Honoré de Balzac
Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang
Honoré de Balzac

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Planlos ging er die Rue Saint-Honoré entlang, während er sich wie zerbrochen fühlte, als er an einer Straßenecke mit Alexander zusammenstieß, wie ein Hammel oder wie ein Mathematiker, der in die Lösung eines Problems vertieft ist, auf einen andern stößt.

»Ach, eine Frage, Herr Birotteau«, sagte der angehende Notar. »Hat Roguin Ihre vierhunderttausend Franken Herrn Claparon gegeben?«

»Das Geschäft ist ja vor Ihren Augen abgeschlossen worden; Herr Claparon hat mir zwar keine Quittung gegeben . . . meine Effekten sollten ja . . . verkauft werden . . . Roguin hat sie ihm doch übergeben sollen . . . meine zweihundertvierzigtausend Franken in bar . . . Es war doch verabredet, daß bei dem definitiven Kaufabschluß gezahlt werden sollte . . . Herr Popinot, der Richter, war der Ansicht . . . die Quittung . . . aber weshalb fragen Sie denn?«

»Weshalb ich diese Frage stelle? Um zu erfahren, ob Ihre zweihundertvierzigtausend Franken noch in Roguins Händen sind. Roguin war seit so langer Zeit mit Ihnen intim befreundet, er hätte so anständig sein können, sie Claparon zu übergeben, dann wären Sie noch gut davongekommen! Aber ich bin ja dumm! . . . Er hat sie natürlich zusammen mit Claparons Geld mitgenommen, der, zu seinem Glück, ihm nur hunderttausend Franken für mich übersandt hat, worüber ich keine Quittung besitze; ich habe sie ihm so anstandslos gegeben, wie ich Ihnen meine Börse anvertrauen würde. Ihre Terrainverkäufer haben nicht einen Heller erhalten, sie sind eben bei mir gewesen. Die Valuta für Ihre Hypothek auf die Terrains ist weder für Sie noch für Ihren Hypothekengläubiger vorhanden, Roguin hat das ebenso veruntreut wie Ihre hunderttausend Franken . . . die er . . . schon längst nicht mehr hatte . . . Ebenso sind Ihre letzten hunderttausend Franken verloren, ich erinnere mich, daß ich auf der Bank war, sie abzuheben.«

Cäsars Pupillen erweiterten sich dermaßen, daß er nur noch eine rote Flamme sah.

»Ihre hunderttausend Franken von der Bank, meine hunderttausend Franken für sein Notariat, Claparons hunderttausend Franken, das macht dreihunderttausend Franken Unterschlagungen, ohne die, die noch nicht bekannt sind«, fuhr der junge Notar fort. »Man ist in großer Sorge wegen Frau Roguin. Herr du Tillet ist noch gut davongekommen! Roguin hat ihm einen Monat lang zugesetzt, um ihn mit in das Terraingeschäft zu verwickeln, aber zum Glück für ihn war sein ganzes Geld in einer Spekulation, die er mit der Firma Nucingen macht, festgelegt. Roguin hat seiner Frau einen entsetzlichen Brief hinterlassen, ich habe ihn eben gelesen. Seit fünf Jahren veruntreute er das Vermögen seiner Klienten, und für wen? Für eine Mätresse, für die schöne Holländerin; erst vierzehn Tage, bevor es zum Klappen kam, hat er sie verlassen. Diese Verschwenderin saß da ohne einen Heller, ihre Möbel sind verkauft worden, weil sie Wechsel ausgestellt hatte. Um sich der Verfolgung zu entziehen, war sie in eine Wohnung im Palais Royal geflüchtet, und hier ist sie gestern abend von einem Kapitän ermordet worden. Sie, die sicherlich Roguins Vermögen verschlungen hat, hat schnell ihre Strafe vom Himmel empfangen. Weiber gibt es, denen gar nichts heilig ist; die ein ganzes Notariat verschlingen! Frau Roguin ist auf ihre gesetzliche Hypothek angewiesen, sein übriges Vermögen ist über seinen Wert belastet. Das Notariat hat er für dreihunderttausend Franken verkauft! Ich glaubte, ich hätte ein gutes Geschäft gemacht, und der Anfang ist, daß ich dafür noch hunderttausend Franken mehr bezahlen muß; eine Quittung habe ich nicht: es können Umstände hierbei eintreten, die mich das Notariat und die Kaution kosten können, denn die Gläubiger werden denken, daß ich mit ihm unter einer Decke stecke, wenn ich von meinen hunderttausend Franken rede, und wenn man ein Anfänger ist, muß man um seine Reputation besorgt sein. Es werden kaum dreißig Prozent herauskommen. Das ist eine bittere Pille für einen Mann in meinen Jahren! Ein Mensch von neunundfünfzig Jahren, und gibt das Geld für ein Frauenzimmer aus! . . . Dieser alte Narr! Schon vor drei Wochen hat er zu mir gesagt, ich solle Cäsarine nicht heiraten, denn Sie würden nichts mehr zu essen haben; solch ein Scheusal!«

Alexander hätte noch lange so reden können, Birotteau war wie versteinert. So viele Worte, so viele Keulenschläge. Er hörte nur den Klang der Sterbeglocke, wie er zu Anfang nur die Brandflammen seiner Vernichtung gesehen hatte. Alexander Crottat, der den würdigen Parfümhändler für stark und vermögend gehalten hatte, war entsetzt über seine Blässe und seine Starrheit. Roguins Nachfolger ahnte nicht, daß der Notar Cäsar mehr als das Vermögen geraubt hatte. Dem tief religiösen Kaufmann schoß der Gedanke an Selbstmord durch den Kopf. In einem Falle, wie dieser, ist Selbstmord das Mittel, um tausend Toden zu entgehen, es ist logisch, daß man den einen vorzieht. Alexander Crottat faßte Cäsar unter den Arm und wollte ihn mit fortziehen, aber das war unmöglich: seine Beine gehorchten ihm nicht, wie wenn er betrunken wäre.

»Was ist Ihnen denn?« sagte Crottat. »Ein bißchen Mut, mein guter Herr Cäsar! So etwas bringt einen Menschen noch nicht um. Vierzigtausend Franken werden Sie übrigens wiederbekommen, der Darlehnsgeber hatte den Betrag nicht flüssig, er ist Ihnen nicht ausgehändigt worden, Sie können auf Ungültigkeitserklärung des Vertrages klagen.«

»Der Ball, der Orden, zweihunderttausend Franken Platzwechsel und nichts in der Kasse. Die Ragons – Pillerault . . . Und meine Frau, die das geahnt hat!«

Ein Strom unzusammenhängender Worte, die die Fülle niederschmetternder Gedanken und fürchterlicher Schmerzen verrieten, ergoß sich wie ein Hagelschauer, der alle Blüten dar Rosenkönigin vernichtete.

»Ich wollte, man schlüge mir den Kopf ab,« sagte Birotteau endlich, »er ist mir so schwer und zu nichts mehr nütze . . .«

»Armer Vater Birotteau,« sagte Alexander, »steht es denn so gefährlich um Sie?«

»Gefährlich!«

»Fassen Sie nur Mut und nehmen Sie den Kampf auf.«

»Kampf!«

»Du Tillet ist doch Ihr Angestellter gewesen, das ist ein kluger Kopf, er wird Ihnen helfen.«

»Du Tillet?«

»Vorwärts, kommen Sie nur!«

»Ach Gott, in diesem Zustand kann ich nicht nach Hause gehen«, sagte Birotteau. »Sie sind doch mein Freund, wenn es überhaupt noch Freunde gibt, ich habe mich für Sie interessiert, und Sie haben an meinem Tische gegessen – Xandrot, im Namen meiner Frau bitte ich Sie, nehmen Sie einen Wagen und bringen Sie mich nach Hause!« Der junge Notar setzte eine fast leblose Masse, die den Namen Cäsar führte, mit großer Mühe in den Wagen. »Xandrot,« sagte der Parfümhändler mit tränenerstickter Stimme, denn jetzt endlich flossen ihm die Tränen und lockerten ein wenig das eiserne Band, das ihm den Kopf zusammenpreßte, »lassen Sie bei mir halten und sprechen Sie statt meiner mit Cölestin. Sagen Sie ihm, lieber Freund, daß es sich um mein und meiner Frau Leben handelt. Unter keiner Bedingung darf jemand über Roguins Verschwinden ein Wort fallen lassen. Rufen Sie Cäsarine herunter und bitten Sie sie, aufzupassen, daß ihre Mutter nichts von der Sache erfährt. Sie soll auf unsre besten Freunde, Pillerault, die Ragons, auf jeden einzigen achtgeben.«

Die Veränderung in Birotteaus Stimme ging Grottat nahe, der die Wichtigkeit dieses Auftrags einsah. Die Rue Saint-Honoré brachte sie direkt zu Birotteaus Wohnung; er entsprach dem Wunsche des Parfümhändlers, den Cölestin und Cäsarine entsetzt, wortlos, bleich und wie erstarrt im Wagen sitzen sahen.

»Halten Sie die Sache geheim«, sagte der Parfümhändler.

»Ah, er kommt wieder zu sich,« sagte sich Xandrot, »ich dachte schon, er wäre hinüber.«

Die Konferenz zwischen Alexander Crottat und dem Beamten dauerte lange; man ließ den Präsidenten der Notarkammer holen; Cäsar wurde überall wie ein Paket herumgeschleppt; er rührte sich nicht und sprach kein Wort. Gegen sieben Uhr abends brachte Alexander Crottat den Parfümhändler nach Hause. Der Gedanke, daß er nun vor Konstanze treten müsse, gab Cäsar die Sprache wieder. Der junge Notar war so gefällig, voranzugehen und Frau Birotteau zu benachrichtigen, daß ihr Mann eben eine Art Schlaganfall gehabt hätte.

»Er redet ganz unzusammenhängend,« sagte er mit einer Gebärde, die eine Geistesverwirrung andeuten sollte, »man müßte ihm zur Ader lassen oder Blutegel ansetzen.«

»Das mußte so kommen,« sagte Konstanze, die weit entfernt war, ein Unheil zu ahnen, »er hat zu Anfang des Winters seine Medizin, die vorbeugen soll, nicht genommen und arbeitet seit zwei Monaten wie ein Galeerensträfling, als ob er nichts zu essen hätte.«

Cäsar wurde von Frau und Tochter dringend gebeten, sich ins Bett zu legen, und man ließ den alten Doktor Haudry, Birotteaus Arzt, holen. Dieser alte Haudry war ein Arzt aus der Schule Molières, ein sehr erfahrener Praktiker und ein Freund des alten Rezepteverschreibens, ein so guter Diagnostiker er sonst war. Er kam, prüfte Cäsars Aussehen und verordnete, daß ihm sofort Senfpflaster auf die Fußsohlen gelegt werden sollten: er glaubte die Symptome einer Gehirnkongestion zu erkennen.

»Woher kann das nur gekommen sein?« fragte Konstanze.

»Von dem nassen Wetter«, sagte der Doktor, dem Cäsarine einen Wink gegeben hatte.

Die Ärzte sind häufig genötigt, wissentlich Unsinn zu reden, um Ehre oder Leben der Umgebung des Kranken zu retten. Der alte Doktor hatte in seinem Leben so vieles zu sehen bekommen, daß er jede Andeutung verstand. Cäsarine begleitete ihn hinaus und fragte nach Verhaltungsmaßregeln.

»Ruhe und nicht reden; wenn der Kopf frei geworden sein wird, werden wir Stärkungsmittel anwenden können.«

Frau Konstanze verbrachte zwei Tage am Bette ihres Mannes, der ihr oft zu delirieren schien. Er lag in dem schönen blauen Zimmer seiner Frau und hielt Konstanze unverständliche Reden, wenn er die Vorhänge, die Möbel und die teure Ausstattungspracht ansah.

»Er redet irre«, sagte sie zu Cäsarine, als Cäsar sich aufgerichtet hatte und in feierlichem Tone stückweise Stellen aus dem Handelsgesetzbuch zitierte.

»Wenn die Ausgaben für übermäßig angesehen werden! . . . Nehmt doch die Vorhänge weg!«

Nach drei schrecklichen Tagen, während deren Cäsars Verstand in Gefahr schwebte, siegte die starke Natur des Tourainer Bauernsohns; der Kopf wurde frei; Herr Haudry verordnete ihm stärkende Mittel und kräftige Nahrung, und nach einer zur rechten Zeit gegebenen Tasse Kaffee war der Kaufmann wieder auf den Beinen. Todmüde nahm Konstanze den Platz ihres Mannes ein.

»Du arme Frau«, sagte Cäsar, als er sah, daß sie eingeschlafen war.

»Aber nun Mut gefaßt, Papa! Du bist ein so hervorragender Mann, daß du schon den Sieg erringen wirst. Es wird nicht so schwer sein. Herr Anselm wird dir helfen.«

Cäsarine sprach diese wenig besagenden Worte mit so liebevollem Tone, die die Zärtlichkeit noch süßer machte, aus, daß sie auch dem Niedergeschlagensten Mut einflößen mußten, wie der Gesang einer Mutter die Schmerzen eines zahnenden Kindes einschläfert.

»Ja, mein Kind, ich will den Kampf aufnehmen; aber kein Wort zu irgend jemandem, wer es auch sei, auch nicht zu Popinot, der uns gewiß lieb hat, oder zu Onkel Pillerault. Zunächst will ich an meinen Bruder schreiben; er ist, wie ich weiß, Domherr und Vikar an der Kathedrale; er hat keine Ausgaben, er muß Geld haben. Wenn er jährlich tausend Taler erspart hat, so ergibt das in zwanzig Jahren hunderttausend Franken. Und in der Provinz genießen die Geistlichen auch Kredit.«

Cäsarine beeilte sich, ihrem Vater einen kleinen Tisch und alles zum Schreiben Erforderliche zu bringen, und legte ihm den Rest der auf rosa Papier gedruckten Balleinladungen dazu hin.

»Verbrenne das«, schrie der Kaufmann. »Nur der Teufel hat mir die Idee, diesen Ball zu geben, in den Kopf setzen können. Wenn ich nicht durchhalten kann, wird es aussehen, als ob ich ein Betrüger wäre. Also weg damit, kein Wort weiter.«

Cäsars Brief an Franz Birotteau.

»Lieber Bruder!

Ich befinde mich in einer so schweren Handelskrisis, daß ich Dich bitten muß, mir alles Geld, über das Du verfügen kannst, zu schicken, und wenn Du welches borgen müßtest.

Ganz der Deinige        
Cäsar.

Deine Nichte Cäsarine, die beim Schreiben dieses Briefes zugegen ist, während meine arme Frau schläft, läßt sich Dir aufs herzlichste empfehlen.«

Dieses Postskriptum wurde auf Cäsarines Wunsch hinzugefügt, die dann den Brief zu Raguet brachte.

»Lieber Vater,« sagte sie, als sie wieder heraufgekommen war, »da ist Herr Lebas, der dich zu sprechen wünscht.«

»Herr Lebas,« rief Cäsar erschreckt aus, als wenn sein Unglück ihn schon zum Verbrecher gestempelt hätte, »ein Richter!«

»Mein lieber Herr Birotteau,« sagte der dicke Tuchhändler, der eingetreten war, »ich nehme zuviel Anteil an Ihnen, wir kennen uns schon zu lange, wir sind ja das erstemal zusammen zu Richtern ernannt worden, als daß ich Ihnen verschweigen dürfte, daß ein gewisser Bidault, genannt Gigonnet, ein Wucherer, auf seine Order ausgestellte Wechsel von Ihnen von der Firma Claparon, ›ohne Garantie‹, in Händen hat. Diese beiden Worte sind nicht nur eine Beleidigung für Sie, sondern auch noch dazu der Ruin Ihres Kredits.«

»Herr Claparon wünscht Sie zu sprechen,« sagte Cölestin, der sich an der Tür zeigte, »soll ich ihn heraufkommen lassen?«

»Da werden wir ja den Grund für diese Beschimpfung erfahren können«, sagte Lebas.

»Herr Claparon,« sagte der Parfümhändler, als dieser eingetreten war, »dies ist Herr Lebas, Handelsrichter und einer meiner Freunde . . .«

»Ah, der Herr ist Herr Lebas, ich bin entzückt darüber, Herr Lebas vom Handelsgericht; es gibt soviel Lebas, nicht gerechnet die . . .«

»Ihm sind die Wechsel zu Gesicht gekommen,« unterbrach Birotteau den Schwätzer, »die ich Ihnen gegeben habe, und die, wie Sie erklärten, nicht zirkulieren sollten. Und sie tragen den Vermerk ›ohne Garantie‹.«

»Nein,« sagte Claparon, »in Umlauf werden sie tatsächlich nicht gesetzt werden, sie sind in den Händen eines Mannes, mit dem ich viele Geschäfte mache, des alten Bidault. Aber den Vermerk ›ohne Garantie‹ habe ich aus folgendem Grunde gemacht: Wenn die Wechsel hätten zirkulieren sollen, würden Sie sie direkt an seine Order ausgestellt haben. Der Herr Richter wird meine Lage verstehen. Was ist die Unterlage für diese Wechsel? Der Preis für ein Terrain. Von wem bezahlt? Von Birotteau. Weshalb soll ich für Birotteau mit meiner Unterschrift Garantie leisten? Wir müssen, jeder seinerseits, unsern Anteil an diesem Kaufpreise bezahlen. Ist es nun nicht genügend, daß wir gegenüber den Verkäufern solidarisch haften? Mein unabänderlicher Geschäftsgrundsatz ist: ich übernehme ebensowenig eine überflüssige Bürgschaft, wie ich eine Quittung ausstelle über einen Betrag, den ich erst bekommen soll. Ich bin auf alles vorbereitet. Wer seine Unterschrift gibt, muß zahlen. Ich will mich dem nicht aussetzen, daß ich dreimal bezahlen muß.«

»Dreimal?« sagte Cäsar.

»Gewiß, Herr Birotteau«, erwiderte Claparon. »Unsern Verkäufern gegenüber habe ich schon für Sie garantiert, weshalb soll ich das auch noch für den Bankier tun? Die Umstände, in denen wir uns befinden, sind schlimm. Roguin hat mir hunderttausend Franken unterschlagen. Also kostet mich meine Hälfte der Terrains fünf- anstatt vierhunderttausend Franken. Roguin hat Birotteau zweihundertvierzigtausend Franken unterschlagen. Was würden Sie an meiner Stelle tun, Herr Lebas? Versetzen Sie sich einmal in meine Lage. Ich habe nicht die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein, jedenfalls nicht näher, als ich Herrn Birotteau kenne. Hören Sie mir genau zu. Wir machen zusammen ein Geschäft zu gleichen Teilen. Sie bezahlen Ihren Anteil in bar, ich den meinigen in Wechseln; ich biete sie Ihnen an und Sie erbieten sich mit außergewöhnlicher Gefälligkeit, sie in Geld umzusetzen. Sie erfahren, daß Claparon, der reiche, angesehene Bankier – ich nehme alle Ehrentitel der Welt auf mich – daß der tugendreiche Claparon in Konkurs geraten ist, mit einer Unterbilanz von sechs Millionen; würden Sie in einem solchen Moment mit Ihrer Unterschrift die meinige garantieren? Sie würden verrückt sein! Nun, Herr Lebas, Birotteau befindet sich in der Lage, die ich für Claparon angenommen habe. Sehen Sie nicht ein, daß ich dann denen, die die Wechsel genommen haben, sie als solidarisch Haftender bezahlen muß und daß ich auch noch verpflichtet wäre, den Anteil Birotteaus zu begleichen bis zum Betrage seiner Wechsel, wenn ich für sie garantiert hätte, und zwar ohne daß ich . . .«

»Wem denn?« unterbrach ihn der Parfümhändler.

»Ohne daß ich Anspruch auf seine Hälfte der Terrains hätte,« sagte Claparon, ohne auf die Unterbrechung zu achten, »denn ich hätte ja gar kein Vorrecht; das müßte ich mir ja erst kaufen! Ich hätte also dreimal zu bezahlen.«

»Wem denn?« fragte Birotteau immer wieder.

»Nun, dem dritten, der den Wechsel präsentiert, wenn ich ihn indossiert hätte und Ihnen ein Unglück zustieße.«

»Ich werde mich meinen Verpflichtungen nicht entziehen, Herr Claparon«, sagte Birotteau.

»Schön«, erwiderte Claparon. »Aber Sie waren Richter, Sie sind ein erfahrener Kaufmann, Sie wissen, daß man auf alles gefaßt sein muß, wundern Sie sich nicht, wenn ich tue, was ich darf.«

»Herr Claparon hat recht«, sagte Joseph Lebas.

»Ich habe recht,« fuhr Claparon fort, »recht als Kaufmann. Aber dies ist eine Grundstücksangelegenheit. Was habe ich also zu beanspruchen, für mich? . . . Geld, denn ich muß unsern Verkäufern Geld auszahlen. Lassen wir einmal die zweihundertvierzigtausend Franken beiseite, die Herr Birotteau, davon bin ich überzeugt, auftreiben wird«, sagte Claparon und sah Lebas an. »Ich bin gekommen, um die Kleinigkeit von fünfundzwanzigtausend Franken von Ihnen zu erbitten«, sagte er und sah Birotteau an.

»Fünfundzwanzigtausend Franken!« rief Cäsar und fühlte, wie ihm das Blut in den Adern erstarrte. »Aber wofür, Herr Claparon?«

»Wofür? Mein verehrter Herr, wir sind verpflichtet, den Kauf vor dem Notar perfekt zu machen. Nun, was den Kaufpreis anlangt, so können wir uns unter uns darüber verständigen; aber mit dem Fiskus? Gehorsamer Diener! Der Fiskus macht keine überflüssigen Worte, er gibt nur Kredit mit der Hand in unsrer Tasche, und wir müssen diese Woche vierundvierzigtausend Franken Steuern für ihn ausspucken. Ich war weit entfernt davon, zu vermuten, daß Sie mir hier noch Vorwürfe machen würden, denn da ich annahm, daß diese fünfundzwanzigtausend Franken Sie genieren könnten, wollte ich Ihnen mitteilen, daß ich Ihnen durch den seltensten Zufall gerettet habe . . .«

»Was?« sagte Birotteau und stieß einen Seufzer des Jammers aus, über den sich kein Mensch täuschen konnte.

»Oh, eine Lappalie! Die fünfundzwanzigtausend Franken verschiedener kleiner Wechsel auf verschiedene Leute, die mir Roguin zum Unterbringen gegeben hat; ich habe Ihnen einen Teil davon für die Eintragung und die Kosten gutgeschrieben und werde Ihnen die Abrechnung darüber schicken; wenn dieses kleine Geschäft erledigt ist, werden Sie mir noch sechs- bis siebentausend Franken schulden.«

»Alles das erscheint mir vollkommen in Ordnung«, sagte Lebas. »Ich würde an des Herren Stelle, der sich mir sehr gut auf die Geschäfte zu verstehen scheint, gegenüber einem Fremden ebenso handeln.«

»Herrn Birotteau wird das nicht den Hals kosten,« sagte Claparon, »um einem alten Wolf den Garaus zu machen, ist mehr als ein Hieb nötig; ich habe alte Wölfe mit Kugeln im Kopfe weiter laufen sehen, wie . . . nun, eben wie Wölfe.«

»Wer hätte eine derartige Schändlichkeit bei Roguin ahnen können?« sagte Lebas, der über Cäsars Schweigsamkeit ebenso erschreckt war wie über eine so enorme Spekulation, die dem Parfümgeschäft ganz fern lag.

»Es hat nicht viel gefehlt und ich hätte Herrn Birotteau eine Quittung über die vierhunderttausend Franken ausgestellt,« sagte Claparon, »dann war ich ›der Gelackte‹. Am Abend vorher hatte ich Roguin hunderttausend Franken übergeben. Daß wir uns gegenseitig Vertrauen geschenkt haben, das hat mich gerettet. Denn ob das Geld bis zum Tage des definitiven Vertragsabschlusses beim Notar oder bei mir lag, das schien uns allen gleichgültig zu sein.«

»Es wäre richtiger gewesen, wenn jeder sein Geld auf der Bank bis zum Zahltage deponiert hätte«, sagte Lebas.

»Für mich war Roguin die Bank«, sagte Cäsar. »Aber er ist doch auch bei dem Terraingeschäft beteiligt«, fuhr er fort und sah Claparon an.

»Jawohl, mit einem Viertel und nur mit mündlicher Verpflichtung. Nach der Dummheit, daß ich ihn mein Geld habe unterschlagen lassen, wäre es eine noch viel saftigere gewesen, ihm noch welches dazu zu geben. Wenn er mir meine hunderttausend Franken wiederschickt und noch weitere zweihunderttausend für seinen Anteil, dann läßt sich darüber reden. Aber er wird sich schwer hüten, Geld in ein Geschäft zu stecken, das fünf Jahre im Topfe kochen muß, bis es den ersten Teller Suppe ergibt. Wenn er, wie es heißt, nur dreihunderttausend Franken mitgenommen hat, wird er seine fünfzehntausend Franken allein brauchen, wenn er im Auslande anständig leben will.«

»Dieser Bandit!«

»Ach, lieber Gott, es war eine Leidenschaft, die Roguin dazu gebracht hat«, sagte Claparon. »Welcher Alte kann dafür einstehen, daß er sich nicht von einer letzten Leidenschaft beherrschen und fortreißen läßt? Keiner von uns, die wir doch verständige Leute sind, weiß, wie es schließlich mit ihm stehen wird. Und solch eine letzte Liebe, oh, das ist die schlimmste! Denken Sie an Leute wie Cardot, Camusat, Matifat! . . . Alle haben sie Mätressen! Und wenn wir übers Ohr gehauen worden sind, ist das nicht unsere Schuld? Warum sind wir nicht mißtrauisch geworden einem Notar gegenüber, der sich an einer Spekulation beteiligt? Jeder Notar, jeder Wechselagent, jeder Kursmakler, der eigene Geschäfte macht, ist verdächtig. Geraten sie in Konkurs, so gilt das als betrügerischer Bankrott, sie kommen vor die Geschworenen, und da ziehen sie es natürlich vor, ins Ausland zu kommen. Ich werde nicht zum zweitenmal solch einen Bock schießen. Schließlich sind wir alle schwach genug, um nicht in contumaciam Leute verurteilen zu lassen, bei denen wir diniert haben, die uns zu großen Bällen eingeladen haben, mit einem Worte: Leute der guten Gesellschaft! Niemand will die Klage anstrengen, und das ist unrecht.«

»Sehr unrecht,« sagte Birotteau, »das Gesetz über die Konkursschuldner und über die Zahlungsunfähigkeit muß abgeändert werden.«

»Wenn Sie meiner bedürfen,« sagte Lebas zu Birotteau, »ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«

»Herr Birotteau bedarf niemandes«, sagte der unermüdliche Schwätzer, bei dem du Tillet die Schleusen aufgezogen hatte, nachdem er ihn vorher mit Wasser gefüllt hatte. (Claparon wiederholte die Lektion, die ihm von du Tillet sehr geschickt vorgebetet worden war.) »Seine Sache liegt ganz klar: Roguins Konkurs wird fünfzig Prozent Dividende ergeben, nach dem was mir der kleine Crottat gesagt hat. Außer der Dividende kann Herr Birotteau noch die vierzigtausend Franken wiederbekommen, die der Geldgeber damals nicht flüssig hatte; dann kann er noch auf seinem Grundbesitz Hypotheken aufnehmen. Unsern Verkäufern müssen wir erst in vier Monaten zweihunderttausend Franken zahlen. Bis dahin wird Herr Birotteau seine Wechsel eingelöst haben, denn mit dem, was Roguin empfangen hat, um sie einzulösen, kann er natürlich nicht rechnen. Und selbst wenn Herr Birotteau etwas in die Enge getrieben würde, nun, mit einigen in Umlauf gesetzten Wechseln wird er schon durchkommen.«


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