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Die Abendsonne schien glühendrot durch den Staub, und der einzige Tau fiel von der Stirn des durchgeglühten Wanderers auf den dürren, scharfen Kunstboden der Landstraße. »Oh, ihr verfluchten Kunststraßen!« seufzte der müde Sänger, »wenn ich so die endlose, gerade Linie herunterblicke, meine ich eher in die Sonne als nach Karlsbad zu kommen, und nichts erquickt mich als der Gedanke, daß jetzt mein undankbares Publikum recht verdrießlich in den engen Theatersitzen sich klemmt und in Langeweile dehnt, wenn die Oper heute verhunzt wird; es soll die Leutchen gereuen, wie sie mit mir verfahren sind; meine Stimme kommt wieder, aber ich nicht zurück!« – Bei diesen Worten versuchte Halbgott die schwersten Läufe, und diese Zerstreuung förderte den Lauf seiner Beine; ehe er es sich versah, hatte er den Punkt des mächtigen Chausseebaues, der die erste Einsicht in die geheimnisreiche Bergtiefe von Karlsbad gestattet. Er sah das gelobte Land vor sich ausgebreitet und rief: »Hier finde ich mein wahres Publikum! Kaiser, Könige, Fürsten, ihr seid mir ebenbürtige Richter, stammt wie ich von Gottes Gnade her! Ihr werdet mein Recht auf die tiefen Töne anerkennen, ihr werdet mich nicht zwingen, höher zu singen, als ich es vermag, wenn mir der Zapfen durch Erkältung gefallen. Hier im Bade werde ich auch meine hohen Töne wiedergewinnen; ich kann den Nebelgestalten trotzen, die mir den scharfen Abendwind entgegenblasen: das sind die bösen Geister meines Publikums!« – Und doch tat es ihm leid, daß er im Ärger seinen Überrock vergessen; eigentlich bemerkte er auch jetzt erst, daß er noch in der knappen Jagduniform mit dem Sterne einhergehe, die ihn in seiner Rolle bekleidet hatte. »Darum begrüßten mich also die Leute so demütig«, dachte er lächelnd; »je nun, warum sollte ich verschmähen, was der Zufall mir verliehen hat, verschmäht es doch kein Fürst. Der Stern ist ohnehin das letzte Silber, was ich an mir trage, und es ist mir lieb, daß er nicht gestickt, sondern von massivem Silber gearbeitet ist. Ein rechter Fortschritt in der dramatischen Kunst, daß nun alles echt ist in der Schauspielerkleidung!« – Unter solchen Betrachtungen trat er in die Gassen, wo manche Abschiedsserenaden in lustigen Melodien schallten. »So möchten uns Künstler die jungen Pflastertreter behandeln, wie diese elenden Bierfiedler, daß wir uns stundenlang für wenige Kreuzer abmühten, um einen Augenblick von ihnen gehört zu werden!« Er eilte weiter, und bald darauf dampften vor ihm die Tempelhallen des Sprudels, die er für eine große Waschanstalt hielt; er sah eine weiße Gestalt in der Halle, die sich abwechselnd beugte und sich dann wieder erhob; der Sänger dankte ihr mit Anstand – es war die Sprudelquelle in eigner Person. Erstaunenswerter Anblick! »Bruder Titan«, rief er, »dir ging es wie mir, noch geiferst du, gedemütigter Göttersohn, und kannst die Felsdecke doch nicht erheben, die dich belastet! Halt« – so unterbrach er sich –, »was bringt ihr, einen Leichnam? Einen Gemordeten? Gebt Rechenschaft!« – »Ew. Durchlaucht halten zu Gnaden«, antwortete ein Mann, »wir wollten ein Schwein hier im Sprudel abbrühen.« – »Ach, wäre mir ein Rippenstück bestimmt und gleich gebraten!« seufzte er heimlich und überließ es dem Zufall, ihm ein Wirtshaus anzuweisen. »Das beste Wirtshaus gibt den meisten Kredit!« – Mit diesen Worten blieb er vor einem ansehnlichen Hause stehen und fragte einen Vorübergehenden: »Ist hier ein Wirtshaus?« – Der Mann grüßte mit Achtung und antwortete: »Dort ist Ew. Durchlaucht Hotel; aber es begegnet hier jedem Fremden, sich abends nicht finden zu können.« – »Meine Wohnung!« dachte Halbgott, »ich bin damit zufrieden und will die Gunst des Schicksals nicht von mir weisen, so wenig ich mich seiner Verfolgung entzogen habe; die Welt wird endlich jedem gerecht.« – Er trat ins Haus, gleich riefen ein paar Stimmen: »Seine Durchlaucht!« – Zwei Kellner sprangen mit silbernen Armleuchtern herbei und leuchteten voran auf der Treppe. Es ist immer nicht übel, gut aufgenommen zu werden, auch wenn es nur im Namen eines andern, wie bei Gesandten, geschieht. Der Sänger ging ohne Ärger den Armleuchtern nach und trat in ein wohleingerichtetes, wenn auch nicht gerade fürstliches Zimmer, dessen Tische mit Mineralien bedeckt waren. Der Kellner bedauerte, daß noch keiner der Leute Sr. Durchlaucht zu Hause gekommen wäre, und fragte, ob die Suppe gebracht werden solle? Der Sänger nickte, indem er die Mineralien des einen Tisches zusammenwischte und in eine Ecke warf, um eine Rolle, die er in die Tasche gesteckt, noch einmal durchzugehen. Seine Stimme hatte wieder ihre grausame Falsetthöhe gewonnen; er freute sich darüber, vorläufig aber mehr noch auf das Abendessen. Da trat der Kellner mit einem Suppennäpfchen herein, das er einsam auf den gedeckten Tisch stellte. Halbgott kostete: »Pfui, was ist das?« – »Sprudelsuppe, wie Ew. Durchlaucht alle Abend befohlen haben.« – »Heute nicht«, rief der Sänger, »fort mit dem Spühlig! Bring Fasanen, Forellen, Champagner! Ich habe gottlob heute meinen Appetit wiederbekommen!« – »Die Wirkung kommt immer nach einiger Zeit«, sagte der Kellner, »Ew. Durchlaucht sehen auch heute viel wohler aus!« – Er eilte fort, er kam zurück; große Forellen, guter Wein, Rebhühner schmückten die Tafel. Der Kellner bat demütig um Entschuldigung, daß er keinen Fasanen auftreiben könne. Der Sänger verzieh ihm; ja, er vergab sogar im seligen Genusse allen, die ihn verfolgt hatten: »Seid umschlungen, Millionen!« rief er, »einen Kuß der besten Welt!« Der Kellner mußte ihm die Adresse aufschreiben, von wem der Champagner verschrieben; dann schickte er ihn fort, um in Ruhe sich zur Ruhe zu legen. Das Bett sah er aus dem Nebenzimmer blinken: »Gerade ein Bett, wie ich es liebe«, sagte er, »Matratze, Daunendecke, ein Paar Pantoffeln davor von zierlicher Tapisseriearbeit; welche zwei Wappen sind das, die sie vereinigt darstellen? Die muß ich also auch künftig statt meines Apollokopfes führen! Wäre ich nur Diplomatiker! Auch der Stiefelknecht ist mit einem Wappen bezeichnet und könnte mir meine Abkunft erzählen. Bei Gott, ich habe solch ein Wappen bei der Mutter einmal gesehen!« – Aber ehe noch diese Rede geendet, war schon seine Kleidung abgeworfen und sein Nachdenken unter der Decke beschwichtigt.
Kaum eine Stunde mochte er so selig geschlafen haben, als er durch einen Druck und dann durch heftiges Geschrei nach Licht und Leuten erweckt wurde. Er riß die Augen auf und sah bei dem Scheine des Nachtlichts sich selbst wie einen Geist vor dem Bett stehen, und dieses Gegenbild zog einen Degen und legte sich mit flatterndem Hemde in die Stichparade. Es traten andre ins Zimmer, die nicht weniger verwundert nach dem Bett starrten. »Ich sterbe gewiß an den Erdbeeren!« seufzte der Mann mit dem Degen, »ich sehe mich selbst im Bett!« – Der Sänger hatte zuerst seine Besinnung wiedergewonnen, sprang auf, drückte seinem erschrockenen Ebenbilde die Hand und sprach: »Wir ähneln uns wie Brüder, vielleicht trifft es sich, daß wir es auch sind; es ist spät, wir beide sind müde, das Bett breit. Lieber Bruder, erkälte dich nicht, der Brunnen kann deine Haut geöffnet haben, und deine Seele sieht vielleicht hindurch wie durch ein Gitter, es könnte dir schaden und deine Seele davongehen; ich mag mich auch nicht erkälten, teile mit mir dies Bett, ich habe nichts dagegen; ich bin frei von der Pest, ich hoffe, du bist es auch!« – Der Fürst, der schon von der kühlen Nachtluft zitterte und ein eignes Wohlgefallen an dem seltsamen Wesen seines Ebenbildes empfand, errichtete den provisorischen Zustand, indem er in das Bett sprang und von da aus seine Unterhandlungen fortsetzte. »Wer sind Sie?« fragte er gebietend, »wer gab Ihnen ein Recht auf mein Bett?« – »Lassen wir das bis morgen!« antwortete gähnend der Bettgenoß, »gehen Ew. Durchlaucht in vierundzwanzig Stunden acht starke Meilen, so werden Sie ein Recht an Schlaf und Bett nicht mehr bezweifeln, besonders wenn es einem von dienstwilligen Kellnern gleichsam aufgedrungen wird; unglückliche Verhältnisse und Elsteraugen haben mich geplagt, Champagner hat mich getröstet, übrigens bin ich sicher; ich besitze einen Stern, der ist mein Vermögen, eine Jagduniform, eine Art von Uhr steckt noch in den Hosen, das alles ist in Ihrer Gewalt. Gute Nacht!« – Der Kammerherr des Fürsten berichtete das Versehen des Kellners, zeigte den seltsamen Orden des Schlafenden, der wie eine Kreuzspinne in ihrem Gewebe nach der Theaterphantasie des Direktors gearbeitet war, um jede Ähnlichkeit mit einem wirklich bestehenden Orden zu vermeiden. Noch mehr war er über die Uhr verwundert, die in einigen Stichen bestand, womit die Uhrkette festgenäht war, so daß sie mit den Hosen zugleich aufgezogen wurde. Der erheiterte Fürst konnte dem Kammerherrn seine Freude nicht verbergen, endlich ein unterhaltendes Abenteuer angetroffen zu haben. Er sagte: es sei der erste Abend, an welchem er sich wohl befinde, das Bett sei breit und könne sie beide recht gut fassen. – Der Kammerherr war froh über diese gute Wirkung des Sonderbaren, ließ aber doch heimlich sein Bett ins andre Zimmer bringen, daß seinem Herrn in der Nacht kein Leids durch den Fremden geschehen möchte.
Der Fürst erwachte zuerst und setzte sich an seine Toilette, wie ihm seit frühen Jahren beigebracht worden, um das Notwendigste und überflüssigste in gleicher Weitläufigkeit zu vollbringen. Auch der Sänger war allmählich aufgewacht und sah der Wirtschaft, allen den unzähligen Bürsten, Zahnpulvern, Tinkturen, den vielen Leuten, die rechts und links Beistand leisteten, mit lächelnder Verwunderung zu. Endlich konnte er sich nicht länger halten und rief: »Bruder, du machst es gerade wie meine alte Mutter, die war zu ihrer Zeit schön und meinte, es mit so ein paar Künsten noch immer bleiben zu können!« – Bei diesen Worten sprang er aus dem Bett und stand in wenig Augenblicken gewaschen, gekämmt und angezogen in den Kleidern des Fürsten, die statt der seinen dalagen, vor den staunenden Augen des umständlichen Herrn und griff nach seinen Noten, während der Fürst die Mineralien sorgsam aufheben ließ, die der Sänger gestern an den Boden geworfen. Dieser sang jetzt so herrlich, daß der Fürst, der ein leidenschaftlicher Liebhaber der Musik war, ihn im ersten Entzücken umarmte und darauf schwor, wenn der Sänger nicht etwa auch ein heimlicher Fürst sei, daß er lebenslang bei ihm bleiben müsse. Dann versuchte er sich selbst im Gesange, und Halbgott versicherte ihm, es könne etwas Großes ans ihm werden, nur müsse er die fatalen Steine, die während des Gesanges wacker geklappert hätten, nicht wieder anfassen. »Zum Fenster hinaus damit«, sagte der Fürst, »wenn Sie das hindert; ich bin zu allem angehalten worden und treibe eigentlich doch, außer dem Gesange, gar nichts mit Lust und Liebe.« – »Aber der Sprudel?« fragte der Kammerherr bedenklich und reichte einen ellenlangen Porzellanbecher und einen Bündel Salbeiblätter dar. Der Fürst steckte durch den Henkel des Bechers seinen linken Daumen, den Salbeibüschel aber wie einen Orden ins Knopfloch, befahl, dem Sänger gleiche Armaturstücke zu reichen, und eilte voran mit gar bedenklicher Miene und den Worten: »Ja, es ist die höchste Zeit zum Sprudel!« – Dann ergriff er den Sänger beim Arm, zog ein feierliches Gesicht und sprach: »Es freut mich, Sie mit den geheimnisvollen Wundern der heilenden Mutter Natur bekannt zu machen! – Es schmeckt schrecklich schlecht!« sagte der Fürst, als sie an der Quelle standen. – »Pfui Teufel!« rief der Sänger, »welcher Mensch mag warmes Wasser trinken; Rum, Zitronen und Zucker gehören dazu, dann lasse ich es gelten. Und sehen Sie die Menschen, lieber Fürst! Wie sie die Augenblicke zählen, um so lange wie möglich von diesem Straftrank frei zu sein; welche gelbe Gesichter, welche geschwollene Bäuche, welch ein Laufen mit Schlüsseln! Hier gibt es echte Kammerherrn, bester Herr Kammerherr! – Ew. Durchlaucht, hier ist Gefahr, da sinkt schon einer in Ohnmacht, jener schwindelt umher wie Leichenpredigt, und wie sie halb wahnsinnig miteinander von den Wirkungen des Brunnens reden! – Um Gottes willen, Ew. Durchlaucht! Mischen Sie sich nicht unter diese wahnsinnige Wassergesellschaft, Sie sind jung, Ihnen fehlt nichts als Geistesbewegung; ich heile Sie, vertrauen Sie mir den Becher an, ich lege den meinen dazu; geben Sie mir die Hand, wir wollen geistig genesen, und die Becher mag die alte Hebe in die unterirdische, versteinernde Höhle stellen und die Salbeibüschel dazu, daß sich das verfluchte Zeug allen zur Warnung daransetze, was die Leute, die es im Wasser nicht sehen können, so gierig hinunterschlingen. Ihre Hand, mein Fürst, ich schaffe Sie gesund, nur folgen Sie mir, das Wasser ist keines Menschen Freund!« – »Sie sind mein Wohltäter«, rief der Fürst, »wenn Sie mich von der Herrschaft dieses fatalen, faulen Wassers befreien; Sie haben etwas Gebietendes, Zwingendes, nehmen Sie meinen Becher und meine Hand, ich will aus dem unterirdischen Kloak nicht mehr trinken. Ich will Ihnen vertrauen, Ihnen meinen Ärger mit der Fürstin klagen; Sie haben mit der Welt gelebt, ich außer derselben in vorsichtiger Ferne, hier schließen wir unsern Bund!« – Der Fürst ergriff bei diesen Worten den Arm des Sängers, befahl dem Kammerherrn zurückzubleiben und hörte nicht auf den Brunnenarzt, der ihm vorschrieb, an dem Tage einen halben Becher Neubrunnen, einen halben Mühlbad, einen halben Theresienbrunnen zuzulegen. »Keinen Tropfen mehr!« rief er, »kein Fürst aus dem Hause Ganzgott hat je so viel Wasser getrunken wie ich.« Und wie sie einander die Hand gaben, krachte es in der Tiefe des Töpelflusses. »Die Sprudelschale ist geborsten!« riefen viele Leute und liefen hinab, in das Innere der Natur zu schauen. – »Ein gutes Zeichen für uns«, rief Halbgott, »daß wir statt des Wassers guten Kaffee trinken sollen!« – »Die Stadt ist verloren!« riefen viele. – »Nein«, erwiderten die besser Unterrichteten, »die Natur hat nur den Pfropfen, der sie verstopfte, herausgeworfen; wir haben den Pfropfen wieder hineingebracht, der Sprudel kommt wieder.« – »Um keinen Preis warte ich darauf!« meinte Halbgott, nahm Ganzgott beim Arm und führte ihn im heiligen Instinkte des Kaffeegeruchs nach dem böhmischen Saale zur Puppschen Allee. Solche riesenhaften Bäume wachsen nicht bei dem Sprudel, sondern beim Kaffee!« – Es erforderte einige Zeit, ehe der Kaffee, die Kolatschen und Preßburger Zwiebacke sich zu ihnen versammelten, denn niemand frühstückte so früh. Während sie sich nun an den Kupferstichbuden die Zeit vertrieben, bemerkten beide, daß sie von einigen Vorübergehenden neugierig betrachtet wurden; sie hörten, daß der Sänger ein Bruder des Fürsten genannt wurde. Mit einiger Beklemmung sagte der Fürst: »Endlich darf ich wohl meinen Gastfreund nach Namen und Herkommen fragen, eben wollte man uns als Brüder erkennen, und mein Herz spricht etwas zugunsten dieser Meinung.« – »Gewiß wollen Ew. Durchlaucht wissen«, meinte der Sänger, »ob Dero durchlauchtiger Vater sich wohl in der Nähe meines Geburtsortes befunden habe? Aber ich könnte wie jener Grieche dem Augustus antworten: mein Vater im Gegenteil sei in der Residenz von Dero durchlauchtigen Mutter gewesen, denn er hat mir oft von dem herrlichen Schloßgarten und den Wasserfahrten erzählt. Das sind jedoch Kleinigkeiten, wovon ich nicht genau unterrichtet bin, mein Vater starb früh, und meine Mutter stellt sich unschuldig an; ich dürfte ihr mit solchen Fragen nicht kommen. Genug, etwas Kurioses mag mit meinem Dasein unterlaufen. Immerhin, wir gehören zusammen wie zwei Saiten eines Instruments; ich nenne mich Halbgott, nach meinem vermeinten Vater, Ew. Durchlaucht sind Ganzgott, und doch fehlt Ihnen noch manches mehr zum Glücke wie mir!« – »Freilich«, seufzte der Fürst, »alles bleibt mir so fern, hätten Sie sich mir nicht ungebeten ins Bett gelegt, ich hätte Sie niemals kennengelernt! Jeder Fremde wird mir weitläufig angemeldet, ich soll ihn nach seinem ganzen Lebenskreise voraus kennen. Jedes Geschäft ist so vollständig abgetan, ehe es an mich kommt, daß selbst meine Feder zum Unterzeichnen mir schon eingetaucht entgegengetragen wird. Ich habe Lust an Musik und Schauspielkunst, doch jedermann warnt mich; ich darf niemand etwas vorsingen, aus Furcht, meine Würde zu kompromittieren; wie glücklich wäre ich, könnte ich, gleich Ihnen, auch nur wenige Tage ganz meiner Neigung leben!« – »Versuchen es Ew. Durchlaucht«, rief der Sänger, »wie wollte ich ein Land in wenig Tagen beglücken und mich obendrein! Aber meine Lage, alles Schreckliche, was mich verfolgt hat, müssen Ew. Durchlaucht voraus kennen; ich bin mit meiner Mutter und mit dem gesamten Publiko entzweit. – Während die Kritiker uns mit den höchsten Kunstforderungen zu Geist steigen, behandelt uns der Haufe mit Verachtung; ich habe den Staub von meinen Füßen geschüttelt, ich mag mein Vaterland nicht wiedersehen. Grausam ist die Welt, denkt nicht, daß jeder im eignen Hause mit seinen Sorgen zusammenleben muß.« – »Und welche Sorgen?« fragte der Fürst. –
»Verdammte prophetische Mäuse«, rief der Sänger, »ließen meine Mutter nicht mehr ruhig Karten legen, was doch jetzt ihr Haupttalent ist. Ich machte ihr gelinde Vorwürfe, warum sie so viele Mäuse gezähmt habe, daß sie mit einer Schar hinter sich, als wären sie ihre Kinder, in den Zimmern auf und nieder ging. Sie wollte sich in Verzweiflung umbringen. –Ich schlug, ich trat unter die kleinen, unruhigen Tiere, aber wie Mückenscharen im Sonnenschein sah ich sie immer da, wo meine Gewalt nicht hinreichte. Einst in der Nacht, als sie mir beinahe die Nägel von den Fingern nagten, kam ich auf den glücklichen Einfall, wie ein Kater zu mauzen.« – »Oh, das kann ich auch«, sagte leise der Fürst, »ich schäme mich nur dieser Kunst vor den Leuten, zuweilen habe ich die Katzen nachts im Schloßgarten damit angeführt.« – »Ich schämte mich der Kunst nicht«, sagte der Sänger, »ich mauzte; die Mäuse pfiffen vor Angst und flohen, aber die Mutter meinte, daß ich es im Schlafe täte. Da gab es nun in ihrer Hausapotheke kein besseres Gegenmittel als das Begießen mit kaltem Wasser; so floß ein Glas eiskaltes Wasser über meine erhitzte Brust; ich schrie, ein zweiter Guß folgte. Ich mußte schweigen, sie hätte mich sonst ersäuft; aber die schlimme Wirkung äußerte sich gleich. Am Morgelh war mein Hals rauh, der Zapfen gefallen, und fort war der Falsetton, der sich wie eine Schlange in alle Herzen zu schleichen wußte. Ich lief zum Direktor, ich schwor, daß ich nicht singen könne; dieser aber zeigte mir den Befehl des regierenden Herzogs, der für hohe Gäste die Oper verlangt hatte. Ich mußte mich fügen und brauchte die kräftigsten Mittel, meine Stimme herzustellen. Meine Mutter kochte alle Salben auf, die sie selbst vergebens für ihre Stimme gebraucht hatte; einer brachte mir frische Eier, der andere das Innere eines Herings; ein Arzt riet mir die Hungerkur, der andere ein magnetisches Bad. Das geehrte Publikum nahm mich in die ärgste Kur und machte mir das Bad heiß; es ärgerte sich, daß ich die Läufe in der Tiefe machte, die ich sonst ins Falsett getrieben hatte; man schrie: »Höher, höher!« Ich zuckte mit den Achseln und sang tiefer. Sie klopften und pfiffen, ich klopfte und pfiff wieder. Sie warfen mit Äpfeln; zum Glück stand ich in einer häuslichen Szene, und ein Korb mit Kartoffeln war bei der Hand; ich schleuderte flink unter die Menge, wo jeder Wurf traf. Es kamen Leute, mich zu fangen; ein Freund, bei den Versenkungen angestellt, eröffnete mir eine Klappe, ich rettete mich in die Unterwelt des Theaters und von da durch einen gewölbten Abzugsgraben. Ich stand im Freien, auf der Landstraße, und wußte kaum, wie es zugegangen; aber ich dankte Gott und beschloß, die Stadt auf ewig zu meiden und hierherzuwandern, um, wo so viele Fürsten beisammen sind, mir Gerechtigkeit in ihrem Beifall zu suchen.« – »Göttlich, göttlich!« rief der Fürst, »oh, daß ich so etwas nicht erleben kann, daß ich gar nichts erlebe, daß mich tausend Rücksichten einklemmen; wenn ich sterbe, werde ich noch auf meinen Lebensanfang warten! Könnten wir für einige Zeit tauschen, wie wollte ich die gute Mutter beruhigen, das Publikum versöhnen; mir sind alle Verhältnisse so viel wert, daß ich auch mit den unbequemsten Dienern nicht brechen kann; ich würde bald alles herstellen.« – »Ew. Durchlaucht, erwerben Sie sich das Verdienst«, sagte der Sänger, »denn unter uns gesprochen, wenn ich den Ärger abrechne, ich lebte in unsrer Stadt recht lustig und hatte da manche Freude!« – »Aber, lieber Halbgott«, fuhr der Fürst nachdenkend fort, »können Sie auch zum Dank meine Verhältnisse anordnen? Ich lebe sehr unbequem, überall durch die Gewohnheit eines langweiligen Völkchens von jeder Liebhaberei, selbst von der Fürstin getrennt. Jede kleine Anordnung im täglichen Leben wird erst genau von diesen Unverschämten ausgemessen, ob es auch dem Brauche größerer Höfe angemessen ist, und was habe ich von diesen großen Höfen zu erwarten? Lästige Einmischungen, Unkosten, sonst nichts; es war ein schlimmer Irrtum meines Vaters, als ich die Tochter des Großmoguls heiraten mußte; zwar ihr Herz könnte mir alles vergüten, aber die Leute ziehen große Hecken umher, ihre Küchenkräuter darauf in Sicherheit zu ziehen; alle, die ich für meine Freunde hielt, haben mich verraten!« – »überlassen Sie mir das, Ew, Durchlaucht«, rief der Sänger begeistert, »ich bin Ihr Freund, das Völkchen schaffe ich fort; zugleich würde mir der Hof zwang eine gute Schule sein,- nur einen Tag Herrschaft im Schlosse, und ich bringe alles in Ordnung!« – »Die Kälte der Fürstin überwinden Sie nicht!« rief der Fürst – Unter solchen Plänen war der Kaffee genossen; in feuriger Ausbildung derselben schritten die beiden Unglücklichen nach dem Dorfe Hammer. Es war ein herrliches Wetter, das frische Grün der Wiesen funkelte im Tau, liebliche Kinder spielten ringsum, und die zierlichen Kasten der vielen Tischler, welche das Dorf bewohnen, glänzten vor den Fenstern. Welch schöne Arbeit aus den schwarzen, hölzernen Hütten hervorgeht! – »Wären doch das meine Kinder«, rief der Fürst, »aber leider ist mir diese Freude noch nicht geworden; mein glücklich vereintes Land spaltet sich nach meinem Tode für drei Nebenlinien.« – Der Sänger bat recht sehr, ihn in diesem Falle an Kindes Statt anzunehmen; er wolle auf Rechnung der Staatskasse heiraten und Erben in die Welt setzen. – Der Fürst bedauerte, daß es nicht angehe. So kamen sie unter manchem Scherz nach Aicha und zum seltsam gebildeten Felsen des Hans Heilig. Hier wurde geruht; ein alter Knabe, der sie führte, erzählte auf sehr langweilige Art die Legende, wie hier der Hans Heilig mit seinem ganzen Hochzeitszuge versteinert sei. Halbgott behauptete, es sei Hans Langweilig gewesen, der auf dem Wege schon seiner Braut und all den Seinen so viel Langeweile gemacht, daß sie eingeschlafen und so gewissermaßen versteinert wären. – »Das ist mein Schicksal«, rief der Fürst, »ich langweile mich und andere in dem Hofzwange; meine Frau, mein ganzer Hof ist schon ganz versteinert, ich zur Hälfte, nur ein schneller Entschluß kann uns vom Untergange retten. Hier schwör ich es: wir tauschen die Rollen, aus dem Scherz wird Ernst, sonst kann ich die Steinschale nicht mehr sprengen. Wer weiß, ob mich die Leute nicht schon lange für einen solchen versteinerten Hans Langweilig halten?« – Halbgott faßte begeistert die Hand des Fürsten; hier im Rauschen der reinen Flut, unter abenteuerlichen Steingestalten, deutete sich der Bund, den sie in der Frühe bei dem heiß sprudelnden Höllenstrome zwischen den gelbsüchtigen Wanderern am Sprudel abgeschlossen hatten. Wie verändert waren beide sogleich; der Sänger bewegte sich und sprach wie der Fürst, der Fürst suchte sich in die bequeme Art des Sängers zu versetzen und redete einen Bewohner von Aicha vertraulich an: »Lieber Mann, wie könnt Ihr schon essen, es ist doch erst Mittag?« Auch fragte er, ob er nicht gleich nach Tische eine Tasse starken Kaffee tränke? Vom Schmied im Dorfe wollte er wissen, warum er seinen Blasebalg nicht mit einer Dampfmaschine triebe? Einer Frau, deren Haare von der Arbeit umherhingen, versicherte er, daß sie schlechte Toilette gemacht. Den Kuhkäse riet er unter eine kristallne Glocke zu stellen. In der Küche warnte er gegen den kupfernen Kessel, der sei gefährlich, und Silber viel empfehlenswerter. Die Kühe, die eben auf den Berg zur Weide getrieben wurden, riet er im Stall zu füttern; kurz, er meinte recht gute Kenntnisse zu entwickeln, und doch wurde er überall ausgelacht. Er verwunderte sich darüber; der Sänger zeigte ihm, wie fern ihm die Welt gestanden, und der Fürst freute sich, daß er ihr endlich nähertreten sollte.
Am Abend saß der Sänger in fürstlicher Uniform mit dem Kammerherrn, der allein um das Geheimnis wußte, im fürstlichen Reisewagen. Die Bedienten mußten zurückbleiben, ihrer Geschwätzigkeit war nicht zu trauen. Der Kammerherr war durch seltene Vorsichtigkeit dieses höchsten Vertrauens vollkommen würdig; aber erst am Schlusse der zweitägigen Reise und nachdem schon alles Nötige verabredet worden, bekam er zu dem Sänger so viel Neigung, daß er ihn über das Gefährliche seiner Lage unterrichtete. »Sie vertrauen dem Fürsten, weil er die Sache feierlich mit ihnen eingegangen ist«, sagte er, »Sie hoffen, er werde Sie aus allen Unannehmlichkeiten herauswickeln, die Ihr Verhältnis zu der Fürstin und den Hofleuten herbeiführen kann? Sie irren sich; denn niemand ist unzuverlässiger in Planen, Absichten, Freundschaften als unser gnädiger Herr. Wenn etwas mißrät oder Anstoß gibt, da sucht er die Schuld auf andere zu wälzen und hat auch eine Geschicklichkeit, sich mit solchem Anschein herauszuwickeln. Läge mir noch viel an seiner Gunst, so hätte ich den Auftrag, Sie zu begleiten, in keinem Fall angenommen, er ist eine Fallbrücke; ich bin jedoch durch den Tod einer Verwandten seit einiger Zeit unabhängig in Hinsicht meines Unterhalts geworden; der Hof hat mich hinlänglich gelangweilt, und der Spaß macht mich vielleicht auf unterhaltende Art davon los.« – Nachdem er ihm versichert hatte, daß er sich auch nichts aus einem gänzlichen Titanensturze mache, fragte der Sänger: »Wie kann aber der Hof langweilig sein? – Der Fürst strotzt von Kenntnissen und Kunstfertigkeiten.« – »Als Zugabe ist das alles sehr schön«, antwortete der Kammerherr; »wenn aber diese blühenden Bäume nichts als Blüte wären, woran sollte uns die Frucht wachsen? So ein Herr wird großgefüttert mit Spaß und,Genuß; zeigt er Empfänglichkeit und Sinn, so sucht ihm jeder eine Auswahl des Besten darzureichen; er kommt zu einem geistigen ungeheuren Vermögen, wie ein reicher Erbe zu Geld, und weil er es nicht zu erwerben weiß, so weiß er es auch nicht zu brauchen. Für alles empfängt er Surrogate, und er nimmt sie begierig auf, weil es ihn vom eigenen Kampfe mit Zweifel und Geschick befreit. Statt Charakter bringt man ihm bei, ja nicht von einer einmal schriftlich geäußerten Meinung abzuweichen, das gibt ihm ein Ansehen von Schwäche. Auf diesem Wege kommt er in die Gewalt aller, die ihn zu kompromittieren verstehen. Haben Sie Schriftliches von ihm?« – »Nein«, sagte der Sänger betroffen, »soll mir sein Wort, sein Handschlag nicht genug sein, daß er den Scherz mit mir teilt, wie ich seine Fürstenwürde?« – »Sie kennen ihn nicht«, rief der Kammerherr bedenklich, »doch nun ist es zu spät, wir sind am Tor, die Wache tritt ins Gewehr.« – »Aber woran erkennen sie uns aus der Ferne?« fragte der Sänger. – »Am Ledergeruch des Wagens«, antwortete der Kammerherr, »es ist der einzige neue Wagen in dem ganzen Städtlein, auch der Gewitterableiter, der darauf gesetzt ist, zeichnet ihn aus.« – »Ein Gewitterableiter?« rief der Sänger, »wir machen seine Theorie zuschanden, das Gewitter zieht mit uns ein; alles läuft schon, als ob die Regenwolke nahte; jeder soll gehörig avertiert sein, jeder soll an seinem Posten stehen. Besorgen Sie nur die Wasserfahrt und die Ausquartierung der Hofleute, sobald Sie abkommen können; ich will der Fürstin ein echt elektrisches Funkenspiel mit allen meinen Kunststücken darstellen. Tausend Teufel, da kreischen schon die zusammengelaufenen weißen Jungfrauen ein Vivat!«
Unter solchem verwirrten Schreien und Laufen fuhren sie in den Sdiloßhof, wo zwei kolossale Grenadiere mit gefälltem Bajonett dem Andränge der Menge wehrten. Die Fürstin saß mit ihrem Hofstaate am Tisch und sah nach der Uhr, ob es nicht endlich schlagen wollte, damit sie die Gäste entlassen könnte; denn wie die alten Götter unter dem Schicksale, so stehen die neuen unter der Zeit. Da berichtete ein Läufer die Ankunft des Fürsten; ihm folgte auf dem Fuß der Sänger, der jede Bewegung des Fürsten in seinem seltnen Schauspielertalente so rasch begriffen hatte, daß selbst die Fürstin ihn, ohne einen Augenblick zu zweifeln, als ihren Gemahl begrüßte. Die Oberhofmeisterin konnte einen leisen Vorwurf über das Unerwartete dieser Ankunft nicht unterdrücken; sie sah mit Bedauern auf ein Lieblingsgericht, das sich erkälten konnte. Aber Halbgott, nachdem er die Hand der Fürstin geküßt, steckte der Oberhofmeisterin ein Notenblatt auf das steife Korsett und sang ein artiges italienisches Begrüßungslied, daß sich alles in Lob über die, glückliche Laune des Fürsten und die Wirkung des Karlsbader Wassers ergoß. Nun erzählte er von den Festen, welche Könige und Kaiser in dem Bade gäben, vom Sächsischen Saale, vom Posthofe, wie dort alles mit bunten Laternen erleuchtet gewesen, und befahl, Gondeln mit bunten Laternen zu besetzen, um die Nacht bei Gesang und Wein zu verschwärmen. Alles erschrak; die Fürstin wollte sich entschuldigen wegen Unpäßlichkeit, obgleich ihr der Gedanke sehr wohlgefiel; aber eine Menge Knallgläser, die er heimlich an den Lichtern verteilt hatte, sprangen jetzt mit Geprassel. Die Fürstin flüchtete sich an seinem Arme fort, die ändern folgten, so kamen alle in den blumenduftenden Schloßgarten, der vom Strome umflossen war. Und welche Wärme in der Luft, dazu fernes Wetterleuchten, Waldhörnerklang auf den Kähnen, die sich allmählich erhellten! Wer hätte der angenehmen Einladung zur Wasserfahrt widerstehen können? Alle glaubten sich von einer seltsamen Raserei ergriffen, so aus dem gewohnten Kreise unvorbereitet hinauszuschwimmen; der Ruderschlag war der einzige feste Takt, der noch die unruhige Bewegung des ganzen Hofes milderte. Es kamen andere Barken aus der Stadt zufällig entgegen; ein kleiner Korsarenkrieg wurde von unserm Halbgott angeordnet, die Barken festgehalten, die Besatzung in das Hauptschiff versetzt, und zur Verwunderung des Hofes waren eben die artigsten Frauen aus der Stadt, die sonst nie am Hofe erscheinen durften, an den Hof versetzt, und keiner hatte Gewalt über sich, es übel zu deuten. Nur die Fürstin wünschte die Absonderung, weil ihre Mutter über die Verletzung des Anstandes gegen ihre Tochter einen Krieg anfangen könnte; deswegen führte sie Halbgott in eines der genommenen Schiffe hinüber und sang zu ihren Füßen »La biondina« in Begleitung der Gitarre, während die Fürstin auf hohem Sitze sehr artig mit dem Fächer rauschte. Da fiel aller Zwang in dem großen Lustschiffe, alte Stimmen erwachten in den Herzen der bejahrtesten Hofleute; sie sprachen von den schönen Zeiten, als noch die Adjutanten der Generale Tilly und Wallenstein den Hof belebten, vom Max Piccolomini und Seni, der ihnen die Horoskope gestellt hatte; selbst die Oberhofmeisterin schloß sich dem Oberkammerherrn an, »Wäre der Fürst hier«, dachte der Sänger, der zu den Füßen der Fürstin saß, »er könnte ernten, wo ich gesäet habe, er würde mit mir zufrieden sein; schon zweimal klopfte die Fürstin mit ihrem Fächer auf den Busch meiner Haare, als sie mir etwas Gleichgültiges sagen wollte; sie scheint sehr bewegt, sie seufzt.« – Er fürchtete alle weiteren Erläuterungen, und doch wußte er sie nicht zu meiden, obgleich sie ans Land zu fahren befohlen hatte. Sie hing sich an seinen Arm, sie versicherte ihm: wenn er immer so unterhaltend, geistreich, gefühlvoll ger wesen, es wäre der ganze Streit, die ganze Trennung zwischen ihnen nicht erfolgt; aber sie habe sich vor Kindern gefürchtet, die so aus Widerwillen und Langeweile geboren diese beiden sündlichen Qualen auch der Zukunft zugeführt hätten. Halbgott beteuerte, daß die Zukunft noch alles zwischen ihnen ausgleichen könne, sie hätten wohl noch beide manches Jahr miteinander zu verleben, und für diesen Tag habe er sich nur insbesondere vorgesetzt, das Schloß von den Zwischenträgern und überlästigen zu reinigen, die sich ihrer herzlichen Annäherung widersetzt hätten. Die schlimmen Leute wären alle, durch Betrieb des Kammerherrn, im alten Jagdschlosse, das eine Viertelstunde entfernt ist, untergebracht, ihre Sachen wären schon hingeschafft, und sie selbst würden von der großen Gondel dahin geführt, meinten dort ein Fest zu finden und fänden da ihre Schlafzimmer, ihren ganzen künftigen Haushalt, eine Kirche, in der täglich Betstunde gehalten wird, Gärten, in denen sie sich der Ruhe freuen können, kurz, dies Schloß sei durch den Zauberstab des Kammerherrn in ein Zuchthaus für abgelebte Hofleute und Gesandten umgewandelt. – »Herrlich«, rief die Fürstin, »wie ist Ihr Geist erwacht, Ihr Entschluß gereift; dieser Tag muß ans wiedergeben, was wir in kleinlicher Streitigkeit von uns wiesen!« – Der Sänger unterbrach das Gespräch, indem er auf die Nachtigallen aufmerksam machte, die ihren letzten Jahresruf aus himmelhohen Laubhäusern der geschnittenen Linden des Hauptganges mit unendlicher Gewalt ertönen ließen. – »Das sind unsere Herzen«, sagte die Fürstin, und als der Sänger nichts darauf erwiderte, entzog sie ihm den Arm und ging mit einiger Heftigkeit dem Schlosse zu. Doch suchte sie den Ungestüm wieder zu verbessern; sie wandte sich an der Tür und sagte: »Ich wollte Sie einmal im Mondenschein aus der Ferne betrachten; Sie haben ein herrliches, edles Ansehen, ich habe Sie auch in der Ferne lieb!«
Sie waren endlich voneinander gegangen, und der Sänger klagte dem Kammerherrn seine Not bei der unerwarteten Zärtlichkeit der Fürstin. »Ich dachte der kalten, witzigen und gelehrten Manier der Frau nicht begegnen zu können, ich fürchte sie beleidigen za müssen, und ich muß wahrhaftig davonlaufen, um meine Freundschaft zum Fürsten in keinem Gedanken zu verletzen; die Fürstin-läßt mich nicht so gleichgültig wie den Fürsten.« – Der Kammerherr ging verlegen im Zimmer auf und ab und schwor, es ließen sich Launen doch nimmermehr voraus berechnen; er hätte eher Zank und Streit als Zärtlichkeit erwartet, er hätte eher geglaubt, daß einer durch das Eis bis zum Nordpol als in das Herz der Fürstin dringen könnte. – Während dieser Unterredung ließ sich ein Geräusch auf der versteckten Treppe hören, die von dem Schlafzimmer der Fürstin herunterführte in das Schlafzimmer des Fürsten, wo sich eben beide befanden. Mit einem Sprunge steckte der Sänger unter dem Bett und trug dem Kammerherrn auf, der Fürstin zu sagen, er sei bei dem schönen Wetter noch etwas spazierengegangen. Statt der Fürstin erschien aber eine alte Kammerfrau mit der Bitte an den Fürsten, ihr doch sagen zu lassen, was die Glocke sei, ihre Uhr sei stehengeblieben bei der Nachtschwärmerei. Der Kammerherr übergab ihr die Uhr des Fürsten, aber sie verweilte noch, wendete sich zum Bett des Fürsten und befestigte einen herrlichen Blumenstrauß; dann winkte sie dem Kammerherrn zu schweigen und entfernte sich wieder durch den geheimen Gang. Der Gefangene schlüpfte jetzt unter dem Bett hervor; der Kammerherr zeigte nach dem Strauß, er konnte sich nicht enthalten, mit einer Seligkeit daran zu riechen, als ob es die ersten Blumen gewesen, die er auf Erden entdeckt hätte, Aber noch mehr: er fand ein Blatt in den Blumen; sein Herz schlug ihm, daß er kaum lesen konnte. Was war es? Ein geistliches Lied: »Nun ruhen alle Wälder!« – »Was bedeutet das?« – Der Kammerherr lachte. »Eine ihrer alten Seltsamkeiten«, womit sie den Fürsten so oft von sich entfernt hat; ihre Zärtlichkeit verwandelte sich, gleichsam wie bei dem Blattumdrehen in Zeitblättern, ins Religiöse, und der Übergang war nicht wahrzunehmen!« – »Oh, hierauf versteh ich mich und kann antworten«, rief der Sänger, »ich singe aus meinem Fenster meine Stimme aus dem »Stabat mater« von Pergolese, das ich hier auf dem Pianoforte des Fürsten finde; das soll mir angenehm und erbaulich zu Herzen gehen. Zum Teufel! Ich kann doch die Galanterie gegen eine schöne Frau nicht gapz unterdrücken!«
Die Fenster wurden geöffnet, Halbgott sang zum Fortepiano wie ein ganzer Gott das »Stabat mater«; alle Töne waren ihm wiedergekehrt, und mit der Leichtigkeit eines Nachtwandlers wußte er von der Höhe zur Tiefe und aus der Tiefe zur Höhe zu klettern. Der Kammerherr küßte ihm begeistert die Hand, die Nachtigallen seufzten nur selten durch die Ruhepunkte der Musik, höher trieb der Springbrunnen den ungeheuren Wasserstrahl zu den Sternen des Himmels, die Johanniswürmer wie Abgesandte der Sterne schwebten durch die offenen Fenster und umflogen wie ein Sternenkranz das Haupt des Sängers; nur ein vermaledeiter Kater fing so schrecklich auf der Terrasse an zu mauzen, daß der Sänger, der Kammerherr und auch die Stimme der Fürstin oben fast gleichzeitig mit Zischen und Schelten aus den Fenstern tobten; aber es half nichts, die Bestie wollte sich nun einmal in ihrer Art hören lassen und hatte auch in ihrer Art Beifall, denn von allen Seiten kamen Brüder und Schwestern, Geliebte und Ungeliebte, die lebend und beißend sich um den jammernden Kater versammelten. – Und leise kam jetzt wieder die alte Kammerfrau getrippelt auf der geheimen Treppe und überbrachte dem vermeinten Fürsten ein Brieflein der Fürstin. Der Sänger las es, als er allein war mit dem Kammerherrn:
Keine Zeit geht mehr verloren,
Meine Uhr steht heute still,
Und es klingt vor meinen Ohren,
Was mein Mund nicht sagen will.
Klingend Ohr, was willst du sagen:
Denkt er meiner Liebe nicht?
Soll ich zagen, soll ich wagen?
Ach, wer ist's, der mit mir spricht?
Was ich hielt für Ohrenklingen,
Ist sein göttlich Abendsingen,
Und er singt ein »Stabat mater«;
Doch es mauzt dazu der Kater! –
Wer hat so w«s je gehöret:
Ist's efn Teufel, der uns störet?
Ist's ein Engel, der uns warnt,
Weil der Teufel uns umgarnt?
Der Sänger wollte gern antworten, daß es ein guter Engel sei; aber anders als in Reimen war nicht erlaubt, und die wollten ihm nicht fließen; er konnte überhaupt mit der Feder nicht sonderlich umgehen. Was war zu tun? Die Fürstin fragte aus dem Fenster von oben, was er zu ihren Versen meine? Sie könne nicht schlafen, er möchte ihr Gesellschaft leisten. Die Kammerfrau kam mit einem Lichte herein, um ihm vorzuleuchten; der Kammerhen rieb sich die Stirn. »Gleich, gleich!« sagte der Sänger in seiner Verlegenheit. »Ja!« fuhr er fort – da rutschte etwas ans Fenster auf einem wildgewordenen Spinnrade. »Ist das die Ahnfrau?« – »Nein, es ist der Ahnmann! Es ist der Fürst auf seiner Dräsine; er befiehlt uns, daß wir ihn ins Fenster heben.« – Es war der Fürst, er stieg mit Hilfe des Sängers ins Fenster. – »Sei mir gegrüßt, Bruder!« rief der Fürst, »laß dich küssen, du hast Wunder gewirkt; aber ich tat auch das meine, fünfzehn Meilen fuhr ich heute auf der Dräsine; morgen sag ich dir zur Vergeltung etwas Gutes, was dich angeht: ruhe dich hier aus, ich eile zur Fürstin!« – Mit diesen Worten eilte er der mit dem Lichte harrenden Kammerfrau nach und ließ den Sänger in der fröhlichsten Ungewißheit, was eigentlich sei, was er ihm zu erzählen habe. Doch der Tag, der alles erklären sollte, brach schon im Osten wie eine rote Apfelblüte auf, und die Augen fielen ihm zu vor Müdigkeit, während der ironische Kammerherr die Dräsine des Fürsten durch den Hauptgang des Gartens den brausenden Sonnenrossen entgegentrieb. – »Das nenne ich ein gesundes Schnarchen, als ob ein Blasebalg in einem Eisenhammer bläst!« sagte der Fürst, der schon lange vor dem Bett saß, als der Sänger die Augen aufschlug. »Das nenne ich selig träumen«, antwortete der Sänger, »hab ich denn recht geträumt? Waren Ew. Durchlaucht der Kater, und sind Sie mein Bruder?« – »Wahrhaftig, Gott gibt es den Seinen im Schlafe«, antwortete der Fürst und umarmte ihn, »ich war der Kater, ich bin der Bruder; als Kater mußte ich dich stören,,du wußtest nicht, was deine Stimme anrichtete; die Fürstin weinte vom oberen Stockwerk herunter, daß die Blumen glänzten. Als Bruder mache ich alles, wieder gut. Deine Mutter war nur kurze Zeit die rechte Freundin und linker Hand Vertraute meines Vaters, ihr Eigensinn trennte beide; sie entfloh, nahm aus Haß einen ändern Namen an, um nicht an jene Zeit erinnert zu werden; dich quälte sie, weil du dem Vater ähnlich bist. Mein Vater trug mir im Testamente auf, für sie zu sorgen, wenn ich sie entdeckte, von deinem Dasein wußte er nichts. Bruder, komm an mein Herz, du bist Blut von meinem Blute, ich habe keinen echteren Bruder als dich; ich danke dir viel, ich danke dir das Herz der Fürstin; ich bin sehr glücklich durch dich! Wir werden alle künftig in Frieden leben, nur schämt sie sich etwas vor dir, daß sie dir Zärtlichkeiten gesagt hat. Übrigens habe ich mich in den wenig Tagen ganz nach dir gebildet; ich «esse und trinke, was mir schmeckt; ich bin gesund wie ein Fisch; und denke dir – meine Wonne! – unter deinem Namen bin ich aufgetreten, habe gespielt, gesungen mit einem Beifall, daß vom Klatschen die Hände fast abflogen. Denk dir: du warst tot gesagt; ein Leichnam, dir ähnlich, war im Strome gefunden; sie meinten, du hättest dich aus Gram über ihr Mißfallen hineingestürzt, da hatten sie deine Kunst endlich erkannt, alle hatten dein Leichenbegängnis verherrlicht und weinten dir nach. Und als ich nun auftrat, da riß ein Wonnetaumel die Halsstarrigen hin, als ob sie in mir das Wiedererstehen vor dir am jüngsten Tage begrüßten. Ich will dir bei deiner Kunst helfen, hilf mir beim Regieren, Bruder; besonders heute, wo alle Landeskollegien mich begrüßen nach glücklicher Heimkehr und meine Befehle verlangen. Heute, wo ich von so vielem Glück zerstreut bin und ganz meiner Frau leben möchte, übernimm noch freundlich meine Rolle, du kennst die Welt, sie sind hier wie überall; donnere herunter aus ungeahnter Höhe au£ sie, du triffst gewiß in ihr Gewissen. Sie taugen wahrscheinlich alle nichts, denn ich war auch nicht viel wert und kannte nichts aus dem Grunde. Unter deiner Führung soll nun alles anders werden, und wir wollen künftig etwas weiter sehen als auf die Röcke. Ich bin nicht mehr Hans Langweilig, die steinerne Schale fürstlicher Angewöhnung ist mir gesprengt; hat doch selbst der Sprudel seine schwere Steinschale über unsern lebendigen, liebvollen Bund gesprengt, als wir Karlsbad verlassen; kurz, es sollte so sein, und wir sind nicht vergessen im Buche des Schicksals. Bruder, auch du bist nicht mehr derselbe, du stellst deine Beine schon feierlich wie ein Staatsminister, und das sollst du auch werden, sollst alles harmonisch ordnen durch die Macht des Gesanges, du zweiter Orpheus!« – »Um Gottes willen nicht, ich danke für die Ehre, Herzbruder!« rief der Sänger, »aber den Kopf will ich deinen Räten waschen und deine Köche auf die Höhe der Zeit und dein Theater zur Tiefe der Bildung und deine Kapelle in Schweiß und deinen Hof zum Lachen bringen! Aber, Bruder, halte mir die Mutter vom Leibe mit ihren Mäusen!« – »Meine Landeskollegien kommen zum Glückwunsch nach der Badereise«, rief der Fürst, »ich höre sie schon im Vorzimmer ihre Kehlen stimmen und ihre Nasen schneuzen. Jetzt halte dich, ich verstecke mich bei der Fürstin!«
Der Kammerherr meldete die Deputationen, und Halbgott winkte gnädig. Das Kammerkollegium ward vorgestellt, und der Direktor freute sich der hohen Gesundheit. »Ihr Herren allein«, sagte Halbgott, »könnt mich kurieren; ich bin krank mit meinem Volke, und das ist krank durch eure unnütze Weitläufigkeit; ihr kostet dem Menschengeschlechte mehr Zeit auf Erden, als die Ewigkeit einst einbringen kann. Ein Groschen Gewinn ist wenig wert, wenn er mit einem Taler erkauft wird. Ich verbiete euch, im nächsten Jahre bei Lebensstrafe die Feder anzurühren, damit nicht aller euer Witz auf dem Papier bleibt. Was habt ihr mit euren unzähligen Befehlen ausgerichtet? Das Papier ist teuer geworden, mein Land eine Wüste, und die Länder meiner Nachbarn sind Gärten. Statt Federn zu schneiden, okuliert Fruchtbäume; ihr habt viele Raupen im Kopfe, nehmt sie einander zur rechten Zeit aus. Lernt erst den Takt, ehe die Menschen nach eurer Pfeife tanzen sollen; tut lieber gar nichts, als etwas Kluges zur Unzeit, und wenn ihr wollt Flaumfedern durch ein Schlüsselloch blasen, so wartet ab, daß kein Wind gehe als der eure. Höret und sehet! Um dies eine bitte ich euch, die Geschichte ist keine Rechenmaschine, und was vorbei ist, läßt sich nicht mehr monieren, noch weniger ausradieren. Hütet euch vor aller Schulphilosophie, die wird nimmermehr schön und nur selten reif; denkt auch nicht, daß eure Gedanken sich mit dem Protokoll schließen müssen. Seht weiter, als eure Nasen reichen, und steckt sie darum nicht in Dinge, die euch nichts angehen. Heimlich ist aller Anfang und unbewußt das Ende; darum stört nichts, wo ihr nichts schaffen könnt, beschließt nichts, wo ihr nicht gewiß seid. Lernt von den tätigen Menschen und denkt nicht, daß ihr sie belehrt, weil ihr besser reden könnt. Kontrolliert nicht ehrliche Leute; die Spitzbuben lassen sich nicht kontrollieren. Nagt niemals aus Müßiggang an wohlerworbenen Rechten und überzeugt euch, daß die Vorzeit verständig war, und daß ihr auch denken müßt. Der Segen des Himmels wird nicht an den Meistbietenden, sondern an den Mindestfordernden überlassen, darum fordert nie zuviel auf einmal von den Leuten, sondern jedesmal das Rechte. Versucht nur vier Wochen die Einrichtungen an euch selbst, die ihr so vielen Tausenden für die Ewigkeit gebt, und ihr werdet erfahren, ob mehr dabei heraus- als hereinkommt!«
Bei diesen Worten trat zum Staunen der aufmerksamen Landeskollegien die Mutter Halbgotts herein mit dem zornigen Antlitz eines welschen Hahnes, stark geschminkt, in Perückenlocken aufgedonnert und mit einem Luftballon alter Florhauben bedeckt. Der Fürst hatte sie nicht zurückhalten können, er wurde von ihr mit hereingezogen. »Cospetto di Bacco, per la santissima virgine!« schrie sie, »du böser Bub!« – »Aber, Mutter«, antwortete der Sänger, »denkt Sie denn nicht daran, daß ich hier den Fürsten spiele und auf dem Sprung stehe, Minister zu werden? Daß hier noch das Justizkollegium, die Geistlichkeit darauf warten, von mir in Gnaden ausgescholten zu werden? Seh' Sie hier das Bild des fürstlichen Vaters, den Sie mit Ihren Grillen fast tot geärgert hat, zieht er Ihr nicht ein schreckliches Gesicht im Bilde? Sieht Sie, wie er die Augen verdreht und Ihr befiehlt, vor mir Respekt zu haben?« – »Maledetto principe!« rief sie und ärgerte sich über das Bild. Aber die Landeskollegien waren unterdessen schon wegen der Verdoppelung des Fürsten miteinander zu Rate gegangen und traten protestierend auf. Auch die verbannten Hofleute und abgelegten Gesandten drangen ein und bestürmten den Fürsten mit Vorstellungen, wie ihnen von einem nachgemachten Fürsten so übel mitgespielt worden. Die Geistlichkeit suchte das Gewissen des Fürsten zu erregen. Der Fürst sah um Hilfe nach dem Sänger hin, aber dieser stand im Feuer der mütterlichen Bestürmung. Der Fürst schwankte und fragte die Landeskollegien und die Hofleute, ob denn der Sänger etwas Schriftliches von ihm aufzuweisen gehabt hätte; er wisse nichts von der Sache. Alle riefen einstimmig: Nein, es seien noch keine Akten darüber angelegt. – »Nun, da läßt sich noch alles ändern«, sagte der Fürst, »es ist alles ganz gegen meine Absicht; mein Wille ist unwandelbar, das wißt ihr alle!« – Zugleich gab er dem Kammerherrn einen Verweis, der eigentlich auf den Sänger gemünzt war. Dieser hörte es aus der Ferne und fürchtete, auf dem Staatstheater noch ärger ausgepfiffen zu werden als auf dem bretternen Theater. – »Zum Glück steht noch die Dräsine vor dem Fenster«, dachte er und wollte hinausspringen, um fortzurollen. Doch griff er noch vorher nach dem Blumenstrauß der Fürstin, den sie ihm in der Nacht gesendet hatte, um doch nicht alles im Stich zu lassen; da trat die Fürstin durch den geheimen Gang ins Zimmer, als ob er sie mit dem Strauß hergezaubert hätte. Sie mochte wohl gelauscht haben, die Sonne war mit ihr durch die Wolken gebrochen; mit heiterem Lächeln befahl sie den Hofleuten und den Landeskollegien, sich zu fügen, sie würde sonst eine Exekution von ihrem hohen Vater erbitten. Dann küßte sie den Fürsten zärtlich und berichtete: Der Fürst habe ihr aufgetragen, seinen halb rechten, halb linken Bruder durch einen Kuß öffentlich vor den höchsten Würdeträgern des Landes zur Anerkennung zu bringen. Der Sänger ließ sich auf ein Knie nieder; sie küßte seine Stirn und sagte: mit diesem Kusse empfange er ein Recht, alles zu sagen, was er denke; nichts dürfe ihm übelgenommen werden. – »O seliger Augenblick!« rief der Sänger, »so bin ich nun als Hofnarr bestellt!« – »Nein, als Staatsminister«, entgegnete die Fürstin, »hier sind die schriftlichen Ausfertigungen meines Gemahls.« Der Sänger griff zu und rief: »Ja wahrhaftig! Nun habe ich es schriftlich, tausend Dank! Aber soll ich dieses Land auf den höchsten Gipfel des Glücks erheben, so stellt meine Mutter mit einem ihren Wünschen angemessenen Gehalte als Staatskartenlegerin an und gebt ihren Mäusen die alten Akten zum Futter, damit wir Platz finden, um neue anzulegen. Die Mäuse und die Karten prophezeien ihr, und wir erfahren dadurch etwas von der Zukunft, was in der Finanzie besonders gute Dienste leistet; auch hat sie noch einen Ziegenbock, den setzt hier zum Gärtner mit dem angemessenen Gehalte; ihr blinder Hund wird mit der Ehre zufrieden sein, wenn er ein Ordenshalsband empfängt. So käme das Land in Ordnung.« Der Fürst gewährte die Bitten, und die Italienerin erklärte sich endlich völlig befriedigt. – Jetzt drangen die Glückwünsche von allen Seiten ein, die Böller vor dem Schlosse fingen an zu husten, die japanische Glocke wurde in der Schloßkirche feierlich angeschlagen, die Stadt zum Feste zu versammeln. Um die allen Festen vorausgehende Leere auszufüllen, setzte sich der Sänger an das Piano und sang mit sehr herrlichen Variationen:
Denn was sein soll, muß geschehn,
Nichts kann dem Geschick entgehn,
Und nichts ändert seinen Schluß,
Das beweist der Fürstin Kuß.