Honoré de Balzac
Vendetta
Honoré de Balzac

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Während sich diese Szene im Atelier abspielte, waren der Vater und die Mutter in Unruhe darüber, daß sie noch nicht heimgekehrt war.

»Es ist sechs Uhr, und Ginevra ist noch nicht zurück!« rief Bartolomeo.

»Sie ist noch nie so spät zurückgekommen«, antwortete Piombos Frau.

Die beiden Alten sahen sich mit allen Anzeichen ungewöhnlicher Besorgnis an. Zu unruhig um stillzusitzen, erhob sich Bartolomeo und ging zweimal im Salon mit einer für einen siebenundsiebzigjährigen Mann ziemlich ungewöhnlichen Schnelligkeit auf und ab. Dank seiner robusten Konstitution hatte er sich seit dem Tage seiner Ankunft in Paris wenig verändert und hielt sich, trotz seiner großen Figur, immer noch gerade. Sein weißes spärliches Haar ließ eine breite vorspringende Stirn frei, die deutlich seinen Charakter und die Festigkeit seines Wesens anzeigte. Sein von tiefen Runzeln durchzogenes Gesicht hatte sich sehr verändert und besaß den matten Teint, der Achtung einflößt.

Das Feuer der Leidenschaft leuchtete noch aus dem übernatürlichen Glanz seiner Augen, deren Brauen noch nicht ganz weiß geworden waren und ihr schreckenerregendes Runzeln beibehalten hatten. Der Eindruck dieses Kopfes war ernst, aber man sah, daß Bartolomeo das Recht besaß, so zu erscheinen. Seine Güte, seine Sanftmut kannten nur seine Frau und seine Tochter. In seinem Dienst und vor Fremden vergaß er nie die erhabene Haltung, die das Alter ihm gebot; und die Gewohnheit, die dicken Brauen zu runzeln, das faltige Antlitz zusammenzuziehen und seinem Blick eine napoleonische Starrheit zu verleihen, bewirkten, daß er einen eisigen Eindruck machte. Während seines politischen Dienstes war er so allgemein gefürchtet, daß er für wenig gesellig galt; aber dieser Ruf war nicht schwer zu erklären. Das Leben, die Moral und die Treue Piombos waren eine Anklage gegen die Mehrzahl der Höflinge. Trotz der vertraulichen Aufträge, die seiner Diskretion anvertraut waren, und die für jeden andern einbringlich gewesen wären, besaß er nicht mehr als etwa dreißigtausend Franken Rente aus Eintragungen ins Staatsschuldbuch. Wenn man den niedrigen Kurs der Renten unter dem Kaiserreich bedenkt und Napoleons Freigebigkeit gegenüber seinen getreuen Dienern, die zu bitten verstanden, so kann man leicht erkennen, daß der Baron di Piombo von strenger Rechtlichkeit war; er verdankte seine Erhebung zum Baron nur der Notwendigkeit, in die sich Napoleon versetzt sah, ihm einen solchen Titel zu geben, als er ihn an einen fremden Hof entsandte. Bartolomeo hatte immer einen unversöhnlichen Haß gegen die Verräter gezeigt, mit denen sich Napoleon umgab in dem Glauben, sie durch seine Siege gewinnen zu können. Wie man sagt, war er es, der drei Schritte nach der Tür des kaiserlichen Kabinetts machte, nachdem er ihm den Rat gegeben hatte, sich dreier Männer in Frankreich zu entledigen, und zwar am Abend vor seiner Abreise zu dem berühmten und bewunderungswürdigen Feldzuge von 1814. Seit der zweiten Rückkehr der Bourbonen trug Bartolomeo nicht mehr den Orden der Ehrenlegion. Niemals bot jemand ein schöneres Bild jener alten Republikaner dar, der unbestechlichen Freunde des Kaiserreichs, die als lebendige Reste der zwei kraftvollsten Regierungen, die die Welt gesehen hat, zurückgeblieben waren. Wenn der Baron di Piombo auch etlichen Höflingen mißfiel, so hatte er die Daru, Drouot, Carnot zu Freunden. Um die übrigen Politiker kümmerte er sich seit Waterloo ebenso viel wie um den Rauch seiner Zigarre. Bartolomeo di Piombo hatte mit Hilfe der ziemlich bescheidenen Summe, die »Madame«, die Mutter des Kaisers, ihm für seine korsischen Besitzungen bezahlt hatte, das alte Hôtel de Portenduère angekauft, in dem er keinerlei Änderungen vornahm. Fast immer auf Kosten der Regierung untergebracht, bewohnte er das Haus erst seit der Katastrophe von Fontainebleau. Als einfache, vornehm denkende Leute gaben der Baron und seine Frau nichts auf äußeren Luxus; ihre Möbel waren die alten des Hotels. Die hohen, großen, dunklen und kahlen Zimmer der Wohnung, die breiten Spiegel in alten, fast schwarzgewordenen vergoldeten Rahmen, und das ganze Mobiliar aus der Zeit Ludwigs XIV. paßten zu Bartolomeo und seiner Frau mit ihrer antiken Würde. Unter der Regierung des Kaisers und während der hundert Tage hatte der alte Korse bei seinen reich bezahlten Ämtern ein großes Haus ausgemacht, aber mehr, um seiner Stellung Ehre zu machen, als in der Absicht zu glänzen. Seine und seiner Frau Lebensführung war so einfach, so still, daß ihr bescheidenes Vermögen ihren Bedürfnissen genügte. Für sie wog ihre Tochter Ginevra alle Schätze der Welt auf. So empfand Ginevra, als im Mai 1814 der Baron di Piombo seine Stellung aufgab, seine Dienerschaft verabschiedete und seinen Stall auflöste, einfach und ohne Ansprüche auf Luxus, wie ihre Eltern keinerlei Bedauern darüber: wie bei großdenkenden Seelen, bestand ihr Luxus in der Stärke der Gefühle, wie sie ihr Glück in der Einsamkeit und der Arbeit fand. Und dann liebten sich diese drei Wesen zu sehr, als daß die Äußerlichkeiten des Daseins irgendwelchen Wert in ihren Augen gehabt hätten. Häufig, und besonders seit dem zweiten, so furchtbaren Sturz Napoleons verbrachten Bartolomeo und seine Frau köstliche Abende bei dem Klavierspiel und dem Gesang Ginevras. Ihre Gegenwart und ihre geringste Äußerung gewährte ihnen eine unglaubliche heimliche Freude, sie folgten ihr mit zärtlich besorgten Augen, sie hörten ihren Schritt im Hofe, so leicht er auch sein mochte. Gleichwie Verliebte konnten sie zu dritt ganze Stunden stillschweigend verbringen, indem sie so ihre Seelen besser als mit Worten sprechen ließen. Diese heiße Liebe, die das ganze Leben der beiden Alten ausmachte, belebte all ihr Denken. Sie waren nicht mehr drei, sondern ein einziges Wesen, das ähnlich der Flamme eines Herdes sich in drei Feuerzungen geteilt hat. Wenn zuweilen die Erinnerungen an die Wohltaten und das Unglück Napoleons oder die gegenwärtige Politik über die beständige Sorge der beiden Alten triumphierten, so konnten sie darüber reden, ohne die Gemeinsamkeit ihrer Gedanken zu beeinträchtigen: teilte nicht Ginevra auch ihre politischen Anschauungen? Was war also natürlicher, als daß sie sich mit leidenschaftlicher Liebe in das Herz ihres einzigen Kindes flüchteten? Bisher hatte öffentliche Tätigkeit die Energie des Barons di Piombo in Anspruch genommen; aber als er seine Ämter aufgab, empfand der Korse das Bedürfnis, seine Kraft auf das letzte Empfinden, das ihm noch geblieben war, zu konzentrieren; und dann gab es, abgesehen von dem Bande, das Vater und Mutter mit ihrer Tochter verbindet, ohne daß diese drei despotischen Seelen es wußten, vielleicht noch einen stärkeren Grund für ihre gegenseitige leidenschaftliche Liebe: sie liebten einander, ohne mit andern teilen zu müssen; Ginevras ganzes Herz gehörte ihrem Vater, wie ihr dasjenige Piombos; und schließlich, wenn es wahr ist, daß wir aneinanderhängen mehr um unserer Fehler als um unserer Vorzüge willen, so entsprach Ginevra wunderbar genau allen leidenschaftlichen Gefühlen ihres Vaters. Das war die einzige Unvollkommenheit in diesem Leben zu dritt. Ginevra besaß ganz seinen starken Willen, sie war rachsüchtig und ließ sich hinreißen, ganz so wie Bartolomeo in seiner Jugend. Der Korse gefiel sich darin, diese wilden Neigungen in dem Herzen seiner Tochter noch zu bestärken, genau so, wie wenn ein Löwe seinen Jungen beibringt, sich auf die Beute zu stürzen. Aber diese Erziehung zur Rache konnte nur im elterlichen Hause vor sich gehen, Ginevra verzieh ihrem Vater nichts, und er mußte ihr nachgeben. Piombo betrachtete diese weit herbeigeholten Streitigkeiten nur als Kindereien; aber sein Kind nahm daraus den Anlaß, seine Eltern zu beherrschen. Bei Gelegenheit solcher häuslichen Unwetter, zu denen Bartolomeo sie gern noch reizte, genügten ein zärtliches Wort und ein Blick, ihre aufflammenden Seelen zu beruhigen, und sie waren nie so dicht vor einer Umarmung, als wenn sie sich eben bedroht hatten. Aber seit etwa fünf Jahren vermied Ginevra, klüger als ihr Vater, beständig solche Szenen. Ihr treuer Sinn, ihre Hingebung, die Liebe, die in allem ihrem Denken vorherrschte, und ihr bewunderungswürdiger gesunder Menschenverstand siegten über ihren Zorn; allein es hatte sich nichtsdestoweniger ein recht erhebliches Übel daraus ergeben: Ginevra lebte mit ihrem Vater und ihrer Mutter auf dem Fuße der Gleichberechtigung, die immer unheilvoll ist. Um endlich zu erklären, was für Veränderungen mit diesen drei Menschen seit ihrer Ankunft in Paris vorgegangen waren, genügt es zu sagen, daß Piombo und seine Frau, Leute ohne Bildung, Ginevra ihre Studien ganz nach ihrem Belieben hatten treiben lassen. Je nach ihren Launen hatte das junge Mädchen alles angefangen und wieder im Stich gelassen, indem sie jeder Neigung folgte und sie wieder aufgab, bis schließlich die Malerei ihre beherrschende Leidenschaft wurde; sie wäre vollkommen gewesen, wenn ihre Mutter vermocht hätte, ihre Erziehung zu leiten, ihren Geist zu bilden und ihre natürlichen Gaben in Einklang miteinander zu setzen; ihre Fehler waren die Folge der unheilvollen Unterweisung, die ihr der alte Korse mit besonderer Freude gegeben hatte.

Nachdem der Alte das Holz des Fußbodens unter seinen Schritten hatte krachen lassen, klingelte er. Ein Diener erschien jetzt.

»Gehen Sie Fräulein Ginevra entgegen«, sagte er.

»Ich habe immer bedauert, daß wir keinen Wagen mehr für sie haben«, bemerkte die Baronin.

»Sie wollte ja keinen haben«, antwortete Piombo und sah seine Frau an, die, seit vierzig Jahren an Gehorsam gewöhnt, die Augen niederschlug.

Schon siebzigjährig, groß, hager, blaß und runzlig, glich die Baronin völlig den alten Frauen, die Schnetz auf seinen italienischen Genrebildern anbringt; sie war für gewöhnlich so schweigsam, daß man sie für eine zweite Frau Shandy halten konnte; aber ein Wort, ein Blick, eine Geste bewiesen, daß ihr Empfinden seine jugendliche Kraft und Frische bewahrt hatte. Ihre Toilette, fern von jeder Koketterie, war oft geschmacklos. Sie verhielt sich gewöhnlich passiv, war in einen Sessel versunken wie eine Sultanin-Mutter, während sie auf Ginevra, ihren Stolz und ihr Alles, wartete oder sie bewunderte. Die Schönheit, die Toilette, die Grazie ihrer Tochter schien sie wie zu sich gehörig zu betrachten. Alles erschien ihr vortrefflich, wenn Ginevra glücklich war. Ihr Haar war weiß geworden, und etliche Flechten lagen über ihrer weißen, runzligen Stirn oder an ihren ausgehöhlten Wangen.

»Es sind jetzt vierzehn Tage,« sagte sie, »seitdem Ginevra immer etwas zu spät kommt.«

»Jean wird nicht schnell genug gehen,« rief jetzt der ungeduldige Alte aus, knöpfte seinen blauen Rock zu, setzte einen Hut auf, nahm seinen Stock und entfernte sich.

»Du brauchst nicht weit zu gehen«, rief ihm seine Frau nach.

Und in der Tat wurde jetzt das Hoftor geöffnet und geschlossen, und die alte Mutter hörte Ginevras Schritt im Hofe. Bartolomeo erschien plötzlich wieder, während er seine Tochter, die sich in seinen Armen dagegen wehrte, triumphierend hereintrug.

»Da ist sie, die Ginevra, die Ginevretina, die Ginevrina, die Ginevrola, die Ginevretta, die schöne Ginevra!«

»Aber Vater, du tust mir weh.«

Sogleich wurde Ginevra vorsorglich auf die Erde gestellt. Sie schüttelte den Kopf mit graziöser Bewegung, um ihre erschreckte Mutter zu beruhigen und ihr anzudeuten, daß das nur eine List war. Das hagere, blasse Gesicht der Baronin gewann wieder Farbe und eine gewisse Heiterkeit. Piombo rieb sich mit gewaltiger Anstrengung die Hände, was bei ihm das sicherste Zeichen von Freude war; er hatte sich das bei Hofe angewöhnt, wenn er sah, wie Napoleon in Zorn geriet über Generale oder Minister, die ihm nicht richtig dienten, oder die einen Fehler begangen hatten. Waren seine Gesichtsmuskeln einmal entspannt, so strahlte Wohlwollen von jeder Runzel seiner Stirn. Die beiden Alten boten jetzt genau das Bild von kranken Pflanzen, denen nach langer Trockenheit ein bißchen Wasser das Leben wiedergibt.

»Zu Tisch, zu Tisch!« rief der Baron und reichte seine breite Hand Ginevra, die er jetzt, ein anderes Zeichen seiner Freude, Fräulein Piombellina nannte, was seine Tochter mit einem Lächeln beantwortete.

»Hör mal,« sagte Piombo, als sie vom Tisch aufstanden, »weißt du, daß deine Mutter mich darauf aufmerksam gemacht hat, daß du seit einem Monat viel länger als sonst in deinem Atelier bleibst? Mir scheint, daß erst die Malerei und dann wir kommen.«

»Oh, lieber Vater . . .«

»Ginevra will uns gewiß eine Überraschung vorbereiten«, sagte die Mutter.

»Willst du mir ein Gemälde von dir bringen?« . . . rief der Korse und schlug sich in die Hände.

»Ja, ich bin jetzt sehr beschäftigt im Atelier«, antwortete sie.

»Was ist dir denn, Ginevra? Du wirst blaß!« sagte die Mutter.

»Nein!« rief das junge Mädchen mit entschlossener Gebärde, »nein, man soll von Ginevra Piombo nicht sagen, daß sie ein einziges Mal in ihrem Leben gelogen hat!«

Bei diesem merkwürdigen Ausruf betrachteten Piombo und seine Frau ihre Tochter erstaunt.

»Ich liebe einen jungen Mann«, fügte sie mit bewegter Stimme hinzu.

Dann schlug sie, ohne daß sie wagte, ihre Eltern anzusehen, ihre langen Wimpern nieder, als wollte sie das Feuer ihrer Augen verhüllen.

»Ist es ein Prinz?« fragte ihr Vater ironisch in einem Tone, der Mutter und Tochter erzittern ließ.

»Nein, Vater,« erwiderte sie bescheiden, »es ist ein junger Mann ohne Vermögen . . .«

»Ist er denn so schön?«

»Er ist ein Unglücklicher.«

»Was treibt er?«

»Er ist ein Kamerad Labédoyères, er war flüchtig, ohne ein Asyl; Servin hielt ihn versteckt, und . . .«

»Servin ist ein anständiger Mensch, der sich gut bewährt hat; aber du handelst schlecht, du, meine Tochter, wenn du einen andern Mann liebst als deinen Vater . . .

»Es hängt nicht von mir ab, ob ich liebe«, erwiderte Ginevra sanft.

»Ich schmeichelte mir damit,« begann ihr Vater wieder, »daß meine Ginevra mir bis zu meinem Tode treu bleiben würde, daß meine und ihrer Mutter Sorge um sie ihr genügen würden, daß unsre zärtliche Liebe keiner andern Rivalin in ihrer Seele begegnen würde, und daß . . .«

»Habe ich Ihnen Ihre fanatische Liebe zu Napoleon vorgeworfen?« sagte Ginevra. »Haben Sie nur mich geliebt? Sind Sie nicht monatelang anderswo als Gesandter gewesen? Habe ich nicht mutig Ihre Abwesenheit ertragen? Das Leben zwingt zu Dingen, die man ertragen muß.«

»Ginevra!«

»Nein, Sie lieben mich nicht um meiner selbst willen, und Ihre Vorwürfe verraten einen unerträglichen Egoismus.«

»Du machst deinem Vater Vorwürfe um seiner Liebe willen?« rief Piombo mit flammenden Augen.

»Vater, ich werde Ihnen niemals Vorwürfe machen«, entgegnete Ginevra in sanfterem Tone, als ihre zitternde Mutter erwartet hatte. »Sie haben mit Ihrem Egoismus ebenso Recht wie ich mit meiner Liebe. Der Himmel ist mein Zeuge, daß niemals eine Tochter ihre Pflichten gegen die Eltern getreuer erfüllt hat als ich. Und ich habe nur Glück und Liebe darin gefunden, wo andere oft eine Pflicht gesehen haben. Es sind jetzt fünfzehn Jahre her, daß ich mich nicht aus der Hut eurer beschützenden Flügel entfernt habe, und es war eine sehr süße Freude für mich, eure Tage zu verschönern. Aber bin ich denn undankbar, wenn ich mich dem Glück der Liebe hingebe und einen Gatten haben will, der mich auch nach euch beschützt?«

»Ah, du rechnest mit dem Alter deines Vaters, Ginevra!« entgegnete der Alte in finsterem Tone.

Es entstand eine Pause, während der niemand zu reden wagte. Endlich unterbrach Bartolomeo das Schweigen, indem er mit herzzerreißendem Tone ausrief: »Oh, bleib bei uns, bleib bei deinem alten Vater! Ich kann es nicht mitansehen, wenn du einen andern liebst. Ginevra, du wirst ja nicht lange auf deine Freiheit zu warten brauchen . . .«

»Aber bedenken Sie doch, Vater, daß wir uns nicht verlassen, daß wir beide Sie lieben und daß Sie in ihm einen Mann kennenlernen werden, dessen Hut Sie mich überlassen können! Sie werden zwiefach mit Liebe umgeben sein, von mir und von ihm: von ihm und von mir, die wir einer des andern zweites Ich sind.«

»Ach, Ginevra, Ginevra! rief der Korse und preßte seine Hände zusammen, »warum hast du nicht geheiratet, als Napoleon mich an diesen Gedanken gewöhnt hatte und er dir Herzöge und Grafen anbot?«

»Weil diese mich nur auf Befehl liebten«, sagte das junge Mädchen. »Und im übrigen, weil ich euch nicht verlassen wollte und sie mich mit sich weggenommen hätten!«

»Du willst uns nicht allein lassen, sagte Piombo; »aber wenn du dich verheiratest, dann läßt du uns allein! Ich kenne meine Tochter, du würdest uns doch nicht mehr lieben.« – »Elisa,« fügte er hinzu und sah seine Frau an, die unbeweglich und wie verstört dasaß, »wir haben keine Tochter mehr, sie will sich verheiraten!«

Der Greis setzte sich, nachdem er die Hände zum Himmel erhoben hatte, als wolle er Gott anflehen; dann verharrte er zusammengekauert, als ob ihn sein Kummer zu Boden drücke. Ginevra bemerkte die Erregung ihres Vaters und die Art, wie er seinen Zorn mäßigte, ging ihr zu Herzen; sie hatte Zornausbrüche, Äußerungen von Wut erwartet, aber sie war nicht gegen die väterliche Sanftmut gewappnet.

»Nein, lieber Vater,« sagte sie, »Sie werden niemals von Ihrer Ginevra im Stiche gelassen werden. Aber lieben Sie sie auch ein wenig um ihretwillen. Ach, wenn Sie wüßten, wie ›er‹ mich liebt! Er würde mir keinen Kummer verursachen!«

»Schon wieder solche Vergleiche!« rief Piombo mit schrecklicher Stimme aus. »Nein, ich kann diesen Gedanken nicht ertragen«, fuhr er fort. »Liebte er dich so, wie du es verdienst, so würde er mich töten; und wenn er dich nicht liebte, so würde ich ihn erdolchen!«

Piombo zitterten die Hände, die Lippen, der Körper, und seine Augen schleuderten Blitze; Ginevra allein konnte seinen Blick ertragen, denn dann erglühten auch ihre Augen, und die Tochter war des Vaters würdig.

»Oh, dich lieben! Wer ist der Mann, der deiner würdig wäre!« fuhr er fort. »Dich so lieben wie ein Vater, daß heißt ja schon im Paradies leben; aber wer wird würdig sein, dein Gatte zu werden?«

»Er,« sagte Ginevra, »er, dessen ich mich nicht würdig fühle.«

»Er?« wiederholte Piombo mechanisch. »Wer ist der ›er‹?«

»Der, den ich liebe.«

»Kann er dich denn schon genug kennen, um dich anzubeten?«

»Aber, Vater,« wandte Ginevra ungeduldig werdend ein, »wenn er mich nicht liebte, da doch ich ihn liebe . . .«

»Du liebst ihn also?« rief Piombo. Ginevra neigte ein wenig das Haupt. »Du liebst ihn also mehr als uns?«

»Diese beiden Gefühle lassen sich nicht vergleichen«, erwiderte sie.

»Das eine ist stärker als das andere«, sagte Piombo.

»Ich glaube, ja« entgegnete Ginevra.

»Du wirst ihn nicht heiraten!« schrie der Korse mit einer Stimme, die die Fenster des Salons erklirren ließ.

»Ich werde ihn heiraten«, antwortete Ginevra ruhig.

»Mein Gott, mein Gott!« rief die Mutter, »wie soll dieser Streit enden? Santa Vergine! Mach ihm ein Ende.«

Der Baron, der mit langen Schritten auf und ab gegangen war, setzte sich; eine eisige Strenge prägte sich auf seinem Antlitz aus, er sah seine Tochter starr an und sagte dann mit ruhiger leiserer Stimme: »Also, Ginevra, nein, du wirst ihn nicht heiraten. Oh, antworte mir heute nicht mit ja . . . laß mich an das Gegenteil glauben. Willst du deinen Vater mit seinen weißen Haaren auf den Knien vor dir sehen? Ich werde dich anflehen . . .«

»Ginevra Piombo ist nicht gewöhnt, ihr Versprechen nicht zu halten«, antwortete sie. »Ich bin Ihre Tochter.«

»Sie hat recht«, sagte die Baronin; »wir sind geboren, um uns zu verheiraten.«

»Also du bestärkst sie noch in ihrem Ungehorsam?« sagte der Baron zu seiner Frau, die von diesen Worten betroffen starr wie eine Statue wurde.

»Das ist kein Ungehorsam, wenn man sich einem ungerechten Befehl nicht fügt«, antwortete Ginevra.

»Er kann nicht ungerecht sein, wenn er aus dem Munde deines Vaters kommt, mein Kind! Weshalb rechtest du mit mir? Der Widerwille, den ich empfinde, ist das nicht ein Wink von oben? Vielleicht bewahre ich dich vor einem Unglück?«

»Ein Unglück wäre nur, wenn er mich nicht liebte.«

»Immer er!«

»Ja, immer«, fuhr sie fort. »Er ist mein Leben, mein Schatz, mein Denken. Selbst wenn ich Ihnen gehorchte, würde er immer in meinem Herzen leben. Mir zu verbieten, ihn zu heiraten, hieße das nicht, daß ich Sie hassen soll?«

»Du liebst uns nicht mehr!« rief Piombo.

»Oh!« sagte Ginevra und schüttelte den Kopf.

»Nun, dann vergiß ihn und bleibe uns treu. Nach uns . . . du verstehst! . . .«

»Vater, wollen Sie, daß ich Ihren Tod herbeisehne?« rief Ginevra.

»Ich werde länger leben als du! Kinder, die ihre Eltern nicht ehren, sterben bald«, rief ihr Vater in letzter Verzweiflung.

»Ein Grund mehr, um mich schnell zu verheiraten und glücklich zu werden!« sagte sie.

Diese Kaltblütigkeit, dieses Überwiegen des Verstandes brachten Piombo außer sich, das Blut stieg ihm heftig zu Kopf und sein Gesicht wurde dunkelrot. Ginevra erschrak; wie ein Vogel sprang sie auf die Knie ihres Vaters, schlang ihren Arm um seinen Hals, streichelte sein Haar und rief voll Zärtlichkeit: »O ja, ich werde zuerst sterben! Ich würde dich nicht überleben, mein Vater, mein guter Vater!«

»Oh, meine Ginevra! Meine tolle Ginevra!« erwiderte Piombo, dessen ganzer Zorn bei diesen Worten schmolz wie Eis unter den Strahlen der Sonne.

»Es war Zeit, daß ihr ein Ende machtet«, sagte die Baronin bewegt.

»Arme Mutter!«

»Ach, Ginevra! Meine schöne Ginevra!«

Und der Vater spielte mit seiner Tochter wie mit einem sechsjährigen Kinde, er amüsierte sich damit, ihre langen Haarflechten aufzumachen, er ließ sie auf den Knien tanzen; er war wie toll in dem Ausdruck seiner Zärtlichkeiten. Bald schalt ihn seine Tochter, während sie ihn umarmte, und versuchte scherzend, die Erlaubnis zu erhalten, daß Louis sie besuchen dürfe. Aber selbst im Scherz weigerte sich der Vater. Sie schmollte, kam wieder zu ihm, schmollte von neuem; endlich, am Ende des Abends, begnügte sie sich damit, ihrem Vater den Gedanken an ihre Liebe zu Louis und an eine baldige Heirat eingeprägt zu haben. Am nächsten Tage sprach sie nicht mehr von ihrer Liebe, ging später ins Atelier, kam zeitig nach Hause, benahm sich zärtlicher als je gegen ihren Vater und zeigte sich voller Dankbarkeit, als ob sie ihm für die stillschweigende Einwilligung zu ihrer Heirat danken wolle. Am Abend musizierte sie lange und rief häufig: »Für dieses Nocturno wäre eine Männerstimme nötig!« Sie war eine Italienerin, damit ist alles gesagt. Nach Verlauf von acht Tagen kam sie auf einen Wink zu ihrer Mutter, die leise zu ihr sagte: »Ich habe den Vater so weit, daß er ihn empfangen will.«

»Oh, Mutter, wie glücklich machst du mich!«

An diesem Tage war Ginevra endlich so glücklich, mit Louis am Arm in ihres Vaters Haus zurückzukehren. Zum zweitenmal verließ der arme Offizier sein Versteck. Die lebhaften Bemühungen Ginevras bei dem Herzog von Feltre, dem damaligen Kriegsminister, hatten vollen Erfolg gehabt. Louis wurde wieder in die Liste der Offiziere zur Disposition aufgenommen. Das war ein sehr wichtiger Schritt auf dem Wege zu einer besseren Zukunft. Von seiner Geliebten in Kenntnis aller Schwierigkeiten gesetzt, die ihn bei dem Baron erwarteten, wagte der junge Bataillonskommandeur nicht, seine Furcht, daß er ihm nicht gefallen würde, einzugestehen. Dieser im Unglück so mutige, auf dem Schlachtfeld so tapfere Mann zitterte bei dem Gedanken an sein Erscheinen im Salon der Piombos. Ginevra verspürte dieses Erzittern, und die Aufregung, der die Sorge für ihr Glück zugrunde lag, war für sie ein neuer Beweis seiner Liebe.

»Wie bleich du bist!« sagte sie, als sie an der Haustür anlangten.

»Oh, Ginevra! Wenn es sich nur um mein Leben handelte!«

Obwohl Bartolomeo von seiner Frau erfahren hatte, daß ihm der, den Ginevra liebte, offiziell vorgestellt werden sollte, blieb er doch in seinem Sessel, den er gewöhnlich benutzte, sitzen, und seine Stirn zeigte eine Eiseskälte.

»Lieber Vater,« sagte Ginevra, »ich bringe Ihnen hier jemanden, den Sie gewiß gern begrüßen werden, Herrn Louis, einen Soldaten, der ein paar Schritt neben dem Kaiser bei Mont-Saint-Jean gekämpft hat . . .«

Der Baron von Piombo erhob sich, warf einen flüchtigen Blick auf Louis und sagte in hämischem Tone: »Der Herr ist nicht dekoriert worden?«

»Ich trage den Orden der Ehrenlegion nicht mehr«, antwortete furchtsam Louis, der schüchtern stehen geblieben war.

Ginevra, verletzt von der Unhöflichkeit ihres Vaters, schob ihm einen Stuhl hin. Die Antwort des Offiziers befriedigte den alten Diener Napoleons. Frau Piombo, die bemerkt hatte, daß die Augenbrauen ihres Mannes wieder ihr gewöhnliches Aussehen annahmen, sagte, um die Unterhaltung zu beleben: »Die Ähnlichkeit des Herrn mit Nina Porta ist erstaunlich. Findest du nicht, daß er ganz wie die Portas aussieht?«

»Das ist doch sehr natürlich,« erwiderte der junge Mann, auf dessen Gesicht die glühenden Augen Piombos gerichtet waren, »Nina war ja meine Schwester . . .«

»Du bist Luigi Porta?« fragte der Alte.

»Ja.«

Bartolomeo erhob sich, schwankte, war genötigt, sich an einem Stuhl festzuhalten und sah seine Frau an. Elisa Piombo ging auf ihn zu, dann faßten sich die beiden Alten stillschweigend unter den Arm und verließen den Salon, in dem Sie wie entsetzt ihre Tochter zurückließen. Luigi Porta starrte Ginevra an, die bleich wie ein Marmorbild wurde und ihre Augen unbeweglich auf die Tür gerichtet hielt, durch die ihr Vater und ihre Mutter verschwunden waren: ihr Schweigen und ihr Fortgehen hatten etwas so Feierliches, daß vielleicht zum erstenmal ihr Herz von Furcht ergriffen wurde. Gewaltsam preßte sie ihre Hände zusammen und sagte mit so bewegter Stimme, daß sie nur von einem Liebenden verstanden werden konnte: »Wieviel Unglück kann ein einziges Wort enthalten!«

»Aber, im Namen unserer Liebe, was habe ich denn gesagt?« fragte Luigi Porta.

»Mein Vater,« erwiderte sie, »hat mir niemals von unserer traurigen Geschichte erzählt, und ich war noch zu jung, als ich Korsika verließ, um sie kennenzulernen.

»War denn Vendetta zwischen uns?« fragte Luigi zitternd.

»Ja. Als ich meine Mutter befragte, hörte ich, daß die Portas meine Brüder getötet und unser Haus verbrannt hätten. Mein Vater hat deine ganze Familie gemordet. Aber wie bist du denn mit dem Leben davongekommen, du, den er an die Füße eines Bettes gebunden zu haben glaubte, bevor er das Haus anzündete?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Luigi. »Mit sechs Jahren wurde ich nach Genua gebracht, zu einem alten Mann namens Colonna. Über meine Familie hat man mir nicht das Geringste erzählt. Ich wußte nur, daß ich Waise und vermögenslos war. Colonna war wie ein Vater zu mir, und ich führte seinen Namen bis zu dem Tage, wo ich in den Militärdienst trat. Da ich Urkunden brauchte, um meine Herkunft nachzuweisen, teilte mir, der ich schwach und fast noch ein Kind war, der alte Colonna mit, daß ich Feinde hätte. Er hat mich verpflichtet, nur den Namen Luigi zu führen, um ihnen zu entrinnen.

»Geh fort, geh fort, Luigi!« rief Ginevra, »oder nein, ich muß dich ja begleiten. Solange du im Hause meines Vaters weilst, hast du nichts zu fürchten; aber sobald du es verlassen hast, dann hüte dich wohl! Du würdest aus einer Gefahr in die andere geraten. Mein Vater hat zwei Korsen in seinem Dienst, und wenn er es nicht ist, der dein Leben bedroht, dann werden sie es tun.«

»Ginevra,« sagte er, »soll denn dieser Haß weiter zwischen uns dauern?« Das junge Mädchen lächelte trübe und senkte den Kopf. Aber bald erhob sie ihn wieder mit einem gewissen Stolz und sagte: »Oh, Luigi, wie rein und wahr muß unsere Liebe sein, wenn ich die Kraft besitze, auf dem Wege weiterzugehen, den ich jetzt betreten will. Aber handelt es sich nicht um ein Glück, das das ganze Leben hindurch andauern soll?«

Luigi antwortete nur mit einem Lächeln und drückte Ginevras Hand. Das junge Mädchen verstand, daß allein wahre Liebe hier die üblichen Beteuerungen verachten dürfte. Der ruhige und ehrliche Ausdruck der Gefühle Luigis wies auf ihre Kraft und ihre Dauer hin. Das Schicksal der beiden Liebenden wurde also besiegelt. Ginevra sah sehr bittere Kämpfe vor sich, die sie ertragen mußte; aber der Gedanke, Louis zu verlassen, ein Gedanke, der vielleicht durch ihre Seele gehuscht war, verschwand nun völlig. Sein für immer, zog sie ihn plötzlich fast mit Gewalt mit sich fort und verließ ihn erst, als er das Haus erreichte, in dem ihm Servin eine bescheidene Wohnung gemietet hatte. Als sie zu ihrem Vater zurückkehrte, hatte sie die Ruhe wiedergewonnen, die ein fester Entschluß verleiht: nichts an ihrem Wesen verriet Unsicherheit. Sie richtete auf ihren Vater und ihre Mutter, die sich gerade zu Tisch setzen wollten, einen ruhigen Blick voller Sanftmut. Sie sah, daß ihre alte Mutter geweint hatte, und die Röte ihrer matten Augenlider erschütterte einen Augenblick ihr Herz; aber sie verbarg ihre Erregung. Piombo schien die Beute eines zu heftigen, zu durchbohrenden Schmerzes zu sein, als daß er ihn hätte mit den üblichen Ausdrücken verraten können. Die Diener servierten das Essen, das niemand berührte. Der Abscheu vor den Speisen ist eins der Zeichen, die schwere geistige Krisen erkennen lassen. Alle drei erhoben sich, ohne daß ein Wort gesprochen worden wäre. Als Ginevra in dem großen dunklen feierlichen Salon zwischen Vater und Mutter saß, wollte Piombo etwas äußern, aber die Stimme versagte ihm; er versuchte, ein paar Schritte zu machen, aber er hatte keine Kraft dazu, setzte sich wieder und klingelte.

»Pietro,« sagte er schließlich zu dem Diener, »mach Feuer an, ich friere.«

Ginevra erzitterte und sah ihren Vater voller Angst an. Er kämpfte so furchtbar mit sich, daß sein Gesicht ganz verstört aussah. Ginevra wußte, welche ungeheure Gefahr sie bedrohte, aber sie bebte nicht, während die flüchtigen Blicke, die Bartolomeo auf seine Tochter warf, zu verraten schienen, daß er sich jetzt vor ihrem Charakter, dessen Heftigkeit sein eigenes Werk war, fürchtete. Zwischen ihnen beiden mußte alles auf die Spitze getrieben werden. Die Gewißheit, daß eine Veränderung in der Liebe zwischen Vater und Tochter eintreten sollte, zeigte ihre schrecklichen Spuren auf dem Gesichte der Baronin.

»Ginevra, du liebst den Feind deiner Familie«, sagte Piombo endlich, ohne daß er wagte, seine Tochter anzublicken.

»Das ist richtig«, antwortete sie.

»Du mußt zwischen ihm und uns wählen. Unsere Vendetta ist ein Teil unserer selbst. Wer nicht meine Rache zu der seinigen macht, gehört nicht mehr zu meiner Familie.

»Meine Wahl ist getroffen«, erwiderte Ginevra kühl.

Die Ruhe seiner Tochter täuschte Bartolomeo.

»Oh, mein geliebtes Kind!« rief der Alte, dem die Augen feucht von Tränen waren, den ersten und einzigen, die er in seinem Leben vergossen hatte.

»Ich werde seine Frau sein«, sagte Ginevra brüsk.

Bartolomeo war wie vom Blitze getroffen; aber er gewann seine Kaltblütigkeit wieder und entgegnete: »Solange ich lebe, wird diese Heirat nicht stattfinden, niemals werde ich meine Einwilligung dazu geben.«

Ginevra verhielt sich schweigend. –

»Denkst du denn aber daran,« fuhr der Baron fort, »daß Luigi der Sohn dessen ist, der deine Brüder getötet hat?«

»Er war sechs Jahr alt, als das Verbrechen begangen wurde, er kann dabei doch nicht schuldig sein«, antwortete sie.

»Ein Porta!« rief Bartolomeo.

»Hab' ich jemals diesen Haß geteilt?« sagte lebhaft das junge Mädchen. »Haben Sie mich je in dem Glauben erzogen, daß ein Porta ein Ungeheuer sein müsse? Konnte ich daran denken, daß einer von denen, die Sie getötet haben, übrigbleiben würde? Und ist es nicht ein natürliches Gefühl, daß Sie Ihre Vendetta vor meiner Liebe schweigen heißen?«

»Ein Porta!« sagte Piombo. »Wenn sein Vater dich damals in deinem Bett vorgefunden hätte, dann wärst du nicht mehr am Leben; hundert Mal hätte er dich getötet.«

»Das ist möglich,« antwortete sie, »aber sein Sohn hat mir mehr als das Leben geschenkt. Luigi sehen, das ist ein Glück für mich, ohne das ich nicht zu leben vermöchte. Luigi hat mir die Welt der Liebe aufgetan. Ich habe wohl schon schönere Gesichter gesehen als seins; aber keins hat mich jemals so entzückt; ich habe wohl schon andere Stimmen gehört . . . aber niemals, niemals herrlicher klingende. Luigi liebt mich, und er wird mein Gatte werden.«

»Niemals«, sagte Piombo. »Lieber will ich dich im Sarge sehen, Ginevra« – der alte Korse erhob sich, ging mit langen Schritten im Salon auf und ab und stieß, von Pausen unterbrochen, Worte hervor, die seine höchste Erregung kennzeichneten: »Du glaubst vielleicht, daß du meinen Willen zu beugen vermagst? Laß diese Täuschung fahren; ich will keinen Porta zum Schwiegersohn haben. Das ist meine letzte Entscheidung. Hiervon kann keine Rede weiter zwischen uns sein. Ich bin Bartolomeo di Piombo, verstehst du, Ginevra?«

»Ist hinter diesen Worten ein geheimnisvoller Sinn verborgen?« fragte sie kalt.

»Sie bedeuten, daß ich einen Dolch habe und daß ich die Gerechtigkeit der Menschen nicht fürchte. Wir Korsen machen unsere Sache mit Gott ab.«

»Schön!« sagte seine Tochter und erhob sich, »und ich bin Ginevra di Piombo, und ich erkläre, daß ich binnen sechs Monaten Luigi Portas Frau sein werde. – Sie aber sind ein Tyrann, mein Vater!« fügte sie nach einer schrecklichen Pause hinzu.

Bartolomeo preßte die Fäuste zusammen und schlug auf den Marmor des Kamins. »Ach, daß wir in Paris sind!« murmelte er.

Dann schwieg er, kreuzte die Arme, ließ sein Haupt auf die Brust hängen und sprach den ganzen Abend kein Wort mehr.


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