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Einleitung

I. Brummell

Der Enkel eines Zuckerbäckers Schützling, Freund, bewunderter Freund des ersten Gentleman von Europa, Ehrenkavalier der Braut des Thronerben; mehr: jahrelang das unerreichte Muster der vollendeten Eleganz für Englands erste Gesellschaft, unter den hochmütigen Erben der historischen Namen, der ungeheuren Vermögen anerkanntermassen der erste Weltmann, dessen unverschämter Beifall stolz, dessen grausamer Hohn unmöglich macht: genügt zur Erklärung dieses märchenhaften Schicksals eines hübschen kalten jungen Gecken das verächtliche Wort Snobismus, das achselzuckende Urteil Wahn? Mit nichten. Hier ist mehr zu vermuten als die vorsichtige Leisetreterei, die scheue Angst des Höflings vor eines eben Begünstigten unberechenbarem Einfluss, mehr als die blinde Eitelkeit der bedingungslosen Gefolgschaft eines vergänglichen Tageshelden: hier ist Persönlichkeit am Werk. Die rationale Formel für das Phänomen Brummell aber lautet: Gleichgewicht.

Dasselbe schauerlich-beseligende Entzücken, das den atemlos starrenden dunkeln Zuschauer auflöst in Bewunderung, erlöst vom Drucke banger Erdgefühle, wenn die schmalen lautlosen Körper japanischer Akrobaten die irdische Schwerfälligkeit der Materie im Spiel überwinden: hier, bei Brummell, dem grossen Dandy, ist es im Sozialen zu bestätigen. Gleichgewicht, das ist: in sich selbst beschlossen bestehen, unter dem Gesetz der eignen Einheit unbekümmert, »grundlos« leben, beherrscht herrschen. So heisst die Lösung des Rätsels, warum die grosse Kunst befreit, warum aus dem Flugsand der Historie sich hochragend die Standbilder der Helden erheben, warum eine sicher-gelassene Erscheinung dem täglichen Erleben die Bedeutung unvergesslicher Augenblicke aufprägt. Nichts auf der Welt vermag der zur Verehrung des Unbegreiflichen geschaffenen Seele des Menschen so über alle Zweifel hinaus-, emporzuhelfen als die wahrhaft göttliche Balance der unbedingten Wesenhaftigkeit.

Georges Bryan Brummell, der unerreichte Beau, war ein ästhetisches Phänomen wie die ganz leichte Stimme grosser Sängerinnen, der im Rhythmus der Musik wie von einem Hauch dahingetragene Körper grosser Tänzerinnen, das vom Material der allgemeinen Worte entbürdete Gedicht grosser Dichter. Die grosse Sängerin kann nicht umkippen mit ihrer Nachtigallenstimme, die grosse Tänzerin kann nicht ausgleiten, das grosse Gedicht nicht plötzlich schwer werden und wie eine tote Masse aus Worten herabfallen aus dem strahlenden Äther der Kunst. So will es das immanente Gesetz.

Aber alles Menschliche steht unter Phaëtons Fluch. Und es geschieht, was nicht geschehen darf: sie kippen um, sie gleiten aus, sie fallen herab, und da ist denn auch alles dahin. Es gibt kein wiedergewonnenes Gleichgewicht. Gleichgewicht kann nicht »verloren gehen«. »Wiedergewonnenes« Gleichgewicht ist ein Kompromiss. Nie lässt sich darüber hinwegkommen, dass es einmal verloren worden war. Man weiss ja darum. Wissen aber ist Nachsicht. Und das Grosse verschmäht jegliche Nachsicht. Es bedarf ihrer nicht, es verachtet sie. Wie sollte Grosses bestehen vor nachsichtigen Blicken? Grosses tanzt grossartig zwischen nackten Schwertern. Kein Tritt geht fehl. Wenn einer fehlgeht, dann ist alles aus, alles.

Auch Brummell, der selbstverständlich Schwebende, stürzte von der leicht rollenden Kugel herab. Und als er gestürzt war, erwies er sich als schamlos wie alle Gefallenen. Er versucht, die Kugel wieder zu besteigen. Umsonst. Er sieht sich nach Stützen um. Sein Anzug ist in Unordnung geraten. Welch ein kläglicher Anblick! Phaëtons Sturz war immerhin das rauschende Niederflammen eines Meteors. Aber ein Phaëton, der sich wieder zu erheben krampfhaft bemühte? Herbei, gemeine Lacher! Jetzt ist es an euch, in die feisten Hände zu klatschen und euch den Bauch zu halten vor spöttischem Vergnügen. Vor gefallener Grösse ist jeder Hohn statthaft. Mitleid? Mitleid kann nicht allzu lange über die Schadenfreude hinwegtäuschen. Mit Brummell hatten viele Mitleid. Und er war würdelos genug, jede Gabe anzunehmen. Freilich versagte er den Dank: eine Dandymaxime, die zur steifen Pose geworden war. Seine Bemühungen, in Calais sich selbst den gloriosen Brummell von Chesterfieldstreet vorzuspielen, sind – es hilft nichts – Provinz. Man darf nicht vorlieb nehmen wollen. Brummell, wo sind die ungeschriebenen Regeln des Dandysme? Freilich, es gibt immer noch Leute, die bereit sind, an beaux restes sich genügen zu lassen. Aber dem sei wie ihm wolle: es ist absolut verächtlich, beaux restes vorzustellen. Es gibt nur Einheit oder Nichtmehrsein.

Endlich, der letzte Akt: Caen. Misere der Verwesung bei lebendigem Leibe. Alle Hässlichkeiten sammeln sich um das schwer atmende Aas einer negativen Existenz. Der Beau ist alt, arm, krank, widerlich. Schuldgefängnis und Gehirnschlag: das Leben ist schwer geworden wie Blei, die »Kugel« rollt über ihn weg. An der Hoteltafel verbietet sich jemand das ekelhafte Mummeln, das gefrässige Schmatzen des zum Wiederkäuer Vertierten. Und schmutzig ist das Äussere des Äusserlichsten geworden. George Brummell, der mit achtzehn Jahren Kapitän im ersten Kavallerieregiment Englands gewesen war, dessen Lever der Prinz von Wales beigewohnt hatte als aufmerksamer Ehrgeiziger, – ohne Wäsche, mit einer fettigen Perücke stundenlang kindisch beschäftigt ...

Und nun das Ende. Die »Nacht des Wahnsinns bricht herein«, heisst es bei Poeten. Aber es war doch nur Verblödung. Ein Schimmer von Tragik beleuchtet die klägliche Groteske: der ehemalige Freund der ersten Kavaliere des dreieinigen Königreichs ladet, ein gravitätischer Komödiant seines (in der alten Heimat längst vergessenen) Einst, die Vergangenheit trunken träumend zu Gast. Sein eigner Türhüter, meldet er feierlich die stolzen Besucher. Zuletzt ihn selbst, den Unbewegten, verächtlich Lächelnden, den grossen Dandy: George Bryan Brummell ...

Der Morgen findet ihn schluchzend in Tränen. Fahles, fröstelndes Frühlicht gleitet über einen zerschlissenen Lehnstuhl, darin ein armer alter Narr stöhnt. Der Rest ist Verscharrtwerden.

II. Barbey und Brummell

Im April 1843 schrieb Barbey, der damals nach dem Grundsatz, Gegensätze in sich zum Einklang zu stimmen, als Mitarbeiter des Globe für den Moniteur de la Mode unter dem Pseudonyme Maximilienne de Syrène über Damentoiletten zu plaudern keinen Anstand nahm, an seinen getreuen Trebutien: »Ich hätte nicht übel Lust, für diese Sammlung müssiger Dinge eine Skizze von Brummell zu entwerfen, dem grossen Brummell, dessen weisse Westen Byron um den Schlaf gebracht haben. Brummell ist in Caen gestorben. Ich habe ihn dort gesehn, und vielleicht haben Sie ihn auch gekannt. Könnten Sie mir über diesen Kauz nicht einiges mitteilen? Sie würden mich dadurch sehr verbinden. Sie wissen, dass ich einen wahren Heisshunger nach allem habe, was es Ungewöhnliches gibt. Ich könnte alles brauchen, ich werde mir schon daraus meine Pfeile spitzen, und ich zähle bestimmt auf Ihre Unterstützung.«

Aber die Verbindung mit dem Moniteur de la Mode kommt zu einem jähen Ende. Man hatte Barbeys Modeberichte zu hoch befunden, und Barbey, der »wohl für Zierpuppen aus guter Familie, aber nicht für Schneiderinnen schreiben mag«, verlässt – er war immer der Mann des Entweder- oder – die bedenkliche Sippschaft auf der Stelle. Den Brummell hat er sofort auch – ein Sprung, wie er ihn liebte – der Revue des Deux Mondes zugedacht. Und schon im Mai ist ihm der Plan einer kurzen Plauderei für Modedamen zu einem »Essai sur le Dandysme, avec une biographie de Brummell« gediehen. Der mit Fragen bestürmte Trebutien erweist wieder einmal seine dienstwillige Tüchtigkeit. Er erkundet, dass ein gewisser Jesse eben daran ist, ein umfangreiches Werk über den grossen Dandy The life of Beau Brummell (1844) zu beenden, und Barbey – der Eile hat, »à se purger des idées (si idées il y a), qui demandent à sortir de cette chose qu'on appelle le cerveau. Il y a un degré dans la conception, qu'il faut saisir, pour que l'éxécution vaille quelque chose. J'en suis arrivé à ce degré-là« – dringt alsogleich auf schleunige Verbindung »mit diesem Gentleman«, und er entwickelt sein Programm: »Ich werde zunächst genau sagen, was der Dandysme ist; ich werde die Grundzüge entwerfen, das Gesetz aufstellen und endlich die Idee der Sache durch den Mann verdeutlichen, der diese Idee in ihrer grossartigen Sinnlosigkeit am vollendetsten verkörpert hat.« Er hat mit seinem »Ring des Hannibal« soeben einen kleinen Skandalerfolg errungen, und er will nicht hinter dem günstigen Augenblick zurückbleiben.

Am 29. Februar 1844 ist das kleine Buch beendigt, und wenige Wochen später trägt er das Manuskript selbst zu Buloz. Aber Buloz »wagt« es nicht, den Brummell in der Revue zu bringen. Die Studie ist ihm »zu manieriert«. Barbey schäumt und schimpft. Er trägt seinen Brummell zum Journal des Débats. Bertin jedoch mag keinen von der Revue zurückgewiesenen Artikel. Und Barbey »schenkt« das unglückselige Manuskript Trebutien, der es, ein aufopfernder Freund, aufs sorgfältigste ausgestattet, im Dezember 1844 als gedrucktes Buch ihm wieder übersendet.

Der Brummell 1862 erst wieder bei Poulet-Malassis in Paris »offiziell« erschienen. ist geschrieben, noch ehe der spätere intransigente Ultramontane wieder zum angestammten Katholizismus bewusst zurückgekehrt war. Das liebenswürdige Buch beschliesst die Epoche des »Löwen« des Faubourg St. Germain. Barbey zieht darin im Spiegel, den die Eitelkeit dem Verwöhnten vorhält, gleichsam die Linien nach, die er als seinen Umriss mit dem Blicke des Wünschenden ersah: »an indifferent child of the world«. Sein Brummell ist das ideale Bild, dem er gleichen möchte. Und das – nicht so sehr der moussierende Stil – ist das Interessante an dem einzigartigen Werk. Hier hat einer seine imaginäre Biographie geschrieben, das gestaltet, was er in einer fremden, an Rasse und Temperament fremden Individualität eignes zu ersehen meinte. Der Brummell Barbeys ist eine Dichtung. Daran können die historischen Züge, die aus Jesse geschickt erlesenen Anekdoten nichts ändern. Barbey war zeit seines Lebens auf dem Wege, das zu werden, was unter seinen Zeitgenossen Mérimée wie später Baudelaire – dieser mit etwas zuviel »Künstler«tum – vielleicht am vollendetsten vorgestellt hat, ein Dandy. Aber es bleibt immer nur beim Wollen. Seine Natur, gegen Mérimées ironische Kühle gehalten ein wahres Raketenfeuerwerk an Lebendigkeit, versagte sich dem Versuch. Was Mérimée lebte, das entwarf sich Barbey immer wieder als stets anders geratenden Grundriss seiner Erscheinung. Er sagte, was Mérimée tat. Er besass vom Dandy nichts als die Eitelkeit, also gerade das, was Mérimée am besten zu verbergen wusste, während es bei Barbey durch alle Metamorphosen seines atemlos hastenden, nie sich setzenden Daseins schlägt. Im Dandytum, dem kalten gelassenen Zuwarten, dem unbewegten Zusehen, wie die andern sich ereifern, musste der hoffende, enttäuschte und immer wieder hoffende, der ungerechte, unbedingte, unbesonnene Barbey das erblicken, was ihm stets entschwand, wenn er drauf losstürmte, es zu fassen. Es ist ein Paradoxon, dass der Sanguiniker die Psychologie des Phlegmatikers geschrieben hat, glänzend geschrieben hat, und dass dieser Phlegmatiker, wie ihn der andre nicht müde wird zu schildern, den Sanguiniker erst richtig erfassen lässt. Denn der Brummell Barbeys ist vor allem Barbeys Brummell. Nicht Byrons Worte, nicht Jesses sorgfältige Materialien haben Brummell unsterblich gemacht, dies hat der intuitive Essay des interessantesten aller französischen Kritiker getan. Wir sehen heute Brummell nur mehr so, wie ihn Barbey zu dichten begnadet war. Die Sehnsucht des Bewunderers hat den Helden erschaffen, wie die Liebe nach Beyle das geliebte Wesen erschafft.

III. Barbey

Jules-Amédée Barbey d' Aurevilly, zu dessen hundertstem Geburtstage, dem 2. November, dieses seiner vielleicht doch nicht ganz unwürdige Werk gerade zurecht kommt, ist ein Autor, dem das verrufene Beiwort originell wie kaum einem andern zu Gesicht steht. Er hat in seiner ungestümen Art, die von Pose und Mache nicht frei ist, etwas Imponierendes. Sein Werk ist vergänglich. Er hat viele Bände hinterlassen, nach denen niemand – wie etwa nach dem ungeheuern Werk Balzacs – verlangend greift, davon jedes zu fesseln, keines eigentlich fest zu halten imstande ist. Er hat jahrzehntelang in grossem Umfang, ein Diktator ohne Untertanen, souveräne Kritik geübt, mit Keulen und Blitzen wie ein Donnergott, zumindest wie ein Halbgott nach allen Seiten wütend, niemals völlig ernst genommen, immer beachtet. Man stösst überall, wo perlmutterartige Reflexe der zeitgenössischen Literatur schimmern, auf seinen so grandios klingenden Namen, der im Grund eine – nachträglich (1765) freilich genehmigte – Usurpation war, denn das Prädikat ist nur territorial, nicht briefmässig: die Familie ist keine aristokratische, sondern eine bloss geadelte grundsässige, wenn auch altangesessene.

Warum Barbey, der sehr alt geworden ist – er starb am 23. April 1889 –, in einem unwahrscheinlichen Grad über sich selbst hinausgealtert ist, warum er eigentlich bei aller Meisterschaft – er war ein Meister – nicht zum unantastbaren Bestande der Nationalliteratur zählt, lässt sich vielleicht mit einem Worte ausdrücken: er war précoce, niemals ganz reif. Alles, was er geschrieben hat, entbehrt sozusagen des Letzten. Er ist nicht flüchtig, aber auch nicht solid in jenem Sinn, der unbedingte Verehrung aufkommen lässt. Man muss bei ihm – ist man lange nicht in seiner geistigen Gesellschaft gewesen – immer wieder eine Art von Vorurteil bekämpfen. Er scheint mit all seinem prunkenden Aufwand an funkelnden Worten überflüssig. Nichts Böseres eigentlich lässt sich von einer schöpferischen Potenz sagen. Es ist auch ungerecht: tausend beliebte, ja berühmte Autoren könnten sich glücklich schätzen, hätten sie auch nur ein Quentchen seiner Genialität. Aber dieses Genie ist, wenn auch nicht brüchig, nicht dilettantisch, doch zu momentan. Seine Impetuosität überstürzt sich im Tempo. Sein Titanentum hat etwas von dem Barockschwulst eines Bernini.

Nicht dass er, den man erst jetzt voll zu würdigen weiss, Ein monumentales Werk – Eugène Grêlé Jules Barbey d'Aurevilly. Sa vie et son oeuvre. (2 Bände) Paris H. Champion; Caen, L. Jouan; 1904 – behandelt bei einiger Breite und Umständlichkeit mit Gediegenheit und Geist den Menschen und Autor. eigentlich veraltet wäre. Er hat niemals jemand – ausser seiner Eitelkeit – Konzessionen gemacht. Er war nichts weniger als ein Autor seiner Zeit. Im Gegenteil: er war immer unzeitgemäss, immer gegen seine Zeit. Er war ein bewusster, ein herrischer, ein sich selbst unterstreichender Reaktionär (und doch ein unerhört freier, ein autonomer Geist). Hört man ihn – als Kritiker –, so hat er immer recht, selbst im Ungerechten. So fein, so vehement operiert er mit dem Unbedingten im Urteil. Aber vielleicht war sein Schöpfertum wie sein grandios unbedingter, sein »heidnischer« Katholizismus, und sein prachtvoller Autoritätsfanatismus zu sehr Demonstration, Demonstration vor sich selbst.

Er, der niemals ein »Angekommener« gewesen ist, hatte keine Zeit, sich zu setzen. Er war immer aktiv. Liest man seine Briefe, erlebt man zuerst etwas wie eine Enttäuschung. Denkt man ihnen nach, ist da kaum etwas rührend Menschliches, bei aller Menschlichkeit des jeweils Erlebten, Gefühlten, Mitgeteilten. Das Wort Charlatan wirft seinen Schatten. Man weicht ihm aus. Er ist ja kein Charlatan, er ist so echt wie nur je ein ganz Impulsiver. Aber dass der Schatten beständig droht, verstimmt. Man will sich Rechenschaft geben über den Eindruck dieses einzigartigen Menschen und findet plötzlich im Typus die Erklärung –, die man nicht Wort haben will. Urteile wie Chauvinist, Radoteur erheben sich drohend. Man weist sie ab, will objektiv sein. Und ertappt sich dabei, dass man nicht liebt. Nein, dieser pathetische Autor – ein delikates, ein kokettes, graziöses, ein parfümiertes Pathos – hält nicht warm, so sehr er erhitzen kann. Objektiv – wer sucht danach, wenn er dankbar ist? Bei Barbey stellt sich das wunderbare Dankgefühl, das man gegenüber Dichtern von ähnlicher Kraft und Grösse empfindet, niemals ein. Fehlt diesem blitzenden, blendenden, rauschenden, hinreissenden Geist, dieser visionären dithyrambischen Pracht die Tiefe? Man denke nur an »gesammelte Werke«. Gesammelte Werke von Barbey d'Aurevilly. Ein monströser Gedanke. Gesammelte Werke von Balzac (mit dem er im Pathos, in der Verve, dem Temperament, der Pose so viel Ähnlichkeit hat): welche Glückseligkeit für den künstlerischen Bücherfreund. Man liest sie ja niemals aus, aber man liest immer wieder darin. Immer wieder in Barbey zu lesen: ein Ding der Unmöglichkeit. Und dies bei einem so interessanten, einem unvergleichlichen Autor, mehr: bei einem so interessanten, einzigartigen Menschen.

Noch ein Gradmesser: dieses Leben selbst, ist es etwas, das man eigentlich zu kennen verlangt, dessen Nebensächlichkeiten man wie liebenswürdige Nichtigkeiten zu streicheln begehrte? Nein. Jedes Wort von Balzac, jeder Zug, jede Anekdote von ihm, von Hoffmann, Poe, Kleist machen angenehm gruseln. Barbeys wogendes Leben zerfällt einem zu Zunder, trotz allen »Wendepunkten«. Was ist dieser Löwe, den man sich – eine Zeitlang ass er kaum, um mager zu bleiben usw. – immer wie nach zurecht gestellten und malerisch drapierten Vorbildern brillierend denkt; dieser unwahrscheinliche abenteuerliche Politiker, dieser abenteuerliche Katholik, dieser abenteuerliche Kritiker? Immer zu sehr Schauspieler seiner selbst, ohne das notwendige Doppelgängertum des grinsenden Gewissensspiegels. Die »Memoranden«, die ganz Unmittelbarkeit sind – also das, was bei den gewöhnlichsten Menschen als Psychologie der wahrhaftigen Tagesgestalt fesselt – eine sich selbst zu Tode steigernde Rubrizierung von Interjektionen. Sieben-Achtel-Takt presto, prestissimo, das ermüdet, langweilt bald. Und so, beständig auf Stöckeln, gehts ein Leben lang, ein sehr langes Leben lang. Das Langweiligste daran aber sind die sogenannten Ruhepunkte: da ist, wie in der Jugend der gepuderte Weltschmerz, die zur Ungerechtigkeit stimmende Jammerei des Alternden lästig. Ein seufzender Alternder, ein immer seufzender Alternder, der im Stil der Comédie die Hände ringt: Fadesse.

Stil. Gewiss. Es ist Stil in diesem ganzen Leben eines Äusserlichen. Aber das Vertraueneinflössende des von innen heraus bis an seinen Rand erfüllten Stils – und nur der zwingt, bezwingt – fehlt. Barbeys Stil ist wie eine Blähung. Etwas Krampfhaftes ist darin. Vielleicht etwas eminent Französisches, also eminent Undeutsches. Aber dieses Genie der Rasse zeigt sie von ihrem unsympathischesten Aspekt. Es ist der sogenannte Elan, ein Furioso des Flackerns, das das ruhige Brennen, das leuchtende Licht nicht ersetzt. Balzac ist Flammen. Flammen ist Brand. Aber Flackern ist Nicht-Verlöschen. Dort, beim Brand, denkt man gar nicht ans Verlöschen. Hier staunt man immer, dass der Atem noch anhält. Empfindungen von Angespannt-, Gespannt-, Überspanntsein verstimmen. Es ist wie ein Flimmern vor den Augen. Man hält die Hand vor, schliesst die Lider, lässt den Blick ganz in sich selbst, ins Dunkel zurückgehen. Denn der künstlerisch empfindende Mensch sehnt sich bei allen Werken nach der Magie des Dunkeln, des Unbewussten. Allzusehr am Tage Liegendes wird ihm bald zur blossen bunten Oberfläche, hinter der er einen Hohlraum argwöhnt. Barbeys Kunst als ein Ganzes ist solch ein Überspanntes, solch ein Flimmern. Genial, verblüffend, berauschend, aber immer wieder ernüchternd auch. Es bleibt zuletzt nichts als der wirre Lärm des lautlosen Flimmerns. Dies ist der Gesamteindruck eines kolossalen Werks.

Im einzelnen sind wunderbare glühende Schöpfungen da, mit allen Gliedern atemlos lockende schlanke Gebilde. Von makelloser, innerlich kühler Pracht. Aufregend schöne Gestaltungen. Unheimlich lebendige Visionen. Immer etwas theatralisch verdächtig, nicht ganz plastisch, etwas zu grosse Kühnheit des Profils; man möchte nicht um den Rand herum aus Furcht vor Enttäuschung. Aber in der richtigen seelischen Distanz bezaubernd. Eine Galerie dämonisch-majestätischer Figuren. Und ebenso zauberhafte Hintergründe aus Traum und Ahnung. Eine romantische Szenerie seigneuraler, immer mit melancholischer Verachtung oder verachtender Melancholie kokettierender Vergangenheiten. Seigneurale Ressentiments.

So steht Jules Barbey d'Aurevilly vor uns: ein Kavalier in der Verbannung der öden Neuzeit. Ein vollendeter Kavalier, dieser stets wie im gerafften Mantel hinschreitende Journalist. Aber ein klein wenig Kavalier im Rampenlicht, für ein verachtetes Parterre, – das beileibe nicht fehlen darf; sonst müsste man sichs erschaffen aus dem gierigen Bedürfnis nach Publikum, wie Brummell, der Narr, seine grosse Zeit heraufbeschwor als armseliger Komödiant des allerflüchtigsten Lebens: des Lebens der Beziehungen.

Richard Schaukal

 


 

An

Caesar Daly,

Herausgeber der Rundschau für Architektur.

Mein lieber Daly!

Es sind nun siebzehn Jahre her, dass ich Ihnen geschrieben habe:

»Während Sie auf Reisen sind, lieber Daly, und die Gedanken Ihrer Freunde nicht wissen, wohin sie Ihnen folgen sollen, hat sich da ein Ding (ich wage nicht, es ein Buch zu nennen) eingefunden, das Sie an Ihrer Schwelle erwartet. Es ist die Statuette eines Mannes, der kaum anders denn als Statuette dargestellt zu werden verdient: ein Kuriosum aus der Zeit- und Sittengeschichte, das sich auf einem Gestelle in Ihrem Arbeitszimmer immerhin wird anbringen lassen.

Brummell gehört nicht zur politischen Geschichte Englands. Er hat mit ihr durch seine Verbindungen Berührungspunkte; aber er bleibt draussen. Sein Platz ist innerhalb einer höhern, allgemeinern Geschichte: der der englischen Sitten; sie ist schwieriger zu behandeln, denn die politische Geschichte begreift nicht alle sozialen Tendenzen, und alle müssen erforscht werden. Brummell ist der Ausdruck einer dieser Tendenzen gewesen; sonst wäre seine Rolle unerklärlich. Sie zu beschreiben, zu vertiefen, zu zeigen, dass dieser Einfluss keineswegs bloss in Bodennähe wirksam gewesen ist, könnte den Gegenstand eines Buches abgeben, das Beyle-Stendhal zu schreiben vergessen hat und wie es einen Montesquieu hätte reizen mögen.

Leider bin ich weder Montesquieu noch Beyle, weder Adler noch Luchs; aber nichtsdestoweniger habe ich in einer Sache klar zu sehen versucht, die viele Menschen zweifellos als einer Erklärung nicht würdig würden befunden haben. Was ich gesehen habe, bringe ich Ihnen, lieber Daly, dar. Es ist mir ein lieber Gedanke, Ihnen, der Sie Grazie wie eine Frau und wie ein Künstler empfinden und als Denker sich Rechenschaft über ihr Bereich abzulegen in der Lage sind, diesen Aufsatz über einen Mann zu widmen, der um seiner Eleganz willen berühmt geworden ist; hätte ich einen geschrieben über einen Mann, der um seiner Vernunft willen berühmt ist, hätte ich Ihnen ebenso schicklicherweise auch den widmen dürfen.

Nehmen Sie denn dieses Ding als ein Zeichen der Freundschaft und als ein Andenken an Tage entgegen, die glücklicher gewesen sind als die heutigen, denn ich habe Sie damals öfter gesehen.

Passy, Villa Beauséjour, 19. September 1844.

Ihr ergebener

J.-A. Barbey d'Aurevilly.

Nun denn, mein Freund, an dieser vor siebzehn Jahren geschriebenen Widmung will ich heut auch nicht ein Wort ändern, und so wäre dies denn das erstemal, dass siebzehn Jahre nichts an einem Gegenstande geändert hätten. Möge sie hier ganz verbleiben, bleiben wie die Freundschaft, deren Ausdruck sie gewesen ist und die unverändert in uns besteht, ohne Leere und Trübung. Ich bin nicht immer so glücklich gewesen wie mit Ihnen. Sie sind mir die Säule, die aufrecht ragt unter meinen Trümmern. Siebzehn Jahre! Sie wissen, wie der elende Tacitus, der immer unausstehlich ist, weil er immer wahr ist, diese lange Reihe von Tagen genannt hat, und es wäre vielleicht besser gewesen, davon zu schweigen, wenn ich, bei aller Traurigkeit über gelebtes Leben, nicht zumindest die Freude hätte, sagen zu können, dass ich Ihnen, lieber Daly, ganz und gar derselbe bin wie vor so vielen Jahren und, da denn in diesem Buch alles Geckerei ist, mich mit meinen unsterblichen Gefühlen zu »brüsten«.

Paris, 20. September 1861.

J.-A. Barbey d'Aurevilly

 


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