Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Erster Band
Berthold Auerbach

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Vierzehntes Kapitel.

»Wie geht's, Walpurga?« fragte der Lakai Baum eines Morgens, als die Amme zum Fenster des Erdgeschosses heraussah.

»O Gott,« erwiderte diese, »hier ist ja das wahre Paradies.«

»So?«

»Kann's denn im Paradies schöner sein? Da lebt man so hin, und die Menschen haben gar nichts zu thun als zu essen und zu trinken, und zu lachen und spazieren zu gehen.«

»Da hast du recht, aber im Paradies war's doch noch schöner, da hat Vater Adam keine andre Frau begehren können, es hat nur die einzige auf der ganzen Welt gegeben.«

»Was der für Mucken im Kopfe hat!« lachte Walpurga, und Baum fuhr geschmeichelt fort:

»Im Paradies hat man keine Bedienten nötig gehabt, keine Kutscher und keinen Koch, und kein Haus und keine Kleider, und da hat's keine Stiefel zu putzen gegeben, weil man keine getragen hat, und keinen Rock und kein Hemd zu weben und zu nähen und herzurichten.«

»Sie wüster Mensch!« schrie Walpurga; es war ihr zu Mute, als ob die Worte des Baum ihr alle Kleider vom Leibe rissen. Sie wurde flammrot im Gesichte. Aber Baum erwiderte schnell:

»Thut mir leid, daß ich in deinen Augen so wüst bin, in meinen Augen bist du so schön, daß ich –« Er wurde mitten in der Rede unterbrochen, ein andrer Diener rief ihn ab.

Walpurga zog sich rasch ins Zimmer zurück. Sie war bös auf Baum. Darf man denn gegen eine verheiratete Frau solche Reden führen? Und doch lächelte sie wieder vor sich hin: »Ein manierlicher Mensch ist er doch, der Baum, und warum soll man denn nicht einen Spaß machen dürfen?«

Sie schaute nach dem großen Spiegel, nur einen Augenblick sah sie hin und lächelte.

»Ja, wenn der Hansei dich wieder sieht, der wird dich kaum mehr kennen. Das thut eben das Wohlleben. Ich will mir aber jeden Tag vorsagen: es dauert nicht lang, du bist nur auf eine Weile daher geliehen. Aber wenn auch der Tanz nicht lang dauert, tanzen ist doch schön,« tröstete sich Walpurga wieder. Es fielen ihr allerlei Tanzweisen ein und sie sang trällernd ihrem Prinzen.

Walpurga ging in dem schönen Park umher wie im Traum; sie meinte, das müßten andre Bäume sein, andrer Himmel, andre Vögel, sie sind alle irgendwo hin, in eine andre Welt verzaubert, und plötzlich werden sie aufwachen und alles ist wieder fort. Aber es ging alles seinen ruhigen Gang, jeder Tag ist neu schön, wie die Sonne jeden Tag neu aufgeht, wie der Duft der Blumen immer neu ausströmt und der Quell nie versiegt.

Eine besondere Freude hatte Walpurga am alten Kastellan, dem Vater der Mamsell Kramer; das war so ein ehrwürdiger Mann, der gar schöne Blumen in seinem Wachtstübchen zog, und mit ihm konnte sie reden wie mit ihrem Vater.

Walpurga saß fast den ganzen Tag im Freien, mit ihr Mamsell Kramer und nicht weit davon immer zwei Diener. Auch die Königin setzte sich oft zu ihr.

Die Königin hatte einen schönen schneeweißen Wachtelhund, an dem das Kind besondere Freude zu haben schien; Walpurga bat, dem Prinzen den Hund oft zu lassen, ein lebendiges Tier sei für ein Kind gar gut.

»Sie hat recht,« sagte die Königin zur neben ihr sitzenden Palastdame, »am Tierleben erwacht das menschliche Bewußtsein.«

Walpurga sah sie groß an; die Königin hat ihr recht gegeben und dazu doch etwas gesagt, was sie nicht versteht.

»Schauen Sie,« rief sie der Königin zu, »wie die Bienen unser Kind so gern haben; sie thun ihm nichts, da braucht man keine Furcht zu haben. Die Biene ist das einzige Tier, das unverderbt aus dem Paradies herausgekommen ist, darum sagt man auch von den Bienen, sie sterben, und die andern Tiere die krepieren. Und man darf keine Biene umbringen.«

Die Königin hatte ihre besondere Freude an diesem sagendurchwobenen Denken der Walpurga.

Walpurga merkte, daß die Königin gar so wenig von der Welt wisse, und sie gab nun ihre Weisheit preis, wo sie nur konnte.

»Wissen Sie, was das ist?« fragte sie einmal, als sie an einer Hecke saßen.

»Eine Haselstaude!«

»Ja, wissen Sie aber auch, daß die heilig ist, und wo die wächst, kein Wetter einschlägt?«

»Nein, das hab' ich nicht gewußt.«

»Und da wissen Sie auch nicht warum? Jetzt das hat mir meine Mutter erzählt. Da ist einmal die Mutter Gottes über den Berg gegangen, und da ist ein großmächtiges Wetter gekommen, und da hat sie sich unter eine mächtig große Haselstaude gestellt und ist heil geblieben, und weil sie die Haselstaude so beschützt hat, hat sie ihr den Segen gegeben für ewige Zeiten. Aus einer Hasel kann man auch Wünschelruten machen, und unter einer Haselstaude wohnt der Schlangenkönig; man sagt auch manchmal unter einer Trauerweide. Sie wissen doch, warum die Trauerweide ihre Zweige so traurig hängen laßt?«

»Nein, das weiß ich auch nicht. Du bist ja grundgelehrt,« lächelte die Königin.

»Ich nicht, aber meine Mutter, ich weiß nicht halb so viel als die, die ist gar gescheit. Das von der Trauerweide weiß ich auch von ihr. Aus der Trauerweide hat man die Ruten gemacht, womit man unsern Heiland gegeißelt hat, und von der Zeit an schämt sie sich und hängt die Zweige unter.«

Walpurga war ganz glücklich, daß sie die Königin auch etwas lehren konnte; sie hatte das Gefühl, daß sie etwas ganz Besonderes ist im Schlosse, und niemand versteht sie so und hört so gut mit den Augen wie die Königin. Sie war immer glücklich und froh mit ihr und wagte, ihr ganzes Herz vor der Königin aufzumachen.

»Ich mein'?« sagte sie einmal zu der Königin, »ich mein', Sie sind eigentlich fremd in der Welt, Sie haben ja in Ihrem Leben nicht gesehen, wie Bürgers- und Bauersleute am Abend in ihrer Stub' sitzen, was sie essen, was sie reden, was sie begehren, was ihnen Freude macht und was ihnen Leid macht. Ich hab' einmal eine Geschichte gelesen, oder hat sie mir mein Vater erzählt; da war ein Prinz und eine Prinzessin, die sind als Hirtenleute aufgewachsen und haben nicht geahnt, wer sie sind, bis sie erwachsen waren, und da hat man ihm gesagt: ›Du bist ein Prinz,‹ und ihr: ›Du bist eine Prinzessin,‹ und das sind gar brave und rechtschaffene Menschen geworden. Natürlich! Sie sind ja draußen gewesen in der Welt und haben erfahren, wie die Menschen leben und was ihnen fehlt. Ich möcht' nur wünschen, daß wir unsern Prinzen auch so hinausschicken könnten; ich mein', es wär' ihm gut und dem ganzen Land auch. Wenn einem immer so die Bedienten nachlaufen, da ist man doch den ganzen Tag wie gefangen; die lebendigen Menschen sind immer wie Mauern um einen herum,«

»Ehrlich und gut sein können wir alle,« entgegnete die Königin.

»Und aus unsern Kindern brave Menschen machen,« schloß Walpurga. »Wissen Sie, was ich mir wünsche? Mein Leben lang möchte ich Ihnen alles Schwere abnehmen können. Wenn Sie einmal krank sein müssen, möchte ich für Sie krank sein.«

»Ja, gut, jetzt aber laß uns ruhig sein.«

Die Königin war voll Glückseligkeit. Sie sah auf den Grund eines einfachen Herzens aus dem Volke und sah eine neue Welt aufleben in ihrem Kinde.


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