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VI.

Wenn wir nur halbwegs den Zweck erreicht haben, den wir bei der Entwerfung der im vorigen Kapitel berichteten Scenen im Auge hatten, so wird sich der geneigte Leser jetzt einen genügend klaren Begriff von der Gesellschaft bilden können, an welche Louise durch die zwingende Macht der Umstände schon seit einiger Zeit gefesselt gewesen war. Wir glauben unsere flüchtige Skizze eher mit zu matten als zu grellen Farben gemalt zu haben und dem Leser eher einen zu kleinen als zu großen Maßstab in die Hand gegeben zu haben, um zu ermessen, welche Leiden ein gebildetes, zartfühlendes, poesiereiches Mädchen, wie Louise, in einer Umgebung erdulden mußte, wo Eitelkeit und Leichtfertigkeit, Lüge und Verleumdung, Neid und Eifersucht die allein wirkenden Motoren in dem sich täglich abwickelnden Triebwerke der Unterhaltung waren, und wo sich aus eben diesen Ursachen immer und immer wieder Intriguen entspannen, von deren Existenz und kleinlicher, gehässiger Natur sie bis dahin keine Ahnung gehabt hatte.

Fräulein Emilie hatte richtig gesagt: »Wir werden uns nie verstehen lernen,« und – wie wenig dies auch in ihrer Absicht lag – sie hätte unserer Louise nicht leicht ein größeres Compliment sagen können. Vom ersten Tage an, wo Louise, getrieben von edlem Pflichtgefühl, die Stelle in dem Putzgeschäft antrat, hatte auch sie eingesehen, daß eine Verständigung zwischen ihr und ihren Mitarbeiterinnen unmöglich sei; sie mußte also auch auf Vieles gefaßt sein, und sie war es; aber dennoch hatte sie gehofft, daß sie durch Freundlichkeit, Nachsicht und eine sich immer gleich bleibende Sanftmuth endlich dahin gelangen würde, die Angriffe zu paralysiren, die man hier gegen sie richtete. Sie hatte jedoch gänzlich übersehen, daß sie hier ihren mächtigsten Feind in ihrer eigenen Schönheit und Anmuth haben würde. Alles hätten ihr diese Mädchen verzeihen können, ihre höhere Bildung und den ehemaligen Reichthum ihrer Eltern, ihr stilles, zurückhaltendes Wesen und ihren nicht zu verbergenden Abscheu vor dem leichtsinnigen Wandel, den sie hier alle Tage vor Augen hatte; ja, auch ihren Fleiß und ihre Zuverlässigkeit, durch welche sie bald zu dem Posten einer Buchführerin berufen wurde, würden sie ihr verziehen haben, nur das Eine konnten sie ihr nicht verzeihen, daß sie es ihnen Allen an äußeren Reizen zuvor that. Als Fräulein Bertha's Eifersucht erst einmal rege geworden war, kannte auch ihr Haß keine Grenzen mehr; Louise mußte entfernt werden, mochten nun die Mittel, diesen Zweck zu erreichen, sein, welche sie wollten. Das Ergebniß ihrer schlauen Taktik haben wir aus der Schlußscene des vorigen Kapitels kennen gelernt.

Als Louise den Laden verließ, mochte ihr Gemüth recht schmerzlich bewegt sein, denn eine ungewöhnliche Blässe lag auf ihrem schönen Gesichte, und sie hatte offenbar Mühe, die Thränen zurückzudrängen, die sich unter ihren langen, dunkeln Wimpern hervorstehlen wollten. Gesenkten Hauptes und, ohne auf das lebhafte, geräuschvolle Treiben um sie her zu achten, schritt sie schnell die schöne, breite Straße hinab, in welcher sich der Putzladen befand, bog aber bald in eine Nebengasse ein und dann wieder in eine andere, worauf sie diese neue Richtung verfolgte, bis sie endlich ein entfernt liegendes Stadtviertel erreicht hatte. Hier blieb sie auf einem großen Platze vor einem hohen ansehnlichen Hause, einen Augenblick zögernd, stehen und bestieg dann die schöne Freitreppe, welche die Fronte desselben zierte. Nach ungefähr einer halben Stunde kehrte sie wieder zurück, aber der Schatten von tiefer Schwermuth auf ihrer Stirn war noch düsterer, die Blässe ihrer Wangen noch auffallender als zuvor. Ein Seufzer entwand sich ihrer Brust, als sie die Stufen der Treppe hinabstieg, und dann stand sie, wie um Fassung zu gewinnen, einen Moment still und drückte das Schnupftuch vor die Augen, ehe sie mit den Worten: »Abermals vergebens« weiter schritt.

Ihr nächstes Ziel war die Wohnung ihrer Eltern; aber diese war nicht mehr jene, wenn auch kleine, so doch freundliche und hinreichend bequem eingerichtete im Hause der Collectrice zu Ottensen. Louise hatte einen noch viel weiteren Weg zu machen, nämlich nach der Ortschaft Eimsbüttel, wohin sich ihr Vater, der nach den letzten Unfällen in seinen Vermögensumständen noch weit mehr zurückgekommen war, begeben hatte.

Es dauerte lange, bis Louise das Labyrinth von lärmerfüllten Straßen und Gäßchen der großen Stadt hinter sich hatte und sich nun in einer schönen Allee von Ulmen und Weiden befand, die sich fast ununterbrochen bis nach Eimsbüttel hinzieht.

Die Stille um sie her schien beruhigend, die frische Luft, die sie jetzt einathmete, erquickend auf sie zu wirken, denn der tiefe Schmerz, der sich in ihren Zügen malte, wich allmählig einem Ausdruck von stiller Ergebung, und ihre Blicke schweiften weit hinaus über die grünen Wiesen und Kornfelder und verloren sich in die duftige Ferne, die sich in der Gluth der Abendsonne vor ihr erstreckte. Waren ihre Gedanken wirklich über die Grenzen des engen Kreises, in welchen sie so eben noch gebannt waren, hinausgeeilt, jedenfalls dauerte es nur einen kurzen Moment; denn plötzlich stand das junge Mädchen still und zog aus ihrem Nähbeutel den Brief, welchen sie, wie wir gesehen haben, in dem Arbeitszimmer der Putzmacherinnen empfangen hatte. Sie erbrach das Siegel und überflog den uns bekannten Inhalt, dann aber stieg in ihre eben noch blassen Wangen die Röthe des Zorns ihre dunkeln Augen, flammten vor innerer Bewegung, und ein Zug der unaussprechlichsten Verachtung zuckte um ihren Mund. Sie zerriß das Papier in Stücke, warf sie zu Boden und trat mit ihrem kleinen Fuße darauf.

Wir wollen nun Louisen vorauseilen und uns vor ihrer Ankunft mit den sehr veränderten Verhältnissen ihrer Eltern bekannt machen. – Es ist ein gar unansehnliches Häuschen, welches sie jetzt bewohnen; wir sehen es dort vor uns liegen, ein wenig außerhalb des Dorfes, halb versteckt unter den hohen Hecken und einer Anzahl uralter Weiden, die, mit Ellern und Hollunderbüschen untermischt, jenen kleinen Teich umgeben. Eigentlich ist es nur ein Bauernhäuschen, wie wir an seinem Strohdach erkennen, auch war es früher versehen mit den winzigen Fenstern und schmalen Thüren, die ein solches zu charakterisiren pflegen; doch hat man es, um es im Sommer an minder bemittelte Stadtbewohner vermiethen zu können, welche, wenn es ohne große Unkosten geschehen kann, gern einige Wochen oder Monate der schönen Jahreszeit auf dem Lande zubringen, etwas wohnlicher eingerichtet, das heißt, man hat größere Fenster, breitere Thüren und in der Küche einen Sparherd angebracht, draußen aber einen kleinen Garten mit einer kleinen Laube von Schlingpflanzen angelegt. Treten wir unter dieses mehr als bescheidene Dach.

Das Wohnzimmer ist, wie nicht anders zu erwarten, klein und niedrig, und Alles, was hier unserm Auge begegnet, legt von der jetzigen Verarmung der Bewohner ein um so traurigeres Zeugniß ab, da es zugleich an den früheren Wohlstand derselben erinnert. Der Meubeln sind wenige, und diese wenigen von der allereinfachsten Art. Ein mit gestreiftem Kattun überzogenes Sopha von lackirtem Föhrenholz, vier Rohrstühle, ein größerer, sehr wackliger Tisch und ein kleiner von demselben Material – Alles wahrscheinlich um einige Thaler bei einem Trödler angekauft – bilden das ganze Ameublement. Vor den Fenstern aber sieht man unverhältnißmäßig breite, faltenreiche Vorhänge von Seidendamast, zwar sehr verschossen, jedoch ursprünglich für einen Festsalon bestimmt. An der Wand hängt ein großer Spiegel in vergoldetem Rahmen; aber das Glas hat einen Sprung. Auf dem vorhin erwähnten kleinen Tische steht eine bronzene Tafeluhr von Pariser Arbeit. Sie geht nicht; vermuthlich ist das Werk in Unordnung, und man scheut die Kosten der Reparatur. Neben der Uhr sind einige Nippsachen von Elfenbein, Alabaster und Achat aufgestellt, wie Cigarren- und Zündholzbehälter, Aschenbecher, Flacons und dergleichen mehr.

Auf dem Sopha sitzt Herr Lüders in einen alten, schäbigen und an mehreren Stellen geflickten Schlafrock gehüllt. Seine frühere Wohlbeleibtheit hat sich merklich gemindert, sein Gesicht ist eingefallen, seine Haare sind dünn und silberweiß. Der Zug von Sorglosigkeit und fröhlicher Laune, der früher um seinen Mund spielte, hat einem Ausdruck von tiefer Niedergeschlagenheit und gänzlicher Hoffnungslosigkeit Platz gemacht. Er hält ein Zeitungsblatt in der Hand, doch scheinen seine Gedanken durch das, was er liest, nicht sehr in Anspruch genommen zu sein; denn oft entfährt ihm ein Seufzer und er sieht dann mit einem wehmüthigen Blicke hinüber nach dem Fenster, an welchem seine Frau und noch eine Person sitzen, in der wir unsere alte Bekannte, die Collectrice, Madame Pietschmann erkennen. Mitunter scheint auch Herr Lüders dem Gespräche dieser beiden zu lauschen; aber es wird in leisem Tone, fast flüsternd, geführt, und er vernimmt nur einzelne Worte ohne Zusammenhang.

Madame Lüders ist in ihrem Aeußeren weniger verändert, als ihr Mann, obgleich auch sie die deutlichen Spuren des vorgerückten Alters sowie der Sorgen trägt, die in letzterer Zeit schwer auf ihr lasteten. Ihr Anzug ist zwar äußerst einfach; aber er zeugt noch immer von der Sorgfalt, welche die an Eleganz gewöhnte Frau ihrer Toilette widmet. Das Kleid von dunklem Orleans umschließt knapp die noch immer stattliche, volle Figur; eine mit Spitzen besetzte, schneeweiße Haube ziert ihren Kopf.

Madame Pietschmann ist unverändert dieselbe. Vielleicht hat sie an Umfang ein wenig zugenommen, vielleicht sind ihre Wangen noch etwas röthlicher und rundlicher geworden, aber sie kann mit keinem größeren Rechte als Falstaff klagen, daß Kummer und Sorgen es sein, die sie aufblähen wie einen Schlauch, denn diese haften nicht lange in dem Herzen der Collectrice, und selbst die Wunde, die der böse Doctor Schönfeld ihrem Gemüthe geschlagen hat, ist längst vernarbt. Es wird vielleicht den Leser wundern, Madame Pietschmann hier zu treffen, denn die letzte Scene zwischen ihr und den Mitgliedern der Familie Lüders, der wir beigewohnt haben, war, wie er sich erinnern wird, etwas stürmischer Art. Aber bei einigen Frauen wechseln die Gefühle der Freundschaft und Feindschaft oft wunderbar, und der Romanschreiber hätte eine schwere Aufgabe, falls er das Herz einer Madame Pietschmann – und es giebt in der Welt sehr viele Madame Pietschmanns – anatomiren wollte, um die Triebfedern zu entdecken, die das Räderwerk ihrer Sympathien und Antipathien in Bewegung setzen. Vielleicht errathen wir aus dem Gespräche der beiden Frauen, was die Collectrice bewogen hat, abermals sich der gutmüthigen und leicht versöhnlichen Madame Lüders anzuschließen.

»Also ein edler Mann,« sagte höhnisch die Collectrice als Antwort auf eine Aeußerung der Madame Lüders, »ein edler Mann ist der Doctor Schönfeld! Nein, meine beste Madame Lüders, Ihr Zutrauen zu dem Menschen geht doch wirklich ein wenig zu weit. Traue Niemand, sagt das Sprichwort, du habest denn einen Scheffel Salz mit ihm gegessen. Der ein edler Mann! o Je! Ein Schurke ist er, sage ich Ihnen, ein Heuchler, ein Lügner, ein .... na, sollt ich sagen was der alles ist, so würde ich heute nicht damit fertig werden. Nennen Sie es etwa edel gehandelt, daß er gegen mich wortbrüchig wurde – ich hätte natürlich seine Bewerbung zurückgewiesen, doch das kommt hier nicht in Betracht – also, daß er gegen mich wortbrüchig wurde, und um die Hand Ihrer Tochter anhielt, sobald er gehört hatte, daß Sie reich geworden, wie er aber sah, daß es mit dem Reichthum nichts war, auch sofort den Kopf aus der Schlinge zog? Schöner Edelmuth das, der liegt da, wo Niemand hin kann!«

»Sie vergessen, Madame Pietschmann,« entgegnete mit sanfter Stimme Madame Lüders, indem sie an dem Strumpfe, den sie einen Augenblick in ihrem Schoß hatte ruhen lassen, wieder fleißig zu stricken begann, »Sie vergessen, daß der Doctor, als er um Louisen anhielt, die ausdrückliche Bedingung stellte, daß sie freiwillig und gern ihr Jawort gebe; denn nur so könne er sich an ihrer Seite glücklich fühlen. Louise aber gab ihm offen und unzweideutig ihre Abneigung zu erkennen. Jeder andere Ehrenmann würde an seiner Stelle gehandelt haben, wie er es that. Welche Verpflichtungen er Ihnen gegenüber unerfüllt ließ, das kann ich natürlich nicht beurtheilen.«

»Und Sie denken wohl: Wer's nicht glaubt ist drum kein Ketzer?«

»Ich denke, man kann sich leicht täuschen, beste Madame Pietschmann, und sollte deshalb nachsichtig und duldsam sein. Doch kommen wir, bitte, nicht mehr auf dieses Thema zurück.«

»Was würde es auch helfen; einig würden wir doch nicht.«

»Daß der Doctor,« fuhr Madame Lüders fort, »nachdem seine schönste Hoffnung an dem Widerstande Louisens gescheitert war, uns dennoch in der Stunde der schwersten Drangsale zu Hülfe eilte, daß er meinem Mann den größten Theil der ihm geliehenen Summe auf eine lange Frist überließ und später, als wir nicht zahlen konnten, den ihm ausgestellten Wechsel prolongirte, ja, daß er unter äußerst billigen Bedingungen uns hier in seinem eigenen Hause ein Obdach bot, das Alles nenne ich edel gehandelt und sehe darin mit dankerfülltem Herzen eine seltene Uneigennützigkeit. Wie könnte ich da noch glauben, was Sie behaupten, daß er nur von Habsucht und Geldgier geleitet, damals um Louisens Hand geworben habe.«

»Madame Lüders,« sagte die Collectrice und beugte sich näher zu dieser hinüber, indem sie, wie um ihren Worten einen größeren Nachdruck zu geben, die Hand auf deren Arm legte, »Sie wissen, wie sehr ich das damals zwischen uns eingetretene Mißverständniß bedauert, wie innig ich an Ihrem späteren Unglück Theil genommen habe. Möchten Sie sich nie in dem Doctor getäuscht finden! das ist mein aufrichtigster Wunsch. Ich will Ihnen wahrlich keine Spinnen in den Kopf setzen; aber ich fürchte, ich fürchte, daß Sie nur zu bald erkennen werden, wie diese scheinbare Uneigennützigkeit allein dazu gedient hat, irgend eine schändliche Absicht verfolgen zu können. Dem Gläubiger wird der Schuldner an Hand und Halfter gegeben, das ist ein wahres Wort. O, man kennt das. Es ist eine von solchen Bösewichtern schon oft angewandte List, die Leute durch trügerische Wohlthaten in eine abhängige Lage zu bringen, um sie dann, wenn sie dieselben recht fest in den Klauen halten, zu Dingen zu zwingen, in die sie sonst nie gewilligt hätten.«

Madame Lüders hatte, als die Collectrice ihr so unversehens die Hand auf den Arm legte, mehrere Maschen fallen lassen. »Aber, Madame Pietschmann,« sagte sie, indem sie sich bemühte, diese wieder aufzunehmen, »wie können Sie doch nur so sprechen? Und wozu könnte der Doctor wohl meinen Mann zwingen wollen? Besäßen wir noch Vermögen, so könnte ein schlechter, gewissenloser Mensch darauf sinnen, es uns zu nehmen; besäßen wir noch Ansehen und Einfluß wie ehedem, so könnte ein solcher diesen zu seinem Vortheil ausbeuten wollen. Aber, mein Gott, dem ist ja nicht so. Was könnte man uns noch rauben, wozu könnte man unsere Mithülfe benutzen?«

»Auf so etwas ist es auch gar nicht abgesehen,« erwiederte die Collectrice kopfschüttelnd.

»Und auf was denn sonst?«

»Wenn ich Ihnen, Madame Lüders, meine Gedanken darüber mittheilen wollte, so würden Sie nur zürnen und Ihre Ansicht über den Doctor doch nicht ändern. Also – die Hand von der Butte, es sind Weinbeeren darin!«

»Wenn das Ihre Meinung ist, Madame Pietschmann, dann haben Sie schon zu viel gesagt.«

»Ich habe gar nichts gesagt, ich habe Sie nur warnen wollen, und das thu' ich noch einmal und recht dringend. Trauen Sie diesem Mann nicht zu sehr, achten Sie genau auf sein Benehmen, nicht gegen Sie und Ihren Mann, auch ....«

»Nun, gegen wen noch?«

»Nein, ich sage nichts mehr. Wollte Gott, daß ich Unrecht hätte; falls aber etwas passiren sollte mit ... na, dann werden wir schon klar auf die ganze Geschichte kommen. Ich werd' Ihnen mit Rath und That beistehen, wir werden die schändlichen Anschläge des Doctors zu nichte machen, und damit holla! Wir wollen ihm zeigen, daß genetzt und gewetzt nur halb geschoren ist, wie der Barbier sagt. Bis dahin jedoch – kein Wort weiter. Reiner Mund und treue Hand gehen wohl durchs ganze Land; das ist mein Wahlspruch.«

Madame Lüders war auf dem Punkte, über die Verläumdungen der Collectrice und deren Anspielungen, die sie nur unvollkommen verstand, recht ungehalten zu werden; aber die gutherzige Frau bedachte, welch große Hoffnungen Madame Pietschmann in Bezug auf den Doctor gehegt hatte und wie ihr Alles, was sie gegen ihn vorbringe, nur ihre beleidigte Eitelkeit eingegeben habe, weshalb man ihr auch einige tadelnde Aeußerungen und unbestimmte Verdächtigungen wohl verzeihen könne. Zudem hielt sie es für weit bequemer, sich nicht zu ereifern, und sie schwieg.

»Jedenfalls war es ein großes Unglück,« fuhr Madame Pietschmann fort, »daß Ihr Mann den Wechsel, welchen er dem Doctor ausgestellt hatte, nicht rechtzeitig zahlen konnte; wie kam denn das?«

»Sie wissen,« erwiederte Madame Lüders, »daß wir früher jedes Quartal aus London eine Anweisung auf ein Hamburger Banquierhaus empfingen?«

»Nun freilich weiß ich es.«

»Auf den Betrag zweier dieser Anweisungen hatte mein Mann dem Doctor seinen Wechsel ausgestellt; es kam aber keine Anweisung.«

»Wie?« rief die Collectrice, »es kam keine?«

»Nein,« entgegnete Madame Lüders mit einem schweren Seufzer und ließ den Strumpf in den Schoß sinken, »diese so lange genossene und für mich so unentbehrliche Unterstützung hat man uns seit jener Zeit entzogen.«

»Ei du meine Güte, das ist ja schrecklich! Und aus welchem Grunde, meine liebe Madame Lüders, kann man sie Ihnen denn entzogen haben?«

Madame Lüders hätte diese Frage ihrer Ueberzeugung gemäß so beantworten können: »Ich glaube, die Schuld liegt an Ihnen, Madame, denn gewiß glaubt unser unbekannter Wohlthäter – durch Ihre Mißgriffe dazu verleitet, nota bene, – daß wir reiche Leute, Besitzer eines Ritterguts und mithin keiner Unterstützung bedürftig seien;« aber sie war viel zu zartfühlend, als daß sie auf jenen unseligen Irrthum der Collectrice hätte zurückkommen mögen, und sie begnügte sich daher mit der kurzen Antwort: »Ich kann Ihnen darüber keine Auskunft geben; wissen wir ja doch überhaupt gar nicht, woher uns jene Hülfe gekommen ist.«

»Na, da kann man wirklich sagen: ein Unglück tritt dem andern auf die Fersen,« entgegnete Madame Pietschmann, in der eine Ahnung aufzudämmern begann, woher sich dieses neue Mißgeschick schreibe. »Hab ich mein Lebtag' so was gehört! Na – das ist doch – hm, hm! – Nur gut,« setzte sie dann, wie um sich selbst zu trösten hinzu, »daß es mit Ihrem Holzhandel so hübsch geht.«

»Ach, beste Madame Pietschmann,« sagte Madame Lüders mit einem abermaligen Seufzer, »mit dem Holzhandel geht es in der letzten Zeit recht schlecht.«

»Wie, was? Auch das noch?«

»Im Anfang,« fuhr Madame Lüders fort, »war er ganz einträglich, und schon hofften wir, einen hinreichenden Gewinn daraus zu ziehen, um unsere geringen Bedürfnisse befriedigen und auch mit der Zeit unsere Schulden abtragen zu können; aber seit einigen Monaten und nachdem sich hier in unserer Nachbarschaft ein anderer Holzhändler, ein gewisser Döllinger, etablirt hat, verkaufen wir so gut wie gar nichts.«

»Warum denn nicht? Ist Ihr Holz etwa nicht eben so gut, wie das des Döllinger?«

»So gut ist es wohl, Madame Pietschmann, aber nicht so billig. Er verkauft in der That sein Holz so spottwohlfeil, daß wir, um mit ihm gleiche Preise zu halten, an dem unsrigen geradezu verlieren müßten. Wo er sein Holz hernimmt, wissen wir natürlich nicht; aber mein Mann behauptet, daß er, selbst wenn er eigene Waldungen besäße und noch dazu Wagen und Pferde, es zu transportiren, dennoch bei dem Geschäft, wie er es betreibt, unmöglich bestehen könne.«

»Aber ums Himmelswillen, was kann den vermaledeiten Menschen dazu bewogen haben, sein Holz so zu verschleudern? Das ist ja ganz polizeiwidrig.«

»Ich weiß es nicht, Madame Pietschmann; aber hier könnte man allerdings versucht sein, auf eine bestimmte Absicht zu schließen, uns zu ruiniren – wenn solche Gedanken überhaupt zulässig wären. Aber ich hege sie nicht und mein Mann eben so wenig. Jener Döllinger ist uns gänzlich unbekannt, und es liegt nicht der mindeste Grund vor, ihm wirklich solche Absichten zuzutrauen. Vielleicht stehen ihm Quellen und Hülfsmittel zu Gebote, die uns unbekannt sind, und jedenfalls müssen wir so gerecht sein, einzuräumen, daß mein Mann nicht so viele Erfahrung im Kleinhandel besitzt wie Andere, die sich von Jugend auf damit befaßt haben, und leider auch nicht die Rührigkeit und den Unternehmungsgeist wie ehedem.«

Die Collectrice schien plötzlich auf einen Gedanken gekommen zu sein, den sie zu äußern sich nicht recht getraute. Sie rückte auf ihrem Stuhle hin und her, fuhr sich mit dem Schnupftuch wiederholt über das Gesicht, hustete, räusperte sich und begann ein Paar Mal mit einem »Wenn« oder »Lassen Sie sich sagen«, besann sich aber dann wieder, indem sie betheuerte, sie wolle schweigen, denn die Zunge solle nicht klüger sein als der Kopf. Endlich aber konnte sie sich nicht mehr halten und platzte heraus:

»Na, mich soll die Erde hier vor Ihren Füßen verschlingen, wenn der Doctor nicht seine Finger dabei im Spiele hat.«

»Aber Madame Pietschmann,« entgegnete Madame Lüders, jetzt wirklich erzürnt, »wir können Sie mir so etwas sagen? Sie sprechen ja von dem Doctor, als wäre er unser Todfeind und sinne nur darauf, uns zu Grunde zu richten. Bedenken Sie doch, daß er sich dadurch selbst der Mittel berauben würde, wieder zu seinem Gelde zu kommen. Wenn Sie ihn auch für schlecht halten, so werden Sie doch einräumen, daß er nicht geradezu dumm ist. Was hat er überhaupt mit jenem Döllinger zu thun? Ich muß Sie in der That dringend bitten, solche Aeußerungen, die ja unmöglich ernstlich gemeint sein können, in meiner Gegenwart zurückzuhalten.«

»Ich sage gar Nichts mehr,« versicherte die Collectrice, »kein Wort, keine Sylbe! Die Zeit giebt Bescheid und verräth alle Bosheit, sagt das Sprichwort. Also« – hier gab sie sich selbst einen kleinen Patsch auf den Mund – »stumm wie ein Fisch!«

»Unser einziger Trost,« begann Madame Lüders nach einer Pause von Neuem, »ist, daß unsere Töchter so gut untergebracht sind und zu unserm Haushalte auch ein Geringes beisteuern können. Von Ida, die, wie Sie wissen, bei ihrer Tante, Madame Altmann in München, ist, bekommen wir monatlich eine Kleinigkeit geschickt, und Louise hat ja, Dank Ihrer freundlichen Bemühung, Madame Pietschmann, in dem Eberhardtschen Putzgeschäfte eine recht einträgliche Stellung.«

»Und sie ist da gewiß auch sonst in jeder Beziehung zufrieden?« fragte die Collectrice mit einem selbstgefälligen Lächeln.

»Ich glaube es, denn sie klagt wenigstens nie.«

»Na, das sollt' ich meinen,« sagte Madame Pietschmann.

»Sie ist da so gut aufgehoben, wie der Dotter im Ei. O, ich kenne Madame Eberhardt; eine vortreffliche Frau ist sie und eine flinke Frau und eine Frau, die ihr Geschäft versteht, und sorgfältig über ihre Untergebenen wacht und Nichts auf sie kommen läßt. Ja, bei ihr wird sich Ihre Louise allerdings über Nichts zu beklagen haben. Uebrigens – was ich sagen wollte – Louise sieht doch noch immer sehr piepig aus?«

»Sie hat sich von ihrer letzten Krankheit noch immer nicht recht erholt.«

»Und dann drückt es sie auch wohl hier?« sagte die Collectrice, indem sie die Hand auf's Herz legte. »Ja, ja, die Krankheit kommt mit Extrapost und schleicht hinweg mit Schnecken; es gehört Zeit dazu, so etwas zu vergessen; wir kennen das auch, Madame Lüders.«

»Leider vergißt sich's wohl nie,« erwiederte Madame Lüders kopfschüttelnd. »Die arme Louise hat ihn weit inniger geliebt, als wir es uns träumen ließen.«

»Und Sie haben später nie etwas von ihm gehört?«

»Nein, nie.«

»Aber erlauben Sie mir, Madame Lüders, Ihr Herr Pflegesohn muß doch ein rechter Strudelkopf sein; so auf und davon zu gehen, weil er nicht gleich auf den ersten Wurf Alles gewinnt, hat man je Aehnliches gehört! Gemach in die Kohlen geblasen, so fährt Dir kein Staub in die Nasen, das sollte Ihr guter Hugo beherzigen.«

»Beurtheilen wir ihn nicht ungerecht,« sagte sanft Madame Lüders. »Viele unglückliche Umstände haben sich vereinigt, um den armen Jungen zu diesem verzweifelten Schritte zu treiben. Die beabsichtigte Verlobung seiner Geliebten mit einem Andern, unser plötzlicher Reichthum ....«

Madame Lüders hielt inne; das Wort Reichthum war ja ein Vorwurf gegen die Collectrice, und sie wollte ihr keine Vorwürfe machen, es war ihr nur unversehens entschlüpft.

»Na, der plötzliche Reichthum,« entgegnete Madame Pietschmann mit etwas scharfer Betonung, »hätte ihn doch wahrhaftig eher bewegen müssen, dazu bleiben.«

»Sie kennen ihn nicht, Madame Pietschmann; hätte er uns in unserer jetzigen Noth und Armuth getroffen, so wäre er, selbst auch wenn er auf die Hand Louisens hätte verzichten müssen, nicht fortgegangen, wenigstens so nicht fortgegangen; nun aber mußte er ja glauben, daß er hier überflüssig sei, daß Niemand ihn vermissen, ja sogar, daß sein Anblick uns Allen und besonders Louisen peinlich sein würde, denn es läßt sich nicht anders denken, das Mädchen hatte in der ersten Freude und Ueberraschung des Wiedersehens ihn wohl mehr hoffen lassen, als sie später halten konnte.«

»Ja, so ist es,« sagte Herr Lüders, der seit einigen Minuten seinen Platz auf dem Sopha verlassen und dem Gespräche der Frauen aufmerksam gelauscht hatte, »der arme Hugo ist bitter getäuscht worden. Du, Annette, brauchst Dir zwar keine Vorwürfe zu machen, denn Du hast ihn so liebevoll empfangen, wie er es nur immer hat erwarten können, aber ich ....!« Der alte Mann hielt inne, und seine Stimme zitterte vor innerer Bewegung, als er nach einer Pause fortfuhr: »Ich gestehe es offen, ich behandelte ihn mit jener kalten Herablassung, die sein stolzes Herz selbst damals nicht ertragen konnte, als er noch ein Knabe war. Ich ließ ihn fühlen, daß er viel zu tief stehe, um zu meiner Tochter emporzublicken, und für die schönste Hoffnung seines Lebens, die ich ihm genommen habe, bot ich ihm in hochfahrender kränkender Weise Geld und Unterstützung an. Sehen Sie, Madame Pietschmann, so konnte ich nur handeln, weil mich der trügerische Schein des Glückes auf einen Augenblick geblendet, weil mich der Hochmuthsteufel einmal wieder recht tüchtig gepackt hatte, und als ich es zu bereuen begann, war es leider zu spät. Ich will Ihnen etwas sagen, Madame Pietschmann,« fügte er hinzu, indem er dicht vor sie hintrat und die Hand sanft auf die Schulter seiner Frau legte, »es ist ein hartes Loos für uns alte Leute, die wir bessere Tage gesehen haben, unsere letzten Jahre in Noth und Elend verleben zu müssen; das Härteste aber, was ich zu erdulden habe, ist das Bewußtsein, meinen Sohn zum zweiten Male von mir gestoßen zu haben.«

Er wandte sich langsam ab und ging, in düsteres Nachdenken versunken, im Zimmer auf und ab. Die Frauen sprachen nicht mehr. Auch Madame Lüders mochte mit Wehmuth an ihren Pflegesohn denken, und auf Madame Pietschmann hatten die Worte des Herrn Lüders einen so tiefen Eindruck gemacht, daß sie nicht gleich ihre gewöhnliche Suada wiederfand. Allen schien eine Last vom Herzen genommen zu werden, als bald darauf leichte Schritte, erst vor dem Hause und dann auf der kleinen Flur, Louisens Ankunft verkündeten. Einen Augenblick später trat das Mädchen in's Zimmer.

Es lag trotz des freundlichen Lächelns, welches ihren Mund umspielte, ein unverkennbarer Zug von Schwermuth auf ihren schönen, blassen Zügen; aber die Eltern waren zu sehr daran gewöhnt, sie still und traurig zu sehen, als daß sie jetzt dadurch überrascht oder beunruhigt worden wären. Louise ging, nachdem sie der Collectrice freundlich die Hand gedrückt hatte, auf ihre Mutter zu, umschlang ihren Hals und küßte sie herzlich, worauf sie ihren Vater, der, von den Anderen entfernt, am Ofen stand, auf dieselbe Weise begrüßte. Er sah ihr dabei mit einem fragenden Blick in die Augen; sie aber schüttelte schmerzlich lächelnd und verneinend den Kopf und flüsterte ihm dann so leise, daß nur er es hören konnte, ins Ohr: »Vergeblich ... ich bringe Dir einen Brief.« – »Nachher, damit es die Mutter nicht merkt,« erwiederte er eben so leise, indem er schwer aufseufzte und dann seinen Gang durch das kleine Zimmer von Neuem begann.

»Wir sprachen vorhin von Ihnen, Fräulein Louise,« begann jetzt die Collectrice, »und es freut mich, von Ihrer Mutter zu hören, daß Sie bei der Eberhardt so wohl zufrieden sind. Ja, eine kreuzbrave Frau ist auch die Eberhardt, das muß ich schon sagen, und was man am meisten an ihr loben muß – sie nimmt nur solche junge Mädchen in ihr Geschäft auf, an deren Moralität auch nicht der kleinste Makel haftet. Nicht wahr, es sind alle recht liebe, harmlose Kinder, ihre Arbeiterinnen?«

»Gewiß, Madame Pietschmann, und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie mir diese Stelle verschafft haben.«

»Na, sprechen wir davon nicht; das ist gern geschehen. Einer hilft dem Anderen über den Zaun, pflegt man zu sagen, und Sie werden meiner Empfehlung Ehre machen, das weiß ich; denn sind Sie auch an dieses Leben nicht so gewöhnt, wie manche Andere – nun Müh', und Fleiß bricht alles Eis, und Arbeit hat bittre Wurzel, aber süße Frucht, und – doch, was ich sagen wollte, es ist ja heute Sonnabend, da haben Sie denn wohl Ihren Wochenlohn erhalten?«

»So ist es,« sagte Louise, indem sie aus ihrem Nähbeutel ein kleines zusammengefaltetes Papier nahm. Sie näherte sich darauf wieder der Mutter und ließ es in ihre Hand gleiten. Diese aber zog die Tochter an ihre Brust und sagte innig bewegt: »Gott segne Dich, mein gutes Kind.«

Louise antwortete nur mit einem stummen Lächeln, aber als sie sich von der Mutter wandte, um Hut und Mantel abzulegen, sagte sie für sich:

»Und ich konnte zweifeln, ob ich die Kraft haben würde, noch ferner zu dulden, was ich heute geduldet habe!«



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