Honoré de Balzac
Lebensbilder - Band 2
Honoré de Balzac

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Drittes Bild

Der Ball im Freien

Der Graf de Fontaine, einer der eifrigsten Verfechter der Bourbonen, war den Proskriptionen und den mörderischen Gefahren des blutigen Vendéekrieges glücklich entkommen. Er rühmte sich, für seinen König das Leben gelassen zu haben, denn am heißen Tage bei Quatre-Chemin ließ man ihn unter den Toten. Der größte Teil seiner Güter war konfisziert, dennoch weigerte er sich standhaft, einen einträglichen Posten von Napoleon anzunehmen. Er zog sich aufs Land zurück und vermählte sich mit einem armen Fräulein aus einem der besten Häuser des Landadels, obschon ihm von den reichen Emporkömmlingen der Revolution vorteilhafte Anträge gemacht wurden.

Zur Zeit der Restauration war er Vater einer zahlreichen Familie. Mehr um den Bitten seiner Gattin nachzugeben, als um sich um die Gunst seines Königs zu bewerben, zog er nach Paris. Seine mäßigen Einkünfte reichten indes kaum hin, sich dort zu erhalten, und schon war er im Begriff, auf seine Güter heimzukehren, als er ein ministerielles Schreiben erhielt, welches ihn zum Feldmarschall ernannte und kraft der Verordnung ihm, als Offizier der katholischen Armee, erlaubte, die ersten zwanzig Jahre der Regierung Ludwigs XVIII. als Dienstjahre anzusehen. Ohne weitere Nachsuchung empfing er auch das Ludwigskreuz und den Orden der Ehrenlegion und glaubte, diese hohen Gnadenbezeigungen dem Könige selbst, der seiner gedacht habe, zu verdanken. Er bat um eine Audienz, die ihm bald gestattet wurde.

Er betrat die königlichen Säle, die mit weißgepuderten Köpfen so angefüllt waren, daß sie, von der Decke aus gesehen, wie mit einem Schneeteppiche belegt erschienen wären. Er traf viele alte Kameraden, die ihn herzlich begrüßten. Monsieur, der ihn sah und erkannte, drückte seine Hand und nannte ihn den treuesten Vendéer. Niemand indessen erkundigte sich nach seinen Verlusten und den Geldern, welche er in die Kriegskasse der katholischen Armeen hatte fließen lassen, und es entging ihm nicht, daß er den Krieg wohl auf eigne Kosten geführt.

Gegen das Ende der Soirée wagte er eine witzige Anspielung auf seine Lage. Der König, den alles Geistreiche ansprach, lachte herzlich darüber, antwortete aber in einer Art von königlicher Laune, deren Milde gefährlicher ist als ein zorniger Vorwurf.

Ein Vertrauter des Königs machte ihn aufmerksam, daß die Zeit der Abrechnung noch nicht gekommen und viel wichtigere Dinge zu ordnen wären. Der Graf verließ die königlichen Säle nicht ohne Gefahr, mit dem Degen einige der mit seidenen Strümpfen gezierten Schenkel hart zu berühren, gelangte zu Fuß durch den Hof der Tuilerien zu seinem bescheidenen Fiaker auf dem Kai, stieg mißvergnügt ein und beschwerte sich mit lauter Stimme über die nunmehrige Umwandlung des Hofes:

»Ehemals konnte jeder Edelmann zum Könige von seinen Privatangelegenheiten reden, durfte sich Gnaden und Geld erbitten: heutzutage kann man, ohne Anstoß zu geben, nicht einmal seine Auslagen zurückfordern. Mein Feldmarschalltum samt meinem Ludwigskreuz sind keine 600 000 Franken wert, die ich mindestens der Sache meines Königs geopfert. Ich will ihn selbst sprechen, und zwar allein in seinem Kabinett.«

Doch sein Gesuch um eine Privataudienz blieb unbeantwortet. Man übergab zu seinem Verdrusse sogar Chargen, die den ältesten Häusern der königlichen Monarchie seiner Meinung nach ziemten, Emporkömmlingen des Kaisertums.

»Es ist alles aus!« rief der Graf eines Morgens, »der König selbst, glaub' ich, ist ein Revolutionär, und ohne Monsieur, der seine alten, treuen Diener wenigstens kennt und tröstet, weiß ich nicht, was aus dem französischen Thron werden soll.«

Er war schon im Begriff, alle seine Ansprüche auf Entschädigung aufzugeben und Paris zu verlassen, als die Ereignisse des 20. März einen neuen Sturm über die Legitimität und ihre Verteidigung heraufbeschworen. Der Graf Fontaine nahm von seinen Landgütern wieder Gelder zu hohen Interessen auf, ohne zu wissen, ob die neuen Opfer ihm besser vergolten würden als die früheren, und war einer der fünf getreuen Diener, welche das Exil des Hofes zu Gand teilten, und einer der Fünfzigtausend, welche aus diesem Exil zurückkehrten. Während dieser kurzen Abwesenheit indessen hatte er das Glück, den König selbst zu bedienen, der sich von den redlichen Gesinnungen und der unerschütterlichen Treue seines Anhängers überzeugte. Einst erinnerte sich der König sogar jenes Scherzes, den der Graf in den Tuilerien gemacht, worauf ihn dieser von seiner ganzen Lage in Kenntnis setzte. Die Folge davon war, daß der Graf von Fontaine, nach der zweiten Rückkehr, einer jener außerordentlichen Gesandten ward, welche die Departements durchreisten, und bei seiner Rückkehr nach Paris erhielt er einen Sitz im Staatsrat, ward Deputierter, sprach wenig, hörte viel und änderte gar seine aristokratischen Gesinnungen.

Der geistreiche König, der ihm mehr und mehr seine Gunst zuwandte, sagte ihm einst: »Mein Freund Fontaine! Ich vermag es weder Sie zum Generaldirektor noch Minister zu machen, denn unserer Ansichten halber werden wir alle beide unsere Stellung nicht behaupten können, die Repräsentativmacht hat das Gute, daß wir selbst nicht nötig haben, unsere Staatsräte abzuschaffen. Unser Staatsrat ist eine wahre Schenke geworden, die sogenannte öffentliche Meinung führt oft drollige Passagiere herbei, dennoch aber wissen wir, wo wir unsere treuen Diener unterbringen können.«

Infolge dieses Scherzes erhielt Herr von Fontaine einen sehr einträglichen Posten bei der Verwaltung der Krondomänen.

Er hörte die Witzeleien seines königlichen Beschützers mit feiner Aufmerksamkeit an, auch rühmte er sich der besonderen Gunst seines Königs niemals; dieses, und weil er die ministeriellen, die Hof- und Stadtanekdoten sehr geistreich wieder zu erzählen wußte und Ludwig XVIII. derlei Gespräche besonders liebte, befestigten ihn immer mehr und mehr in der Gunst des Königs, und nicht nur Herr von Fontaine selbst, sondern ein jedes Mitglied seiner Familie setzte sich, wie der König scherzhaft zu sagen pflegte, den Seidenraupen gleich, jeder auf ein Blatt des Budgets. Der älteste seiner Söhne erhielt eine immerwährende Magistratur, der andere, welcher vor der Restauration Hauptmann war, avancierte in kurzer Zeit zum Generalleutnant, und der dritte ward Unterpräfekt in der Provinz. Damit aber war die ganze Familie des Herrn von Fontaine noch nicht versorgt. Er hatte noch drei Töchter, und aus Furcht, die Gnade des Königs zu sehr in Anspruch zu nehmen, redete er vorläufig nur von einer Demoiselle de Fontaine. Der König wollte das Glück seines Lieblings vollkommen machen und vermählte die älteste seiner Töchter mit einem Generaleinnehmer.

Bald darauf sprach der Graf auch von einer zweiten Demoiselle Fontaine. Der König, in einem Anfall von neckischer Laune, vermählte die Tochter des alten Edelmanns mit einer reichen, aber bürgerlichen Magistratsperson, den er, um die Bosheit auf die Spitze zu treiben, baronisierte.

Als er indessen von der dritten Demoiselle Fontaine hörte, antwortete er dem Vater: »Amicus Plato, sed magis amica natio«Ich liebe den Plato, aber mehr noch die Nation. .

Einige Tage darauf zeigte er dem Grafen Fontaine ein Epigramm, worin er sich über die drei Töchter, welche der Vater so zudringlich seiner Gnade empfohlen, ein wenig lustig machte.

»Geruhen Ew. Majestät,« sagte der Graf, »das Spottgedicht in ein Hochzeitsgedicht zu verwandeln.«

»Ich sehe nicht ein, wozu,« versetzte der König stolz.

Diese abschlägige Antwort bekümmerte den Grafen um so mehr, weil Emilie, seine jüngste Tochter, eigentlich sein Lieblingskind war. Um dies gehörig zu erklären, sehen wir uns genötigt, den Leser in das schöne Hotel einzuführen, welches der Verwalter der Krondomänen auf königliche Kosten bewohnte.

Emilie hatte ihre Kindheit auf den Landgütern ihres Vaters verlebt, deren Reize den unschuldigen Freuden ihrer Jugend genügten. Ihre Schwestern, Brüder, Eltern liebten die Kleine und suchten, jeden ihrer Wünsche zu erfüllen. Als sie indessen verständiger geworden war, um das Kostbare von dem Gewöhnlichen zu unterscheiden, traf es sich gerade, daß der König ihren Vater mit seinen Gnadenbezeigungen überhäufte. Der neue Glanz, mit dem sie sich umgeben sah, dünkte ihr jetzt eben so natürlich und notwendig zu ihrem Glücke wie alle die ländlichen Freuden ihrer Kindheit. Was ihr ehemals Blumen, Früchte, ein Spaziergang im Freien und aller ländlicher Reichtum war, wurden ihr jetzt: der weibliche Putz, Feinheit und Eleganz, die vergoldeten Säle, die Festlichkeiten und Freuden der großen Welt. Alles lächelte ihr entgegen, und sie benutzte die Liebe, die ihr dargebracht wurde, um diejenigen zu quälen, die ihr am meisten zugetan waren, während sie alle weiblichen Künste der Eitelkeit gegen diejenigen in Anwendung brachte, denen sie gleichgültig schien.

Die Eltern erfuhren zu spät und um so schmerzlicher die Folgen dieser großen Vorliebe. Emilie erreichte ihr neunzehntes Jahr, ohne daß sie einen der vielen jungen und reichen Freier erhören mochte, die sie stets umschwärmten. Sie war von ausgezeichneter Schönheit und die Königin eines jeden Festes, auf welchem sie erschien. Mit besonderer Sorgfalt erzogen, denn sie malte ziemlich gut, zeichnete noch besser, besaß eine mehr als gewöhnliche Virtuosität auf dem Piano, hatte eine klangreiche Stimme, sang mit vielem Ausdrucke, tanzte zum Entzücken, sprach englisch und französisch – schien sie das Sprichwort zu rechtfertigen: daß vornehme Leute schon alles wissen, wenn sie zur Welt kommen.

Alle diese verführerischen Eigenschaften aber flößten ihr einen Stolz und eine Selbstliebe ein, daß sie andere Menschen kaum fähig hielt, die Trefflichkeiten ihres Wesens zu begreifen. Und nicht minder stolz auf ihre Schönheit, wie auf ihre Geburt, ließ sie den Bürgerlichen ihre ganze Verachtung empfinden, behandelte den neuen Adel ziemlich nachlässig, und nur den ältesten Familien erwies sie gebührende Achtung.

Von allen Partien, die Ihr angeboten wurden, dünkte ihr keine gut genug; selbst von ihren Schwestern glaubte sie, daß sie sich messalliert hätten. Ihrer Einbildung nach mußte derjenige, der das Glück haben sollte, sie heimzuführen, folgende Eigenschaften besitzen:

Vor allem mußte er jung und von altem Adel sein. Womöglich Pair und Sohn eines Pairs von Frankreich, um ihr Wappen alsdann, von einem Azurmantel umwallt, auf dem Kutschenschlag zu führen und bei einer Spazierfahrt nach Longchamp mitten auf dem Wege zu bleiben. Ferner mußte er einen militärischen Posten bekleiden und dekoriert sein, um seine Orden mit im Wappen zu führen.

Bei all diesen seltenen Eigenschaften sollte er ferner sehr liebenswürdig, schön gewachsen und geistreich sein, vor allem aber schlank. Auf diese Schlankheit legte sie besonderen Wert. Wer es in der Hinsicht auf den ersten Blick nicht mit ihr hielt, konnte sicher sein, den zweiten Blick nicht zu erhalten.

Der ist einmal fett! war bei ihr ein Ausdruck des Widerwillens. Sie sagte nämlich: korpulente Leute wären unfähig zu empfinden, schlechte Gatten und unwürdig, in einer guten Gesellschaft zu erscheinen. Für Damen ist es ein Unglück, wenn sie stark werden, im Orient freilich gilt es noch für schön, aber bei einem Manne ist es überall Verbrechen.

Weil alle diese Paradoxen von einem schönen Munde gesprochen wurden, hatten sie nichts Beleidigendes. Indessen fing Herr de Fontaine dennoch an, darüber Besorgnisse zu hegen. Er war sich bewußt, alle Pflichten eines Vaters gegen seine Tochter erfüllt zu haben, ohne daß irgendein Ende seiner Sorgen abzusehen war. Um seine Bekümmernis zu vermehren, starb Ludwig XVIII., und es dauerte lange, bis er die Gunst seines Nachfolgers, Karls X., in einem solchen Grade gewann, um das letzte Ziel seines Lebens, das Glück seines jüngsten Kindes, zu erlangen, um die er sich in dieser Absicht bewarb. Nach vielen vergeblichen Intrigen, seine Tochter zu dieser oder jener Heirat zu bewegen, beschloß er endlich, gerade zu Werke zu gehen und mit seiner Tochter über ihre Zukunft zu reden.

Während ein Kammerdiener eines Morgens auf seiner hohen Stirn das Delta von Puder künstlich beschrieb und zu beiden Seiten mit den ailes de pigeon pendentes die ehrwürdige Frisur vollendete, gebot der Graf nicht ohne Besorgnisse einem alten Diener, das Fräulein Emilie zu sich zu bescheiden.

»Joseph!« fuhr er zu dem Kammerdiener fort, der endlich fertig war. »Nimm mir den Pudermantel ab, zieh die Rouleaus auf, setz die Lehnstühle beiseite. Rücke den Schirm vor den Ofen. Säubre alles ab und öffne ein Fenster, um frische Luft einzulassen. – Mach fort!«

Joseph tat, wie ihm befohlen war, und stellte wirklich nicht nur eine gewisse Ordnung in dem bei weitem prachtlosesten Zimmer des Hotels her, sondern wußte sogar, dem Wuste von Papieren und Büchern ein zierliches Ansehen, in der Art, wie er sie aufstellte, zu geben. Der alte Graf warf noch einmal prüfende Blicke im Zimmer umher, ob alles auch in gebührender Ordnung sei, dann musterte er noch einmal seinen eigenen Anzug, und nachdem er sich völlig überzeugt glaubte, daß nichts mehr vorhanden sei, die spöttische Zunge seiner Tochter anzuregen, nahm er auf seinem weichen Lehnstuhl in aller patriarchalischen Würde Platz. Bald auch ließen sich die leichten Schritte seiner Tochter vernehmen, welche, eine Arie von Rossini trällernd, eintrat.

»Guten Morgen, lieber Vater! Was willst du von mir schon so früh?«

Diese Worte wurden hingehaucht, wie das Ritournel der Arie, und sie umarmte ihren Vater, nicht zärtlich, sondern mit der Sorglosigkeit und dem Bewußtsein, bei allem, was sie tue, Wohlgefallen zu erregen.

»Liebes Kind!« sprach Herr von Fontaine, »ich bin willens, ernstlich mit dir zu reden. Du bist in dem Alter, wo man sich einen Gatten wählt, in dessen Hände das Glück deines Lebens –«

»Guter Vater!« unterbrach ihn Emilie mit dem zärtlichsten Tone ihrer Stimme, »mich dünkt, der Waffenstillstand, den wir hierüber abgeschlossen, ist noch nicht zu Ende.«

»Emilie! laß uns nicht scherzen bei einer so wichtigen Angelegenheit! Alle, die dich lieben, vereinen ihre Kräfte, um für deine Zukunft gebührend zu sorgen. Es ist undankbar gehandelt, solche Proben der aufrichtigen Zuneigung, die nicht ich allein dir widme, mit solchem Leichtsinn zu erwidern.«

Emilie sah spöttisch im Zimmer umher und wählte einen Stuhl, der, wie es schien, von den Supplikanten, die in dem Kabinett des Grafen sich einzufinden pflegten, noch am wenigsten benutzt worden war. Sie holte ihn weit hinten aus einer Ecke hervor und setzte sich ihrem Vater mit einem so ernsthaften Anstande gegenüber, daß der Spott darin nicht zu verkennen war. Sie faltete ihre Arme über das reiche Kragentuch à la neige und drückte die reichen Tüllbesätze zusammen. Mit einem schalkhaften Seitenblick auf ihren Vater hub sie endlich an: »Bis heut war mir noch unbekannt, auf welche Weise ein Staatsmann im Schlafrock regiert, – allein, das tut nichts, das Volk nimmt's nicht so genau! – So eröffne mir denn deine gesetzlichen Vorschläge und deine offiziellen Vorstellungen.«

»Närrisches Mädchen! Du wirst nicht immer mich in dieser Laune finden. – Meine eigentliche Absicht indessen, Mademoiselle, ist, zu erklären, daß ich nicht weiter gesonnen bin, meinen Charakter, der ein Teil des Vermögens der Meinigen ist, dadurch zu verunglimpfen, daß ich das Heer von Tänzern vervollständige, welche du alle Jahre auflösest. Du hast schon manche unangenehmen Zwistigkeiten mit angesehenen Familien erregt, und ich hoffe, du wirst in Zukunft deine Stellung und die meine besser in acht zu nehmen wissen. Du bist nunmehr zwanzig Jahre alt. Deine Brüder und Schwestern sind alle reich und glücklich verheiratet. Ihre Ausstattung und der Aufwand, den ich deinethalben mache, haben meine Einkünfte dermaßen in Anspruch genommen, daß ich dir höchstens 100 000 Franken mitgeben kann. Von heute an ist es meine Pflicht, für die Zukunft deiner Mutter zu sorgen. Sie soll durch mich nicht ihren Kindern geopfert werden; wenn ich einst meiner Familie entrissen bin, nicht von der Gnade eines Fremden abhängen, sondern ihre jetzige Lebensart, womit ich leider erst spät ihre Treue und Anhänglichkeit, die sie in meinem Unglück mir erwies, belohnen konnte, auch in der Folge führen. Du siehst, mein Kind, daß dein geringes Heiratsgut nicht zu deinen großen Plänen stimmt, auch haben deine Geschwister nicht einmal soviel erhalten, sondern bescheiden sich der Vorliebe gefügt, die ich und deine Mutter zu dir hegen.«

»In ihren Umständen freilich,« sprach Emilie, verächtlich den Kopf wiegend.

»Mein Kind spotte derer nicht, die dich aufrichtig lieben, nur Arme sind großmütig, die Reichen finden immer tausend Gründe, keine 20 000 Franken ihren Verwandten zukommen zu lassen. – Sei nicht böse! mein Kind. Laß hören, welcher von all den jungen Leuten gefällt dir am besten. Hast du den Herrn von Montalant wohl bemerkt?«

»Freilich! Er stößt mit der Zunge an und zeigt immer seinen Fuß, den er für klein hält. Er sieht sich gar zu gern in dem Spiegel, ist blond, und das habe ich nicht gern.«

»Aber Herr von Sérisy!«

»Ist kein Edelmann, ist schlecht gewachsen und stark. Freilich, er hat braunes Haar. Beide Herren müßten ihr Vermögen zusammenlegen, der erste seinen Körper dem zweiten geben und dieser jenem seinen Namen, aber sein Haar müßte er behalten – dann – vielleicht.« –

»Was hast du aber gegen Herrn von Saluces?«

»Es ist ein Bankier.«

»Und gegen Herrn von Commines?«

»Er tanzt zu schlecht. Übrigens sind alle diese Herren ohne Titel, und ich möchte doch wenigstens Gräfin sein wie meine Mutter!«

»Du hast also den ganzen Winter niemanden gesehen, den –«

»Niemanden.«

»Allein, meine Tochter, wen verlangst du eigentlich zum Gatten?«

»Am liebsten den Sohn eines Pairs von Frankreich.«

»Bist du von Sinnen?« – rief der Graf. –

Aber plötzlich hub er das Auge gen Himmel und fügte nach einem mitleidigen Kopfschütteln hinzu: »Gott ist mein Zeuge! du armes, verirrtes Geschöpf! daß ich die Pflichten eines Vaters gewissenhaft gegen dich erfüllt habe. Gewissenhaft? oh, mehr als das, mit aller Liebe, deren ich fähig war. – Ich habe diesen Winter mehr als einen braven, ausgezeichneten Mann dir zugeführt, dessen Sitten und Denkungsweise ich wohl geprüft, um ihn deiner würdig zu erachten. – Liebes Kind, ich habe das meinige getan und muß vom heutigen Tage an dein Geschick in deine Hände legen. Es beruhigt und beunruhigt mich zugleich, der schwersten Pflicht mich überhoben zu sehen. Wie lange du noch meine Ermahnungen, die unglücklicherweise nicht streng genug waren, wirst hören können, weiß ich nicht. Vergiß daher niemals, daß das Eheglück nicht bloß auf Reichtum, Glanz und Hoheit, sondern auf gegenseitiger Achtung und Übereinstimmung der Gemüter beruht. Dies Glück ist seinem Wesen nach ein bescheidenes, liebt keine Pracht. Geh', mein Kind! du hast meine Einwilligung für jeden, den du mir als Schwiegersohn vorstellst. Fällt deine Wahl zu deinem Schaden aus, so hast du keine Ursache, deinen Vater anzuklagen. Ich indessen will nichts verabsäumen, was dir nützen und förderlich sein kann. Nur das behalte ich mir vor, daß deine erste Wahl unwiderruflich bleibe, denn ich vergebe der Achtung nichts, die meinen grauen Haaren zukommt.«

Die Liebe ihres Vaters, der feierliche Ton, mit welchem er die salbungsvolle Rede hielt, rührten Emilie aufs innigste. Jedoch verbarg sie ihre Bewegung und erhob sich, um sich ihrem Vater auf den Schoß zu setzen, erschöpfte alle möglichen Schmeicheleien und suchte, ihn mit aller ihrer Anmut wieder zu besänftigen. Als endlich die Falten von seiner Stirne geschwunden und sein Mund wieder die Züge des Lächelns angenommen, sprach sie mit leiser Stimme: »Wie danke ich dir, lieber Vater, für die Freiheit, die du mir gestattest! – Es ist wahr, du hast bloß, um deine Tochter zu empfangen, dein Zimmer ordnen lassen und hast es nicht erwarten dürfen, sie so aufgeräumt und widerspenstig zu finden. – Aber, lieber Vater, sollte es mir denn so schwer werden, einen Pair von Frankreich zu heiraten? – Du sagtest neulich, daß man die Pairschaften dutzendweis vergebe! – Nun, mindestens deinen guten Rat wirst du mir nicht entziehen.«

»Nein! armes Kind! nein! und mehr als einmal werde ich dir zurufen: Sieh dich vor! Die Pairschaft ist zu neu in unserer Regierung, als daß die Pairs ein großes Vermögen besitzen könnten. Die Reichen wollen noch reicher werden, und die reichsten Glieder unserer Pairie haben kaum halbsoviel wie ein Lord im Oberhause des englischen Parlaments. Daher werden alle französischen Pairs ohne Ausnahme für ihre Söhne reiche Gattinnen suchen, gleichviel, wo sie dieselben finden, und dies wird wohl länger noch als hundert Jahre dauern. Allein ein glücklicher Zufall kann vielleicht deine Wünsche krönen, aber auch deine besten Jahre, deine Jugendreize kannst du vergeblich deinen Hoffnungen zum Opfer bringen. Vielleicht indessen, weil in unserem Jahrhundert die Liebe gar viel vermag, wird deine Schönheit dies kleine Wunder vollbringen. Wenn sich Weisheit in einer so blühenden Gestalt wie der deinigen birgt, so läßt sich viel erwarten. Du hast die Gabe, Leute zu durchschauen, um ihre guten Eigenschaften und Schwächen zu erkennen. Dies ist kein kleines Verdienst. Ich habe auch nicht nötig, dich vor Täuschungen zu warnen. Du wirst dich von einer verführerischen Außenseite nicht täuschen lassen, hinter der sich Roheit, Laster und Dummheit bergen. Und somit bin ich mit dir völlig einverstanden. Heutzutage, wo der Rang keine Abzeichen mehr hat, muß man den Sohn eines Pairs an einem gewissen vornehmen Wesen erkennen. Übrigens wirst du dein Herz im Zaume zu halten verstehen, denn mit deinen Wünschen hat Liebe nichts zu schaffen. Nicht wahr? – je nun, ich wünsche dir alles Glück.«

»Ich danke dir, lieber Vater! wenn du dies im Ernst gesprochen – aber wie dem auch sei – ich will lieber mein Ende im Kloster der Condé finden, als irgend jemand meine Hand schenken, der kein Pair ist.«

Hiermit verließ sie ihren Vater, und zufrieden, jetzt ihrer eigenen Willkür überlassen zu sein, hüpfte sie fort und trällerte die Arie: Cara non dubitare aus der »heimlichen Ehe.«

Am selben Tage war die ganze Familie zur Feier des Geburtstages eines ihrer Mitglieder versammelt. – Bei Tische sprach Madame Bonneval, Emiliens älteste Schwester, ziemlich laut von einem jungen Amerikaner, der, Besitzer eines unermeßlichen Vermögens, aus besonderer Liebe zu seiner Schwester es nur zu ihrem Besten zu verwenden schien.

»Also ein Bankier?« fragte Emilie nachlässig, »die Geldspekulanten gefallen mir nicht sonderlich.«

»Aber Emilie!« fragte der Baron v. Villain, der Gatte ihrer zweiten Schwester, »die Magistratspersonen gefallen Ihnen auch nicht sonderlich, wenn Sie obendrein die unadeligen Gutsbesitzer auch verschmähen, so wüßte ich nicht, aus welcher Menschenrasse Sie Ihren Gatten wählen?«

»Besonders weil Sie die Schlanken nur begünstigen,« fügte der ältere Schwager hinzu.

»Ich weiß recht gut, was ich will.« versetzte Emilie.

»Einen großen Namen und 100 000 Franken Einkünfte, nicht wahr?« fragte die Baronin.

»Ich werde mich nicht so unbedacht vermählen, wie ich bereits von anderen gesehen,« antwortete Emilie. »Übrigens, um diesen fatalen Heiratsvorschlägen endlich ein Ende zu machen, erkläre ich, daß ich denjenigen, der von dergleichen redet, für den Feind meiner Ruhe ansehe.«

Ein alter Oheim Emiliens, ein 70jähriger Greis, dessen Vermögen sich seit kurzem infolge erhaltener Entschädigung um 20 000 Franken Einkünfte vermehrt hatte, der Emilie besonders liebte und sich das Recht vorbehalten, derbe Wahrheiten zu sagen, rief jetzt dazwischen:

»Quält doch das arme Kind nicht. Man sieht es ja, sie wartet darauf, daß der Herzog von Bordeaux mündig werde.«

Ein allgemeines Gelächter erfolgte, aber Emilie, ohne sich dadurch beschämen zu lassen, sprach: »Ich warte, bis Sie wieder mündig werden, lieber Onkel.«

»Das bin ich schon lange, mein Mädchen!«

»Sie sind jetzt wieder kindisch geworden!« versetzte Emilie. –

»Meine Lieben!« nahm Frau von Fontaine das Wort, um den Streit beizulegen, »Emilie wird, wie ihre Brüder und Schwestern, sich nur dem Willen ihrer Eltern fügen.«

»Nicht doch!« versetzte Emilie, »von heute an hat mein Vater mein Schicksal in meine Hände gelegt.«

Aller Augen wandten sich in diesem Augenblick zum Oberhaupt der Familie, voller Erwartung, wie er diesem Eingriffe in seine Rechte und Würden begegnen werde. Der ehrwürdige Greis genoß nicht nur in der großen Welt und bei seinen Umgebungen aller möglichen Achtung; – glücklicher, als so mancher Familienvater, behauptete er eine Art patriarchalisches Ansehen unter den Seinigen, wie dieses sich in englischen Familien gewöhnlich findet, seltner, aber bisweilen doch auch, in den ältesten aristokratischen Häusern des Kontinents.

Endlich unterbrach er die ehrfurchtsvolle Stille und sagte: »Ja, von heute an darf meine Tochter ganz nach Ihrem Willen handeln.«

Er sprach diese Worte so feierlich und bewegt, daß jeder merken konnte, wie er alles, was ein Vater vermochte, gegen die widerspenstige Tochter vergeblich angewendet. Von diesem Augenblicke an hielt es jeder andere für überflüssig und ungeraten, in diese Angelegenheit sich zu mischen, bis auf den Onkel, der als ein alter Seemann, unbekümmert und rücksichtslos, seine Einfälle uad Witzeleien nicht unterdrücken mochte, dessen Ausfälle aber Emilie mit eben der Schärfe zurückschlug.


Der Sommer war gekommen, den die ganze Familie auf dem Lande, in den schönen Gegenden von Aulnay, Antony und Chatenay, zuzubringen pflegte.

Der reiche General-Einnehmer hatte kürzlich ein Landhaus für seine Gattin gekauft, wohin er nach dem Schluß der Sessionen in Paris sich auch selbst verfügte. Emilie war ihrer Schwester gefolgt, minder aus Anhänglichkeit an ihren nächsten Verwandten, als des guten Tones halber, der jede vornehme Dame nötigt, im Sommer Paris zu verlassen.

Mit Recht darf man zweifeln, daß der Ruhm der Bälle von Sceaux sich über die Grenzen des Seine-Departements hinaus verbreitet. Diese wöchentliche Lustbarkeit verdient hier eine nähere Beschreibung, weil sie anfängt, der Schauplatz unserer Erzählung zu werden. Die Umgebungen der kleinen Stadt Sceaux gelten allgemein für malerisch und reizend. Nicht nur die Pariser halten sie dafür, die, wenn sie ihre unregelmäßige und unreinliche Stadt verlassen haben, jedwede freie Gegend bewundern dürften; sondern auch Reisende, Künstler und andere schwer zu befriedigende Kenner nennen die Gehölze von Aulnay malerisch, die Anhöhen von Antony und Fontenay aux roses lieblich und entzückend, vor allem aber geben die Pariser dem Aufenthalt zu Sceaux den Vorzug.

Mitten in einem Garten, von den lieblichsten Aussichten rings umgeben, befindet sich eine große Rotunde, von allen Seiten frei; die große und leichte Kuppel ist von schlanken und prächtigen Pfeilern gestützt. Dies ist der Tanzsaal. – Die angesehensten Bewohner der umliegenden Ortschaften begeben sich mindestens ein- bis zweimal während der Saison zu diesem ländlichen Tanzfeste. Glänzende Kavalkaden werden dahin angestellt, oder man fährt auch in leichten Sommerwagen von der mannigfaltigsten Gestalt und Bauart hin. Die Hoffnung, Damen aus der großen Welt zu sehen und von ihnen gesehen zu werden und reizende Bäuerinnen, ebenso verschmitzt wie die Städterinnen, dort anzutreffen, lockt alle Sonntage ganze Scharen von Jüngern der Themis und des Äsculap an; sowie auch von andern jungen Leuten, deren zarte, bleiche Gesichtsfarbe der Pariser Luft angehört. Viele bürgerliche Familien finden sich ebenfalls ein, um bei den ersten Tönen des Orchesters mitten in der Rotunde die Tänze zu beginnen. Welche Liebesabenteuer würde die Kuppel nicht berichten, wenn sie reden könnte! – Diese reizende Mischung aller Stände gibt jenen Bällen bei weitem den Vorzug vor den übrigen ländlichen Festen um Paris, abgesehen von dem schönen Garten, der reizenden Umgegend und dem lieblichen Tanzsaal.

Emilie äußerte zuerst den Wunsch, diesem Feste beizuwohnen. Sie versprach sich zwar wenig Vergnügen von der Gesellschaft, aber zum ersten Male sollte sie sich in solch ein Gewühl begeben, und man weiß, wieviel Vergnügen ein Inkognito den Großen gewährt. Sie freute sich indessen, ihre ganze höhere und feinere Bildung einmal vor einem fremden Kreise zu entfalten, und versprach sich, in mehr als einem unadligen Herzen das Andenken eines zarten Blickes und eines bezaubernden Lächelns zu hinterlassen. Schon im voraus lachte sie über die seltsamen Tänzer, welche dort voller Selbstbewußtsein ihre Künste produzieren würden, und spitzte schon ihre Bleifeder, um die lächerlichsten Gruppen nach der Natur in ihr Album einzutragen.

Voller Ungeduld harrte sie dem Sonntage entgegen. Die Gesellschaft machte an diesem Tage zu Fuße sich auf den Weg und ward vom herrlichsten Wetter auf diesem Spaziergang begünstigt.

Es überraschte Emilien nicht wenig, in der Rotunde ziemlich gute Gesellschaft zu finden, die ihre Quadrillen für sich bildeten. Zwar fehlte es unter den Anwesenden auch nicht an jungen Leuten, die ihr ganzes monatliches Ersparnis verwendet hatten, an diesem einen Tage zu glänzen; auch nicht an einzelnen Paaren, deren allzudreiste Zärtlichkeit kein eheliches Bündnis verriet. Emiliens satirische Laune fand jedoch nicht halb soviel Stoff, als sie sich versprochen. Zu ihrer Verwunderung glich dies Vergnügen in groben Kleidern gar sehr dem in Samt und Seide, und die bürgerlichen Tänzer taten es den Vornehmen gleich, wo nicht gar zuvor. Die meisten Anzüge waren einfach, aber kleidsam, und die obrigkeitlichen Personen, obgleich nur Bauern, hielten sich mit musterhafter Bescheidenheit in ihren Winkeln zurückgezogen und erwiesen den vornehmen Stadtgästen alle mögliche Ehre. Mehr als dies alles aber machte ein Gegenstand ihre Aufmerksamkeit rege von einer Art, wie sie hier zu finden schwerlich erwarten mochte. Es war ein junger, sehr bescheidener Mann, dessen Äußeres allen Vorstellungen, mit denen sie sich lange schon beschäftigt, zu entsprechen schien.

Emilie saß auf einem ländlichen, plumpen Sessel, wie man sie rings um den Tanzplatz aufgestellt findet, am äußersten Ende der Gruppe, die ihre Familie bildete, so daß sie ganz nach ihrem Gefallen aufstehen und sich entfernen konnte. Sie benahm sich auch vollkommen so, als ob sie sich auf einem Museum befände, betrachtete jede Gruppe, und selbst die allernächste, keck durch ihre Lorgnette und wandte sich gleich wieder, um Bemerkungen darüber zu äußern. Wenn wir in Emiliens Sinne das Fest mit einem Gemälde vergleichen wollen, so zog eine einzige Figur ihre Blicke mit einem Male ausschließlich auf sich. Der Maler schien diese aus besonderer Vorliebe im Vordergrund angebracht und ins beste Licht gestellt zu haben, weil sie sich auf ungewöhnliche Weise vor aller Umgebung auszeichnete.

Emilie wußte nicht, wo sie diesen Jüngling schon früher wahrgenommen. Er war träumerisch und ernst, lehnte sich in einer malerischen Stellung an eine der Säulen, welche die Kuppel stützte. Seine Stellung hatte indessen nichts Gezwungenes, vielmehr lag ein gewisser Stolz und Adel darin; sein dunkles Auge folgte einer Tänzerin, und er schien ganz in der Betrachtung derselben verloren; dichtes, schwarzes Haar fiel in anmutigen Locken auf seine hohe Stirn, in einer Hand hielt er Hut und Gerte, sein Wuchs war hoch und schlank.

Emilie erkannte auf den ersten Blick, daß seine Wäsche von ausnehmender Feinheit, seine hirschledernen Handschuhe bei Walker gekauft waren, und daß er sehr zierliche Stiefel vom allerfeinsten Leder trug. Er hatte keines jener übertriebenen Zierate an sich, womit ein Stutzer der alten Bürgergarde oder Kontor-Adonis zu prunken pflegt. Ein einfaches, schwarzes Band nur schlang sich um seine schneeweiße Weste, woran eine Lorgnette hing.

Emilie gestand sich, nie so lebendige Augen, von so langen Wimpern beschattet, gesehen zu haben; sein Mund war wie zum Lächeln geschaffen, ohne jedoch einmal dahin zu gelangen; es war gleichsam eine trauernde Anmut, die auf seinen Lippen schwebte. Schwermut und Empfindung malte sich in dem bleichen, aber männlichen Gesichte, und der strengste Beobachter konnte nicht umhin anzunehmen, daß Geist und Witz dieser herrlichen Gestalt inwohnen, daß ferner irgendein besonderer Grund ihn zu diesem ländlichen Feste hergeführt haben mußte.

Emilie gebrauchte kaum zwei Sekunden, um alle diese Bemerkungen in der Stille zu machen, und nach dieser ebenso kurzen wie scharfen Prüfung blieb der Fremde der Gegenstand ihrer innigen und heimlichen Bewunderung. Sie dachte nicht – gewiß ist es ein Pair von Frankreich, sondern nur – ach! daß er doch von Adel wäre, er ist es sicherlich! –

Sie hatte diesen Gedanken kaum gefaßt, als sie sich erhob und, gefolgt von ihrem Bruder, dem Generalleutnant, sich der Säule nahte, an welche der Unbekannte sich lehnte. Mit besonderer Aufmerksamkeit schien sie die lustigen Quadrillen zu betrachten, aber durch ein optisches Kunststück, mit dem mehr als eine Dame vertraut ist, beobachtete sie in dieser Stellung genau die Mienen und Bewegungen des Fremden. Sie war ihm, scheinbar wider ihren Willen, immer näher getreten. Er entfernte sich artig, um den Neuhinzugekommenen seinen Platz zu überlassen, er lehnte sich an die nächste Säule.

Diese Höflichkeit verdroß Emilie, und in ihrem Unwillen darüber begann sie mit ihrem Bruder zu scherzen, erhob ihre Stimme viel lauter, als es schicklich war, bewegte ihr Haupt, gebärdete sich lebendiger und lachte mehr, als sie Ursache hatte; nicht sowohl um ihren Bruder zu unterhalten, als um die Aufmerksamkeit des fremden Sonderlings rege zu machen.

Aber keine ihrer reizenden Künste schlug auf ihn an. Emilie verfolgte daher mit ihren Augen die Richtung, die seine Blicke genommen, und entdeckte jetzt den Grund seines anscheinenden Kaltsinns.

Mitten in der Quadrille tanzte ein anmutiges, einfach gekleidetes, bleiches, junges Mädchen. Emllie glaubte anfänglich, in ihr eine junge englische Vicomtesse zu erkennen, welche seit kurzem ein benachbartes Landhaus bezogen.

Ihr Tänzer war ein junger Mensch von etwa fünfzehn Jahren, mit roten Händen, Beinkleidern von Nanking, blauem Frack und weißen Schuhen, woraus Emilie schloß, daß sie zu leidenschaftlich tanze, um in der Wahl des Tänzers besonders schwierig zu sein. Ihre Bewegungen hatten mit ihrer anscheinenden Schwächlichkeit nichts gemein; aber schon begann eine leise Röte ihre bleichen Wangen zu färben, und ihr Antlitz belebte sich mehr und mehr.

Emilie nahte sich der Quadrille, um die Fremde, sobald sie wieder auf ihren Platz zurückkam, von wo die Touren des Tanzes sie jetzt entfernt hatten, näher in Augenschein zu nehmen. Aber der Unbekannte ging auf die liebliche Tänzerin zu, neigte sich zu ihrem Ohre, und Emilie vernahm, obschon er mit leiser Stimme, jedoch ernstlich und bestimmt, die Worte sprach:

»Klara! jetzt hörst du auf zu tanzen.«

Dieser Befehl schien Klara unwillkommen, indessen gehorchte sie. Der Kontretanz war zu Ende, und der Unbekannte trug alle Sorgfalt eines Liebenden für sie. Er schlug einen Kaschmirschal um ihre Schultern und führte sie auf einen Sitz, wo sie dem Luftzuge nicht ausgesetzt war. Bald darauf erhoben sich beide, gingen außerhalb der Rotunde Arm in Arm, als ob sie im Begriff wären, das Fest zu verlassen.

Emilie bewog ihren Bruder, unter dem Vorwande, die Aussichten des Gartens in Augenschein zu nehmen, dem Paare zu folgen. Gutwillig überließ sich dieser der Führung seiner Schwester, und beide sahen das unbekannte Paar ein elegantes Tilbury besteigen, welches ein Diener in Livree und zu Pferde für sie bereit hielt.

Als der Fremde seinen Sitz eingenommen und die Zügel geordnet, warf er einen Blick auf die Menge zurück, der zum Teil auch Emilie traf; diese hatte indessen den Triumph, daß er noch zweimal sich nach ihr umsah und endlich auch seine Begleiterin, vielleicht aus einem Anfall von Eifersucht, nach ihr blickte.

»Ich denke, du hast dich jetzt genug im Garten umgesehen,« begann ihr Bruder lächelnd, »und es ist Zeit, daß wir zum Tanzplatze zurückkehren.«

»Meinetwegen,« antwortete Emilie. »Ich glaube sicher, dies ist die Vicomtesse Avergaveny, ich habe ihre Livree erkannt.«

Am anderen Tage wünschte Emilie, einen Spazierritt zu machen. Sie bewog ihren Bruder oder ihren Onkel, sie auf diesen Morgentouren zu begleiten, welche, wie sie behauptete, der Gesundheit sehr zuträglich wären. Sie schlug gewöhnlich Wege ein, die zum Landsitz der Vicomtesse führten, aber trotz ihrer Kavalleriemanöver fand sie nicht, was ihre freudigen Hoffnungen ihr verhießen.

Auch besuchte sie öfter die Bälle zu Sceaux, ohne den Gegenstand wirklich wieder zu finden, dem sie in Träumen so oft begegnete, und der alle ihre Gedanken beherrschte und verschönte. Ein jedes Hindernis dient einer aufkeimenden Zuneigung zum Wachstum; dennoch geriet Emilie bald auf den Punkt, alle Hoffnung und Nachforschungen aufzugeben, denn Klara, so nannte Emilie die Unbekannte, weil sie bei diesem Namen sie rufen gehört, war weder Vicomtesse noch Engländerin und bewohnte auch nur die bescheidenen, aber reizenden und balsamischen Anlagen um Chatenay.

Eines Abends sogar, als Emilie mit ihrem Onkel einen Spazierritt unternommen, begegnete ihr der Wagen der Vicomtesse. Dieses Mal war sie es wirklich, und ein wohlbeleibter Gentleman saß ihr zur Seite, dessen frische Gesichtsfarbe einem Mädchen Ehre gemacht haben würde, obgleich sich von derselben ebensowenig auf Herzensreinheit schließen läßt wie von einer brillanten Toilette auf Wohlhabenheit und Reichtum. Beide Gestalten hatten weder in ihren Zügen noch in ihrem Benehmen irgend etwas von den verführerischen Bildern, die Liebe und Eifersucht tief in Emiliens Herz gegraben. Voll Verdruß über eine solche Täuschung, wandte Emilie ihr Pferd, und ihr alter Oheim hatte die größte Mühe von der Welt, ihr nachzukommen, so jagte sie von dannen.

»Obschon ich jetzt zu alt geworden bin, um mich auf das Herz eines jungen, zwanzigjährigen Mädchens zu verstehen,« so urteilte der Seemann, – »werde ich doch die heutige Jugend wohl nach der damaligen, die ich kennen gelernt, beurteilen können. – Ich war damals doch auch ein feiner Segler und wußte den Wind wohl zu nutzen. Aber meine Nichte begreif' ich wahrlich noch nicht. Jetzt reitet sie wieder so langsam wie ein Pariser Gendarm auf der Patrouille. Sollte man nicht denken, sie habe den redlichen Bürgersmann dort aufs Korn genommen? Es scheint mir ein Dichter, der Verse macht. – Aber ich bin ja wohl närrisch. Es ist am Ende das Wildbret, welches ich ihr aufsuchen helfen muß.«

So urteilte der alte Seemann und ließ sein Pferd auf dem Sande gehen, um allmählich seine Nichte einzuholen. Er hatte in den siebziger Jahren, in jener Periode, wo Galanterie an der Tagesordnung war, zu viel lose Streiche begangen, um jetzt nicht zu erraten, daß Emilie ihren Gegenstand heimlicher Zuneigung aufgefunden. Obschon sein Auge durch das Alter geschwächt und Emiliens Gesichtszüge dieselben blieben, erkannte der alte Graf Cargarouet aus ganz anderen Zeichen, was in ihr vorging. Ihr blitzendes Auge nämlich ruhte unbeweglich auf dem Fremden, der stillsinnend und sorglos vor ihr herging.

»Getroffen,« dachte er bei sich. »Sie setzt ihm nach wie der Kaper dem Kauffahrer. – Hat er sich aber entfernt, so wird sie außer sich sein, weil sie nicht einmal erfahren kann, wer er sei, und ob er adlig ist oder nicht. – Es ist doch gut, wenn so ein junges Köpfchen eine alte, siebzigjährige Perücke zur Begleitung hat. – Wohlan! ich will einmal zeigen, was ich ehemals war.«

Er spornte mit einem Male sein Pferd, jagte seiner Nichte vorbei und ritt so ungestüm auf den jungen Spaziergänger zu, daß dieser rasch zur Seite springen mußte und auf den Rasen niederfiel, der den Weg begrenzte. Hierauf hielt er sein Pferd an und rief zornig:

»Können Sie nicht ausweichen?«

»In der Tat, mein Herr«, sprach der Unbekannte, »ich wußte nicht, daß das Ausweichen an mir war. Ich bedaure recht sehr, daß Sie mich fast überritten hätten.«

»Mein lieber, junger Mensch!« fuhr jener fort. »Sie sehen hier einen alten Seemann, mit dem es nicht geraten ist, sich einzulassen. Nehmen Sie sich in acht, Freund!«

Bei diesen Worten gab er dem Fremden einen leichten Schlag mit der Gerte auf die Schulter! »Gelbschnabel!« rief er, »merke dir's, daß man zu Fuße mit Reitern nicht anbinden soll.«

Der Jüngling antwortete erzürnt: »Ich hätte es Ihren weißen Haaren nicht zugetraut, daß sie auf Händel ausgehen.«

»Weiße Haare!« rief der Seemann, »das lügst du in deinen Hals hinein, sie sind nur grau! Euren Großmüttern habe ich schon den Hof gemacht und steche Euch auch noch aus bei Euren Weibern, wenn sich's der Mühe lohnt.«

Der Streit wurde heftig, der Jüngling verlor seine Fassung, die er lange genug behauptet, als der Graf Cargarouet seine Nichte mit allen Zeichen der Bewegung herzueilen sah. Hastig nannte er dem Gegner seinen Namen und gebot ihm, in Gegenwart der jungen Dame, die unter seinem Schutze sich befände, das tiefste Schweigen zu beobachten.

Der Unbekannte reichte dem Seemann eine Karte, mit der Bemerkung, daß sie seine Adresse zu Paris enthielte, er jetzt aber ein Landhaus in Chevreuse bewohne, dessen Lage er mit wenigen Worten näher bezeichnete, und sich hierauf rasch entfernte.

»Was ist das? lieber Onkel«, fragte Emilie. »Können Sie Ihr Pferd nicht mehr halten? Sie sitzen dies Jahr nicht halb so gut mehr wie im vorigen.«

»Wagst du, deinem Onkel dergleichen ins Angesicht zu behaupten?«

»Billigerweise sollten wir uns doch erkundigen, ob der arme Mensch Schaden genommen!«

»Das seh ich nicht ein, solch ein Ladenritter muß es sich zur Ehre schätzen, von einem so vornehmen Fräulein oder so einem alten Seemanne überritten worden zu sein.«

»Woher halten Sie ihn für einen Bürgerlichen? Sein Benehmen dünkt mich sehr fein.«

»Alle Welt hat heutzutage ein feines Benehmen.«

»Nein! lieber Oheim! nicht all und jeder hat das Benehmen und den Anstand, den man in den Salons erwirbt. Ich wette mit Ihnen, er ist adelig.«

»Kennst du ihn schon näher?«

»Es ist heut nicht zum ersten Male, daß ich ihn sehe.«

»Und daß du ihn suchst,« lächelte der Graf.

Emilie errötete. Der Oheim weidete sich eine Zeitlang an ihrer Verlegenheit, endlich sagte er:

»Emilie, du weißt, ich liebe dich wie mein Kind, und bloß deswegen, weil du die einzige bist, die auf ihre Geburt noch gehörig stolz ist. Alle Wetter, mein Kind! in deinem Alter hätte ich nicht geglaubt, daß die guten Grundsätze so selten würden. Still! – die anderen würden sich über uns lustig machen, wenn wir unter falscher Flagge in See gehen, du verstehst mich? Darum will ich dir helfen. Laß uns beide dies Geheimnis bewahren, ich verspreche dir, diese Brigg mitten in den Salons vor deine Kanonen zu liefern.«

»Und wann?«

»Morgen!«

»Und was soll ich damit?«

»Was du willst, ihn bombardieren, anzünden, entern, abtakeln, und wenn du willst, als ein altes Wrack liegen lassen; es ist ja nicht zum ersten Male, daß du dergleichen unternimmst.«

Heimlich zog er die Karte hervor und las: Maximilian Longeville. Rue de Sentier. »Sei ruhig,« fuhr er fort, »du kannst mit gutem Gewissen auf ihn Jagd machen. Er ist aus gutem Hause, und wenn gleich noch kein Pair, so muß er's einst werden.«

»Woher weißt du das?«

»Das ist mein Geheimnis.«

»Weißt du seinen Namen?«

Der Graf nickte mit dem Kopfe. Emilie nahm ihre Zuflucht zu allen möglichen Schmeichelworten, und als diese fruchtlos blieben, zum Schmählen, Spotten und Bösetun. Endlich versprach ihr der Graf, den Namen zu nennen, unter der Bedingung, daß sie künftig offenherziger und gehorsamer gegen ihn sein und keine Geheimnisse mehr vor ihm hegen sollte. Hierauf zeigte er ihr die Karte und ließ sie erraten, durch welche List er den Namen ihres Auserwählten erforscht hatte.

Als Emilie am anderen Morgen aufstand, war der Oheim schon längst nach Chevreuse geritten. Er traf seinen jungen Gegner vor der Tür eines sehr eleganten Landhauses, nahte sich ihm mit aller Artigkeit eines Kavaliers aus dem vorigen Jahrhundert und sprach:

»Bester Herr! wer hätte wohl gedacht, daß ich zu dreiundsiebzig Jahren mit dem Sohn oder Enkel eines meiner besten Jugendfreunde Händel suchen würde? – Ich bin Contre-Admiral, folglich ist mir ein Duell ausmachen und eine Havannazigarre rauchen dasselbe. – Zu meiner Zeit machte man sich aus Raufereien ein Vergnügen, und zwei junge Leute konnten nicht eher Freunde werden, als bis sie untersucht hatten, von welcher Farbe ihr Blut. Aber beim Himmel! gestern hatte ich wohl, auf gut seemännisch, ein wenig mehr Rum an Bord als billig war; deswegen ist hier meine Hand. Schlagen Sie ein! Ich wollte lieber hundert Gertenhiebe von einem Longeville ertragen, als einem aus dieser Familie was zuleide tun.«

So kalt auch der Jüngling sich anfangs benehmen mußte, konnte er doch nicht lange der Herzlichkeit des Grafen widerstehen. Er schlug ein, und jener fuhr fort:

»Sie wollten eben ausreiten, wenn ich nicht irre. Meinetwegen machen Sie keine Umstände, und, wenn Sie nichts anderes vorhaben, kommen Sie mit mir, speisen Sie heut mit uns zu Bonneval, mein Neffe, der Graf Fontaine ist dort, und es verlohnt sich schon der Mühe, diesen Mann kennen zu lernen. – Alle Wetter! ich muß Sie für meine Unart entschädigen und will Sie dafür fünf der schönsten Pariserinnen vorstellen. Aha! junger Mann, da klärt sich Ihre Stirn mit einem Male wieder auf. – Ja! ich habe junge Leute Ihrer Art gern, habe es gern, wenn sie froh sind, das erinnert mich an die herrlichen siebziger Jahre, wo es ebensowenig an galanten Abenteuern wie an Duellen fehlte. – Man war damals lustiger! will ich meinen. Heutzutage schwatzt und überlegt man alles, als ob es nie ein fünfzehntes und sechzehntes Jahrhundert gegeben.«

»Indessen, mein Herr, gewann Europa im sechzehnten Jahrhundert nur eine religiöse Freiheit, im neunzehnten dagegen –«

»Nichts! nichts von Politik! – Ich bin ein Ultra, sehen Sie! deswegen aber will ich den jungen Leuten nicht wehren, Revolutionäre zu sein; nur behalte ich mir das Recht vor, meinen kleinen Zopf mit schwarzem Bande à la Frédéric zu tragen.«

Sie bestiegen ihre Pferde und machten sich auf den Weg.

Als sie an ein kleines Gehölz anlangten, hielt der Admiral an, zog ein Pistol aus seinem Halfter und spaltete auf fünfzehn Schritte eine junge Fichte.

»Sehen Sie, mein Herr! ich brauche keinem Duell auszuweichen,« rief er heiter.

»Aber auch ich nicht!« versetzte der Jüngling, zog ebenfalls ein Pistol und schoß in denselben Baum, nicht weit von der Kugel des Grafen.

»Das nenne ich einen Mann von guter Erziehung.« rief der Graf in Ekstase und betrachtete den jungen Menschen von dem Augenblicke an schon wie seinen Neffen. Unterwegs examinierte er ihn noch in allerlei Dingen, worin, seiner Meinung nach, der vollkommenere Edelmann bestand.

»Haben Sie Schulden?« fragte er unter anderem.

»Behüte! mein Herr.«

»Was, Sie zahlen alles bar?«

»Ich würde ja sonst allen Kredit und alle Achtung verlieren.«

»Aber eine Geliebte oder mehr als eine Geliebte haben Sie doch?«

Der Jüngling errötete.

»Oh. über die jetzige Zeit! Was sind das für Sitten!« rief der Seemann. »Der Kantianismus. die Ideen von Loyalität und Freiheit haben alle Jugend zugrunde gericht. Wissen Sie wohl, mein Herr. daß, wenn man sich die Hörner nicht jung abläuft, man es in seinen alten Tagen tun muß? Wenn ich jetzt jährlich 80 000 Franken verzehre und habe, so verzehrte ich in meiner Jugend das Doppelte und hatte es nicht. – Trotz dieser Unvollkommenheiten nehme ich Sie aber dennoch mit nach Bonneval. Vielleicht haben meine guten Lehren noch Einfluß.«

»Welch ein seltsamer Mann!« dachte der junge Longeville. »Ich würde wahrlich nicht mit ihm reiten, wenn ich nicht neugierig wäre, die fünf schönen Damen kennen zu lernen.«

Bald erreichten sie das Landhaus des Grafen Fontaine. Die ganze Familie war begierig, den Gast, den der Oheim einführte, näher kennen zu lernen.

Er erschien in einfacher, aber feiner Kleidung. Sein Benehmen war eben so bescheiden wie artig, seine volle Stimme gab jedem seiner Worte eine gewisse Herzlichkeit, die Wohlwollen erregte. Die Pracht in der Wohnung des reichen Generaleinnehmers und die Eleganz, welche durchgängig in der Familie herrschte, setzte ihn keineswegs in Verlegenheit. Er ließ den Weltmann trotz seiner Jugend nie vermissen, verriet eine gute Erziehung und mehr als gewöhnliche Kenntnisse.

Mit dem Kontre-Admiral war er bald in ein Gespräch über Schiffsbaukunst verwickelt und wußte über diesen Gegenstand so gut zu reden, daß eine der Damen ihn fragte, ob er die polytechnische Schule besucht.

»Ich denke, Madame, daß es keine Schande ist, darin erzogen worden zu sein.« antwortete er.

Alle Einladungen, bis nach Tische zu bleiben, lehnte er höflich ab, er gab vor, daß er seine Schwester nicht allein lassen dürfe, deren zarte Gesundheit aller Pflege bedürfe.

»Sie sind ein Arzt?« fragte eine Schwägerin Emiliens spöttisch.

»Sie sind aus der polytechnischen Schule, denke ich,« versetzte Emilie sanft; zufrieden, daß die vermeinte Nebenbuhlerin nur Longevilles Schwester sei.

»Aber man kann ja Arzt sein und die polytechnische Schule ebenfalls besucht haben,« versetzte die Schwägerin.

»Allerdings ist beides möglich!« antwortete Longeville.

Emilie betrachtete den Fremdling nicht ohne Unruhe über alle diese unadeligen Beschäftigungen, bis dieser zum Glück hinzufügte: »Ich bin weder so glücklich, Arzt zu sein, meine Damen, noch gebe ich mich mit dem Brücken- und Straßenbau ab, um meine Unabhängigkeit nicht einzubüßen.«

»Daran haben Sie wohl getan,« sprach Herr von Fontaine, – »aber woher nennen Sie es Glück, Arzt zu sein? – Ein junger Mann von Ihren Anlagen!« –

»Ich achte alle jene Wissenschaften hoch, die einen so segensreichen Zweck haben.«

»Ich bin mit Ihnen einverstanden, man liebt die Kunst, wie eine Jungfrau geliebt wird, man achtet die Wissenschaften, wie man eine Matrone achtet.«

Der Besuch des Herrn Longevllle dauerte weder zu lange noch zu kurze Zeit. Er verließ die Gesellschaft, nachdem er überzeugt sein konnte, jedem gefallen zu haben. Der Graf hatte ihm das Geleite gegeben. »Es ist ein schlauer Patron,« sprach er, als er wieder eintrat.

Nur Emilie blieb still und einsilbig nach diesem Besuche. Sie hatte diesmal nicht alle Koketterie aufgeboten, ihren Witz nicht glänzen lassen, ihre reizenden Blicke und Bewegungen nicht angewandt, um den Fremden zu fesseln. Vielleicht achtete sie ihn zu sehr, um zu erwarten, daß er durch solche Künste gewonnen werden konnte, und in ihrer Einfachheit und Wahrheit erschien Emilie schöner als jemals.

Man war begierig zu wissen, was Emilie von dem artigen jungen Manne dachte. Während der Tafel machte jeder sich ein Vergnügen daraus, Herrn Longeville mit einer neuen vorteilhaften Eigenschaft zu schmücken. – Emilie schwieg eigensinnig, bis eine leise Spottrede ihres Oheims sie erweckte, und sie lächelnd erklärte, ihre Meinung von menschlicher Unvollkommenheit wurzele zu tief, als daß es dem Fremden binnen einer Stunde schon gelungen sein könne, ihr dieselbe zu nehmen. Sie hüte sich wohl, nach so kurzer Zeit schon ein Urteil über einen jungen Menschen auszusprechen, der sich mit solcher Schlauheit und Feinheit zu benehmen wisse. Sie fügte hinzu: wehe denen, die aller Welt gefallen, denn wer allen gefällt, kann einem nicht gefallen, und der größte Fehler, den ein Mensch hat, ist, keinen Fehler zu haben. Derjenige, von dem wir es denken, ist entweder ein Gott, ein Klotz oder ein Heuchler.

Nach dem dritten Besuche des Herrn Longeville konnte Emilie nicht länger zweifeln, daß sie das Ziel derselben sei. Diese Überzeugung entzückte sie freilich, dafür quälten sie aber andere Eigenschaften des Gastes um so mehr, nämllch sein hartnäckiges Schweigen über seine Beschäftigungen und seine Familie; alle Versuche, ihn darüber auszuforschen, scheiterten. Sprach Emilie von Malerei, so antwortete Longeville wie ein Kenner. Musizierte man, bewies er eine ziemliche Virtuosität auf dem Klavier. Eines Abends sang er zum Entzücken aller Anwesenden mit Emilie ein Duett von Cimarosa, daß man ihn allgemein für einen Musiker hielt. Als man ihn darüber befragte, scherzte er mit soviel Anmut, daß die Weiber so wenig, wie der schlaueste Forscher, erraten konnten, was er wirklich sei. Der alte Oheim warf umsonst seine Enterhaken und Seile aus, der Jüngling kappte sie alle. Und er konnte dieses Inkognito um so leichter fortsetzen, weil die Neugier niemand in der Familie bewegen konnte, die Grenzen der Höflichkeit zu überschreiten.

Emilie hoffte, vielleicht bei der Schwester etwas auszurichten, und beschloß, Klara, die bisher eine stumme Person gespielt, in die Handlung zu verwickeln. Der alte Oheim versprach seinen Beistand. Bald war die ganze Gesellschaft zu Banneval begierig, die liebenswürdige Schwester des angenehmen Gastes kennen zu lernen, und drang mit Bitten in ihn, dieselbe vorzustellen. Ein einfacher Ball ward als Gelegenheit vorgeschlagen und angenommen.

Inzwischen hatte Emilie mehr Gelegenheit, als gewöhnlich Anverwandte einer jungen, unverheirateten Dame einzuräumen pflegen, mit ihrem bescheidenen Anbeter allein zu sein und konnte sich ganz den ersten, schuldlosen Freuden einer aufkeimenden Zuneigung hingeben. Sie durchschweifte an seiner Seite die herrlichen Gartenanlagen oder unterhielt sich mit ihm über Kunstgegenstände, oder sie sangen und musizierten miteinander und gestanden sich in Paesiellos oder Boieldieus Tönen, was in Worten sich zu sagen, noch nicht an der Zeit war.

Endlich brach der Tag an, wo der Ball stattfinden sollte. Klara Longeville und ihr Bruder fanden sich zu demselben ein. Emilie sah zum ersten Male ohne Mißvergnügen eine Dame neben sich glänzen und tat sogar selbst alles, den Triumph derselben zu erhöhen. Daneben aber sparte sie keine Mühe, die Fremde über Stand und Rang auszuforschen. Zu ihrem Leidwesen ergab sich aber, daß Klara noch bei weitem zurückhaltender war als ihr Bruder; sie zeigte sogar mehr Feinheit und Geist noch in der Hinsicht, weil sie bei aller Verschwiegenheit als die Offenheit selbst erschien. Emilie, statt auszuforschen, ward vielmehr ausgeforscht und mußte manche Antwort bereuen, die Klara ihr entlockt, obgleich diese wie die Unschuld selbst dasaß, ohne die mindeste Arglist vermuten zu lassen.

»Mein Fräulein!« sagte diese im Laufe des Gesprächs, »Maximilian hat mir so viel von Ihnen erzählt, daß es mein lebhaftester Wunsch war, Sie kennen zu lernen. Und man kann Sie nicht kennen lernen, ohne Sie lieben zu lernen.«

»Teuerste Klara!« antwortete Emilie dreist, »wie freut es mich, Sie so gütig zu finden, ich glaubte, Sie eben erzürnt zu haben, durch eine Äußerung über die, welche nicht von Adel sind.«

»Beruhigen Sie sich,« antwortete jene, »Ihr Vorwurf kann mich nicht treffen, so wenig wie einen andern der hier Anwesenden.«

So stolz die Antwort klang, so sehr erfreute sie auch diejenige, an der sie gerichtet war. Emiliens Augen suchten Longeville und weilten mit größerer Zufriedenheit auf ihm, nun sie wußte, daß er von gutem Herkommen sei. Ihre Augen strahlten vor Freude, als er sie zum Tanze aufforderte. Tanzend schien sie in einem Meer von Wonne zu schwimmen, und wenn der Kontretanz erforderte, daß das glückliche Paar sich die Hände reichte, begegneten sie sich mit einem schüchternen und leisen Drucke. – Der alte Oheim ließ beide nicht aus den Augen und fragte den Grafen Fontaine: »Kann eine Vernunftheirat sich schneller und leichter in ein Liebesverhältnis umgestalten?«

Allein diese Worte hatten den Grafen stutzig gemacht. Emiliens Heirat war keineswegs so gleichgültig, als er kürzlich vorgegeben. Heimlich ließ er in Paris Erkundigungen über Longeville einziehen, aber es konnte ihm niemand Auskunft geben, dies beunruhigte ihn sehr, und er beschloß demnach, seine Tochter zu warnen.

Emilie empfing seine Ermahnungen mit einem erkünstelten Gehorsam, worin der Spott sich nur wenig verbarg.

»Wenigstens gesteh es ihm nicht, meine Tochter, wenn du ihn lieben solltest,« bat sie der Graf.

»So will ich's dir gestehen, daß er mir nicht gleichgültig ist, und werde es ihm nicht eher merken lassen, als bis du es mir erlaubst.«

»Bedenke aber auch, daß sein Stand, sein Rang dir noch unbekannt ist.«

»Wenn mir beides unbekannt ist, so will ich beides nicht kennen. Aber, lieber Vater, du wolltest mich verheiratet sehen. Du gabst mir Freiheit, jedwede Wahl zu treffen. Wenn ich dir nun sage, ich habe gewählt – was verlangst du mehr? –«

»Ist es der Sohn eines Pairs von Frankreich?«

Emilie schwieg eine Weile, dann hob sie stolz das Haupt und begann: »Die Longevilles sind –«

»Sind erloschen mit dem alten Herzog, welcher 1793 das Schafott bestieg. Er war der letzte Abkömmling des letzten Zweiges.«

»Aber es gibt ja noch Seitenlinien.«

»Du hast deine Ansichten sehr geändert, Emilie.«

»Du ebenfalls, um so eher läßt sich eine Vereinigung hoffen.«

Die Zeit brach an, in welcher die Familie sich zur Heimkehr nach Paris rüstete. Am letzten Tage, den man noch in Bonneval zubrachte, erwartete Emilie mit Ungeduld ihren Geliebten, um jetzt auf eine Erklärung von seiner Seite zu dringen.

Zur Stunde, wo er sich einzufinden pflegte, ging sie in den Park in ein schattiges Bosquet, wo er sie öfter schon getroffen, und bedachte sich, auf welche Weise sie ihm sein Geheimnis abnötigen könne, ohne sich von ihrer Seite etwas zu vergeben.

Sie hatte sich, dies reiflich überlegend, auf eine Gartenbank niedergelassen, als ein Geräusch in den Zweigen ihr entdeckte, welcher zärtlichen Aufmerksamkeit sie zum Gegenstande diente.

Sie wandte sich nach der Gegend hin, wo sie das Rauschen der Blätter vernommen, und sprach in dem Tone der zartesten Mißbilligung:

»Wissen Sie wohl, daß es gar nicht recht ist, eine Dame auf solche Weise zu belauschen?«

»Zumal, wenn sie ganz und gar mit ihren Geheimnissen beschäftigt ist.«

»Warum soll ich meine Geheimnisse nicht haben, ebensogut wie Sie die Ihrigen?«

»So waren es denn Ihre Geheimnisse, woran Sie dachten. Ich Unglücklicher täuschte mich so süß mit dem Glauben, daß Sie meiner gedächten.«

»Ich dachte an Ihre Geheimnisse – die meinigen kenne ich zu gut, als daß sie mir zu denken geben.«

»Oh!« rief der Jüngling und drückte ihre Hand an seine Brust, »wären Ihre Geheimnisse doch die meinen und die meinen Ihre!«

Emilie sah ihn zärtlich an. Eine Frage schwebte auf ihren Lippen, und sie wagte sie nicht auszusprechen, aus Furcht, sie möchte nicht nach Wunsch beantwortet werden, oder sie könne damit den Geliebten sogar beleidigen. Zögernd hob sie an: »Mein Herr, wollen Sie mir eine Frage gestatten? und wollen Sie bedenken, daß die seltsame Lage, in der ich mich befinde, und das Verhältnis zu meinen Angehörigen mich dazu berechtigen?«

Es entstand eine Pause, und Emilie vermochte es nicht, den staunenden Blick ihres Anbeters zu ertragen, endlich gewann sie so viel über sich, daß sie mit schüchternen Lippen folgende Worte sprach: »Sind Sie von Adel?« Sie bereute aber diese Worte, da sie kaum ausgesprochen waren.

»Ich will Ihnen darauf antworten,« versetzte der Jüngling, »wenn ich nur ein einziges Bedenken zuvor beseitigt. Warum und in welcher Absicht forschen Sie nach meinem Adel?«

»Wie?« rief Emilie, »sollte ich mich in Ihnen geirrt haben?«

»Emilie! mißverstehen Sie mich nicht! – Ich liebe Sie mit ganzer Seele.«

»Sie lieben mich!« rief sie erfreut.

»Nun, und bedurfte es Ihrer Frage?«

»Mein Herz gab sie mir nicht ein! Doch habe ich Eltern. Ach, mein Herr! Sie denken vielleicht, daß ich gar sehr auf Adel halte.«

»Noch habe ich keinen Titel meiner Gattin zu bieten. Doch vielleicht – – doch ich weiß, was einer Gemahlin von hoher Geburt, an Luxus und Reichtum gewöhnt, zukommt, ich weiß, was ich ihr schuldig bin. – In diesem Augenblicke bin ich nicht imstande, Ihre Frage genügend zu beantworten, denn – –. Ich fürchte dennoch, daß Sie mir zürnen werden.«

»Meine Schwestern haben mich verraten, daß ich einst willens war, nur mit dem Sohn eines Pairs von Frankreich mich zu vermählen,« dachte Emilie, »allein diese Schwatzhaftigkeit weiß ich unschädlich zu machen.«

»Mein Herr!« sprach sie zu ihm, »es gab eine Zeit, wo ich vom Adel gar hohe Vorstellungen hatte, jetzt sind meine Ansichten darüber gar sehr verwandelt.«

»Reden Sie im Ernst?« rief jener erfreut. »Lassen Sie mich es glauben. – Noch diesen Winter, vielleicht schon in zwei Monaten vermag ich Ihnen ein Los zu bieten, wie es Ihrer würdig ist. Dies, schönste Emilie, hängt aber leider noch von günstigen Umständen ab, jedoch zweifle ich nicht mehr am Gelingen derselben, an meinem Glücke, oh! daß ich an unserm Glücke sagen dürfte.«

»Sagen Sie es immerhin!« versetzte Emilie.

Unter solchen zärtlichen Zwiegesprächen nahten sie mit langsamen Schritten dem Schlosse. So liebenswürdig und geistreich wie heute war Emilien der Geliebte noch nie erschienen. Sie war stolz darauf, sein Herz zu besitzen, und bildete sich ein, alle Weiber dürften sie darum beneiden.

Beide sangen ein italienisches Duett mit einem so hinreißenden Ausdruck, daß die ganze Gesellschaft in lauten Beifall ausbrach. Sie nahmen Abschied und errieten gegenseitig in der äußern Förmlichkeit, welche wahrhafteren Gefühle sich darunter verbargen. Emilie gestand sich, daß der heutige Tag der glücklichste ihres Lebens war.

Als sie mit ihrem Vater allein im Saale war, der alte Oheim schlief in einem Sessel, ergriff dieser ihre Hand und fragte sie, ob sie über das Vermögen, den Stand und die Abkunft des jungen Longeville einigen Aufschluß erlangt.

»Teuerster Vater!« rief Emilie, »ich bin das glücklichste Geschöpf unter der Sonne, und keinem anderen werde ich je meine Hand reichen als diesem Longeville.«

»Gut, Emilie! so weiß ich, was ich zu tun habe.«

»Sollte es noch Hindernisse geben?« fragte sie mit einer gewissen Ängstlichkeit.

»Mein Kind, niemand will diesen Longeville kennen; wenn er ein redlicher Mann ist und du ihn liebst, will ich ihn mit Freuden als meinen Sohn umarmen.«

»Ein redlicher Mann?« erwiderte Emilie, »oh, darüber beruhigen Sie sich, mein Onkel steht für ihn ein, er hat ihn mir zugeführt. – Reden Sie doch, lieber Onkel! nicht wahr, er ist weder Freibeuter noch Kaper noch Seeräuber?«

»Ich wußte wohl, daß es dahin kommen würde,« rief jener sich ermunternd, er blickte im Saale umher, aber seine Nichte war fortgeeilt.

»Reden Sie, lieber Oheim!« sprach der Graf Fontaine, »wie konnten Sie uns alles, was Sie von dem jungen Mann wußten, verschweigen? Wer ist es, wo ist er her, ist er von Adel, was treibt er?«

»Ich kenne ihn weder von Adam noch Eva her, sondern verließ mich nur auf den richtigen Takt meiner närrischen kleinen Nichte, der ich durch Mittel, die mir allein bekannt, ihren Adonis zuführte. Er ist ein außerordentlicher Pistolenschütze, ein tüchtiger Jäger, ein sehr gewandter Billardspieler und fischt und reitet wie der selige Ritter von St. Georg. Außerdem rechnet, schreibt, spielt, zeichnet, singt und tanzt er wie ein Meister! – Also was wollt Ihr anders noch? Wenn das kein Edelmann ist, so zeigt mir einen Bürgerlichen, der das alles kann. – Schafft mir jemand, der so anständig und vornehm zu leben weiß wie er. – Übrigens habe ich in meinem Taschenbuche hier noch eine Karte von ihm, er gab sie mir, weil er nicht anders glaubte, als ich wolle ihm den Hals brechen. Armer, unschuldiger Jüngling! das ist die heutige Jugend! – Hier ist die Karte.«

Der Graf las: Rue du Sentier Nr. 5 und sann und sann. »Was Teufel!« rief er, »da wohnt ja Georg Brummer, Schilken & Co., es sind Handelsleute, die mit Musselin, Kalikos, Toilinett und was weiß ich alles Geschäfte machen. – Ach! jetzt komm ich drauf, Longeville, ein Deputierter, hat teil an dem Geschäft. Aber ich kenne diesen Longeville, sein Sohn ist dreißig Jahre alt und gleicht diesem nicht im geringsten. Er überläßt ihm ein Vermögen von 50 000 Franken jährlicher Einkünfte, um ihn mit der Tochter eines Ministers zu vermählen, denn er möchte ebenso gern wie jeder andere Pair sein. – Von diesem Sohne hörte ich ihn niemals reden. – Auch hat er zwei Töchter, aber ich wüßte nicht, daß eine davon sich Klara nennt. – Aber Longeville kann jeder heißen. – Das Haus Georg Brummer, Schilken & Co. steht, wie mich dünkt, auf dem Punkt zu fallen, und zwar einer unglücklichen Spekulation halber mit Mexiko und Indien. – Je nun! ich werde mir schon Licht verschaffen.«

»Du hältst da einen Monolog wie ein Schauspieler,« lachte der Kontre-Admiral, »und mich hältst du für eine Null, ein Unding. Ich wette darauf, daß er ein Edelmann ist, aber er hat kein Vermögen.«

»Wenn es nur das wäre!« sprach Herr von Fontaine, den Kopf unwillig bald zur Rechten, bald zur Linken wendend. »Vor der Revolution war Longeville ein Prokurator, das »von«, das er angenommen, ist so wenig sein eigen wie sein halbes Vermögen jetzt.«

»Ei was! was!« rief der Seemann, »glücklich sind diejenigen, deren Väter man aufs Schafott gebracht.«


An einem schönen Novembertage, wo es den Parisern vergönnt ist, ihre Boulevards durch den ersten zarten Nachtfrost auf eine zierliche Weise gereinigt zu sehen, war Emilie mit ihrer Schwester und einer Anverwandten in einem neuen Wagen ausgefahren, um eine herrliche Pelerine in Augenschein zu nehmen, worüber eine ihrer Freundinnen in Lobeserhebungen sich nicht sattsam erschöpfen konnte. Sie war in einem reichen Modemagazin an der Ecke der Rue de la paix zum Verkauf ausgehängt.

Die drei Damen traten in den Laden. Die Baronin stieß Emilien mit dem Ellenbogen an, um sie auf eine Person aufmerksam zu machen, welche, im Kontor sitzend, mit allem kaufmännischen Anstand ein Goldstück wechselte. Es war Maximilian Longeville. Er war in einer Unterredung mit einer Leinenhändlerin begriffen und hatte mehrere Proben von Zeugen in Händen, daß über seinen ehrenwerten Stand nicht der mindeste Zweifel mehr obwalten konnte.

Emilie erblaßte, und ein eisiger Schauder erstarrte ihr Inneres. – Aber, dank sei es der Geistesgegenwart, die man in vornehmer Gesellschaft erwirbt, sie besiegte ihre innere Bewegung vollkommen und antwortete der Baronin: »Ich weiß es wohl!« mit einem Tone und einer Ruhe, welche der ersten Schauspielerin Ehre gemacht halte.

Sie nahte sich dem Kontor, Longeville erhob das Haupt, steckte kaltblütig die Proben in die Tasche, grüßte das Fräulein mit einem zärtlichen Blicke, dann wandte er sich wieder zu der Leinenhändlerin, die mit unruhigen Blicken ihn verfolgte – »diese Rechnung muß berichtigt werden,« sprach er, »das Haus verlangt es einmal, aber,« flüsterte er der jungen Frau leise ins Ohr, »nehmen Sie dies hier, es gehört mir, meinem Hause darf ich nichts vergeben, aber dies geht nur uns beide an, nehmen Sie.« Er reichte ihr eine Banknote von 1000 Franken.

»Sie werden verzeihen,« wandte er sich wieder zu Emilien, »daß die Tyrannei der Geschäfte mich bis jetzt hinderte!«

»Mich dünkt, mein Herr!« versetzte Emilie aufgebracht, »daß mir das gleichviel gelten kann.«

»Wäre das Ihr Ernst?« fragte der Jüngling erschüttert.

Emilie wandte ihm unwillig den Rücken. Ihre Begleiterinnen hatten von allem dem nichts bemerkt, weil sie die Pelerine gerade kauften: dies war bald geschehen, und Emilie nötigte sie, so rasch wie möglich wieder einzusteigen.

Die Damen hatten in dem eleganten Wagen Platz genommen. Emilie hatte den Rücksitz inne. Noch einen Blick schenkte sie der verhaßten, finsteren Bude und sah im Hintergrunde derselben ihren Maximilian bleich und unbeweglich, mit ineinandergeschlungenen Armen stehen, wie jemand, der sein Lebensglück vor Augen scheitern sieht und kräftig über sein Mißgeschick sich erheben will. Jeder hoffte, das Herz des andern aufs grausamste zu verwunden, und nach wenigen Sekunden waren beide getrennt, als ob der nach China, jener nach Grönlands Eisfeldern verbannt worden sei, für immer.

Wie tief auch Emilie gekränkt und gedemütigt sich fühlte, bot sie doch alle Geisteskräfte auf, um vor ihren Begleiterinnen heiter zu erscheinen. Sie bemühte sich, mit ihnen ein Gespräch anzuknüpfen, machte sich über die Vorübergehenden lustig, spottete hier über einen Anzug, dort über eine Gestalt, aber zu ihrem Leidwesen wollte keine mit ihr lachen, und sie schloß damit, den Kaufmannsstand und alle Handelsleute aufs bitterste zu schmähen und zu verhöhnen.

Als sie zu Hause anlangte, fühlte sie sich sehr unwohl, mußte sich zu Bette legen, und ein heftiges Fieber stellte sich ein. Der Sorgfalt ihrer Eltern und Geschwister, der gewissenhaften Bemühungen der Ärzte dankte sie eine baldige Herstellung, aber kaum war sie genesen, als sie alle ihre alten Gewohnheiten und Fehler wieder annahm und keinen größeren Wunsch kannte, als die große Welt wieder zu besuchen.

Sie behauptete: wenn sie, wie ihr Vater, Einfluß auf die Kammern hätte, würde sie ein Gesetz bewirken, dem zufolge alle Kaufleute wie eine Herde Schafe ihr Abzeichen tragen müßten, besonders die Manufakturwaren-Händler. Nur der Adel dürfte sich alsdann in der Hoftracht Ludwigs XV. zeigen. Sie nannte es ein Unglück für die Monarchie, daß zwischen einem Pair von Frankreich und einem Handelsmann kein Unterschied sich fände. Bei jedem Anlaß, der sie darauf brachte, fügte sie noch tausend Sarkasmen hinzu, deren Groll man leicht erraten konnte.

Der erste Ball, den Emilie besuchte, fand im Hotel des neapolitanischen Gesandten statt. Als sie sich eben zu einer der glänzendsten Quadrillen stellte, gewahrte sie Longeville ganz in ihrer Nähe. Er gab ihrem Tänzer durch eine leise Neigung des Hauptes ein flüchtiges Zeichen.

»Kennen Sie den jungen Menschen?« fragte sie, nicht ohne Verachtung in den Mienen, ihren Chapeau.

»Mein Bruder!«

»Ihr Bruder?« rief Emilie.

»Den ich aufs zärtlichste liebe, denn es gibt wohl schwerlich einen besseren Menschen auf der Welt.«

»Wissen Sie meinen Namen?« fragte Emille stolz.

»Nein, meine Gnädige! Ich gestehe, es ist ein Verbrechen, einen Namen nicht zu behalten, der auf allen Lippen schwebt – in allen Herzen wohnt, sollte ich sagen. – Jedoch habe ich eine Entschuldigung, die mich sicher freisprechen wird. Ich komme aus Deutschland. Mein Gesandter hat mich als Begleiter seiner liebenswürdigen Gemahlin hierher gesandt. Sie finden Sie dort unten in jenem Winkel.«

»Diese traurige Gestalt?« lächelte Emllie.

»Doch ihre eigene Gestalt! mein Fräulein, und ich muß mit ihr tanzen, aber ich weiß mich auch dafür zu entschädigen.«

Emilie verneigte sich.

Der geschwätzige Gesandtschaftssekretär fuhr fort: »Es überraschte mich nicht wenig, meinen Bruder heut abend zu treffen. Als ich von Wien hier eintraf, hörte ich, daß der arme Junge zu Bett liege. Ich dachte, noch vor dem Ball ihn zu sehen. Aber die Diplomatie erlaubt uns selten, unserem Herzen zu genügen, und in der Tat, la donna della casa hat es mir nicht gestatten wollen, meinen Bruder zu besuchen.«

»Ihr Herr Bruder ist also kein Diplomat?«

»Der arme Junge!« seufzte der Sekretär, »er hat sich für mich geopfert. Er und meine Schwester Klara haben freiwillig dem Vermögen meines Vaters entsagt, um das ganze Majorat für mich zu erhalten. Mein Vater, im Vertrauen, strebt wie alle, welche für das Ministerium stimmen, nach der Pairie. – auch hat man ihm die Pairschaft versprochen. Mein Bruder zog einige Kapitale zusammen, ließ sich damit in Geschäfte ein, und es gelang ihm. Eine Spekulation mit Brasilien konnte ihn zum Millionär machen, und ich freue mich, daß ich im Stande war, durch meine diplomatischen Verbindungen den Erfolg derselben zu sichern. Ich habe ihm eine Depesche von der brasilischen Legation übersandt, die seine Stirne wohl hätte erheitern müssen, – aber sehen Sie nur, er ist nicht heiter.«

»Doch solche Falten zieht keine Kaufmannsstirne, in diesen traurigen Zügen steckt kein Geld.«

Der Diplomat betrachtete die zum Schein ruhigen Mienen seiner Tänzerin. »Wahrlich!« rief er, »Sie haben Menschenkenntnis: ich will es Ihnen nur gestehen, er ist verliebt.«

»Er ist verliebt!« sprach Emilie gedankenvoll.

»Meine Schwester Klara, für die er mehr als brüderlich sorgt, hat es mir geschrieben. Er liebte diesen Sommer ein junges Frauenzimmer von seltner Schönheit. Der arme Junge! Morgens um fünf Uhr stand er auf und begab sich an seine Geschäfte, um den Nachmittag bei seiner Schönen zuzubringen. Ich habe ihm ein arabisches Pferd geschenkt, und das hat er vor zärtlicher Ungeduld bei diesen Besuchen überjagt. – Vergeben Sie mir, mein Fräulein, daß ich mit solchem Geschwätze Sie langweile, aber ich komme aus Deutschland und habe meine Muttersprache mit dem lieben vaterländischen Akzent lange nicht reden hören. – Wir Franzosen sind geschwätzig, und ich habe oft mit einem Wandleuchter mich unterhalten, von dem ich wußte, daß er aus Paris kam. Wenn ich vielleicht für einen Diplomaten zu viel schwatzen sollte, so haben Sie schuld, mein Fräulein, denn Sie zeigten mir meinen Bruder, und wenn von ihm die Rede ist, will meine Zunge nicht wieder stille stehen. Wahrlich! der ganzen Welt möchte ich's verkünden, wie gut und edel er ist. Es handelte sich um nichts weniger, als um 20 000 Franken Einkünfte, so viel ertragen die Güter von Longeville, und er verzichtete darauf zu meinem Besten.«

»Und Sie ließen Ihren Bruder Musselin und Kalikos verkaufen?« unterbrach ihn Emilie nicht ohne Bitterkeit.

Der Diplomat erschrak. »Mein Fräulein, woher wissen Sie das? – Ich habe es Ihnen nicht gesagt, denn wenn ich auch unschicklicherweise einen ganzen Wortschwall dahinströmen lasse, so bin ich doch Diplomat genug, um nur zu sagen, was ich sagen will, wie alle Gesandtschaftslehrlinge meiner Bekanntschaft.«

»Sie haben es mir gesagt.«

»Mein Fräulein, Sie erschrecken mich. Ich habe Ihnen nichts gesagt, aber,« erstaunt hielt er inne. Ein Argwohn ging in seiner Seele auf. Er blickte auf seinen Bruder, auf Emilie, dann schlug er seine Hände zusammen, blickte gen Himmel und rief:

»Oh, ich Dummkopf! – Sind Sie nicht die Dame von ausgezeichneter Schönheit – die schönste hier, wie überall? – Mein Bruder blickt Sie verstohlen an, er tanzt, trotz dem Fieber – lassen Sie ihn nicht länger so unglücklich und vergeblich seufzen. Ich könnte eifersüchtig auf sein Glück werden, aber das verdient er nicht. Nein! mein Herz nehme ich in beide Hände, reiche es Ihnen und nenne Sie: Schwester.«

Der Tanz war zu Ende: der Diplomat führte Emilie zu ihrem Oheim zurück. Das Mißverständnis war nun freilich gehoben, aber keiner der Liebenden wollte den ersten Schritt zur Versöhnung tun.

Um zwei Uhr morgens trug man in einer weitläufigen Galerie das Abendessen auf. Die Tische standen für jede Gesellschaft einzeln gedeckt, so daß mehrere Personen sich abgesondert von den übrigen nebeneinander setzen konnten.

Der Zufall, der Liebende nicht selten begünstigt, wollte, daß Maximilian Longeville in Emiliens Nähe an einem Tische Platz nehmen mußte. Vielleicht war es auch die Wirkung der Reize Emiliens, die als Königin des Festes die angesehensten Personen in ihre Nähe zog, zu denen Maximilian gehörte. Sie lauschte sorfältig auf alle Gespräche, die man am nächsten Tische führte, und so behorchte sie eine Unterredung, wie sie zwischen einer dreißigjährigen Dame und einem Jünglinge, wie Maximilian, sich leicht anspinnt.

Eine neapolitanische Gräfin war nämlich die Tischnachbarin des letzteren, deren feurige Augen ziemlich gefährliche Blitze schleudern mochten, zumal da die Gräfin mit südlichen Reizen eine glänzende und zarte Haut verband. Um so mehr beleidigte die Vertraulichkeit, die sie sich gegen ihren Führer erlaubte, Emilien, weil diese heute Ursach gefunden hatte, ihrem ehemaligen Geliebten neue Achtung zu zollen.

»Ja! mein Herr!« sprach die Neapolitanerin mit beredten Blicken, »bei mir zulande offenbart sich wahre Liebe in gänzlicher Aufopferung.«

»Oh! daß auch unsere Damen so dächten,« seufzte Maximilian mit einem Seitenblick auf Emilie, »ach nein, sie lieben sich selbst mehr als alles.«

»Mein Herr!« wandte sich Emilie plötzlich, »Sie tun übel, Ihre Landsmänninnen auf solche Weise zu verleumden. Es gibt deren, die wahre Gefühle hegen.«

»Denken Sie,« fragte die Gräfin, »daß eine Französin imstande wäre, ihrem Geliebten überall hin zu folgen, wohin es auch sei, daß er entfliehen möchte?«

»Verstehen wir uns! Madame,« versetzte sie. »Kein Mädchen darf auf Kosten ihres Herzens einen ehrlosen Schritt begehen. Sie folgt ihrem Geliebten in eine Hütte, in eine Wüste, aber nicht –«

»Wohin zum Beispiel nicht?«

»Zum Beispiel, in keinen Laden, Madame, wenn die Geliebte von Adel ist.«

»Freilich,« versetzte die Gräfin, »es wäre eine harte Probe, aber sollte Liebe nicht diesen Sieg erreichen?«

»Gewiß nicht! Gesetzt, ein Geliebter würde ungetreu, so besitzt Liebe Selbstüberwindung genug, um es zu vergeben, wenn der Gegenstand ein würdiger ist. Die Rückkehr des Geliebten wäre ein Triumph für die Geliebte. Aber ein Liebender runzelt die Stirn, spielt den Geheimnisvollen, man sucht, ihn zu erforschen. Er schweigt hartnäckig! Natürlich schämt er sich zu gestehen, was er sei, in der Gesellschaft, in der er sich befindet. Endlich überrascht man ihn, entdeckt die Falten seines Herzens. Man findet ihn beschäftigt mit einer Nebenbuhlerin, und wer ist diese Nebenbuhlerin? – Eine Elle. – Ich bitte Sie, Madame, möchten Sie für eine Elle irgend etwas opfern?«

Die Gräfin lachte. »Eine Elle? freilich da haben Sie recht! Dies ist eine unerträgliche Nebenbuhlerin. Ich möchte um alles in der Welt keiner Elle aufgeopfert werden, denn allerdings gilt einem Kaufmann die Elle mehr als seine Gattin, ja, die halbe Elle, die viertel Elle von einem kostbaren Zeuge ist ihm lieber als der vollkommenste Beweis der Zärtlichkeit seiner Geliebten, wenn er ein echter Geschäftsmann ist. – Aber wozu solche Gespräche in einer Gesellschaft wie die unsrige?«

Man erhob sich vom Tische. »Mein Fräulein!« hob Maximilian an, fast weinend, »vergönnen Sie mir wenigstens, Ihnen Lebewohl zu sagen.«

»Wozu?«

»Niemand wird heißere Wünsche für Ihr Glück hegen als ich, obgleich Sie mich mehr gekränkt, als Sie je im Leben einen anderen werden kränken können.«

»Wollen Sie Paris verlassen?«

»Meines Bleibens ist hier nicht, ich will nach Italien.«

»Mit einer Gräfin vermutlich?«

»Mit einer tödlichen Herzenswunde!«

»Maximilian!«

»Ich sage Ihnen ewig Lebewohl!«

»Ich vergebe Ihnen!«

»Es gibt Wunden, für die keine Heilung ist!«

»Sie werden nicht reisen!«

»Ich habe Ihre Verachtung nicht verdient, ich reise!«

»Bei Ihrer Rückkehr bin ich verheiratet.«

»Oh! daß Sie das Glück finden möchten, welches ich Ihnen zu schaffen, für das schönste Ziel meines Lebens gehalten hatte.«

»Reisen Sie! wir verstehen uns nicht!«

»Sie sollen mich einst achten müssen, wenn Sie mich auch nicht mehr lieben können.«

»Ich weiß nicht, mein Herr, welche Zumutungen Sie hegen! Ich wünsche Ihnen glückliche Reise!«

So schieden die, welche sich ehemals zärtlich geliebt, voneinander, und Maximilian reiste mit seiner Schwester nach Italien. –

Sein Bruder indessen, minder nachsichtig als er, beschloß, die peinlichste Rache an der Grausamen zu nehmen. Er machte die Gründe bekannt, aus welchen dies Paar miteinander gebrochen hatte, und nötigte damit mancher Exzellenz ein Lächeln ab. Er schilderte mit vielem Witze die Kontorfeindin, die Amazone, welche gegen alle Handlungsdiener Kreuzzüge predigte, die Dame, deren Liebe vor einer Musselin-Fahne zerstob u. s. w. Der Graf Fontaine sah sich endlich genötigt, auf die Entfernung dieses Feindes seiner Tochter zu dringen, und Augustin Longeville erhielt eine Mission nach Rußland. – Dort konnte er das Klima nicht ertragen und starb bald darauf, gleichsam zur mittelbaren Strafe seiner bösen Zunge.

Nach Verlauf einiger Jahre sah sich das Ministerium genötigt, eine Aushebung von Pairs zu veranstalten. Longeville ward Pair und Vicomte, auch der Graf von Fontaine erhielt diese Würde zum Lohn seiner unerschütterlichen Treue und aus Achtung vor dem guten Adel seines Hauses.

Emilie war damals zweiundzwanzig Jahre alt. Ihr Benehmen hatte sich sehr geändert. Statt mit ihrem alten Oheim sich zu necken und zu zanken, erwies sie ihm die höchste Sorgfalt und Pflege.

Sie brachte ihm mit einem rührenden Ernste seine Krücken, bot ihm den Arm, folgte ihm, wohin er ging und fuhr, ertrug den Rauch seiner Pfeife, las ihm die Gazette de France vor, lernte ihm zuliebe Pikett, hörte der Erzählung seiner Kriegstaten mit ernsthafter Geduld stets von neuem zu. Mit einem Worte, obschon er behauptet hatte, sich nicht mehr von einem jungen Mädchen kapern zu lassen, ward dennoch eines Tages in den Pariser Salons die Verlobung des Fräuleins Emilie von Fontaine mit dem Kontre-Admiral von Cargarouet als Neuigkeit erzählt.

Die junge Gräfin gab glänzende Feste und blieb stets die Königin derselben. Oft entfernte sich ihr Gemahl, wenn das lärmende Orchester in vollem Gange war, und sagte scherzend: »Wer hätte wohl gedacht, daß ich zu fünfundsiebzig Jahren noch als Steuermann der schönen Emilie unter Segel gehen würde?«

Zwei Jahre nach der Hochzeit befand sich die Gräfin, in voller Blüte der Schönheit und von einem Putze strahlend, worin alle Reichtümer beider Indien vereint schienen, in den altertümlichen Sälen der Faubourg St. Germain, als ein Lakei mit lauter Stimme den Herrn Vicomte von Longeville ankündigte. Niemand merkte Emiliens Erschütterung. Sie saß bei einer Partie Pikett, als Maximilian, in aller Blüte der Kraft und Männlichkeit, eintrat. Der Tod seines Vaters und seines Bruders hatte ihm die Pairschaft verliehen.

Seufzend blickte sie auf das graue Haupt ihres Gatten, welcher, seinen Worten nach, sich noch lange an Bord zu halten gedachte.

»Schöne Dame!« sprach der Geistliche, der mit ihr Karten spielte, »weil Sie den Coeur-König abgeworfen, habe ich gewonnen. Aber Ihr Geld soll Sie nicht gereuen, denn jeden Gewinst schenke ich meinen kleinen Seminaristen.«


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