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Der große Stil

Vlacz galt in England sogleich überall als Baron, weil Engländer, wenn ein nach Balkan aussehender Herr sich kultiviert beträgt, nicht zweifeln, daß er hoher Geburt sein muß und nächstens dort unten einen Thron besteigen wird. Der müde Glanz seiner Augen, die Finsternis seiner edlen Züge, der lässige Stolz seines verächtlichen Schweigens bekräftigten diese Vermutung. Da sich Engländer untereinander stets langweilen, sind Ausländer, wofern sie sich halbwegs zimmerrein zeigen, sehr gesucht, um so mehr, je stärker exotisch sie wirken, weil man sich dann insgeheim gelegentlich eine leise Störung der englischen Ehrbarkeit verspricht. Ein junger Österreicher, der eben dem Ruf eines Sammlers von Exoten seine Stellung in der englischen Gesellschaft verdankte, nahm sich sogleich des dekorativen Gastes an, dessen Stern bei sich leuchten zu lassen bald überall fast Pflicht schien. In jedem Sport stellte der Baron seinen Mann, im Spiel sah man ihm anfangs scharf auf die Finger, doch es ließ sich niemals ein Beweis erbringen, und nichts sprach mehr für ihn als seine Ungesprächigkeit: dieser Widerwille gegen jede Konversation höherer Art gab ihm in England eine Art Heimatrecht. Seiner Beliebtheit schadete nicht einmal der hochmütig absprechende Spott über englische Lebensart, den er zur Schau trug, und den nur sein Chaperon, jener Österreicher, bitter, ja fast als persönliche Kränkung empfand.

Der österreichische Graf, aus altem, ursprünglich portugiesischem, seit der Schlacht am Weißen Berge böhmischem Geschlecht, war in England verliebt. Er war übrigens auch in Frankreich und nicht weniger in Italien, Holland und die Türkei, ganz besonders aber in die skandinavischen Länder verliebt. Das bißchen kritische Bedürfnis, das schließlich in jedem Menschen steckt, wurde von ihm für sein Vaterland Österreich aufgespart. Seine diplomatischen Verhandlungen in allen Ländern, wie denn dem armen Österreich doch vielleicht noch zu helfen wäre, haben jahrelang Aufsehen, wenn auch gerade kein Ansehen erregt. Sonst aber litt er an einer permanenten Verstopfung mit Weltliebe. »Diesen Kuß der ganzen Welt!« Er konnte die Millionen gar nicht genug umschlingen, sich an der Welt nicht satt umarmen. Er war mit einem so feinen Gehör für den Herzschlag jeder Nation, außer seiner eigenen, begabt, daß er die Schönheit einer jeden ganz rein empfand und in ihrem Licht blind gegen die Schatten ward. Er war auf die Türkei stolzer als der Sultan selbst, schwärmte für Frankreich heißer als irgendein geborner Gaulois und gar alles Englische schien ihm die Vollendung. So mag man sich sein Entsetzen denken, wenn der Baron, dessen Entdeckung er dankbar behaglich genoß, ihm immer von neuem wieder gähnend versicherte, von England sehr enttäuscht zu sein, vergebens erging er sich in den lebendigsten Exkursen aus der englischen Geschichte, mit der er von Grund aus vertraut war, überhaupt ein erstaunlicher Polyhistor, der nur vielleicht bei der Aufzählung der Kaiser aus dem Hause Habsburg gestockt hätte, vergebens bot er die schönsten Erinnerungen an höfische Feste, die Pracht öffentlicher Empfänge, die würde großer Demonstrationen auf, vergebens schwor er, daß schon an Anmut, sich einen Mantel umlegen oder abnehmen zu lassen, allein der Engländerin die Palme vor allen Damen des Erdkreises gebührt. Der Baron blieb dabei, von England enttäuscht zu sein. Er ließ sich auf eine Widerlegung des Österreichers gar nicht erst ein, sondern begnügte sich mit der üblichen Münze van Krämervolk, Pfeffersäcken, den Handlungsgehilfen Europas, und da der entsetzte Freund auf Beweise, Beweise! drang, schloß er peremptorisch: »Sie haben alles, was sich kaufen läßt, nur eines werden sie niemals haben, das Einzige, das Entscheidende, worauf allein es ankommt, das was jeder kastilianische Bettler in seiner zerlumpten Capa, was jeder montenegrinische Hammeldieb hat, den großen Stil!«

Der Österreicher stand einen Augenblick starr, dann schlug er sich vor die Stirn und sagte lachend: »weil du ja von England noch nichts ahnst! Wer den Engländer bloß aus der Stadt kennt, weiß von ihm überhaupt nichts. Der Engländer zeigt sich erst bei sich. Du warst noch nicht auf dem Lande, warst nach auf keinem der alten Schlösser. Dort wirst du mir nach zwei Tagen eingestehen, jetzt erst wirklich zu wissen, was großer Stil ist, wahrhaft großer Stil!«

Als sie die Woche darauf, einer von dem Österreicher erwirkten Einladung folgend, zur Lady X. fuhren, war er im voraus so kindisch selig, daß er, als ob sich alle seine Verheißungen schon dem Freunde bestätigt hätten, sagte: »Wer das nicht aus eigener Erfahrung kennt, kann es sich nicht vorstellen. Es ist die Vollendung menschlichen Daseins. Huf englischen Schlössern fällt mir immer wieder der Lord ein, der, als der Arzt ihn auf Reisen schicken wollte, dies ein für allemal mit der allgemeinen Erklärung erledigte: I hate abroad. Ich Kann mir nicht helfen, ich muß sagen, der Mann hat recht. No, du wirst ja sehen.«

Das Schloß, im Tudorstil etwas weitläufig erbaut, überströmt einen, kennt man sich in seinem Irrgarten von Gängen und Stiegen nur erst halbwegs aus, mit ansteckendem Behagen. Die Lady gilt für die schönste Frau, der Büffel von Lord für den klügsten Mann Englands. Die Luft hängt voll Musik. Die Mutter der Lady war eine Schülerin Joachims. Aber es müssen hier schon in alten Zeiten Menschen gelebt haben, die Musik in sich selbst hatten. Der Stein, auf den man tritt, antwortet hier mit Musik.

Die schöne Hausfrau zog sich abends bald zurück. Der Lord der einen guten Teil seiner politischen Macht dem Vorrat von nicht immer ganz unbedenklichen Anekdoten verdankt, war unerschöpflich. Er zeigte sich als Meister in der englischen Kunst, immer dicht bis an die letzte Grenze des gerade vielleicht noch Erlaubten zu gehen.

Um Mitternacht hörte die Lady leise an ihrer Tür klopfen. Sie war gewohnt, daß, wenn ein Gast noch den anderen aufsuchen wollte, um seine Zigarre mit ihm auszurauchen, Neulinge sich anfangs immer in dem Labyrinth verirrten. Sie schloß auf und fragte: »Wen suchen Sie denn, Baron Vlacz?«

Er antwortete: »Dich.«

Sie sagte: »Danke.«

Sie schloß ab. Er pochte nochmals. Sie ließ ihn pochen.

Am nächsten Morgen beim Frühstück gab der fröhliche Lord den beiden Gästen aufs neue seine hinreißende Laune, Herzensheiterkeit und Verschmitztheit in unablässigen Schwänken zu kosten. Dann ward der Amtmann gemeldet, der mit ihm Geschäfte zu besprechen hatte. Schon an der Tür, wendete sich der Lord noch einmal um, kam zurück und zog den Österreicher ans Fenster, um ihm zu sagen: »Ja, daß ich nicht vergesse! Bis elf Uhr müßt ihr beide weg sein. Es wäre mir lästig, euch hinauswerfen zu lassen!«

Huf der Heimfahrt sagte Baron Vlacz: »Hab' ich also nicht recht? Der große Stil fehlt ihnen. Ein Franzose hätte mich mindestens erschossen.«


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