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»Affen sind auch Menschen, und sie könnten sicher sprechen, wenn sie wollten. Nur tun sie es nicht, damit der weiße Mensch sie nicht zur Arbeit einstellt,« sagte Cassupi mit einem vorwurfsvollen Blick, als er mir »Mistera« vorstellte.
Der kleine Pavian fletschte liebenswürdig die Zähne, so, als ob er den Sinn dieser Rede voll und ganz begriffen habe.
Cassupi, mein Treiber, und ich wurden bald handelseins. Er erhielt einen Beutel Tabak und eine alte Reithose, und damit ging Mistera in meinen Besitz über. Mistera klingt weiblich, soll es aber beileibe nicht sein. Das a hängen die Eingeborenen jedem ihnen fremden Ausdruck an und setzen bei Sachen noch ihr otji davor. Wie z. B. otji-eimera von Eimer. Mistera kommt also von Mister = Herr. Und diesen Namen hatte Cassupi dem Äffchen gegeben, da es viel Ähnlichkeit mit einem gewissen Herrn der Nachbarschaft haben sollte.
Bevor Cassupi mit seiner Hose abzog, gab er mir noch den guten Rat, ja acht zu haben, denn die alte Äffin würde Mistera sicher besuchen kommen.
Er band den Kleinen mit einer dünnen Hundekette an einen der Pfefferbäume, die ich ums Haus gepflanzt hatte, und ging hochbeglückt über den guten Tausch zu seiner Hütte. – –
Wir hatten schon viel von dieser Bande Paviane zu leiden gehabt, die häufig plündernd unseren Garten heimsuchte. Besonders in der heißen Zeit, wenn das Wasser in den Bergen zurückging und austrocknete, kamen sie oft – fast regelmäßig – an unsere Viehtränke, die in einer kleinen Entfernung vom Hause unten am Rivier lag.
Der junge Pavian führte sich zuerst ganz artig auf, bekam aber doch am gleichen Nachmittag seinen landesüblichen Pfahl auf den Hof gepflanzt mit einer Kiste zum Unterkriechen darauf, da er schon in der ersten Stunde die ganze Rinde des Bäumchens, an das ich ihn gebunden, abgerissen hatte. Seine dünne Kette war an einem Gurt, der um seine schlanken Hüften lief, befestigt. Zu Anfang machte diese dem kleinen Mann Schwierigkeiten, aber bald entwirrte er Schleifen und Knoten mit einer staunenswerten Leichtigkeit. Machte er seinen Spaziergang um den Pfahl, so faßte die eine Hand die Kette ein Stück näher dem Pfahle an, so daß sie wie eine Schleppe nebenher schleifte. Eine gute Vorsichtsmaßregel, damit er bei seinen Sprüngen den Ruck der Kette mit der Hand auffing.
Er war furchtsam, denn sobald man ihm zu nahe kam, zog der kleine Kerl die Lippen in die Höhe, fletschte die Zähne, stieß ein eigenartiges Schnattern aus und war im nächsten Augenblick in seiner Kiste verschwunden.
In der ersten Nacht, die Mistera auf der Farm verbrachte, schlugen die Hunde verschiedentlich an, oft hörte ich sie sogar laut halsgebend davonjagen. Als ich dann am andern Morgen den Boden nach Spuren untersuchte, um die Ursache dieser nächtlichen Ruhestörung festzustellen, fand ich unweit vom Hofe im Busch die Fährten eines großen Affen. Das war sicher die Frau Mutter gewesen! Diese Liebe rührte mich, und so legte ich für die folgende Nacht die Hunde jenseits des Hauses fest, damit die Alte ungestört Mistera ihren Besuch abstatten konnte.
Abends nach Sonnenuntergang setzte ich mich auf die Veranda, um von dort das Stelldichein beobachten zu können. Die Dämmerung währt nur kurz in Afrika, und so mochte kaum ein halbes Stündchen vergangen sein, als auch schon die ganze Farm in Dunkel gehüllt dalag. Nur die Sterne glitzerten und erhellten den sandigen Boden so weit, so daß ich jedes Tier, das seinen Weg zu dem Pfahl nehmen wollte, sehen mußte.
Ich mochte nicht lange so gewartet haben, da klang ein leises »öff–öff« von drüben aus dem Busch zu mir herüber. Mistera antwortete nur durch ein leises Grunzen, und schon huschte auch ein dunkler Schatten in langen Sprüngen über den Hof: die Alte. Mit leis rasselnder Kette kletterte Mistera seinen Pfahl hinunter, wo die Mutter ihn erwartete. Dann hockten die beiden ein Weilchen zusammen, anscheinend erwiesen sie sich den üblichen Liebesdienst und suchten sich gegenseitig das Ungeziefer ab. Hin und wieder klirrte leise die Kette. Mit der Zeit wurde das Geräusch stärker und stärker, obwohl sich die beiden nicht vom Fleck bewegten. Ob die Alte es wohl fertig bringen würde, diese dünne Kette durchzureißen? Ich war überzeugt, daß diese Bemühungen die Ursache des Klirrens war.
Eine halbe Stunde mochte so vergangen sein. – Unaufhörlich klirrte die eiserne Fessel. – Da stapfte die Alte davon – das kleine hinterher – aber schon war auch die Kette zu Ende und Mistera rief zappelnd nach der Alten. Die Hunde fingen an zu blaffen, – aber beruhigten sich, als sie nichts weiter hörten. Nun suchte die Äffin an der Drahtkette entlang bis sie an eine bestimmte Stelle gekommen zu sein schien. Zerrte mit den Händen, knackte auf dem Eisen mit dem unendlich starken Gebiß. Da brach die Kette, und Mistera war frei.
In wilden Sätzen eilten sie über den Sand die Felsen hinauf, das Kettenende schlug klirrend gegen die Felsen und weckte die Hunde, die wütend hinterherheulten.
Als am nächsten Tage Mutter und Sohn mitten zwischen der anderen Gesellschaft, selig vereint, hockten, versuchte ein Altersgenosse Misteras, ihn an der Kette herumzuzerren. Die Alte hatte gerade einen größeren Stein umgewälzt, einen Skorpion gefaßt und ihm mit einem Ruck den giftführenden Stachel abgerissen – als sie sich wütend nach dem kleinen Störenfried umwandte, und ihn derart zauste, daß er laut schreiend in großen Sätzen auf den nächsten Felsblock sprang. Doch störte ein derartiger Zwischenfall natürlich die Gemütlichkeit des fröhlichen Volkes nicht. Derartige Neckereien waren an der Tagesordnung.
So war für eine Weile der Friede wieder hergestellt, und die Affen suchten weiter nach ihrem Futter. Ontjes (Zwiebeln) wurden herausgebuddelt und Jagd auf Käfer und alles kriechende Getier gemacht.
Es war nach dem Mittagsschläfchen, die Sonne glühte auf die Felsen, da kletterten sie lärmend unweit des Wassers auf einen Klippenhügel. Die Alte kaute auf der Kette herum, um ihr Kleines von ihr zu befreien. Da kam Aubaas, der alte mächtige Pavian, auf allen Vieren angewackelt und machte der Frau Mutter seine Liebesanträge. Entsetzt sprang Mistera davon und guckte dann aus einiger Entfernung neugierig herüber, ob die Mutter ihm nicht folgen würde. Doch ihr schien die Freundlichkeit des alten Herrn nicht unangenehm zu sein.
In der folgenden Zeit fühlte Mistera sich etwas vernachlässigt, denn der Aubaas hatte seine Mutter völlig mit Beschlag belegt und so schleifte er häufig sein Kettenende allein abseits von den anderen durch den Busch. So auch am späten Nachmittag eines heißen Tages, als das ganze Volk zum Wasser hinab ins Tal zog. Mistera sprang gerade eine steile Felswand hinab, da hakte die Kette in einem Gesteinsriß fest. Einen Augenblick schwebte er so jämmerlich schreiend frei in der Luft, doch angelte er sich mit seinen vier Händen wieder hinauf und bei seiner Geschicklichkeit hatte er die eingeklemmte Fessel bald gelöst. Er riß und zerrte sie nach allen Richtungen, bis sie endlich nachgab.
Weiter unten wanderte schon die liebe Verwandtschaft talwärts, und eilends kletterte er nach. Da plötzlich erblickte er die grünlich schimmernden Augen eines Leoparden dicht vor sich aus einem vertrockneten Buschgewirr heraus. Laut kreischte Mistera um Hilfe, flüchtete in Windeseile über die Felstrümmer. Der Leopard in ein paar Sätzen hinterher. Einen Augenblick hatte er beim Klirren der Kette gestutzt, doch im nächsten Sprunge packte er den jämmerlich klagenden Kleinen am Nacken.
Die ersten Hilfeschreie ihres Sprößlings hatte jedoch die Mutter gehört, und war auch sofort mit unglaublicher Schnelligkeit bergwärts gesprungen.
Aubaas stand einen Augenblick verdutzt, da gellte von neuem das jämmerliche Rufen von oben ins Tal herab. Zornig schimpfend kletterte der Alte der ganzen Sippschaft nach, die nun bereits weiter oben die Felsen hinaufeilte.
In dem Augenblick aber, da der Leopard den Kleinen, der sich mit aller Macht gegen den übermächtigen Gegner zu verteidigen suchte, niedergedrückt hatte, sprang ihm auch schon die Mutter wutschreiend auf den Rücken. Bohrte ihre Finger dem Raubtier in die Augen und biß ihm tiefe Wunden ins schöne Fell.
Während die Äffin nun so mit dem Leoparden um ihr Junges kämpfte, arbeitete sich Mistera unter seinem Feinde heraus und kroch zu den Genossen, die in einigen Schritt Entfernung, ihren heisern Schlachtruf ausstoßend, den Kampfplatz umstanden. Immer mehr der Affen kamen heran. Jetzt hatte der Leopard die Alte abgeschüttelt und unter sich gedrückt, die sich nun fest in seiner Kehle verbiß. Da sprang wiederum Mistera in Todesverachtung auf die bunte Katze zu, und, wie es bei Massen meistens nur eines Anstoßes bedarf, so fielen die braunen Gestalten mit dem blendenden Gebiß und den langen Armen allesamt über den Räuber her. Sogar der Aubaas machte mit.
Ein Beißen, Schreien und Toben begann, daß das ganze Tal widerhallte. Für einen Augenblick konnte der Leopard wohl hin und wieder die wilden Berggeister abschütteln, aber der Sprung in die Freiheit gelang ihm nicht mehr. Bald lag er als eine blutige zerrissene zuckende Masse unter dem noch immer wild tobenden Affenvolke.
Mancher Affe lag zerschmettert vom Prankenhieb tot im Grase. Manch einer leckte sich die schweren Biß- und Kratzwunden aus. Hinter einem mächtigen Felsklotz aber hockte die Mutter allein mit ihrem kleinen Mistera im Schoß, dem ein Prankenhieb den Leib zerrissen, wie leblos lag er in ihren Armen, blickte noch einmal mit seinen menschlich schmerzerfüllten Augen zu ihr auf, streckte sich dann – und der kleine tapfere Kerl, der seiner Mutter das Leben rettete, hatte ausgelebt.