Charles Baudelaire
Gedichte in Prosa
Charles Baudelaire

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Ein heroischer Tod

Fancioulle war ein bewundernswerter Possenreißer und gehörte beinahe zu den Freunden des Fürsten. Aber auf Leute, die sich von Beruf der Komik widmen, üben die ernsten Dinge eine unselige Anziehungskraft aus, und wie wunderlich es erscheinen mag, daß sich Vaterlands- und Freiheitsgedanken despotisch eines Komödiantenhirnes bemächtigen, Fancioulle geriet eines Tages in die Verschwörung einiger unzufriedener Edelleute.

Es gibt überall brave Leute, die der Regierung jene gallsüchtig veranlagten Individuen hinterbringen, welche die Fürsten absetzen und eine Gesellschaft umwälzen wollen, ohne sie zu befragen. Die in Rede stehenden Herren – und unter ihnen auch Fancioulle – wurden festgenommen und zu einem gewissen Tode verurteilt.

Ich glaube gern, daß der Fürst ganz böse ward, seinen Lieblingskomödianten unter den Rebellen zu finden. Der Fürst war weder besser noch schlimmer, als andere zu sein pflegen, aber eine übertriebene Empfindlichkeit machte ihn in vielen Fällen grausamer und willkürlicher als alle seinesgleichen. Ein leidenschaftlicher Liebhaber der schönen Künste, übrigens ein ausgezeichneter Kenner, war er ein unersättlicher Lüstling. Verhältnismäßig ziemlich gleichgültig gegen die Menschen und die Moral, selbst ein wirklicher Künstler, kannte er keinen gefährlicheren Feind als die Langeweile, und die seltsamen Anstrengungen, die er machte, um diesem Welttyrannen zu entfliehen oder ihn zu besiegen, würden ihm von einem strengen Geschichtschreiber gewiß den Beinamen eines »Ungeheuers« eingetragen haben, wenn er in seinem Reiche etwas anderes zu schreiben erlaubt hätte, als was der Freude und dem Rausche, einer der süßesten Formen der Freude, diente. Das große Unglück dieses Fürsten war, daß er niemals einen genügend großen Spielraum für sein Genie besaß. Es gibt junge Neros, die in zu engen Grenzen ersticken und deren Namen und guten Willen die künftigen Jahrhunderte niemals erfahren. Die unvorsichtige Vorsehung gab ihnen größere Fähigkeiten als Staaten.

Plötzlich lief das Gerücht um, der Herrscher wolle alle Verschworenen begnadigen; und der Grund dieses Gerüchtes war die Ankündigung einer großen Vorstellung, bei der Fancioulle eine seiner ersten und besten Rollen spielen sollte und bei der, sagte man, sogar die verurteilten Edelleute mitwirken sollten; ein offenes Zeichen, fügten die oberflächlichen Geister hinzu, daß der beleidigte Fürst edle Absichten hege.

Bei einem ebenso natürlich wie bewußt exzentrischen Manne war alles möglich, selbst die Tugend, selbst die Milde, besonders wenn er hoffen konnte, unerwartete Genüsse dabei zu finden. Aber für diejenigen, die wie ich weiter in die Tiefen dieser seltsamen und kranken Seele dringen konnten, war es unendlich wahrscheinlicher, daß der Fürst über die szenischen Talente eines dem Tode geweihten Menschen urteilen wolle. Er wollte die Gelegenheit benutzen, um ein physiologisches Experiment von großem Interesse zu machen und zu erforschen, wie weit die gewöhnlichen Fähigkeiten eines Künstlers durch die außergewöhnliche Lage, in die er gerät, geändert oder entstellt werden können; gab es in seiner Seele außerdem eine von Milde mehr oder minder geleitete Absicht? Das ist ein Punkt, der niemals klar werden konnte.

Als endlich der große Tag gekommen war, entfaltete der kleine Hof seine ganze Pracht, und es wäre für den, der es nicht gesehen hat, schwer zu fassen, was die bevorrechteten Stände eines kleinen Staates bei ihren beschränkten Mitteln an Pracht bei einer wahren Feierlichkeit zu zeigen vermögen. Diese war doppelt wahr, nicht nur durch den Zauber des ausgestellten Prunkes, sondern auch durch das sich hinzufügende moralische und geheimnisvolle Interesse.

Fancioulle trat besonders in stummen oder wortkargen Rollen hervor, die oft die wichtigsten in jenen Feendramen sind, deren Gegenstand es ist, das Geheimnis des Lebens bildlich vorzuführen. Er trat leicht und mit einer vollendeten Ungezwungenheit auf die Bühne, was dazu beitrug, bei den vornehmen Zuschauern den Gedanken an Gnade und Vergebung zu befestigen.

Wenn man von einem Schauspieler sagt: »Das ist ein guter Schauspieler«, so bedient man sich einer Formel, die ausspricht, daß sich an Stelle der Persönlichkeit noch der Schauspieler, das heißt die Kunst, der Aufschwung, der Wille denken lasse. Nun, wenn ein Komödiant im Verhältnis zu der von ihm dargestellten Persönlichkeit das sein sollte, was die besten antiken, wunderbar beseelten, lebenden, sehenden Statuen im Verhältnis zu der allgemeinen und wirren Idee der Schönheit sind, so war dies hier ein einziger und gänzlich unvorhergesehener Fall. Fancioulle war an jenem Abend eine vollendete Idealisierung, so daß es unmöglich war, sich nicht eine lebendige, mögliche, wirkliche zu denken. Dieser Possenreißer kam, ging, lachte, weinte, krümmte sich, mit einer unzerstörbaren Aureole um das Haupt, einer nur mir allein sichtbaren Aureole, in der sich in seltsamer Verbindung die Strahlen der Kunst und des Märtyrertums mischten. Fancioulle trieb, ich weiß nicht mit welcher besonderen, göttlichen und übernatürlichen Anmut, die ungewöhnlichsten Possen. Meine Feder zittert, und Tränen einer immerwährenden Rührung steigen mir in die Augen, während ich den unvergeßlichen Abend zu schildern versuche. Fancioulle bewies mir auf eine entscheidende, unwiderlegbare Art, daß der Kunstrausch mehr als irgendein anderer geeignet ist, die Schrecken eines Abgrundes zu verschleiern; daß der Genius am Rande des Grabes mit einer Freude, die ihn das Grab zu sehen hindert, Komödie spielen kann, ihn, der sich ja in einem Paradiese befindet, das keinen Gedanken an ein Grab oder einen Untergang zuläßt.

Das ganze so übersättigte und möglichst leichtfertige Publikum unterlag bald dem allvermögenden Zwange des Künstlers. Niemand träumte mehr von Tod und Trauer und auch nicht von Hinrichtung. Jeder ergab sich, ohne sich zu beunruhigen, den erhöhten Genüssen, die der Anblick eines Meisterwerkes der lebendigen Kunst bietet. Die Ausbrüche der Freude und der Bewunderung machten das Gewölbe des Hauses immer wieder mit der Heftigkeit eines ununterbrochenen Donners erbeben. Der Fürst selbst fiel berauscht in den Beifall des Hofes ein.

Dennoch war für ein klar sehendes Auge sein Rausch nicht ungemischt. Fühlte er sich besiegt in seiner Despotenmacht? erniedrigt in seiner Kunst, die Herzen zu entsetzen und die Geister zu lähmen? um seine Hoffnungen gebracht, in seinen Vermutungen verhöhnt? Solche nicht genau gerechtfertigte, aber bestimmt nicht unberechtigte Gedanken kreuzten meinen Geist, während ich das Antlitz des Fürsten beobachtete, auf dem sich unaufhörlich eine neue Blässe zu der gewöhnlichen hinzugesellte wie Schnee zu Schnee sich gesellt. Seine Lippen schlossen sich immer enger und enger, und seine Augen erglühten von einem inneren, dem des Neides und des Hasses ähnlichen Feuer, selbst dann, wenn er ostentativ dem Talent seines alten Freundes, des seltsamen Possenreißers, der den Tod so trefflich narrte, Beifall klatschte. In einem Augenblick sah ich Seine Hoheit sich zu einem kleinen, hinter ihm stehenden Pagen beugen und ihm etwas ins Ohr flüstern. Der schelmische Gesichtsausdruck des hübschen Kindes wurde von einem Lächeln erhellt; und dann verließ es lebhaft die fürstliche Loge, wie um sich eines dringenden Auftrags zu entledigen.

Einige Minuten später unterbrach ein scharfer, langer Pfiff Fancioulle in einem seiner besten Augenblicke und zerriß mit einem Mal aller Ohren und Herzen. Und von dem Platze des Saales, von wo diese unerwartete Mißbilligung erschallt war, stürzte sich ein Kind mit ersticktem Lachen in den Korridor.

Aufgerüttelt, geweckt aus seinem Traume, schloß Fancioulle zuerst die Augen, schlug sie dann fast sogleich maßlos vergrößert wieder auf, öffnete den Mund, wie um krampfhaft Atem zu holen, schwankte ein wenig nach vorn, ein wenig nach hinten und fiel dann starr und tot zu Boden.

Hatte der wie ein Schwertstreich schnelle Pfiff den Henker wohl getäuscht? Hatte der Fürst selbst die mörderische Wirkung seiner List vorausgesehen? Man darf daran zweifeln. Bemitleidete er seinen teuern und unvergleichlichen Freund Fancioulle? Es ist süß und berechtigt, dies zu glauben.

Die schuldigen Edelleute hatten zum letztenmal bei einem Schauspiel mitgewirkt; in derselben Nacht wurden sie hingerichtet.

Seit damals kamen manche mit Recht geschätzte Mimen verschiedener Länder an den Hof von ***, um zu spielen; aber keiner von ihnen vermochte das wunderbare Talent Fancioulles zurückzurufen, noch dieselbe Gunst zu gewinnen.

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