Ernst Barlach
Schriften in eigener Sache
Ernst Barlach

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Detail aus dem Magdeburger Mal: Rechte untere Halbfigur

Aus einem Taschenbuch

1906

ie Gedankenwelt des Plastischen ist an die solidesten Begriffe des Materials, des Steins, des Metalls, des Holzes, fester Stoffe gebunden. Das Gebirge, der Baum, haben die Gefühlswelten in sich, die herausgearbeitet werden können. Die absolute Bestimmtheit, die Umgrenztheit des Gefühls sind ihr Reich, das in Ruhe und Majestät Himmelsstürmerische, der Trotz der Titanen, die Schroffheit, Weltabgeschiedenheit des innigstvertieften Weltgefühls. Keine Wolke, kein Wind, kein Licht und kein Dämmer geben ihm Nahrung. Es gestattet kein Schwanken und kein Schillern, kein Zittern und kein fürchtendes Hoffen. Es will. Im Plastischen findet die Menschenseele den Ausdruck ihrer Urgestalt, wie sie das Gebirge dem Denkenden darbietet. Die Möglichkeit, das Letzte herauszustoßen. Das schlechthin Erhabene der Überzeugung zu predigen, das Bewußtsein des absoluten Ichs zu entblößen, nicht zu verhüllen.

 

Aus dem Charakter des Steins, der Bronze heraus ist die Formgebung des Bildhauers abzuleiten. Material-Begriffe werden zu Anschauungs-Normen; nach den Maßen von Erz und Stein wird die darstellbare Welt gemessen, auf Eigenschaften, die Stein und Erz entsprechen, geprüft. Die bildhauerische Anschauung reißt wie ein Sturm alle krause Sinnliche lichkeit und alles Zufallsspiel, allen Überfluß und Ornamentluxus vom Knochenbau der Welt.

 

Nicht leicht wird der plastische Blick zum freudigen Schauen. Den meisten erscheint es ernüchternd, und mir will erscheinen, als ob es gerade diejenigen wären, die vor den Werken der Plastik nicht ihre Echtheit, sondern ihre Unechtheit bewundern. In die nicht durch das Mittel des Kunstwerks der innere Ernst von Stein und Erz hineinschauert wie eine kühle, klare, tröstliche Offenbarung, wie beruhigende Absolutheit.

 

Der plastische Blick sieht, auf die Natur gerichtet, Zeit und Ewigkeit zugleich; er sieht im Boden den Knochenbau der Erde eher als die vielen Härchen, die über ihre Haut gesät sind und ihre Klarheit verwischen, er sieht in der Luft den Atem aus der Brust des großen Raums und erst später oder gar nicht die vielen Spielwirbel von tausenderlei Farben und Tönen, sieht in Baum und Strauch individuelle Gestalten als Kinder der Rasse des Bodens anstatt wie die Kamera tausend Allerlei, was auch da ist wie der Schaum auf den Wellen.

 

Wie der Bildhauer mit der Faust, räumen wir mit dem Gefühl den Schutt wichtigtuerischer Nichtigkeiten vom Lebensbilde hinweg, das wir für unser Inneres schöpferisch umgestalten; nicht die Welt sehen, wie sie scheint, sondern wie sie ist – vor unsern naiv zutappenden, aber immer nach dem Knochenbau und dem Muskelwerk tastenden Fingern. Die Federn der Erscheinungsvögel mögen einstweilen stieben, bis wir ihren Bau architektonisch begriffen und den Umkreis ihrer Flugkraft ausgemessen haben. Daß ihr Gefieder dann prächtig in der Sonne blitzt, wenn sie sich aufschwingen und als lebendige Spiele köstlicher Formen den Himmel beleben, soll uns dann so freuen, wie wir bei den Werken der Plastik die zarten Ziselierungen der Oberfläche oder die mattglänzende Hautfläche des Marmors mitgenießen.

 

Frierende Alte (Die alte Gewittersche), Teakholz, 1937
55 X 34 X 39 cm
1937 als »entartete Kunst« in der Berliner Galerie Buchholz vom »Reichsbeauftragten für künstlerische Formgebung«, Schweitzer, beschlagnahmt Barlach-Nachlaßverwalrung Güstrow (Heidberg)

Wie der Dramatiker am absoluten Maßstab mißt und nun, mit dem Bewußtsein dieses Maßstabs in der Brust, gestaltet und erhöht, schlichtet und klärt, so lebt in der Seele des Plastikers das Bewußtsein einer fordernden Notwendigkeit, die ihn zwingt, seine Absicht mit den Plänen einer heldenhaften Großzügigkeit, einer Freude am Unkleinen, am Überwinden des Peinlichen und Gestalten des Unfreien zum Selbstverständlichen zu tränken. Die Gesetze, denen er gehorcht, sind nicht mehr die kleinlichen der Vernünftigkeit, sondern die großen der willkürlichen Vernunft, die andere Gesetze hat als jene.

 

Ich kenne einen Bildhauer, der seine Anregungen nicht am Modell, nicht am Leben der Menschen, sondern in der Natur sucht; er gewinnt da Begriffe höherer Personen als es ihm das Leben liefert. Ein Schauen von Mythen. Das Sausen des Sturms, das Drängen und Überstürzen der Wellen sind Charaktere, zu denen er die entsprechenden Personen schaffen muß.

 

Mit der Forderung des Sehens hat man die des Schauens unterdrückt. Das Schaffen in Visionen ist göttliche Kunst, Kunst in höherem und also besserem Sinne als die Wirklichkeits-Kunst, die sich vom bloßen Können ableitet. Visionen haben ist Fähigkeit des sinnlichen Blicks. Sollte dieses »Fest des Schauens« nicht ein höheres Sakrament sein als das andere? Sind Visionen unwirklich? Sie unterliegen ebenso dem Begriff »Selbstverständlichkeit« und »Richtigkeit« wie körperliche Gegenständlichkeit.

 

Die gewissenhaftesten Studien können als unwahr empfunden werden wie die kühnste Vision als wahr.

 

Wenn der Künstler zeigt, wie mystisch alles ist, so ist das aussichtslos, es sagt dem Publikum bloß, daß es im Trüben verharren muß. Wenn der Künstler das Mystische so sinnlich gestaltet, daß es vertraute Welt wird, so hat er erhoben: durch das Gewöhnliche zum Unendlichen. Und hat gezeigt: sieh, die ganze Welt ist großartig, überall, denn der mystische Gehalt geht vollauf im Gewöhnlichen auf.

 

Die Gemeinschaft der Heiligen, Wandplastiken, Klinker, 1930/32, aufgestellt 1947
Der Bettler, Der Sänger, Frau im Wind, alle 207 cm hoch Katharinenkirche Lübeck, Westfassade
Vom »Bettler« ein Probebrand der Grube Ilse im Heimatmuseum Senftenberg; der »Singende Klosterschüler« außerdem in der Gertradenkapelle Güstrow sowie auf Barlachs Grab in Ratzeburg; die »Frau im Wind« ebenfalls in der Gertrudenkapelle Güstrow und im Barlach-Haus Hamburg-Kleinflottbek (Sammlung Reemtsma)

Was unter mythologischer Anschauung zu verstehen ist: natürlich keine Götterlehre, sondern der Prozeß, der zur Götterlehre geführt hat. Keine Wagnertümeleien. Kein Dichten und kein romantisches Ausdeuten und Beleben der Landschaft mit Gestalten. Sondern das Gestalten selbst, in dem Sinn, der vormals zur Mythenbildung führte. Jeder Gegenstand kann mythisch angesehen werden; man kann es auch anders nennen: Ausschöpfen der Ewigkeitszüge, deren Stimmung lebendig ist (Persönlichkeit darstellt), die zu der Menschenseele redet. Bei der es nicht heißt: so kann es sein, sondern: so kennen wirs, so kennen wir uns wieder.

 

Und da die Menschenseele des Ästhetischen doch bloß als Schmuck bedarf, so werden ihre andern Forderungen: die Erhebung zum Weltgefühl, des Gottesgefühls, der Wunder-Gegenwart (wozu ja das Wunder des Lichts nicht allein gehört), die Erinnerung an die ersten grundlegenden Ausbrüche des Schauens vorwiegend aus der Natur herausdemonstriert werden, sagt ruhig: hineingelegt, aber so wie man einen lebendigen Keim in den Boden pflanzt, der auch nichts vom Boden hat, im Ansehn, aber ganz aus ihm besteht.

 

Noch andere Arten des mythischen Kunstschaffens: das Sehen des Architektonischen, die Form des Bodens, der sich bäumt, wellt, jagt mit dem Gefühl eines zur Form gewordenen gewaltigen Tuns, der endliche Prozeß unendlicher Versuche, Experimente, Tragödien, die seit tausenden von Jahrtausenden gleichgebliebene Sprache, der man immer deutlicher ihre Worte abfangen möchte und sie darum von der Hülle der Wettervorgänge befreit. Man reißt den Schleier vom Gesicht einer geheimnisvollen Person.

 

Im Ganzen des Architektonischen ist der Ausdruck des Strebens nach Wahrheit, dessen, was man wirklich wissen kann, und wenn ichs übertreibe, so ists keine Willkür, sondern der Ausdruck des Suchens meiner Persönlichkeit nach unzweifelhaften Bestimmtheiten.

 

Die Vereinfachung und Monumentalisierung, die gibt mir den Begriff der ewigen Ideen. Das Stück vom Angesicht der Natur wird seiner Runzeln, Härchen usw. entkleidet, und ich versuche mir zu zeigen, wie es eigentlich aussieht. Der Prozeß bedeutet eine Erhebung der Persönlichkeit zu gleicher Größe, Person zu Person.

Ernst Barlach im 65. Lebensjahr vor dem Südportal der Gertrudenkapelle in Güstrow (seit 1953 Barlach-Gedenkstatte)
Das Foto entstand 1934 bei einem Rundgang mit Reinhard Piper aus München im Gertrudenfriedhof (vgl. R. Piper: Nachmittag – Erinnerungen eines Verlegers, München 1950, S. 175/76)


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