Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band V
Berthold Auerbach

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Sechzehntes Capitel.

Bella saß in tief schwarzen Trauerkleidern in ihrem Zimmer. Sie hatte schwarze Bracelets an den Handgelenken, sie hatte so eben schwarze Handschuhe anprobirt und wieder abgezogen; jetzt legte sie die feinen Hände zusammen, und ihr Auge starrte ins Leere, ins Weite, ins große Nichts, und in ihr sprach es: Du bist allein, Du warst stets allein, in Dir, in der Welt, eine einsame Natur, einsam als Frau . . .

In Gedanken ging sie in der Residenz von Haus zu Haus, sie wußte, wie man von ihr, von Clodwig spricht.

Man hatte ihr viel gehuldigt, wo aber war jetzt eine Menschenseele, die es zu ihr drängte?

Ich bin allein und will allein sein, wiederholte sie sich.

Sie hörte den Pendelschlag der Uhr und gedachte eines Wortes von Clodwig, er hatte einmal gesagt: Erinnern an die Vergangenheit und Wünschen für die Zukunft, das ist der Pendelschlag unseres Lebens . . . Das galt für ihn, für mich nicht! Ich stehe nicht zwischen Erinnern und Wünschen, ich will Gegenwart – Leben, brennendes Leben.

Sie stand auf, sie trat vor den Spiegel, ein Schmerz zuckte durch ihre Mienen, sie sah, daß sie nicht mehr so schlank war, wie früher, und schwarz macht doch schlank; sie erschien sich so klein. Weiter gingen ihre Gedanken: da er doch vor ihr sterben mußte, hätte er nicht Jahre früher sterben können, als Du noch schön warst? Und kühn das Haupt erhebend, sprach sie fast laut vor sich hin:

Ich fragte nichts nach der Convenienz. Ich erlaube mir zu denken, was Andere erst nach einem Jahre denken. Ja, Du bist eine Wittwe, der man nur noch aus Gnade einen Besuch macht, eine allein stehende Wittwe. Ich kann nach der Residenz ziehen, ein Haus aufmachen . . . O göttergleiches Schicksal! Ich bin ein Haus und werde Präsidentin der Suppenanstalt und ein auserwähltes Dutzend Waisenmädchen in blauen Schürzen folgt meiner Leiche. Dafür kann man schon gelebt haben. Nein! Ich will nicht. Soll ich wieder durch die Länder reisen, an Landschaftsblicken, an Volksgetümmel, an Kunstwerken Selbstvergessen und eingeredete Freude haben, und dann in Gesellschaft conversiren, scherzen, musiciren? . . . Fürst Valerian ließe sich gewinnen. Aber in eine fremde Welt, und da wieder heucheln, menschenfreundlich sich freuen, daß russische Bauern innerlich frisirt werden? . . . Der Weincavalier wäre sehr bequem, duckt unter, jede Minute anbetend, zwar nur Manier, aber die Manier ist gut, gefällig und – gelogen ist doch Alles! Nein! Nein! Fort möchte ich, in Kampf, in Krieg, in Gefahr, in Noth; aber Leben, gewaltiges, Alles einsetzendes, das muß mir noch werden. Ich höhne die ganze Welt, ich schleudere ihr ins Antlitz, was sie von Ehre, was sie von humanitären Caprizzios will . . .

Ein Reiter sprengte in den Hof. Es war Sonnenkamp. Was will er? . . .

Sonnenkamp wurde gemeldet.

»Ist willkommen.«

Er trat ein.

»Frau Gräfin, was Sie mir neu erweckt, bringe ich Ihnen zurück – Heldenmuth.«

»Heldenmuth! Was soll er mir? Ich bin in Verlassenheit, schwach.«

»Sie verlassen? Schwach? Sie haben in mir die Kraft angefacht, der ganzen Welt zu trotzen; ich bin wieder jung, ich bin wieder frisch. Jetzt in dieser bedeutsamen Stunde komme ich zu Ihnen, zu Ihnen allein; Sie allein sind mir noch die Welt, Sie allein machen mir die Welt noch werth, und ich möchte Ihnen etwas sein, daß auch Ihnen die Welt wieder werth wäre.«

Bella stand starr und er fuhr fort:

»Schwingen Sie sich auf über diese Stunde, über dies Jahr, über dies Land, über alle Verhältnisse hinweg. Wenn es ein menschliches Wesen gibt, das das vermag, Sie sind es . . .«

Bella that die schwarzen Armspangen ab, sie schienen sie zu pressen, und Sonnenkamp fuhr fort:

»Bella, ich könnte sagen, ich entfliehe in die weite Welt, ich opfere, ich vernichte rücksichtslos Alles, ich stoße von mir Frau, Kinder, nur wenn Du mir folgst, wenn Du es wagst, Alles hinter Dich zu werfen, eine freie Natur zu sein. Das könnte ich sagen und es wäre wahr. Aber das darf Dich nicht bestimmen. Nicht mir sollst Du leben, Dir sollst Du leben. Bella! Ich sehe Deine Seele vor mir, in mir, ich spreche aus Dir, Du sagst wie ich: Ich stehe im Kampf mit der Welt, sie will Gemeinnützigkeit und ich – ich bin kein gemeinnütziges Wesen, bin keine Wohthätigkeitsanstalt. Andere würden Dich mit süßen Phrasen kirren, betäuben, überreden; ich achte Dich zu hoch, Du hast den Muth, Du selbst zu sein.«

»Ich verstehe nicht. Was wollen Sie? Was wollen Sie für sich, was wollen Sie für mich?«

»Für mich? Was habe ich noch zu wollen? Eine Kugel durchs Hirn. Nur ein Einziges gibt es, was mich retten kann.«

»Was ist das?«

»Du bist es. Um Dir das Große zu zeigen, um Dich groß zu sehen, möchte ich noch leben, kämpfen. Wenn es eine Bewunderung gibt, ein Beugen vor dem Erhabenen, vor dem die Welt besiegenden Genie, ich . . .«

Er machte eine Bewegung, einen Schritt vorwärts, Bella gewann das ruhige Wort und sagte:

»Setzen Sie sich.«

Er schien betroffen von diesem Wort, aber er setzte sich und fuhr fort:

»Ich weiß nicht, was Sie jetzt beginnen wollen . . . Doch nein, ich weiß, was Sie beginnen sollen. Sprechen Sie nicht, lassen Sie mich reden. Wenn ich mich in Ihnen geirrt habe, dann ist mein ganzes Leben, all mein Denken, mein Ringen, mein Kämpfen Wahnwitz und die salbungsvollen Verkünder hoher Phrasen haben Recht. Bella, Sie haben mir das große Wort gesagt: ein Mensch der entschlossenen That hat keine Familie, darf keine Familie haben. Das ist mein Leitstern. Ich habe keine Familie mehr, ich bin nichts auf der Welt, als ich selbst, und Sie . . . Sie sollen auch nichts aus der Welt sein, als Sie selbst, Sie waren nie Sie selbst, bis jetzt nicht, Sie können, Sie müssen es werden.«

»Ja, ich will! Sie schleudern all das Gerümpel weg, was mein Wesen verschüttet. Sprechen Sie weiter . . . was bringen Sie?«

»Ich habe hinter mich geworfen Alles, was in der Welt noch bindet, Ihnen allein sage ich es . . . Dir allein; noch heut ziehe ich fort in die neue Welt. Dort gibt es eine neue Welt!«

Sonnenkamp stand rasch auf und faßte ihre Hand.

»Bella, Sie sind ein großes Weib, eine zum Herrschen geborne Natur; ziehen Sie mit mir, Sie haben Muth.«

Bella durchzuckte es, ihr Auge wurde größer, sie öffnete den Mund, aber sie sprach nicht und Sonnenkamp fuhr fort:

»Ich weiß, daß Ihre Unabhängigkeit Ihnen über Alles geht, ich bin bereit, Ihnen jede Bürgschaft dieser Unabhängigkeit zu geben. Ziehen Sie mit mir, es gilt einen Thron aufzurichten. Diese Stirn ist geschaffen für eine Krone. Komm mit mir.«

Es war ein Gewaltiges in dem Tone Sonnenkamps, ein Hinreißendes und Bestrickendes.

Er faßte ihre Hand, sie entzog sich ihm nicht.

Hatte sie so lange mit Allen gespielt, daß sie nun überwältigt wurde? Eine Secunde zog es ihr wiederum durch den Sinn: es wird eine große Erinnerung sein, auch das erlebt, in der Hand gehabt und von sich gewiesen zu haben . . . Du darfst Dich nicht binden, nie, nirgends mehr. Aber unwillkürlich sagte sie:

»Sie denken groß und Sie denken groß von mir. Ich danke Ihnen. O Freund, wir sind erbärmliche schwache Geschöpfe. Zu spät! Zu spät! Warum kommt solcher Ruf zu spät? Vor zehn Jahren hatte ich noch die Kraft, da hätte es mich gelockt, da hätte ich Alles eingesetzt. Nur nicht dieses lahme, müßige, nichtige, Antiquitäten grabende und kramende, schönselige . . . Nein, das wollte ich nicht sagen . . . Und doch . . . Sie erkennen mich. Aber es kann nicht sein. Zu spät!«

»Zu spät?« rief Sonnenkamp und faßte ihre beiden Hände. »Bella, Du hast mir gesagt, wäre ich in Deiner Jugend gekommen, Du wärest mit mir in die weite Welt gezogen. Bella . . . Wir sind jung, so lange wir es sein wollen; Du bist jung und ich will es sein. Sei muthig, sei Du selbst, sei Dein eigen. Was sind siebzig müßige, lahme Jahre? Ein einziges Jahr, voll gelebt, ist mehr als Alles.«

Es trat eine längere Pause ein; man hörte nichts als das Ticken der Uhr und aus dem Nebengemach das Schreien des Papageis.

»Wann reisen Sie?« fragte Bella.

»Heut Nacht mit dem Eilzuge.«

»Nein, zu Schiff. Geht kein Schiff mehr?«

»Doch; auch noch heute Nacht.«

»Ich komme mit. Aber jetzt geh . . . geh! Hier meine Hand, ich komme mit.«

Sie faß still, sie legte die Hände zusammen, sie schloß die Augen. Sonnenkamp faßte ihre Hand, er hielt sie fest, er fühlte den Trauring an ihrem Finger und leise zog er ihn ab.

»Was thun Sie?« fuhr Bella plötzlich auf. Sie sah Sonnenkamp starr an, sie sah den Ring in seiner Hand.

»Lassen Sie mir das als Zeichen,« bat er.

»Was soll's? Wir sind keine Menschen, die Scenen machen. Geben Sie.«

Er gab den Ring zurück; sie steckte ihn nicht mehr an den Finger . . .

In der Nacht hielt das Dampfschiff beim Städtchen; es regnete und stürmte und die Maschine zischte und brummte; da stand ein Mann an der Schiffslände, tief in seinen Mantel gehüllt, und an ihm vorüber ging eine verhüllte große Gestalt.

»Laß mich allein,« sagte die Frau zu dem Manne, an ihm vorüberschreitend.

Das Landungsbrett wurde angelegt, die Frau ging hinüber, der Mann hinter ihr drein.

Das Brett wurde aufgezogen, das Schiff wendete und schwamm in Nacht und Unwetter hinein. Niemand war auf dem Verdeck, als die Beiden. Die Matrosen eilten, wieder in die Cajüte zu kommen. Der Steuermann im Regenmantel und mit dem Dreimaster auf dem Kopf drehte das Rad und pfiff leise dazu.

Die große schwarze verhüllte Frauengestalt stand auf dem Deck des Dampfschiffes, das stromabwärts schoß; die Gestalt starrte lange in die Wellen und auf die Dörfer und Städte am Ufer, wo da und dort noch ein Licht durch die Scheiben blinkte und einen schnell verschlungenen Lichtstreif auf das Wasser warf. Ein Feuerregen aus dem Schlot, ein Strom von hellen Funken zog über die Gestalt hin . . .


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