Ernst Barlach
Schriften in eigener Sache
Ernst Barlach

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Die wortlose Wahrheit

Die Gläubigkeit meines Wesens möchte um alles Heiligen willen von Befragung verschont bleiben. Sie ist sich ihrer selbst kaum bewußt und viel zu stolz, wenn sie schon gestellt wird, es darauf ankommen zu lassen, daß man sie zu etwas Worthaftem nötigt, mit dem sie ihre nackte Unfaßbarkeit in scheinbare Verständlichkeit kleiden müßte, um es an notdürftiger Vernünftigkeit nicht fehlen zu lassen ...

Meine liebste Erwartung ist auf die Möglichkeit freien Atmens gerichtet, – wollte ich disputieren, und sei es nur mit meinem andern Ich, so käme das einer Grabschaufelei gleich, und so viel vermag ich disputierend nicht zu fördern, daß ich darum das Bessere darangeben dürfte. Ich fürchte dabei, daß ich zeither überleidig disputiert habe, und fühle, daß ich dem reinen Gestalten allzuviel schuldig geblieben bin.

 

Die Wahrheiten vergehen, die Wahrheit selbst bleibt, die wortlose, die, zwischen den Formulierungen der Dogmen als Sturm den erhabensten Irrtum aufrührend, den vergänglichen Leibern, nämlich den Dogmen, ihr Blühen und prunkendes Dauern [und] bis zum Überdruß ihres Alterns Kraft und Odem gibt. Die Wahrheiten sind sinnliche, menschliche Erfindungen, die Wahrheit ist die Unsichtbarkeit selbst, das Sein des Seins, das Unnennbare, für das der zweisilbige Klang nichts als Beweis ist, daß die menschliche Unzulänglichkeit eines zulänglichen Übermenschlichen bewußt ist, das sie benamst, um es nur als etwas Existentes zu bezeichnen: die Ausströmung des ewig unbekannten Gottes, dessen, was eben nicht menschenmäßig ist und darum nicht von Menschen erfaßbar, also ihnen unbekannt ist und bleibt. Aber das künstlerische Vertrauen ohne arge Vernünftigkeit glaubt sich selbst sein Schöpferrum und beweist es sich zufriedenstellend als Teilhabung im großen schöpferischen Geschehen ...

 

Ich bin froh, wenn mir einige handgreifliche Dinge gelingen, aus denen eine Ahnung von der Möglichkeit des Hinübergelangens in Bereiche klingt, die einmal »über« uns sind, aber darum nicht hoffnungslos verschlossen, – eine Ahnung, die mit Ernst und Strenge nicht unvereinbar, schon an sich selbst beglückend ein Übersichselbsthinaus erfahrbar macht. Es ist wohl so, daß der Künstler mehr weiß, als er sagen kann, weshalb er sich überzeugt ans Bilden macht.

 

Ich muß mich dem Geheiß eines Sollens fügen, das mich in jedem einzelnen Fall bestimmt; und wäre es nicht so, daß ich, wie es sich auch aus dem Unbewußten gestaltet, immer doch Zusammenhang, Einheit, Folgerichtigkeit des Gewordenen zu erkennen genötigt bin, so wäre mir das Wesen, aus dem ich gekommen und in dem ich mich bewege, kaum eine Gewalt, zu der man Vertrauen haben dürfte. So aber geschieht, was geschieht, in immer mehr sicher werdender Gutgläubigkeit. Freilich von einer Art, die sich immer weniger formulieren läßt, der es unabweisbares Bedürfnis ist, sich in solcher Freiheit zu bewegen, daß sie Andersgewohnten, nach beglückender Begrenzung und Sicherheit Verlangenden als schlechter Glaube, ja als Ungläubigkeit erscheinen möchte. Doch gehöre ich zu den gläubigen Menschen, deren Letztes allerdings sich nicht in Worte bringen ließe, indem ich der Überzeugung bin, daß die mir gegebene Sprache und Darstellung – wenn auch stammelnderweise – von Etwas zeugt, das vom Wort, von Wille, Verstand und Vernunft überhaupt nicht berührt wird. Es sei denn wiederum in der Art der Kunstsprache, indem ihr innewohnt und übertragen wird aus ihr, vermöge übervernünftiger Eigenschaft als Schönheit, Größe, Majestät oder erschütternde Eindringlichkeit, was vom Jenseits der Wortmathematik kommt, nicht gewollt, gelernt, gewonnen oder ursächlich erkannt werden kann, sondern zweckfreie Gnade ist.


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