Charles Baudelaire
Gedichte in Prosa
Charles Baudelaire

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Jeder seine Chimäre

Unter einem großen grauen Himmel, in einer großen staubigen Ebene ohne Wege, ohne Rasen, ohne eine Distel, ohne eine Brennessel, traf ich eine Schar Menschen, die gebückt dahinschritten.

Ein jeder von ihnen trug eine riesige Chimäre auf dem Rücken, so schwer wie ein Sack Mehl oder Kohle, oder wie die Rüstung eines römischen Fußsoldaten.

Aber das entsetzliche Ungeheuer war nicht eine träge Last; im Gegenteil, es umklammerte und preßte den Menschen mit seinen elastischen und mächtigen Muskeln; es hängte sich mit den langen Krallen an seine Brust, und sein fabelhaftes Haupt überragte die Stirn des Menschen wie einer jener furchtbaren Helme, mit denen die alten Krieger den Schrecken des Feindes zu vermehren hofften.

Ich fragte einen dieser Menschen, wohin sie also gingen. Er antwortete mir, daß er dies nicht wisse, weder er noch die andern; daß sie aber offenbar irgendwohin gingen, da sie von einem unwiderstehlichen Drange getrieben würden.

Etwas Seltsames ist zu bemerken: keiner dieser Wanderer schien dem wilden Scheusal, das sich ihm an den Nacken hängte und ihm am Rücken klebte, zu zürnen; es schien, daß er es als einen Teil seiner selbst ansah. Alle die müden und ernsten Gesichter zeugten von keinerlei Verzweiflung; unter der blendenden Himmelskuppel, die Füße in dem Staub der Erde begrabend, die ebenso trostlos wie der Himmel war, wanderten sie mit dem ergebenen Ausdruck jener dahin, die immer zu hoffen verurteilt sind.

Und der Zug schritt an mir vorüber und tauchte in die Atmosphäre des Horizontes, dort wo die gewölbte Oberfläche des Planeten sich der Neugierde des menschlichen Blickes entzieht.

Und einige Augenblicke lang wollte ich entschieden dies Geheimnis verstehen; aber bald überfiel mich die unwiderstehliche Gleichgültigkeit, die mich noch tiefer beugte, als selbst jene es waren, die von ihrer Chimäre erdrückt wurden.

*


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