Freiherr von Schlicht (Wolf Graf von Baudissin)
Die Kriegsurlauber
Freiherr von Schlicht (Wolf Graf von Baudissin)

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II.

Obgleich Hans Arnim der Frau Konsul versprach, sich mit militärischer Pünktlichkeit präzise ein halb vier Uhr in der Laube zum Nachmittagskaffee einzufinden, war es doch schon fast ein viertel vor vier Uhr, als er sich endlich auf den kürzen Weg machte. Um nicht zu früh zu kommen, hatte er darauf gewartet, daß die Damen, wie sie das nach seiner Ansicht mußten, an seinen Fenstern vorüber gingen. Aber das war nicht geschehen, auch hatte er nichts davon bemerkt, daß der Diener in den Garten ging, um den Kaffeetisch zu decken. Da mußte also entweder der Plan, den Kaffee im Freien einzunehmen, aufgegeben sein, oder die Damen waren um die andere Seite des Hauses herum in den Garten gelangt. So wußte er selbst nicht recht, woran er war, als er nun sein Zimmer verließ. Aber als er sich dann der Laube näherte, schallte ihm von dort schon lautes Sprechen und frohes Lachen entgegen und als er sich gleich darauf mit der Bitte, sein verspätetes Kommen zu entschuldigen, zur Stelle melden wollte, da überfiel ihn plötzlich eine unbeschreibliche Freude, in die sich aber zugleich ein mordsmäßiger Schrecken mischte, denn vor ihm stand völlig unerwartet die Autodame von heute Morgen, die 39 ebenso wie Fräulein von Greusen bereits das Tenniskostüm trug und die ihm nun freundlich und anscheinend völlig unbefangen die Hand reichte, als er ihr vorgestellt wurde.

Das also war die Nichte der Frau Konsul, das also war Fräulein Kitty Bachhof, vor der er gewarnt worden war.

Aber wie jede Warnung, war auch diese zu spät gekommen, denn ganz deutlich fühlte er, wie sein Herz ein klein wenig unruhig schlug, wie ihre Nähe ihn verwirrt und verlegen machte, das aber wohl hauptsächlich deshalb, weil er sich fast vor ihr genierte, sie heute Morgen derartig angesehen zu haben. Was dann, wenn sie ihn nun in Gegenwart der beiden anderen Damen danach fragte, wie er dazu gekommen sei und was er sich dabei gedacht habe? Aber glücklicherweise schien die gar nicht darauf zu kommen und doch wäre es ihm lieber gewesen, sie hätte, wenn auch nur mit einem flüchtigen Wort, die Begegnung des Morgens erwähnt, als daß sie stillschweigend über die hinwegging. Wollte sie ihn für seine Keckheit dadurch strafen, daß sie so tat, als habe sie ihn heute noch gar nicht gesehen? Er wurde nicht recht klug daraus, aber ihre völlige Unbefangenheit gab auch ihm schnell seine Ruhe und Gelassenheit wieder und soweit er es vermochte, beteiligte er sich an dem Gespräch der Damen, das sich zuerst um gemeinsame Bekannte drehte, bis es dann allgemeiner wurde und bis er auch jetzt, wie schon bei Tisch, von dem Kriege erzählen mußte.

Fräulein Kitty stellte tausend Fragen. Ob es denn wahr wäre, wie es damals in den Zeitungen stand, daß sie in den Wintermonaten in den Karpathen mehr als 40 fünfundzwanzig Grad Kälte gehabt hätten? Wie es möglich sei, diese Temperatur auszuhalten, ohne zu erfrieren? Wie die Truppen es angefangen hätten, durch den doch oft meterhohen Schnee vorwärts zu kommen, und noch vieles mehr. Hans Arnim stand Rede und Antwort und es glückte ihm auch jetzt, einen leichten, lustigen Ton zu finden, so daß Kitty zuweilen fröhlich auflachte, während sie dabei einen Windbeutel mit Schlagsahne nach dem anderen aß. Bis sie plötzlich mit einem Ausdruck aufrichtigen Bedauerns in dem auffallend hübschen Gesicht den Teller beiseite schob und ausrief: »Tante, und wenn du mich noch so sehr quälst, mehr kann ich jetzt nicht essen.«

»Aber ich quäle dich doch nicht, Kitty,« verteidigte die Frau Konsul sich.

»Doch quälst du mich, wenn auch nur indirekt,« gab Kitty zur Antwort, »denn wenn du mir soviel Windbeutel vorsetzt, dann heißt das mit anderen Worten: »Ich erwarte von deinem Pflicht- und Ehrgefühl, daß du die auch aufißt und bei diesen teuren Zeiten nichts umkommen läßt.« Aber ich kann wirklich nicht mehr, Tante, ich bin zu voll. Ich werde mir ja nachher auf dem Tennisplatz genug Bewegung schaffen, aber trotzdem hätte ich nicht übel Lust, nun dreimal um den großen Rasen zu laufen,« und sich an Hans Arnim wendend, bat sie: »Wie ist es, Herr von Kühnhausen, laufen Sie mit? Wollen wir etwas Haschen spielen? Ach so, richtig, daran wird Ihr kranker Fuß Sie ja hindern, aber trotzdem leisten Sie mir auf dem Verdauungsspaziergang vielleicht etwas Gesellschaft? Ich zeige Ihnen bei der Gelegenheit den schönen Garten, den Sie sicher noch nicht 41 kennen. Nicht wahr, Tante, du erlaubst mir doch, dem Herrn Oberleutnant hier alle meine Lieblingsplätze zu zeigen.«

»Aber gern, Kitty, wenn es dem Herrn Oberleutnant nicht zu anstrengend ist,« stimmte die Frau Konsul ihr liebenswürdig bei.

Und als Hans Arnim dem widersprochen hatte, bat Kitty, sich von ihrem Platz erhebend: »Dann kommen Sie also, Herr von Kühnhausen.« Aber als er gleich darauf an ihrer Seite dahinhumpelte, sagte sie so laut, daß die Zurückbleibenden es hören mußten: »Ach herrjeses, das ahnte ich ja nicht, daß Ihnen das Gehen noch solche Schwierigkeiten bereitet. Da wollen wir doch lieber zurückgehen,« und so leise, daß nur er es verstand, setzte sie schnell, noch bevor er hätte antworten können, hinzu: »Sie müssen unbedingt mit mir kommen, ich habe mit Ihnen zu sprechen.«

»Als ob ich das nicht gleich geahnt hätte,« sagte sich Hans Arnim im stillen. »So dumm bin ich denn doch nicht, daß ich nicht sofort erriet, dieser Spaziergang durch den Park sei nur ein Vorwand.« Laut aber sagte er: »Es ist für meinen Fuß nur gut, wenn ich mir Bewegung mache. Wir können den Weg meinetwegen ruhig fortsetzen.«

Das taten sie denn auch, und anscheinend in ganz unbefangener Art machte Kitty ihn bald auf diesen, bald auf jenen alten Baum aufmerksam, zeigte ihm bald hier bald dort eine besonders hübsche Stelle, bis sie dann schließlich abermals eine große Laube erreichten, vor der Kitty Halt machte: »So Herr von Kühnhausen, hier ruhen Sie sich einmal aus und setzen Sie sich dorthin auf die Bank. Ich selbst werde lieber stehen bleiben. Wir sind zwar hier vor 42 jeder Überraschung sicher, aber es ist vielleicht trotzdem besser, wenn ich aufpasse, damit kein Lauscher in unsere Nähe kommt, denn was ich Ihnen zu sagen habe, braucht kein Dritter zu hören.«

»Gnädiges Fräulein hätten mir etwas zu sagen?« entgegnete er absichtlich mit dem erstauntesten Gesicht von der Welt. »Da bin ich aber wirklich mehr als begierig.«

»Und ich bin es erst recht auf das, was Sie mir antworten werden,« gab sie zurück. »Als ich Sie heute Morgen in dem Wagen meiner Tante sitzen sah, wußte ich natürlich sofort, daß Sie der Kriegsurlauber seien, den meine Tante bereits seit einigen Tagen erwartet. Ich wußte also auch sofort, daß ich Sie hier wiederfinden würde. Ihretwegen habe ich mich auch nur heute nachmittag zum Kaffee angemeldet. Und nun bitte beantworten Sie mir eine Frage: Wie kamen Sie dazu, Herr von Kühnhausen, mich heute Morgen derartig anzusehen? Daß man mich ansieht, bin ich ja schließlich gewohnt, denn ich bilde mir ein, nicht gerade die Allerhäßlichste zu sein, aber so, wie Sie das taten –«

Schon bei ihren ersten Worten, die ihm nicht viel Gutes zu verraten schienen, hatte er sich im stillen gesagt: Nun heißt es, frech sein, so frech, wie es nur ein königlich preußischer Leutnant sein kann. Und so meinte er denn jetzt, ihr lustig und übermütig in das Wort fallend: »Nicht wahr, gnädiges Fräulein, das war doch noch mal ein Blick, den ich Ihnen zuwarf! Und daß das vor mir in der Weise noch kein anderer getan hat, das glaube ich Ihnen gern. Dieser Augenaufschlag ist gewissermaßen mein geistiges Eigentum. Ich wollte den sogar schon mal patentamtlich schützen lassen, 43 aber mir wurde gesagt, das ginge nicht. Ich könnte auf den höchstens den Musterschutz, oder wie es sonst heißt, bekommen. Na, vor dem Kriege habe ich die Sache verbummelt, aber sobald wir wieder Frieden haben, hole ich das Versäumte nach.«

Mit einem vorwurfsvollen Blick sah sie ihn an: »Ist das wirklich alles, was Sie zu Ihrer Entschuldigung zu sagen haben?«

»Wollen Sie mir als Antwort eine Gegenfrage erlauben, gnädiges Fräulein?« bat er, »dann sagen Sie mir bitte ganz wahrheitsgemäß: Wenn Sie der Infanterie-Oberleutnant Hans Arnim von Kühnhausen wären und ich das Fräulein Kitty Bachhof, hätten Sie mich da mit einem anderen Augenaufschlag angesehen, als ich es heute Morgen tat?«

»Sicher,« widersprach sie, »denn Ihr Blick war ungezogen, Herr von Kühnhausen, nein bitte, verteidigen Sie sich nicht,« fuhr sie fort, als er sie unterbrechen wollte, »der Blick war ungezogen. Wie ungezogen, das fiel mir erst hinterher ein, als ich zu Hause in Ruhe darüber nachdachte.«

»Warum denken Sie aber auch nach, gnädiges Fräulein?« meinte er mit so vorwurfsvoller Stimme, daß sie unwillkürlich lachen mußte.

Und dieses Lachen verriet ihm, daß sie ihm gar nicht mehr böse war, daß sie ihm vielleicht sogar nicht ernstlich gezürnt habe, und so sagte er denn jetzt: »Hätten Sie denn wirklich über gar nichts anderes nachdenken können, gnädiges Fräulein?«

»Ich habe das sogar auch getan,« stimmte sie ihm schnell 44 bei, »und zwar über die Strafe, die Sie verdienen und die ich über Sie verhängen werde. Strafe muß sein. Ich bitte Sie, wenn ein anderer diesen Blick bemerkt hätte, ich hätte mich ja noch mehr schämen müssen, als ich es ohnehin schon tat. Ich bin vor Empörung abwechselnd blaß und rot geworden.«

»Aber erst, als Sie den Sonnenschirm aufgespannt hatten, gnädiges Fräulein, wenigstens habe ich vorher nichts davon bemerkt.«

»Da haben Sie eben keine besonders scharfen Augen,« schalt sie, »denn ich weiß ganz genau, daß ich abwechselnd blaß und rot wurde, so etwas fühlt man doch selbst am besten.«

»Natürlich fühlt man das,« pflichtete er ihr anscheinend sehr ernsthaft bei, »nun aber ist dieses Wechselfieber, wenn ich das so nennen darf, ja glücklicherweise längst überwunden, wenigstens wechseln Sie jetzt die Farbe nicht mehr.«

»Das kann doch auch nicht den ganzen Tag andauern, aber wenn Sie glauben, daß Sie deshalb Ihrer Strafe entgehen, dann irren Sie sich sehr. Ich wiederhole nochmals, Strafe muß sein, denn ich habe mich hinterher so rasend über Ihre Keckheit geärgert, daß ich ernstlich daran dachte, mich über Sie zu beschweren.«

»Sogar dienstlich? Mit dem Helm auf dem Kopfe?« neckte er sie kühn, um gleich darauf zu fragen: »Bei wem denn nur? Bei dem hiesigen Garnisonältesten, dem Herrn Oberst von Aschenbach? Bei meinem Herrn Hauptmann draußen vor dem Feinde? Bei meinem Major oder am Ende gar bei Seiner Majestät dem Kaiser? Ich glaube nur, der 45 Allerhöchste Herr hat jetzt wirklich Wichtigeres zu tun, als solche Beschwerden zu entscheiden.«

»Das habe ich schließlich auch eingesehen,« stimmte sie ihm bei, »und deshalb habe ich beschlossen, die Strafe selbst über Sie zu verhängen.«

»Das ist mir auch entschieden lieber,« rief er übermütig, »denn Sie sehen wirklich nicht danach aus, gnädiges Fräulein, als ob Sie mit einem reuigen Sünder allzu streng in das Gericht gehen würden, wobei ich allerdings zu meiner Entschuldigung hinzufügen muß, daß es mit meiner Reue nicht allzu weit her ist.«

»Sie schämen sich wohl gar nicht, Herr von Kühnhausen?« schalt sie, ihn mit ihren hübschen vorwurfsvollen Augen ansehend.

»Muß ich das denn wirklich, gnädiges Fräulein? Aber schön, wenn Sie es verlangen, dann will ich es Ihnen zuliebe gern tun. Also sehen Sie mich bitte mal genau an, damit Sie auch bemerken, wie ich mich schäme.«

Und als sie ihn dann ansah, um sich davon zu überzeugen, ob es ihm mit seinen Worten wenigstens einigermaßen ernsthaft sei, da machte er zwar ein völlig niedergeschlagenes Gesicht, verdrehte aber zugleich in so komischer Weise die Augen, daß sie abermals hell auflachen mußte, bis sie ihm zurief: »Warten Sie es nur ab, Sie werden schon sehr bald ein anderes Gesicht machen, und wenn Sie glauben, daraus, daß ich über Sie lache, falsche Schlüsse ziehen zu können, dann sind die eben sehr falsch. Ich werde Ihnen sofort Ihre Strafe diktieren, vorher aber müssen Sie mir schwören, daß Sie die auch hinnehmen werden und gegen mein Urteil keine Berufung einlegen.«

46 Er kratzte sich nachdenklich mit der rechten Hand hinter dem Ohr: »Das ist, mit Respekt zu sagen, 'ne verdammte Geschichte, gnädiges Fräulein, denn was man schwört, muß man schließlich doch auch halten, und ehe ich nicht weiß, was Sie von mir verlangen, ganz abgesehen davon, daß ich natürlich nach meiner Ansicht gar keine Strafe verdiene –«

»Das überlassen Sie bitte mir, als Ihrer Richterin,« fiel sie ihm in das Wort, und so fragte sie noch einmal: »Wollen Sie nun schwören oder nicht?«

»Wenn es denn sein muß, meinetwegen, vorausgesetzt natürlich, gnädiges Fräulein, daß Sie nicht die Todesstrafe über mich verhängen und nicht von mir fordern, daß ich mich totschießen soll, um Ihnen nie wieder vor Ihre schönen Augen zu kommen.«

»Das brauchen Sie nicht zu befürchten,« beeilte sie sich, ihn zu beruhigen, »an Ihrem Tode liegt mir gar nichts, sondern nur sehr viel an Ihrem Leben, denn wenn Sie tot wären, könnten Sie mir doch nicht den Hof machen.«

Zuerst glaubte er, nicht recht verstanden zu haben. Mit ganz verdutzten Augen sah er sie an, bis die sich dann immer mehr und mehr verklärten, bis er nun so schnell, wie es ihm möglich war, von seinem Platze aufsprang und ihr freudestrahlend zurief: »Gnädiges Fräulein, höre ich recht, ich soll und darf Ihnen den Hof machen? Na, gnädiges Fräulein, wenn Sie keine größere Strafe über mich zu verhängen beabsichtigen als die, die nehme ich mit tausend Freuden auf mich, das schwöre ich Ihnen hiermit feierlichst,« und die Finger der rechten Hand zum Schwur erhebend, setzte er ganz ernst hinzu: »So wahr mir Gott helfe.«

47 Kitty mußte es sich eingestehen, er war wirklich ein auffallend hübscher Mensch, wie er ihr so gegenüberstand, hoch und stolz aufgerichtet. Und ihr gefiel auch das hübsche, männliche Gesicht, mit den vor Freude nun fast verklärten Zügen und den leuchtenden Augen. Er sah tatsächlich sehr gut aus, wie er jetzt dastand, frei von jeder theatralischen Pose, und seine Worte »so wahr mir Gott helfe« hatten fest und entschlossen geklungen, als ob er eben erneut geschworen, für seinen Kaiser und für sein Vaterland zu sterben.

Es tat ihr nun fast leid, ihn bestrafen zu müssen, aber das war ja einzig und allein seine Schuld. Gewiß, zuerst war sie heute Morgen empört gewesen, dann aber hatte sie doch lachen müssen, bis dann zu Hause abermals der Zorn über sie kam, obgleich sie sich offen eingestand, daß auch der nicht ganz echt war, daß sie sich nur künstlich in den hineinredete, um einen Grund und einen Vorwand zu haben, eine Strafe über ihn zu verhängen, die ihm sicher nichts schadete und die ihr selbst – –

Aber zu solchen Erwägungen war jetzt keine Zeit, denn immer noch stand er ihr erwartungsvoll gegenüber, bis er ihr jetzt, da sie immer noch schwieg, zurief: »Sie haben es gehört, gnädiges Fräulein, ich habe den Eid, den Sie von mir verlangten, sogar bei Gott geleistet. Ist das mit dem Courmachen aber auch wirklich das Einzige, was Sie von mir fordern?«

»Ja, nur das,« stimmte sie ihm bei, aber als sie sah, wie es von neuem in seinen Augen aufblitzte, setzte sie schnell hinzu: »Aber freuen Sie sich nur nicht zu früh, Herr von Kühnhausen, denn die Sache wird ganz anders verlaufen, 48 als Sie glauben. Trotzdem, ein Zurück gibt es nun nicht mehr für Sie.«

»Und selbst wenn es das gäbe,« fiel er ihr in das Wort, »selbst dann müßte ich doch, mit Respekt zu vermelden, Tinte gesoffen haben, wenn ich an einen Rückzug dächte. Hier gibt es nur ein Vorwärts, ein Vorwärts bis zum Siege!«

»Und doch werden Sie den niemals, unter gar keinen Umständen erringen,« dämpfte sie da jählings seine Freude.

Ebenso glücklich wie vor ein paar Minuten, ebenso entsetzt sah er sie jetzt an, bis er dann stotterte: »Ich werde den Sieg niemals erringen? Ja, warum denn nicht und warum soll ich Ihnen da erst den Hof machen?«

»Weil Sie sich das heute Morgen wünschten, als Sie mich sahen,« gab sie zur Antwort. »Da erriet ich Ihre geheimsten Gedanken, die da ungefähr lauteten: »Donnerwetter, das ist doch noch mal ein Mädel, oder nannten Sie mich im stillen eine junge Dame? Das bleibt sich ja schließlich gleich, auf jeden Fall dachten Sie sich: Donnerwetter, der möchtest du mal den Hof machen und sogar feste! Der möchtest du immer wieder sagen, wie hübsch du sie findest, der möchtest du Rosen auf ihren Weg und unter ihre kleinen Füße streuen, vorausgesetzt, daß sie kleine Füße hat und die habe ich wirklich, Herr von Kühnhausen.«

»Dann werde ich also sobald wie möglich mit dem Rosenstreuen beginnen, denn das war tatsächlich meine Absicht, gnädiges Fräulein, als ich Sie heute im Auto sah,« stimmte er ihr bei, »und offen gestanden träumte ich auch da von einem herrlichen Sieg, und nun soll es mit dem nichts werden? Aber warum denn nicht?«

49 »Weil es doch eben nur eine Strafe für Sie sein soll, daß Sie mir die Cour schneiden, und das müssen Sie bei jeder Gelegenheit tun, die sich Ihnen bietet und wenn sich Ihnen keine bietet, müssen Sie eine solche suchen. Sogar auf dem Tennisplatz dürfen Sie keine andere bevorzugen, wie nur mich, und deshalb dürfen Sie auch kein ordentliches, sondern nur ein außerordentliches Mitglied unseres Flirtklubs werden.«

»Was ist denn das für ein Klub?« erkundigte er sich verwundert. »Von dem habe ich ja noch gar nichts gehört.«

»Das werden Sie später schon noch erfahren, vielleicht heute Nachmittag schon, wenn Sie mit uns zum Tennisplatz hinausfahren,« und ihn schelmisch lächelnd ansehend, setzte sie hinzu: »Ich habe mir nämlich unser Auto herbestellt, Herr von Kühnhausen, Ihretwegen, denn auch das merkte ich Ihnen am Vormittag an, daß Sie sich im stillen sagten: »Donnerwetter, in dem Auto möchtest du auch gern einmal sitzen, aber selbstverständlich nur mit der jungen Dame zusammen.« Sie sehen, auch der Wunsch geht für Sie in Erfüllung, wie überhaupt Ihre Strafe darin besteht, daß sich alle Ihre Wünsche erfüllen sollen, bis auf den letzten. Ich erlaube Ihnen, mir den Hof zu machen, bis Sie lichterloh brennen, und dann – –«

»Und dann?« fragte er mehr als neugierig, als sie nun absichtlich schwieg, um seine Spannung zu erhöhen.

Aber auch jetzt ließ sie ihn noch eine kleine Weile zappeln, bis sie endlich meinte: »Dann verlobe ich mich mit einem anderen.«

War er vorher vor Freude bei ihren Worten aufgestanden, 50 so ließ er sich jetzt ganz entsetzt auf die Bank zurückfallen, um gleich darauf die Mütze abzunehmen und sich mit dem Tuch über die Stirn zu fahren: »Herrgott von Bibra,« stöhnte er schwer auf, »ist mir eben aber heiß geworden. So habe ich ja nicht mal bei fünfundzwanzig Grad Kälte in den Karpathen geschwitzt, obgleich uns dort trotz der Kälte zuweilen verdammt warm wurde, wenn wir durch den hohen Schnee vorstürmen mußten. Aber jetzt handelt es sich ja nicht um mich, sondern um Sie, gnädiges Fräulein, nein, doch um mich, oder besser gesagt, um uns beide, nein, doch nur um Sie, denn Sie wollen wirklich, wenn ich mich ernstlich in Sie verliebt habe, sofort einen anderen heiraten. Aber warum denn nur? Lieben Sie den denn? Und selbst wenn das der Fall ist, das wäre doch noch kein Grund, einen anderen Menschen, noch dazu mich, unglücklich zu machen.«

»Sie werden sich später schon zu trösten wissen,« meinte sie so ernsthaft, daß er es wirklich mit der Angst bekam, dann aber lachte er plötzlich auf und rief ihr lachend zu: »Das ist ja alles Unsinn, gnädiges Fräulein, Sie glauben ja selbst nicht an das, was Sie mir da erzählen.«

Offen und frei sah sie ihm in die Augen, bis sie ihn dann ihrerseits fragte: »Was ich glaube oder nicht, das ist ja schließlich meine Sache, aber glauben Sie, Herr von Kühnhausen, daß ich einen mir doch völlig fremden Herrn so ohne weiteres auffordern würde, mir den Hof zu machen, wenn ich nicht genau im voraus wüßte, daß die Sache für mich völlig ungefährlich bleiben würde?«

»Das schon,« stimmte er ihr nach einer kleinen Pause 51 bei, bis er fragte: »Sagen Sie mir bitte eins, gnädiges Fräulein, kenne ich diesen anderen, den Sie zu lieben angeben? Und wenn ich ihn zufällig kenne, obgleich ich hier ja noch ziemlich fremd bin, ist es ein Kamerad?«

»Glauben Sie etwa, ich wäre in dieser kriegerischen Zeit so wenig militärfromm, daß ich einen Zivilisten heiraten würde?« fragte sie ihn mit einem vorwurfsvollen Ton in der Stimme. »Meinem Vater wäre es allerdings lieber, ich hätte mich in einen gutgestellten Zivilisten verliebt, denn der meint, selbst ein Kommerzienrat habe heutzutage an einem Leutnant in der Familie genug, da könne sich selbst ein Kommerzienrat den Luxus eines zweiten Leutnants als Schwiegersohn nicht leisten.«

»Das käme doch wohl noch sehr darauf an,« warf Hans Arnim ein.

»Sie meinen wohl auf die finanziellen Verhältnisse des künftigen Schwiegersohnes?« fragte Kitty.

»Nein, im Gegenteil,« widersprach er, »ich meine, das käme doch nur auf das Vermögen des Schwiegervaters an. Aber soweit sind wir ja leider noch nicht, ganz abgesehen davon, daß es mir natürlich sehr peinlich ist, ein so heikles Thema mit einer jungen Dame zu besprechen, der man verpflichtet ist, den Hof zu machen.«

»Ja, das sind Sie,« rief Kitty ihm zu, »und ich bin nur begierig, wann Sie endlich damit anfangen werden.«

»Endlich ist gut,« verteidigte er sich, »ich muß doch erst die Situation übersehen, ehe ich zum Angriff gegen Sie vorgehe, gnädiges Fräulein. Ich muß doch auch erst wissen, 52 wer der andere ist, oder wären Sie so liebenswürdig, mir seinen Namen zu nennen?«

»Glaub en Sie nicht, daß das sehr indiskret von mir wäre?«

»Da haben Sie wieder recht, gnädiges Fräulein, aber ich kann mir nicht helfen, ich glaube immer noch nicht so recht an diesen Anderen.«

»Der existiert aber wirklich,« widersprach sie sehr lebhaft, »wenn Sie es wünschen, bin ich sogar bereit, das meinerseits zu beschwören.«

»Das verlange ich natürlich nicht,« fiel er ihr in das Wort, »aber wenn dem so ist, wie Sie sagen, dann verstehe ich nur eines nicht. Warum haben Sie sich denn nicht bereits früher mit dem verlobt und warum soll ich Ihnen da erst noch den Hof machen? Sie müssen bei Ihrem Plan irgend einen Hintergedanken haben, und halt,« unterbrach er sich triumphierend, »jetzt weiß ich auch welchen. Ich kenne Ihren zukünftigen Gatten ja zwar noch nicht und ich will den natürlich auch nicht beleidigen, aber trotzdem, er ist das, was man einen blöden Trottel nennt.«

»Erlauben Sie mal, Herr von Kühnhausen, wie können Sie sich erdreisten, in solchen Ausdrücken von meinem zukünftigen Manne zu sprechen?« schalt Kitty anscheinend ganz empört.

Aber Hans Arnim bewahrte seine Ruhe: »Noch ist der nicht Ihr Gatte, und ob er es wird, das wollen wir mal abwarten, denn ein kleines Wort habe ich da auch noch mitzureden. Aber gleichviel, ich glaube jetzt zu wissen, warum ich Ihnen den Hof machen soll. Der andere ist 53 so blöde, daß er sich nicht getraut, Ihnen seine Liebe zu gestehen. Da wollen Sie ihn nach dem alten, längst bewährten Rezept eifersüchtig machen, und damit ich ihm bei Ihnen nicht zuvorkomme, soll der endlich den Mut finden, das entscheidende Wort zu sprechen. Nicht wahr, so ist es doch?«

Kitty zuckte die Achseln, dann meinte sie gelassen und gleichgültig: »Vielleicht haben Sie recht, vielleicht aber auch nicht, denn es wäre doch immerhin möglich, daß ich mit meinem Plan und mit der Ihnen auferlegten Strafe noch etwas anderes bezwecke.«

»Und darf man wirklich nicht wissen, was das ist?« bat er.

»Nein, Herr von Kühnhausen, das darf man nicht wissen, wenigstens heute noch nicht,« gab Kitty zur Antwort. »Aber Sie brauchen deswegen nicht ein so enttäuschtes Gesicht zu machen. Die Stunde wird schon noch kommen, in der Sie alles erfahren, und wenn Sie Ihre Sache gut gemacht haben, wird die Belohnung für Sie auch nicht ausbleiben, dann sollen Sie bei meiner Hochzeit der erste Trauzeuge sein.«

»Ach nein, wirklich?« fragte er, sich verstellend, und sich selbst ironisierend setzte er hinzu: »Sie wissen gar nicht, gnädiges Fräulein, wie ich mich schon heute auf diese Auszeichnung freue. Der erste Trauzeuge! Da gehe ich also unmittelbar hinter Ihnen. Aber das sage ich Ihnen gleich, gnädiges Fräulein, ich übernehme keinerlei Garantie dafür, daß ich auf dem Kirchgang nicht plötzlich einen Eifersuchtskoller bekomme und daß ich Ihrem, natürlich auch von mir hochverehrten Gatten nicht unvermittelt an die Gurgel fahre, 54 denn wenn ein Mensch ja auch einen gewissen Prozentsatz Wasser in sich herumträgt, nur aus Wasser bestehe ich denn doch nicht. Ich habe auch Blut in meinen Adern, sogar manchmal verdammt heißes, und deshalb täten Sie vielleicht besser, sich später nach einem anderen Trauzeugen umzusehen.«

»Herrgott, können Sie aber mit den Augen funkeln, da kann man es ja förmlich mit der Angst bekommen, wenn man Sie ansieht,« rief sie ihm jetzt zu, als sie bemerkte, wie es bei dem Gedanken an den Anderen in seinen Augen aufblitzte. Und es waren nicht nur leere Worte, die Kitty da sagte, sie ängstigte sich wirklich ein klein wenig vor ihm, trotzdem aber freute sie sich im stillen darüber, daß er selbst solchen Gefallen an ihr fand, daß er sie schon jetzt keinem anderen überlassen wollte. Aber der Andere lebte tatsächlich, und wenn sie trotzdem beschlossen hatte, sich von ihm den Hof machen zu lassen, ja, wenn sie das sogar nach ihrer festen Überzeugung tun mußte, dann brauchte er das Warum und Weshalb ja heute noch nicht zu wissen. Je später er alles erfuhr, umso besser für ihn, wenn die Zukunft ihm dann wirklich eine große Enttäuschung bereiten sollte, wie sie es sicher zu wissen glaubte. So meinte sie denn jetzt: »Ich glaube, wir tun gut, das Gespräch nun abzubrechen, Herr von Kühnhausen. Bis zur Hochzeit ist es ja noch lange hin, und wenn der Tag erst da ist, sind Sie vielleicht gar nicht mehr hier in der Stadt und haben mich längst wieder vergessen.«

»Das glauben Sie wohl selber nicht, gnädiges Fräulein,« widersprach er. »Ich will Ihnen natürlich keine Schmeichelei sagen – –«

55 »Warum denn nicht?« fragte sie anscheinend ganz verwundert. »Das gehört doch mit zu dem Hofmachen, und wenn man den Schmeicheleien selbstverständlich auch nicht glaubt, man hört sie trotzdem gern, ich tue das wenigstens, also bitte los mit den Komplimenten!«

»Ja, das sagen Sie so, gnädiges Fräulein,« meinte er kleinlaut, bis er abermals zornig werdend aufbrauste: »Es ist weiß Gott ein Skandal! Da habe ich mich nun so darauf gefreut, Ihnen den Hof machen zu dürfen, und nun, da ich es darf, ist mir die ganze Freude verdorben. Im Hintergrunde sehe ich immer den Anderen vor mir, und was das Schlimmste ist, ich sehe ihn gar nicht deutlich, weil ich ja nicht einmal weiß, wer er ist. Aber verlassen Sie sich darauf, gnädiges Fräulein, ich werde das schon herausbekommen und zwar sehr bald. Und wenn ich den erst kenne, nehme ich den Konkurrenzkampf mit ihm auf. Daß ein so auffallend hübsches junges Mädchen wie Sie sich nicht in den ersten besten Kriegsurlauber verliebt, denn um einen solchen handelt es sich doch wohl –«

»Das allerdings,« stimmte sie ihm bei.

»Na also,« meinte er, »da weiß ich wenigstens, wo ich die Konkurrenz zu suchen habe, und wenn ich ihn fand, ich wiederhole, gnädiges Fräulein, in den ersten Besten haben Sie sich ganz gewiß nicht verliebt, denn sonst wäre es ja auch keine Ehre für mich, den auszustechen. Je stärker der Feind, desto ruhmvoller der Sieg! Wie wahr dieses alte Wort ist, haben wir da draußen im Felde täglich aufs neue erfahren. Aber mag der Gegner noch so stark sein, mag er noch soviel Vorzüge haben, ich ringe ihn zu Boden, gnädiges 56 Fräulein, nicht, weil ich mir einbilde, in jeder Hinsicht über jeden anderen hervor zu ragen, sondern weil ich ganz einfach siegen will, und der Wille zum Sieg hat noch stets jedes Hindernis beseitigt!« Und seinen Ton plötzlich ändernd, schloß er ganz unvermittelt: »Und da dem so ist, wie ich sage, gnädiges Fräulein, da wäre es doch eigentlich das Einfachste, wenn Sie mir gleich heute den Sieg zusprächen.«

»Sie sind wohl ganz von Gott verlassen, Herr von Kühnhausen?« entfuhr es ihr unwillkürlich, um dann fortzufahren: »Mir ist doch weiß Gott schon mancher Leutnant begegnet, aber so wie Sie sah mich noch keiner an, so keck wie Sie ist noch keiner darauf losgegangen. Ob aber solches blinde Draufgehen immer den gewünschten Erfolg hat, ist doch noch sehr die Frage. Bei mir ist das ja aus dem Grunde, den ich Ihnen schon nannte, nicht nur jetzt, sondern für immer ganz ausgeschlossen.«

»Na na, gnädiges Fräulein, warten wir es ab!« warf er übermütig ein.

»Schön, warten wir es also ab,« stimmte sie ihm bei, »ich kann warten.«

»Und ich erst recht, gnädiges Fräulein.«

»Da sind wir uns also wenigstens über diesen Punkt einig,« neckte sie ihn, »nun wollen wir aber für den Augenblick Schluß der Debatte machen. Es wird auch Zeit, zu den anderen zurückzugehen, denn so groß ist selbst dieser schöne Park nicht, daß man in dem ewig und drei Stunden herumgehen könnte. Ihr kranker Fuß muß als Ausrede dienen, wenn wir zu lange fortgeblieben sein sollten. Also kommen Sie jetzt und lassen Sie sich nur nochmals kurz an den Eid 57 erinnern. Ich werde Ihnen Gelegenheit geben, mich öfters zu sehen. Wenn nicht anders, dann täglich auf dem Tennisplatz. Gespielt wird dort allerdings sehr wenig, desto mehr aber geflirtet, daher der Name Flirtklub. Aber auch da dürfen Sie sich nur um mich kümmern.«

»Und das werde ich auch, gnädiges Fräulein, darauf können Sie sich verlassen,« stimmte er ihr so lebhaft bei, daß sie ihn bat, seine Stimme zu dämpfen: »Wir sind gleich wieder in der Kaffeelaube, also Vorsicht! Die Tante und Fräulein von Greusen brauchen ja nichts von unserer Unterhaltung zu erfahren,« bis sie leise hinzusetzte: »Natürlich dürfen Sie auch nicht einmal Fräulein von Greusen, wenn auch nur in unverbindlicher Art, den Hof machen, obgleich ich gerade der gewünscht hätte, daß die an Ihnen einen ernsthaften Courmacher fände. Denn nicht wahr, Fräulein von Greusen ist nicht nur eine Schönheit, sondern sie hat auch in ihrem Wesen so viel Liebes und Nettes, daß man ihr unbedingt gut sein muß. Wenn es nach mir ginge, hätte ich ihr schon längst die Freundschaft und das vertrauliche Du angeboten, aber sie will es ja nicht, sie will ja einmal nur das Fräulein von Greusen bleiben. Na, vielleicht gelingt es Ihnen, sie in der Hinsicht wenigstens teilweise zu bekehren.«

»Das glaube ich kaum, gnädiges Fräulein,« widersprach er, »ich habe es vorhin schon im Kleinen versucht, aber ohne jeden Erfolg. Auf jeden Fall möchte ich Ihnen aber sagen, gnädiges Fräulein, fast noch mehr als Ihre Schönheit und Ihr Wesen, soweit ich das bisher kenne, nimmt mich eins für Sie ein, die außerordentlich freundliche Art, in der Sie 58 sich über Fräulein von Greusen äußerten. Das freut mich viel mehr, als ich sagen kann.«

Kitty blieb unwillkürlich stehen und sah ihn mit ihren großen, runden Augen völlig erstaunt an, dann meinte sie plötzlich, ihm scherzend mit dem Finger drohend: »Na na, das soll doch nicht etwa heißen?« Und ein klein wenig böse werdend und mit dem rechten Fuß auf den Sand stampfend, setzte sie hinzu: »Nein, Herr von Kühnhausen, das gibt es ganz einfach nicht. Das lasse ich mir nicht gefallen, daß Sie sich auch in Fräulein von Greusen verliebt haben. Ein Wunder wäre das ja weiter nicht, aber trotzdem, wie sagt doch die Jungfrau von Orleans: »Mein ist der Helm und mir gehört er zu!« Und so gehören Sie jetzt mir, Herr von Kühnhausen, einzig und allein mir, als mein Courmacher, als mein Ritter und mein Knappe, bis Sie Ihre Strafe verbüßten, oder bis ich Sie vielleicht schon früher in Gnaden aus Ihrer Kerkerzelle entlasse.«

»An alledem wird Fräulein von Greusen auch nicht das Allergeringste ändern,« stimmte er ihr bei. »Jetzt aber heißt es, noch vorsichtiger sein, denn jetzt sind wir wirklich in der Hörweite der beiden anderen Herrschaften angelangt.«^

Und gleichsam zum Beweise dafür, daß er recht habe, rief die Frau Konsul ihm jetzt aus der Laube entgegen: »Na, Herr von Kühnhausen, da kommen Sie ja endlich wieder zum Vorschein. Daß man so lange in dem Park spazieren gehen könnte, hätte selbst ich nicht geglaubt. Das soll natürlich kein Vorwurf sein, als hätten Sie mich etwa zu lange allein gelassen, aber ich fürchtete nur, Sie könnten sich mit dem Gehen überanstrengen.«

59 »In der Hinsicht habe ich schon auf den Herrn Leutnant aufgepaßt,« nahm Kitty jetzt völlig unbefangen das Wort. »An Ruhebänken ist ja nirgends ein Mangel, und während der Herr Leutnant saß, habe ich ihn auf alle Schönheiten, die sich vor seinen Augen ausbreiteten, aufmerksam gemacht,« und da sie wußte, daß sie damit ihrer Tante eine Freude machte, setzte sie hinzu: »Herr von Kühnhausen ist von deinem Park genau so begeistert wie ich.«

»Nicht wahr, der Park ist wirklich schön?« meinte jetzt die Frau Konsul voller Stolz und doch voller Bescheidenheit, um ihrem Gast dann ausführlich zu erzählen, wie dieser Park damals vor ungefähr dreißig Jahren, als ihr längst verstorbener Mann sich hier ankaufte, noch zu dem Stadtwald gehört habe, wie damals kein Mensch daran dachte, daß sich die Stadt jemals so weit ausdehnen würde, daß hier, wenn auch nur ein kleines Villenviertel, entstehen könne.

Die Frau Konsul kam in das Erzählen und plauderte darauf los, schon weil sie in Hans Arnim einen so aufmerksamen Zuhörer gefunden hatte. Aber wenn der sich im stillen deswegen auch unhöflich und ungezogen schalt, er wünschte doch, daß endlich das Auto kommen möge, damit sie zu den Tennisplätzen fahren könnten, damit er womöglich schon heute gleich festzustellen vermöchte, wer denn eigentlich nun der Andere wäre.

Endlich, endlich meldete der Diener, daß das Auto des Herrn Konsuls vorgefahren sei, und gleich darauf verabschiedete sich die Jugend, nachdem Kitty um Erlaubnis gebeten hatte, bald einmal wieder zum Kaffee kommen zu 60 dürfen, denn die Schlagsahne und die Windbeutel hätten ihr heute zu gut geschmeckt.

»Oder du bist selbst ein kleiner Windbeutel und hast dich zu gut mit dem Herrn Leutnant unterhalten,« dachte die Frau Konsul und in dieser Vermutung wurde sie bestärkt, als sie nun sah, wie die drei im lebhaften Gespräch, plaudernd und lachend davon schritten.

Schon nach kurzer Fahrt war bald darauf der Tennisplatz erreicht, auf dem bereits ein mächtiger Betrieb herrschte, wie Kitty das nannte. Und Kitty hatte mit der Äußerung nicht ganz unrecht. Sicher mehr als zwanzig junge Damen, alle im weißen Tenniskostüm, waren versammelt, und sicher ebenso viele, wenn nicht noch mehr, Offiziere aller Waffengattungen, diese alle aber in Uniform, einmal, weil keiner der Herren schon wieder so gesund war, um sich an dem Spiel beteiligen zu können, dann aber auch, weil der Garnisonälteste es den Kriegsurlaubern ein für allemal verboten hatte, in Zivil zu gehen, es mußte denn sein, daß der Arzt zur Erleichterung des Kranken den Zivilanzug verordnete.

Die Herren spielten gar nicht und auch die Damen hätten den Schläger ruhig zu Hause lassen können. Nur ganz vereinzelt standen sich hier und da zwei junge Damen an dem Netz gegenüber, die meisten standen oder gingen in kleinen Gruppen mit den Offizieren zusammen auf und ab. Viele hatten sich auch von den Gruppen abgesondert und gingen mit einem der Offiziere allein oder saßen mit ihrem Partner plaudernd auf einer Bank.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Hans Arnim sämtlichen 61 jungen Damen vorgestellt worden war und bis er sich auch den Kameraden, soweit diese ihm noch fremd waren, bekannt gegeben hatte.

Dann aber machte er sich gleich an das Beobachten, denn wenn es wirklich einer der Kriegsurlauber war, den Kitty später zu heiraten gedachte, dann würde der sie doch auch heute sicher vor allen anderen auszeichnen. Aber so sehr er auch seine Augen anstrengte, ihm fiel nichts Besonderes auf, ja, es kam ihm beinahe so vor, als würde Fräulein von Greusens Gesellschaft mehr gesucht als die Kittys, obgleich Fräulein von Greusen sich den Offizieren gegenüber wenn auch nicht gerade ablehnend, so doch zurückhaltend benahm und obgleich sie auch sofort mit dem Spiel begann, an dem sich dann auch Kitty bald beteiligte, nachdem es ihm so vorgekommen war, als habe sie sich ein paarmal suchend umgesehen, als erwarte sie noch jemanden.

Nein, ihm fiel wirklich nichts Besonderes auf, bis er dann im Laufe des Gespräches von einem Kameraden, der sich ihm als ein Herr von Natzel vorgestellt hatte, erfuhr, daß heute nachmittag der Betrieb doch nicht vollzählig sei, daß manche fehlten, unter diesen auch der Vorsitzende des Klubs, der Kürassierleutnant von Hohenebra, allgemein bekannt unter dem Spitznamen »der schöne Hugo«.

Und bei der Gelegenheit erfuhr er denn auch das Nähere über diesen Flirtklub, wie der ernsthaft genannt wurde und der auch tatsächlich ein solcher war, denn man flirtete hier zum Besten des roten Kreuzes. Anfänglich waren die Offiziere hier herausgekommen, nur um dem Spiel der jungen Damen zuzusehen. Dann waren sie von diesen 62 aufgefordert worden, sich an dem Spiel zu beteiligen, und da den Herren das nicht gelang, waren sie später nur gekommen, um mit den jungen Damen zu plaudern, und aus diesen Plauderstunden waren nach und nach die Flirtstunden geworden. Jeder Offizier konnte den Wunsch äußern, welcher jungen Dame er den Hof zu machen wünsche, und die Dame mußte im Interesse des guten Zweckes diesen Wunsch erfüllen, wenn nicht ganz gewichtige Gründe dagegen sprachen. Wurde der Flirt, der nur in den seltensten Fällen länger als eine Woche dauern durfte, angenommen, so mußte der Herr dafür mindestens den Betrag von fünf Mark in die Vereinskasse stiften. Wurde er aber als Courmacher abgelehnt, dann mußte er zur Strafe den doppelten Betrag zahlen, den er sonst freiwillig gegeben hätte. Natürlich bestand in der Hinsicht kein Zwang, aber es wurde von jedem Offizier erwartet, daß er sich einen Flirt zulegte. Nur die außerordentlichen Mitglieder brauchten nicht mitzuflirten, aber deren Anzahl war augenblicklich gering. Von den Herren waren alle ordentliche Mitglieder und von den Damen nur eine, Fräulein von Greusen, ein außerordentliches Mitglied. Die war, wie der Kamerad erklärte, nun einmal nicht zum Flirten zu bewegen, die kam wirklich nur, um zu spielen, obgleich der ganze Flirt hier wirklich nur sehr harmloser Art war, denn der erste Paragraph der ungeschriebenen Statuten hieß: »Der Flirt darf unter keinen Umständen in eine Verlobung ausarten.« Das war, wie der Kamerad weiter erzählte, die Bedingung gewesen, unter der die Mütter ihren Töchtern erlaubt hätten, hier täglich mit den Kriegsurlaubern zusammenzutreffen.

63 »Und wenn es nun trotzdem zu einer Verlobung kommt?« erkundigte sich Hans Arnim.

»Dann würden die Mütter selbstverständlich auch nicht böse sein,« lautete die Antwort, »im Gegenteil, die hegen sogar sicher im stillen den Wunsch, daß möglichst viele von uns Kriegsurlaubern auf die jungen Damen anbeißen, und daß die jungen Damen über eine Verlobung sehr traurig sein würden, glaube ich natürlich auch nicht. Aber trotzdem, man muß es den jungen Damen lassen, keine von ihnen versucht hier, ihre Angel auszuwerfen, es herrscht ein völlig freier, kameradschaftlicher Ton, man betrachtet den ganzen Flirt lediglich als einen äußerst angenehmen Zeitvertreib.«

Hans Arnim hörte aufmerksam zu, während er sich im stillen darüber amüsierte, auf welche sonderbaren Ideen die Menschen doch in diesem Kriege verfielen, um Geld in die Kassen zu bekommen. Belustigt betrachtete er die einzelnen Paare, die miteinander plaudernd an ihm vorbeischritten und seine Augen erfreuten sich an dem Anblick der vielen, wirklich sehr hübschen jungen Damen. Und wenn die zum größten Teil auch noch reich waren, wie man ihm im Lazarett erzählte, dann wunderte er sich darüber, daß es bei diesem Flirten immer nur bei dem Flirten geblieben war. Aber das lag wohl mit daran, daß die meisten Kameraden nur den einen Gedanken hatten, baldmöglichst wieder an den Feind zu kommen und daß die sich nicht vorher binden wollten, damit sie keine Braut zurückließen, wenn sie doch noch auf dem Felde der Ehre bleiben sollten.

Na, bei ihm war das ja etwas anderes. Ehe sein Fuß wieder so stark war, daß er mit dem würde marschieren, 64 oder auch nur reiten können, vergingen sicher noch mehrere Monate und bis dahin mußte doch selbst dieser Krieg sein Ende haben. Für ihn war der eigentlich schon jetzt zu Ende, leider, leider, aber er mußte sich eben in das Unabänderliche fügen, wenn auch noch so schweren Herzens.

Leutnant von Natzel hatte sich schon längst von ihm verabschiedet, um auch seine Flirtpflicht zu erfüllen, und die schien ihm auch nicht weiter unangenehm zu sein, denn Hans Arnim sah ihn nun im Gespräch mit einem allerliebsten jungen Mädchen, der Tochter des Garnisonältesten, des Obersten von Aschenbach, das in ihrer ganzen Erscheinung einer zierlichen Meißner Porzellanfigur glich. Und er mochte ihr allerlei lustige Sachen erzählen, denn sie lachte fortwährend vergnügt vor sich hin. Der Flirt war im besten Gange und der blieb es auch, trotzdem sich zu den beiden nun noch ein anderer Offizier hinzugesellte, auf dessen Namen er sich im Augenblick nicht mehr besinnen konnte, der aber dem anderen, dem Natzel, auffallend ähnlich sah. Und auch sonst wurde überall geflirtet. Nur er stand hier einsam und verlassen herum, während er zugleich dem Spiel zwischen Fräulein von Greusen und Kitty zusah. Beide gaben einander in der Kunst des Tennis nichts nach, bis Maria Elisabeth sich anscheinend nun doch für besiegt erklären mußte, denn Hans Arnim hörte, wie Kitty jetzt fröhlich auflachte, während sie zugleich mit dem Spielen aufhörte und es Fräulein von Greusen überließ, sich eine andere Partnerin zu suchen.

Und wenig später stand Kitty vor ihm, mit lachenden, übermütigen Augen, mit frischen, vom Spiel geröteten 65 Wangen, um ihm zuzurufen: »So, Herr von Kühnhausen, nun kann das Courmachen beginnen. Erst mußte ich mir mal ordentlich Bewegung machen, denn ich habe heute nachmittag bei dem Kaffee tatsächlich mindestens sechs Windbeutel zu viel gegessen, jetzt ist mir wieder wohl und darum und deshalb: Das Spiel kann beginnen!«

Kitty sang die Worte aus dem Prolog zum Bajazzo mit heller, frischer Stimme, ihm dabei neckend in die Augen sehend, aber er blieb trotzdem sehr ernst, um ihr zu entgegnen: »Was Sie ein Spiel nennen, gnädiges Fräulein, ist für mich bitterer Ernst.«

»Das soll es auch für Sie sein,« gab sie zur Antwort: »sonst wäre es für Sie keine Strafe,« und abermals ein klein wenig ärgerlich mit dem Fuß aufstampfend, setzte sie hinzu: »Mein Gott, wann werden Sie denn nun endlich mit dem Courmachen anfangen? Hätte ich das geahnt, daß Sie ein so steifer, langweiliger Mensch sind –«

»Na erlauben Sie mal, gnädiges Fräulein,« verteidigte er sich, »das hat mir noch keine junge Dame gesagt, und ich werde Ihnen sofort beweisen, daß Sie mir bitter unrecht tun.«

»Auf den Beweis bin ich aber wirklich neugierig,« neckte sie ihn.

»Na und nun ich erst,« stimmte er ihr bei, »denn wo ich den plötzlich hernehmen soll, das weiß ich auch nicht. Aber bitte warten Sie mal einen Augenblick, gnädiges Fräulein, und sehen Sie mich dabei recht freundlich an, wenn es Ihnen dabei auch nicht von Herzen kommt. Tun Sie so, als wenn Sie bei dem Photographen wären. Ja, so ist es recht, gnädiges Fräulein, der Ausdruck ist so sehr schön, Sie müssen 66 nur das rechte Ohr etwas tiefer nehmen, das linke etwas höher, die linke Schulter mehr vor, das Kinn etwas herunterdrücken –«

Er korrigierte in der Art eines Photographen endlos lange an ihr herum, bis sie halb lustig, halb verdrießlich fragte: »Werden Sie mit Ihren Vorbereitungen heute noch fertig werden?«

»Ich bin es sogar schon,« gab er zur Antwort, »allerdings erst seit einer halben Minute. Als das Magnesiumlicht aufflammte, mit dem ich in Gedanken von Ihnen eine Aufnahme machte, da blitzte es auch in meinem Schädel auf. Alles ist bereit, der Tisch ist gedeckt, darf ich bitten, gnädiges Fräulein?«

»Aber wohin denn nur?« fragte Kitty ganz erstaunt, als er ihr nun ritterlich den Arm bot.

»Wohin, gnädiges Fräulein?« gab er zurück. »Doch natürlich zu Tisch, wohin denn sonst? Sie glauben doch nicht etwa, daß ich damit anfangen kann, Ihnen hier aus dem Stegreif heraus den Hof zu machen? Hier geht es bei dem zweiten- und zwanzigstenmal, aber für den Anfang muß der richtige Ort die richtige Stimmung über uns bringen. Dann kommt das andere ganz von selbst. Also bitte reichen Sie mir Ihren Arm.« Und als sie das getan, setzte er hinzu: »Wissen Sie wohl, gnädiges Fräulein, daß Sie anscheinend einen sehr schönen Arm und außerordentlich hübsche Hände haben? Doch das nur nebenbei, ich führe Sie jetzt in den großen Saal, den ich ganz deutlich vor mir sehe. Alles ist hell erleuchtet, aber das Licht ist gedämpft durch große Girlanden dunkelroter Rosen, die alle Glühkörper verdecken 67 und die sich von der Decke herab zu der Tafel ziehen. An der Tafel selbst sitzen Herren in bunter Uniform und im ordensgeschmückten Frack an der Seite schöner Frauen, an deren entblößten Schultern und Nacken Brillanten und Perlen schimmern. Die Tafel ist gedeckt mit den edelsten Damasttüchern, das Service besteht aus dem wertvollsten Meißner Porzellan, die Gläser aus ganz altem, geschliffenem Kristall. Und an dieser Tafel, an der wir nun Platz genommen haben, ganz dicht nebeneinander, serviert man die köstlichsten Speisen. Von diesem Damwildrücken würde ich an Ihrer Stelle unbedingt noch einmal nehmen, gnädiges Fräulein, der ist einfach ein Gedicht, so schön und so zart, und dazu ein Glas französischen Champagners. Und nun, da der Sekt mir die Zunge löste, jetzt sage ich Ihnen, wie schön Sie sind, gnädiges Fräulein, so schön, daß ich meinen Augen nicht zu trauen glaubte, als ich Sie heute morgen zum erstenmal sah. Und während ich Ihnen das erzähle, während Sie meinen Worten lauschen, als säßen wir beide ganz allein an der großen Tafel, da – hören Sie die Klänge der Musik? Nur ganz leise tönt es zu uns herüber, es müssen Zigeuner sein, die da spielen, nur ein Zigeuner kann so auf der Geige klagen und weinen und nur der vermag auf seinem Instrument so zu singen. Und nun gehen die in eine andere Melodie über. Hören Sie, gnädiges Fräulein? Jetzt spielen Sie einen Walzer. Fühlen Sie es, wie die Töne sich in das Ohr einschmeicheln, wie die Musik von dem Ohr durch den ganzen Körper geht, bis herab zu den Fußspitzen? Wenigstens mir geht es jetzt so, denn was die Zigeuner da spielen, ist mein Lieblingswalzer aus dem Grafen von Luxemburg, zu 68 dem der Text da lautet: Ich weiß es genau, genau, genau, du wirst meine Frau, meine Frau, meine Frau!«

Nur halblaut, um die Stimmung nicht zu zerreißen, in die er sich künstlich hinein versetzte, während er mit ihr auf einer etwas abseits gelegenen Bank Platz genommen hatte, sang er den Text zwar mit einem völlig ungeschulten, aber doch sehr hübschen Bariton leise vor sich hin und noch einmal wiederholte er: »Ich weiß es genau, genau, genau, du wirst meine Frau, meine Frau, meine Frau!«

»Bilden Sie sich um Gotteswillen nur nichts ein,« unterbrach ihn da Kitty etwas verstimmt, aber zugleich auch belustigt. Die hatte, als sie sah, wie er mit geschlossenen Augen auf sie einsprach, ebenfalls die Augen geschlossen gehalten und auch ihrerseits die Tafel, die er ihr schilderte, deutlich vor sich gesehen. Ja, es war auch ihr gewesen, als höre sie sogar in Wirklichkeit die Klänge der Geigen, aber bei seinen letzten Worten erwachte sie jäh aus dem Traum und rief ihm nun nochmals zu: »Wirklich, Herr von Kühnhausen, bilden Sie sich nur nichts ein. Und im übrigen singen Sie den Text falsch, es heißt nicht: »Du wirst meine Frau, sondern: du bist meine Frau. Na und daß ich das nicht bin –«

»Was nicht ist, gnädiges Fräulein, kann noch werden,« fiel er ihr in das Wort, »und wenn Sie erst meine Frau sind, wird es für mich noch viel schöner sein, als es heute schon ist. Aber warum haben Sie uns durch Ihren Zwischenruf von der Tafel verscheucht? Das war nicht nötig, denn der Operettentext ist doch nicht von Schiller oder Goethe. Die muß man ja im Wortlaut zitieren, wenn man sich nicht gegen die großen Geister versündigen und von seinem 69 Klassenlehrer zum Nachsitzen verurteilt werden will. Aber sonst kommt es doch nicht so genau auf den Text an. Schade, daß Sie dazwischen sprachen, ich war so schön im Zuge. Ich hätte Ihnen sicher noch viel Schöneres gesagt, aber vielleicht kommt die Stimmung wieder über mich.«

Und es gelang ihm, sich wieder in die hinein zu versetzen. Abermals hatte er die Augen geschlossen und sprach jetzt weiter: »Hören Sie die Geigen auch jetzt noch? Die sind für uns erwachsene Menschen, was für die Kinder das Wiegenlied ist. Die lullen unsere Gedanken ein und führen uns, wenn auch wachend, in das Traumland. Und im Traume sitze ich nun wieder neben Ihnen und schaue Ihnen in die Augen. Ich darf Ihnen doch nicht alles sagen, was ich auf dem Herzen habe, die Stunde ist für uns beide noch nicht da. Mein Mund schweigt, aber meine Augen sprechen dafür desto beredter zu Ihnen, die sagen Ihnen immer aufs neue, wie schön Sie sind, wie Ihre Augen bei Ihrer Begegnung mich berauschten, wie die gleich den Wunsch in mir wachriefen, die einmal küssen zu dürfen. Und auch das Haar möchte ich küssen, aber meine Küsse wären nicht wild und stürmisch, denn das wäre ganz falsch. Auch das Küssen ist eine Kunst, die da verstanden sein will. Ein Kuß darf nichts geben, sondern der muß fordern. Ein Kuß darf keinen Wunsch erfüllen, sondern er muß stets neue Wünsche erwecken. Man darf sich an den Küssen nicht satt trinken, sondern die müssen den Durst nur immer größer und größer machen. In Worten ist das alles sehr schwer auszudrücken, aber vielleicht kommt die Stunde, in der ich Ihnen das alles anders erklären darf.«

70 Immer weiter sang er ihr das Lob ihrer Schönheit und immer aufs neue dankte er ihr dafür, daß sie ihm erlaubt habe, ihr den Hof zu machen.

Aber Kitty dachte darüber wesentlich anders, denn sie bereute es beinahe, ihn zu dieser Strafe verurteilt zu haben, denn wenn es ihm heute schon auch nur teilweise ernst war mit allem, was er ihr da sagte, dann würde er sehr bald in hellen Flammen stehen und sich tödlich in sie verlieben. Das hatte sie allerdings ja auch von ihm verlangt, aber doch mehr aus Übermut, und jetzt bereute sie schon beinahe ihre Worte, obgleich es ihr natürlich schmeichelte und obgleich es ihr Vergnügen machen würde, sich so geliebt zu wissen.

Aber der arme Leutnant, der ihr da soviel vorschmeichelte, tat ihr dennoch aufrichtig leid. Eine so harte Strafe hatte er für seinen kecken Blick doch eigentlich nicht verdient. Wie furchtbar würde für ihn das Erwachen sein, wenn er eines Tages erfuhr, daß sie schon einen anderen liebte.

Und darum und deshalb durfte er nicht weiter so zu ihr sprechen, wie er es auch nun noch tat. Sie wollte ihn unterbrechen, ihn in die Wirklichkeit zurückrufen, aber sie schwieg dennoch, sie fürchtete seinen Tadel, wenn sie ihm durch einen Zwischenruf die Stimmung abermals verdarb, und sie schwieg auch, weil er sie mit seinen Worten einlullte, weil die ihre Ohren und ihre Sinne umschmeichelten, wie die Klänge der Zigeunergeigen, die da zu singen und zu weinen verstehen. – 71

 


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