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Drittes Kapitel

Die Sonne schien auf das breite Bett und weckte den Schläfer. Die Glocke einer nahen Kirche schlug die neunte Stunde an. Bundschuh blinzelte in das Licht, hörte die neun Glockenschläge und sprang mit einem Satze aus dem Bett. Neun Uhr! Zehn Stunden hatte er geschlafen! Drei Kniebeugen vor dem offnen Fenster, dann die Luft einatmen, das alles kannte er schon in Werder und gehörte zum Morgen wie das Zähneputzen und das Waschen. Schnell in die Kleider und dann in die Stube. Guten Morgen, Genossin Thea! Wer die junge Frau war nicht da. Auf dem weißgedeckten Tisch stand das Frühstück. Über der Kaffeekanne erhob sich eine lächelnde Puppendame mit gebauschtem Reifrock. Neben der Puppe lagen auf einem Zettel zwei Schlüssel.

Thea hatte geschrieben:

»Lieber Bundschuh, ich muß ganz eilig in die Stadt zu Herfurt. Und da ich nicht weiß, wann ich wiederkomme, und weil ich nicht wecken wollte, der Schlaf ist heilig, habe ich das Frühstück fertiggemacht. Lassen Sie sichs recht gut schmecken. Und die beiden Schlüssel schließen die Wohnung auf. Im Abend sehen wir uns wieder. Sie sind mein Gast, und bis dahin recht schöne Grüße von Thea Gärtner. – PS. Bevor Sie aber gehen, geben Sie dem Peterle noch einmal frisches Wasser.« Dann kam noch eine krakliche Nachschrift! »Gehen Sie nicht vor zehn Uhr, ich rufe bis dahin an.«

Komische Frau, diese Thea, sie ist so sprunghaft wie ihre Krakelschrift, dachte Bundschuh und lächelte.

Gestern abend hatte Thea noch eine ganze Stunde von sich und ihrer Ehe erzählt, von den sieben Jahren mit Peterle, dem Mann, und dem einen Jahr mit Peterle, dem Kanari. Der Mund plapperte, die grünen Augen leuchteten manchmal wie Katzenaugen, dann erstarrten sie, wurden groß und ruhig und still wie edle Steine. Ja, sie hatte viel erzählt und gefragt, die Thea. Schon in der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft berichtete sie von ihrem Mann, von Paul Riedel und dem dicken Kurt, von ihrem Bruder, dem Konstrukteur und von Hans Herfurt, dem großen Politiker. Unermüdlich ging ihr Mundwerk, aber die grünen Augen waren nicht bei den Erzählungen, sie waren wo ganz anders diese Katzenaugen, diese Edelsteinaugen. Thea fragte:

»Und wo leben Ihre Eltern, Bundschuh?«

»Die sind gestorben.«

»Aber Sie haben doch Verwandte?«

»Nein.«

Ja, und da hatte sie behutsam über seine Haare gestrichen, geseufzt und gesagt:

»Armer Junge, das ist ja furchtbar, keinen Menschen mehr aus der Welt zu haben!«

»Keinen Menschen? Ich habe ja die Partei!« hatte er geantwortet. Die grünen Augen erschienen ihm in der Nacht im Traum, aber es waren nur Augen, die wie grüne Lichter aus Nebel aufblühten und flackerten.

Die Nacht war vorbei. Die Sonne schien aus den Frühstückstisch, und sie leuchtete auch in den Käfig, in dem Peterle saß und sang. Bundschuh hob die Puppe von der Kaffeekanne, stellte sie auf den Tisch und frühstückte. So gut hatte er es in den letzten Jahren nicht mehr gehabt. Zigaretten lagen neben dem Aschebecher und den Zündhölzern. Zeitungen gab es keine. Heute war ja der 1. Mai, und auch die Buchdrucker feierten ihn.

Der Polizeipräsident hatte Umzüge und Demonstration verboten, aber er konnte den 1. Mai nicht verbieten. Die Arbeit und der 1. Mai gehörten zusammen wie Bruder und Schwester. Die Arbeit nährte die Nationen und schuf eine neue Ordnung zwischen den Klassen. Die Arbeit ist ein Hammer, der einmal alle Klassengrenzen zerschlagen wird, schwärmte Bundschuh, als er sich die erste Zigarette ansteckte.

Peterle begann schmelzend zu singen, und mitten in den schönsten Kanarienvogelschmelzgesang hinein schrillte das Telephon. »Ja, bitte? Hier Bundschuh bei Gärtner!«

»Schon ausgeschlafen?« fragte Thea. »Ich habe im Westen zu tun. Wir wollen uns treffen, Punkt ein Uhr Unter den Linden im Lindenrestaurant. Da wollen wir zusammen einen Happenpappen essen. Hans Herfurt ist auch da, ich habe ihm von Ihnen erzählt. Gibts was Neues? Nein, vergessen Sie Peterle nicht, und kommen Sie pünktlich, Eugen.«

Sie hängte ab.

Bundschuh verzog das Gesicht. Na schön, sie hätte doch wenigstens seine Antwort abwarten können. Also nicht, liebe Tante. Und von wegen so und so, er war doch nicht mit ihr verheiratet! Noch eine Zigarette steckte er sich an, das Püppchen setzte er auf die Kaffeekanne, den Peterle versorgte er mit frischem Wasser und verließ dann die Wohnung.

Am Hermannplatz kam er in Menschenwirbel hinein. Es war, als senke sich ein Magnet, ein Riesenmagnet vom Himmel nach den Straßen der Stadt und risse hier und dort eine Gruppe aus den Hinterhöfen und setze sie auf den großen Platz. Und auf diesem großen Platz waren die Gruppen selbst mit magnetischen Kräften begabt, stießen ab, zogen an, lösten sich aus, verwandelten sich, rollten an und zerbrachen an der Steilmauer von grüner Polizei, die aus der Erde wuchs.

Hin und her trieben die Menschen, sie wurden auseinandergesprengt, sie sammelten sich wieder, dichter, dunkler, entschloßner. Hochrufe und Niederschreie gellten, Pfiffe und rote Lieder. Das waren keine zerstreuten Gruppen und Kolonnen mehr, das Auf und Ab, das Hoch und Nieder erinnerte an die See, an das Meer mit Ebbe und Flut, Sturm und hinterhältigen Windstößen, Wetterwolken und kurze harte Wellenschläge. Der Schaum über der schwarzen See war rot und leuchtete auf in den vielen Bannern, die sich auf und ab bewegten und geheimnisvoll bauschten.

Die Hinterhöfe, die Dachkammern, die Keller und Elendsviertel hatte ihre Bewohner in den ersten Maientag geschickt. Alte und junge Arbeiter, schwerfällige und behende, kühle und leidenschaftliche, feige und tapfre, Sturmgarde und ewige Nachzügler marschierten aus den Straßen. Frauen und Mädchen waren dabei, blühende und verblühte, und auch Kinder hatten sich eingereiht. Der Hermannplatz war wie ein Marsfeld, und die Masse sang:

»Seht wie der Zug von Millionen
Endlos aus Nächtigem quillt,
Bis eurer Sehnsucht verlangen
Himmel und Nacht überschwillt!«

Das war ein russisches Lied, die Melodie war russisch, die Worte aber wuchsen aus deutschem Blut und aus deutscher Sehnsucht. Heilig die letzte Schlacht! sangen die Männer, die Frauen, die Kinder. Die Polizei sang nicht mit. Sie ließ die Befehle schallen, band die Tschakos fester und ließ die Gummiknüppel tanzen. Weitergehen, nicht stehenbleiben, weitergehen, bitte, weitergehen. Los, weiter, zurück alles und Straße frei!

Die Straßenbahnen fuhren.

Die Untergrund war im Betrieb.

Nein, die Streikparole hatte keinen Erfolg gehabt.

Mit der Untergrundbahn fuhr Bundschuh bis zur Leipziger Straße und bummelte nach den Linden hinauf. Hier aus diesem Wege merkte man wenig vom 1. Mai. Alle Geschäfte waren geöffnet. Viele Passanten lächelten über die Parteiabzeichen, die hier und da ausleuchteten. Vor zehn Jahren hatten sie selbst Parteiabzeichen angesteckt. Aber das war nun wohl vorbei, endgültig vorbei. Die Revolution war vorbei. Ja, die Republik stand aus festen Füßen. Die Geschäfte konnten schon besser gehen, aber sie waren immer noch leidlich. ›Man richtet sich ein, Herr, ganz recht, gnädige Frau, ja natürlich, die Arbeitslosigkeit, das merken Wir auch beim Umsatz, gnädige Frau. Na, hoffentlich wirds bald besser!‹

Unter den Linden hatten die Bäume ihr erstes Grün herausgesteckt, aber diese Straße war schon lange nicht mehr die Hauptstraße Berlins. Vor den Cafés standen Tische, Stühle und grüne Büsche, Lorbeer und Oleander. Frühlingsmoden tänzelten vorüber, große Welt und halbe Welt. Die Russische Botschaft hatte Rot geflaggt. Autos und Autobusse. Der Blumenladen im Adlon zeigte märchenhafte Orchideen.

Bundschuh hatte sich verlaufen und war bis zum Brandenburger Tor gekommen. Der Triumphbogen lag in der Bannmeile und hatte seinen Sinn verloren. ›Ja, entschuldigen Sie, bitte, wo ist das Lindenrestaurant?‹ Ein alter, freundlicher Herr schickte den Frager nach der richtigen Stelle. Der Türhüter, der wie der Gesandte eines exotischen Staates aussah, musterte kritisch den jungen Mann in den abgetragnen Kleidern. War es ein Gast? War es ein Bettler? Der Türhüter stand mit seinem Urteil wie auf Glatteis, aber bald stand er wieder aus festem Boden. Am Fenstertisch erhob sich eine Dame und winkte dem Eintretenden freundlich zu. Also doch ein Gast und kein Bettler!

Der Mann am Fenstertisch nickte mit dem Kopf. Der Kopf war sein Geld wert und zeigte auf den ersten Blick ein unförmiges Kinn und einen großen, weibischen Mund. Die Schläfen waren dünnwandig, der Schädel mit den spärlichen Haaren sah zerbrechlich aus. Die Augen? Nein, die Augen sagten nichts; Kinn und Mund bestimmten das Gesicht, das Hammerkinn, der Frauenmund. Wille war das Kinn. Gefühl der Mund. Und der Mann, den Willen und Gefühl bestimmten, hieß Hans Herfurt und war der berühmte Redner und Führer der Partei.

Jetzt stand er auf, als sich Bundschuh näherte.

Thea Gärtner stellte vor:

»Hans Herfurt – Eugen Bundschuh.«

»Nimm Platz, Genosse«, lispelte Herfurt mit hoher Stimme.

Bundschuh nahm Platz.

Der Oberkellner kam, ein Elegant mit klugem Diplomatengesicht, und nahm die Bestellungen entgegen. Thea erbarmte sich Bundschuhs und bestellte für ihn. Während des Essens wurde wenig gesprochen. Herfurt warf ab und zu einen prüfenden Blick aus den Gast, der große Mühe hatte, sich sachgemäß der vielen Gabeln und Messer zu bedienen. Den Wein trank er mit verklärtem Gesicht. In Wein kannte er sich aus, wenn es auch nur Beerenwein war aus Werder an der Havel.

Der Tisch wurde abgeräumt. Der Ober brachte Kaffee in silbernen Kännchen. Herfurt reichte Zigaretten herüber. Ganz vornehm, beinahe schon nicht mehr da, spielte im Hintergrund gedämpfte Musik.

»Ja, Thea hat mir erzählt, daß du bei ihr wohnst«, begann Herfurt, »und sie hat dich gelobt. Ich brauche nun heute zufällig einen jungen Mann, der für mich einige Dinge erledigen soll. Hast du Zeit?«

Bundschuh nickte. Natürlich hatte er Zeit.

»Gut. Zuerst begleitest du Thea auf den Wegen durch Berlin. In einer halben Stunde kommen unsre Filmfritzen. Ihr fahrt mit und seht, wie die Stimmung unter den Arbeitern ist. Dann brauche ich einen Kurier, aus den ich mich verlassen kann. Und ich kann mich doch aus dich verlassen?«

Bundschuh nickte begeistert.

»Ja, auf mich kannst du dich verlassen! Tag und Nacht. Wenn du es verlangst, Herfurt.«

Herfurt lächelte gerührt. Er war selber lange Jahre Arbeiter gewesen und kannte die glühende Bereitschaft der jungen Leute, die Verehrung für den Mann an der Spitze, die treue Gefolgschaft, die bedingungslose Hingabe! Glanz und Feuer der Jugend! Diese Adlergesichter! Herfurt seufzte. Er war siebenunddreißig Jahre alt und kannte die Welt. Die Welt kannte ihn. Aber er seufzte, als er das erglühte Gesicht von Eugen Bundschuh sah, die reine Stirn, von der man noch die Gedanken ablesen konnte.

»Heute wird nicht demonstriert Wie sonst an einem ersten Mai«, erklärte Herfurt mit leiser Stimme, »heute wollen wir mal sehen, wie stark wir überhaupt sind. Generalprobe sozusagen. Wir haben beschlossen, aus die Straße zu gehen trotz des Verbotes.«

»Das ist doch selbstverständlich. Das weiß ich schon. Ich war doch bei Otto Müller in der Kellerstraße, und dort haben wir auf dich gewartet«, antwortete Bundschuh.

»Schön, und ich brauche einen Mann, mit dem man Pferde stehlen kann. Bist du bereit?«

»Ja. Immer.«

»Gut, genau so habe ich mir den Bundschuh vorgestellt, als Thea von ihm erzählte«, schmeichelte Herfurt, und seine nichtssagenden Augen funkelten plötzlich, als er den Namen Thea aussprach. »Ihr fahrt um zwei Uhr mit der Filmabteilung los und seht euch Berlin an. Und um fünneff treffen wir uns. Am Wittenbergplatz im Café Geier.«

»Haben Sie Peterle frisches Wasser gegeben? Ja, Eugen? erinnerte sich Thea Gärtner.

Bundschuh nickte. Natürlich hatte er dem Peterle frisches Wasser gegeben, aber jetzt und heute ging es doch nicht um blödsinnige Kanarienvögel, zum Teufel, es ging um ganz andre Dinge, um Berlin ging es und darum, wer stärker war in dieser Millionenstadt, die Arbeiter oder die Polizei. Jetzt und heute ging es um Männerangelegenheiten. Und Männer sind ewige Soldaten. Wer sie müssen mobilisiert werden! Die Augen der ganzen Welt, jetzt fiel ihm Müllers Rede von gestern ein, die Augen der ganzen Welt waren aus Berlin gerichtet. Und sie waren auch aus ihn gerichtet, auf Eugen Bundschuh aus Werder an der Havel.

»Haben Sie lange geschlafen, Eugen?« fragte Thea.

Die Welt schloß ihre Äugen.

»Ja, bis neun Uhr«, gab er beschämt zu.

»Alles in Ordnung?« fragte Herfurt.

Die Welt öffnete ihre Äugen.

»Ja, alles in Ordnung«, sagte Bundschuh.

»Ober, zahlen, aber schnell«, befahl Herfurt und ließ den Deckel seiner goldnen Uhr springen.

Der Ober kam und überreichte die Rechnung wie das Beglaubigungsschreiben einer ausländischen Macht. Thea betupfte ihre blanke Nasenspitze mit Puder, und Herfurt zahlte mit einem Hundertmarkschein. Er gab ein unglaublich hohes Trinkgeld. Der Ober strich es gelassen ein. Herrgott, was war das? Von dem Trinkgeld kann doch ein Arbeitsloser die ganze Woche leben! Bundschuh blickte auf Herfurt, der steckte die Brieftasche ein und runzelte die Stirn. Die Sonne fiel auf das geballte Hammerkinn und den großen, weibischen Mund. Die Backen hingen faltig von den schmalen Schläfen herab. Das dünne braune Haar war nach hinten gekämmt. Unter den Augen dunkelten schwere Tränensäcke. Das ganze Gesicht hatte fast keinen Bartwuchs, auch keine Augenbrauen, nur Wimpern, und schien das Gesicht eines Kobolds zu sein.

Die Augen waren nicht schwarz und nicht braun, nicht grau oder grün, sie waren farblos, aber manchmal wurden sie dunkelgold und brennend wie die Augen eines Künstlers. Und wenn die Augen flammten, jauchzte die Masse. Herfurts Lispelstimme schwoll an, donnerte, zauberte, riß hin und begeisterte. Und wenn die Augen flammten, ergaben sich auch die Frauen. Von seinen Liebesgeschichten sprach man in der Partei genau so viel wie von seinen berühmten Reden. An der schmalen rechten Hand trug er einen mattgehämmerten Goldreif. Den hatte er aus Rußland mitgebracht und von irgendeiner Nina, Njura, Katja, Jelena oder Marsa bekommen. Seinen Anzug hatte ein Meister aus englischem Tuch gebaut. Das seidne Oberhemd war ein wenig zu bunt, die Schleife ein Wenig zu phantasievoll, aber daran war nur Uralski schuld, der trug noch buntere Oberhemden und noch phantasievollere Schleifen.

»Haben Sie auch richtig zugeschlossen, Eugen?« fragte Thea und suchte Bundschuhs Blick.

Bundschuh nickte.

»Ja, hier sind die Schlüssel.«

Thea wehrte enttäuscht ab.

Herfurt lächelte. Ja, sie sollte schon ein wenig zappeln, die Thea. Sie ließ ihn doch auch zappeln, und erst ihr Widerstand hatte ihn neugierig gemacht. Einmal fiel sie doch in seine Arme.

»Ich habe doch selber Schlüssel, Eugen«, sagte Thea und bezwang ihre Enttäuschung, »und wo wollen Sie denn heute Nacht schlafen? Sie sind mein Gast, und vorläufig bleiben wir noch zusammen.«

Vor dem Restaurant hielt ein großes, neues Auto. Der Chauffeur signalisierte dreimal mit der Hupe, der Türhüter, der Sklave, der Gesandte, riß die Türe auf und Herfurt schloß die ganz gewöhnliche Trinkgeldhand mit einer großen Silbermünze. Er gab gern, und er konnte auch geben, denn er hatte viel. Auf der Straße verabschiedete er sich.

»Vergeßt nicht, um fünneff im Café Geier. Und nun machs gut, Dame, und auch du, Bundschuh!«

Er winkte eine Taxe heran und fuhr nach dem Zoo. Dort hatte er sich verabredet. Mit Kolja Uralski, dem Beauftragten der Internationale. Pünktlich mußte man sein bei den Russen. Zwei Minuten über der Zeit verschwanden sie vom Treffpunkt und ließen sich den ganzen Tag nicht mehr sehen. Und am andern Tage war es schwer, sie aufzufinden. Das ganze nannten sie Konspiration. Nein, Herfurt wollte nicht zu spät kommen.

Thea und Bundschuh stiegen in den Wagen zum Kurbelmann. Sie fuhren zuerst nach dem Alexanderplatz.

Wie in Neukölln, brachen auch hier aus schmalen, dunklen Straßen die Demonstranten hervor, fahnenschwenkend, liedersingend, und auch hier stand die Polizei wie eine Mauer. Dann Wurde die Mauer lebendig, rückte an, Gummiknüppel tanzten, Weitergehen, weitergehn, nicht stehenbleiben! Hochrufe und Niederschreie, flutendes Auf und Ab, und durch das wogende Menschenmeer pflügte das Auto. Der Kurbelmann drehte gelassen und aufmerksam die Räumung des Platzes.

»Fabelhaft, wirklich fabelhaft«, knurrte er und drehte und drehte, »ausgezeichnet, wie sich unsre Leute halten! Da, da, da, da drüben, der Grüne, der wilde Mann mit dem Gummistäbchen! Weiter, weiter, weiterfahren, Fritze, ganz dicht ran, das Bild müssen wir haben.«

Der Chauffeur Fritz fuhr ganz dicht ran. Jus der Masse erhoben sich drohende Fäuste. Ein junger Bursche mit nackter Brust, ein tätowierter Adler spannte seine Schwingen, sprang auf das Trittbrett, hielt Fritz die Faust unter die Nase und brüllte mit verzerrtem Gesicht:

»Schweinebande, uns geben sie Kattun, uns schlagen sie zu Klump, und die Affen hier filmen! Aufhören, aufhören mit dem Mist!«

Thea erhob sich aus der Polsterung.

»Aber Genossen«, rief sie mit heller kräftiger Befehlsstimme, »aber Genossen, wir sind doch von der Partei!«

»Komm runter, Atze, die sind doch von der Partei, Mensch, die sind doch von der Partei«, riefen einige Arbeiter und machten bereitwilligst Platz für das Auto. Es war ein Auto von der Partei. Die Partei war groß und herrlich, jetzt hatte sie schon Autos. Und Atze, der Mann mit der tätowierten Brust, sprang vom Trittbrett und entschuldigte sich:

»Ach, ihr seid von der Partei? Na, dann entschuldigt mal, Genossen, aber das können wir nicht wissen. Steckt wenigstens eine rote Fahne an die Karre, da wissen wir sofort Bescheid.«

»Aber natürlich«, sagte Thea.

Der Chauffeur Fritz holte unter dem Sitz eine kleine rote Fahne hervor und steckte sie an den Kühler. Und da leuchtete sie, die kleine rote Fahne mit Sichel und Hammer, und alle wußten, Achtung, hier kommt ein Auto, es gehört eigentlich uns, mir und dir, aber vorläufig soll es die Partei haben, die darf nicht zu Fuß latschen.

Bundschuh staunte. Partei, Partei! In der Kellerstraße genügte das Parteibuch nicht, aber hier, eine Dame sagte: ›Wir sind von der Partei!‹ und alle glaubten es. Sie fragten nicht einmal, von welcher Partei.

Die Gummiknüppel tanzten aus den Köpfen, Schultern und breiten Rücken ihrer Kameraden, und sie machten Platz für den Wagen, damit diese Prügel auch richtig gefilmt wurden. Ja, die Genossen in Moskau sollten mit eignen Augen sehen, wie es in Deutschland zuging. So ging es zu: weitergehen, und wer nicht weiterging, plautz, eins mit dem Stäbchen, und nun haue ab. Ja, die Freunde in Rußland sollten alles sehen! Und sie fragten nach keinem Mandat und keinem Ausweis, sie stellten sich wie Kinder hin und lachten groß und dumm in die Bildstreifen, auf denen zu sehen war, wie ihre Kameraden von der Polizei verprügelt wurden.

Die Befehle schallten, die Füße rannten, die Gummiknüppel tanzten, hier und dort gellte ›Hoch!‹ und ›Nieder!‹, aus der Neuen Königstraße kam ein Demonstrationszug, liedersingend, fahnenschwenkend, Alarm, Alarm, und plötzlich geschah ein Wunder: die Polizei ging zurück.

Die Masse schrie und brüllte.

Aber sie jubelte zu früh.

Ein dicker Wasserstrahl schoß in die Menge, ein armdicker Guß zischte in den dichtesten Auflauf hinein. Wasser auf die Fahnen, Wasser in die Lieder, Wasser, nacktes Wasser in alle Begeisterung hinein! Das Wasser zischte, zerstreute und spritzte den dichtesten Auflauf auseinander. Geschrei und Gelächter! Ernst und Würde ersoffen wie zwei schwarze Katzen.

Es war einfach grotesk und lächerlich. Sie marschierten aus für die Freiheit der Straße, für die Freiheit der Klasse, aber nun kam die Polizei und spielte Feuerwehr, sie spielte Feuerwehr und schoß mit Wasser! Das war gegen die Spielregeln!

Auch der Operateur, dem alles nur Szenerie war, soundso viel Meter Film, auch der Kurbelmann bekam einen armdicken Strahl mitten auf den Kasten. Thea Gärtner kreischte wie ein junges Mädchen. Sie lachte und schüttelte sich, die Tropfen spritzten, der Kurbelmann fluchte, und der Chauffeur Fritz wandte das Auto geschickt durch die flüchtende, lachende und schreiende Menge nach der trocknen Münzstraße hinunter.

Bundschuh war ganz weiß vor Wut.

Gummiknüppel? Ja, natürlich, aber feste, warum denn nicht? Wenn wir die Macht haben! Aber Wasser, Wasser, kaltes Wasser? Das war gemein, hundsgemein und verächtlich.

»Na, junger Freund? Auch eine Dusche abbekommen?« fragte Fritz und lachte übers ganze Gesicht.

»Huch, das nächste Mal nehme ich einen Regenschirm mit«, kicherte Thea und schüttelte sich immer noch.

»Und ich eine Handgranate!« sagte Bundschuh.

In der Münzstraße kam das Auto, das Auto der Partei, nur langsam vorwärts.

Das Karl-Liebknecht-Haus am Bülowplatz war umlagert. Auch das Scheunenviertel war auf den Beinen, die Dragonerstraße, die Grenadierstraße, die Mulackstraße, die Weinmeisterstraße, die Steinstraße mit dunklen Gestalten aus der Unterwelt, mit schweren Jungens und leichten Mädels. Die Unterwelt band sich rote Tücher um den Hals. Das Lumpenproletariat stieg aus den Kellern und Kaschemmen und witterte Morgenluft.

Thea Gärtner, diese gepflegte Dame aus einer ganz anderen Welt, stand im langsam fahrenden Auto und antwortete den Schiebermützen, geknoteten Halstüchern und fahlen Gesichtern. Die kleine rote Fahne am Kühler, der Kurbelmann, der 1. Mai, und überall die Lieder, die Internationale, die Marseillaise, der Rotgardistenmarsch. Hoch und Nieder! Es lebe! Wer hat uns verraten? Wir sind die erste Reihe!

Fritz behielt seine strengen Mienen. Was hatte er mit dem Gesindel in der Münzstraße zu tun? Was hatte die Partei mit den Zuhältern und Fünfgroschenmädels zu tun? Einreißen sollte man hier den ganzen Dreck, die Hinterhöfe, die Keller, die Kaschemmen. Laß sie nur huldvoll winken, die Genossin Dame mit den grünen Katzenaugen!

Der Kurbelmann drehte seine Bilder.

Die Münzstraße marschierte.

Die Dragonerstraße marschierte.

Neben ihr stampfte die Mulackstraße und vor ihr die Rückertstraße. Auch diese von Jammer und Elend besudelten Straßen schwenkten die roten Fahnen und glaubten an den 1. Mai.

Am Rosenthaler Platz kam Polizei. Die Grünen sprangen ab, schwärmten aus und vertrieben die Menge, die dunkel anflutete und nach dem Alexanderplatz vorstoßen wollte. Unruhig war dieses Berlin, fiebernd die Straßen, die Fahnen, die Parolen. Marsch, marsch, marsch! Dunkle Menschenschlange, die aus einer Steinschlucht hervorbricht und zu singen beginnt!

Gellendes Niedergeschrei aus der Masse antwortete den Gummiknüppeln der Polizei.

Zu Boden stürzte ein Fahnenträger, verwickelte sich in das bestickte Tuch und lag wie eine sich windende Feuerschlange am Boden. Die Fahne, die Fahne ist in Gefahr! Zwei alte Arbeiter rissen den Gestürzten hoch und retteten ihn und die Fahne vor den Zugriffen der Polizei. Zurück, alles zurück! Sie stellten sich vor den Fahnenträger und gingen erst auseinander, als das Banner in Sicherheit war. Die Fahne ist gerettet!

Die Fahne war gerettet, aber die beiden Arbeiter mußten mit auf das Auto. Sie waren verhaftet. Den 1. Mai konnte man nicht verhaften. In der Elsässer Straße blockierten Sprechchöre den Verkehr. Laßt sie schreien! Die Polizei klettert aufs Auto und fährt weiter. Überall gellen die Hochrufe und die Niederschreie. Die ersten Steine fliegen gegen die Polizei. Immer neue Verhaftete werden eingeliefert. Die überfüllten Zellen bersten: Brüder, zur Sonne, zur Freiheit! Wir sind die erste Reihe, wir gehen drauf und dran! Wacht auf, Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt!

Und der Kurbelmann dreht seine Bilder für den Film:

›Maifeier in Berlin!‹

Die Kampfleitung mit Uralski und Herfurt hatte nach einem gutdurchdachten Plane gearbeitet. Die Männer im Hintergrund, die Generalstäbler des Tages, kannten den Bürgerkrieg und seine Strategie. Sie schickten ihre Soldaten in ganz bestimmten Marschrichtungen durch die Steintäler, um die Polizei zu beschäftigen, zu verwirren und zu zermürben.

Die Kellerstraße erinnerte an eine überfüllte Promenade irgendwo an einer See. Aber hier gab es keine See. Hier erstarrte das Steinmeer, das Elendsmeer mit der Jammertiefe und der Hungerbank. Am Nettelbeckplatz schäumten und rollten die schwarzen Fluten, auf und ab, vor und zurück schäumten und rollten sie und schickten zuckende Spritzer bis in die graue Müllerstraße hinunter.

Das Auto bog in die bewegte Kellerstraße ein und hielt vor der Kneipe, in der am Vorabend Bundschuh den Otto Müller, den Paul Riedel, den blassen Erwin und den dicken Kurt getroffen hatte. Heute gab es keinen Südfruchthändler in der Straße. Die Fahnen und Spruchbänder leuchteten. Der Chauffeur Fritz wurde mit Fragen überschüttet.

»Stimmt es, daß am Alex geschossen wird?«

»Wieviel Tote gibt es in der Leipziger Straße?«

»Habt ihr die Barrikaden am Potsdamer Platz gesehen?«

»Stimmt es: Herfurt ist verhaftet worden?«

»Die Nazis haben in Neukölln aus unsre Leute geschossen?«

»Hier zu uns sollten sie kommen, die Grünen, Mensch, hier käme kein Aas wieder raus zu Muttern.«

So standen sie und fragten, erzählten sich Gerüchte, erhitzten sich, und der Kurbelmann drehte seine Bilder. Thea aber verstand die große Kunst, mit vielen Worten nichts zu sagen und doch den Eindruck zu erwecken, als habe sie viel gesagt. Sie nahm also die Fragen auf und spielte mit ihnen Ball, erzählte von der Wasserschlacht am Alexanderplatz, von den Sprechchören, von den Gummiknüppelüberfällen und, wo hatte sie das her, von der Verbrüderung aller Arbeiter über die Köpfe der Parteien hinweg.

»Und wenn gehts dann los, Madame, he?« fragte ein alter Tippelbruder, der aus dem Asyl gekommen war und seine persönliche Rechnung mit der Welt begleichen wollte, »wann gehts denn los, Madame? Oder sollen wir diesmal wieder verkauft und verraten werden?«

»Mensch, wir haben doch keine Waffen, keine Waffen haben wir, sonst, Mensch: päng, päng, päng!« sagte der Monteur Lange, fünfzig Jahre alt und fünf Jahre arbeitslos. Wer nimmt einen Arbeiter mit fünfzig Jahren? Lachhaft, man kann sie sich aussuchen. Dreißig Jahre ist schon alt!

»Waffen? Keine Waffen? Wieso keine Waffen?« fragte ein kleiner, unscheinbarer Mann und erklärte im harten, russischen Deutsch: »Gut, so macht euch doch selber die Waffen! Die Gesteine liegen auf die Straßen. Da oben«, er deutete nach der Weddingstraße, »da oben sind Waggons und Balken, da sind Bretter und Gasröhren genug für Barrikaden!«

»Mensch, auf dich haben sie hier gerade gewartet«, sagte Fritz, »wo kommst du her, du komische Nudel?«

»Ja, wer sind Sie?« fragte auch Thea.

Der Russe übersah den Chauffeur und antwortete Thea:

»Und wer sind Sie?«

Der Landstreicher kam ihm zur Hilfe.

»Ja, wer sind Sie, Madame?« sagte er. »Ich habe Sie hier in der Gegend noch nicht gesehen.«

»Mensch, gib nicht so reichlich an«, sagte Kurt und drängte sich vor, »ich kenne die Genossin, aber dich kenne ich nicht.«

»Aber ich bin doch Schmitz Karle«, sagte der Landstreicher, »mich kennen doch alle hier in der Straße!«

Ja, sie kannten den Schmitz Karle. Er war vor drei Tagen aufgetaucht und konnte gut reden. Der Mann war in Ordnung. Alle drängten sich näher, aber dann öffneten sie eine schmale Bahn. Otto Müller fegte mit kräftigen Armstößen heran, stieß den alten Tippelbruder beiseite und sagte:

»Da steht ihr wie die Ochsen vorm neuen Tor, wenn es donnert, was ist denn los, Herrschaften? Nur keine Aufregung, und alles mit der Ruhe! Bis jetzt ist alles ruhig in Berlin, es gibt keine Toten und keine Verwundeten. Die Toten, die es gibt, die leben alle noch!« Er wandte sich an den Landstreicher und sagte: »Du halbe Portion, Mensch, auf dich haben wir gerade noch gewartet!« Zu dem Russen sagte er: »Was quatschst du hier von Barrikaden?«

Der Russe war vierzig Jahre alt, schmal und schmächtig und trug viel zu schlechte Kleider, um als Arbeiter zu gelten. Er sah aus wie ein schlechter Schauspieler, der einen Arbeiter spielen soll. Der Russe schwieg und brachte einen unterschriebenen und bestempelten Leinwandfetzen hervor.

»Laß den Quatsch stecken«, sagte Müller und wandte sich an die Umstehenden, »immer nur die Ruhe behalten, wir haben noch keinen Befehl herausgegeben. Laßt euch nicht provozieren, ich habe jetzt zu tun.«

Der Landstreicher aus dem Asyl, der Achtgroschenjunge, verdrückte sich und brachte der Polizei die erste Meldung von dem Russen, der Dame Thea und der Stimmung in der Kellerstraße. Ja, und wie hieß der Monteur mit seinem päng, päng, päng? Und der Junge mit dem Vollmondgesicht? Und der Mann mit den blaugrauen Augen, der neben der Dame saß?

»Tag, Thea! Tag, Eugen, kommt mal mit in die Kneipe«, sagte Müller. Er wandte sich an den Russen, »Und du kommst auch mit. Was hast du denn da für einen Fetzen? Wer schickt dich denn?«

Im Vorzimmer prüfte Müller lange und umständlich das beschriebene und bestempelte Leinwandmandat des Russen. Er nannte sich Willi und behauptete, mit Uralski aus Moskau gekommen zu sein.

»Uralski? Kennst du einen Uralski, Thea?«

»Ja, das ist der Beauftragte von drüben.«

Müller pfiff leise vor sich hin und sagte:

»Na, dann ist ja alles in Ordnung, Willi, und du kannst ruhig hier bei uns so'n bißchen bleiben.«

»Nein, ich gehe zu die Proletarier auf der Straße«, erklärte Willi und verbarg das Mandat, »hier ist schon gesprochen worden viel zuviele, ich kein Freund von viel zuviel Wörter.«

Er ging und Müller sagte:

»Dicke Luft, Kinder, dicke Luft. Die Russen interessieren sich persönlich für den Wedding. Aber nun kommt mal, Herrschaften, wir wollen hinten mal alles bemeckern.«

Das Hinterzimmer war überfüllt und alarmbereit.

Riedel sprang auf, als er Thea erkannte. Er wurde rot, die Hände flatterten, die Augen verdunkelten sich. Und dann strich er sich die weizengelbe Strähne aus der Stirn, versteckte sich in einer Ecke und kam ruhelos wieder vor. Und dann trat er auf Thea zu und sagte:

»Guten Tag, Thea«.

»Guten Tag, Paule«, lächelte die junge Frau.

»Alles sitzenbleiben«, befahl Müller, »die Genossen kommen eben von einer Fahrt durch die Stadt. Sie kommen vom Alex und wollen berichten, was sie gesehen haben und wie die Stimmung ist. Die Genossin Thea hat das Wort. Ruhe, Ruhe, laßt die Genossin Thea sprechen.«

Der Lärm legte sich wie ein treuer Hund vor ihre Füße.

Sie nahm das Wort, überbrachte Grüße von Herfurt und schilderte kühl und sachlich die Fahrt von den Linden zum Alexanderplatz. Es war viel los, Berlin war in Bewegung. Sie erzählte von der Stimmung in der Münzstraße und von der Polizei, sie berichtete von den Demonstranten, von der Wasserschlacht und formulierte bildhaft ihre Eindrücke. Ja, sie konnte schon sehen und berichten, die Thea! Schließlich warnte sie vor wilden Gerüchten.

»Wir wissen noch nicht, was der Abend bringt«, sagte sie, »aber zur Kampfleitung können wir Vertrauen haben. Bleibt ruhig und laßt euch nicht provozieren. Seht euch mal den alten Tippelbruder an, den Schmitz Karle. Und Befehle gibt nur Otto Müller aus!«

Thea sprach, die schöne Bürgerin mit den Katzenaugen, die Dame sprach vor den verbrauchten Arbeitern. Klar war sie, kühl und schön. Und sie meisterte die Männer. Sie wagten kaum zu rauchen. Ja, der Sieg war sicher. Jetzt kamen selbst die Damen in die Partei!

Erwin und Kurt schoben sich ins Zimmer.

»Bei uns ist Hochspannung, das werdet ihr wohl schon selber gespürt haben«, sagte Müller und rasselte seinen Leitartikel herunter. »Lange halten wir unsre Leute nicht mehr zurück. Und wir wollen sie auch nicht mehr zurückhalten, nein. Und es muß einmal bezahlt werden, was gekauft worden ist. Ihr habt die Stimme des Volkes gehört, den alten Penner aus dem Asyl, ja, wir passen schon auf, und zwei Spitzel haben wir festgenommen und photographiert, die Bilder schicken wir morgen. Und einem Provokateur haben wir eine proletarische Abreibung gegeben, aber feste, und hier ist seine Kanone! Na und an der Ecke da vorn die Bauwagen und der ganze Zauber und Zunder, was damit werden kann, weiß ich ohne die lichtvollen Hinweise von Ruski Willi. Aber alles mit der Ruhe, und wir werden das Kind schon schaukeln, und das Kind hat diesmal rote Haare.«

Die Arbeiter lachten über das Kind mit den roten Haaren, und der Maurer Adams, siebenunddreißig Jahre alt und natürlich erwerbslos, sagte:

»Keine Angst, Otto, auf uns kannst du dich verlassen.«

»Wir fahren nach dem Zentrum und werden Herfurt alles berichten«, sagte Thea, »soviel ich weiß, wollte er einen Kurier schicken, wenn was los ist. Den hier«, sie deutete auf Bundschuh, »den hier wird er schicken, damit ihr im Bilde seid.«

»Mensch, hast du aber Dusel, Kurier bei Herfurt, und gestern hattest du noch keine Bleibe«, sagte Paul Riedel, »und heute«, er errötete,»und heute bist du schon so gut aufgehoben.«

Thea lächelte.

Bundschuh sagte:

»Und gestern hast du mir das Parteibuch abgenommen, Paule, und jetzt bin ich mitten drinn. Soll ich ein gutes Wort für dich bei Herfurt einlegen?«

Das Hinterzimmer schüttelte sich vor Lachen.

»Habe doch sofort gesehen, was du für ein Mensch bist, und auch Frau Müller warst du auf den ersten Blick sympathisch, da kannst du dir was draus einbilden«, lobte Müller.

»Und mir war sie auch auf den ersten Augenblick sympathisch! Du hast ja gar keine Ahnung, wie sympathisch sie die Türe zuknallen kann!« lachte Bundschuh, »sage einen sympathischen Gruß von mir, Otto!«

So lachten sie und spotteten sie und saßen noch eine kleine Weile über nichtssagenden Dingen zusammen. Die große Spannung war gelöst. Die jungen Leute erheiterten sich, Kurt und Erwin tranken an einem Glase Bier und rauchten an einer Zigarette. Ja, heute konnte und mußte man die Kräfte erproben. Jünglingskräfte. Bärenkräfte. Männerkräfte. Mensch, meine Muskeln!

Der Maurer Adams und der Monteur Lange hatten den Krieg mitgemacht. Sie kannten die elektrischen Spannungen und Funkentänze vor der Schlacht, die kalten und heißen Schläge. Adams wandte sich an Lange und sagte:

»Mensch, damals bei Ypern ...!«

Sie steckten die Köpfe zusammen und sprachen leise von der Front bei Ypern.

»Keine Dummheiten machen, und den Kurier abwarten«, sagte Thea Gärtner und erhob sich, »wir müssen jetzt weiter.«

»Wir warten auf den Kurier, und auf Wiedersehn!«

Sie verließen die Kneipe, und das Auto bahnte sich durch die hin- und herwogende Menschenmenge seinen Weg.

Um die Bauwagen, Gasrohre, Kandelaber, Balken, Bretter und Buden war sehr viel Betrieb. Inmitten junger Burschen und alter Tippelbrüder, auch ein Mensch mit Hornbrille und Bügelfalte war dabei, inmitten der Versammlung stand der Russe Willi, der mit dem Russen Uralski gekommen war, um den Deutschen zu zeigen, wie eine Revolution gemacht wird. Er betrachtete kritisch die Bretter, Balken und Gasrohre. Dann nickte er. Ja, so mußte es werden. Er stäubte sich Zigarettenasche vom Rock und ging weiter. Zwei Männer bemühten sich ernst, hast an einem großen Rohr und rollten es über die Straße.

Thea dachte nach. Die Geschichte mit dem Russen gefiel ihr nicht. Frauen und Kinder gafften. Heute waren schon einige Autos in der Kellerstraße erschienen. Junge Leute waren die Straße entlang spaziert und hatten Augen gemacht wie Weltreisende, die sich aus einen andern Stern verirrt haben. Thea warf einen schnellen Katzenblick auf Bundschuh. Das war schon ein andres Gewächs als die Männer in Berlin. Sie seufzte. Der Kurbelmann drehte seine Bilder. Der Apparat schnurrte. Und plötzlich fiel ein Schuß.

»Was ist denn los? Wird geschossen?«

»Unsinn, es wird doch nicht geschossen, Eugen, ein Reifen wird geplatzt sein, ein Autoreifen!« beruhigte Thea, und der Wagen fuhr weiter, »warum soll denn hier geschossen werden?«


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