Honoré de Balzac
Katharina von Medici
Honoré de Balzac

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Kardinal und Herzog zogen sich zurück, indem sie die beiden Königinnen und den König verließen. Als er durch den Wachensaal schritt, den er von neuem durchquerte, um in den Conseilsaal zu gehen, sagte der Großmeister zum Türhüter, er solle ihm den Kürschner der Königin vorführen. Als Christoph diesen Türhüter, den er seinem Anzuge nach für eine hohe Persönlichkeit hielt, von einem Ende des Wachensaales zum anderen auf sich zukommen sah, versagte sein Herz. Diese beim Nähern des kritischen Momentes so natürliche Erregung ward furchtbar, als der Türhüter, dessen Bewegung das Resultat hatte, daß die Augen der ganzen glänzenden Gesellschaft sich auf Christoph, auf seine armselige Miene und seine Pakete richteten, zu ihm sagte: »Die erlauchten Herren, der Kardinal von Lothringen und der Großmeister, entbieten Euch, um mit Euch zu reden, in den Conseilsaal.« Sollte man mich verraten haben? fragte sich der gebrechliche Gesandte der Reformierten.

Mit niedergeschlagenen Augen folgte Christoph dem Türhüter; auf schlug er sie erst wieder, als er sich in dem riesigen Ratsaale befand, dessen Ausdehnung fast die gleiche ist wie die des Wachensaales.

Die beiden lothringischen Fürsten standen dort allein und aufrecht vor dem prächtigen Kamin, der an den stieß, an welchem im Wachensaale sich die Hofdamen der beiden Königinnen aufhielten.

»Du kommst aus Paris; welchen Weg hast du denn eingeschlagen?« sagte der Kardinal zu Christoph.

»Ich bin zu Wasser gekommen, Monseigneur«, antwortete der Reformierte.

»Wie bist du denn in Blois hineingekommen?« fragte der Großmeister.

»Durch den Hafen, Monseigneur.«

»Niemand hat dich beunruhigt?« fragte der Herzog, der den jungen Menschen unaufhörlich prüfte.

»Nein, gnädiger Herr, dem ersten Soldaten, der Miene machen wollte mich festzunehmen, sagte ich, ich käme im Dienste der beiden Königinnen, deren Kürschner mein Vater sei.«

»Was gab's denn in Paris?« fragte der Kardinal.

»Man forschte immer noch nach dem, der den Mord an dem Präsidenten Minard beging.«

»Bist du nicht der Sohn von meines Chirurgen bestem Freunde?« forschte der Herzog getäuscht von der Offenherzigkeit, die Christoph, als sich seine Verwirrung einmal gelegt hatte, bezeigte.

»Ja, Monseigneur.«

Der Großmeister ging hinaus, hob schnell die Portiere auf, welche die Doppeltüre des Conseilsaales verbarg, und zeigte sein Gesicht jener ganzen Audienz, in deren Mitte er des Königs ersten Chirurgen suchte. Ambrosius, der aufrecht in einem Winkel stand, wurde durch den Blick getroffen, welchen der Herzog auf ihn warf, und trat zu ihm. Ambrosius, der bereits der reformierten Religion zuneigte, trat schließlich zu ihr über; die Freundschaft der Guisen aber und die der Könige von Frankreich bewahrte ihn vor all den Unglücksfällen, welche die Reformierten trafen. Der Herzog, der sich Ambrosius Paré für sein Leben verpflichtet fühlte, hatte ihn seit einigen Tagen zu des Königs erstem Chirurgen ernennen lassen.

»Was wünscht Ihr, gnädiger .Herr?« sagte Ambrosius. »Sollte der König krank sein? Ich möcht's schier glauben.«

»Warum?«

»Die Königin ist zu hübsch«, erwiderte der Chirurg.

»Ach«, machte der erstaunte Herzog. »Dennoch handelt es sich nicht darum«, fuhr er nach einer Pause fort. »Ich will dich deiner Freunde einen sehen lassen, Ambrosius«, sagte er, ihn auf die Türschwelle des Conseilgemachs führend und auf Christoph weisend.

»Ach, das ist wahr, gnädiger Herr«, schrie der Chirurg, Christoph die Hand entgegenstreckend.

»Wie geht's deinem Vater, mein Junge?«

»Gut, Meister Ambrosius«, antwortete Christoph.

»Und was willst du bei Hofe machen?« sagte der Chirurg; »dein Amt ist's doch nicht, Pakete zu tragen; dein Vater bestimmt dich doch für die Rechtsverdrehung. Suchst du den Schutz der beiden großen Fürsten hier, um Advokat zu werden?«

»O mein Gott, ja,« sagte Christoph, »doch in meines Vaters Interessen. Und wenn Ihr für uns eintreten könnt, so verbindet Euch mit uns,« erklärte er, eine klägliche Miene aufsteckend, »um von dem gnädigen Herrn Großmeister einen Zahlungsbefehl für die Summen zu erwirken, die meinem Vater geschuldet werden; weiß er doch nicht, wie er sich über Wasser halten soll.«

Der Kardinal und der Großmeister blickten sich an und schienen befriedigt.

»Verlaßt uns jetzt«, erklärte der Großmeister, indem er Ambrosius ein Zeichen machte. – »Und Ihr, mein Freund,« sagte er zu Christoph, »erledigt schnell Eure Angelegenheiten und kehret nach Paris zurück. Mein Sekretär wird Euch einen Paß geben, denn, potzblitz, auf den Straßen wird's nicht geheuer sein.«

Keiner der beiden Brüder argwöhnte auch nur im entferntesten die schweren Interessen, die auf Christoph lasteten, nachdem sie sich einmal vergewissert hatten, daß er bestimmt der Sohn des guten Katholiken Lecamus, des Hofkürschners, und nur hergekommen war, um Schulden einzutreiben.

»Führ ihn in die Nähe des Gemaches der Königin, die zweifelsohne nach ihm verlangen wird«, sagte der Kardinal zum Chirurgen, auf Christoph hinweisend.

Während der Kürschnersohn sich mit seinem Verhör im Conseilsaal abzufinden hatte, ließ der König die Königin in ihrer Schwiegermutter Gesellschaft. Er selber zog sich in sein Ankleidezimmer zurück, welches man durch ein an das Gemach stoßendes Kabinett betrat.

Aufrecht in der tiefen Nische des riesigen Fensters stehend, blickte Königin Katharina in die Gärten hinunter. Traurigste Gedanken waren sie überkommen. Sie sah einen der größten Heerführer dieses Jahrhunderts unter dem schrecklichen Namen eines Reichsverwesers an diesem Morgen, jetzt im Augenblicke, neben ihren Sohn, den König, gestellt werden. Vor dieser Gefahr stand sie allein, ohne Tatkraft, verteidigungslos. Auch konnte man sie in ihrem Trauergewande, das sie seit Heinrichs des Zweiten Tode ständig trug, einem Gespenste vergleichen, so unbeweglich war ihr bleiches Antlitz vom vielen Nachsinnen. Ihr schwarzes Auge schweifte mit jener Unbestimmtheit umher, die man großen Politikern so sehr zum Vorwurf macht und die bei ihnen von der Spannweite des Blickes selber herrührt, mit welcher sie alle Schwierigkeiten umfassen, die einen durch die anderen kompensieren und alle Chancen sozusagen summieren, ehe sie zu einem Entschlusse kommen. Es brauste vor ihren Ohren, ihr Blut war in Wallung und nichtsdestoweniger blieb sie ruhig, würdig, indem sie die Tiefe des politischen Abgrundes mit dem wirklichen zu ihren Füßen verglich. Seit dem Tage der Verhaftung des Vicedoms von Chartres war dies der zweite jener schrecklichen Tage, von denen der ganze Rest ihres königlichen Lebens so reich durchsetzt ist. Aber es war dies auch ihr letzter Fehler in der Schule der Macht. Wiewohl das Zepter ihre Hände zu fliehen schien, wollte sie es fassen. Und sie faßte es zufolge jener Willensmacht, die weder durch die Verächtlichkeiten ihres Schwiegervaters, Franz des Ersten und seines Hofes, an welchem sie, obwohl sie Dauphine war, nichts gegolten hatte, noch durch die ständigen Zurückweisungen Heinrichs des Zweiten, noch durch Dianas von Poitiers, ihrer Nebenbuhlerin, gräßlichen Widerstand müde geworden war. Ein Mann würde das innere Leben dieser Königin in nichts verstanden haben, die blonde Maria aber, die so listig, so geistreich, so jung und schon so unterrichtet war, beobachtete sie aus dem Augenwinkel, indem sie anscheinend eine italienische Arie trällerte und eine sorglose Miene zeigte. Ohne die Stürme des zurückgedämmten Ehrgeizes, welche der Florentinerin einen leichten kalten Schweiß verursachten, zu begreifen, wußte die junge Schottin mit dem eigenwilligen Gesichte, daß ihres Onkels, des Herzogs von Guise, Erhebung Katharinen innerlich empörte. Nun, nichts machte ihr mehr Spaß, als ihre Schwiegermutter zu bespähen. In ihr sah sie eine Intrigantin, eine gedemütigte Emporkömmlingin, die stets rachebereit war. Der einen Antlitz war ernst und finster, auch wohl ein wenig schrecklich anzuschauen dank jener fahlen Italienerinnenfarbe, die den Teint tagsüber einem gelblichen Elfenbein gleichen läßt, wenn schon er bei Kerzenschimmer wieder strahlend erscheint. Der anderen Gesicht aber war frisch und froh. Mit sechzehn Jahren hatte Maria Stuarts Kopf jenen weißen Blondinenteint, der sie so berühmt machte. Ihr edel geschnittenes, frisches, pikantes Gesicht strahlte von jener Kinderbosheit, welche durch die Regelmäßigkeit ihrer Brauen, ihre lebhaften Augen und die Schalkheit ihres hübschen Mundes so freimütig ausgedrückt ward. Sie entfaltete damals jene Grazie einer jungen Katze, die nichts, weder die Gefangenschaft, noch der Anblick ihres fürchterlichen Schafotts zu vernichten vermochte. Diese beiden Königinnen, die eine in der Morgenröte, die andere im Sommer des Lebens stehend, bildeten also den vollkommensten Kontrast. Katharina war eine imposante Königin, eine undurchdringliche Witwe, die nur eine Leidenschaft: die Macht kannte. Maria war eine Schäkerin, eine sorglose junge Frau, die ihre Kronen als Spielbälle benutzte. Die eine sah ungeheure Unglücksfälle voraus, sie mutmaßte den Mord der Guisen, indem sie erriet, daß er das einzige Mittel sein würde, Männer niederzuwerfen, die sich über Thron und Parlament zu erheben vermochten; kurz, sie ahnte die Blutströme eines langen Kampfes. Die andere dachte nicht daran, daß sie gerichtet und gemordet werden würde. Eine seltsame Erwägung verschaffte der Italienerin wieder einige Ruhe.

›Der Zauberin und Ruggieris Worten gemäß geht diese Herrschaft ihrem Ende zu, all das Lästige wird nicht von Dauer sein‹, dachte sie.

So diente, was doch seltsam ist, eine heute vergessene okkulte Wissenschaft, die Astrologie, Katharinen damals wie in ihrem ganzen Leben als Stützpunkt, denn ihr Glaube wuchs, als sie sah, daß die Vorhersagen derer, die sich dieser Wissenschaft weihten, sich mit minutiöser Genauigkeit erfüllten.

»Ihr seid recht düster, Madame ?« sagte Maria Stuart, aus Dayelles Händen jene kleine auf den Scheitel ihrer Haare gesteckte Haube nehmend, deren Flügel aus kostbarer Spitze sich um die blonden Büschel schmiegten, die ihre Schläfen einrahmten.

Der Pinsel der Maler hat diesen Kopfputz so trefflich charakterisiert, daß er ausschließlich der Königin von Schottland gehört, obwohl Katharina ihn für sich erfunden hatte, als sie für Heinrich den Zweiten Trauer anlegte. Doch verstand sie ihn nicht ebensogut wie ihre Schwiegertochter zu tragen, die er sehr viel besser kleidete. Der Groll darüber war nicht der geringste von all denen, welche die Königin-Mutter wider die junge Königin hegte.

»Soll das ein Vorwurf sein, den mir die Königin macht?« sagte Katharina, sich ihrer Schwiegertochter zuwendend.

»Ich schulde Euch Ehrfurcht und würde mir einen solchen nie herausnehmen«, erwiderte boshaft die Schottin, die Dayelle anblickte.

Zwischen beiden Königinnen verharrte die Lieblingskammerfrau, ohne eine Miene zu verziehen; ein billigendes Lächeln konnte sie das Leben kosten.

»Wie kann ich froh sein gleich Euch, nachdem ich den seligen König verloren habe und nun sehe, wie meines Sohnes Königreich in Flammen auflodern will?«

»Politik geht Frauen wenig an«, erwiderte Maria Stuart, »übrigens sind meine Oheime ja da.«

Unter den augenblicklichen Umständen waren diese beiden Worte zwei vergiftete Pfeile.

»Sehen wir doch unser Pelzwerk an, Madame,« antwortete die Italienerin voller Hohn, »damit wir uns mit unseren eigentlichen Angelegenheiten beschäftigen, während Eure Ohme die des Königreichs entscheiden.«

»Oh, wir sollen aber am Conseil teilnehmen, Madame, und wir sind dort viel nützlicher, als Ihr glaubt.«

»Wir?« sagte Katharina mit erstaunter Miene. »Aber ich verstehe doch kein Lateinisch.«

»Ihr haltet mich für gelehrt!« sagte lachend Maria Stuart. »Nun wohl, ich schwöre Euch, Madame, daß ich in diesem Augenblicke mich des Studiums befleißige, um mit den Medici auf gleicher Höhe zu stehn; denn eines Tages möchte ich des Königreichs Wunden heilen können.«

Katharina wurde von diesem Stich ins Herz getroffen, spielte er doch auf den Ursprung der Medici an, die nach den Worten der einen von einem Arzte, nach anderen Leuten von einem reichen Drogisten abstammen. Sie blieb wortlos. Dayelle errötete, als ihre Herrin sie anblickte, indem sie jenen Beifall suchte, den jedermann, selbst Königinnen, wenn Zuschauer ermangeln, von tief unter ihnen Stehenden erwarten.

»Eure bezaubernden Worte, Madame, vermögen leider weder des Staates noch der Kirche Wunden zu heilen«, antwortete Katharina mit kalter und ruhiger Würde. »Das Wissen meiner Väter von diesen Dingen hat ihnen Throne eingebracht; während Ihr, wenn Ihr so in der Gefahr zu spaßen fortfahrt, Eure verlieren könntet.«

In diesem Augenblicke öffnete Dayelle Christoph die Türe, welchen der erste Chirurg selber anmeldete.

Der Reformierte wollte Katharinas Antlitz studieren, indem er eine Verwirrung heuchelte, die an einem solchen Orte ziemlich natürlich ist. Überrascht aber ward er von der Lebhaftigkeit der Königin Maria, die nach den Kartons sprang, um ihre Schaube zu sehen.

»Madame . . .« sagte Christoph, sich an die Florentinerin wendend.

Der anderen Königin und Dayelle wandte er den Rücken zu und wollte schnell die Aufmerksamkeit, welche die beiden Frauen den Pelzsachen widmeten, benutzen, um alles zu wagen.

»Was wollt Ihr von mir?« sagte Katharina, ihm einen durchbohrenden Blick zuwerfend.

Christoph trug den vom Prinzen von Condé vorgeschlagenen Vertrag, den Plan der Reformierten und die Einzelheiten über ihre Kräfte zwischen seinem Hemd und dem tuchenen Knierock auf dem Herzen, hatte sie aber in die Rechnung eingewickelt, die Katharinas Schulden bei dem Kürschner enthielt.

»Madame,« sagte er, »mein Vater befindet sich in furchtbaren Geldverlegenheiten, und wenn Ihr geruhen wolltet einen Blick auf Eure Rechnungen zu werfen,« fügte er, das Blatt entfaltend und den Vertrag oben drauf legend, hinzu, »würdet Ihr sehen, daß Eure Majestät ihm sechstausend Taler schulden. Seid gütig und habt Mitleid mit uns. Sehet her, Madame!«

Und er streckte ihr den Vertrag hin.

»Leset. Dies hier datiert von der Thronbesteigung des verstorbenen Königs her.«

Katharina war verblüfft durch die Einleitung des Vertrages; doch verlor sie den Kopf nicht. Lebhaft rollte sie das Papier zusammen, indem sie des jungen Mannes Geistesgegenwart bewunderte. Nach diesem Meisterstreich fühlte sie, daß sie verstanden werden würde, und schlug ihn mit der Papierrolle an den Kopf.

»Recht ungeschickt seid Ihr, mein kleiner Freund, die Rechnung eher als die Pelzsachen zu präsentieren. Lernt die Frauen besser kennen. Unsere Rechnungen muß man uns immer erst in dem Momente überreichen, wo wir befriedigt sind.«

»Ist das eine Tradition?« fragte die junge Königin ihre Schwiegermutter.

Die entgegnete nichts.

»Ach, edle Frauen, entschuldigt meinen Vater«, sagte Christoph. »Wenn er kein Geld nötig hätte, würdet Ihr Eure Pelzwerke nicht bekommen haben. Die Länder stehen unter Waffen, und es war so gefährlich auf den Straßen einherzuziehen, daß es schon unserer ganzen Trostlosigkeit für mich bedurfte, um hierherzukommen. Nur ich allein wollte mich daran wagen.«

Der Bursche ist ein Original, sagte Maria Stuart lächelnd.

Zum besseren Verständnis dieser kleinen, so wichtigen Szene ist es nicht überflüssig darauf hinzuweisen, daß eine Schaube eine Art enganschließender Spenzer ist, den die Frauen über ihre Taille ziehen und der sie bis an die Hüften einhüllt, indem er ihre Umrisse hervortreten läßt. Dies Kleidungsstück schützte Rücken, Brust und Hals gegen Kälte.

Die Schauben waren innen mit Pelz gefüttert, welcher den Stoff mit einem mehr oder minder breiten Saum verbrämte. Als Maria Stuart ihre Schaube anprobierte, betrachtete sie sich in einem hohen venezianischen Spiegel, um zu sehen, wie sie von hinten wirke; so hatte sie ihrer Schwiegermutter die Möglichkeit gelassen, die Papiere, deren Umfang ohne diesen Umstand ihr Mißtrauen erregt haben würden, bequem zu überfliegen.

»Erzählt man denn jemals Frauen von den Gefahren, die man gelaufen ist, um sie zu sehen, wenn man heil und gesund vor ihnen steht?« sagte sie, sich Christoph zuwendend.

»Ach, Madame, Eure Rechnung hab ich auch bei mir«, erklärte er, sie mit gut gespielter Albernheit anschauend.

Die junge Königin maß ihn mit einem Blicke, ohne das Papier hinzunehmen, und bemerkte, ohne im Moment jedoch auch nur die mindeste Konsequenz daraus zu ziehen, daß er der Königin Katharina Rechnung aus seinem Busen gezogen hatte, während er die ihrige aus der Tasche holte. Auch sah sie ferner in dieses Burschen Augen nicht jene Bewunderung, die ihr Anblick bei jedermann erweckte. Sie war aber so sehr mit ihrer Schaube beschäftigt, daß sie sich nicht gleich fragte, woher solche Gleichgültigkeit stammen möchte.

»Nimm, Dayelle,« sagte sie zu ihrer Kammerfrau, »du sollst die Rechnung Herrn von Versailles (Loménie) geben und ihm von meiner Seite sagen, daß er sie bezahlen möge.«

»Oh, Madame, wenn Ihr mir nicht eine Zahlungsanweisung vom Könige oder von dem gnädigen Herrn Großmeister, der sich dort befindet, unterfertigen laßt, wird Euer liebenswürdiges Wort ohne Wirkung bleiben.«

»Ihr seid sehr viel kecker, als es sich für einen Untertan schickt, mein Freund«, äußerte Maria Stuart. »Königlichen Worten schenkt Ihr also keinen Glauben?«

Der König zeigte sich mit seinen seidenen Trikots, seinen Schenkelhosen, den Beinkleidern jener Zeit, bekleidet, aber ohne Wams und Mantel; er trug einen reichen samtenen Überrock, der mit Grauwerk eingefaßt war; dies Wort der modernen Sprache kann allein den Begriff von des Königs Negligé geben.

»Wer ist der Schelm, der an Eurem Worte zweifelt?« fragte der junge Franz der Zweite, welcher trotz der Entfernung seines Weibes letztes Wort hörte.

Die Kabinettür war durch das königliche Bett verdeckt. Dies Kabinett ward später ›altes Kabinett‹ genannt, um es von dem reich ausgemalten Kabinett zu unterscheiden, das Heinrich der Dritte am anderen Ende dieses Gemaches auf der Seite des Generalständesaals einrichten ließ. Heinrich der Dritte ließ die Mörder sich in dem alten Kabinett verbergen und dem Herzog von Guise sagen, daß er ihn dort aufsuchen solle, während er bei dem Morde im neuen Kabinett versteckt blieb. Das verließ er nur, um jenen kühnen Untertanen, für welchen es weder Gefängnis, noch Gericht, weder Richter noch Gesetze im Königreiche gab, verscheiden zu sehen. Ohne diese schrecklichen Umstände würde der Historiker heute die Bestimmung dieser Säle und Kabinette, die voller Soldaten sind, schwerlich wiedererkennen. Ein Feldwebelschreiber kritzelt einen Brief an seine Liebste an dem nämlichen Platze, wo einst Katharina in tiefem Sinnen sich zu ihrem Kampfe mit den Parteien entschloß.

»Kommt, mein Freund«, sagte die Königin-Mutter; »Ihr wollt bezahlt werden. Der Handel muß leben, und das Geld ist sein Hauptnerv.«

»Geht nur, mein Lieber,« rief die Königin lachend, »meine erlauchte Mutter versteht sich besser als ich auf Handelsgeschäfte.«

Katharina wollte hinausgehn, ohne auf dies neue Epigramm zu antworten, dachte aber, ihre Gleichgültigkeit möchte einen Argwohn erwecken und antwortete ihrer Schwiegertochter lebhaft:

»Und Ihr, meine Liebe, versteht Euch besser auf Liebesgeschäfte . . .«

Dann stieg sie die Treppe hinunter.

»Schließt all das weg, Dayelle. . . . Und gehn wir zum Conseil, mein Herr«, sagte die junge Königin zum König. Entzückt war sie, die so schwerwiegende Frage der Reichsverweserschaft in der Königin-Mutter Abwesenheit zur Entscheidung bringen zu können. Maria Stuart nahm den König beim Arm. Dayelle ging als erste hinaus und sagte den Pagen ein Wort. Einer von ihnen, der junge Téligny, der in der Bartholomäusnacht so elendiglich ums Leben kommen sollte, rief:

»Der König!«

Als die beiden Arkebusiere dies Wort hörten, schulterten sie ihre Büchsen und die beiden Pagen schritten voran nach dem Conseilzimmer inmitten des Spaliers, das die Höflinge und die Ehrenfräulein beider Königinnen bildeten. Alle Ratsmitglieder verfügten sich dann an die Türe dieses Saales, die sich in einer kleinen Entfernung von der Treppentür befindet. Der Großmeister, der Kardinal und der Kanzler gingen den beiden jungen Souveränen entgegen. Diese lächelten einigen jungen Damen zu oder antworteten auf die Fragen einiger Höflinge, die ihnen näherstanden als die übrigen. Die augenscheinlich aber sehr ungeduldige junge Königin zog Franz den Zweiten in den riesigen Beratungssaal. Als der dumpfe Ton der Arkebusen auf dem Estrich widerhallte und damit ankündigte, daß das Königspaar eingetreten war, setzten die Pagen ihre Mützen wieder auf den Kopf, und die privaten Unterhaltungen zwischen den Edelleuten über den Ernst der Geschäfte, die zur Erledigung kommen sollten, setzten wieder ein. »Den Kronfeldherrn wollte man durch Chiverny holen lassen, aber er hat der Aufforderung nicht Folge geleistet«, sagte einer.

Der Kanzler und Herr von Tournon waren recht sorgenvoll.

»Kein Prinz von Geblüt ist da«, bemerkte ein anderer.

»Der Großmeister hat dem Reichssiegelverwahrer sagen lassen, er solle es nicht unterlassen, sich zu diesem Conseil einzufinden, zweifelsohne wird's einige Bestallungen regnen.«

»Wie, und die Königin-Mutter bleibt unten in ihren Gemächern in solch einem Augenblick?«

»Man wird uns übel zurichten«, sagte Groslot zum Kardinal von Châtillon.

Kurz, jeder brachte ein Wort an. Die einen kamen und gingen in diesem Riesensaale, andere umflatterten die Hofdamen der beiden Königinnen, wie wenn man irgendwelche Worte durch die drei Fuß starken Mauern, durch beide Türen und die reichen Vorhänge, die sie einhüllten, aufschnappen könnte.

Oben an dem langen, mit blauem Sammet bedeckten Tisch, der sich in Saales Mitte befand, saß der König, neben ihm hatte die junge Königin Platz genommen; er wartete auf seine Mutter. Robertet schnitt seine Federn. Die beiden Kardinäle, der Großmeister, der Kanzler, der Großsiegelverwahrer, kurz die ganze Ratsversammlung blickte den kleinen König an und fragte sich, warum er nicht Befehl zum Platznehmen gäbe.

»Wird man in Abwesenheit der Frau Königin-Mutter beraten?« forschte dann der Kanzler, sich an den jungen König wendend.

Die beiden lothringischen Fürsten schrieben Katharinas Abwesenheit irgendeiner List ihrer Nichte zu. Gereizt überdies durch einen bedeutsamen Blick sagte der kühne Kardinal zum König:

»Ist es des Königs allergnädigster Wille, daß man ohne seine Frau Mutter beginne?«

Ohne eine Erklärung zu wagen, antwortete Franz der Zweite:

»Nehmet Platz, meine Herren.«

Der Kardinal setzte unverzüglich die Gefahren der Lage auseinander. Dieser große Politiker, welcher unter solchen Umständen von erstaunlicher Geschicklichkeit war, brachte inmitten des tiefen Schweigens der Anwesenden die Rede auf die Reichsverweserschaft. Zweifelsohne fühlte der junge König einen Druck und erriet, daß seine Mutter das Gefühl vom Rechte der Krone und die Kenntnis von der Gefahr besitze, worin seine Macht schwebe. Auf eine positive Frage des Kardinals antwortete er dann:

»Erwarten wir die Königin, meine Mutter.«

Verdutzt durch die unbegreifliche Verzögerung der Königin Katharina vereinigte Maria Stuart plötzlich zu einem einzigen Gedanken drei Umstände, deren sie sich lebhaft erinnerte. Zuerst den Umfang und die Dicke der ihrer Schwiegermutter präsentierten Rechnungen, was sie frappiert hatte, so zerstreut wie sie auch gewesen war. Denn ein Weib, das nichts zu sehen scheint, ist wie ein Luchs. Dann die Stelle, wo Christoph sie untergebracht hatte, um sie von den ihrigen zu trennen. ›Warum das?‹ fragte sie sich.

Endlich erinnerte sie sich des frostigen Blickes des jungen Mannes, welchen sie plötzlich dem Hasse der Protestanten wider die Guisennichte zuschrieb. Eine Stimme rief in ihr: Sollte er nicht ein Abgesandter der Hugenotten sein?

Wie lebhafte Naturen ihrer ersten Bewegung gehorchend, sagte sie:

»Ich selber werde meine Mutter holen.«

Dann eilte sie jählings hinaus, stürzte zum größten Erstaunen der Höflinge und der Damen nach der Treppe, eilte zu ihrer Schwiegermutter hinunter, durchquerte dort den Wachensaal, öffnete die Zimmertür mit Diebesvorsicht, glitt wie ein Schatten über den Teppich und bemerkte sie nirgends. Sie gedachte sie in dem köstlichen Kabinette zu überraschen, das sich zwischen diesem Zimmer und dem Betgemach befand. Noch heute erkennt man vollkommen genau die Anordnungen dieses Betraumes wieder, dem die Sitten jener Epoche im privaten Leben die Rolle verliehen hatten, die heute ein Boudoir spielt.

Durch einen, man muß schon sagen unerklärlichen Zufall – wenn man an den Zustand des Verfalls denkt, worin die Krone dies Schloß gelassen hat – existiert das wunderbare Getäfel in Katharinas Kabinett noch und in diesem wunderbar geschnitzten Getäfel können Neugierige noch in unseren Tagen die Spuren italienischen Glanzes und die Verstecke sehen, welche die Königin-Mutter dort eingerichtet hatte. Eine genaue Beschreibung dieser Merkwürdigkeiten ist sogar notwendig für das Verständnis dessen, was sich hier ereignen sollte. Dies Getäfel war damals aus etwa einhundertachtzig kleinen oblongen Füllungen zusammengesetzt, wovon etwa noch hundert existieren. Alle zeigen sie dem Blicke Arabesken von verschiedener Art, zu denen augenscheinlich die reizendsten Italiens als Vorbild genommen wurden. Das Getäfel besteht aus Eichenholz. Das Rot, welches man unter dem Kalkanstrich findet, den man – eine höchst zwecklose Vorsichtsmaßregel – der Cholera wegen hat machen lassen, zeigt zur Genüge an, daß der Fond der Füllungen vergoldet war. Die Stellen, wo das Ätzmittel fehlt, lassen vermuten, daß bestimmte Teile des Musters sich in blauer, roter oder grüner Farbe von der Vergoldung abhoben. Die Menge dieser Füllungen offenbart deutlich die Absicht, die Nachforschungen zu täuschen; wenn man aber daran zweifeln möchte, zeigt der Schloßkastellan, indem er Katharinas Gedächtnis dem Abscheu heutiger Geschlechter weiht, dem Besucher am unteren Rande des Getäfels und auf dem Fußboden eine ziemlich plumpe Platte, die sich hebt und unter der sich noch geschickt angebrachte Federn befinden. Wenn die Königin auf eine so versteckte Feder drückte, konnte sie die nur ihr bekannten Füllungen öffnen, hinter denen sich in der Mauer ein wie die Füllung oblonges, aber mehr oder minder tiefes Versteck befindet. Noch heute würde das geübteste Auge nur schwer unter all diesen Füllungen die herauskennen, welche sich in unsichtbaren Scharnieren bewegen. Wenn die Augen aber durch Farben und Vergoldungen, die geschickt kombiniert sind, um die Spalten zu verdecken, ergötzt werden, wird man leicht glauben, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, ein oder zwei Füllungen unter diesen zweihundert herauszukennen.

Im Moment, da Maria Stuart die Hand auf die Klinke des ziemlich komplizierten Schlosses dieses Kabinetts legte, hatte die Italienerin, die sich von der Größe der Prinz Condéschen Pläne bereits hatte überzeugen können, die in der Platte verborgene Feder spielen lassen, eine der Füllungen hatte sich jäh in den Scharnieren zurückgeklappt und Katharina drehte sich um und wollte die Papiere vom Tisch nehmen, um sie zu verstecken und für die Sicherheit des ergebenen Boten, welcher sie ihr brachte, zu sorgen. Als sie die Tür sich öffnen hörte, erriet sie, daß nur die Königin Maria kommen könnte, ohne sich anmelden zu lassen.

»Ihr seid verloren,« sagte sie zu Christoph, als sie merkte, daß sie weder die Papiere verstecken, noch die Füllung so schnell zu schließen vermöchte, daß das Geheimnis ihres Verstecks nicht aufgespürt wurde.

Christoph antwortete mit einem Heldenblick.

»Povero mio!« flüsterte Katharina, ehe sie ihre Schwiegertochter anblickte.

»Verrat, Madame, ich habe sie ertappt!« schrie sie dann. »Lasset den Kardinal und den Herzog kommen. Daß der,« sagte sie, auf Christoph zeigend, »nicht entwischt!«

In einem Augenblick hatte dies geschickte Weib die Notwendigkeit erkannt, den armen jungen Mann zu opfern. Sie konnte ihn nicht verbergen, unmöglich war's, ihn und andere zu retten. Acht Tage früher wäre noch Zeit gewesen, seit diesem Morgen aber kannten die Guisen das Komplott, mußten die Listen besitzen, die sie in der Hand hielt, und lockten die Reformierten augenscheinlich in eine Falle. So war sie denn sehr glücklich, bei ihren Widersachern den Geist zu finden, den sie ihnen gewünscht hatte; die Politik verlangte aber, daß, nachdem der heimliche Anschlag einmal ausgespürt, sie sich das zum Verdienste machte. Diese furchtbaren Berechnungen wurden in dem jähen Augenblicke angestellt, während welchem die junge Königin die Tür aufriß. Einen Moment blieb Maria Stuart still. Ihr Blick verlor seine Heiterkeit und nahm jene Schärfe an, welche der Verdacht jedwedem Auge verleiht. Bei ihr sah das dem jähen Kontrast zufolge schrecklich aus. Ihre Augen flogen von Christoph zur Königin-Mutter und von der Königin-Mutter zu Christoph und drückten boshafte Vermutungen aus. Dann griff sie nach einer Glocke, auf deren Geräusch hin eine von den Damen der Königin-Mutter hereinkam.

»Fräulein von Rouet, laßt den diensthabenden Hauptmann kommen«, sagte Maria Stuart zu der Ehrendame, die Etikette mißachtend, die unter sotanen Umständen notwendigerweise verletzt werden mußte.

Während die junge Königin diesen Befehl erteilte, hatte Katharina Christoph betrachtet und ihm mit ihrem Blicke Mut eingeflößt.

Der Reformierte verstand alles und antwortete mit einem anderen Blick, der sagen wollte: ›Opfert mich, wie sie mich opfern!‹

»Zählt auf mich«, sagte Katharina mit einer Geste. Dann, als ihre Schwiegertochter sich umdrehte, versenkte sie sich in die Papiere.

»Ihr gehört der reformierten Religion an?« fragte Maria Stuart Christoph.

»Ja, Madame«, antwortete er.

»Ich hatte mich nicht getäuscht«, fügte sie murmelnd hinzu, als sie in des Reformierten Augen jenen nämlichen Blick wiederfand, worin Kälte und Haß sich unter einem demütigen Ausdruck verstecken.

Pardaillan zeigte sich plötzlich, von den beiden lothringischen Fürsten und dem Könige geschickt. Der von Maria Stuart verlangte Offizier folgte dem jungen Manne, der einer der ergebensten Guisenanhänger war.

»Geht und sagt dem Könige, dem Großmeister und dem Kardinal meinerseits, sie möchten sich hierher bemühen, wobei Ihr ihnen zu bedenken geben wollt, daß ich mir eine solche Freiheit nicht herausnehmen würde, wenn nicht Dinge von höchster Wichtigkeit vor sich gegangen wären . . . Geht, Pardaillan . . . Was dich anlangt, Lewiston, so wache über diesen reformierten Verräter«, sagte sie, auf Christoph deutend, zu dem Schotten in ihrer Muttersprache.

Die junge Königin und die Königin-Mutter wahrten bis zu der Fürsten und des Königs Ankunft ihr Schweigen. Dieser Moment war furchtbar.


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