Honoré de Balzac
Katharina von Medici
Honoré de Balzac

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Vertrauliche Mitteilungen der Brüder Ruggieri

Zwischen elf und zwölf Uhr nachts saßen gegen Ende des Oktobermondes anno 1573 zwei Italiener aus Florenz, zwei Brüder, Albert von Gondi, Marschall von Frankreich, und Karl von Gondi la Tour, Großmeister der königlichen Kleiderkammer Karls des Neunten, oben auf einem in der Sankt Honoriusstraße gelegenen Hause am Rande der Dachrinne. Die Dachrinne ist der Steinkanal, der sich zu jenen Zeiten unten an den Dächern befand, um die Gewässer aufzufangen. In bestimmten Zwischenräumen wird er von langen Wasserspeiern unterbrochen, die in phantastische Tierformen mit weitklaffenden Mäulern ausgehauen sind. Trotz des Eifers, mit dem die augenblickliche Generation die alten Häuser niederreißt, gab's zu Paris noch viele vorragende Traufen, bis kürzlich ein Polizeibefehl über die Abflußröhren sie verschwinden ließ. Nichtsdestoweniger bleiben noch einige skulpierte Dachrinnen übrig, die man hauptsächlich im Herzen des Sankt Antoniusviertels zu sehen bekommt, wo es sich bei der Billigkeit der Mieten nicht lohnt Speicherräume auszubauen.

Seltsam muß es anmuten, daß zwei mit also hohen Chargen bekleidete Persönlichkeiten so dem Katzenmetier nachgingen. Für den aber, der die historischen Schätze jener Zeit durchstöbert, wo die Interessen um den Thron herum sich in so mannigfacher Weise kreuzten, daß man die innere Politik Frankreichs eine Strähne verwirrten Garnes nennen könnte, sind diese beiden Florentiner als wirkliche Katzen in einer Dachrinne sehr an ihrem Platze. Ihre Ergebenheit der Person der Königin Katharina von Medici gegenüber, die sie an den französischen Hof verpflanzt hatte, verpflichtete sie vor keiner Folgerung ihres Sich-Aufdrängens zurückzuweichen. Um aber zu erklären, wie und warum die beiden Höflinge sich also aufgebäumt hatten, muß man sich eine Szene vergegenwärtigen, die zwei Schritte von jener Dachrinne, im Louvre, in jenem schönen dunkelgebräunten Saale sich abspielte, welcher uns vielleicht als einziges von Heinrichs des Zweiten Gemächern übrigblieb und wo die Höflinge den beiden Königinnen und dem Könige nach dem Abendessen ihre Aufwartung machten.

Zu jener Zeit speisten Bürger und vornehme Herren, die einen um sechs Uhr, die anderen um sieben Uhr zu Abend; die Raffinierten aber taten es zwischen acht und neun Uhr. Diese Mahlzeit war das heutige Diner. Manche Leute glauben zu Unrecht, die Etikette sei von Ludwig dem Vierzehnten erfunden worden. In Frankreich stammt sie von Katharina von Medici her, die sie so streng schuf, daß der Kronfeldherr Anne von Montmorency nur mit Mühe durchsetzte, hoch zu Roß in den Louvrehof einreiten zu dürfen – seinen Degen hatte er wahrlich leichter errungen –, und solch unerhörte Auszeichnung ward ihm obendrein nur seines hohen Alters wegen zugestanden! Nachdem die Etikette unter den ersten Königen des Hauses Bourbon etwas weniger streng gehandhabt worden war, nahm sie unter dem großen Könige eine orientalische Form an: denn sie stammte aus dem oströmischen Kaiserreiche, das sie wiederum von Persien übernommen hatte. Anno 1573 besaßen nicht nur wenige Leute das Recht, mit ihrem Gefolge und ihren Fackelträgern im Louvrehofe anzulangen (wie unter Ludwig dem Vierzehnten nur die Herzöge und Pairs in der Karosse unter dem Peristyl vorfahren durften), sondern es ließen sich auch die Chargen, welche Erlaubnis besaßen, nach dem Abendmahle die königlichen Gemächer zu betreten, an der Hand herzählen.

Der Marschall von Retz, der da in seiner Wasserrinne Posten stand, bot eines Tages tausend Taler damaligen Geldes dem Türhüter des Kabinetts, um mit Heinrich dem Dritten in einem Augenblicke reden zu können, in welchem er nicht das Recht dazu hatte.

Zu welchem Gelächter fordert einen wirklichen Historiker zum Beispiel das Bild des Schloßhofes zu Blois heraus, in den Maler einen Edelmann hoch zu Roß hineinstellen.

Zu dieser Stunde befanden sich also im Louvre nur die erlauchtesten Persönlichkeiten des Reichs. Die Königin Elisabeth von Österreich und ihre Schwiegermutter Katharina von Medici saßen in der linken Kaminecke. In der anderen Ecke heuchelte, in seinem Sessel vergraben, der König eine Apathie, die mit Verdauung begründet werden konnte: er hatte als ein Fürst gegessen, der von der Jagd zurückkehrte. Vielleicht wollte er auch vom Sprechen Abstand nehmen in Gegenwart so vieler Menschen, die seine Gedanken bespähten. Die Höflinge standen barhäuptig aufrecht im Grunde des Saals. Die einen plauderten mit leiser Stimme, die anderen beobachteten den König, indem sie einen Blick oder ein Wort von ihm erwarteten. Von der Königin-Mutter gerufen, unterhielt sich ein anderer mit ihr. Wieder ein anderer wagte Karl dem Neunten ein Wort zu sagen, der mit einem Kopfnicken oder einer knappen Äußerung antwortete. Ein deutscher Edelmann, der Graf von Solern, stand hoch aufgereckt in der Kaminecke bei Karls des Fünften Enkelin, die er nach Frankreich begleitet hatte. Bei der jungen Königin saß auf einem Tabouret ihre Ehrendame, die Gräfin von Fiesko, die als eine Strozzi Katharinas Verwandte war. Die schöne Frau von Sauves, eine Nachfahrin von Jacob Coeur, die nacheinander des Königs von Navarra, des Königs von Polen und des Herzogs von Alençon Geliebte wurde, war zum Abendessen eingeladen gewesen; doch war sie zum Stehen genötigt: ihr Gatte war nur Staatssekretär. Hinter diesen beiden Damen plauderten die beiden Gondis mit ihnen. Sie als die einzigen lachten in dieser düsteren Gesellschaft. Gondi, der Herzog von Retz und Kammerjunker geworden war, nachdem er den Marschallstab erlangt hatte, ohne jemals ein Heer befehligt zu haben, war beauftragt gewesen, die Königin zu Speyer an Königs Statt zu heiraten. Solche Gunst beweist zur Genüge, daß er wie sein Bruder zu der kleinen Zahl derer gehörte, denen die beiden Königinnen und der König gewisse Vertraulichkeiten durchgehen ließen. Auf des Königs Seite bemerkte man in erster Linie den Marschall von Tavannes, der geschäftehalber an den Hof gekommen war, Neufville von Villeroy, einer der geschicktesten Unterhändler jener Zeiten, mit welchem das Glück seiner Familie anhub, und die Herrn von Birago und Chiverni, der eine die Kreatur der Königin-Mutter, der andere Kanzler von Anjou und Polen, der, um Katharinas Vorliebe wissend, sich an Heinrich den Dritten gehängt hatte, jenen Bruder, den Karl der Neunte für seinen Feind hielt. Ferner waren da Strozzi, der Königin-Mutter Vetter, und endlich einige Edelleute, unter denen der alte Kardinal von Lothringen und sein Neffe, der junge Herzog von Guise, hervorstachen, welche beide von Katharina und dem Könige in gewissem Abstande gehalten wurden. Diese beiden Häupter der heiligen Union, die später die Liga genannt ward und die vor einigen Jahren im Einvernehmen mit Spanien gegründet worden war, trugen die Unterwürfigkeit jener Diener zur Schau, die auf die Gelegenheit warten, die Herren zu werden: Katharina und Karl der Neunte beobachteten sie mit gleicher Aufmerksamkeit.

Bei dieser Cour, die ebenso düster war wie der Saal, in dem sie abgehalten wurde, hatte jeder seine Gründe, traurig zu sein oder zu träumen. Die junge Königin war die Beute der Eifersuchtsqualen und verbarg sie schlecht, indem sie scheinbar ihrem Gatten zulächelte, den sie als frommes und anbetungswürdig gutes Weib leidenschaftlich liebte. Marie Touchet, Karls des Neunten einzige Geliebte, welcher er ritterlich treu blieb, war vor mehr denn einem Monde aus Schloß Fayet in der Dauphiné zurückgekehrt, wo sie ihre Niederkunft abgewartet hatte. Sie brachte Karl dem Neunten den einzigen Sohn mit, den er besessen, Karl von Valois, der erst Graf von Auvergne, dann Herzog von Angoulême wurde. Außer dem Kummer, ihre Rivalin dem Könige einen Sohn schenken zu sehen, während sie nur eine Tochter hatte, verspürte die arme Königin die Demütigungen einer plötzlichen Vernachlässigung. Während seiner Geliebten Abwesenheit hatte der König sich seinem Weibe mit einem Überschwange genähert, welchen die Historie lügnerischer Weise als eine seiner Todesursachen ausposaunte. Marie Touchets Rückkehr lehrte die fromme Österreicherin also, welch geringen Anteil das Herz bei ihres Gatten Liebe besessen hatte. Das war nicht die einzige Enttäuschung, welche die Königin bei dieser Gelegenheit erlebte: bislang hatte sie Katharina von Medici für ihre Freundin gehalten, jetzt aber hatte ihre Schwiegermutter aus Politik diesen Verrat begünstigt, indem sie es vorzog, lieber des Königs Geliebten als des Königs Weibe zu dienen. Und das aus folgender Ursache:

Als Karl der Neunte seine Leidenschaft zu Marie Touchet beichtete, zeigte Katharina sich dem Mädchen aus Gründen, die sich auf das Interesse ihrer Herrschaft stützten, günstig gesinnt. Sehr jung an den Hof geworfen, langte Marie Touchet dort zu jener Lebensperiode an, wo schöne Gefühle in Blüte stehen: sie betete den König um seiner selbst willen an. Erschreckt über den Abgrund, in welchen der Ehrgeiz die Herzogin von Valentinois (die bekannter ist unter dem Namen Diana von Poitiers) gestürzt hatte, hegte sie zweifelsohne Angst vor der Königin Katharina und zog ein stilles Glück dem Glanze vor. Vielleicht urteilte sie, daß zwei so junge Liebende wie sie und der König nicht wider die Königin-Mutter zu kämpfen vermöchten. Im übrigen war Marie Touchet, einzige Tochter des Johann Touchet, Herrn von Beauvais und du Quillard, königlichen Rats und Statthalters der Orleanser Ballei, da sie zwischen Bürgertum und niedrigem Adel stand, weder vollkommen adlig noch völlig bürgerlich und konnte nicht wissen, nach welchem Ende der angeborene Ehrgeiz der Pisseleu und der Saint-Vallier zielte, die als vornehme Mädchen mit den heimlichen Waffen der Liebe für ihre Familien stritten. Marie Touchet stand allein, hatte keine Familie und ersparte es Katharinen von Medici, in ihres Sohnes Geliebten einem Mädchen aus großem Hause zu begegnen, die sich wie eine Nebenbuhlerin würde aufgeführt haben. Johann Touchet war einer der Schöngeister der Zeit, dem manche Dichter ihre Werke widmeten, und wollte nichts bei Hofe vorstellen. Marie, ein junges Mädchen ohne Anhang, das ebenso geistreich und unterrichtet, wie einfach und naiv war, dessen Wünsche der königlichen Macht gegenüber harmlos sein mußten, paßte der Königin-Mutter durchaus, die ihr denn auch die größte Liebe entgegenbrachte. Tatsächlich ließ Katharina den Sohn, welchen Marie Touchet im Aprilmonate geboren hatte, vom Parlament anerkennen und erlaubte, daß er den Namen Graf von Auvergne annahm, indem sie Karl den Neunten wissen ließ, daß sie ihm ihre Grundeigentümer, die Grafschaften Auvergne und Lauraguais, testamentarisch hinterlassen würde. Später, als Margarete, die anfängliche Königin von Navarra, Königin von Frankreich ward, focht sie diese Schenkung an und das Parlament annullierte sie; noch später aber entschädigte Ludwig der Dreizehnte aus Ehrfurcht vor dem Blute der Valois den Grafen von Auvergne mit dem Herzogtume Angoulême. Der Marie Touchet, die nichts verlangte, hatte Katharina bereits die Herrschaft Belleville zum Geschenk gemacht. Das war ein titelloser Besitz in nächster Nähe von Vincennes, wohin die Geliebte sich begab, wenn der König nach der Jagd im Schlosse schlief. In dieser düsteren Festung brachte Karl der Neunte den größten Teil seiner letzten Tage zu, und einigen Schriftstellern nach endigte er dort sein Leben, wo Ludwig der Zwölfte seines begonnen hatte. Wiewohl es sehr natürlich für einen so ernstlich verliebten Liebhaber war, an eine vergötterte Frau neue Liebesbeweise zu verschwenden, wenn es legitime Treulosigkeit wettzumachen gilt, vertrat Katharina, nachdem sie ihren Sohn in der Königin Bett gestoßen hatte, Marie Touchets Sache, wie die Frauen etwas zu betreiben pflegen, und warf den König in seiner Geliebten Arme zurück. Alles, was Karl den Neunten außerhalb der Politik beschäftigte, ging von Katharina aus. Die guten Absichten, die sie für dies Kind bekundete, täuschten Karl den Neunten noch einen Augenblick; bald aber fing er an, in ihr eine Feindin zu sehen. Die Gründe, welche Katharinen von Medici in diese Angelegenheit handelnd eingreifen ließen, entgingen also Donna Isabels Blicken, die nach Brantômes Urteil eine der sanftesten Königinnen war, die jemals regiert haben, die niemandem wehe tat oder Unannehmlichkeiten bereitete und selbst ›ihre Gebete im geheimen las‹. Diese lautere Fürstin sah allmählich die Abgründe, die um einen Thron herum klaffen; und das war eine furchtbare Entdeckung, die ihr wohl einigen Schwindel bereiten konnte. Noch schrecklicheren mußte sie späterhin empfunden haben; denn als eine ihrer Damen bei des Königs Tode äußerte, daß sie, wenn sie einen Sohn hätte, jetzt Königin-Mutter und Regentin sein würde, konnte sie antworten:

»Ach, loben wir Gott, daß er mir keinen Sohn geschenkt. Was würde sonst geschehen? Dem armen Kinde hätte man alles genommen, wie man ja auch dem Könige, meinem Gatten, alles nehmen wollte; und ich wäre die Ursache dazu gewesen . . . Gott hat Mitleid mit dem Staate gehabt und hat alles zum Besten gekehrt.«

Diese Fürstin, deren Gemälde Brantôme geliefert zu haben meint, wenn er sagt, daß sie eine sehr angenehme und ebenso schöne und zarte Gesichtsfarbe besaß wie die Damen ihres Hofes, daß sie, obwohl sie von mittlerer Größe war, eine sehr schöne Figur hatte, stellte bei Hofe wenig vor. Da aber des Königs Zustand ihr erlaubte, sich ihrem doppelten Schmerze hinzugeben, verstärkte ihr Gebaren die düstere Farbe des Gemäldes, dem eine junge Königin, die minder grausam als sie getroffen gewesen wäre, lichte Farben hätte verleihen müssen. Die fromme Elisabeth spürte in diesem Augenblicke, daß Eigenschaften, welche Frauen gewöhnlichen Standes in hellstes Licht setzen, einer Souveränin verhängnisvoll werden können. Eine Fürstin, welche nachts über mit anderen Dingen als ihren Gebetbüchern beschäftigt gewesen wäre, würde für Karl den Neunten eine nützliche Zuflucht bedeutet haben, der weder an seiner Frau noch an seiner Geliebten eine Stütze fand.

Was die Königin-Mutter anlangte, so beschäftigte sie sich mit dem Könige, der während des Essens von heiterster Laune gewesen war, die sie als erzwungen erkannte und die einen wider sie geschmiedeten Plan verbergen mußte. Solch plötzliche Ausgelassenheit stach zu lebhaft von der Anspannung der geistigen Kräfte ab, die er nur schwer hinter seiner ewigen Jagdleidenschaft und der wahnsinnigen Arbeit am Schmiedeofen verbarg, wo er Eisen zu ziselieren liebte, als daß Katharina sich dadurch hätte täuschen lassen. Ohne erraten zu können, welcher Staatsmann sich zu solchen Unterhandlungen und Vorbereitungen hergäbe, denn Karl der Neunte führte die mütterlichen Spione auf falsche Spuren, zweifelte Katharina nicht daran, daß sich irgendein Plan gegen sie vorbereite. Kraft ihrer Kombinationen stand Katharina über allen Zufälligkeiten; gegen plötzliche wilde Gewalt aber vermochte sie nichts. Da viele Leute nichts von dem Zustande wissen, in dem sich die Angelegenheiten befanden, die durch die verschiedenen Parteien, welche Frankreich in Aufregung hielten, so kompliziert wurden – verfolgten deren Häupter doch ihre besonderen Interessen – muß man notgedrungen mit wenigen Worten die gefährliche Krise schildern, in welche die Königin-Mutter geraten war. Katharina von Medici hier in einem neuen Lichte zeigen, hieße übrigens den Kernpunkt dieser Novelle vorwegnehmen. Zwei Worte erklären das Wollen dieser Frau, die zu studieren so anziehend ist, und deren Einfluß so starke Spuren in Frankreich hinterließ. Diese beiden Worte heißen Herrschaft und Astrologie. Maßlos ehrgeizig wie sie war, besaß Katharina von Medici keine andere Leidenschaft als die der Macht. Abergläubisch und fatalistisch, gleich anderen hervorragenden Menschen, glaubte sie aufrichtig nur an die okkulten Wissenschaften. Läßt man dies beides außer acht, bleibt sie immer unbegreiflich. Wenn man ihrem Glauben an die Astrologie den Vortritt läßt, fällt das Licht auf die beiden philosophischen Persönlichkeiten dieser Novelle.

Einen Mann gab es, von dem Katharina mehr hielt als von ihren Kindern, dieser Mann war Kosmus Ruggieri. Er hauste in ihrem Hotel Soissons, sie hatte ihn zu ihrem ersten Berater gemacht, der beauftragt war, ihr zu melden, ob die Gestirne Ansichten und gesunden Menschenverstand ihrer üblichen Ratgeber gut hießen. Interessante Präzedenzfälle rechtfertigten die Herrschaft, welche Ruggieri bis zum letzten Augenblick über seine Herrin ausübte.

Einer der weisesten Männer des sechzehnten Jahrhunderts war sicherlich der Arzt Lorenzos von Medici, des Herzogs von Urbino und Katharinas Vaters. Dieser Arzt ward Ruggiero der Alte genannt (vecchio Ruggier und Roger der Alte hieß er bei den französischen Schriftstellern, die sich mit Alchemie befaßten), um ihn von seinen beiden Söhnen, von Lorenz Ruggiero, welcher von kabbalistischen Schriftstellern der Große genannt wird, und von Kosmus Ruggiero, Katharinas Astrologen, zu unterscheiden, der bei mehreren französischen Historikern ebenfalls Roger heißt. Gebräuchlicher ist es geworden sie Ruggieri zu nennen, wie man Katharina auch besser von Medicis statt von Medici nennt. Ruggieri der Alte also war so angesehen im Hause Medici, daß die beiden Herzöge Kosmus und Lorenz Paten seiner beiden Kinder wurden. Zusammen mit dem berühmten Mathematiker Bazile stellte er in seiner Eigenschaft als Mathematiker, Astrolog und Arzt des Hauses Medici – drei Berufe, die oft Hand in Hand gingen, – Katharinas Nativitätsthema. Zu jener Epoche wurden die okkulten Wissenschaften mit einem Eifer gepflegt, der die ungläubigen Gemüter unseres so außergewöhnlich analytischen Jahrhunderts überraschen mag. Vielleicht werden sie in dieser historischen Skizze den Keim der positiven Wissenschaften aufgehen sehen, die im neunzehnten Jahrhundert ohne die poetische Größe erblühten, welche die kühnen Sucher des sechzehnten Jahrhunderts hineintrugen; denn statt Industrie zu treiben, erhöhten sie die Kunst und befruchteten sie den Gedanken. Der jenen Wissenschaften von den Herrschern jener Zeiten gewährte allgemeine Schutz wurde übrigens durch die wunderbaren Schöpfungen der Erfinder gerechtfertigt, die von der Erforschung des »großen Werkes« ausgingen, um zu erstaunlichen Ergebnissen zu gelangen. Auch waren die Souveräne niemals begieriger auf solche Geheimnisse als zu den Zeiten. Die Fugger, welche jeder Lucullus von heute als seine Fürsten anerkennt und die Bankiers als ihre Lehrer erachten, waren gewißlich schwer zu überrumpelnde Kalkulatoren; diese Männer aber, welche die Kapitalien Europas den ebensosehr wie heutzutage in Schulden erstickenden Herrschern des sechzehnten Jahrhunderts liehen, diese berühmten Wirte Karls des Fünften steckten ihre Gelder in des Paracelsus Schmelzöfen.

Zu Anbeginn des sechzehnten Jahrhunderts war Ruggieri der Alte Haupt jener Geheimuniversität, aus der die Cardanus, die Nostradamus und die Agrippa, die der Reihe nach Ärzte der Valois waren, kurz alle die Astronomen, Astrologen und Alchemisten hervorgingen, welche die Fürsten der Christenheit zu jener Epoche umgaben und die in Frankreich hauptsächlich von Katharina von Medici an den Hof gezogen und beschützt wurden. In dem Nativitätsthema, das Bazile und Ruggieri der Alte stellten, wurden die hauptsächlichsten Ereignisse in Katharinas Leben mit einer Exaktheit vorausgesagt, welche die Verneiner der okkulten Wissenschaften schier zur Verzweiflung bringen müßte. Das Horoskop kündigte die Unglücksfälle, die während der Florentiner Belagerung den Beginn ihres Lebens signalisierten, ihre Heirat mit einem Sohne Frankreichs, die unerwartete Thronbesteigung dieses Prinzen, die Geburt ihrer Kinder und deren Zahl an. Drei ihrer Söhne sollten jeder seinerseits König werden, zwei Töchter sollten Königinnen sein und alle ohne Nachkommenschaft sterben. Diese Voraussage verwirklichte sich in jeder Beziehung, und viele Historiker haben daher geglaubt, sie sei hinterdrein aufgestellt worden.

Jedweder weiß, daß Nostradamus ins Schloß zu Chaumont, wohin sich Katharina nach la Renaudies Verschwörung begab, eine Frau brachte, welche die Gabe besaß in der Zukunft lesen zu können. Unter Franz des Zweiten Regierung nun, als die Königin ihre vier Söhne noch in zartem Alter und bei bester Gesundheit sah, vor Elisabeths von Valois Heirat mit Philipp dem Zweiten, dem Spanierkönige, vor der Margaretas von Valois mit Heinrich von Bourbon, dem Könige von Navarra, bestätigten Nostradamus und seine Freundin die Umstände des berühmten Horoskops.

Diese zweifellos mit dem zweiten Gesichte begabte Person, die der großen Schule der unermüdlichen »Sucher des großen Werkes« angehörte und deren Privatleben geschichtlich nicht bekannt ward, bestätigte, daß das letzte gekrönte Kind durch Mord endigen würde. Nachdem die Zauberin die Königin vor einen Zauberspiegel gesetzt hatte, worin sich ein Rad widerspiegelte, von dessen Zacken sich je eines Kindes Bild abhob, setzte sie das Rad in Bewegung und die Königin zählte die Zahl der Drehungen, die es machte. Jede Drehung war für jedwedes Kind ein Regierungsjahr. Der auf das Rad gesteckte Heinrich der Vierte machte zweiundzwanzig Drehungen. Dies Weib (manche Autoren machen einen Mann aus ihr) sagte der erschreckten Königin, daß Heinrich von Bourbon tatsächlich französischer König werden und all die Zeit regieren würde. Seit der Zeit, wo sie hörte, daß er nach dem letzten ermordeten Valois den Thron besteigen würde, verfolgte Katharina die Béarnaisen mit tödlichem Hasse. Als sie neugierigerweise ihre eigene Todesart wissen wollte, wurde ihr gesagt, sie solle sich vor Saint-Germain hüten. Da sie meinte, sie würde im Schlosse von Saint-Germain eingesperrt werden oder gewaltsam sterben, setzte sie seit dem Tage keinen Fuß mehr hinein, wiewohl dies Schloß wegen seiner Nähe bei Paris viel besser für all ihre Pläne taugte als alle anderen, wohin sie sich während der Wirren mit dem Könige flüchtete. Als sie einige Tage nach des Herzogs von Guise Ermordung auf der Ständeversammlung zu Blois krank wurde, fragte sie nach dem Namen des ihr Beistand leistenden Prälaten. Man sagte ihr, er heiße Saint-Germain.

»Ich bin verloren!« schrie sie.

Anderen Morgens starb die Königin, nachdem sie übrigens die Zahl der Lebensjahre erreicht hatte, die ihr alle ihre Horoskope zubilligten.

Diese Voraussage – sie war dem Kardinal von Lothringen bekannt, und er hielt sie für Zauberei – verwirklichte sich heute. Franz der Zweite hatte nur seine beiden Raddrehungen regiert und Karl der Neunte vollendete in diesem Augenblick seine letzte Drehung. Wenn Katharina ihrem nach Polen aufbrechenden Sohne Heinrich die seltsamen Worte: »Ihr werdet bald wiederkommen«, zurief, muß man sie ihrem Glauben an die okkulten Wissenschaften und nicht ihrem Plane, Karl den Neunten vergiften zu wollen, zuschreiben.

Margarete von Frankreich war Königin von Navarra, Elisabeth Spanierkönigin und der Herzog von Anjou König von Polen.

Viele andere Umstände bestärkten Katharinen in ihrem Glauben an die okkulten Wissenschaften. Am Abend vor dem Turniere, auf welchem Heinrich der Zweite tödlich verwundet ward, sah Katharina diesen verhängnisvollen Lanzenstoß im Traume. Ihr astrologischer Rat, der sich aus Nostradamus und den beiden Ruggieri zusammensetzte, hatte ihr des Königs Tod vorausgesagt. Die Historie weiß von den inständigen Bitten zu berichten, die Katharina tat, um Heinrich den Zweiten zu verpflichten, nicht in die Schranken zu gehen. Die Vorhersagung und der durch die Vorhersagung erzeugte Traum gingen in Erfüllung. Die Memoiren der Zeit berichten ein nicht minder seltsames Ereignis. Der Kurier, der den Sieg von Montcontour meldete, langte zur Nachtzeit an, nachdem er so wild drauflosgeritten war, daß drei Pferde tot unter ihm zusammengebrochen waren. Man weckte die Königin-Mutter, die da erklärte: Ich wußte es. Tatsächlich hatte sie am Vorabend, sagt Brantôme, ihres Sohnes Triumph und einige Einzelheiten der Schlacht geschildert. Der Astrolog des Hauses Bourbon erklärte, daß der Nachfahre so vieler, vom heiligen Ludwig abstammenden Fürsten, daß Anton von Navarras Sohn König von Frankreich sein würde. Diese von Sully überlieferte Vorhersagung ging genau nach den Terminen des Horoskops in Erfüllung, was Heinrich den Vierten zu dem Ausspruch hinriß, daß diese Leute mit ihren vielen Lügen manchmal auch die Wahrheit träfen.

Wie dem auch sein möge, wenn die meisten klugen Köpfe jener Zeit an die von den Meistern der Astrologie Magie und vom Publikum Zauberei genannte vielseitige Wissenschaft glaubten, so wurden sie durch die Erfolge der Horoskope dazu ermächtigt. Für Kosmus Ruggieri, ihren Mathematiker, ihren Astronomen, ihren Zauberer, wenn man will, ließ Katharina die an die Getreidehalle sich anlehnende Säule errichten, die einzige Spur, welche vom Hotel Soissons übrigblieb. Kosmus Ruggieri besaß wie die Beichtiger einen geheimnisvollen Einfluß, mit dem er sich wie jene zufrieden gab. Er nährte übrigens einen geistigen Ehrgeiz, welcher dem gewöhnlichen Ehrgeiz sehr überlegen ist. Dieser Mann, den die Romanschriftsteller und Dramenschreiber als einen Taschenspieler schildern, besaß die reiche Abtei Saint-Mahé in der Niederbretagne und hatte hohe geistliche Würden abgelehnt. Das Gold, das ihm die abergläubischen Leidenschaften jener Epoche in Fülle zuwendeten, genügte ihm für sein heimliches Unterfangen, und der Königin Hand, die über seinem Haupte ausgestreckt war, sorgte dafür, daß ihm auch nicht ein Haar gekrümmt ward.

Was den Durst nach Herrschaft anlangt, der Katharinen verzehrte, so war ihre Lust, Macht zu erobern, so groß, daß sie sich, um sie zu erhaschen, mit den Guisen, des Thrones Feinden, verbündete. Und um die Staatszügel in der Hand zu behalten, benutzte sie jedes Mittel, indem sie ihre Freunde, ja selbst ihre Kinder opferte. Diese Frau konnte nur in Herrscherintrigen leben, wie ein Spieler nur in den Aufregungen des Spieles lebt. Wiewohl sie Italienerin und der wollüstigen Familie der Medici entsprossen war, konnten die Calvinisten, die sie so sehr verleumdet haben, nicht einen einzigen Liebhaber bei ihr entdecken. Als eine Bewunderin der Maxime: Trennen, um zu regieren, hatte sie seit zwölf Jahren gelernt, ständig eine Macht der anderen entgegenzustellen. Sobald sie den Staatszügel in die Hand nahm, sah sie sich gezwungen Zwietracht zu unterhalten, um die Kräfte der beiden rivalisierenden Häuser zu neutralisieren und die Krone zu retten. Dies notwendige System hat Heinrichs des Zweiten Weissagung gerechtfertigt. Katharina erfand jenes politische Schaukelspiel, das seitdem von allen sich in ähnlicher Lage befindlichen Fürsten nachgeahmt wurde; sie stellte nacheinander die Calvinisten den Guisen und die Guisen den Calvinisten entgegen. Nachdem sie die beiden Religionen einander im Herzen der Nation sich hatte befehden lassen, stellte Katharina den Herzog von Alençon Karl dem Neunten entgegen. Nachdem sie die Dinge einander den Fehdehandschuh hatte hinwerfen lassen, hetzte sie die Menschen aufeinander, indem sie die Knoten all ihrer Interessen in den Händen behielt. Bei solch einem Spiele aber, das den Kopf eines Ludwigs des Elften oder eines Ludwigs des Achtzehnten verlangte, zieht man sich unabwendbar den Haß aller Parteien zu. Man verdammt sich dazu, immer siegen zu müssen, denn eine einzige verlorene Schlacht macht einem alle Interessen zu Feinden; freilich findet man beim ewigen Gewinnen schließlich keine Mitspieler mehr. Der größte Teil der Herrschaft Karls des Neunten war der Triumph der häuslichen Politik dieses erstaunlichen Weibes. Wieviel List mußte Katharina nicht aufbieten, um den Befehl über die Heere dem Herzog von Anjou zuzuschieben unter einem jungen tapferen, ruhmgierigen, fähigen und edelmütigem Könige und angesichts des Kronfeldherrn Anne von Montmorency! In den Augen der Politiker Europas hatte der Herzog von Anjou die Ehre der Bartholomäusnacht, während Karl der Neunte alles, was schimpflich an ihr war, einstecken mußte. Nachdem sie dem Könige eine blinde und heimliche Eifersucht wider seinen Bruder eingeflößt hatte, bediente sie sich dieser Eifersucht, um Karl des Neunten große Eigenschaften in den Intrigen einer bürgerlichen Rivalität abzustumpfen. Cypierre, der erste Gouverneur, und Amyot, Karls des Neunten Lehrer, hatten aus ihrem Schüler einen so großen Menschen gemacht, hatten eine so schöne Regierung vorbereitet, daß die Mutter vom ersten Tage an, wo sie die Macht zu verlieren fürchtete, nachdem sie sie so mühselig errungen, einen Haß auf ihren Sohn warf. Auf diese Gegebenheiten hin haben die meisten Historiker an irgendwelche Vorliebe der Königin-Mutter für Heinrich den Dritten geglaubt; das Benehmen aber, das sie in diesem Augenblicke an den Tag legte, beweist die völlige Gefühllosigkeit ihres Herzens gegen ihre Kinder. Als der Herzog von Anjou nach Polen reiste, um seine Regierung anzutreten, beraubte sie sich des Werkzeuges, dessen sie bedurfte, um Karl den Neunten durch jene häuslichen Kabalen in Atem zu halten, die bis dato seine Energie unwirksam gemacht hatten, indem sie seinen maßlosen Gefühlen Nahrung bot. Dann ließ Katharina la Moles und Coconnas Verschwörung schmieden, in welche sie den Herzog von Alençon verstrickte, der, durch seines Bruders Regierungsantritt Herzog von Anjou geworden, sich in willigster Weise für seiner Mutter Absichten hergab, indem er einen Ehrgeiz entfaltete, zu dem ihn seine Schwester Margarete, die Königin von Navarra, ermutigte. Diese Verschwörung war damals bis zu dem Punkte gediehen, wo sie Katharina haben wollte. Ihr Ziel war, den jungen Herzog und seinen Schwager, den König von Navarra, an die Spitze der Calvinisten zu stellen, sich Karls des Neunten zu bemächtigen und diesen erbenlosen König gefangen zu halten. Er sollte so die Krone dem Herzog überlassen, dessen Absicht dahin ging, den Calvinismus in Frankreich durchzusetzen. (Einige Tage vor seinem Tode hatte Calvin die Belohnung erhalten, die sein Ehrgeiz so sehr ersehnte: er sah, daß die Reformation sich ihm zu Ehren Calvinismus nannte.) Wenn le Laboureur und die urteilsfähigsten Schriftsteller nicht schon bewiesen hätten, daß la Mole und Coconnas, die fünfzig Tage nach der Nacht, mit welcher diese Geschichte anhebt, verhaftet und im folgenden Aprilmonde enthauptet wurden, die Opfer der Politik der Königin-Mutter waren, würde die Teilnahme des Kosmus Ruggieri an dieser Affaire genügen, um den Gedanken zu erwecken, daß sie beider Unternehmen heimlich lenkte. Dieser Mann, gegen den der König viel Argwohn und Haß hegte, dessen Gründe hier genugsam erörtert werden sollen, ward in den Prozeß verwickelt. Er räumte ein, la Mole eine den König darstellende Figur verschafft zu haben, deren Herz von zwei Nadeln durchbohrt war. Diese Art der ›Behexung‹ stellte zu jenen Zeiten ein Verbrechen dar, worauf Todesstrafe stand. Das Wort Behexung deutet eines der gräßlichsten höllischen Bilder an, die der Haß auszumalen vermag; wunderbar erklärt es übrigens die magnetische und schreckliche Operation, nach der in der okkulten Welt ein ständiges Verlangen herrscht, womit sie die so dem Tode geweihte Persönlichkeit umkreist, deren Wachsbild ständig an die erhofften Wirkungen erinnert. Die damalige Justiz dachte mit Recht, daß ein verkörperter Gedanke ein Majestätsverbrechen bedeute. Karl der Neunte verlangte des Florentiners Tod, aber die mächtigere Katharina setzte beim Parlamente vermittelst des Rates Lecamus durch, daß ihr Astrolog nur zur Galeere verurteilt ward. Als der König tot war, wurde Kosmus Ruggieri durch einen Befehl Heinrichs des Dritten begnadigt, der ihn auch wieder in Genuß seiner Pensionen setzte und ihn bei Hofe empfing.


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