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Schurl

»Komm Schurl,« sagte sie, »laß ihn, der Gescheitere gibt nach!« Und sie nahm das zappelnde, kläffende, pustende Tier und trug es fort.

Als sie zurück kam, sagte er: »Jetzt siehst du noch selbst, daß es mit der Bestie nicht geht.«

Sie trat zum Fenster und schwieg. Er sah ihr nach. Er konnte aber nicht nachgeben und begann wieder: »Sag' selbst! Ich habe doch recht? Nicht? Da!« Und er zeigte seinen Finger, der blutete. »Es macht mir ja nichts, aber es ist nicht angenehm, niemals vor einem schnappenden Köter sicher zu sein. Gib es zu!«

Sie blieb am Fenster. Er ging auf und ab. Sie schwieg. Es ärgerte ihn. Immer fing er wieder an. Sie kenne doch seine Liebe zu Tieren; besonders Hunden. Er sei doch auch nicht so töricht, dem armen Vieh seine schlechte Rasse zu verargen. Aber schließlich: einen Hund im Hause haben, der beißt!

Und er nahm den Finger in den Mund und sog das Blut aus. Dann erzählte er vom Hunde eines Freundes, der ein kleines Mädchen in die Nase biß, worauf sein Herr verurteilt wurde, den Eltern dreitausend Mark zu zahlen. Er wußte noch einige Beispiele und berief sich auf das öffentliche Wohl, dem einzelne Launen und Neigungen weichen müssen.

Je mehr er redete, desto mehr glaubte er selbst daran. Er hatte nun den Ton väterlicher Warnung und wurde ganz gerührt, als er davon sprach, daß doch zwischen dem Menschen und einem Tier immer noch ein Unterschied sei, weil der Mensch in sich etwas Unerforschliches, etwas Göttliches habe. Hier drehte sie sich nach ihm um, ging vom Fenster weg, langsam auf ihn zu, der an der dunklen Wand stand, und vor ihm hielt die schimmernde Gestalt. Er sagte begütigend: »Du mußt es doch einsehen?« Ihre großen grauen Augen lachten. Sie seufzte. Dann sagte sie: »O Heinrich! Was bist du für ein lieber dummer Mensch! Aber es ist schwer.«

Er nickte. »Es ist die Art der Frauen, auf Argumente mit Scherzen oder Liebkosungen zu antworten.«

Sie nahm seine Hand, sah den blutenden Finger an und küßte ihn. »Armer, armer Heinrich!« Er mußte sich setzen und wie ein Kranker hätscheln lassen. »Hast du nicht Fieber?« Durchaus wollte sie ihm die Wunde verbinden. »Und morgen oder in ein paar Tagen, wenn du halt wieder genesen sein wirst, erklärst du mir dann das Göttliche, das Unerforschliche, das den Menschen vom Tiere trennt, mein geschworener Monist!« Ihre tiefen stillen Augen lachten.

Dies verdroß ihn jetzt sehr: Echt weiblich, wenn man den Menschen im Zusammenhange der Entwicklung als das höchste Tier zu begreifen versucht, nun daraus zu schließen, daß deshalb jeder Hund das Recht haben soll, ihn zu beißen! Und nun ging er gegen die falsche Humanität los, die an jedes andere Geschöpf eher als an den Menschen denkt! Schließlich, das dürft ihr ja nicht vergessen, schließlich ist auch der Mensch auf der Welt und hat auch sein Recht! Hundeschutz, Vogelschutz, jede Art Tierschutz, davon wimmelt's. Ausgezeichnet! Aber nun möchte ich doch auch einmal um ein bißchen Menschenschutz gebeten haben. Ihr habt entdeckt: der Mensch ist nicht so wichtig? Mag sein. Für die anderen Herren Tiere gewiß nicht. Aber für den Menschen doch, nicht? Im Ganzen der Welt, im Schwalle der Billionen Jahre, im ewigen Flusse der rasenden Zeit – gewiß, was bin ich da? Aber Kind, ich muß doch bitten: mir selbst bin ich sehr viel. Da hört die kosmische Betrachtung auf, mir selbst bin ich die Hauptsache! Und er verstieg sich immer mehr, um ihr zuletzt nur noch einmal zu versichern, daß es unangenehm ist, einen bissigen Hund im Hause zu haben.

Jetzt trotzte sie. »Der Schurl ist nicht bissig.« –

»Nein?« fragte Heinrich.

»Nein,« sagte sie beharrlich. »Der Schurl ist nicht bissig. Das ist nicht wahr.«

»Nein?« fragte er wieder.

»Nein,« sagte sie wieder.

»Wie du willst,« sagte er. »Ich bin gern bereit, dir zuliebe die deutsche Sprache zu ändern. Du mußt mir dann nur sagen, wie denn also künftig ein Hund heißen soll, der beißt. Bitte schön!«

Er hatte jetzt einen teuflisch höflichen und unterwürfigen Ton. Den vertrug sie nie. Sie sagte feindlich: »Der Schurl beißt nicht.«

»Nein?«

»Nein, der Schurl beißt nicht.«

Er ging auf sie zu, hielt ihr den Finger mit dem kleinen Biß hin und fragte sehr artig: »Wie, bitte, wünschest du dann also, daß man dies nennen soll?«

Sie sagte mit Erbitterung: »Dies ist ein Biß.«

Er fragte, mit Sanftmut: »Von wem?«

Sie antwortete, verwegen: »Von Schurl.«

Er bestätigte, duldsam: »Von Schurl.«

Sie bestätigte, streitsüchtig: »Ja.«

Er schloß ab: »Es ist ein Biß von Schurl, der nicht beißt. So ist es.«

Jetzt wiederholte sie: »Nein. Der Schurl beißt nicht.«

Er sagte: »Außer mich.«

Sie sagte: »Ja. Dich beißt er, aber –«

Er fiel ein: »Aber er beißt nicht.« Und er wiederholte wie eine Sentenz: »Er beißt mich, aber er beißt nicht. Oder man kann auch sagen: er beißt nicht, aber er beißt mich. Nicht wahr, Kind?«

Sie ließ sich nicht reizen. »Du weißt ganz genau, wie ich es meine. Wenn man sagt, daß ein Hund nicht beißt, meint man nicht –«

»Meint man nicht, daß er nicht beißt?«

»Meint man nicht, daß er nie beißt, sondern nur, daß er nicht die Gewohnheit hat, anzugreifen. Jedes Tier, das so gereizt wird, wie der Schurl von dir, beißt. Und es hat recht. Man quält ein Tier nicht so grausam!«

Er fing zu lachen an. »Wenn dich jemand hören würde! Reizen, quälen, grausam – ich erschrecke selbst vor mir, wirklich! Was ist denn aber geschehen? Also bitte, sag'! Worin besteht mein Reizen und mein Quälen! Bitte sag's! Denn ich ... ich weiß es nicht, wirklich.«

Jetzt konnte sie sich nicht mehr halten. »Heinrich, du bist doch zu verlogen.«

»Ich weiß es nicht.«

»Du behauptest, daß du es nicht weißt?«

»Ich weiß es nicht. Bei Gott!«

»Bei Gott?«

Jetzt wurde er wieder wütend. »Also sag' es doch! Warum sagst du's nicht? Ich will endlich einmal meine Grausamkeit beim Namen hören. Also: Was geschieht dem Schurl, was tu' ich ihm? Du kannst es doch sagen!«

Sie hob den Finger und zeigte es. »Du streckst immer den Finger aus.«

Er gab es zu. »Ich strecke bisweilen den Finger aus. Ich leugne nicht. Darf man das nicht?«

Nun zog sie mit dem Finger einen kleinen Kreis. »Aber du streckst nicht bloß den Finger aus, sondern du ziehst mit dem Finger einen kleinen Kreis.«

Jetzt zog auch er mit dem Finger einen kleinen Kreis. »Gut. Ich ziehe mit dem Finger einen kleinen Kreis. Und?«

Sie sagte, drohend: »Um seine Nase.«

Er sagte, unschuldig: »In der Luft.«

»Vor seiner Schnauze.«.

»In der Luft. Er kann es gar nicht spüren.«

Sie fuhr los: »Aber es macht ihn halt nervös.«

Er lachte befriedigt. »Ja, mein liebes Kind, wenn ich gleich schnappen wollte, so oft man mich nervös macht, ich hätte schon die ganze Menschheit totgebissen.«

Sie fragte schnell, gehässig: »Mich auch.«

Er antwortete schnell, höhnisch: »Dich längst. Dich zuerst.«

Dann ging er auf sie zu und sagte: »Dummes Mädl!«

Sie sagte: »Ich hab' dich lieb.«

»Also, warum streiten wir? Ist der Köter das wert? Sein Vater muß ein Mops, die Mutter eine Qualle gewesen sein.«

Sie entschuldigte: »Es kommt doch nicht auf die Rasse an.«

»Aber er sieht wie die Wasserleiche eines Maulwurfs aus.«

»Es kommt doch nicht auf die Schönheit an.«

»Sondern?« Und er sah sie neugierig an.

Zögernd sagte sie: »Sondern auf den Charakter.«

»Sein Charakter besteht darin, daß er mich beißt.«

Sie sprang auf. »Fang doch jetzt nicht noch einmal an!«

Er ging ihr nach. »Wenn du nicht aufhörst, muß ich wieder anfangen.« Er war ihr jetzt überlegen.

Sie wollte nichts mehr sagen, mußte aber doch. »Du magst das arme Tier bloß nicht, weil ich es gern hab'!«

»Ach so,« sagte er, »ich bin eifersüchtig.«

»Ja,« sagte sie leise. »Auf alles, was vor dir in meinem Leben war. Das soll nun alles nicht mehr sein.«

Seine Stimme war hart und stieß wie mit einem Messer zu. »Soll es auch nicht. Nichts soll mehr sein.«

Sie neigte sich. Aber ganz leise sprach es aus ihr: »Du dagegen, du hütest deine Vergangenheit wie einen alten Schatz.«

»Ja,« sagte er, »ich gebe nichts zurück, was ich mir einmal nahm. So bin ich. Und so, als den immer Fordernden, niemals Verzichtenden, gerade so hast du mich lieb.«

Und von ihr kam der Hall zurück: »Ich hab' dich lieb.«

Sie schwiegen. Im Zimmer war es schon schwarz. Sie stand am Fenster. Die Bäume und drüben der Berg waren merkwürdig groß und breit verwandelt; sie kannte sie gar nicht. Lange schwiegen sie.

Dann sagte sie. »Das gescheiteste wird sein, ich gebe das Tier weg. Ja, ich will es weggeben. Ich trenne mich von ihm.«

»Aber nein,« sagte er, gleichgültig, »was fällt dir ein? Und warum denn? Nein, nein! Ich will kein ... Opfer!«

»Nein?« sagte sie.

»Nein, mein Kind!«

Sie konnte kaum mehr sagen: »Ja, dann – wenn du kein Opfer willst!«

»Nein. Und wozu denn? Was kann mir schließlich geschehen? Das Biest wird einmal die Hundswut kriegen, beißt mich und ich werde toll. Sicher. Aber was macht's? Irgendwie muß man schließlich. So oder so.«

Sie ging aus dem Zimmer, zum See.

*

Er lauschte nach ihr. Sie rief den Hund. Dann hörte er sie den Kahn abbinden. Ihm wurde bang. Er schlich ihr nach. Und schon hatte er das andere Boot gelöst und war neben ihr, die den winselnden, stöhnenden Hund, entschlossen, ihn zu ertränken, unfähig, es zu tun, in den Armen hielt und weinte. Er nahm ihr das fletschende, knurrende Tier ab, um es, zärtlich streichelnd, zu hegen, und zog sie zu sich auf die Bank. Sie konnten nichts sagen, sie preßten sich nur an. Der Hund entwischte und kroch zum Steuer. Als sie aber den starken Mann aufschluchzen hörte, mußte sie noch mehr weinen. Und sie sagte: Verzeih mir doch, verzeih!« Um nicht aufzuheulen, weil er sich schämte, drückte er ihr so seine Nägel ins Fleisch, daß sie aufschrie. Er schämte sich, und um nicht zu weinen, fing er zu husten an, verließ sie, trat zur anderen Bank, nahm die Ruder, und nun hörten sie nur diese schweren, gleichmäßigen, im stillen Wasser aufstoßenden Schläge und manchmal ein leises Pfeifen in den Riemen.

Als sie landeten, gab er ihr die Hand und half ihr auf den Steg. Schüchtern, scheu und wie in Erwartung, als wären sie zum ersten Male beisammen. Der leise Wind der Nacht, vom Wasser aufsteigend, schlug an die Balken der Hütte, die Tür knarrte, Schurl, erschreckt und im Finstern furchtsam, fuhr kläffend los. Sie, wie aus dem Traum gerissen, stieß ihn heftig. Heinrich hielt sie zurück und sagte: »Laß ihn doch, es ist ja gut!« Da mußte sie lachen. In ihn eingehängt, an ihn angeschmiegt, groß ausschreitend, um gleichen Schritt zu halten, wie ein verliebtes kleines Mädel, sagte sie, während sie unter den raschelnden Pappeln gingen: »O du entsetzlicher Mensch! Jetzt ist wieder alles gut. Aber wie lange? Morgen fängst du wieder an. Ich weiß es doch, hättest du mich gelassen! Ich war fest entschlossen. Und er wäre jetzt ertränkt, ich würde ein bißchen weinen, dann aber sehr stolz sein. So stolz, daß ich auch das für dich kann, sogar das noch! hättest du mich gelassen!«

Er sagte nur: »Hör' die Pappeln über uns!«

Sie lauschte. Dann sagte sie: »Wie mit silbernen Stimmen wispern sie!«

Sie standen horchend, plötzlich stürzten sie gierig auf sich los, und er nahm sie. Als sie ins Haus gingen, sagte sie: »Und immer ist es wieder, als wär's zum erstenmal!«

Aber dann saßen sie noch die halbe Nacht auf und redeten, um sich alles zu sagen. Es war ihnen wie nach einer ungeheueren Trennung. Oder sie sprachen auch zu sich selbst, als hätte jetzt erst jedes sich entdeckt. Sie waren voll Reue, voll Scham; jedes kam sich des anderen unwert vor. Und dann erinnerten sie sich. Alles stand wieder vor ihnen auf. Alle Sehnsucht, Entfremdungen und Versöhnungen, Wahn und Leid, und das Versinken.

Er schämte sich so, daß er zu ihr gesagt hatte: »Ich will kein Opfer.« Alles hatte sie ihm doch dargebracht. Er hatte sie von den Eltern gerissen, ihr Vater war im Zorn gestorben. Man verleugnete sie, die mit einem verheirateten Manne lebte. Alles hatte sie ihm dargebracht. Sie hatte nichts mehr als ihn.

»Und den Schurl,« sagte sie mit lustigen Augen.

Er fing jetzt an, ihr seine Wut über das Tier zu erklären. »Ich habe das selbst lange nicht verstehen können. Ich ärgerte mich, ich wollte mich beherrschen; es war aber so stark, daß nichts half. Es muß doch sehr tief sein, aus meiner Tiefe. Eifersucht, wie du glaubst? Ich dachte es selbst manchmal, anfangs.«

Sie widersprach. »Ich glaube das doch gar nicht, ich sage das nur so – Gott, du magst ihn nicht, weil er häßlich ist. Dich aber drängt es, überall nur Schönheit um dich zu haben. Glaubst du denn, ich verstehe das nicht? Nur tut mir das Tier leid, das so häßlich ist, daß es ja kein anderer Mensch mehr zu sich nehmen würde. Darum habe ich es gern, weil ich weiß, daß es sonst niemanden hat als mich, weil es mich braucht, weil ich ihm alles sein kann. Dieses Gefühl ist noch stärker, seit ich dich kenne. Denn gerade das hat mich anfangs bei dir oft so furchtbar gequält: was kann man dir denn sein, wen brauchst du denn, du, der sich alles aus seiner eigenen Kraft schafft, der du Menschen nimmst und formst und prägst, bis sie deine Münze sind? Daran bin ich so oft traurig gewesen! Da hab' ich mich dann zum Schurl geflüchtet. Gerade weil er so häßlich und so jämmerlich, so verloren und verstoßen, so was Elendes ist, das nirgends einen Winkel hat. Es ist die andere Liebe. Die zu dir ist: von einem Starken angezogen und mitgerissen sein, aus allem weg, über alles hin, von ihm ganz ausgeraubt, geplündert, entleert, dann aber dafür mit ihm gefüllt bis an den Rand ... ich kann's nicht sagen, aber du weißt es ja, du tust es doch an mir! Während die Liebe zum Schurl ist: selbst ein solcher Starker, der formt und füllt, einem verlassenen Wesen zu sein! Aber diese will ich jetzt nicht mehr. Denn, Heinrich, die zu dir ist schöner. Sie tut nur so weh.«

»Warum sollst du sie nicht beide haben?« fragte er. »Den ganzen Kreis der Gefühle, rundherum?«

»Weil du nicht willst,« sagte sie. »Ich aber muß tun, muß lassen, was du willst. Ich muß. Gegen deine Worte kann ich mich wehren, wenn du mir etwas sagst, kann ich widersprechen. Das geht, was du aber bei dir denkst, ist über mich so stark, daß es in mir geschieht. Du wirst mir jetzt beweisen, daß ich den Hund behalten soll, und glaubst selbst, daß dies deine Meinung sei. Aber tiefer in dir, als du weißt, willst du, daß auch noch dieses Opfer geschehen soll, auch das letzte noch. Denn, während wir Dummheiten zu machen glauben, über die wir uns dann auslachen, sitzt darin unser ganzes Wesen fest, das Geheimnis, das wir nicht begreifen können und das wir doch erfüllen müssen, wir möchten freilich mit dem Verstande gescheiter sein als wir sind, aber es geht selten gut aus. Es kommt mir, wenn ich nachdenke, albern und schlecht vor, einer Laune von dir zuliebe dieses arme Tier zu verlassen. Und doch muß ich es als eine Verschuldung an dir empfinden, wenn ich dir widerstehe. Gerade jetzt wieder, wo du dich zwingst, mir nachgeben zu wollen, spüre ich das unheimlich stark. Hättest du mich gelassen!«

Er trat neben sie. »Kind, quäle dich doch nicht! Jetzt ist es nicht mehr nötig. Denn du hast es ja schon getan.«

Sie blickte fragend auf.

Er sah sie zärtlich an. »Indem du bereit warst, verstehst du das nicht? Darauf allein kommt es doch an. Es braucht jetzt nicht mehr zu geschehen, denn du warst dazu bereit; so ist es getan.«

»Es war dir nur darum, meinen Willen zu beugen?«

»Nein,« sagte er, fast heftig. »Du tust mir Unrecht. Das ist ja so merkwürdig, daß du mich aus dir heraus viel größer und stärker siehst als ich bin, aber dann mir wieder alles Läppische zutraust und einen dummen Buben aus mir machst.«

Ganz leise sagte sie: »Vielleicht, weil gerade das so schön für mich ist, an dir allein, einem einzigen Menschen, alles Menschliche zu spüren, vom dummen Buben bis zum gerechten Mann.«

Er dachte nach. »Mag sein. Ich habe das wirklich manchmal, daß es mich reizt, alle Reife und alles, was ich errungen habe, alles, was ich jetzt bin, plötzlich wieder zu verleugnen. Und ich wehre mich nicht, wenn das kommt. Ich will mich nie gegen mich wehren. Ich will mich nicht verstellen. Ich bin zu stolz. Es soll nur heraus, wenn es in mir ist. Diese große Rechtschaffenheit, mich mit allem herzugeben, was immer eben in mir ist, wie stark und wild oder dumm und klein es sei, wird wohl das beste sein.«

»Ja,« sagte sie.

»Aber mit dem Hunde, nein ... das ist anders. Ich verstehe das jetzt ja so gut. Kind, das war keine bloße Laune. Das war doch wohl mehr. Das war, glaub' ich, immer nur der Wunsch, mir dein Bild zu vollenden.«

»Mein Bild?« fragte sie.

»Dein Bild, deine Figur, deine Linie; der Mensch ist nichts anderes. Du warst mir immer nur die, die jedes Opfer bringt. Ich sah dich vorgeneigt, mit bebenden Händen, aus dir geben und geben und geben. Das ist so wunderschön. Die nichts für sich behalten, die sich nie bewahren will, die nichts versagen kann, die immer nur beschenken und beglücken will, die alles gewähren muß. Dein ganzes Leben gabst du mir lächelnd her. Und nur den häßlichen kleinen Hund nicht. Als ich dich aber im Kahn stehen und das winselnde Tier noch einmal drücken sah, auch zum letzten Opfer bereit, erst da war mir dein liebes Bild vollendet.«

Später sagte sie noch, plötzlich wieder aufgeschreckt: »Aber das kann ich nicht vergessen, das quält mich so, daß du sagtest –« Sie verstummte scheu.

»Was?« fragte er.

»Das von der Hundswut, die er kriegen wird.« Und sie deckte sich die Augen mit den Händen zu. »Wie konntest du das sagen?«

Er lachte. »Gott, du weißt doch, was ich manchmal alles sage! Um mich zu rächen, um dich zu reizen ... oder auch aus einer inneren Verwegenheit, der alle Gefahren des Lebens noch immer nicht genügen. Es fiel mir halt so sinnlos ein.«

Da sprach es aus ihr herauf: »Sinnlos wie das Schicksal.«

Er erschrak. Beklommen fragte er: »Wie kannst du das sagen?!« Und sie sahen weg; sie konnten es nicht mehr ertragen, sich anzusehen, aus Furcht vor ihren Gedanken. Er hätte sie gern noch gefragt, wie das denn eigentlich gemeint war: Sinnlos wie das Schicksal! Doch wagte er es nicht. Und so wurden sie jetzt plötzlich sehr lustig, mit Wildheit lustig, wie Kinder, die sich vor dem Gewitter fürchten, und sprangen und lachten. Bevor er einschlief, sagte er noch: »Zufall ist alles.«

Seitdem zog er den Hund an sich und verwöhnte ihn, um vor sich nicht feig zu sein. Immer aber fühlte er den stillen Haß des Tieres auf sich liegen.

Dieser Sommer war schwer und schwül, von unruhigen Nächten, und wie mit bösen Erwartungen geladen. Die Tage standen atemlos. Abends, wenn die Sonne in den See fiel, drängten sich die Menschen zusammen und zeigten sie sich, von drohenden Ahnungen erregt: denn in solches Blut getaucht hatten sie sie noch nie gesehen; der ganze See schien rot davon.

An den Nachmittagen wußte sich Heinrich oft nicht mehr zu helfen. Es war dann, wie wenn eine Uhr plötzlich zu ticken aufhört. Und er bekam eine lächerliche Angst, die Zeit hätte vergessen, weiterzugehen.

Er konnte nicht schlafen und war nicht wach. Und er wußte dann nie, ob er etwas gedacht oder ob er es geträumt hatte. Er hatte keine Gedanken, sondern es hingen nur einzelne Worte wie Fetzen in ihm herum: Typhus, Gift, Sumpf, Schilf, Kröten, Ottern, Scharlach. Er dachte das nicht, sondern sah es: in ihm waren diese Worte gleichsam innerlich ausgeschrieben; und wenn er, Schlaf suchend, lag, saßen sie hockend auf seinen Augen.

In endlosen Stunden war ihr einziges Vergnügen, dem Schurl träumend zuzusehen. Er lag halb auf dem Rücken, den dicken Kopf zurück, mit den eingebogenen Beinen in der Luft, schwer atmend, stöhnend, zuckend. Dann ging die Schnauze plötzlich weit auf und er fletschte die Zähne. »Jetzt träumt er von mir,« sagte Heinrich. Und es war ihm ein besonderer Spaß, dann ganz weit weg zu gehen und aus der Ferne mit dem Finger einen kleinen Kreis zu ziehen, gegen das träumende Tier hin. »Du wirst sehen, er spürt es; mit geschlossenen Augen, durch die Luft, muß er es spüren,« sagte er. Wirklich warf sich dann das Tier knirschend herum, fuhr kläffend auf, schoß gegen Heinrich los, plötzlich aber, wie vor sich selbst erschreckt, bog es ab und kroch winselnd zur Tür, wie um zu flüchten, und verbiß sich ins Holz. Dann, von ihr gerufen, kam es mühsam und als ob es sich mit Gewalt beherrschen müsse, zurück, kauerte vor ihr und leckte ihre Hand, wenn es aber dann wieder an seinen Platz kroch, hielt es sich so, daß es ihn nicht sehen konnte, sondern schielte nur. Und, wieder eingeschlafen, wurde es noch im Traum von seiner Wut geschüttelt.

Einmal machte Heinrich wieder seinen Spaß, aber statt zur Tür fuhr der Hund auf ihn und verbiß sich in sein Bein. Heinrich stieß, sie schlug und zerrte, winselnd verkroch sich das zornige Tier und stöhnte und gluckste nur noch wie ein vom Weinen erschöpftes Rind.

Er sagte: »Siehst du?« Und er hätte gern gelacht.

Sie schickte nach der Stadt um den Arzt.

Heinrich erzählte ihr, er habe gelesen, daß Menschen in dieser Krankheit das Wesen von Hunden annehmen. Und er machte ihr das vor. Er machte den Schurl. Er legte sich hin, den Kopf zurück, mit eingebogenen Beinen, und fing zu schnaufen und zu kläffen an und fuhr los und biß ins Holz und kroch hin und leckte ihre Hand. Sie sollte doch glauben, daß alles nur ein Spaß war. Dazwischen sagte er immer wieder: »Du wirst doch nicht abergläubisch sein? Zufall ist alles. Und das Opfer war ja doch vollendet.«

Der Arzt erkannte, das Tier zu vernichten. Heinrich versprach, noch diesen Abend ins Spital zu kommen.

Er erschoß den Hund. Er fühlte sich davon ganz erfrischt. »Gesättigt bin ich,« sagte er. »Wir hatten zwischen uns eine alte Rache auszumachen.«

Aber er versicherte, daß es nichts sei. Er habe nur das Gefühl, als ob die Stäbe plötzlich zerbrochen seien. »Weißt du, wenn in Schönbrunn die Stäbe plötzlich zerbrochen würden. Lange noch würden es die Tiere gar nicht merken. Aber dann!« Und er malte ihr das aus. Und er machte ihr die losbrechenden Panther und Tiger vor.

Plötzlich sagte er: »Nein, nein! Oder wäre Gott wirklich der ungeheure Künstler, einer von den Unerbittlichen, die zu Ende stilisieren müssen? Dein Opfer bis zu Ende? Oder Zufall? Wäre der Zufall so witzig?«

Sie konnte es nicht mehr ertragen. Sie ging hinüber. Sie hatte nichts zu tun. Da betete sie. Sie glaubte nicht an ihr Gebet. Aber sie dachte: vielleicht.

Betend hörte sie den Schuß, mit dem er sich tötete.


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