jahr verheiratet bin, dann nimm von deinen beiden Bewerbern denjenigen, der dir jetzt als der langweiligste erscheint,« und erklärend hatte sie hinzugesetzt: »Wir Frauen verändern uns in der Ehe sicher sehr oft zu unserem Nachteil, die Männer aber tun das immer. Mein 125 Mann ist dafür der beste, fast hätte ich gesagt, der schlechteste Beweis. Ich wollte ihn ja auch eigentlich gar nicht heiraten, aber er verstand es, so lustig um mich zu werben, er ersann sich immer neue Dinge, um mich für ihn einzunehmen, er tat alles, was er konnte, damit ich ihn lustig, liebenswürdig, voll Humor und Gott weiß was sonst noch alles fände, nur damit ich endlich ja sage und nun, da ich es tat, ist er der langweiligste Peter geworden, den es gibt. Und wenn ich ihm manchmal sage: »Aber Carl Otto, du warst doch früher ganz anders,« dann gibt er mir zur Antwort: »Ja, liebes Kind, da hatte ich dich eben noch nicht und du hast es mir so schwer gemacht, dich einzufangen, daß du dich nichts darüber wundern darfst, wenn ich mich bei der Gelegenheit für längere Zeit geistig verausgabte.« Und deshalb, Kitty, höre auf mich, heirate unter allen Umständen deinen Kürassier. Der verstellt sich dir gegenüber wenigstens nicht, der zeigt dir schon jetzt seine wahre Natur, der täuscht dir keine Kenntnisse und keine geistigen Fähigkeiten vor, die er auf die Dauer doch nicht besitzt.«

Eigentlich fand Kitty diese lange Rede der Freundin ziemlich überflüssig, denn sie dachte doch gar nicht darauf einen anderen als den Kürassier zu heiraten, aber trotzdem war sie der Freundin für die Warnung dankbar und so nahm sie sich vor, Herrn von Kühnhausen bei ihrer Rückkehr noch deutlicher als bisher zu verstehen zu geben, daß sie niemals, unter gar keinen Umständen, wie er es hoffte, seine Frau werden würde.

Und schon, um ihm das klipp und klar erklären zu können, sehnte sie mit einer gewissen Ungeduld den Tag ihrer 126 Rückkehr herbei, aber ihr Aufenthalt in Berlin zog sich doch länger hin, als sie geglaubt hatte. Die Geschäfte des Vaters wickelten sich langsamer ab, als der anfänglich vermutete, und so vergingen fast vierzehn Tage, ehe sie mit den Eltern die Rückreise antrat. Und als sie dann zum erstenmal wieder den Tennisplatz aufsuchte, harrte ihrer dort eine große Überraschung. Der Kürassier schien auf dem besten Wege zu sein, ihr untreu zu werden. Es fiel ihr schon bei der Begrüßung mit ihm auf, daß er sie etwas anders als sonst ansah, und als sie den Grund hierfür zu erfahren sich bemühte, da glaubte sie ganz deutlich zu merken, daß seine Blicke, die bisher ihr verraten hatten: »Ach, dürfte ich dir doch sagen, wie ich dich liebe und wie schön und wie begehrenswert ich dich finde,« da merkte sie, daß diese Blicke nun einer anderen galten und zwar Fräulein von Greusen, die von einer Schar junger Offiziere umgeben war und die sich nach allen Regeln der Kunst den Hof machen ließ.

Kitty traute zuerst ihren Augen nicht, dann aber wurde die Eifersucht in ihr wach, bis sie sich doch eingestand, daß zu der gar keine Veranlassung vorläge. Gewiß war auch Maria Elisabeth eine Schönheit, aber auch sie war sich ihres äußeren Wertes bewußt, ganz abgesehen davon, daß sie als die reiche Tochter ihres reichen Vaters doch in jeder Hinsicht eine bessere Partie war als Maria Elisabeth, und wenn der Kürassier der nun etwas den Hof machte, dann geschah das lediglich, um sie selbst eifersüchtig zu machen, um sie dafür zu bestrafen, daß sie ihn bisher so wenig ermutigte, aus seiner Reserve herauszutreten. Nach wie vor würde es ihr nur ein Wort kosten und er lag zu ihren Füßen. Aber nun 127 sollte er noch länger warten als bisher, ehe sie das Wort aussprach, das sollte seine Strafe sein. Und der Gedanke daran, nun auch den, wenn auch in ganz anderer Art als Herrn von Kühnhausen, etwas necken, foppen und quälen zu können, machte ihr im stillen viel Vergnügen, so daß sie schnell ihre gute Laune wiederfand, ja, daß sie sich im Interesse von Maria Elisabeth sogar aufrichtig darüber freute, daß zu den Courmachern, die sie umgaben, auch der Kürassier gehörte.

Aber was war inzwischen mit Fräulein von Greusen vorgegangen? Welche Veranlassung hatte die dahin gebracht, daß auch die nun flirtete und sich den Hof machen ließ, während sie bisher jedem harmlosen Flirt abhold gewesen war?

Das mußte sie sobald wie möglich erfahren, aber gerade, als sie sich mit einer Frage deshalb an sie wenden wollte, erschien auf dem Tennisplatz Herr von Kühnhausen, nach dem sie sich bisher vergebens umgesehen hatte. Und sie sah es ihm schon von weitem an, als er nun mit möglichst schnellen Schritten auf sie zueilte, der war in den beiden letzten Wochen, die sie ihn nicht sah, entschieden hübscher geworden, er hatte eine viel bessere Gesichtsfarbe bekommen, er war von der Sonne verbrannt und gebräunt und hatte sich bei der guten Pflege im Hause ihrer Tante sichtlich erholt und gestärkt.

Und wie er sich freute, sie wiederzusehen! Seine Augen leuchteten und lachten. Das war ja beinahe rührend, aber wenn er glaubte, daß ihm das etwas helfen würde, dann irrte er sich sehr, nein, sie blieb ihrem Kürassier treu, und wenn der sich wirklich etwas in Maria Elisabeth verliebt 128 hatte, dann würde sie sich ihn schon zurückzuerobern verstehen.

Endlich stand Hans Arnim, der auf dem Wege zu ihr ein paarmal aufgehalten worden war und, wenn auch nur widerwillig, Rede und Antwort hatte stehen müssen, vor ihr, um ihr gleich darauf zuzurufen: »Sie sind also endlich wieder da, gnädiges Fräulein, und noch dazu so überraschend und so plötzlich? Warum haben Sie mir denn nicht geschrieben, oder telegraphiert, oder telefoniert: ›Hans Arnim, ich kehre zurück, alle Ihre Sünden sind Ihnen vergeben.‹ Na, die Hauptsache ist und bleibt, daß Sie wieder da sind, gnädiges Fräulein. Sie glauben ja gar nicht, wie ich mich nach Ihnen sehnte, ganz krank bin ich gewesen.«

»Danach sehen Sie auch gerade aus«, neckte sie ihn.

»Sie meinen, weil ich inzwischen braune Backen bekommen habe?« verteidigte er sich. »Sie glauben, das hätten die Sonne und die gute Luft hier getan? Da irren Sie sich aber sehr. Ich habe aus Sehnsucht nach Ihnen eines Tages in Flammen gestanden, und als ich das Feuer dann löschte, war es teilweise zu spät, das Gesicht war und blieb verbrannt. Aber das schadet ja nichts, wenn Sie nur wieder hier sind, um hoffentlich jetzt auch hier zu bleiben.«

»Ja, das tue ich, das muß ich sogar,« entschlüpfte es ihr unwillkürlich, denn sie dachte daran, daß sie das Terrain, das sie anscheinend hier verloren hatte, sehr schnell zurückerobern wollte.

»Der Himmel segne Sie für diesen Entschluß,« dankte er ihr herzlich, bis er nach einer kleinen Pause fragte: »Und Sie haben sich inzwischen gar nicht nach mir gesehnt, 129 gnädiges Fräulein, wie Sie mir das beim Abschied versprachen?«

»Nein, wirklich nicht, Herr von Kühnhausen,« gab sie zur Antwort, und er hörte aus ihren Worten deutlich hervor, daß sie die Wahrheit sprach.

Ganz geknickt sank er in sich zusammen und stützte sich noch schwerer als sonst auf den Stock, bis er jetzt fragte: »Und mitgebracht haben Sie mir aus Berlin auch nichts, gnädiges Fräulein, nicht mal die geringste Kleinigkeit, ein Zigarrenetui mit Ihrem Namenszug, oder im silbernen Rahmen Ihr Bild, mit eigenhändiger Unterschrift: »Mit bestem Dank für treues Gedenken.« Nicht mal das?«

»Nicht mal das, Herr von Kühnhausen,« neckte sie ihn abermals.

»Da bin ich denn aber doch ein besserer Mensch,« schalt er sie anscheinend ganz ernsthaft aus, »denn ich habe die Zeit Ihrer Abwesenheit benutzt, um mich für Sie photographieren zu lassen und zwar gleich viermal.«

»Für mich?« fragte sie ganz erstaunt. »Und gleich viermal?« bis sie dann lustig hinzusetzte: »Warum nicht noch öfter?«

»Weil das einfach nicht ging, gnädiges Fräulein,« gab er zur Antwort. »Kopf, Brust, Knie und ganze Figur, mehr schöne Körperteile vermag ich nicht aufzuweisen, aber wenn Sie später auch Wert auf ein Rückenbild von mir legen sollten –«

Kitty lachte fröhlich auf: »Was soll ich denn nur mit all den Bildern anfangen, ich hätte nicht mal für eins Verwendung.«

130 »Das sagen Sie heute, gnädiges Fräulein,« warf er ein, »aber warten Sie es nur ab, der Tag wird schon noch kommen, an dem Sie selbst an diesen vier oder fünf Bildern von mir nicht genug haben, an dem sie immer noch mehr zu erhalten wünschen werden.«

»Na, auch den Tag kann ich abwarten,« widersprach sie belustigt, »im übrigen werden auch Sie sehr bald darüber anders denken, denn ich habe mir in Berlin fest vorgenommen, Ihre Strafe noch zu verschärfen. Sie müssen mir noch viel mehr den Hof machen, als bisher hier auf dem Tennisplatz, Sie müssen auch im Hause meiner Eltern baldigst Ihren Besuch machen, damit wir Sie zu uns einladen können und damit Sie da, wenn Sie an einer wirklich festlich geschmückten Tafel neben mir sitzen, sich noch mehr begeistern, als Sie es letzthin taten, als wir dort auf jener Bank unser Diner doch nur in Gedanken einnahmen.«

»Auf den Besuch im Hause Ihrer Eltern sollen Sie ganz bestimmt nicht länger als vierundzwanzig Stunden zu warten brauchen,« pflichtete er ihr lebhaft bei, um sie gleich darauf zu fragen: »Könnten Sie es nicht vielleicht einrichten, daß ich ganz in das Haus Ihrer Eltern übersiedle, daß die mich nun als Kurgast und als Rekonvaleszenten bei sich aufnähmen? Da wäre ich doch beständig in Ihrer nächsten Nähe und das würde mir meine Tätigkeit Ihnen gegenüber ganz bedeutend erleichtern. Allerdings ist es fast eine Sünde, so zu sprechen, denn Ihre Frau Tante ist von einer so rührenden Güte gegen mich und im Verein mit Fräulein von Greusen sorgt sie derartig für mich, daß ich wirklich oft nicht weiß, wodurch ich auch nur die Hälfte von dem, was man mir Gutes tut, verdient habe.«

131 »Da bleiben Sie also nur ruhig da, wo Sie sind, ganz abgesehen davon, daß es Ihnen mit den Worten, zu uns überzusiedeln, doch nur ein Scherz war.«

»Das schon,« stimmte er ihr bei, »denn das dürfte ich Ihrer Frau Tante gar nicht antun, daß ich ihr Haus verlasse, und ich glaube, auch Fräulein von Greusen würde mir ernstlich böse werden, wenn ich ihr die Gelegenheit nähme, für mich zu sorgen.«

Während Hans Arnim mit Kitty plauderte, hatte diese ein paarmal wie zufällig nach der Gruppe hinübergesehen, in der Fräulein von Greusen mit einigen anderen jungen Damen stand und sich von den verschiedenen Leutnants den Hof machen ließ. Jetzt erklang dort plötzlich ein helles frohes Lachen, aus dem Kitty die Stimme Fräulein von Greusens deutlich heraushörte, und so fragte sie denn jetzt: »Sagen Sie mir nur eins, Herr von Kühnhausen, ich habe Sie ja zwar selbst darum gebeten, aber trotzdem, wie haben Sie nur das Kunststück fertig gebracht, daß Fräulein von Greusen jetzt wieder flirtet, daß sie lacht und fröhlich ist?«

Hans Arnim nahm unwillkürlich die Mütze ab und strich sich mit dem Taschentuch über die Stirn, dann meinte er: »Gnädiges Fräulein, durch Ihre Frage erinnern Sie mich an den schwersten Tag meines Lebens. Wenn ich an den zurückdenke, schwitze ich in der Erinnerung einen Wasserfall nach dem anderen aus meiner Stirn heraus, denn Fräulein von Greusen zur Vernunft zu bringen, war tatsächlich eine Schweine-, pardon, ich wollte natürlich sagen, eine Sauarbeit. Ich hatte erst Erfolg, als ich an ihr patriotisches Gewissen appellierte. Ich habe ihr klar gemacht, das 132 Vaterland erwarte es ganz einfach von ihr, daß auch sie für die hiesigen Verwundeten und kranken Offiziere täte, was in ihren Kräften stände. Ich habe ihr erklärt: ›Die Kriegsurlauber wünschen mit Ihnen zu flirten, Fräulein von Greusen, da müssen Sie auch deren Wunsch erfüllen, ebenso wie es die anderen jungen Damen hier in der Stadt tun.‹ Na, da hat Fräulein von Greusen denn endlich nach und nach klein beigegeben, allerdings mit allerlei Einschränkungen. Nicht ein einzelner darf mit ihr flirten, sondern nur immer gleich mehrere zusammen, damit die Sache auch wirklich harmlos bliebe. Auch kommt Fräulein von Greusen nicht jeden Tag hier heraus, sondern nur so oft ihre Zeit es erlaubt,« und er schloß mit den Worten: »Ich glaube wirklich, gnädiges Fräulein, da habe ich nicht nur für Fräulein von Greusen, sondern auch für die Kameraden ein gutes Werk getan. Allerdings hat man das ja von Anfang an von mir erwartet, als man mir das Amt des ersten Vorsitzenden dieses schönen Klubs übertrug.«

Kitty blickte ganz erstaunt auf: »Sie sind jetzt unser Präsident? Ja, warum ist denn das Herr von Hohenebra nicht mehr?«

»Vielleicht, weil es ihm auf die Dauer zu langweilig wurde, immer nur dekorativ wirken zu sollen,« gab Hans Arnim zur Antwort, »vielleicht aber auch aus einem anderen Grunde, der darin besteht, daß er, wie er mir eingestand, seine Zeit als Kriegsurlauber benutzen will, um eine Arbeit zu vollenden, die ihn schon lange im stillen beschäftigt. Er hat eine Erfindung gemacht, von der ich persönlich allerdings nicht viel verstehe. Er hat sich mit seinem 133 Kavalleristenschädel einen Sattel ausgeklügelt, der es auch dem schlechtesten Reiter ganz unmöglich machen soll, sein Pferd zu drücken. Das will er nun theoretisch in einer Denkschrift beweisen, gleichzeitig aber will er seine Erfindung hier von einem Sattler konstruieren lassen. Na, jedenfalls kommt der Kürasser nun ebenfalls nicht mehr täglich zum Flirten, sondern nur noch, wenn seine Zeit es ihm erlaubt.«

»Also genau wie Fräulein von Greusen,« dachte Kitty im stillen und es lag ihr auf der Zunge zu fragen, ob der vielleicht nur an jenen Tagen käme, an denen er vermutete, Fräulein von Greusen zu treffen. Aber sie behielt das doch für sich, denn das hätte ja so aussehen können, als ob sie auf Fräulein von Greusen etwas eifersüchtig sei, und vor allen Dingen hätte sie dadurch ja verraten, daß der Kürassier »der Andere« war, von dem sie Hans Arnim erzählte. So meinte sie denn anscheinend nur leichthin: »Eine solche Erfindung hätte ich Herrn von Hohenebra eigentlich gar nicht zugetraut, vorausgesetzt, daß die sich später bewährt und sich als brauchbar erweist. Aber daß die seine Zeit derartig in Anspruch nimmt, daß er sich hier nur noch selten zeigen kann, das verstehe ich nicht recht, dahinter muß noch etwas anderes stecken.«

Aber kaum hatte sie das gesagt, als sie es auch schon bereute, denn Hans Arnim meinte anscheinend völlig gleichgültig, aber doch mit einem neckenden Unterton, den sie sehr deutlich heraushörte: »Wenn Herr von Hohenebra wüßte, gnädiges Fräulein, welches Interesse Sie daran nehmen, ob der sich hier täglich oder nur dann und wann zeigt, würde ihn das sicher sehr glücklich machen.«

134 »Bitte sehr, da haben Sie mich ganz falsch verstanden,« verteidigte Kitty sich schnell, »ob der Kürassier sich hier sehen läßt oder nicht, ist mir so gleichgültig wie kaum etwas anderes auf der Welt. Ich dachte mit meiner Bemerkung gar nicht an ihn, sondern eigentlich nur an die jungen Damen, von denen die eine oder die andere sicherlich im stillen gehofft haben mag, aus dem harmlosen Flirt, den sie mit dem Kürassier trieb, möchte mit der Zeit ein ernsthafter werden.«

»Vielleicht denkt der Kürassier ebenso,« warf Hans Arnim wiederum anscheinend völlig gleichgültig ein, »vielleicht interessiert er sich sogar ernstlich für eine junge Dame und zeigt sich nun seltener, um fern von der heimlich Geliebten in Ruhe zu prüfen, ob die Gefühle, die er für sie zu empfinden glaubt, auch wirklich die richtige Liebe sind.«

Kitty mußte sich mit Gewalt beherrschen, um nach außen hin ihre Ruhe zu bewahren und um sich nicht zu verraten, dann fragte sie voller Neugierde: »Wie kommen Sie nur auf die Vermutung, oder ist es mehr als nur eine solche? Hat Herr von Hohenebra sich Ihnen in der Hinsicht anvertraut? Bitte, das müssen Sie mir erzählen, das interessiert mich außerordentlich. Wissen Sie auch, wen er bisher zu lieben glaubte?«

Kittys Herz schlug so laut, daß sie fürchtete, er würde das starke Klopfen ihres Herzens hören, aber Hans Arnim mußte wirklich von der Angst, die sie überfallen, und von der Unruhe, die sie ergriffen hatte, nicht das geringste bemerkt haben, denn er meinte nur völlig verwundert: »Wie sollte ich das wohl wissen, gnädiges Fräulein, und selbst 135 wenn ich es wüßte, dürfte ich doch nicht darüber sprechen. Außerdem kenne ich den Kürassier viel zu wenig, als daß er mir irgendeinen Einblick in sein Inneres hätte gewähren können,« aber im stillen sagte er sich gleichzeitig: »Was ich bisher vermutete, weiß ich also jetzt. Du bist diejenige, die der Kürassier zu lieben glaubte, und er ist derjenige, den du heiraten willst, wenn ich mich in dich verliebt habe.«

Und diese Erkenntnis machte ihn froh und glücklich, aber als er nun gleich darauf Kitty heimlich und verstohlen von der Seite ansah, wurde seine Freude schnell wieder gedämpft, denn er sah, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick in Kittys Gesicht einen Ausdruck der festen Entschlossenheit, der ihm da zu sagen schien: »Ich will doch einmal sehen, wer seinen Willen durchsetzt, der Kürassier oder ich. So leicht soll der mir nicht entschlüpfen und wenn der glaubt, daß er bei seinem Flirt mit mir hat spielen können, dann irrt er sich sehr.«

Wie es kam, wußte Hans Arnim selber nicht, aber in die Freude, die er darüber empfand, daß der Kürassier seine Liebe zu Kitty ertränkt habe, mischte sich nun doch aufrichtiges Mitleid für diese. Wenn die ihn wirklich liebte, fühlte er es ihr nach, wie sie darunter leiden mußte, wenn sie einsah, daß sie nun plötzlich erledigt war und daß der Kürassier sich einer anderen zuwandte.

Arme Kitty, dachte er jetzt im stillen, du bist so jung, so hübsch und gerade du mußt unglücklich lieben.

Aber würde diese Liebe denn wirklich eine unglückliche bleiben? Ganz gewiß nicht. Der Kürassier hatte doch nur aufgehört, sich für Kitty zu interessieren, weil er sich den 136 blödsinnigen Schwur leistete, nur die zu heiraten, die ihm da ihrerseits einen Antrag machte, aber das war natürlich alles Unsinn und der Kürassier würde Kitty schon wieder lieben, denn eine Zuneigung läßt sich doch schließlich nicht in ein paar Minuten ertränken, wie eine Maus, die man gefangen hat.

Aber dann dachte er wieder an sich selbst. Was würde da aus ihm werden? Unter Kameraden war es ja schließlich ganz egal, wer die Braut heimführte, aber das Wort galt nur für den glücklichen Bräutigam, der andere blieb trotz aller kameradschaftlichen Gefühle doch mit einem verdammt dummen Gesicht stehen und blickte den Glücklichen neidisch nach.

Und was würde auch aus Fräulein von Greusen werden, wenn die bis dahin, allerdings gegen alles Erwarten für den Kürassier Interesse gewonnen hatte? Dann war auch die unglücklich, und das durfte sie nicht werden. Die hatte ohnehin schon genug Schweres in ihrem Leben durchgemacht, und nun vielleicht auch noch eine unglückliche Liebe, das durfte nicht sein. Und er begriff sich jetzt selbst nicht mehr, daß er dem Kürassier nicht gleich abgeraten hatte, als der davon sprach, er wolle versuchen, Fräulein von Greusen in sich verliebt zu machen.

Und er, Hans Arnim, hatte den, wenn auch nur indirekt, sogar selbst auf den Gedanken gebracht, hatte aus finanziellen Gründen und im Interesse von Maria Elisabeth gewünscht, der Kürassier möge Erfolg haben.

Statt dessen sah er jetzt voraus, oder glaubte es wenigstens vorauszusehen, daß bei der Sache nichts Gutes 137 herauskommen würde, wenigstens nicht für Maria Elisabeth, und er sah plötzlich ganz deutlich vor sich, wie er mit der zusammen in der großen Laube saß und sie zu trösten versuchte, weil der Kürassier sich mit Kitty verlobte. Er tröstete Maria Elisabeth, obgleich er selbst am meisten des Trostes bedurfte. Und als wisse die, wie ihm um das eigene Herz sei, begann die nun, ihn zu trösten. So trösteten sie sich gegenseitig, bis sie einander in die Arme fielen und bis sie beide sich miteinander verlobten, schon um dem glücklichen Brautpaar zu zeigen: Wir brauchen Euch gar nicht, bildet Euch nur nicht ein, daß einer von uns einen von Euch liebte, wir haben nur so getan, als ob. Im Grunde unseres Herzens haben wir beide uns schon lange, lange geliebt. Ja, so ist es, ganz einerlei, ob Ihr es glaubt oder nicht.

Das könnte 'ne schöne Geschichte werden. Dagegen gab es nur ein Mittel, Kitty mußte sich in ihn verlieben, ob sie wollte oder nicht. Das war ja auch von Anfang an sein Wunsch und sein Wille gewesen, aber bisher hatte er dabei immer in erster Linie an sich selber gedacht, nun aber mußte Kitty sich auch ihretwegen in ihn verlieben, damit ihr kleines Herz alles Leid und allen Kummer wieder vergaß.

Er wußte gar nicht, wie lange er so dagestanden hatte, seinen Gedanken nachhängend. Er blickte erst wieder auf, als plötzlich Kittys Stimme an sein Ohr klang, die ihn fragte: »Wissen Sie wohl, daß Sie die letzten fünf Minuten oder waren es gar fünfzehn, ein sehr langweiliger Gesellschafter waren? Worüber haben Sie nur solange nachgedacht?«

»Das möchtest du wohl gern wissen, das glaube ich schon,« 138 dachte er im stillen, laut aber sagte er mit dem verdutztesten Gesicht von der Welt: »Ich hätte nachgedacht? Worüber denn nur? Und muß man denn immer wirklich gleich denken, wenn man denkt? Ich habe nur mit wachenden Augen vor mich hingeträumt, ich saß in einer großen schönen, schattigen Laube und neben mir saß ein auffallend hübsches junges Mädchen.«

»Mit dem Sie hoffentlich nicht wieder mich meinten?« fiel sie ihm in das Wort.

»Nein, diesesmal war es tatsächlich eine andere,« widersprach er.

»Aber das dürfen Sie nicht,« schalt sie ihn, »Sie sollen sich doch immer nur mit mir beschäftigen, auch in Ihren Gedanken« und voller Neugierde fragte sie: »Wer war denn die Andere?«

»Die hatte gar keinen Namen,« log er sich schnell heraus, »die war noch gar nicht getauft, es handelte sich um eine Phantasiegestalt. Ich sagte Ihnen doch schon, ich träumte, da sah ich eine Märchenprinzessin vor mir, die war so schön und so gut und sie hatte mich auch so lieb, gnädiges Fräulein, die sah mir an, daß ich Kummer hatte –«

»Na, was Sie schon für Kummer haben mögen!« neckte sie ihn.

»Na, vielleicht größeren als Sie, gnädiges Fräulein,« gab er zurück.

»Bitte sehr, ich habe gar keinen,« widersprach sie schnell, und was sie da sagte, entsprach auch im Augenblick der Wahrheit. Während der langen Zeit, die Hans Arnim schweigend neben ihr stand, hatte sie schnell ihre gute Laune 139 wiedergefunden. Ernstlich brauchte sie Maria Elisabeth als Rivalin nicht zu fürchten, denn gerade weil der Kürassier so reich war, würde er sicher lieber eine reiche Frau nehmen als eine arme. Und schließlich hätte sie kein junges Mädchen sein müssen, wenn sie sich nicht zum mindesten für ebenso hübsch gehalten hätte wie Fräulein von Greusen. Ja, sie fand sich sogar noch hübscher, und daß sie das war, bewies ihr ja auch die Ausdauer, mit der Leutnant von Kühnhausen so unermüdlich um ihre Huld warb. Allerdings für einen kurzen Augenblick wollten nun Bedenken in ihr wach werden, ob Hans Arnim ihr auch wohl dann so huldigen würde, wenn sie nicht so reich wäre? Aber um ihrer selbst willen verscheuchte sie diesen häßlichen Gedanken sofort wieder. Und sie wußte doch auch gar nicht, ob nicht auch Herr von Kühnhausen vermögend sei. Daß er Infanterist war, bewies noch lange nicht, daß er einer armen Familie entstammte, und mit einemmal glaubte sie sogar ganz genau zu wissen, daß auch er reich sei, denn nur das konnte ihm doch den Mut geben, einer jungen Dame derartig in die Augen zu sehen, wie er es tat. Nur das Vertrauen, finanziell unabhängig zu sein, ließ ihn auch sonst so keck und übermütig auftreten. Ein armer Leutnant hätte das nach ihrer Ansicht niemals gewagt, der würde viel bescheidener, wenn natürlich trotzdem zuversichtlich sein, und den Vorwurf der Bescheidenheit konnte man Herrn von Kühnhausen bei dem besten Willen nicht machen. Nein, den Vorwurf verdiente er wirklich nicht, denn jetzt fragte er sie, wie sie vorhin ihn: »Wissen Sie wohl, gnädiges Fräulein, daß Sie in den letzten fünf Minuten, oder waren es gar fünfzehn, wirklich eine sehr wenig amüsante Partnerin waren?«

140 »Das ist doch einzig und allein Ihre Schuld,« verteidigte sie sich, bei dem Klang seiner Stimme schnell alle ihre Gedanken verscheuchend, »warum unterhalten Sie mich nicht besser? Sie wissen doch, wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es zurück.«

»Das schon,« stimmte er ihr bei, »und wenn ich trotzdem nichts in den Wald hineinrief, so wollte ich das Schweigen des Waldes, ich meine natürlich Ihr Schweigen, nicht stören.«

»Und warum taten Sie das schließlich doch?« erkundigte sie sich.

»Weil ich zu der Überzeugung kam, daß Sie nun nachgerade genug über mich nachgedacht haben.«

»Über Sie?« kam es ihr ganz entrüstet über die Lippen. »Ich weiß wirklich nicht, Herr von Kühnhausen, Sie haben ein Selbstvertrauen, das einfach klassisch ist, und Sie haben eine Einbildungskraft, um die Sie mancher Schriftsteller beneiden könnte. Warum soll ich wohl ausgerechnet über Sie nachgedacht haben? Ich dachte tatsächlich nur an völlig gleichgültige Dinge.«

»Gerade deshalb,« rief er ihr zu, »denn vorläufig habe ich ja noch das keineswegs erbauliche Vergnügen, Ihnen gleichgültig zu sein, oder sollte ich mich in der Hinsicht zu meinen Ungunsten irren?«

»Auch diesesmal möchte ich Sie bitten: Bilden Sie sich nur nichts ein.«

»Das tue ich, soweit es sich um meine Person handelt, niemals, gnädiges Fräulein, Ich bin nicht so eitel, mich zu überschätzen, ich glaube, ich beurteile mich mit meinen guten Seiten, die schließlich ja jeder Mensch hat, ebenso richtig 141 wie mit meinen schlechten. Und wenn Sie vorhin sagten, ich besäße eine starke Einbildungskraft, dann stimmt das auch nicht. Hätten die armen Künstler keine größere Phantasie als ich, dann müßten sie alle sterben, da verdienten die nicht einmal so viel, um sich die berühmten Hungerpfoten kaufen und an denen lutschen zu können. Und wenn ich trotzdem behauptete, Sie, gnädiges Fräulein, hätten vorhin an mich gedacht, oder besser gesagt: über mich nachgedacht, dann war das keine Einbildung, sondern Wahrheit.«

Und so keck und herausfordernd sah er sie dabei an, daß sie unwillkürlich errötete, bis sie ihm nun zurief: »Sie haben heute anscheinend nicht Ihren guten Tag, Herr von Kühnhausen, ich muß Ihnen offen gestehen, heute langweilen Sie mich etwas mit Ihren Behauptungen.«

»Die Wahrheit ist nie sehr amüsant, gnädiges Fräulein,« meinte er gelassen, »nicht mal in der Kunst, geschweige denn im Leben. Da wollen wir die Wahrheit gar nicht hören, da soll man uns nur Märchen erzählen, schöne, bunte, farbige Märchen, und je unwahrscheinlicher die sind, umso leichter werden sie geglaubt.«

»Dann wäre also alles, was ich bisher aus Ihrem Munde hörte und das mir bewies, wie die über Sie verhängte Strafe schon zu wirken begann, lediglich ein Märchen gewesen?« fragte sie ihn, wider ihren Willen nun doch ein klein wenig verstimmt.

»Was hörten Sie denn bisher von mir, gnädiges Fräulein?« erkundigte er sich, da er sie nicht gleich verstand, bis er fortfuhr: »Ach so, nun weiß ich, daß ich Sie schöner finde, als eine andere, daß ich Sie liebe und daß ich noch lange 142 die Hoffnung nicht aufgebe, Sie möchten mich wiederlieben. Nein, das war leider, wenigstens für mich leider, kein Märchen, sondern bittere Wahrheit. Aber da die Wahrheit Sie langweilt, gnädiges Fräulein, wie Sie vorhin erklärten, müßte doch eigentlich das, was ich Ihnen sonst erzählte, Sie auch gelangweilt haben.«

Ein klein wenig ärgerlich biß sie sich auf die Lippen. Da hatte sie sich festgerannt, ohne daß sie gleich einen Ausweg fand. So meinte sie denn jetzt ausweichend: »Das sind Wortfechtereien, Herr von Kühnhausen, und im übrigen dürfen Sie das, was ich Ihnen erklärte, auch nicht allzu ernsthaft nehmen, wenigstens dürfen Sie sich nichts darauf einbilden, wenn ich Ihnen sagte, daß ich es gern höre, wenn Sie mich anschwärmen. Sie wissen ja zur Genüge, warum Sie das tun sollen. Nun aber glaube ich wirklich, daß es Zeit wird, etwas zu den anderen zu gehen. Es könnte doch am Ende zu sehr auffallen, wenn wir beide uns hier fortwährend allein miteinander unterhalten.« Und nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Wie ist es, wollen Sie hier allein weiter stehen bleiben, oder begleiten Sie mich?«

»Wenn es denn geschieden sein muß, gnädiges Fräulein, dann gehe ich selbstverständlich mit Ihnen,« stimmte er ihr bei, »wenn ich Ihnen also meinen Arm anbieten dürfte?«

»Aber was fällt Ihnen denn ein?« meinte sie verwundert und lachend zugleich, »wir können doch nicht Arm in Arm anspaziert kommen.«

»Warum denn nicht?« fragte er anscheinend ganz 143 ernsthaft. »Neulich, als Sie mit mir zu Tisch gingen, haben Sie meinen Arm auch angenommen.«

»Das war aber auch etwas ganz anderes,« erklärte sie ihm.

»Schade!« rief er ihr zu, um sie gleich darauf zu bitten: »Wollen wir nicht doch lieber zu Tisch gehen, gnädiges Fräulein? Ich sehe in meiner Phantasie hier ganz in der Nähe dort unter den dichten Zweigen der großen Kastanie ein stilles, verschwiegenes Restaurant. Wir würden dort um diese Stunde sicher die einzigen Gäste sein, aber wir könnten uns zur Vorsicht trotzdem ein kleines Zimmer für uns allein geben lassen. Neulich auf der Gesellschaft war es ja auch ganz nett, aber es saßen doch schließlich zu viele Leute um uns herum. Dort wären wir heute ganz ungestört, nur der Kellner, den es ja auch nur in meiner Einbildung gibt, würde von Zeit zu Zeit kommen, um nach unseren Befehlen zu fragen, aber auch den würde ich fern zu halten wissen. Ich erklärte dem ganz einfach: Lieber Freund, Sie bekommen zehn Mark Trinkgeld, wenn Sie nur dann kommen, wenn ich klingle, und Sie bekommen zwanzig Mark Trinkgeld, wenn Sie selbst dann nicht erscheinen, wenn ich schon dreimal nach Ihnen geklingelt habe. Also wie ist es, gnädiges Fräulein, lockt Sie dieses tête à téte nicht, oder sagt man dafür auf deutsch jetzt: ›Kopf an Kopf‹?«

»Für ein so intimes Zusammensein mit Ihnen danke ich doch wirklich,« lehnte sie die Einladung lachend ab, um gleich darauf, als sie sein enttäuschtes Gesicht bemerkte, hinzuzusetzen: »Vielleicht ein andermal, aber für heute ist es 144 überdies schon zu spät, ich muß mich nun wirklich auch etwas den anderen widmen.«

Hans Arnim erriet natürlich sofort, wer die anderen waren. Kitty wollte sich davon überzeugen, ob der schöne Hugo sie wirklich ganz über Fräulein von Greusen vergessen hatte.

So ging er denn nun mit Kitty auf die anderen zu, aber die näherte sich nicht gleich der Gruppe, in der der Kürassier und Fräulein von Greusen standen, sondern sprach erst hier und dort mit einer Bekannten und mit einigen der Offiziere, bis sie dann, ganz allmählich und wie ganz zufällig auf Maria Elisabeth zutrat, um diese nochmals voller Herzlichkeit zu begrüßen und ihr die Hand schüttelnd zurief: »Wir haben uns ja erst ganz flüchtig guten Tag gesagt, liebes Fräulein von Greusen. Nun kann ich das bisher Versäumte endlich nachholen und da möchte ich Ihnen zunächst sagen, wie aufrichtig es mich für Sie freut, daß Sie endlich aus Ihrer bisherigen Zurückhaltung heraustraten und wenigstens hin und wieder an dem Flirt teilnehmen. Herr von Kühnhausen hat mir erzählt, daß es ihm, wenn auch mit vieler Mühe, gelungen ist, Sie umzustimmen.«

»Ja, leicht ist es ihm wirklich nicht geworden, gnädiges Fräulein,« stimmte Maria Elisabeth ihr bei. »Ich habe mich mit Händen und Füßen gesträubt, aber nun bin ich dem Herrn Leutnant aufrichtig dankbar, daß er mit seinen Überredungskünsten nicht eher aufhörte, als bis ich endlich nachgab.«

Kittys Worte, mit denen sie Fräulein von Greusen begrüßte, waren ehrlich gemeint gewesen und waren aus 145 aufrichtigem Herzen gekommen. Aber nun, da Maria Elisabeth ihre Freude an dem Flirt so offenkundig verriet, wurde Kitty doch wieder ein klein wenig verstimmt. Sollte das doch irgendwie mit dem Kürassier zusammenhängen? Sollte die in stillen Stunden davon träumen, die Braut dieses reichen Offiziers zu werden? Wenn es eine gab, die ihr von ganzem Herzen wünschte, daß sie nicht bis an ihr Lebensende es nötig habe, in Stellung zu gehen, dann war sie, Kitty, das ganz gewiß, aber es gab doch unter diesen vielen Kriegsurlaubern sicher noch andere, die etwas Vermögen besaßen. Warum suchte Maria Elisabeth sich unter diesen keinen Courmacher aus und versuchte, den in sich verliebt zu machen? Und warum verliebte sie sich nicht in Hans Arnim? Mit dem einen Flirt zu beginnen, war ihr doch leicht und bequem gemacht. Bis Kitty sich wieder eines anderen besann. Mit dem sollte Maria Elisabeth auch nicht flirten, der gehörte vorläufig ihr und der sollte noch lange darauf warten, bis sie ihm zurief: »So, nun haben Sie Ihre Strafe verbüßt, jetzt heirate ich den Anderen.«

Und jetzt wandte sie sich dem zu. Es geschah nur zufällig, daß sie dem Kürassier dabei voll in das Gesicht sehen konnte, aber sie bemerkte mit freudiger Genugtuung, daß der nun ein klein wenig verlegen wurde, als ihr Blick ihn traf. Bis er gleich darauf völlig unbefangen ein paar Schritte näher auf sie zutrat und die Hand an die Mütze legend meinte: »Auch mir ist es bisher nur flüchtig vergönnt gewesen, gnädiges Fräulein, Sie zu begrüßen. Herr von Kühnhausen hatte Sie ja gleich derartig mit Beschlag belegt, daß Sie für die übrigen Menschen verloren waren.«

146 »Hoffentlich hat mein Verlust Sie nicht allzu sehr betrübt, Herr von Hohenebra?« neckte sie ihn anscheinend nur übermütig.

Mit seinen schwärmerischen, melancholischen Augen sah er sie sinnend an, dann rief er ihr zu: »Der Verlust war ja nur ein vorübergehender, gnädiges Fräulein, wenn er auch ziemlich lange dauerte. Nun sind Sie uns wenigstens für den Rest des heutigen Abends wiedergegeben,« und das Gespräch verallgemeinernd, fragte er schnell: »Wie wir teils mit aufrichtigem Bedauern, teils voller Neid hörten, gnädiges Fräulein, waren Sie inzwischen beinahe vierzehn Tage in Berlin?«

»Allerdings,« stimmte sie ihm bei, »und ich hoffe, daß Sie, Herr von Hohenebra, mir das kleine Vergnügen nicht neideten, sondern daß Sie zu denen gehörten, die meine Abreise bedauerten.«

Das war eine kleine Falle, die sie ihm da stellte, denn aus seiner Antwort würde sie ja heraushören, ob er sie wirklich vermißte und zu ihrer großen Freude stimmte er ihr nun bei: »Ich habe Ihre Abwesenheit sogar aufrichtig bedauert, gnädiges Fräulein, das auch schon Ihretwegen, denn ich kann es mir nicht besonders schön denken, bei diesem herrlichen Sommerwetter beinahe vierzehn Tage in Berlin zu sitzen. Ich habe Sie sogar fast bemitleidet.«

»Dazu lag aber wirklich nicht die leiseste Veranlassung vor,« widersprach sie, »ich habe mich sehr gut amüsiert, und wenn Sie mich nur deshalb vermißten, weil Sie in erster Linie mir eine baldige Rückreise aus Berlin wünschten, 147 dann scheint Ihr Bedauern über meine Abreise nicht allzu groß gewesen zu sein.«

Auch das klang vollständig harmlos, als solle es nur eine Neckerei sein, daß er nicht einmal aus Ritterlichkeit ihr gegenüber ein größeres Bedauern über ihre Abwesenheit äußerte, aber sie wußte ja selbst am besten, daß die Worte ganz anders gemeint waren.

Aber er ahnte nichts von den Schlüssen, die sie aus seiner Antwort ziehen würde. Er hörte aus ihren Worten lediglich heraus, daß sein Ausdruck, sie vermißt zu haben, nicht allzu ernsthaft geklungen hatte, und das tat ihm Kittys wegen leid. Die konnte doch schließlich nichts dafür, daß er im Begriff gewesen war, sich in sie zu verlieben, und wenn er das nun nicht mehr tat, dann war das doch kein Grund, gegen sie, wenn auch nur im geringsten unliebenswürdig oder irgendwie unhöflich zu sein. So meinte er jetzt schnell: »Sie haben mich ganz falsch verstanden, gnädiges Fräulein, oder meine Worte absichtlich falsch gedeutet. Ich habe Sie außerordentlich vermißt und jeden Tag habe ich mich gefragt, ob und wann Sie wohl zurückkehren würden.«

Das erstere war eine Lüge, das zweite war die Wahrheit, aber in einem ganz anderen Sinne, als Kitty es ahnte, deren Augen bei seinem Kompliment freudig aufleuchteten, so freudig, daß der Kürassier einen mordsmäßigen Schrecken bekam und sich im stillen sagte: Um Gottes willen, Fräulein Kitty wird das, was du ihr da eben vorlogst, doch nicht etwa in das falsche Halsloch bekommen haben? Denn wenn du nach ihr aussahst, ob und wann sie wiederkäme, dann tatest du das doch nur, weil du dir im stillen wünschtest, sie möchte 148 noch recht lange fortbleiben, wenigstens so lange, bis Fräulein von Greusen sich in dich verliebt hat.

Aber nun war Kitty wieder da und stand sogar mit leuchtenden, lachenden Augen vor ihm, doch das letztere mußte er sich wohl nur eingebildet haben, denn als er sie abermals ansah, hatten ihre Augen wieder den gewöhnlichen Ausdruck angenommen. Und warum sollten die wohl auch geleuchtet haben? Kitty war doch sicher klug genug, um ohne weiteres zu wissen, daß seine Worte weiter nichts gewesen waren als eine Schmeichelei, zu der sie ihn gewissermaßen auch noch gereizt hatte.

Und Kitty war wirklich klug, wenn auch nicht so klug, wie er glaubte, sie nahm seine Äußerung für bare Münze und so sehr sie sich auch darüber freute, schon weil die endgültig all die dummen Gedanken verscheuchte, die sie sich heute nachmittag gemacht hatte, so vermied sie doch weiter auf das bisherige Sehnsuchtsthema einzugehen, sondern meinte jetzt nur: »Ich habe zu meinem Erstaunen gehört, Herr von Hohenebra, daß Sie das Amt des ersten Vorsitzenden niederlegten und daß Sie sich jetzt in der Hauptsache nur mit der Erfindung eines neuen Sattels beschäftigen. Das interessierte mich schon deshalb, weil ich alles, was Pferd heißt und was irgendwie mit dem Pferde zusammenhängt, ganz besonders liebe.«

»Das freut mich sehr zu hören, gnädiges Fräulein,« dankte er ihr, »denn auch für mich gibt es nur ein Tier auf der Welt, das Pferd. Aber wenn dem so ist, wie Sie sagen, gnädiges Fräulein, wie kommt es, daß ich Sie noch nie zu Pferde sah?«

149 »Weil ich keins besitze und weil mein Vater mir das Reiten nicht erlaubt. Da er nur mich als Tochter hat, fürchtet er für mein kostbares Leben und sieht mich fortwährend von dem Gaul herabgeworfen mit blutigem Kopfe auf dem Straßenpflaster liegen.«

»Aber wenn Ihr Herr Vater so denkt, dann ist das doch übertrieben,« widersprach er aus ehrlichster Überzeugung. »Da dürfte er Sie auch nicht mit auf Reisen nehmen, oder auch nur über die Straße gehen lassen. Verunglücken kann der Mensch, wenn er es soll, doch überall, und Sie wissen doch, wie es in der Bibel heißt: »Ohne Gottes Willen fällt kein Apfel von dem Baume, geschweige denn ein Reiter von dem Gaule.«

Kitty lachte fröhlich auf: »Das mit dem Apfel stimmt wohl, aber daß in der Bibel auch etwas von dem Reiter und seinem Pferd vorkommt, glaube ich denn doch nicht,« bis sie jetzt, einem plötzlichen Gedanken folgend, bat: »Wissen Sie was, Herr von Hohenebra, Sie waren ja schon einmal bei meinen Eltern zu Gast und hoffentlich sehen wir Sie dort bald einmal wieder. Die Eltern wollen in der allernächsten Zeit für die Herren Kriegsurlauber wieder eine Gesellschaft geben, sicher werden auch Sie dort da eingeladen, und nicht wahr, Herr von Hohenebra, dann reden Sie einmal mit meinem Vater über die Reiterei, vielleicht, daß er mir dann die Erlaubnis gibt.«

»Das will ich sogar sehr gern tun,« versprach er ihr, »das halte ich als Kavallerist sogar für meine Pflicht.«

Kitty dankte ihm mit einem warmen Blick ihrer Augen, dann meinte sie: »Das wäre wirklich zu nett von Ihnen, 150 und wenn Sie meinen Wunsch bei dem Vater durchsetzen sollten, ach, ich würde mich zu schrecklich freuen, schon weil ich mir seit einer Ewigkeit so leidenschaftlich ein Reitkleid wünsche.«

»Ach so, nur deshalb, gnädiges Fräulein?« fragte er ein klein wenig enttäuscht, »Sie lieben den Sport nur des Kostümes wegen?«

»Aber wie können Sie so etwas auch nur im Scherz von mir glauben,« verteidigte Kitty sich, »wenngleich ich nicht leugnen will, daß ich mich auf ein Reitkleid freue, weil ich glaube, daß gerade das mir besonders gut stehen wird.«

»Das ganz gewiß,« meinte er, ihre Figur mit einem schnellen Blick umspannend. »Allerdings müßte das Kleid sehr gut gearbeitet sein, nicht etwa, als ob Sie nicht selbst in einem schlechtsitzenden Kleide sehr hübsch aussehen würden, sondern aus praktischen Gründen. Ein schlechtsitzender Reitrock hindert viel mehr am Reiten, als ein Laie glaubt. Deshalb reiten ja jetzt so viele Damen im Herrensattel und tragen dazu den geteilten Rock, obgleich auch der sich oft als hinderlich erweist, namentlich bei dem Reiten im Gelände und auf den Jagden. Wenn ich Ihnen daher einen guten Rat geben dürfte, gnädiges Fräulein, dann würde ich an Ihrer Stelle in Herrenbridgets reiten. Die Figur und den Wuchs haben Sie dazu wie nur Wenige,« und als sie ihn ein klein wenig erstaunt ansah, setzte er hinzu: »Bei uns im Regiment reiten alle jungen Damen so und auch einige jungverheiratete; braune Schnürstiefel, braune Gamaschen, dazu Herrenbridgets, bis zu den Knieen sehr eng anliegend, dann nach oben weiter werdend. Um die 151 Taille einen hübschen Ledergürtel, dazu weiße Bluse und Reitrock.«

»So reiten bei Ihnen die Damen des Regiments?« fragte Kitty ehrlich verwundert. »Ja, aber gilt das Kostüm denn nicht als etwas anstößig?«

»Aber warum denn nur?« erkundigte er sich, da er sie nicht verstand.

Kitty wurde ein klein wenig verlegen, dann rief sie ihm zu: »Bei dem Kostüm sieht man doch aber nicht nur sehr genau den Wuchs einer Dame, sondern auch den« – um Gottes willen, um ein Haar hätte sie sich verplappert. Sie fühlte, wie sie jetzt dunkelrot wurde, und so verbesserte sie sich schnell: »Ich meinte natürlich nicht den, sondern das« – aber auch da schwieg sie wieder, denn selbst das Wort »Gesäß« wollte ihr einem Herrn gegenüber nicht über die Lippen.

Aber er hatte sie auch so verstanden und meinte nun seinerseits: »Selbst wenn man »das« sähe und sieht, dabei ist doch nichts Unpassendes, denn das »das« wie Sie es eben nannten, ist bei dem Reiten die Hauptsache. Ich habe in der Schule mal was von einem berühmten Maler gehört. Wie der Mann heißt, weiß ich nicht mehr, denn wer kann sich auch schließlich alle Farbenkleckser merken. Na, der Name tut ja auch nichts zur Sache, aber von dem hieß es, der wäre selbst dann der größte Maler geworden, wenn er ohne Arme auf die Welt gekommen wäre. Ob das wahr ist, entzieht sich natürlich meiner Beurteilung, obgleich ich in der Hinsicht ziemlich alles glaube, seitdem ich letzthin einen Artikel über unsere Krüppel las. Da wurde auf einen Artisten hingewiesen, der ohne Arme auf die Welt 152 gekommen ist und der mit seinen Füßen so geschickt ist, daß er sich mit denen sogar die Zähne putzt.«

»Bitte hören Sie auf,« fiel Kitty ihm in das Wort, »das ist doch mehr als unappetitlich.«

»Aber warum denn nur?« fragte der schöne Hugo verwundert. »Der Mann putzt sich die Zähne doch nicht mit den Zehen, sondern mit der Zahnbürste, die er zwischen den Zehen hält, und man ersieht daraus, wie schließlich jeder Mensch sich zu helfen weiß. Aber trotzdem, eins steht fest, selbst der größte Schulreiter, den die Welt jemals sah, der berühmte James Fillis, wäre niemals auch nur ein halbwegs leidlicher Reiter geworden, wenn der ohne das »das« auf die Welt gekommen wäre, denn kein Wort ist so wahr wie das: »Zum Reiten gehören drei Dinge, eine kosende Hand, ein tändelnder Schenkel und ein eiserner – Ach du lieber Augustin, alles ist hin, ach du lieber Augustin, alles ist futsch,« sang er plötzlich vor sich hin, denn wie Kitty sich vorhin beinahe verplappert hätte, so wäre ihm um ein Haar für diesen Körperteil jener kräftige Ausdruck entschlüpft, den Goethe den Götz von Berlichingen in dem berühmten Zitat gebrauchen läßt.

Kitty hatte erraten, was er sagen wollte, so wurde sie dunkelrot, aber als er nun zu singen anfing, mußte sie doch lachen, und schon aus Verlegenheit lachte er mit, bis er gleichsam zu seiner Entschuldigung anführte: »Aber recht habe ich doch, gnädiges Fräulein, ohne diese drei Dinge geht es nun einmal nicht, das wird Ihnen später Ihr Reitlehrer, wenn vielleicht mit etwas anderen Worten, auch sagen, vorausgesetzt, daß es hier im Städtchen einen 153 Reitlehrer gibt, der sein Handwerk versteht. Na, im schlimmsten Falle wäre ich ja auch noch da, um etwas aufzupassen, daß der Mann den Unterricht, den er Ihnen erteilt, nicht von Anfang an verpfuscht. Das darf natürlich nicht sein, denn das ist später nicht wieder gutzumachen.«

Kitty hatte ihm voll freudigster Überraschung zugehört, noch nie war er gegen sie so ritterlich und aufmerksam gewesen. Ihr kleines Herz schlug höher und höher, was hatte sie sich da vorhin nur für einen Unsinn eingeredet? Bewiesen seine Worte ihr nicht, daß er über sie noch genau so dachte, wie sie es ihm früher angemerkt hatte? Warum sollte er sich auch plötzlich für sie weniger interessieren, als er es bisher tat, und nun, da er wußte, daß sie den Wunsch hatte, eine Reiterin zu werden, würde das Interesse, das er an ihr nahm, sicher erst recht erwachen, denn es war ja eine alte Geschichte, daß ein Lehrer sich fast immer in seine Schülerin verliebt, noch dazu, wenn die selbst schon in ihn verliebt ist.

Das alles schoß ihr blitzschnell durch den hübschen kleinen Kopf, dann rief sie ihm zu, deutlich ihre Freude verratend: »Das wäre wirklich außerordentlich liebenswürdig von Ihnen, Herr von Hohenebra, wenn Sie sich wenigstens in den ersten Reitstunden meiner etwas annehmen wollten, und ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen für Ihr Anerbieten danken soll.«

»Bitte, bitte gnädiges Fräulein,« wehrte er bescheiden ab, »mir brauchen Sie gar nicht zu danken, aber wenn Sie es trotzdem wollen, dann tun Sie es dadurch, daß Sie eine gute Reiterin werden und daß Sie dem Reitsport alle Ihre Liebe entgegenbringen.«

154 »Das will ich und das werde ich,« stimmte sie ihm bei, bis sie plötzlich etwas kleinlaut hinzusetzte: »Immer vorausgesetzt natürlich, daß es Ihnen gelingen wird, den Widerspruch meines Vaters zu beseitigen.«

»In der Hinsicht dürfen Sie auch nicht zu schwarz sehen, gnädiges Fräulein,« versuchte er, sie zu beruhigen, »auf jeden Fall werde ich mein Möglichstes tun. Nun aber, gnädiges Fräulein, wird es wohl auch für uns Zeit, an den Aufbruch zu denken. Ich sehe, daß sich die Plätze leeren, auch kommt es mir so vor, als ob Fräulein von Greusen und Herr von Kühnhausen auf Sie warten.«

Und das war, als Kitty sich nun ihrerseits umwandte, wirklich der Fall. Nur ein einziges Paar, das aber aus drei Personen bestand, stand noch lachend und plaudernd zusammen, Fräulein Viki von Aschenbach mit ihren beiden unzertrennlichen Courmachern, dem Leutnant Ratzel und dem Leutnant Natzel. Alle anderen hatten sich schon entfernt, auch Fräulein von Greusen und Hans Arnim hatten sich schon dem Ausgang genähert und sahen sich dort wartend nach ihr um, da die beiden sie sicher nicht allein zur Stadt gehen lassen wollten.

»Ja ja, ich komme schon,« rief Kitty ihnen zu, dann wandte sie sich an den Kürassier: »Wie ist es, Herr von Hohenebra, gehen Sie mit uns?«

Aber der lehnte dankend ab: »Mein Weg führt mich leider in entgegengesetzter Richtung, hoffentlich zürnen Sie mir nicht, wenn ich auf das weitere Vergnügen Ihrer liebenswürdigen Gesellschaft für heute verzichten muß.«

»Das ist doch aber kein Grund zum Zürnen,« gab sie 155 offen zur Antwort und ihm die Hand reichend, sagte sie: »Dann also auf baldiges Wiedersehen und schon heute wünsche ich Ihnen viel Glück für die bevorstehende Unterredung mit meinem Vater.«

»Das wünsche ich Ihnen auch, gnädiges Fräulein,« stimmte er ihr bei. Dann verabschiedeten sie sich mit einem herzlichen Händedruck, und als Kitty nun schnell davoneilte, war sie so froh und so lustig wie seit langem nicht. Und aus dieser Freude heraus dachte sie nun, als sie bei Hans Arnim angelangt war: »Na warte, du Frechdachs, dich will ich unterwegs aber mal gründlich ärgern. Es ist nur schade, daß wir beide nicht allein sind. Allzu viel werde ich dir da leider nicht sagen können, aber du wirst es mir auch ohnedem anmerken, daß ich mit meinen Gedanken ganz wo anders bin als bei dir.«

Mit diesem guten Vorsatz trat Kitty gleich darauf mit Fräulein von Greusen und Hans Arnim zusammen den Rückweg an, und unterdessen schritt der schöne Hugo auf einem kleinen Umwege seiner Hotelwohnung entgegen. Er hätte ebenso gut Kittys Aufforderung annehmen können, aber er wollte mit sich und mit seinen Gedanken allein sein. Er wurde die Empfindung nicht los, als sei er gegen Kitty zu freundlich gewesen. Gewiß, es war kein Wort gefallen, das sie auch nur im Geringsten als Huldigung hätte auffassen können, er hatte ihr in keiner Weise den Hof gemacht, aber trotzdem war er gar nicht mit sich zufrieden. Was ging es ihn an, ob sie Reitunterricht nahm oder nicht? Wozu hatte gerade er es nötig, sich deswegen bei ihrem Vater für sie verwenden zu wollen? Er war unter den 156 Kriegsurlaubern doch nicht der einzige Kavallerist, da hätte ein anderer ihr seine Dienste anbieten können. Und warum hatte er ihr geraten, sich später nur in den Herrenbridgets in den Sattel zu setzen? Wirklich nur aus sportlichen Gründen, oder weil er sich während des Sprechens vorgestellt hatte, wie hübsch und verführerisch gerade sie in diesem feschen Kostüm aussehen würde?

Seinen Gedanken nachhängend schritt er dahin, bis er sich doch wieder mit Fräulein von Greusen beschäftigte. Kitty war erledigt und mußte es für immer bleiben, das auch schon deshalb, weil dieses gesellschaftlich so verwöhnte junge Mädchen ganz gewiß aus sich selber heraus ihm niemals erklären würde: »Ich liebe dich, werde mein Mann.« Allerdings, ob Fräulein von Greusen das jemals tun wurde? Er hoffte es, wenn er es auch vorläufig noch nicht glaubte, aber um deren Gunst zu gewinnen, hatte er sich ihr in anderer Weise genähert, als er es bisher bei Kitty tat, soweit er bei der überhaupt den Versuch gemacht hatte, ihre Aufmerksamkeit zu erwecken. Kitty hatte er eigentlich nur bewundernd angesehen und auch das nur, wenn er sicher zu sein glaubte, daß sie nichts davon bemerkte. Mit Fräulein von Greusen hatte er aber auch schon gesprochen und dabei den alten Trick angewandt, auf den schon so manches junge Mädchen hineingefallen war, wenn auch nicht gerade bei ihm, so doch in der Allgemeinheit. Er tat so, als bedrücke ihn ein schweres Leid, und um diese Rolle durchzuführen, brauchte er sich nicht einmal allzu sehr zu verstellen. Das Leid in Gestalt des vor zwei Jahren erhaltenen Korbes war da und ferner sein Schwur, nie wieder selbst um ein 157 junges Mädchen anhalten zu wollen. Das war zusammengerechnet sogar doppeltes Leid. Nein, er brauchte sich wirklich gar nicht erst zu verstellen, um sich interessant und bemitleidenswert zu machen. Er war ein unglücklicher Mensch. Noch so jung und doch schon nicht mehr heiraten zu dürfen! So jung und doch schon ein abgewiesener Freier!

Ob Fräulein von Greusen auf ihn hereinfallen würde? Das heißt, den Ausdruck, den er da eben im Selbstgespräch gebraucht hatte, nahm er sofort wieder zurück, denn wer ihn zum Mann bekam, der fiel ganz gewiß nicht herein, und deshalb mußte er sich auch richtiger fragen: ob Fräulein von Greusen sich wohl in ihn verlieben würde? Wie hübsch die war und diese wundervollen stahlblauen Augen! Allerdings, Kittys Augen waren auch nicht häßlich, die waren sogar sehr hübsch, besonders wenn die lachten und übermütig in die Welt sahen. Und wie hatte es vorhin in denen aufgeblitzt, als sie ihn so ansah, so als ob! Na und von ihrer Seite aus gab es doch gar nichts zu »obben«. Das höchstens von ihm aus, aber das war gewesen, das durfte nicht wiederkommen, das hatte er sich geschworen, und was man schwört, das hält man auch.

Das und noch manches andere wollte er sich nachher, wenn er zu Hause war, in aller Ruhe einmal sagen, aber er kam nicht dazu, diesen guten Vorsatz auszuführen, denn als er wenig später seine Hotelwohnung betrat, erwartete ihn dort bereits sein Bursche Paul Paulsen, obgleich der anscheinend nur damit beschäftigt war, noch etwas aufzuräumen. Aber der schöne Hugo merkte es zuerst gar nicht, daß der etwas auf dem Herzen zu haben schien, er wurde 158 erst helläugig, als sein Bursche noch im Zimmer stehen blieb, nachdem er ihm Säbel und Mütze abgenommen hatte, und so fragte er verwundert: »Na, Paul Paulsen, warum machst du denn nicht, daß du rauskommst?«

Der lange Kürassier rückte sich mit einem strammen Ruck empor, um schon durch seine Haltung die Sympathie des Vorgesetzten zu gewinnen, dann meinte er: »Wenn der Herr Leutnant nichts dagegen hätten, möchte ich den Herrn Leutnant gern einen Augenblick unter vier Augen sprechen.«

Der schöne Hugo blickte überrascht auf: »Mich? Und sogar unter vier Augen? Was gibt es denn?«

Einen Augenblick schwieg Paul Paulsen nun doch noch, dann meinte er, sich nachdenklich mit der Rechten hinter dem Ohr kratzend: »Die Sache ist nämlich die, Herr Leutnant.«

Sein Herr lachte lustig auf: »Die Einleitung kenne ich, Paul Paulsen, so fängt man immer an, wenn man eine Dummheit gemacht hat, oder eine Dummheit machen will.«

Aber der Bursche widersprach: »Nee, Herr Leutnant, eine Dummheit ist das nun ganz gewiß nicht, und wenn heute nicht gerade Vollmond wäre und wo doch gerade jetzt im Juli die Mondscheinnächte so schön sind –«

»Da willst du wohl wie ein verliebter Kater durch das Gebüsch streichen?« fiel ihm sein Leutnant in das Wort. »Du denkst wohl daran, daß deine Tage als Kriegsurlauber vielleicht gezählt sind und daß du bald wieder hinaus mußt? Da möchtest du deine freie Zeit hier noch nach Kräften ausnutzen?«

»Das schon,« gab Paul Paulsen zur Antwort, »aber an die Front gehe ich nicht wieder, ehe der Herr Leutnant 159 nicht mit mir gehen. Ehe der Herr Leutnant nicht wieder ganz gesund sind, werde ich es auch nicht. Da mag der Herr Stabsarzt machen, was er will, und wenn einer von den Kameraden, oder vielleicht von den lausigen Zivilisten mich deswegen für einen Drückeberger erklärt, dann halte ich ihm meine linke Faust mit dem eisernen Kreuz unter die Nase und die rechte Faust halte ich ihm auf die Nase, daß er in den nächsten vierundzwanzig Stunden überhaupt keinen Ton mehr redet. Denn wo meine Fäuste hinschlagen, Herr Leutnant, da wächst kein Gras mehr, das habe ich an einem dammlichen Engländer ausprobiert. Nur mit der Faust habe ich dem auf den Detz gedebbert und der ist heute noch nicht wieder aufgestanden, der liegt mit den anderen Hunden zusammen in einem Grabe.«

»Die Geschichte hast du mir schon oft erzählt,« warf sein Herr ein, »nun aber sage mir mal, was ist denn das mit der Mondscheinnacht? Hast du etwa vor der Angst, bist du vielleicht mondsüchtig?«

»Ich und mondsüchtig?« widersprach Paul Paulsen. »Sehe ich etwa danach aus, Herr Leutnant? Nein, die Sache ist 'ne andere. Heute ist Donnerstag, da wäre die Dora an der Reihe, aber die kann heute Abend nicht fort, ihre Gnädige ist krank, da muß sie zu Hause bleiben. Na und als ich vorhin die Drina traf und der mein Leid erzählte, da hat die mir versprochen, mich zu trösten. Die hat ja heute eigentlich nicht ihren Ausgang, aber sie wird sich schon frei machen, die erzählt ihrer Gnädigen einfach, ihr Bruder, der auf Kriegsurlaub gewesen sei, käme heute Abend um ein halb zwölf Uhr hier durch, und da müsse sie 160 unbedingt auf die Bahn, um ihm guten Tag zu sagen, denn man könne doch nicht wissen, ob sie ihren Bruder jemals wiedersehen würde,« und erklärend setzte er hinzu: »In Wirklichkeit hat die Drina natürlich gar keinen Bruder.«

»Das habe ich mir von Anfang an gedacht, Paul Paulsen, aber da sieht man trotzdem wieder, wozu die Kriegsurlauber nicht alles gut sind.«

Der Kürassier richtete sich nun plötzlich in seiner ganzen Strammheit auf und meinte, seinen Herrn voller Stolz und beinahe mit verklärten Augen ansehend: »Herr Leutnant, wir sind nicht nur für alles gut, sondern wir sind sogar noch viel mehr. Ich habe neulich mal in dem Wirtshaus zugehört, wie ein Kriegsurlauber seine Weisheit auskramte. Der war in seinem Zivilberuf Volksschullehrer, na und da mußte der doch von so was Bescheid wissen. Und der sagte, wir Kriegsurlauber wären sogar eine staatserhaltende Notwendigkeit, denn wenn der Kaiser keine Kriegsurlauber in das Land schickte, denn gäbe es im Jahre 1936 keine Rekruten, weil nicht genug Kinder auf die Welt gekommen wären, und wenn wir Kriegsurlauber in der Hinsicht nicht unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit täten, dann sähe das mit dem menschlichen Nachwuchs sehr traurig aus, denn auf die Zivilisten, Krüppel und auf die Greise, die während des Krieges zu Hause geblieben wären, sei kein Verlaß.«

»Na, desto mehr kann sich der Staat aber in der Hinsicht wohl auf dich verlassen?« rief sein Leutnant belustigt und wie schon so oft mit staunenden Blicken die riesenhafte Figur seines getreuen Burschen musternd, der schon vor 161 Ausbruch des Krieges in der alten Garnison bei ihm gewesen war und der es als eine ihm zugefügte tödliche Beleidigung empfand, als er den zum erstenmal »Sie« anredete, wie es der Befehl vorschrieb. So war es denn bei dem »Du« geblieben.

Paul Paulsen strahlte bei der ihm ausgesprochenen Anerkennung über das ganze Gesicht, dann sagte er: »Ich tue nur meine Pflicht, Herr Leutnant, in Kriegs- und in Friedenszeiten, bei Tage und bei Nacht und an welchen Orten es auch immer sei, wie es in den Kriegsartikeln heißt.«

Sein Leutnant lachte hell auf: »In den Kriegsartikeln wird, soviel ich weiß, eine andere Pflichterfüllung von den Soldaten verlangt. Na, das ist ja aber schließlich einerlei, nun sage mir lieber, damit wir zu Ende kommen, was denn nun mit deiner Drina los ist.«

»Ach so, ja richtig, Herr Leutnant, die hätte ich ja beinahe ganz vergessen,« rief Paul Paulsen erschrocken, um gleich darauf fortzufahren: »Die Sache ist nämlich die. Die Drina will mich heute abend darüber trösten, daß die Dora nicht ausgehen kann, und sie hat sich den Kriegsurlauberbruder erfunden, um möglichst lange von Hause fortbleiben zu können. Es ist doch heute Mondscheinsnacht, Herr Leutnant, und diese Nächte liebt die Drina über alles. Die sagt, das Schönste, was es für sie auf der Welt gäbe, wäre, sich in einer schönen Mondscheinsnacht in den Anlagen auf einer verschwiegenen Bank nach allen Regeln der Kunst abknutschen zu lassen. Das wäre ja auch sonst ganz schön, aber wenn der Mond dazu scheint, dann wäre es einfach mondscheinschön schön. Und da wollte ich denn den Herrn 162 Leutnant bitten, ob ich der Drina den Liebesdienst erweisen und sie mal ganz gehörig abknutschen kann?«

»Von mir aus gern,« stimmte sein Herr ihm bei.

»Dann danke ich dem Herrn Leutnant auch vielmals,< meinte Paul Paulsen.

»Bitte, bitte, keine Ursache,« lehnte der jeden Dank ab, »nun aber mach', daß du raus kommst, ich habe noch ein paar Briefe zu schreiben.«

Aber anstatt nun gleich zu gehen, stand Paul Paulsen abermals da, sich mit der Rechten nachdenklich hinter dem Ohr kratzend, bis er jetzt, den verwunderten Blick seines Herrn bemerkend, sagte: »Die Sache ist nämlich die, Herr Leutnant. Die Drina hat aus dem Kalender nachgesehen, richtig scheint der Mond heute erst von zehn Uhr ab, und der Herr Leutnant wissen doch, daß wir Kriegsurlauber des Abends nur bis um einhalb zehn Uhr Urlaub haben. Um halb zehn muß alles in den Quartieren oder in der Kaserne sein. Und da wollte ich den Herrn Leutnant bitten, ob der Herr Leutnant mir nicht bis um zwölf oder noch besser bis um ein Uhr 'nen schriftlichen Urlaubszettel geben können, damit ich den vorzeige, wenn ich unterwegs auf der Straße von einer Patrouille oder von einem Vorgesetzten angehalten werde.«

Mit beinahe flehenden Augen sah der Kürassier seinen Leutnant an, aber der schüttelte den Kopf: »Es tut mir für dich und deine Drina aufrichtig leid, Paul Paulsen, aber das Geschäft ist mit mir nicht zu machen. Du weißt, daß es uns Offizieren von dem Garnisonältesten ein für allemal streng verboten ist, ohne seine Einwilligung solche 163 Urlaubszettel auszustellen. Der Herr Oberst vertritt den ganz richtigen Standpunkt, daß die Kriegsurlauber früh in das Bett gehören, damit sie bald wieder felddienstfähig sind. Na, bei dir Riesen ist solche Fürsorge zwar überflüssig, aber trotzdem, die Verbote müssen befolgt werden und daß ich, wenn du heute abend gesehen wirst, deinetwegen etwas auf den Kopf oder gar Stubenarrest bekomme, na, das wirst du doch wohl selbst nicht wollen.«

»Das natürlich nicht, Herr Leutnant, aber ich habe es vorausgesehen, daß der Herr Leutnant mir diese Antwort geben würden, ich kenne ja auch das Verbot des Herrn Oberst, das uns Mannschaften ebenfalls bekanntgegeben wurde.«

»Na also,« meinte sein Leutnant, »was bittest du mich da denn erst?«

Obgleich Paul Paulsen ganz genau wußte, daß er mit seinem Herrn allein in der Stube sei, sah er sich trotzdem erst vorsichtig um, ob auch wirklich kein Lauscher in der Nähe sei, dann machte er plötzlich ein äußerst schlaues und pfiffiges Gesicht, um triumphierend auszurufen: »Ich wüßte trotzdem, wie der Herr Leutnant mir die Erlaubnis geben könnten, mich in der Stadt zu zeigen.«

»Ich nicht, Paul Paulsen,« gab sein Herr verwundert zurück. »Na, ich bin ja auch nicht in deine Drina verliebt, und die Liebe zu der scheint dich erfinderisch gemacht zu haben. Also was hast du dir da Schönes ausgedacht?«

»Was sehr Einfaches, Herr Leutnant. Der Herr Leutnant gehen ja doch immer früh zu Bett, schon weil der Herr Oberst es nicht liebt, daß die Herren Offiziere lange 164 in den Wirtshäusern sitzen. Das haben der Herr Leutnant mir ja selber erzählt und wenn der Herr Leutnant nun heute vielleicht noch etwas eher zu Bett gingen, etwa so um halb zehn, weil sich der Herr Leutnant nicht ganz wohl fühlen, dann könnten der Herr Leutnant im Bett ganz plötzlich krank werden, oder sich wenigstens einbilden, es zu sein. Natürlich dürfte es sich da um nichts Schweres handeln, nicht wieder um einen Granatsplitter oder etwas Ähnliches, denn dann müßte ich doch den Herrn Stabsarzt holen und wenn der käme, dann käme ja auch gleich der Schwindel heraus. Aber der Herr Leutnant könnten vielleicht an Migränin erkranken.«

»An was für einem Zeug?« fiel der schöne Hugo seinem Burschen in das Wort. »An Migränin? Das gibt es doch gar nicht, es gibt höchstens Migräne und an der leiden doch nur nervöse Frauenzimmer.«

Aber Paul Paulsen widersprach: »Nein, Herr Leutnant, das weiß ich besser, meine Minna, die bei einem alten Geheimrat dient, hat mir erzählt, der alte Herr litte fürchterlich an Migränin und für den muß sie immer Migräninpulver holen.«

»Migränepulver heißt es,« widersprach sein Leutnant abermals, »aber für das Zeug habe ich wirklich keine Verwendung.«

»Dann könnte ich dem Herrn Leutnant vielleicht etwas anderes besorgen,« bat Paul Paulsen, »etwas Kampferspiritus zum Einreiben, oder ein Abführmittel, oder ein Mittel gegen Zahnschmerzen, oder Hühneraugenringe, oder Baldrianstropfen, oder sonst irgend was, was mir 165 schon noch einfallen würde. Vielleicht ein Schlafmittel, oder – –«

»Nun hör' aber schon mal auf,« rief sein Leutnant dazwischen, »sonst schleppst du mir noch die ganze Apotheke hier in die Wohnung, was soll ich denn nur mit dem Zeug?«

»Gar nichts, Herr Leutnant, der Herr Leutnant können es ja nachher ruhig wieder wegwerfen, für mich kommt es nur darauf an, daß ich dem Vorgesetzten oder der Patrouille erklären kann, ich müsse für den Herrn Leutnant in die Apotheke, um dort irgendetwas zu holen, oder aber, wenn es spät ist, ich käme eben aus der Apotheke. Da könnte ich dem Vorgesetzten dann auch gleich zeigen, was ich gekauft habe. Und deshalb habe ich mir ausgedacht, daß der Herr Leutnant mir einen Zettel mitgeben, auf dem geschrieben steht: da ich zu Bett liege und krank bin, habe ich meinen Burschen, den Kürassier Paul Paulsen, zur Apotheke geschickt. Na und wenn ich für den erkrankten Herrn Leutnant auf dem Wege zur Apotheke oder auf dem Rückwege von dort auf der Straße getroffen werde, dann kann doch kein Vorgesetzter deswegen dem Herrn Leutnant oder mir etwas auf den Kopf geben.«

Der schöne Hugo mußte nun doch lächeln: »Das hast du dir ja sehr schlau ausgedacht.«

Wieder sah ihn Paul Paulsen mit flehenden, bittenden Augen an, dann sagte er: »Und nicht wahr, der Herr Leutnant geben mir diesen Zettel?«

Der stand noch einen Augenblick unschlüssig da, dann meinte er: »Na schön, meinetwegen. Ich will dir den Zettel schreiben, aber nur unter einer Bedingung. Wenn 166 du etwas für mich aus der Apotheke holst, dann hole auch etwas Vernünftiges, etwas, was man wirklich notwendig braucht, denn wenn du der Patrouille oder wer es sonst ist, für zehn Pfennige Brausepulver oder etwas Ähnliches vorzeigst, errät natürlich jeder Mensch sofort, daß dein Gang zur Apotheke nur ein Vorwand war. Also anstrengen mußt du deinen Schädel schon etwas.«

»Da können der Herr Leutnant sich ganz auf mich verlassen, ich werde schon was finden, und wenn nicht, da frage ich die Drina und wir beide zusammen werden schon das Richtige herauskriegen.«

»Na, da bin ich begierig,« meinte sein Leutnant belustigt, der sich inzwischen an den Schreibtisch gesetzt hatte, »so, hier hast du deinen Zettel und nun mach' aber wirklich, daß du fortkommst. Ich brauche dich heute nicht mehr, also laß dich vor morgen früh, ehe du mich weckst, nicht wieder sehen.«

Und diesen Befehl führte der Kürassier auf das Gewissenhafteste aus. Er verschwand, um erst wieder am nächsten Morgen um neun Uhr in dem Schlafzimmer seines Herrn zu erscheinen.

»Nun, wie war es denn gestern?« erkundigte sich der schöne Hugo, als sein Bursche die Vorhänge und die Jalousien zurückgezogen hatte.

Der machte ein ganz verklärtes Gesicht: »Es war wirklich mondscheinschön schön, Herr Leutnant, und soviel ich weiß, wenn ich der liebe Gott wäre, ich ließe den Mond jede Nacht scheinen,« und noch einmal wiederholte er: »Es war einfach mondscheinschön schön!«

167 »Na, dann ist es ja gut,« winkte sein Leutnant jeden weiteren Herzenserguß ab. Und da sein Leutnant nicht weitersprach, hielt auch Paul Paulsen den Mund, während er seinem Herrn behilflich war, sich anzukleiden. Aber dieses Schweigen bedrückte ihn, auch wunderte er sich darüber, daß sein Herr ihn gar nicht fragte, was er denn nun in der Apotheke geholt habe, und er war auf seinen Einkauf doch so stolz. Nur ein Glück, daß seine Drina ihm erzählte. sie habe vor Jahren, als sie noch auf dem Lande war, mal ein scheußliches Blutgeschwür gehabt, sonst wäre er auf die gute Idee, die seine Drina ihm eingab, ganz sicher nicht verfallen.

Warum fragte sein Leutnant ihn nur nicht? Sollte der seinen Weg zur Apotheke vollständig vergessen haben?

Und das war tatsächlich der Fall, der dachte gar nicht mehr daran, weil er sich in einem schönen Traume so lang und ausführlich mit Fräulein von Greusen beschäftigt hatte, daß deren Bild auch jetzt noch ganz deutlich vor ihm stand, als er nun Toilette machte.

Endlich war er mit der fertig und trat in das Wohnzimmer. in dem Paul Paulsen schon vorher den Frühstückstisch gedeckt und auf den der Kellner auf ein Glockenzeichen aus dem Schlafzimmer hin das Frühstück gestellt hatte.

Aber als der schöne Hugo dann an dem Tisch Platz genommen, bemerkte er dort außer der Glasbüchse mit der Marmelade noch eine andere kleine verschlossene Glasbüchse, in der er, als er die zur Hand nahm, etwas entdeckte, das er früher noch nie sah. Was war denn das nur? Das waren doch Tiere, Würmer, oder etwas Ähnliches? Ihm wurde bei diesem Anblick beinahe schlecht und mit Ekel setzte 168 er die Dose wieder fort, um seinem Burschen zuzurufen: »Pfui Teufel, Königliche Hoheit, da kann einem ja schon morgens blümerant um den Magen werden, was ist denn das?«

»Was das ist, Herr Leutnant?« gab Paul Paulsen stolz und siegesgewiß zur Antwort. »Das ist mein Einkauf aus der Apotheke. Als ich den gestern abend der Patrouille vorzeigte, da glaubte die mir sofort, daß der Herr Leutnant wirklich krank seien, denn nur so zum Spaß kauft sich doch kein Mensch Blutegel.«

»Wenn du nun kein Lob erntest, dann bekommst du in deinem ganzen Leben keins,« dachte Paul Paulsen, aber es kam wesentlich anders, als er glaubte. Einen Augenblick starrte sein Leutnant ihn fassungslos an, dann aber sprang der blitzschnell in die Höhe, ergriff mit der Rechten die Glasbüchse und für eine Sekunde sah es so aus, als ob er die seinem getreuen Paul Paulsen an den Kopf werfen wollte. Der aber zuckte mit keiner Wimper, das hatte er nicht mal im schlimmsten feindlichen Granatfeuer getan, da sollten ihm ausgerechnet so ein paar lumpige, hungrige Blutegel Angst einjagen? Nein, er fürchtete sich nicht und dazu lag auch kein Grund vor, denn er bekam die Blutegel nicht an den Kopf, sondern nur ein jeder Beschreibung spottendes Donnerwetter auf den Kopf, von dem er nur die Schlagworte verstand: »Verdammte Schweinerei – noch dazu auf dem Frühstückstisch – nie wieder Urlaub – erst recht nicht beim Mondenschein – bald an die Front – der Teufel soll dich holen – scher dich raus und iß deine Blutegel selber auf.«

169 Das letztere tat Paul Paulsen zwar nicht, wohl aber scherte er sich, als sein Leutnant endlich schwieg, zum Tempel des Herrn hinaus, und als er in seinem Zimmer angelangt war, zerbrach er sich vergebens den Kopf darüber, wie diese armen kleinen unschuldigen Tiere seinem Leutnant derartig die Laune hatten verderben können, bis er des Rätsels Lösung gefunden zu haben glaubte, und zwar statt der einen Lösung gleich zwei. Entweder hatte sein Leutnant heute morgen einen Kater, weil er gestern wieder zuviel von diesem hundsgemeinen Lethe-Gesöff getrunken hatte, oder sein Leutnant war auf ihn wütend und neidisch, weil er, Paul Paulsen, gestern nacht die Drina bei Mondscheinbeleuchtung hatte abknutschen dürfen, während er selbst, der Herr Leutnant, die ganze Nacht hindurch ungeknutscht in seinem Bette hatte liegen müssen.

Das war es, nur das, der Neid!

Dann aber überlegte er, was er mit den Blutegeln anfangen solle. Daß sein Leutnant für die keine Verwendung haben würde, das hatte er natürlich gleich gewußt, aber die kleinen Tiere nun fortwerfen? Das brachte er doch nicht über das Herz. So beschloß er denn, sie aufzuheben, bis ihm plötzlich einfiel, daß seine Drina ja in den nächsten Tagen ihren Geburtstag hatte. Da wollte er ihr die geben, für den Fall, daß sie doch einmal wieder ein Blutgeschwür bekam, und er selbst kam auf diese Weise billig zu einem ebenso hübschen wie aparten Geburtstagsgeschenk. 170

 


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