Hermann Bahr
Leander
Hermann Bahr

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Der Prinz

Marino, der schöne Liebling, der gepriesene Tenor, ist sehr verdrießlich. Gerade ihm muß das wieder passieren! Ah, die Weiber, die Weiber – der Teufel hole die Weiber!

Freilich, es gehört zum Metier – er weiß schon. Ein Tenor ohne Glück bei Frauen, ohne Abenteuer – nein, das ist nicht möglich. Man hätte nicht die halbe Gage. Es ist wichtiger als die Stimme. Sonst fehlt die Illusion. Ah, Sakrament, es ist ein hartes Brot! Man braucht einen guten Magen. Aber nur Geduld! Noch fünf, sechs Jahre – und dann ist Schluß, aber gründlich! Dann hat er genug, ein kleines Gut zu kaufen, da unten in Steiermark oder Kärnten – jagen, fischen und Kapaunen züchten – und Schluß mit den vornehmen Damen! Noch fünf Jahre – er möchte oft verzweifeln. Er glaubt oft, er hält es nicht mehr aus, keinen Tag, keine Stunde mehr. Er möchte auf und davon. Das elende Gewerbe ekelt ihn. Singen – ja. Er singt ganz gern. Das strengt ihn nicht an. Und die Sache mit dem Schminken, und daß man springen muß wie ein Bajazzo – auch das würde noch gehen, man gewöhnt sich daran. Nur diese ewigen Geschichten mit den Frauen! Dafür paßt er halt gar nicht. Er möchte schön ruhig und gemütlich leben. Es macht ihm kein Vergnügen. Sie sind ihm zuwider. Aber was will er denn tun? Ein Tenor, der nicht geliebt wird – nein, das gibt es nicht. Sein Agent würde ordentlich toben. Da hätte er Baß werden müssen. Tenor ist Liebe schuldig. Es nützt nichts. Es muß sein. Es gehört zum Metier.

Aber er hat auch Pech. Alle verlieben sich, und immer gleich mit dieser Vehemenz! Eine hat sich vergiftet; die andere läuft dem Manne weg – es ist schon wirklich nicht mehr schön. Und diese ewige Existenz in Schränken, Kasten und Kaminen – es soll Leute geben, die das lieben. Merkwürdiger Geschmack! Sie haben entschieden bessere Nerven. Er verträgt es nicht. Er ängstigt sich schrecklich. Es ist ja auch keine Kleinigkeit. So ein gereizter Gatte – weiß man denn, was da alles in der Wut geschehen kann? Das fehlte ihm gerade noch! Aber das geniert die Weiber gar nicht. Sie sind doch unglaubliche Egoisten. Um nur ihren Launen zu frönen, riskieren sie alles. Unsere Ruhe, unsere Sicherheit – ah, was! Das kümmert sie nicht. Sie scheuen keine Gefahr. Er hat es jetzt wieder gesehen. Sie ist schuld, nur sie, sie ganz allein, die Frau von Mendel Moriz.

Er hat es immer gesagt. Er hat immer gewarnt. Was brauchen sie sich in ihrer Wohnung zu treffen? Warum? Wozu? Das ist stets gefährlich. Diener schwätzen, ein Zufall kann verraten. Und wozu? Es gibt tausend Gelegenheiten. Aber nein! Gerade! Bei sich wollte sie ihn haben, im Hause des Gatten, in ihrem Zimmer – um jeden Preis. Und sie schmeichelte und weinte, bettelte und flehte, gab nicht nach, bis er richtig dumm genug war. Nun hatten sie es! Ah, die Weiber, die Weiber!

Es war sehr peinlich. Sie hatte ihn da in eine saubere Geschichte gebracht. Und wenn er nur wenigstens wüßte, ob Mendel Moriz ahnt, wer es gewesen . . .! Gesehen hat er ihn sicher nicht. Nein, es war zu dunkel. Er konnte ihn gewiß nicht sehen. Aber wenn er die Diener verhörte – und Frauen verraten sich leicht – und dann die Nadel, die Uhr, die Tasche! Das ist das Pech! Wenn er die Sachen fand! Und er mußte sie ja finden. Sie lagen gleich auf dem Tische. Das kann dann hübsch werden.

Er stellt sich die ganze Szene vor, wie sie war. Wie sie schwärmen und kosen – sie ist ja wirklich sehr lieb. Wenn sie nur ein bißchen vorsichtiger wäre, nicht gar so frech. Plötzlich draußen Lärm, Schritte, man klopft, sie schreit, um Gottes willen, mein Mann! Also auf, das Licht aus, zum Fenster, in den Garten und fort! Nein, gesehen kann er ihn nicht haben. Alles finster. Wenn sie nur so gescheit war, noch geschwind die Sachen zu verstecken! Das ist seine Sorge. Wenn er die Sachen gefunden hat – ja, was dann? Sie lagen gleich auf dem Tische. Die Krawatte mit der Nadel, die Uhr, die Tabatiere. Es sind Geschenke des Prinzen Emil, Zeichen der besonderen Huld und Gnade. Er darf sie nicht verlieren. Und dann wüßte auch Mendel Moriz gleich, wer es war. Das ist dann nicht schwer. Aber das wäre entsetzlich. Er fürchtet Mendel Moriz sehr.

Es ist ja auch kein Spaß. Man muß nur seine Eifersucht kennen. Was da alles erzählt wird! Es war ihm immer bedenklich. Das ist nicht die gewöhnliche Eifersucht der Liebe. Es ist mehr eine Eifersucht des Besitzes; oder man könnte sagen: der Geiz eines Sammlers. Wie man Dilettanten der Gärtnerei nicht an ihre Rosen rühren darf. Wie Bibliophile Bücher nicht verleihen. So soll man gar nicht mit ihr sprechen. Das ärgert ihn schon. Überhaupt Geiz und Neid – das sind seine Elemente. Er will in allen Dingen immer das Beste. Und er will es für sich allein. Nicht, daß er es hat, sondern daß es kein anderer hat – das reizt ihn. Er kauft da draußen allen Grund, nur damit sonst niemand bauen kann, nur um die schöne Gegend zu versperren. Er schätzt nur, was er allein hat: das letzte Exemplar eines verlorenen Buches, das einzige Bild eines unbekannten Malers, den ersten Phonographen, den Edison verkaufte. Er genießt die Dinge erst durch das Gefühl, daß andere sie nicht genießen können. Das ist ihr ganzer Wert. So möchte er seine Frau am liebsten in den Keller stecken, daß andere sie gar nicht sehen. Sie soll seine Sache sein. Sie gehört ihm. Er kann sich diesen Luxus erlauben. Er kommt ihm teuer genug. So quält er sie, spioniert und wacht. Er hat immer Verdacht und wütet. Das kann eine hübsche Geschichte geben! Aber sie wird doch – so klug wird sie doch hoffentlich gewesen sein, die Sachen zu verstecken! Dann ist ja alles gut. Das heißt: ihr wird es nicht viel nützen. Sie kann nicht leugnen. Na, er wird gehörig toben! Aber es geschieht ihr ganz recht. Sie soll es sich nur merken. Vielleicht lernt sie doch ein bißchen Vorsicht.

Wenn sie nur die Sachen noch geschwind versteckt hat, die Geschenke des Prinzen! Das ist die Sorge, die ihn quält. Er findet den ganzen Tag keine Ruhe. Sie hat auch heute noch nicht geschrieben. Echt weiblich! In der Not verlassen sie einen dann feige. Es ist schändlich. So grübelt, schwankt und zweifelt er, wartet ängstlich, und jedes Geräusch läßt ihn beben. Es ist ja auch keine Kleinigkeit. Wenn es der Gatte weiß, ist er verloren.

Es klingelt. Er zittert. Wenn es der Gatte wäre! Was soll er tun? Er hat freilich befohlen, ihn zu verleugnen; er ist nicht daheim. Aber was nützt denn das? Der kommt doch wieder. Oder er wird ihn auf der Bühne suchen. Der Skandal ist noch ärger. Und was soll er denn tun? Er darf doch, er darf sich doch nicht schlagen. Wenn sein Impresario das hört! Andere können leicht Helden sein. Aber die Stimme riskieren? Wer weiß denn, wo einen so ein Berserker trifft, in seiner Wut?

Er atmet auf, wie der Diener sie meldet. Sie ist es. Gott sei Dank! Dann hat es noch keine Gefahr. Und nun wird er doch hören.

Sie ist es, kokett, lustig, zierlich, knisternd von Maschen und Schleifen, das verwischte, lüsterne Gesichtel hübscher als je. Er atmet auf. Und sie bringt die Sachen: die Nadel, die Uhr, die Tasche.

»Bussi haben!« sagt sie und bietet ihm den Mund.

Er achtet es gar nicht. Er weiß nur, daß er endlich seine Sachen wieder hat, die teueren Geschenke mit dem Wappen und Zuge des Prinzen. Er wird nicht müde, die köstlidie Nadel, die breite Uhr, die liebe Tasche zu betrachten.

»Ich hatte eine schöne Angst – na, Kind, ich sage dir! Deinetwegen natürlich! Mir, was kann denn mir geschehen? Aber Gott sei Dank, daß du sie noch geschwind versteckt hast.«

»Keine Idee! Wie denn? Wo hatte ich denn die Zeit? Ich dachte auch gar nicht an sie. Er mußte sie finden. Sie lagen gleich auf dem Tische, vor seiner Nase.«

Nun wird er wieder unruhig. »Er hat sie gefunden?«

»Na, nicht! Natürlich.«

»Aber das ist sehr fatal!«

»Dummes Affi! Gerade das hat uns gerettet. Ja! Tröste dich. Er ist jetzt ganz zahm und frißt aus der Hand.«

Und sie fletscht die winzigen, spitzen Perlen.

Er hat ein unangenehmes Gefühl. Es muß ihn freuen, daß es ihr gelang, den Gatten zu betrügen. Aber er gönnt es ihr nicht. Es ärgert ihn, daß die Männer doch immer die Blamierten sind. Selbst dieser kluge Mendel Moriz. Es ist doch unglaublich.«

Und dann hat er auch noch kein rechtes Vertrauen. »Wenn nur nicht etwa –«

»Aber ich bitte dich! Wenn ich dir schon sage: Die Sache ist erledigt! Wir sind jetzt ganz sicher. Du kannst täglich kommen. Er wird nicht mehr stören.«

»Ja, aber –? Wie hast du es ihm denn erklärt? Was hast du ihm denn eigentlich gesagt?«

»Nichts! Gar nichts, Tschapperl! Es hat sich ganz von selber so gemacht. Glück muß man halt haben, Bubi! Das ist die Kunst:«

Er hat wirklich etwas wie Bewunderung. Da sind die Frauen doch Meister. Wir lernen das nie.

»Geh, erzähl! Ordentlich! Sonst kennt man sich ja nicht aus.«

»Mein Gott, da gibt's gar nicht viel zu erzählen. Das ist sehr einfach. Aber zuerst ein Bussi!«

Er küßt sie.

»Also! Die Situation wirst du ja noch ungefähr wissen. Er tobt an der Türe. Du springst in den Garten. Ich öffne. Er stößt mich weg, rennt an das Fenster; aber in der tiefen Nacht ist alles finster. Er macht Licht und findet auf dem Tische deine Sachen. Er mustert sie genau. Die Nadel, die Uhr, die Tasche. Ich merke gleich, was ihm imponiert. Und er mustert sie wieder und sagt kein Wort. Ja, das Wappen und die Chiffre des Prinzen! Er meint, daß es der Prinz war.«

»Und?«

»Und – nichts mehr! Er fühlt sich sehr geehrt. Es schmeichelt ihm – ein Prinz bleibt doch immer ein Prinz.«

»Wenn es nur nicht etwa eine List, um uns . . .«

»Aber keine Spur! Ihr Männer solltet euch doch besser kennen! Da! Schau! Schau die schönen Boutons, die er mir heute geschenkt hat.«

 


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