Hermann Bahr
Leander
Hermann Bahr

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Lenke

Die Kellnerin setzte das Licht auf den Tisch und sagte: »Einen schönen guten Abend die Herren!«

Aber keiner antwortete.

Sie wischte den vergossenen Wein auf. Dann fragte sie: »Noch einen Schoppen, Herr Hofrat?«

Der fuhr auf, als ob er sich gar nicht besinnen könnte. Dann erkannte er das niedrige Gemach, den Tisch, die Freunde. Und er sagte in seiner gemessen höflichen Art: »Ja, Jungfer Kellnerin!«

Da lachte der große dicke Schulrat und sagte: »Was, Jungfer Kellnerin, heute wärst auch lieber bei deinem Kind?«

Sie machte sich los. Der Hofrat kratzte mit dem Daumen den Tisch. Der Schulrat verstand, daß dies Mißbilligung war. Er gab es auch zu. »Nun ja«, brummte er. Aber dann: »Weil auch heute keiner einen Ton sagt!«

Dann waren sie wieder ganz still. Der kleine Hofrat hielt den Kopf schief herab, indem er mit den Fingern aus Brot ganz winzige glatte Kugeln drehte. Der Schulrat stieß den Dampf aus seiner langen Pfeife. Der alte Major sah starr durch das kleine Fenster in die Nacht hinaus. Es hatte ganz leise zu schneien angefangen. Nun war auf dem alten Brunnen der Wassergott schon ganz eingehüllt. Nur ganz oben sah sein langer Spieß mit den drei Zacken noch heraus. Immer langsamer, immer dichter schneite es. Nun schienen die Flocken gar nicht mehr zu sinken, sondern in der gelblichen Luft hängen zu bleiben. Bis es wie ein großes weißes Netz mit engen Maschen war, vor die weite Welt gespannt, nur manchmal leise zitternd. Kein Mensch ging draußen. Aber von der anderen Seite her, über dem weiten Platze, sah man es aus den Fenstern der kleinen Häuser schimmern.

»Horch!« sagte plötzlich der Major und beugte sich vor und lauschte. Auch der Hofrat und der Schulrat beugten sich lauschend vor. So warteten sie.

Nach einer Weile sagte der Major enttäuscht: »Nein.«

Der Hofrat sagte: »Nein. Hier kann man's doch nicht hören. Der Schnee ist auch zu dicht!« Und nach einer Weile sagte er ganz leise, nur so für sich hin und als ob er sich ein wenig schämen würde: »Aber sicher singen sie jetzt schon überall.«

Da schlug der Major mit seiner zottigen, schweren Hand auf den Tisch, daß die Teller sprangen, und schrie: »Warum bringt denn das Luder den Karpfen nicht?!« Und fing zu klappern und zu rasseln an, der dicke Schulrat aber gleich mit, auch der artige Hofrat half, mit dem Daumen klopfend. Und im Chor sangen sie dazu: »Kell- ner-in, Kell-ner-in, Kell-ner-in!« Bis der Karpfen kam.

Der Major sagte, nachdem er ausgeteilt hatte: »Hofrat, dein Tenor meckert noch ganz jugendlich. Aber wenn dich wer gehört hätte! Ein Hofrat!«

Der Hofrat sagte: »Wir sind doch heute ganz allein.« Und der Schulrat sagte boshaft: »Auch ein Hofrat will halt sein Christkindl haben.«

Aber der Major sah durch das niedrige Gemach an den leeren Tischen hin und sagte: »Ganz allein sind wir heute.« Dann nahm er sein Glas und trank den Freunden zu: »So wollen wir wenigstens uns arme Teufel leben lassen! Hoch!« Sie stießen an. Und der Schulrat sagte, schmatzend: »Das ist ein Wein!«

»Ja«, sagte der Hofrat, aber es klang traurig.

»Denn«, sagte der Major, »das hilft uns alles nichts! Alt sein und unbeweibt und kein Kind haben, es ist eine höchst dreckige Sache.«

»Der Fisch ist exzellent«, sagte der Schulrat. Er schmeckte auch dem Hofrat sehr. Und viel später erst, als die Kellnerin abgeräumt hatte und das süße Kletzenbrot brachte, sagte er plötzlich: »Weil man nämlich feig ist und immer nur rechnet – und so ist auf einmal das ganze Leben verrechnet.«

Der Schulrat biß in das süße Kletzenbrot und fragte ganz erschreckt: »Inwiefern meinst du denn das, Hofrat? Wie kommt das jetzt hierher?«

Aber der Hofrat hörte gar nicht auf ihn und fuhr fort: »Weil man zu gescheit ist! Und denkt an alles und will ganz sicher gehen und wartet immer noch zu. Und dann sitzt man am Ende so da! Freilich kann man sich wenigstens sagen: Du hast nie eine Dummheit gemacht! Aber wer weiß?«

»Du bist zu melancholisch«, sagte der Schulrat, »weil du nicht nach Karlsbad gehen willst. Da würde dir das ausgetrieben. Seitdem habe ich die Melancholie nicht mehr.«

»Ja«, sagte der Major, »man hätte die Dummheit machen sollen. Überhaupt ist es für den Menschen schlecht, wenn er weiß, wie's im Leben zugeht. Da drückt er sich dann. Und hat schließlich auch nichts. Einer aber, der nichts weiß, nun der tappt hinein, manchen zaust es schon arg, aber er hat doch was gehabt! Statt daß man schließlich sitzt und auf den Tod wartet, und keiner kann einem sagen, wozu denn eigentlich alles war.«

»Ich warte gar nicht auf den Tod«, sagte der Schulrat, sehr gereizt. Und er fing vor Wut zu schnauben an. »Was heißt das überhaupt? Wer wartet auf den Tod? Das sind gottlose Reden! Und am Heiligen Abend gar sollte ein kaiserlicher Offizier, gar in einer Zeit, wo so schon die guten Gesinnungen erschüttert sind –«, hier brach er ab und trank.

»Nun und?« fragte der Major.

»Was denn?« sagte der Schulrat wütend. Er konnte nicht so viel reden, weil er dann gleich entsetzlich zu schwitzen begann.

»Ich dachte nur, du wolltest –«, bemerkte der Major.

»Nein!« schrie der Schulrat. »Nichts will ich! Nur soll man mir nicht sagen, daß ich auf den Tod warte! Wieso denn?«

»Nun«, sagte der Hofrat, »ich denke, es war mehr eine Redeblume.«

»Ich danke«, sagte der Schulrat. Er war aber sehr froh, daß er schon wieder ruhig wurde, und wollte nicht mehr streiten, weil es schädlich ist. So, eigentlich schon versöhnt, wiederholte er nur noch, um sich nichts zu vergeben: »Der Fisch war exzellent, so einen Wein könnt ihr auch suchen, da ist es ungereimt, plötzlich zu sagen, daß man auf den Tod wartet. Dies fällt überhaupt keinem vernünftigen Menschen ein. Und, mein lieber Major, merke dir, das muß ich dir bei allem schuldigen Respekt vor dir schon sagen: Gebildete Leute lassen in ihren Gesprächen den Tod beiseite.«

»Ich will ihn ganz beiseite lassen«, sagte der Major.

Nun saßen sie wieder und tranken. Jetzt waren auch die drei Zacken des Flußgottes schon verschneit. »Seht«, sagte der Major und zeigte hin, »wie der Schnee glänzt! Die Laterne drüben muß sich schämen, davon wird sie so gelb.«

»Und in dieser Nacht wird sogar der Soldatenstand poetisch, sieht man«, sagte der Schulrat, noch nachgrollend.

Plötzlich fragte dann der Hofrat den Major: »Warum aber hast du, der es doch nicht nötig hatte, die Dummheit nicht gemacht? Du hast Geld. Du hättest nicht rechnen müssen.«

Der Major nickte. »Ja. Aber ich war eben auch zu gescheit, das ist es.« Und da der Hofrat dies nicht zu verstehen schien, fuhr er fort: »Ja, mein guter Hofrat, es gibt allerhand, was einen feig vor den Weibern macht. Und vielleicht war es ein Glück für mich. Sicher war es ein Glück für mich. Denn wer so was erlebt, daß er weiß, wie die Weiber sind, der kann es nie mehr vergessen. Und da geht's nicht, dann darf man nicht heiraten. Da hätte man die Hölle.«

»Hast du denn so was erlebt?« fragte der Hofrat in einem fast neidischen, aber auch ehrfürchtigen Ton.

»Du hast etwas erlebt?« fragte der Schulrat, ganz erstaunt.

»Das ist ja nicht verboten«, sagte der Major.

»Nein«, sagte der Hofrat, kleinlaut. Dann sann er lange nach. Endlich bat er, verlegen, als ob es sich eigentlich gar nicht schicken würde: »Könntest du uns das nicht vielleicht erzählen?«

Der Major antwortete nicht.

Der Schulrat sagte: »Ich möchte das auch gern hören. Denn ich hätte dir das gar nicht zugetraut.«

»Was denn?« fragte der Major.

»Nun«, sagte der Schulrat, »ich zum Beispiel könnte nichts von mir erzählen. Nein. Bei mir war gar nichts.«

Ganz sehnsüchtig sagte der Hofrat leise: »Könntest du es nicht erzählen?« Und zur Entschuldigung setzte er hinzu: »Heute ist doch so ein Tag.«

Da sah der Major den Hofrat an, und der Hofrat sah den Major an und sie wunderten sich, denn die ganzen langen Jahre hatten sie noch nie bemerkt, wie sehr sie sich zugeneigt waren, worüber sie fast erschraken, weil es doch unter reifen Männern gar nicht Usus ist.

Dann begann der Major zu erzählen.

»Ja«, sagte er, »ich schau wohl heute nicht mehr danach aus. Und mir kommt's eigentlich selber ganz merkwürdig vor, daß ich, der hier sitzt, von der Gicht gezwickt und euer Freund, es gewesen sein soll, der damals, kaum zwanzig, eben erst in Neustadt zum Leutnant ausgemustert, in das schöne Land Tirol zog. So ein junger Leutnant, das wißt ihr ja gar nicht! Da marschiert man immer vor der Front, den Säbel gezückt, bei wirbelndem Trommelschlag! Und Hurra auf das Leben los! Und die ganze Welt steht Habtacht und muß präsentieren! Glaubt man. Nun ja. Und jetzt denkt euch noch, daß der Hauptmann, unter den ich dienen kam, mir der liebste Mensch war, den ich hatte. Das war der Hauptmann Rosenetz, ihr habt sicher den Namen gehört, er ist im Duell erschossen worden, und den andern Tag fand man sie, Gott sei ihr gnädig, sie hatte sich am Fensterkreuz aufgehängt. Das war was für die Zeitungen! Sie wußten aber nichts Genaues. Ich auch nicht. Denn damals waren wir längst getrennt. Gott wird ihr schon gnädig gewesen sein. Das weiß ich. Aber das geht euch ja nichts an, ich wollte nur sagen, daß ihr von ihm und seinen verwegenen Streichen sicher gehört habt. Es war so einer, dem man es auf den ersten Blick ansieht: Der bricht einmal das Genick! Mir aber, von klein auf, galt keiner mehr, und wenn ich von großen Männern und den Helden der alten Zeit hörte, solchen Römern, wovon man in der Schule lernt, oder solchen Indianern, wofür die Buben schwärmen; bei allen derartigen Häuptlingen der Geschichte, die einem den Kopf warm machen, stellte ich mir immer nur meinen Onkel Rosenetz mit dem hängenden dicken Schnurrbart und seinen Teufelsaugen vor. Nämlich diese Augen, da gab's wirklich kein anderes Wort dafür, und es sagte es auch ein jeder: Da schaut der Teufel heraus! Ganz kleine Augen, und man wußte eigentlich gar nicht die Farbe recht; auch kniff er sie gern ein, und wenn er einem zuhörte, so diesen dicken Strick von Schnauzbart um die Finger drehend, hatte er sie zu, sonst hätte man sich ja gar nichts zu sagen getraut. Denn wenn der euch ansah, o verflucht! Da sprangen die Funken nur so, und es war ein Regen von Feuer, und man wurde förmlich mit Flammen von oben bis unten bespritzt! Könnt euch meinen Stolz denken, wenn dieser Onkel den kleinen Kadetten manchmal Sonntag besuchen kam oder mich gar zu Weihnachten oder zu Ostern auf ein paar Tage nach Wien nahm. Wie er übrigens mein Onkel war, das weiß ich nicht, es war eine von den weitschichtigen Verwandtschaften, so hinten um die Weiber herum. Mein Vater, dessen Adjutant er war, nannte ihn Vetter. Aber meines Vaters Bruder hätte an mir, nach meiner Eltern Tod, nicht besser handeln können. Und dann – ja das muß ich auch noch sagen, das kam auch noch dazu. Ein arger Fall, wo man wieder sieht, wie der ganze Mensch und alles, was aus ihm werden soll, und Ehre, guter Name, Glück doch immer nur an einem Haar hängt. Nämlich, es war zwei Jahre, bevor ich Leutnant wurde, da hatten wir einmal frei und gingen unser fünf oder sechs, ein wildes Rudel, in der Stadt herum. Herbst war, Heurigen gab's und jung waren wir halt – nun denkt euch den Reim, den das gab. Nun geschah es, daß wir, wie man dann schon durchaus nicht nach Hause will, nachts noch in ein Café gewackelt kamen. Wer sitzt da? Mein guter Hauptmann mit den Teufelsaugen; damals war er aber noch Oberleutnant. Ich, sehr vergnügt: ›Ja, Onkel, was tust du denn da?‹ – ›Halt's Maul‹, fuhr er mich an und war zuerst gar nicht erfreut. Er wird wohl wieder unerlaubt in der Stadt gewesen sein, war er doch immer hinter den Schürzen her, und da verlor er gleich seinen ganzen Verstand. So war's, so blieb's, da kann der Mensch nichts machen. Dann aber fing er zu lachen an und nahm uns alle an seinen Tisch, und nun ging es erst los! Wir hatten jeder schon eine gute Fuhre zu viel, das war ihm ein großer Spaß, nun hieb er auf uns noch mit Punsch und Schnäpsen ein, wir sahen gut aus! Schließlich aber doch: Marsch, nach Hause! Und er mit, Gott sei Dank, muß ich sagen. Manchmal ist es wirklich, als wenn einem Menschen schon sein Grab geschaufelt wäre. Also, wie ich sage, wir kugelten so durch die Nacht, einem war schlecht, der andere sang, ich hatte mich an den Onkel gehängt und allen weit voraus, ganz allein, tanzte die kleine Fischerin. So nannten wir einen Kameraden, der Fischer hieß, aber so was Zartes und Erschrecktes und Sanftes hatte, daß er wirklich mehr einem Mädchen glich. Er war ganz schlank und ganz blond und immer so traurig, wenn man ihm wieder die feinen Locken schneiden ließ. Anfangs prügelten wir ihn viel, aber nach und nach hatten ihn alle gern und halfen ihm. Das Lernen war ihm nämlich sehr schwer, und überhaupt hatte er nichts im Kopfe als Tanzen, das war seine Passion. Ich sehe ihn noch, abends, bevor wir einschliefen, ein Leintuch umgebunden, das, sagte er, stellt eine Vestalin vor, und so tanzte er. Später ist er abgeschwenkt, das war gescheit, und ist Astronom geworden. Da soll er sehr tüchtig sein, er hat sogar einen neuen Stern entdeckt. Tanzen die Sterne? Ich weiß es nicht, aber der Mensch hängt ja selten mit seinem Berufe zusammen, man nimmt, was kommt. Also diese liebe stille kleine Fischerin tanzte vor uns her, springend und schwebend und fast fliegend; entweder war es wirklich wunderschön oder aber ich ganz betrunken. Plötzlich kommt uns einer von der Hermandad entgegen, ein guter dicker alter Kerl, aber wie er so an nichts denkt, seinen Weg verschlafen wackelt und unversehens die springende, fliegende, schwebende Gestalt vor sich hat, erschrickt der Tropf, weiß nicht, was los ist, und will die Fischerin packen. Fällt ihr aber gar nicht ein, sondern sie schießt vor, dicht an ihm vorbei, wie eine Fledermaus, und dann hinten herum und wieder vor und wieder herum, dreimal, viermal, fünfmal, und immer schneller, der Dicke dreht sich mit, aber er kommt nicht nach, und der Dicke schreit, während man von der Fischerin nur von Zeit zu Zeit ein feines silbernes Zirpen und Piepen hört, da kriegt das Gesetz plötzlich eine solche Wut, daß es den Säbel zieht, und jetzt weiß ich nur noch, daß ich da auch schon dem Dicken am Kragen war, von hinten her, er stürzt, verliert den Säbel und bums in den Kot, ich aber sinnlos mit beiden Fäusten auf seinen Schädel los und brülle in einem fort: ›Hund, jetzt wirst du hin!‹ Er ächzt, alle schreien, ich höre nichts, mir ist nur überall rot und ich weiß nur: ›Hund, jetzt wirst du hin!‹ Noch jetzt träumt es mir manchmal, besonders wenn ich abends zu viel Käs esse, diesen verdammten Schachtelkäs, der so gut ist. Und mein lieber Hofrat, du verehrte Gerichtsperson, es ist eine Schande, aber denk dir: noch heute freu ich mich, wenn ich im Traum den Dicken habe und würgen kann. Dann aber, nämlich nicht im Traum, sondern damals, wirklich, bin ich plötzlich in der Luft, eine Hand hat mich, hält mich, trägt mich, ich wehre mich, ich will nicht los, ich weine vor Wut, die Hand aber ist stärker und sie rennt mit mir weg und dann weiß ich wieder gar nichts mehr, bis ich plötzlich von einer ungeheuren Ohrfeige geweckt werde, mich im nassen Grase finde, und mein Onkel Rosenetz steht vor mir und sagt: ›Du verfluchter Lausbub!‹ Und dann sagte er nur noch: ›Jetzt nach Haus und schlaf dich aus! Denn das kann morgen eine schöne Geschichte werden!‹ Jetzt ging es mir erst nach und nach alles auf. Und der nächste Tag, immer in der Erwartung: jetzt und jetzt muß es kommen! Zwei Tage ließ er mich so zappeln. Ganz recht. Die zwei Tage habe ich mein ganzes Leben nicht vergessen. Erst am dritten erfuhr ich, daß sich der Onkel den Dicken vorgenommen und ihm die Prügel abgekauft hatte; und alles wurde vertuscht. Sonst würde ich wohl heute ein armer alter Schreiber irgendwo in einer Kanzlei sein, und ihr würdet euren Wein auch nicht mit einem vorbestraften Menschen trinken. An einem Haar hängt's manchmal, an so einem ganz feinen und ganz dünnen und ganz weichen Haar, wie die blasse Fischerin hatte. Ja, ja!«

Nach einer Pause sagte der Schulrat, sehr nachdenklich: »Warum du aber deswegen nicht geheiratet hast, das kann ich doch eigentlich nicht verstehen.«

»Aber das kommt doch erst«, sagte der Hofrat.

»Ach so, das kommt noch«, sagte der Schulrat.

»Ja, das kommt noch«, sagte der Major und sah auf die Uhr. »Teufel, ich muß mich aber tummeln, es wird spät.«

»Wir haben ja nichts zu versäumen«, sagte der Hofrat.

»Man kommt sowieso doch in ein kaltes Bett«, sagte der Schulrat.

»Nein, wir haben nichts zu versäumen«, sagte der Major. »Das alles habe ich euch ja nämlich gar nicht erzählen wollen, sondern ihr müßt nur wissen, was ich an meinem Hauptmann Rosenetz hatte, nicht bloß einen Onkel und einen, der sich nach dem Tode meiner Eltern ganz allein des armen Buben angenommen hatte, und gleich einem Kameraden, denn er sagte jetzt Lausbub, aber in fünf Minuten gestand er mir dann wieder seine sämtlichen Geheimnisse, Duelle, Sachen mit Weibern, bei ihm ging ja jeden Tag was vor, und nun könnt ihr euch das Gefühl eines jungen Menschen von sechzehn, siebzehn Jahren denken, einen solchen Freund zu haben und in solche Sachen eingeweiht zu sein; ich war schon stolz, mit ihm nur über die Gasse zu gehen. Und könnt euch denken, wie vergnügt ich nun damals über den Brenner fuhr, als junger Leutnant, zu seiner Kompanie. Dir hängt der Himmel voller Geigen, pflegt man wohl zu sagen. Das ist aber noch gar nichts: mir hing die Erde von Geigen voll, müßte ich sagen. Und nun noch dieses gesegnete Land hinab, wo dem Menschen ja schon von der bloßen Luft das Herz höher schlägt, denn man spürt's am Wind, und der Sonne sieht man's an: da unten liegt Italia! Bevor es aber liegt, da haben wir diese wunderschönen Festungen hingebaut, wie um den roten Bergen dort zu zeigen, daß der Mensch schon auch was kann. Verflucht, da machte ich Augen! Schaut doch noch anders aus als im Büchl. Es war ein ganz kleines Fort, um das Tal zu sperren. Ganz klein und ganz weiß. So wie eine junge weiße Katze, bevor sie springen wird, lag es oben. Wir nannten es auch immer das Katzl, Lenke und ich. Ja so, das muß ich euch ja jetzt erst sagen, wer Lenke war. Der Hauptmann hatte nämlich geheiratet. Das war ein Zetern! Denn das hätte man doch nie von ihm gedacht. Jeden Tag eine andere, manchmal zwei, sie liefen ihm doch alle zu. Und er sagte selber immer: ›Unter einer Million nicht zu machen, oder eine russische Fürstin mit einem Schlosse im Kaukasus, darüber ließe sich reden!‹ So war er ja! ›Denn das merk dir‹, sagte er mir, da war ich noch ein ganz kleiner Bub, und er schenkte mir eine Trompete und sagte: ›Das merk dir, auf die Weiber mußt du blasen lernen, dann geht alles!‹ Sie hatte aber keine Million und war keine russische Fürstin, sondern ihr Vater hatte ein kleines Gut und große Schulden in Ungarn, und wollte doch erst nicht einmal was von ihm wissen, weil er einer von denen war, die glauben, daß man nur in Ungarn leben kann, weil dort alles viel schöner und besser ist, sogar der liebe Gott, der sich aus den anderen Ländern gar nichts macht und nur dort sich ordentlich zusammennimmt. Also der war wenig erbaut von einem Kaiserlichen, von einem Schwaben zum Schwiegersohn. Und dort unten sind sie ja auch viel lebhafter als wir, kurz: er schmiß ihm die Türe vor der Nase zu. Nun, da kam mein Rosenetz in der Nacht durchs Fenster zurück, packte sein Mädel ein und adieu. Dafür war er ja im Training. Daß es aber diesmal zur Kirche ging, weiß der Teufel, wie's den Menschen manchmal hat, daß er auf einmal ganz ein anderer ist. Der ungarische Bauer sagte schließlich amen, alles fand sich, und als ich auf das Fort kam, waren sie schon das zweite Jahr vereint. Das sah man ihnen aber nicht an, Brautleute können nicht zärtlicher sein. Oder eigentlich waren sie wie zwei, die sich's noch gar nicht gestanden haben, weil ihnen der Mut fehlt, und nun ganz verzagt ums Haus gehen, mit solchen fragenden, bittenden, verlegenen Blicken, in Angst, sich zu verraten, und eigentlich froh, wenn sie nur lieber schon wieder draußen wären, können aber doch nicht weg, kleben an, und immer sind sie in der größten Furcht. Merkwürdig war das. Anfangs fiel mir einmal ein, von der Trompete zu reden, so zum Spaß, und wie er den Buben gedrillt hatte, den Weibern zu blasen. Da stand er auf, ließ mich und sprach zwei Tage nichts. Das war nämlich überhaupt bei ihm, auch schon früher, daß er, wenn ihm was nicht recht war, einem plötzlich sozusagen unterderhand zufrieren konnte, der Feuermensch. Und jetzt schien er gar von allen Menschen weiter weg zu sein. Nicht als ob er weniger herzlich mit mir oder etwa der strenge Hauptmann gewesen wäre. Nein, ich hatte es im ganzen Leben nie mehr so gut. Nur kam mir vor, als ob er sich dazu, ja als ob er sich eigentlich jetzt zu allem, was er tat, gewissermaßen erst zwingen müßte, wie einer, der noch geschwind irgendeine Besorgung macht, aus Pflichtgefühl, aber sehr ungeduldig, weil er was Wichtigeres im Kopf hat. Er war so väterlich, brüderlich, kameradschaftlich mit mir wie sonst, aber er mußte, kam mir vor, sich gewissermaßen immer erst daran erinnern. Doch ging es mir famos, der Dienst war nicht schwer, wir hatten ja eigentlich wirklich nicht viel mehr zu tun, als auf das Katzl achtzugeben, daß es schön weiß blieb, mit den Kameraden, einem stillen, sehr höflichen Oberleutnant, der wie eine Baßgeige aussah, eigentlich ein Gelehrter war und am liebsten über seinen Rechnungen saß, weil er einen Apparat, auf dem Wasser zu gehen, erfinden wollte, der arme Kerl ist später verrückt geworden, und dann hatten wir zwei Kadetten, der eine war ein Baron und der andere machte Gedichte, also mit denen stand ich sehr gut, und dann die herrliche Luft, dreizehnhundert Meter hoch, man atmet nur und ist schon wie betrunken, und wenn ich in der Früh zu den Rekruten in den Hof kam und es blies dieser ganz leise, ganz leichte, luftige Wind, der sich nur geschwind vorüberschwingt, da war mir, als ob ich von tausend ganz feinen kleinen Nadeln an den Wangen und im Halse gekitzelt würde; und dann vergeßt nur nicht, daß ich noch nicht einmal zwanzig Jahre war, noch dazu. Freilich, Vergnügen und was sich so der junge Mensch wohl wünscht, Theater, Bälle, Festlichkeiten gab's nicht.

Eine Stunde vom Fort, talab, hart an der Grenze, war ein Schloß, da wohnte eine alte englische Malerin mit ihren drei Söhnen, famosen Kerln, die wie Urmenschen aussahen, ganz verwildert und ungeheuer stolz darauf, und immer nur in den Felsen stiegen und das Hütl belagerten, einen ganz schmalen spitzen Gipfel, der von unten gar nicht so fürchterlich aussah, aber noch unerstiegen war. Da wollten sie die ersten sein, dafür lebten sie; wenn's aber finster wurde, spielten sie Billard, da waren wir Offiziere stets willkommen. Und dann gab es noch, auf der anderen Seite, gut eine Stunde über dem Fort, knapp am Gletscher, ein kleines Haus, da wohnte ein verdächtiger welscher Graf, den verzwickten Namen weiß ich nicht mehr, wir nannten ihn nämlich nur den Grafen Blaubart, weil sein ganz dichtes dickes Haar und der kurze wuchernde Bart, wenn er in seinem kleinen Wagen vorüberfuhr, selbstkutschierend, und nun von der Straße unten auf unser Katzl sah, in der grellen Sonne wirklich fast violett schienen. Er sah aber nicht sehr freundschaftlich zu uns herauf, oder bildeten wir uns das nur ein; weil man nicht recht wußte, was der Mensch eigentlich trieb, und weil er auch, so wirklich ausgesucht höflich er mit uns war, in seiner ganzen Art etwas Spöttisches versteckt hatte und uns ein unheimlicher Ritter blieb.

Also, wie gesagt, mit Geselligkeit wurden wir nicht verwöhnt, und das höchste war, wenn einer schon ganz ausgehungert und es nicht mehr auszuhalten schien, daß ihm der Hauptmann erlaubte, über den Sonntag nach Franzensfeste oder nach Villach zu fahren; da kam sich einer dann schon wie der reine Tannhäuser vor. Sonst war ich fleißig, tat meine Pflicht, fand mich sehr wichtig, wenn ich mit den Rekruten Schule hielt, gab den Kadetten gute Lehren, wie das Leben aufzufassen ist, ritt manchen schönen Tag die weiße Straße bis zur Grenze hinab, um neugierig in das fremde Land hinüber zu schauen, spielte mit den jungen Engländern Billard und trank ihren Whisky und im übrigen ließ ich mich von Lenke, so hieß des Hanptmanns Frau, geduldig erziehen. Das hatte sie sich nämlich in den Kopf gesetzt, stellte sich aber dabei mehr an, als hätte sie einen jungen Pudel abzurichten. Immer hatte sie was zu zanken, nichts war ihr recht, sie meinte, mir fehle noch der richtige Schliff. Doch war es mir keineswegs unangenehm. Während sie nämlich mit Rosenetz, wenigstens wenn ich dabei war, fast etwas Scheues hatte, gleich immer rot wurde und meistens schwieg, konnte sie mit mir zuweilen ganz ausgelassen sein, sang mir ihre ungarischen Lieder vor und tollte wie ein Kind herum. Einige Zeit sollte ich sogar ungarisch lernen, und das gab ihr nun den größten Spaß. Ich hatte sie sehr gern, nur kam es mir ganz sonderbar vor, wenn mir einfiel, daß sie doch eine verheiratete Frau war. Manchmal sagte ich plötzlich: ›Frau Tante!‹ Da mußten wir sehr lachen. Einmal sagte ich: ›Frau Hauptmann!‹ Aber das mochte sie nicht. Und wenn sie was nicht mochte, sprach sie dann oft den ganzen Tag kein Wort mehr, ihr schmales Gesicht wurde ganz gelb, und man sah ihr den Zorn an der kleinen, etwas zu kurzen Nase an. Hübsch fand ich sie nämlich überhaupt nicht, gar nicht. Ich hörte einmal einen Soldaten zum andern sagen, die waren alle in den Hauptmann ganz verliebt, aber Lenke, die sehr hochmütig sein konnte und dann die Worte nicht schonte, mochten sie nicht, und davon redeten die zwei Soldaten und bedauerten den Hauptmann, und der eine sagte: ›Was hat er denn von ihr? Es is ja nix dran an ihr.‹ Und dabei rieb er sich die Finger. Ich hatte aber damals auch diesen Geschmack, bei den Frauen mehr aufs Gewicht zu schauen. So wie man die Austria dargestellt sieht oder wie im Theater die Jungfrau von Orleans erscheint, wenigstens zu meiner Zeit war es so. Stattlich, eindrucksvoll und, wie man hier wohl mit Recht sagen kann, erhaben. Lenke fand ich eigentlich recht unweiblich, in dieser Beziehung, und schon gar nicht ungarisch. Sie hatte was von einem verkleideten Buben, ich mußte manchmal an die kleine Fischerin denken, auch so zartes, weiches, blondes Haar hatte sie. Zu meinem Onkel Rosenetz paßte sie doch wirklich gar nicht. Der zweite Kadett hatte darüber ein Gedicht gemacht, das hieß: ›Der Adler und das Küchlein.‹ Und so zerzaust und verrupft war sie wirklich anzusehen, wenn sie mit ihren dünnen, flinken Beinen durch den Hof schoß. Nur begriff ich nicht, warum der Kadett das so rührend fand. So zum Weinen rührend, sagte er. Ich weinte gar nicht, sondern war froh, daß sie nicht, wie ich befürchtet hatte, den anderen Frauen glich, bei denen mir damals meistens ganz merkwürdig zumute wurde, gewissermaßen, wie wenn wo der Ofen geraucht hat. Sogar mit der alten englischen Malerin ging es mir so, die freilich teilweise auch schon unerlaubt stattlich war. Grinse nicht, Schulrat!«

Der Schulrat bekam einen roten Kopf. Und schnaufend sagte er: »Jetzt wird deine Geschichte hochinteressant.« Und er rief die Kellnerin. Dann sagte er seufzend: »Ja, Beim Militär! Wo hat denn unsereiner so was?« Und er hieß die Kellnerin drei Flaschen von dem süßen Ungarwein bringen, den der Wirt eigens für ihn hielt. »Der Frau Hauptmann zu Ehren! Eljen!« sagte er und schwenkte das Glas.

Der Hofrat nahm sein Glas, und bevor er trank, sagte er leise: »Mir hätte das Küchlein schon gefallen.«

»Ja«, sagte der Major trocken, »in unserm Alter denkt man wieder anders.«

Der Schulrat hielt das Glas an den Mund, schnupperte hinein, blinzelte hinüber, wurde träumerisch und fragte: »Ob die alte Engländerin wohl noch lebt?«

Der Major stieß mit dem Hofrat an, sie hoben die Gläser und sahen in das gelbe Leuchten. Dann rochen sie, mit der Nase saugend. Und gleichsam lauschend auf den Klang des wärmenden Weines, regten sie sich nicht. Dann nickten sie dem Schulrat zu und hielten ihm die Gläser hin. Er wurde stolz und füllte sie wieder. Und wieder tranken die drei Männer langsam, und es war ganz still, und man hörte im einsamen Zimmer nichts als ihren blasenden Atem.

»Und nun«, sagte der Major, »stellt euch vor, wie mir wurde, als plötzlich, es war tief im Januar, einmal abends, nach dem Befehl, der Hauptmann in meinem Zimmer stand, einen Brief in der Hand, bleich, als hätte der Tod ihn gepackt, und erst gar nicht fähig, ein Wort zu sagen. Dann aber erfuhr ich, daß er fort mußte. Ich hatte früher schon gehört, als er noch in Wien war, daß er manchmal für lange Zeit geheimnisvoll verschwand. Nach Rußland hieß es. Er wußte viele Sprachen, verwegen war er und hatte in solchen Aufträgen Entschlossenheit, List und kalten Mut gezeigt. Das versteht ihr nicht, man spricht auch nicht gern davon, es muß aber sein, es geht nicht anders, ein Glück, daß es Menschen dazu gibt. Er sprach darüber nie zu mir, auch jetzt sagte er nur: ›Ich muß fort, auf lange, weit weg.‹ Dann sah er mich an, bis er wußte, daß ich es verstand. Und nun ordnete er alles an. Der Oberleutnant bekam die Kompanie, der Feldwebel den vierten Zug. Dann sagte er: ›Lenke bleibt hier, ich habe niemanden, dem ungarischen Schuft mag ich sie nicht schicken.‹ Dann gab er mir ganz ruhig Ermahnungen, meine Pflicht zu tun und mich gut zu halten. Er erinnerte mich an meinen Vater. Auch an die Geschichte mit der tanzenden Fischerin. ›Vergiß das nie!‹ sagte er. Ich versprach es. Und er nahm mich bei der Hand und sah mich an. Und dann sagte er: ›Das war es, was ich dir noch sagen wollte, weil du mir doch der Nächste bist; und um dich wäre mir leid; und jetzt zeig, daß man sich auf dich verlassen kann!‹

Dann ging er im Zimmer auf und ab, sah die Sammlung von Photographien an der Wand an, meiner Eltern und Kameraden, und wurde sehr gesprächig. Dann sagte er: ›Und wenn du Zeit hast, schau dich manchmal ein bißchen nach ihr um, es wird ihr etwas einsam sein, gar anfangs.‹ Und ganz lustig sagte er: ›Gib mir auf die Frau Tante schön acht!‹ Und dann noch: ›Die paar Monate sind keine Ewigkeit, man stellt sich das immer viel ärger vor.‹ Dann plauschten wir noch so. Zuwider wäre, daß sie sich nicht schreiben könnten. Ginge aber nicht, um ihn nicht verdächtig zu machen. Und dann war er traurig, daß sie kein Kind hatten. Das hatte mir Lenke schon einmal erzählt, daß er sich das so sehr wünschte. Wenn ich ihn bisweilen ganz verändert und oft tagelang schweigsam fand, so sei, meinte sie, nur dies der Grund. Sie wünschte sich auch ein Kind, konnte ihm aber doch nicht zustimmen, wenn er behauptete, daß man erst, wenn man Kinder hat, wirklich verheiratet sei. Das fand ich auch übertrieben, verstand aber, daß sie dann jetzt doch eine gewisse Zerstreuung gehabt hätte. Erst viel später ist mir klar geworden, was er meinte. Denn damals hätte ich mir nicht träumen lassen, daß er eifersüchtig war. Ich hätte nur gelacht. Auf wen denn? Gab es denn einen Mann, der sich mit dem Rosenetz messen konnte? Damals wußte ich ja noch nicht, daß die Frauen darin anders als die Männer sind; und wie es zuletzt mit den Männern ist, wußte ich damals auch noch nicht. Er sollte also nur unbesorgt sein, mir wäre nicht bange, ihr schon die Zeit zu vertreiben.

Da blieb er plötzlich vor mir stehen, beugte sich zu mir, der im Sessel saß, und nun, mit seinen Teufelsaugen, daß mir ganz unbehaglich war, sprach er: ›Gib mir die Hand, daß du über Lenke wachen wirst, wie der Bruder über die Schwester wachen muß.‹ Diese Worte und sein Ton waren aber so feierlich, daß ich erschrak. Ich gab ihm die Hand. Dann ließ er sie los, nahm mein Portepee und spielte damit. Und noch einmal sagte er diese Worte: ›Wie der Bruder über die Schwester wachen muß!‹ Schon aber war er fort, und ich saß da.

Ich hatte kein gutes Gefühl. Mir wäre lieber gewesen, er hätte mir das nicht so gesagt. Es verstand sich ja doch von selbst, nicht? Und er tat mir sehr leid, er war halt fürchterlich verliebt in die Frau, das bringt, scheint's, den Menschen um den ganzen Verstand. Und dann kam nun diese merkwürdige Zeit! Schade nur, schade, daß der Mensch, wenn er was erlebt, es eigentlich immer erst später merkt! Der Hauptmann war fort, wir richteten uns ein, schwer war es ja wirklich nicht, schließlich hätten es die Kadetten allein auch getroffen, natürlich aber wollte jeder um die Wette seinen Eifer zeigen. Ich gar, mit meinem Gefühl, daß auf mir noch sozusagen des Hauptmanns besonderer Segen lag. Lenke ließ sich die ersten Tage gar nicht sehen. Sie saß oben, sprach nicht, aß nicht, schlief nicht, saß nur immer, Tag und Nacht, am Fenster, nach der Straße sehend, übrigens ganz still und gefaßt, ohne zu weinen, fast ohne sich zu regen, nur starr nach der Straße hin sehend; und es schien, als ob plötzlich ihr ganzes Wesen still gestanden wäre. So ging's eine Woche lang. Ich meldete mich täglich, sie ließ mir aber durch die Magd bloß sagen, es sei schon gut. Ich wußte mir gar keinen Rat. Dann aber, am neunten Tag, war sie plötzlich in der Früh wieder unten im Hof, wie sonst, beweglich wie sonst, lustig wie sonst, schoß herum, mischte sich in alles, und so jetzt jeden Tag, bis mich sogar der Oberleutnant ersuchen mußte, ihr doch behutsam begreiflich zu machen, daß sie ja schließlich nicht der Hauptmann sei und es schon uns überlassen müsse, Ordnung zu halten. Da war sie nun wieder sehr nett, ließ sich alles sagen, lachte, sah es ein und fügte sich gern. Sie fing nun an, die ganze Wohnung umzuräumen, alle Möbel, die Bilder paßten ihr plötzlich nicht, sie ließ neue Türen brechen, und wirklich alles mit solchem Geschmack, daß wir ganz erstaunt waren, wie behaglich und bequem die Wohnung sich verwandelte. Ich mußte wieder mein Ungarisch mit ihr treiben, vom Oberleutnant ließ sie sich den Apparat erklären, auf dem Wasser zu gehen, und jeden zweiten Abend mußten wir uns bei ihr versammeln, um mit verteilten Rollen berühmte Theaterstücke zu lesen, ›Zrinyi‹ von Körner, ›Deborah‹, ›Drahomira‹, lauter so klassische Sachen, worunter ich sehr litt, weil es mir dafür immer an dem nötigen inneren Schwung gefehlt hat. Ich mußte nur achtgeben, nicht einzuschlafen, und begriff sie gar nicht, die doch den ganzen Tag immer auf und ab, immer hin und her, keinen Moment in Ruhe war, daß sie denn nicht schließlich müde wurde. Kurz, sie machte uns eigentlich mehr als die ganze Kompanie zu schaffen. Auch war sie jetzt merkwürdig streitsüchtig, nahm alles gleich übel, zankte herum, und man mußte sich schon ordentlich auf die Fersen stellen, alles kann man sich ja doch nicht gefallen lassen. Sie war ein rechter Wirbelwind. Oft aber tat es ihr wieder leid, sie klagte sich dann an, daß es unrecht von ihr gegen den Hauptmann sei, mit uns lustig zu sein (obwohl es, wie gesagt, für uns gar nicht so lustig war), statt um ihn zu trauern, sie wollte in ein Kloster gehen, sie zog sich auf einmal schwarz an, und mit einem Schleier, was aber wieder im Schnee nicht ging, und dann behauptete sie, der zweite Kadett sei in sie verliebt und schaue sie ungebührlich an, und es war nicht sehr gemütlich, weil man, wenn der Tag verging, sich immer schon sorgen mußte, was denn morgen wieder sein würde. Und ich hatte stets alles auszubaden, weil sie behauptete, ich sei noch der einzige, der sie verstehe; das war aber wirklich nicht wahr, ich kannte mich nämlich mit ihr gar nicht mehr aus und hatte manchmal schon eine große Wut auf sie, obwohl ich ja sagen muß, daß sie dann wieder oft tagelang ganz famos sein konnte, so vergnügt, dabei auch so gescheit und eben wirklich wie ein guter Kamerad.

Dann erzählte sie mir von ihrer Kindheit und ich mußte ihr von der meinen erzählen, hauptsächlich aber von Rosenetz, wie der damals war, als sie sich noch nicht kannten, da konnte sie sich nicht genug hören, und mit großen Augen saß sie da, ›denn‹, sagte sie, ›das ist zu merkwürdig, daß es einmal eine Zeit gab, wo er gar nichts von mir wußte, und ich wußte nichts von ihm, und doch waren wir auf der Welt, das kann man sich doch gar nicht denken, wie soll denn das gewesen sein?‹ So ganz seltsame Dinge sagte sie manchmal, und nach und nach ahnte mir, daß, wenn eine Frau einen gern hat, es in ihr wohl ganz geheimnisvoll zugeht, wie ein Mann es vielleicht niemals recht begreift, und, daß das für ihn sehr schön sein muß. Da wurde mir oft schon ganz toll vor Sehnsucht. Es muß doch ein eigenes Gefühl sein, über ein menschliches Geschöpf so ganz Herr zu werden, über Leib und Seele; schaurig muß das eigentlich sein. Und gerade, wenn es eine war, die sich aus den Männern nichts macht und sonst eher fast einen Zorn auf sie hat, wie Lenke, die sich förmlich beherrschen mußte, um nicht jedem gleich zu zeigen, wie zuwider ihr sonst alle Männer waren; und selbst, wenn sie noch so höflich tat, war irgend etwas, das einem gewissermaßen immer sagte: Zehn Schritte vom Leibe! Und gar, wenn ihr wer verdächtig wurde, in sie verliebt zu sein. O je, war sie da bös! Das ging so weit, daß man gar nicht vorsichtig genug sein konnte; gleich hatte sie Verdacht. Über einen nach dem andern hat sie sich bei mir beschwert, der Reihe nach. Und das kann ich mir wirklich nicht denken; die Kadetten waren ja Windhunde, aber vom Oberleutnant kann ich es nicht glauben. Aber sie sagte, daß ich der einzige sei, der sich anständig betrage, sonst traue sie keinem hier; deshalb könne sie mich auch so gut leiden. Was ja für mich sehr ehrenvoll war, aber weiß der Teufel, es ist ein dummes Gefühl, so was zu hören; fast schämt man sich, denn die andern hätten mich ausgelacht.

Übrigens war ihr ja an mir auch alles mögliche nicht recht, immer hatte sie was zu zanken und schrie mit mir und puffte mich und beutelte mich wie einen Lehrbuben, kurz, der Dienst wurde mir nicht leicht bei diesen ungarischen Manieren. Ich kann mir's auch nicht anders erklären, als daß sie manchmal wirklich ein bißchen verrückt war. Nämlich so auf eine kindische Art verrückt. Denkt euch, einmal zum Beispiel, da hatte ich einen riesigen Schreck, wir hatten exerziert und kommen zurück, und wie wir einbiegen, von der Straße weg den Berg hinauf, denke ich mir: Das ist doch merkwürdig, wer steht denn da am Fenster mit Lenke? Und, wie wir näher kommen: Das kann ja nur der Hauptmann sein, auch nach der ganzen Gestalt, kein Zweifel! Und weiß gar nicht, was ich denn denken, wie denn das sein soll, und renne hinauf, was war's? Eine Puppe, wie die Weiber sie so zum Schneidern haben, in seiner Uniform, mit Kappe und Säbel! Und sie sagt ganz ruhig: Das tue ich doch fast jeden Abend, und dann setze ich mich zu ihm, da habe ich wenigstens seine Kleider! Dabei streichelte sie diese, so mit den Spitzen ihrer langen Finger, langsam herab, leise herab, ich konnte das nicht ansehen, mir war's unheimlich, sie stand ganz still, nur die streichelnde Hand regte sich, ich aber dachte, daß gleich etwas auf mich losstürzen müsse, jetzt und jetzt, denn sie hatte einen so bösen Schimmer im Blick, wirklich wie eine Verrückte!

Aber es wäre freilich kein Wunder gewesen, wenn wir damals alle miteinander verrückt geworden wären, vor Kälte nämlich, einer beißenden, stechenden, bohrenden Kälte, die einem Nägel in den Schädel schlug, ich habe einen solchen Winter nicht mehr erlebt. Und in solcher Höhe ist das auch noch anders, bei uns kannst du dich verstecken, bleibst zu Hause, bleibst liegen, aber dort kriecht dir der Winter bis ins Bett nach, du hast ihn im Blut, es macht dich toll, man kann nicht mehr denken, man hat's wie einen Ring ums Gehirn. Mich hat's einfach ganz wild gemacht. Denn so bin ich nie gewesen, nicht früher noch später. Es gab mir keine Ruhe, immer trieb es mich, ich war immer in höchster Eile, und als ob ich was verloren hätte, und als ob ich was versäumen würde, ein Narr, man kann's nicht anders sagen. Ich bin sonst wahrhaftig kein Schinder, aber daß mich damals meine Rekruten nicht einfach erschlagen haben, wundert mich heute noch. Recht hätten s' gehabt! Bösartig macht den Menschen eine solche Kälte. Ich hatte eine wahre Passion, jeden anzufahren. Auch Lenke; ich genierte mich gar nicht; ich spielte auf einmal den Herrn: Rosenetz hatte sie mir übergeben, ich war verantwortlich, sie hatte zu gehorchen! Ich weiß noch, wie sie mich ansah, als ich ihr das zum ersten Mal sagte; es fuhr aus mir, ich erschrak ja selbst. Dann aber fing sie zu lachen an. So merkwürdig, mit verbissenen Zähnen, es war kein gutes Lachen; und mit so frechen Augen, daß mir rot wurde, vor Zorn über das ungarische Weibsbild. Und dann nahm ich sie, mit beiden Fäusten nahm ich ihre beiden Hände, an den Gelenken, und schraubte sie und sagte noch einmal: Zu gehorchen hast du mir, verstanden? Und ließ sie los und ging, ohne sie noch einmal anzusehen, ohne noch ein Wort zu sagen.

Seitdem war ein stiller Haß zwischen uns, und als ob sie sich rächen und sich mit mir messen wollte, wer stärker wäre. Ich mußte sie zu allem zwingen. Ich kam in der Früh, sie fragen, ob sie nachmittags spazieren gehen wollte, was ich anordnen, ob ich den Schlitten bestellen sollte. Keine Antwort. Sie tat, als wäre sie stumm. Ich fragte zweimal, dreimal, ich wollte mich nicht wieder reizen lassen. Sie blieb stumm, und als wenn gar niemand im Zimmer wäre. Und gab nicht nach, bis ich wieder mit beiden Fäusten ihre beiden Hände nahm, an den Gelenken; sie hielt den Kopf zurück, der Hals schwoll an, die Lippen wurden blau. Dann erst sagte sie es. Und das schien ihr eigentlich fast wohlzutun. Mir ja auch. Wir brauchten das. Förmlich, als ob wir uns an unserem Zorn wärmen wollten. Und wenn wir im Schlitten fuhren, stumm nebeneinander, fühlten wir jedes seinen Zorn ganz dicht am andern; gewissermaßen in zwei schweren Pelzen von Zorn fuhren wir.

Nun begab es sich aber noch, daß ich eine dumme Geschichte hatte. Mein Gott, ich war ein ganz junger Mensch, und dann: immer mit einer Frau zusammen, das spürt man schließlich, dazu der Ärger mit Lenke, die grimmige Kälte, von der ich manchmal schon ganz verwirrt war – und so saß ich einmal an einem Sonntag, die anderen waren nach Villach fort, und ich saß allein, abends war es, da kommt die Frau des Feldwebels herein, eine saftige Böhmin mit solchen wasserblauen schwimmenden Augen, und fragt, ob sie noch einheizen soll, ob sie noch was für mich zu besorgen hat, und geht mir nicht weg und erzählt allerhand, sie floß gern so bei den Offizieren herum. Kurz und gut! Also das kann man einem jungen Menschen wirklich nicht verdenken. Was lag auch daran? Aber sie muß getratscht haben, oder hat uns wer belauscht, weiß der Teufel, es schwätzte sich herum und Lenke hörte davon.

Es war mir natürlich furchtbar peinlich, eine Frau kann das ja nicht so verstehen, das begriff ich schon, aber was sie trieb, ging doch zu weit, alles kann man sich nicht gefallen lassen. Ich war einfach paff. Rein als ob ich sie selbst beschimpft oder entehrt hätte! Ich brachte die Sache zuletzt, ich konnte mir nicht anders helfen, dienstlich vor den Oberleutnant, der mich natürlich auslachte und mir bestätigte, daß das keinen Menschen was anging, außer etwa den Feldwebel, der aber den Ruf hatte, darin sehr verträglich zu sein. Sie sah dann auch ein, daß sie unrecht hatte, bat es mir ab und erklärte mir, daß es ihr eben unerträglich sei, sich einen Mann, den sie schätze, mit gemeinen Frauenzimmern zu denken, was sie sich einfach gar nicht vorstellen könne. Sie kam auch darauf immer wieder zurück. Zwar hatte ich ihr versprechen müssen, nie mehr davon zu reden, damit sie es mit der Zeit vergessen könne. Aber immer fing sie wieder an, es verfolgte sie förmlich, oft sprachen wir ganz ruhig, plötzlich brach sie ab, sah mich an und sagte heftig: ›Nein!‹ Und dann ging's wieder los, sie könne mit mir nicht mehr unbefangen sein, es fielen ihr immer diese häßlichen Sachen ein, und: ›Geh, geh, marsch, du bist mir ekelhaft!‹, mit einer Gebärde, als ob ich eine Spinne wäre. Dann blieb sie tagelang allein, hielt das aber zuletzt doch nicht aus, und wir versöhnten uns wieder, um uns nach zwei Tagen wieder zu verzanken.

Einmal waren wir gerade wieder bös, schon eine Woche lang; ich war eigentlich froh, man hält einen solchen Verkehr nicht aus, immer sozusagen mit der Hand an der geladenen Pistole, und seit einem Monat vom Hauptmann kein Brief, kein Zeichen, und diese rasende Kälte, in der wir ordentlich gebraten wurden – ja, lacht nur, ihr kennt das nicht, es ist doch so! Also seit einer Woche hatte ich sie nicht gesehen, das war noch gut, aber elend war mir. Den ganzen Tag dachte ich mir nur: wenn nur der Tag vorbei wär! und abends konnte ich dann nicht einschlafen, warf mich herum und soff Schnaps; weiß der Teufel, elend war mir. Da, mitten in der Nacht, ich war kaum eingeschlafen, weckt man mich, es ist ihre Köchin: ›Um Gotteswillen, Herr Leutnant, kommen S' doch, wir wissen uns mit der Frau Hauptmann nicht mehr zu helfen!‹ Und schon hörte ich sie schreien. Ich hinauf und erfahre: sie war plötzlich aufgewacht, von einem Geräusch am Fenster, und nun schwor sie, ein Mann sei im Zimmer versteckt. Was natürlich ganz dumm war, wenn man das Fort kannte, unmöglich. Aber um sie zu beruhigen, suchten wir alles ab. Natürlich hatte sie bloß geträumt. Aber sie beschrieb ganz genau das Geräusch; und, aufwachend, hatte sie den Schatten eines Mannes gesehen, dann aber vor Schreck die Besinnung verloren. Nichts half, sie gab nicht nach, sie hätte sich zu Tode gefürchtet, wir mußten, die Köchin und ich, die Nacht in ihrem Zimmer bleiben. Das war auch kein Vergnügen: die schnarchende Köchin neben mir, sie aber, kaum wieder eingeschlafen, gleich wieder auffahrend, und ich mußte wieder hin, ihre zitternde Hand halten und ihr zureden, und das Herz flog ihr so, daß sie mir erbarmte. Wirklich ein Jammer; und ich mit meinem wüsten Schädel von dem vielen Schnaps, und wer's nicht gewohnt ist, verträgt auch die Luft in so einem Schlafzimmer schlecht; und sie tat mir furchtbar leid, sie war wirklich krank, das ging nicht mehr, ich erklärte mir jetzt alles, sie war einfach krank.

Ich hatte ihr immer schon geraten, den Arzt zu fragen, aber sie wollte nicht, fast, als ob ihr leid gewesen wäre, gesund zu werden. Nun aber fragte ich am andern Morgen erst nicht mehr lang, sondern der Arzt kam. Aber sie lachte jetzt selbst über ihre dumme Angst in der Nacht und sagte: ›Von bösen Träumen stirbt man doch nicht gleich?‹ Und der Arzt lachte mich aus, und als wir dann allein waren, sagte er mir: ›Mein lieber Herr Leutnant, die Frauen, das ist nicht so einfach, aber dieses Rezept macht halt der Apotheker nicht!‹ Und sah mich pfiffig an. Und dann sagte er noch: ›Übrigens, mehr Bewegung, frische Luft, nicht immer im Zimmer hocken, hinaus in den schönen Schnee!‹

Nun hatten uns die Engländer schon immer eingeladen, mit ihnen zu rodeln. Es war da, von ihrem Schloß bis fast an die Grenze, die gewundene Schlucht hinab, eine wunderbare Bahn ausgescharrt. Ich schlug es ihr vor, sie war einverstanden. Es war gerade Fasching- Dienstag. Das weiß ich noch. Und ein unglaublich schöner Tag, der Himmel so glitzernd, als hätten einmal die Sterne von der Nacht Urlaub bekommen, über den Tag zu bleiben. Und kein Hauch; alle Winde zugefroren. Anfangs, als Lenke die jungen Engländer auf ihren langen Rodeln immer zu zweit sausen sah, schien sie sich ein bißchen zu fürchten, sie sah mich so merkwürdig an. Um ihr Mut zu machen, fuhr ich nun zuerst allein, ganz bedächtig, an den Ecken bremsend, die Wendungen waren auch wirklich gefährlich. Das zweite Mal saß sie hinter mir, erst noch recht zaghaft, sich fest an mich klammernd. Bald aber war ihr nichts mehr schnell genug; es ist schon ein Sport, den der Satan erfunden hat, man will nur immer mehr, nur noch schneller, nur zu. Und sie schrie vor Lust, wenn es uns an den Ecken warf, daß wir nur so flogen; und der Schnee hängt einem im Gesicht, man sieht nichts mehr, man weiß nichts mehr; und nur immer hinab, sie hinter mir, fest angedrückt, ich spürte ihren Atem im Halse, und manchmal schlug sie vor Ungeduld auf mich los wie auf ein Pferd und stieß mich und schrie, so ganz fein und hell schrie sie, es war mehr ein Pfeifen. Dann aber zogen wir zusammen den Schlitten wieder hinauf, sie rannte vor Ungeduld so schnell, daß mir es schwer war, nachzukommen, da nahm sie meine Hand, mit ihren Fingern zwischen meinen, und sprang lachend voraus und zog uns beide, wie die Kutscher schreiend: hü, hott! Und wieder hinab. Und wieder und wieder. Wir waren jetzt beide wie betrunken. Ich dachte nichts mehr, ich wußte nichts mehr, ich hörte sie nur keuchen und fühlte sie hinter mir, ich wollte bremsen, sie schrie: Du bist feig! Und sie schlug, und mir war jetzt plötzlich alles zu wenig, ich hätte mich im Schnee wälzen mögen, das fiel mir auf einmal ein: ganz nackt im Schnee! Und dann weiß ich nur noch, daß oben jemand aufschrie, sie packte mich, und ich hörte sie noch einmal pfeifen, und jetzt flogen wir, sanken wir, ich unter ihr, mir war siedend heiß, und so muß es sein, wenn einem Menschen die Seele ausströmt, und dann weiß ich noch, daß ich einen ungeheueren Zorn auf sie bekam, denn mir war, als wenn mir mein Portepee fortfliegen würde, aber dies ging alles ungeheuer schnell. Und dann weiß ich nichts mehr, bis ich im Spital in Franzensfeste nach drei Wochen erwachte.

Man mußte mir erst nach und nach alles erzählen. Ihr war es besser gegangen; sie hatte sich nur die Hand ein wenig verstaucht. Als ich aus dem Spital kam, war der Hauptmann schon zurück. Wir konnten aber unseren alten Ton nicht mehr finden, alle drei nicht. Ich weiß nicht, was er sich dachte. Es war wohl auch meine Schuld, weil ich mich wirklich benahm, wie wenn einer ein schlechtes Gewissen hat. Und doch muß ich heute noch sagen, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe. So wenig wie sie. Aber das ist es ja. Nein, wer sich ein ruhiges Leben wünscht, tut schon besser und bleibt allein.«

Nach einer Weile sagte der Schulrat, nachdenklich: »Ich hatte mir viel mehr eine Liebesgeschichte erwartet, denk dir, aber eigentlich ist es keine.«

»Nein«, sagte der Major.

Nach einer Weile sagte der Hofrat, beklommen: »Da müßte man ja rein glauben, daß ein Mensch auf einmal anders wird, als er ist.«

»Vielleicht«, sagte der Major.

»Schrecklich wäre das«, sagte der Hofrat.

»Wer weiß?« sagte der Major. Dann hob er sein Glas, sie stießen noch einmal an und tranken aus. Er sah auf die Uhr und sagte: »Und so geht man jetzt schön nach Haus und legt sich still ins Bett, das ist noch das beste.«

 


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