Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I.

Fünf Minuten später klopfte der Doctor Schönfeld an die Thür des Wohnzimmers im unteren Stockwerke, in welchem Herr Lüders so eben damit beschäftigt war, seiner Frau die Nothwendigkeit auseinander zu setzen, für den heutigen Abend einen Lohndiener kommen zu lassen, der den Gästen in der Hausflur Mäntel und Ueberröcke abnehmen und bei der Aufwartung Hülfe leisten könnte.

Der Doctor trat ein und stattete in so herzlicher Weise und mit so unverkennbarer Rührung seinen Glückwunsch ab, daß die würdigen Eheleute davon tief ergriffen waren.

»Das Glück, sagt man, ist blind,« so schloß der Doctor seine Anrede, »aber, Gott sei Dank, es ist nicht immer blind, und in diesem Falle hat es mit offenen Augen aus Tausenden den Würdigsten erwählt, ihm seine Gaben zu spenden als einen geringen Ersatz für manche schwere Prüfung, für so hartes unverschuldetes Mißgeschick. Möge der Himmel – das ist mein aufrichtigster Wunsch – auch in anderer Hinsicht Ihre Wünsche erhören und Ihnen eine lange Reihe von Jahren hindurch den ungetrübten Genuß dessen bewahren, was er Ihnen heute bescheert hat.«

Seine Stimme bebte bei den letzten Worten merklich und er fuhr sich mit dem Schnupftuch über die Augen, während man auf Herrn Lüders Bitte Platz nahm.

»Und nun, verehrtester Herr Lüders,« begann der Doctor wieder, als er seiner Rührung einigermaßen Herr geworden, »erlauben Sie mir zuvörderst, eine kleine Angelegenheit in's Reine zu bringen – es betrifft eine unbedeutende Summe, die – – –«

»Eine Summe?« sagte Lüders erstaunt.

»Sie haben gewünscht – – Madame Pietschmann sagte mir – – –«

»Madame Pietschmann – – – Ihnen?«

»Ich errathe, was Sie sagen wollen, Herr Lüders. Sie haben auf die Discretion dieser Frau gerechnet. Es gereicht Ihnen sehr zur Ehre, so gute Gedanken von ihr zu hegen; Sie schließen von sich selbst auf Andere – man ist dazu nur zu sehr geneigt – indeß, unsere werthe Freundin da oben ist ein wenig – nun – ein wenig offenherzig, vielleicht zu offenherzig, und, da sie es nun einmal so schlecht verstanden hat, dem ihr gezeigten Vertrauen zu entsprechen, so wage ich zu hoffen, daß es Ihnen, Herr Lüders, doch lieber ist, daß die gute Dame sich in dieser delicaten Angelegenheit an mich gewendet hat, einen alten Bekannten und – erlauben Sie mir den Ausdruck – einen alten Freund Ihres Hauses, als wenn sie Ihre Angelegenheiten in fremde Hände gelegt hätte, was ja auch hätte geschehen können. Jedenfalls würde ich mich glücklich schätzen, Ihnen bei dieser Gelegenheit dienen zu dürfen, und wenn Sie meine bereitwillige Hülfe nicht verschmähen wollen – – –«

»Sie sind wirklich sehr gütig, Herr Doctor,« entgegnete Herr Lüders und machte gewaltige Anstrengungen, seine Verlegenheit mit dem Ausdruck von Würde zu bemänteln, die er jetzt wieder zur Schau trug, »wirklich sehr gütig. Sie werden begreifen, daß ich auf diesen Umschwung in meinen Verhältnissen unmöglich vorbereitet sein konnte, und daß – bleib' nur, Annette, Du weißt ja von Allem Bescheid.«

»Das habe ich vorausgesetzt, gnädige Frau,« fiel der Doctor schnell ein, »sonst hätte ich mir natürlich nicht erlaubt, in Ihrer Gegenwart von dieser Angelegenheit zu sprechen.«

»Sie werden es, wie gesagt, begreiflich finden,« fuhr Herr Lüders fort, »daß gewisse Umstände unvorhergesehene Ausgaben herbeiführen können, und – – –«

»O, ich begreife es vollkommen, Herr Lüders, vollkommen und muß Sie nur bitten, mein Anerbieten nicht als Aufdringlichkeit zu betrachten, sondern einzig und allein den Wunsch darin zu erblicken, Ihnen nützlich und gefällig zu sein. Wenn Sie also erlauben wollen« – der Doctor zog eine Brieftasche hervor und nahm ein Paquet Banknoten heraus – »Madame Pietschmann sprach, wenn ich nicht irre, von sechshundert Thalern, falls Ihnen diese Kleinigkeit genügt – – –«

»Ich sollte denken, Herr Doctor,« erwiederte Lüders, »daß es vor der Hand ausreichen wird, bis sich mir andere Quellen eröffnet haben. Aber ich weiß in der That nicht, ob ich diese Gefälligkeit von Ihnen annehmen darf.«

»Sie würden mich dadurch sehr verpflichten, Herr Lüders, und sollten Sie noch einer weiteren Summe bedürfen, so bitte ich Sie, ganz über mich zu verfügen.«

»Ich hoffe nicht in den Fall zu kommen, Ihre Güte so sehr zu mißbrauchen,« entgegnete Herr Lüders, der seine Fassung jetzt vollkommen wieder erlangt hatte. »Empfangen Sie vorläufig meinen verbindlichsten Dank, und wenn ich Ihnen,« fügte er mit einer stolzen Gönnermiene hinzu, »wieder dienlich sein kann, so wird es mir zur größten Freude gereichen.« Herr Lüders faßte die Hand des Doctors und drückte sie in einer Weise, als hätte er damit sagen wollen: rechnen Sie auf meine Protection! »Und nun erlauben Sie mir,« schloß er, »Ihnen einen Empfangsschein auszustellen, es ist gleich geschehen.«

»O, bemühen Sie sich nicht, Herr Lüders, ein ander Mal, wenn Sie es durchaus wollen, obgleich ich wirklich nicht einsehe, daß es nöthig ist.«

»In Geldsachen muß man die äußerste Pünktlichkeit beobachten,« meinte Lüders.

»Daran erkenne ich den gewissenhaften Geschäftsmann,« erwiederte lächelnd der Doctor, »aber ich bitte Sie noch einmal, lassen wir das jetzt. Ich hätte,« fuhr er dann zögernd fort, »ich hätte noch eine Bitte« – trotz seiner auf den Boden gesenkten Blicke bemerkte er doch, daß Madame Lüders abermals im Begriffe war, sich zu erheben – »Madame Lüders,« sagte er leise, aber eindringlich, »nun möchte ich Sie ersuchen, noch einen Augenblick zu verweilen; denn, was mir am Herzen liegt und worüber ich zu sprechen wünschte, betrifft nicht weniger Sie, als Ihren Herrn Gemahl.«

Madame Lüders, die keine Ahnung haben mochte, was nun folgen würde, blieb also sitzen und schien offenbar sehr erwartungsvoll; Herr Lüders war aber plötzlich äußerst nachdenklich geworden, und das darf uns nicht wundern, denn die wichtige Frage, die er in seiner Seele Tiefe erwog, betraf nichts Geringeres als, ob er seinen künftigen Bedienten eine kornblaue oder hechtgraue Livrée geben solle und ob im ersten Falle die Weste auch kornblau oder hochroth sein müsse.

»Verehrter Herr Lüders,« begann der Doctor, noch immer zu Boden blickend, mit leiser, zitternder Stimme, »verehrte Madame Lüders! Indem ich gerade den heutigen, für Sie so bedeutungsvollen Tag wähle, Ihnen eine Frage vorzulegen, deren Beantwortung über mein ganzes künftiges Lebensglück entscheiden wird, fühle ich sehr wohl, daß ich in Gefahr bin, mich dem Verdachte bloßzustellen, als habe gerade das große, glückliche Ereigniß dieses Tages als mitwirkende Ursache gedient, meinen Entschluß zur Reife zu bringen, oder um mich richtiger auszudrücken, ich müßte befürchten, Ihnen in diesem falschen Lichte zu erscheinen, wenn ich nicht das beruhigende Bewußtsein hätte, daß Ihnen schon seit langer Zeit der innigste Wunsch, die schönste Hoffnung meines Herzens bekannt ist.«

Der Doctor machte eine Pause und zog das in der Tasche befindliche Schnupftuch wieder hervor, während Madame Lüders so heftig an ihrem Schürzenbande zerrte, daß die Schleife aufging und Herr Lüders in seinen Erwägungen fast bis zu dem Punkte gekommen war, sich für hechtgrau zu entscheiden.

»In der That,« fuhr der Doctor fort, »hatte ich meinen Entschluß schon längst gefaßt, und nur durch Umstände, über die ich nicht Herr war, wurde ich davon abgehalten, Ihnen, wie ich es wünschte, gestern schon meinen Antrag zu stellen.«

Abermalige Pause. Madame Lüders band ihre Schleife wieder, und Herr Lüders wurde neuerdings schwankend, indem er erwog, daß kornblau und hochroth doch eigentlich sehr gut zu einander ständen.

»Sie werden errathen haben, verehrter Herr Lüders und Sie, würdige Frau, worauf ich hindeute.« Dies war hinsichtlich der Madame Lüders sehr richtig; ihr Mann aber beschäftigte sich jetzt gerade mit der äußeren Ausstattung des Jägers, und da er die vorhergegangene Einleitung des Doctors fast gänzlich überhört hatte, konnte er unmöglich errathen, worauf er hindeute.

»Denn Sie wissen,« sprach der Doctor weiter, »daß ich Ihrer jüngsten Tochter schon seit Jahren die innigste, treueste Liebe widme.«

Das war so deutlich gesprochen, daß nun auch Herr Lüders plötzlich aufzuhorchen begann, während die kornblauen und hechtgrauen Livréen, sowie der mit Federn geschmückte, dreieckige Hut und die Achselschärpe des Jägers bunt durcheinander tanzten und dann, wie von einem Wirbelwinde gefaßt, seinem geistigen Auge entschwanden. Der Madame Lüders, die von Anfang nicht recht gewußt zu haben schien, ob sie ihren eigenen Ohren trauen dürfe, war es zu Muthe, als sei an der Stelle, wo der Doctor saß, eine Bombe zerplatzt, und als zweifle sie nur noch, ob sie durch die Explosion verwundet worden, oder nicht. Da nun der Doctor das Schnupftuch vor die Augen gedrückt hielt und offenbar eine Antwort erwartete, ihr Mann aber mit weit aufgerissenen Augen dasaß und keine zu geben fähig schien, ergriff sie endlich, nachdem sie wiederholt tief Athem geschöpft hatte, das Wort.

»Herr Doctor Schönfeld,« begann sie, »es ist uns allerdings nicht unbekannt, daß Sie einst für unsere Tochter zartere Gefühle hegten. Es gab auch in der That eine Zeit, da Ihre Bewerbung uns nicht unerwartet gekommen wäre. Daß Sie dieselbe gerade heute anbringen, können wir – ich brauche es kaum zu sagen – keineswegs dem uns zu Theil gewordenen Glücke zuschreiben, wir haben eine zu große Achtung vor Ihrem Charakter, um einem solchen Gedanken Raum zu geben – – –«

»Nein, nein,« fiel Herr Lüders sehr würdevoll ein, »das denken wir nicht.«

»Aber dennoch,« fuhr Madame Lüders fort, »ich gestehe es offen, sind wir durch Ihren Antrag, so ehrend er auch für uns ist, aus anderen Gründen nicht wenig überrascht.«

»Ja, ein wenig überrascht,« fügte Herr Lüders hinzu.

»Verehrte Frau,« entgegnete der Doctor, »ich habe freimüthig und ohne allen Rückhalt zu Ihnen gesprochen, wie es meiner Denkweise entspricht und es auch die große Wichtigkeit meines Anliegens erheischt, Sie werden mir, hoffe ich, eben so aufrichtig antworten. Sagen Sie mir also gütigst, was Ihre Ueberraschung hervorgerufen hat.«

»Das ist allerdings meine Pflicht sowohl Ihnen als auch meiner Tochter gegenüber,« erwiederte Madame Lüders, »und ich darf mich dessen nicht weigern. Also, offen gestanden, wir haben allen Grund gehabt zu glauben, daß in der letzten Zeit ein Wechsel in Ihrer Neigung eingetreten sei, daß Sie – nun frei heraus – daß Sie eine Andere liebten.«

»Eine Andere!« rief der Doctor mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens, »mein Gott verehrte Frau, sprechen Sie deutlicher, ich verstehe Sie wirklich nicht.«

»Nun, wenn Sie es denn wollen ich meine – – unsere Hauswirthin, Madame Pietschmann.«

Wäre plötzlich ein Blitzstrahl durch die Decke des Zimmers und in die schneeweiße Cravatte des Doctors gefahren, oder hätte ihm Jemand ein Gorgonenhaupt dicht vor die Nase gehalten, unmöglich hätten seine Züge ein größeres Uebermaß von Entsetzen zeigen können.

»Madame Pietschmann?« rief er, »gnädige Frau, höre ich recht? Sie könnten – aber es ist ja nicht möglich – Sie könnten an die Collectrice denken!«

»Und warum nicht?« erwiederte Madame Lüders.

»Verehrte Madame Lüders,« sagte der Doctor, indem seine Miene plötzlich die tiefste Wehmuth aussprach, »ich selbst, das werden Sie mir einräumen, habe Ihnen gewiß nie Ursache gegeben, solche – verzeihen Sie den Ausdruck – solche exorbitante Vermuthungen zu hegen, also können Sie nur von Madame Pietschmann herrühren. Bestimmte Ursachen kann sie aber doch unmöglich angeführt haben; denn, wenn sich auch die Phantasie einer Frau von so beschränkter Urtheilsfähigkeit, wie Madame Pietschmann, mitunter auf seltsame Irrwege verlieren mag, so hege ich doch von unserer Hauswirthin eine zu gute Meinung, um ihr absichtliche Unwahrheiten zuzutrauen. Die gegen mich ausgesprochene Vermuthung ist wahrlich so wenig schmeichelhaft und meiner Bewerbung um die Hand Ihrer Tochter so entgegenstehend, daß ich Sie dringend ersuchen muß, mir Gelegenheit zu bieten, sie vollständig zu heben, was mir ohne Zweifel sehr leicht werden dürfte.

Nicht läugnen will ich, daß ich der Madame Pietschmann alle und jede Aufmerksamkeit erwiesen habe, die unter Nachbarn und Bewohnern derselben Etage üblich, ja unerläßlich sind. Hat die gute Dame diesen nichtssagenden Höflichkeiten eine Bedeutung beigelegt, die sie nicht hatten, nun, ich bin nicht der Erste, dessen Gefühle in so merkwürdiger Weise mißverstanden wurden. Leider kommt so etwas alle Tage vor und richtet nur zu viel Unheil in der Welt an. Es wäre aber hart für mich, das Opfer eines so lächerlichen Mißverständnisses zu werden – sehr hart – nach so langem Sehnen und Hoffen. Darum, gnädige Frau, erzeigen Sie mir die Gerechtigkeit, mich zu hören, so gut wie Madame Pietschmann. Ich bitte, ich beschwöre Sie, was hat sie gesagt?«

Madame Lüders rief in ihre Erinnerung zurück, was ihr die Collectrice zu verschiedenen Malen hinsichtlich des Doctors gesagt hatte, und mußte sich gestehen, daß es sich auf sehr Geringes beschränkte, wie z. B. daß er ihr öfters Blumen gebracht, ihren Mops und ihre Vögel gepflegt und hin und wieder Abends eine Tasse Thee bei ihr getrunken habe. Sie erinnerte sich auch, daß sie selbst, von ihrer Neugierde dazu angetrieben, Madame Pietschmann mit dem Doctor geneckt und sie dadurch animirt habe, von ihm zu sprechen; ja es schien ihr jetzt, als habe sich ohne alle genügende Veranlassung nur in ihrem eigenen Kopfe die Idee gebildet und befestigt, daß der Doctor sich mit dem Gedanken trage, der Collectrice seine Hand anzubieten. Sie gab keine Antwort.

»Ich ehre Ihre Discretion, gnädige Frau,« fuhr der Doctor nach einer Weile fort, »obgleich die Umstände gewiß geeignet sind, über so zarte Rücksichten hinwegzugehen. Eine Frage indeß werden Sie mir offenherzig beantworten, ist Ihnen nie der Verdacht gekommen, daß Madame Pietschmann mitunter, wenn auch nur momentan ihr gesundes Urtheil verliert, daß sie auf Augenblicke – wie soll ich es nennen – ein wenig überschnappt?«

Der Zufall war hier dem Doctor zu Hülfe gekommen und hatte ihn einen besseren Treffer machen lassen, als er es selbst vermuthen konnte; war doch keine Stunde vergangen, seitdem dieselbe der ganzen Familie Lüders als eine halb Wahnsinnige erschienen war.

»Ich kann es nicht ganz bestreiten, Herr Doctor,« entgegnete Madame Lüders zögernd.

»Ich habe die gute Frau immer für etwas überspannt gehalten,« sagte mit einer geringschätzigen Miene Herr Lüders.

Der Doctor gewann Muth.

»Und einer leeren, durch Nichts gerechtfertigten, einzig und allein aus der geschäftigen Phantasie einer heirathslustigen Wittwe entsprungenen Vermuthung,« sagte er, »wollten Sie mehr Gewicht beilegen, als den aufrichtigsten Betheuerungen eines Mannes, der Jahre hindurch, ohne daß ihm die geringste Aufmunterung zu Theil geworden, rastlos und unbeirrt, fast ohne Hoffnung des Gelingens, aber dennoch mit äußerstem Fleiß und unermüdlicher Ausdauer sein Ziel verfolgte?«

»Verzeihen Sie, Herr Doctor,« sagte Madame Lüders, jetzt gänzlich aus der Fassung gebracht, »wenn ich Sie durch eine Vermuthung beleidigt habe, die, wie ich wohl sehe, aller Begründung entbehrt.«

»Und die mich in Ihren Augen lächerlich machen mußte,« erwiederte er, »Sie haben mir weh gethan, verehrte Frau, ich gestehe es.«

»Verzeihen Sie mir, lieber Herr Doctor; aber noch andere Gründe bestärkten mich in dem Glauben, daß Sie nicht mehr an meine Tochter dachten.«

»Und wollen Sie mir auch diese nicht nennen?«

»Sie haben sich seit langer Zeit so gänzlich von uns und von Louisen zurückgezogen.«

»Wenn Sie meine Gründe kennen werden, verehrte Frau, so werden Sie dieselben billigen, das hoffe ich, das weiß ich. An Ihre seitherigen Vermögensumstände brauche ich nicht zu erinnern; diese hatten für mich keine Bedeutung; denn der Mann soll die Frau ernähren, nicht umgekehrt. Aber meine eigene pecuniäre Lage faßte ich um so mehr in's Auge, und diese zu verbessern, war mein einziges Streben.

So lange sie mir nicht gestattete, als freier, unabhängiger Mann vor Sie hinzutreten und Ihnen zu sagen: nun bin ich im Stande, meinen eigenen Heerd gründen und die Zukunft Ihrer Tochter sichern zu können, schenken Sie mir ihre Hand; so lange ich das nicht konnte, hielt ich es für Unrecht, meine Gefühle zur Schau zu tragen. Wer stand mir dafür, daß ich erreichen würde, wonach ich rang? Leichtsinnig, unverantwortlich kam es mir vor, auf gut Glück das Schicksal Ihrer Tochter an das meinige zu knüpfen, und so vielleicht die Last Ihrer Sorgen noch durch neuen Kummer zu erschweren. So mied ich denn Louisen, ja, ich sage, ich mied sie; denn mit dem geliebten Mädchen alle Tage zu verkehren, würde mir das Beharren bei dem gefaßten Entschlusse unmöglich gemacht haben; so sehr durfte ich meiner Stärke nicht trauen. Sie sagten aber, verehrte Frau, ich habe mich gänzlich von Louisen zurückgezogen; nein, das hätte ich nicht über mich vermocht. Mit ihr unter einem Dache zu wohnen, mich in ihrer Nähe zu wissen, sie hin und wieder zu sehen, täglich durch jene Frau Erkundigungen über sie einziehen zu können, das war ja mein einziger Trost; aber darauf zu verzichten – o! –«

Der Doctor wurde von seiner Gemüthsbewegung so sehr überwältigt, daß es ihm unmöglich war, weiter zu reden. Das Schnupftuch fuhr wieder an die Augen, und ein leises Schluchzen drang darunter hervor. Auch Madame Lüders war bewegt, eine Thräne zitterte in ihren Wimpern, während die Schleife zum zweiten Mal aufgezerrt wurde. Herr Lüders rutschte auf seinem Stuhle unruhig hin und her und räusperte sich wiederholt, wie um das Wort zu ergreifen; aber er kam nicht dazu.

»Sie sagten vorhin, gnädige Frau,« begann der Doctor von Neuem mit mühsam errungener Fassung, »daß es eine Zeit gegeben habe, da Sie meine Bewerbung erwarteten. Ist es zu unbescheiden, wenn ich hinzufüge, daß Sie dieselbe nicht ungünstig aufgenommen haben würden?«

»Nein,« sagte Herr Lüders, der begriff, daß nun für ihn der Augenblick gekommen sei das entscheidende Wort zu sprechen, »nein, wir hätten damals recht gern unsere Einwilligung gegeben. Ich muß gestehen,« fügte er mit würdiger Herablassung hinzu, »daß wir damals Ihre Verlobung mit Louisen als eine fast abgemachte betrachteten.«

»Ich hoffe, Ihrer Tochter heute nicht weniger würdig zu sein, als damals, Herr Lüders,« entgegnete der Doctor, »ja, wenn Sie – wie es eines gewissenhaften Vaters Pflicht ist – auch auf die pecuniäre Lage Ihres Eidams sehen, so dürfte ich heute mit mehr Grund auf Ihre Zustimmung rechnen, als damals. Wollten Sie mir also nun verweigern, was Sie mir zu jener Zeit bewilligt hätten, so müßte ich darin zu meiner tiefsten Kränkung die Zurücknahme eines mir, wenn auch nur stillschweigend gegebenen Versprechens sehen.«

»Herr Doctor,« sagte Lüders mit seiner vornehmsten Miene, »es ist nicht meine Gewohnheit, ohne genügende Ursache zurückzunehmen, was ich einmal – mag es stillschweigend, oder mit Hand und Mund geschehen sein – versprochen habe. Sie sind ein Mann von ehrenwerthem Charakter und hervorragenden Talenten, Sie nehmen eine geachtete Stellung ein, und da die kleinen Mißverständnisse, die sich zwischen uns eingeschlichen hatten, nun vollständig beseitigt sind, so wüßte ich nichts mehr, was – –«

»O, Herr Lüders, Sie edler vortrefflicher Mann!« rief der Doctor, während die hellen Thränen über seine Wangen rollten, »Sie geben mir das Leben wieder. Nie, nie – das schwöre ich Ihnen – werde ich das Vertrauen täuschen, das Sie mir schenken. Madame Lüders,« wandte er sich an diese, ergriff ihre Hand und drückte sie feurig, aber mit Ehrerbietung an die Lippen, »seien Sie nicht weniger gütig gegen mich gestimmt, als Ihr Mann, geben auch Sie mir Ihre Zustimmung.«

Madame Lüders schluchzte laut und nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Und Louise?« fragte der Doctor zögernd, »wird auch sie mich erhören?«

»Louise ist zu jung und unerfahren,« gab Herr Lüders zur Antwort, indem er auf seine Schnupftabacksdose klopfte und sehr bedächtig eine Prise nahm, »um für sich selbst wählen zu können, und sie ist gewohnt, stets auf den Rath ihrer Eltern zu hören. Ihr Herz ist frei, und darum, lieber Herr Doctor, seien Sie in Betreff Louisens ganz ohne Sorge.«

Der gute Doctor wußte nur zu gut, daß Louisens Herz nicht mehr frei war und daß sie sich keineswegs für zu jung und unerfahren hielt, selbst ihre Wahl zu treffen; aber gerade dieser Umstand, so hoffte er, sollte, statt der Erreichung seines Zweckes hinderlich zu sein, vielmehr seinen Plan fördern. Auf das Geständniß, welches sie ihrem Vater abzulegen gezwungen sein, und auf das Mißbehagen, womit es dieser aufnehmen würde, hatte er schlau genug seine Berechnung gegründet.

Mit der von Herrn Lüders erhaltenen Antwort konnte sich der Doctor unmöglich einverstanden erklären. Louise sollte ohne allen Zwang von Seiten ihrer Eltern, nur dem Zuge ihres eigenen Herzens folgend, ihre Wahl treffen. Er bat Herrn Lüders und dessen Frau, mit ihrer Tochter zu sprechen, er selbst sei in diesem Augenblicke zu heftig bewegt, um das zu können, auch rechne er sehr auf die Vermittlung der Eltern; aber – darum konnte er sie nicht dringend genug bitten – Ueberredungsmittel durften ja nicht angewandt werden; nur ein gern, aus freiem Willen gegebenes Ja könne sein Glück begründen.

Nachdem er noch einmal unter Thränen der Rührung dem Herrn Lüders die Hand gedrückt und die seiner künftigen Schwiegermutter mit Küssen bedeckt hatte, empfahl sich der Doctor.

Herr Lüders schritt einige Male im Zimmer auf und ab, setzte sich dann in seine gewohnte Sophaecke, legte das rechte Bein über das linke und den Zeigefinger an die Nase, und das Alles that er mit einer so überaus nachdenklichen Miene, als sei er im Begriff, eines der schwierigsten Probleme der höheren Mathematik zu lösen. Einem Maler, der den Archimedes während der Erstürmung von Syrakus, über seinen Cirkeln und Quadraten brütend, hätte darstellen wollen, würde er kein unpassendes Modell gewesen sein.

»Nun, Andreas, was sagst Du eigentlich dazu?« fragte seine Frau endlich, nachdem sie ihre Augen getrocknet und ihn dann eine Weile schweigend beobachtet hatte.

»Ich werde mich für hechtgrau entscheiden, Annette,« war die Antwort.

»Für was, Andreas?«

»Für hechtgrau, meine Liebe, und – versteht sich – grün für den Jäger.«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Ja so – ich vergaß – Du sprichst von Louisen?«

»Natürlich, bester Mann.«

»Laß das Mädchen hereinkommen, Frau, wir wollen diese Angelegenheit gleich in's Reine bringen.«

»Ich fürchte, sie wird sehr dagegen sein.«

»Und weshalb?«

»Weil sie den Doctor nicht liebt.«

»Possen! ist sie nur erst ein Paar Jahre mit ihm verheirathet – – –«

»Nun freilich, man gewöhnt sich an einander.«

»Die Sache ist ohnehin beschlossen und abgemacht; rufe sie herein, Annette.«

Das Gespräch, das nun zwischen Louisen und ihren Eltern geführt wurde, entwickelte sich ganz in derselben Weise, wie es der Doctor vorausgesetzt hatte. Louise erschrak heftig, als sie vernahm, daß der Doctor Schönfeld förmlich um ihre Hand angehalten. Sie bat, sie flehte ihre Eltern, von dem Vorhaben abzustehen, sie für immer an diesen Mann zu ketten; umsonst. Sie beschwor dieselben, keinen Zwang gegen sie auszuüben, sie stellte ihnen vor, wie eine Verbindung mit ihm nur sie beide unglücklich machen würde; denn nie, nie würde sie ihn lieben können, ja selbst die unerläßlichste Grundbedingung für eine nur erträgliche Ehe, die Achtung vor seinem Charakter, fehle ihr; umsonst.

Die Mutter überwältigte der Anblick des unglücklichen Kindes, sie vereinigte ihre Bitten mit denen Louisens; aber besaß Lüders ein Verständniß für das Leid seiner Tochter, hatte er selbst einst aus Liebe geheirathet, ja, wußte er überhaupt, was Liebe ist? Gleichwohl war seine Ehe stets eine ruhige, einträchtige, ja glückliche gewesen. Von dem kaltsinnigen Geschäftsmanne, dem Manne, der ein ihm anvertrautes Kind, das Kind seiner einzigen Schwester, aus keinem anderen Grunde von sich gestoßen, als weil seine Lebhaftigkeit ihm lästig zu werden anfing, war es nicht zu erwarten, daß er den inständigen Bitten seiner Tochter ein wenn auch voreilig gegebenes Versprechen zum Opfer bringen würde.

Sie gestand ihm endlich, daß ihr Herz nicht frei, daß es mit aller Innigkeit der ersten Liebe einem Anderen zugethan sei. Aber wer war dieser Andere. Zitternd nannten ihre Lippen den Namen Hugo! Also Hugo! Der Taugenichts, der Undankbare, der seit zehn Jahren kein Wort von sich hatte hören lassen, der sich, mochte der Himmel wissen wie und wo, in der Welt umhergetrieben, es zu Nichts gebracht und arm und hülfsbedürftig zurückgekehrt war, abermals auf die Mildthätigkeit seines Onkels angewiesen, ihm von Neuem Unruhe und Sorge bereitend! War denn dieser Hugo wie vom Schicksal dazu ausersehen, ihn zu quälen? Warum mußte gerade jetzt, da ihm in jeder anderen Hinsicht das Glück wieder zu lächeln begann, jener Unhold gleich einem Wetterstrahl aus heiterem Himmel in's Haus dringen und überall Verwirrung und Verderben anrichten? Nein, diesem Unheil mußte von Vornherein mit kräftiger Hand gesteuert werden. Jetzt gerade und fester als je mußte er auf der Erfüllung seines Verlangens bestehen. Er dulde keine Widerrede, noch heute solle die Verlobung mit dem Doctor Statt finden; damit sei ein für alle Mal der Knoten zerhauen. Er sei nicht hart, nicht geizig, gern wolle er, da er nun die Mittel dazu besitze, dem ungerathenen Neffen noch einmal unter die Arme greifen, ihm behülflich sein, endlich einmal ein geregeltes Leben zu beginnen und sich eine geachtete Stellung zu erwerben; aber er thue dies nur unter der einen, ausdrücklichen Bedingung, daß sowohl sie selbst alle thörichten Hoffnungen aufgebe, als auch ihm zu benehmen suche. Sie möge sich also vorsehen, wie sie ihn empfange, wenn er hieher komme. Er werde sie genau beobachten, und ein einziges freundliches Wort, ein Blick, die allerkleinste Ermunterung von ihrer Seite werde für ihn das Zeichen sein, dem Vagabonden für immer das Haus zu verbieten. Sie möge jetzt gehen und sich die Sache vernünftig überlegen; aber er hege die zuversichtliche Hoffnung, daß sie nicht durch Unnachgiebigkeit und Halsstarrigkeit jedes Band zerreißen werde, das sie an ihre Eltern knüpfe, wie es ihr sauberer Vetter Hugo gethan. Und sie ging; aber die schönste Hoffnung ihres Lebens war vernichtet!

Wie gern hätte sie sich nicht, Trost und Hülfe suchend, an die treue, liebende Brust der Schwester geworfen! aber Ida war ausgegangen, um Aufträge der Eltern zu besorgen, und so saß denn das unglückliche Mädchen allein auf ihrem Stübchen, die Hände vor die Augen gedrückt, und ließ ihren Thränen freien Lauf. Aber hatte sie Zeit, in müßiger Ruhe ihrem Kummer nachzuhangen, da doch die Ereignisse der nächsten Stunden über ihre und seine Zukunft entscheiden mußten? Nein, ein Entschluß mußte gefaßt werden! Sie liebte Hugo über Alles, mehr als das Leben; ach, was war ihr das Leben ohne ihn? Nie war sie sich ihrer Liebe so sehr bewußt gewesen, als in diesem Augenblick, nie fühlte sie sich so bereit, seinem Wohlergehen auch das schwerste Opfer zu bringen, als gerade jetzt. Aber dieses? War es nicht mehr, als sie leisten konnte, und war es auch wirklich das Mittel, sein Glück zu gründen? Mußte sie nicht vielmehr besorgen, es dadurch zugleich mit dem ihrigen auf immer zu zerstören? Wie würde es ihr möglich werden, ihm den kleinen Rest von Wohlwollen, den ihr Vater noch für ihn hegen mochte, zu bewahren und ihm dessen Unterstützung zu sichern, ohne ihm zu gleicher Zeit den herbsten Schmerz zuzufügen und ihre beiderseitigen Hoffnungen gänzlich zu zertrümmern? Ach, wäre doch Ida hier! Wozu würde sie rathen? – Aber hatte ihr nicht Ida hinsichtlich ihres Benehmens gegen Hugo schon ihren Rath ertheilt? Und hatten die heute eingetretenen Umstände nicht bewiesen, daß dieser Rath ein richtiger und wohlüberlegter war? So müßte es wohl das Beste sein, ihn auch ferner zu befolgen und das von ihrem Vater so streng geforderte zurückhaltende Benehmen gegen Hugo genau zu beobachten. Nachdem sie diesen Entschluß gefaßt hatte, war die nächste Frage die, wie sie der angedrohten Verlobung mit jenem ihr verhaßten Manne entgehen könne. Aber darin mußte ihr Ida beistehen, die ja auf den Vater einen so großen Einfluß übte; hatte er ja doch oft bei früheren Gelegenheiten nur ihren Vorstellungen sein Ohr geliehen und auch Folge geleistet. Also Geduld bis Ida zurückkommen würde!

»War es eine Vorahnung dessen, was heute eingetroffen ist,« fuhr sie in ihren Betrachtungen fort, »die mich gestern so heftig erschrecken ließ, als Hugo den Namen Schönfeld aussprach? Oder war es nur der düstern fast drohende Ausdruck in seinen Zügen, der mir alle Fassung benahm, so daß ich außer Stande war, ihm zu antworten? Mein Gott, was wird er sagen, was wird er thun, heftig, ungestüm, wie er ist, wenn er dies erfährt? Dürfte ich nur eine Minute lang mit ihm sprechen, wie es mir mein Herz eingiebt, ihm meine Gegenliebe gestehen und ihn recht flehentlich bitten, sich zu mäßigen und sich auf die Zukunft zu vertrösten. Aber nein, ich darf es nicht – erführe es der Vater – ich sah ihn nie so aufgebracht – er würde ihn rauh und hart behandeln – und dann – Hugo's unbeugsamer Stolz! – ach dann wäre Alles unwiederbringlich verloren – durch meine Schuld verloren, nein, es darf nicht sein!«



 << zurück weiter >>