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Löwen
Heute war mein Geburtstag, ich bin nun 19 Jahre alt und habe meine Rechtsstudien, mit denen andre kaum in ihrem 24sten Jahr fertig werden, fast beendigt. Ich hoffte jetzt von aller Aufsicht frei zu sein, als mir mein Vater vor vier Wochen den seltsamen französischen Hofmeister schickte, der mir zu beweisen sucht, daß ich noch gar nichts wisse, daß ich noch gänzlich unerzogen sei und meine Lehrjahre nun erst anfangen müsse. Ich berichtete dagegen an meinen Vater, dieser aber zerschmettert alle meine Gründe mit väterlicher Allmacht, befiehlt, mich ganz der Führung des Franzosen zu überlassen, mit dem ich in die Welt eintreten sollte. Der Hofmeister spricht von dieser Welt, als ob sie ganz das Eigentum König Ludwigs XIV. und seiner Franzosen sei, als ob ich dazu noch einmal geboren werden müßte, und ich freue mich gar nicht darauf. Ich soll mich nun besinnen, soll bestimmte Absichten verfolgen und mich nicht fortreißen lassen von Lüsten zu wissenschaftlichen Beschäftigungen. Zu diesem Behufe hat er mir heute das Versprechen abgenommen, alle Abende treulich aufzuschreiben, was ich gedacht und erlebt habe, darüber Betrachtungen anzustellen, was wahr, was falsch, was versäumt oder übereilt sei. Er wußte mir das Unternehmen eines solchen Tagebuchs als höchst nützlich, als sehr unterhaltend darzustellen, heute kann ich aber keins von beiden darin finden. Ich habe nichts erlebt, und gedacht habe ich auch nicht viel, der Vetter führte mich zur Feier des Geburtstages zu den Landsleuten, es wurde viel Bier getrunken. Zu Hause habe ich wieder meine Institutionen geritten und das Buch des Hofmeisters über die Lebensart der großen Welt und die Kunst, Liebesbriefe zu schreiben, aufzuschlagen vergessen. Tue ich daran unrecht, so tue ich es doch nicht mehr als er selbst, wenn er die Zeit des Schlafengehens vergißt und seine Begierde, über Indien etwas zu erfahren, aus tausend vergessenen Büchern befriedigt. Dieser Götzendienst wird ihn in seinen geistlichen Studien als Abbé nicht weiterbringen, die Welt wird sich auch um dergleichen tolles Zeug nicht viel kümmern. Jene Völker scheinen mir nach allem, was er erzählt, eher eine Art Affen, denn vernünftige Menschen, und fänden sich dort nicht die kostbaren Steine und Gewürze, so möchte wohl kein vernünftiger Mensch dahinziehen, mein Herr Hofmeister ausgenommen, der den festen Vorsatz dazu hegt, wenn er meine Erziehung beendigt hat. Ich darf hier dreist über ihn schreiben, der Horcher an der Wand hört seine eigne Schand, und er hat mir bei seiner Ehre geschworen, dieses mein Tagebuch so heilig zu achten, als wäre es die Beichte, die ich meinem Pater Bonifaz ablegte, er will mich auch in der besten Absicht nicht belauschen und nicht in dieses mir dazu geschenkte rote Buch blicken, auch wenn ich es offen neben ihm liegenließe. Er ist ein Mann von Wort, das habe ich schon an ihm achten lernen, ein Mann von sicherem, festem Betragen, den ich nicht wie seinen Vorgänger zu bewachen brauche gegen den Mutwillen der Studenten und gegen eigne dumme Streiche. Was der Abbé die Welt nennt, ist freilich nicht viel anders, als was Pater Bonifaz als den Teufel schilderte, seine Welt ist Paris, und unsre gute Stadt Köln mit allen ihren Heiligtümern ist ihm nicht so viel wert als die Vorzimmer der berühmten Pariserinnen, aus denen er jeden Einfall mit listigem Behagen wiederholt. Immer spricht er von Komödien, worin er mit andern Liebhabern spielte, wie er in Maskenverkleidung die Leute angeführt hat. Er kann es nicht ertragen, daß mir die jetzt lebenden berühmten französischen Schriftsteller langweilig sind. Wie sprang er auf, als ich die Tragödien der Herren Corneille und Racine bei der Zusammenstellung mit den alten Originalen dem schlechten seidnen Zeuge ähnlich fand, das meine Mutter mir zum Schlafrock aus geflickten bunten seidnen Lappen weben ließ; es hält zwar, aber es ist schlechter als jeder einzelne Lappen, der dazu verwendet worden. Er behauptete, der Anstand fordere es, das Anerkannte zu loben, in Frankreich stehe das Urteil fest, und ich würde mir selbst am meisten durch dergleichen Einfälle schaden. Er hat Augen, als ob er einem ins Herz sehen könnte, er plagt sich mit vielen Sorgen für mich, er scheint es gut mit mir zu meinen, daß ich aber dieses Tagebuch zur Sprachübung französisch schreiben muß, ist eine verdammte Plage, die er mir aufgelegt hat. Ich habe ihm darauf mein Wort gegeben, er stellte es mir so leicht vor, und nun schreibe ich doch manchmal etwas andres, als ich schreiben wollte. Brüssel
Mein Herr Hofmeister ist verrückt. Heute läßt er mich aus dem Kollegio zu sich rufen und sagt mir, daß mein Vater mich in Brüssel erwarte, wohin ihn eilige Geschäfte gerufen. Ich finde schon alles Nötige gepackt, ja noch viel mehr, als zu einer so kleinen Reise mir notwendig geschienen hätte, kaum habe ich noch einen Augenblick Zeit, zum Vetter zu laufen, um von ihm Abschied zu nehmen. Der will es kaum glauben und versichert mir, er habe auf mich gar sehr gerechnet bei einer Streitigkeit, welche die Studenten mit den Soldaten anfangen wollten, um einen derselben zu befreien, der zum Tode verurteilt worden, weil er sich von ihm und andern Studenten von seinem Posten fort zu einem Trinkgelage habe führen lassen. Ich war in Verzweiflung, daß ich nicht dabei sein sollte, aber der Vetter rät, die Reise nicht auszusetzen, weil er den Ernst meines Vaters kennt. Sulpiz drängt sich dazu, mich als Bedienter zu begleiten, obgleich ich auf die paar Tage keinen nötig zu haben glaube. Wir reiten, so schnell wir können, hierher, mein Vater ist nicht zu finden, und aus der Ruhe des Hofmeisters sehe ich deutlich, daß er auch nicht kommen wird. Welche Absicht er dabei hat, kann ich nicht erraten, seine Verschwiegenheit ist undurchdringlich. Ich bin auf der Universität hinlänglich gewitzigt, um ihm begegnen zu können, wenn er etwas Böses mit mir vorhaben sollte. Kann ich sein Tagebuch finden, vielleicht gibt es mir Belehrung über seine geheime Geschichte und Absichten. Zum Glück hat er mir kein Versprechen abgenötigt, es nicht anzusehen, und rechnet mehr auf seine Vorsicht, es immer sorgfältig zu verschließen, vielleicht auch auf meine Scheu vor fremdem Gut, denn aufrichtig gesprochen, so etwas von Dieberei ist allerdings dabei, sich in das Geheimnis eines andern zu stehlen. Notwehr ist erlaubt, und hier, wo ich ganz unbekannt bin, während er schon mit einem Dutzend Reisenden Bekanntschaft, ja Freundschaft erneut zu haben scheint, muß ich mich der Selbsthilfe überlassen. – Diesmal habe ich mich umsonst dem Teufel übergeben. Ich benutzte den Augenblick, als er hinausgegangen, blickte auf das Blatt und fand gar nichts als die unbedeutenden Worte: »Wieder ein Tag vergangen, ohne eine Nachricht von dir, liebe Laura.« Wie ich durchs Vorzimmer gehe, bemerke ich zu meinem Erstaunen, daß der dumme Schlingel, der Sulpiz, auch ein Tagebuch schreibt, worin er genau aufzeichnet, wie viele Meilen wir gemacht, was der Hofmeister und ich mit ihm gesprochen. Zu meinem Ärger muß ich da lesen, daß der Hofmeister ihm befohlen, von allen meinen Gängen ihm Nachricht zu geben, auch wer mich besucht, denn ich sei neu in der Welt und gutmütig und könne leicht in die Hände bösartiger Menschen fallen. Nun bin ich gerechtfertigt wegen meiner Neugierde. Er sucht mich auf unwürdigem Wege durch den Bedienten zu belauern, ich belausche künftig seine Tagebücher, indem ich beide unter allerlei Vorwand abends zu entfernen suche. Wer ist nun der Klügste, der Franzose oder der Deutsche?
Brüssel
Mailge gespielt, gewonnen, Oper gesehen, mit den Franzosen gegessen, grobes Volk, viel getrunken. Ich kann nicht mehr schreiben, es dreht sich alles mit mir herum, und ich meine mit einer doppelten Feder zu schreiben. Das Löwener Bier ist hier stärker als am Ort selbst. Der Franzose ...
Brüssel
Mein Hofmeister mag ganz recht haben, daß ich nichts von französischer Sitte habe, aber warum soll ich ein Franzose werden? Mein Vater verlangt es, weil er selbst daher noch eine Erbschaft erwartet, und ich muß mich fügen. Heimlich muß ich dabei eingestehen, daß in diesen Sitten doch viel Erfahrung verborgen ist von dem, was die Geselligkeit stören, und ein Sinn für alles, was ihren Reiz erhöhen kann. Der Hofmeister kam morgens mit ernstem Gesicht an mein Bett, erkundigte sich nach meiner Gesundheit, freute sich, daß mir der Rausch nichts geschadet, und versicherte mir, daß er den gestrigen Tag in der größten Qual verlebt habe. Ich fragte nach der Ursache, er habe sehr heiter geschienen. Er antwortete, daß er aus Schonung gegen mich seinen Ärger über die Unschicklichkeiten nicht habe sichtbar werden lassen, zu denen ich mich aus Unkunde geselliger Verhältnisse hätte verleiten lassen. Ich war sehr verwundert, denn ich war vollkommen mit mir zufrieden und wollte nicht eher glauben, bis er mir alles genau vorgetragen hätte. Beim Mailgespiel, sagte er, waren Sie zu heftig auf den Gewinn; sahen Sie nicht, wie sich die beiden französischen Offiziere über jeden guten Wurf freuten, wem er zugute kommen mochte. Wir gewannen ihnen die Oper und ein Abendessen ab, und jene freuten sich, daß Ihr Ungeschick ihnen die Annehmlichkeit verschaffe, uns zu bewirten, sie wünschten sich alle Tage einen gleichen Verlust. Welche entsetzlichen Mienen, welche Blicke mit den Augen machten Sie, um mir zu verstehen zu geben, daß dies kein Ernst der Leute sei. Glauben Sie denn Ihre Mienensprache so verschieden von der andrer Menschen, daß jene Herren nicht auch etwas davon verstanden? Warum mußten Sie nachher sich beständig Ihres Gewinns rühmen, war das nicht gemein, und waren jene Herren nicht viel besser daran, die sich, wie es die Gesellschaft fordert, um ihren Verlust nicht kümmerten, sondern ihn als einen kleinen Beitrag zur geselligen Unterhaltung aufnahmen? Ich müßte ihm recht geben, ich sah, daß er es hierein gut meinte, und erinnerte mich, wie manchmal ich unter meinen Freunden die ärgerlichsten Händel ausbrechen sah, bloß weil einer sich im Gewinn nicht mäßigen, der andre seinen Verlust nicht verschmerzen konnte. Er fuhr fort in seiner Entwickelung meiner Unschicklichkeiten, wie ich in der Oper Scherze, die nur meinen Kameraden kundig, überlaut vorgetragen, als ob nicht genug Leute sie hören könnten, und wie er mir deswegen zugeflüstert, daß man in der Oper nicht sprechen dürfe. Besonders hätten sich meine Zitate aus dem Cicero wie eine rechte Schulfuchserei ausgenommen, zusammengestellt mit meiner Verwunderung über Theatersachen, die allen ändern längst bekannt wären. So sei es gar nicht lächerlich, daß das gemalte Laub an den Bäumen bei dem künstlichen Gebrause, welches den Sturm auf dem Theater vorstelle, sich nicht bewege, noch törichter sei aber mein Haß gegen den einen Schauspieler gewesen, der den Tyrannen der beiden Liebenden gespielt, als ich ihn nach Endigung des Stücks auszuprügeln gedroht, kurz, meine Albernheit habe alle seine Vorstellung überstiegen. Ich sah das ein, ich hätte nach meiner Einsicht am wenigsten im Theater reden sollen, und war der lauteste Zuschauer. Aber warum waren Sie nachher nun so still in der Abendgesellschaft? fragte der Hofmeister. Ich versicherte ihm, daß ich bei den beständigen Witzeleien der Franzosen nicht habe zu Worte kommen können, dann hätten mich ihre Lügen verdrießlich gemacht, und zuletzt hätten sie keinen ordentlichen Bescheid aus meinem Bierkrug trinken wollen. Er zuckte mit den Achseln und fragte: Warum brachten Sie Ihre Einfälle nicht auch zu Markte, aber Sie ärgerten sich, weil nicht gleich die ersten den Beifall an sich rissen. Zuerst begnügen Sie sich, die Unterhaltung mitgeführt zu haben, ehe Sie Mittelpunkt derselben werden wollen, und gewöhnen Sie sich, in derselben alles als Ihr Eigentum, als ein Gemeingut anzusehen, so werden Sie sich viel reicher durch den Geist andrer als durch Ihre eignen Beiträge fühlen. Was sollten ferner die Fragen bei lustigen Geschichten, wann und wo sie sich ereignet hätten, ob sie wohl zu glauben wären? Heißt das nicht eine Geschichte durch solche leeren Mißverständnisse oder Zusätze totmachen, liegt nicht ihr Glauben, ihr Leben, ihre Zeit in den guten Einfällen und der Erfindung, die gar nichts verlieren, wenn auch die Geschichte gänzlich unmöglich wäre? Bei Küchenrezepten ist die Ausführung die Hauptsache, aber mancher gute Einfall, der sich erzählt des Beifalls erfreut, würde im Leben mit Ohrfeigen bezahlt werden. Darum ist die Erzählung soviel reichhaltiger als die Wirklichkeit, sie kennt unzählige Schranken und Rücksichten nicht, selbst die Belehrung dringt freier zu uns, als wenn sie sich unmittelbar an unsre Erfahrung anschließt: vielleicht wenn Ihre Bildung für die Welt mir dazu Zeit ließe, ich würde eindringlicher durch Erzählung ähnlicher Vorfälle, die andern geschehen, auf Sie gewirkt haben, als eben jetzt durch diese unmittelbare Beschämung. Ich gestand ihm ein, daß in den Geschichten, die ich gestern so hochmütig von oben her wie leeres Geschwätz angesehen, eine reiche Quelle von Geist und Erfahrung sich eröffnet habe, und bat ihn, mir ohne Umschweife alles zu erklären, was ich in der Gesellschaft der Trinker versehen. Sie nennen diese gescheiten Männer Trinker und waren der einzige, der sich im Trunk übernommen. Warum verachten Sie Weine, die Sie nicht kannten, warum forderten Sie durchaus Löwener Doppelbier und zuletzt Wacholderbranntwein? Wollen Sie in Paris wieder nur Löwener Bier trinken, so müssen Sie verdursten, hier fand es sich durch Zufall, überhaupt aber schickt es sich nicht, als Gast eines andern, was er gibt, zu verachten, oder zu fordern, was er nicht aus eignem Antrieb vorgesetzt hat. Sie wollten kein Glas Champagner annehmen und beschweren sich, daß jene den Krug Bier nicht nach Ihnen zur andern Hälfte geleert und ihn mir kredenzt haben, wie es in Löwen die Sitte der Studenten sein mag. Ländlich, sittlich, in Frankreich trinkt niemand gern mit einem andern aus demselben Glase, um Ansteckung böser Krankheiten zu vermeiden. – Ich geriet in Verzweiflung über meine dummen Streiche, ich schämte mich, die Leute wiederzusehen, und ich bat ihn, wenn mein Vater noch nicht gekommen, die Rückreise nach Löwen sogleich anzutreten. Bei diesen Worten zeigte er mir das Schreiben des Rektors der Universität Löwen, in welchem derselbe seine Klugheit rühmte, mich wegen der zu erwartenden Studentenunruhen noch vor der Zeit fortgeführt zu haben, zugleich übersandte er ein rühmliches Zeugnis meines Fleißes und mehrere Empfehlungsschreiben an französische Gelehrte. Ein andrer Brief des Vetters, den er mir dann übergab, erzählte mit Reue und Verzweiflung, wie er in dem Augenblick flüchten müsse und sich bei einem deutschen Regiment in Frankreich wolle anwerben lassen, da er von seinem Vater keine Verzeihung zu erwarten habe. Er habe zwar den gefangenen Soldaten, der zum Richtplatz geführt, glücklich befreit, aber in der Hitze den Wachtmeister erstochen, der ihn begleitete. Die Soldaten, die sonst wohl ein Auge zugedrückt hätten, weil der Auflauf zur Rettung eines ihrer Kameraden geschehen, hätten dadurch ihre Ehre gekränkt geglaubt, auf die Studenten eingehauen, viele verwundet, zwei getötet, und all das Unglück mache man ihm nun zum Vorwurf. Er freue sich nur allein darüber, daß ich fern gewesen und nicht durch ihn in dies Unheil mit verwickelt sei.
Ich war durch diese Briefe betrübt und beschämt. Ich betrauerte das Schicksal meines Vetters, so nahe hatte mich noch kein Unglücksfall berührt, ich kannte das Unglück bis daher nur als einen Reiz meiner Neugierde, als eine milde Erregung des Mitleides. Beschämt war ich durch den falschen Verdacht gegen meinen Hofmeister, aber ich vermochte es nicht, ihm den bösen Verdacht zu bekennen, den ich gegen ihn gehegt. Er schien es aber wohl zu ahnen, denn er zeigte mir zuletzt noch einen Brief des Vaters, worin ihm dieser Wechselbriefe für mich schickte, und mir zwar Freiheit ließ, selbst zu wirtschaften mit meinem Geld, doch nicht ohne vorhergehende Beratung mit dem Hofmeister. Er empfahl schnelle Abreise nach Paris, weil jetzt wegen der Hoffeste alle Leute von Stand dort versammelt wären, und befahl mir das Geheimnis seines Freundes, meines Hofmeisters, wohl zu bewahren, der sich in Paris vielleicht einen andern Namen geben würde, dem ich durchaus wie ihm selbst Folge leisten sollte. Dies wunderbare Vertrauen meines sonst so vorsichtigen Vaters brachte mich zum Gipfel der Verwunderung, ich sagte dem künftigen Herrn Vater offen, ich empfände eine
peinliche Neugierde, seine Geschichte zu hören. Er versicherte mir, daß er diese Neugierde befriedigen wolle, wenn es Zeit sei.
Brüssel
Das ärgste Unglück, dem ich mich in Löwen entzogen, gleicht nicht dem Unstern, der mich hier in Brüssel verfolgt. Eben wollten wir fort, die Postpferde warteten, die der Hofmeister selbst bestellt hatte. Da fehlte der Sulpiz beim Aufpacken. Wir vermuteten, ihm sei ein Unglück geschehen. Der Hofmeister ging zu den Leuten, welche für die Sicherheit der Stadt sorgen, ich durchsuchte sein Tagebuch, ob darin keine geheime Verbindung mit den Töchtern der Stadt aufgezeichnet wäre. Statt dessen fand ich eine Reihe Betrachtungen über mich, die mein Blut in Bewegung setzten. Aus Ärger und Langeweile trank ich mich noch mehr in Hitze. Endlich kam der Sulpiz, nachdem ich so drei Stunden zugebracht, über den Markt geschwankt, von einem Soldaten bis zur Tür des Wirtshauses geführt. Seine verkehrten Reden, auch der Geruch überzeugten mich gleich, daß er sich betrunken. Kaum konnte ich die Zeit abwarten, daß er auf mein Zimmer kommt, um ihm eine gute Belehrung auf den Rücken zu schreiben. Ich will zugeben, daß ich in meiner Hitze nicht genug beachtet, wohin ich geschlagen, aber seine Schläge hatte er verdient. Leider ist er am Kopf verwundet, ja es tut mir leid, auch wenn er noch mehr Schläge verdient gehabt, da er mehr aus Neigung zu mir und aus Anhänglichkeit zu den Meinen mitgegangen, als des Lohnes wegen. Aber es war nun einmal geschehen, als der Hofmeister kam, und darum hatte er unrecht, mir Vorwürfe zu machen, daß ich mich an einem so guten Menschen vergriffen, der zum erstenmal sich einen Vorwurf zugezogen. Er führte mich zum Spiegel und bat, daß ich mich ansehen möchte. Freilich kein sonderlicher Anblick, in einer Hand hielt ich einen Busch ausgeraufter Haare, meine Perücke war mir abgefallen, meine Manschetten voll Blut, meine Halsbinde aufgelöst, der Schaum stand vorm Mund, und über die Backen hatte mich der Kerl in der Angst gekratzt wie eine Katze. Das machte mich noch zorniger, ich beteuerte, daß ich mir in Hinsicht meines Betragens mit Bedienten nicht einreden lasse, und eilte in ein Nebenzimmer, weil ich meine Wut aufkochen fühlte. Mein Entschluß war gefaßt, ich wollte mich unabhängig machen von den Einreden des Hofmeisters, es koste was es wolle. Ohne mich um ihn zu bekümmern, ging ich zu dem Handelsherrn, auf welchen mein Vater den Kreditbrief gestellt hatte, der Name ist mir entfallen. Er zahlte mir die hundertundfünfzig Pistolen ohne zu säumen aus. Ich sah den Hofmeister in der Entfernung auf der Straße und trat in ein nahes Cafehaus, um ihm auszuweichen. Es wurde da gespielt, ich schämte mich, von diesem Vergnügen ausgeschlossen zu scheinen und wagte ein paar Pistolen. Ich verlor und verdoppelte meinen Satz. Nach einer Stunde war mein Geld verloren, und ich hatte den Ärger, zu vermuten, ich sei betrogen. Ich war im Begriff, die Karten dem Spieler an den Kopf zu werfen, als ich mich der Warnungen meines Hofmeisters erinnerte; es war mir, als stünde er neben mir und redete mir zu, wie ein Mann von Stand den Verlust im Spiel nicht achten müsse. Mit erheuchelter Freundlichkeit nahm ich Abschied, indem ich mir die Karten als ein kleines Andenken meines Verlustes erbat. Der Spieler wollte zwar eine Einwendung machen, er schien verlegen, und ich wußte mir das nicht gleich zu erklären, aber aus Eigensinn wegen meines Verlustes nahm ich die Karten fort, ohne mich an alle Einwendungen zu kehren. Ich eilte in das Gehölz vor die Stadt mit halbem Willen, meinem Leben ein Ende zu machen, aber zehnerlei Hinderungen traten zwischen, zuerst konnte ich den Degen erst nach vieler Anstrengung aus der Scheide bringen, die bei dem Kampf mit dem Bedienten verbogen war, dann begegneten mir Leute. Endlich nach ein paar Stunden glaubte ich allein zu sein, als der Hofmeister an mir in großer Eile vorüberstreifte, und mir nur die wenigen Worte sagte: Mein Diener sei sehr schlecht, und er gehe eben nach einem Beichtvater. Eine große Angst wegen dieser Sündenschuld, die mich belasten könne, vertrieb alle Sterbelust aus meiner Seele. Ich eilte nach Hause, des festen Entschlusses, gleich am nächsten Tage fortzueilen nach Köln, meinen Vater anzuflehen, daß er der Familie des armen Sulpiz alles vergüte, was sie durch den Tod des Menschen verlieren könnte. Hier erfuhr ich, daß es sich ein wenig mit ihm bessere. Das bestärkte mich in meinem Entschluß, fortzureisen. Als ich dies dem Hofmeister sagte, lachte er mich aus und meinte, es sei ebenso unrecht, von einem Unfall übermäßig ergriffen zu werden, wie es unrecht gewesen, gar kein Mitleid bei dem Leiden des armen Sulpiz zu äußern. Er riet mir, die Sache ruhig zu beschlafen, er selbst habe Hunger und wolle erst noch mit ein paar Bekannten zu Nacht essen.
Ich kann mich in diesen Mittelzustand von Beruhigung und Sorge, den er mir mitzuteilen sucht, nicht versetzen. Er ist teilnehmend, und kann dabei so leichtsinnig sein, wegen des Geschwätzes von ein paar Franzosen sich mir zu entziehen. Er hat heute viel geschrieben, ich bin sehr neugierig, ob es mich angeht.
Seltsame Sachen mußte ich da entdecken. Also doch ein Betrüger ist dieser Mann, der immer so beherzt von seiner Ehre spricht, dem mein Vater alles Zutrauen schenkte, ein Ketzer, und was viel schlimmer, ein Ketzer, der sich verstellt, als ob er zur alleinseligmachenden Kirche gehöre, der auch mich auf diesem Schleichwege verführen will. Und doch habe ich nie eine Spur dieser Absicht in seinen Reden bemerken können. Er spricht im Tagebuch von einer verstorbenen Frau, er ruft sich ihr ganzes Wesen zurück, er sagt, sie sei vollkommen gewesen, denn selbst ihre unüberwindliche Abneigung, seinem Rate zu folgen und den äußeren Schein des katholischen Glaubens anzunehmen, sei eine Tugend gewesen, obgleich sie ihr das Leben, ihm und seinem Kinde jedes Lebensglück gekostet habe. Der arme Mann mag viel gelitten haben unter dem verruchten Ludwig XIV, aber warum kann er es nicht lassen, von dem liederlichen Hofstaat dieses gemeinen Menschen, der nicht einmal mit seinen Geliebten sich edel zu betragen versteht, mir immer vorzuerzählen? Ich bin kein Eiferer für meinen Glauben, mein Vater hat immer viele Protestanten in seinem Hause gesehen, aber ich will doch nicht um meinen Glauben wie ein Kind betrogen sein. Ich habe Logik gehört und weiß selbst zu prüfen.
Auch den armen Sulpiz habe ich heimlich besucht und ihm viel Geld versprochen, wenn er wieder genesen, doch müsse er meinen Besuch dem Hofmeister nicht wiedersagen. Sein Tagebuch lag aufgeschlagen. Ich blickte hinein und fand keinen Vorwurf, sondern viele herzliche und unverdiente Liebe gegen mich; könnte ich diesen Unglückstag aus meinem Leben verwischen!
Antwerpen
Mein Hofmeister ist der edelste, der beste, der klügste und mutigste Freund, ihm zuliebe möchte ich Ketzer werden. Ich schäme mich meiner Übereilungen, aber er bot mir selbst die Entschuldigung an, weil ich noch so jung sei und mich doch für erfahren gehalten. Der Zusammenhang und mein Gelübde fordern von mir, daß ich mit meinen Torheiten anfange. Als ich aufwachte, war der Hofmeister schon ausgegangen, und ich ärgerte mich ziemlich, daß ihm die beiden französischen Schwätzer, die er nach meiner Meinung so früh besucht, mehr wert wären als mein Geschick. Ich eilte zu dem Wechselladen, wo ich gestern die 150 Pistolen ausgezahlt erhalten. Der Herr war in seinem Laden und aß ein Butterbrot. Er bot mir davon an, ich wußte, daß dies das höchste Zeichen von Gastfreundschaft bei den Flamländern sei, und vermutete daher, daß die Zahlung der kleinen Summe zur Bezahlung im Wirtshause und zur Reise nach Hause keinen Anstand finden würde. Aber ganz freundlich antwortete der Mann, daß mein Vater mich auf keine höhere Summe, als ich erhalten, bei ihm akkreditiert habe. Da half keine Bitte. Ich zog ihm in der Hitze ein paar Ohrfeigen und ließ ihn ganz verwundert mit dem Butterbrot im Mund stehen. Zum Glück war er allein, sonst hätte ich mir einen gefährlichen Handel zuziehen können. Jetzt hat er sich durch Vermittlung des Hofmeisters dabei genügen lassen, zehn Pistolen mehr dem Vater anzuschreiben, nachdem ihm dieser vorgestellt, daß er keine Zeugen habe, und ich die Sache ableugne. In meinem Zorn ging ich zu einem Hause, wo ein Goldschmied sein Schild ausgehängt hatte. Ich zeigte ihm meinen Diamantring, das schöne Andenken von meiner Großmutter, und war zufrieden, als er mir zehn Pistolen dafür bar ausgezahlt hatte. Nun ließ ich Pferde bestellen, wollte auch einen Bedienten mieten, fand aber keinen, weil sich alle durch die Behandlung, die der Sulpiz erfahren, abschrecken ließen. Während ich selbst einpackte, kam mein Hofmeister und legte stillschweigend meinen Diamantring und einen Beutel mit Geld auf den Tisch. Dann zählte er das Geld auf, und ich fand hundertunddreißig Pistolen vor mir liegen. Ich sah ihn verwundert an. Er lachte und versicherte mir, es sei mein Geld, das ich im Spiel verloren, ich möchte es einstreichen. Die zwanzig Pistolen, welche ich daran vermisse, habe er zur Hälfte angewendet, die von mir verschenkte Ohrfeige einzulösen und den Diamantring, der mehr als das Vierfache wert sei, wiederzuerhalten. Ich fragte beschämt nach dem Zusammenhang, aber er bat mich, erst die Pferde um ein paar Stunden später zu bestellen, ich müsse mich noch ehrenhalber öffentlich zeigen. Nachdem ich die Pferde ein paar Stunden später bestellt, berichtete er mir ausführlich, wie er meinen Verlust durch die beiden Franzosen erfahren, zugleich auch die allgemeine Meinung, daß in dem Hause unehrlich gespielt werde. Zum Glück habe er auf meinem Tisch Karten gefunden, die deutlich gezeichnet gewesen an der Rückseite. Da ich nirgend sonst gespielt, so konnte ich sie nur aus dem Spielhause mitgenommen haben. Mit diesen Karten sei er wie ein Feldherr in ein fremdes Land zu dem Spieler in Begleitung der beiden Franzosen eingedrungen. Die Karten hätten den frechen Kerl in Verlegenheit versetzt, obgleich er am Anfang ihn mit der Forderung ausgelacht habe, ihm den Gewinn zurückzugeben. Er habe die Verlegenheit benutzt, die Franzosen hätten gedacht, die Sache unter ihren Bekannten weiterzuverbreiten, so habe der arglistige Schelm endlich andre Saiten aufgezogen, habe bedauert, daß so oft junge Leute zu ihm an den Spieltisch träten, denen er gern ihr Geld zurückschübe, wenn es sich schicke, und da dies wirklich nach ihrer Versicherung ein junger unmündiger Mensch gewesen, der über sein Geld noch nicht frei disponieren könne, so mache er sich ein Vergnügen daraus, die Kleinigkeit zurückzuzahlen, indem ihm dieses Ereignis zur Warnung dienen könne. Nachdem er ausgezahlt, ließ er Champagner und Pasteten bringen, und so leichtsinnig sind unsre Franzosen, daß sie aus Artigkeit nicht widerstehen konnten, ein Pikett mit ihm anzunehmen. Ich aber hielt mich bei dem Nichtswürdigen nicht länger auf, sondern eilte, nun ich Geld hatte, zum Goldschmied, dessen Name mir aus früheren Verhältnissen sehr bekannt war, obgleich ich ihn nie gesehen, auch aus mancherlei Gründen bei meiner Anwesenheit zu besuchen vermieden hatte. Ich trat ein, als er eben im Begriff war, den Ring zu zerbrechen, um den Wert der Steine durch eine neue Fassung zu erhöhen. Ich griff stillschweigend zu, um diese Zerstörung zu hindern, ich wußte, daß mehrere Familientage in den Ring eingeschnitten waren. Was soll er kosten? fragte ich dann. Hundert Louisdor, antwortete jener. Er ist mein, sagte ich, und zahlte zehn Pistolen auf. Er sah mich verwundert an, und ich sagte ihm, ohne den Ring angesehen zu haben, die Inschrift her, welche darauf stand: Dem Mittelpunkt sind wir Buchstaben alle gleich nahe. Dann nannte ich ihm die ausgezeichneten Buchstaben, welche die Namen der Kinder bezeichneten. Er gestand ein, daß ich den Ring sehr genau zu kennen scheine, aber selbst, wenn er mein gewesen, wenn er mir entwendet sei, könne ich ihn nach Landesgesetzen nicht anders zurückfordern, als wenn ich den Dieb zur öffentlichen Bestrafung überlieferte. – Aber woher wußten Sie, unterbrach ich ihn, daß ich meinen Ring diesem Goldschmied verkauft hatte? – Ich vergaß es Ihnen zu sagen, fuhr er fort, daß der Spieler nach Spitzbubenart, die einander nichts gönnen, wenn sie selbst dabei nichts gewinnen, mir mit der Miene eines Biedermanns anzeigte, daß der Goldschmied an der Ecke die Unwissenheit des jungen Mannes, der meiner Obhut anvertraut, gemißbraucht, ihm einen Diamantring für den zehnten Teil seines Wertes abgekauft habe. Ich sah nun, fuhr er in seiner Erzählung fort, daß der Goldschmied sich nicht so leicht wie der Spieler ergeben würde, und ich mußte schon das äußerste wagen, ihn an ein bedeutendes vorteilhaftes Geschäft zu erinnern, daß ich ihm in früheren Jahren zur Erreichung eigner Vorteile zugewiesen hatte. – So sind Sie wohl gar Herr Chardin, denn niemand anders weiß von dieser Handelsspekulation, als der totgeglaubte Herr Chardin? – Freilich, sagte ich, was ist dabei zu verwundern in einer Zeit, wo sich die Hälfte der Menschen in Frankreich vor der andern Hälfte verkriechen muß. – Behalten Sie den Ring, fuhr er fort, und wählen Sie in meinem Laden, was Ihnen gefällt, ich bin Ihnen viel schuldig bei dem glücklichen Fortgang meines Geschäfts. Mein Gott, wären Sie nur vier Wochen früher hier eingetroffen! – Warum? fragte ich betroffen. Er öffnete ein Nebenzimmer, er fragte mich, ob ich an niemand in dem Augenblick gedächte? – Meine verstorbene Frau fällt mir ein, antwortete ich, doch weiß ich auch warum; damals als ich Ihnen den ersten Brief in Geschäften schrieb, war es auf dem Zimmer meiner Frau. – Unglücklicher, rief er, hier hat sie noch vor wenigen Stunden gewohnt, hier ist sie einem andern vermählt worden, weil Sie für tot gehalten wurden. Kaum weiß ich, ob ich recht tue, ihren Aufenthalt Ihnen anzuzeigen, Ihr gerechter Zorn könnte den beiden edelsten Wesen verderblich werden.
Ich war erschüttert, schweigend gingen wir mit heftigen Schritten auf und nieder. Unerwartet überraschte ich ihn mit der Frage: Können Sie verschweigen, daß ich lebe, so ist uns allen geholfen. – Dieselbe Frage wiederhole ich Ihnen, junger Freund, können Sie mir Ihr Ehrenwort darauf geben? Ich tat es, und er fuhr fort: In demselben Augenblick, als der Goldschmied mir dies Versprechen ablegte, trat meine Frau ein, fast schwindelte mir, mein Plan war vergebens, ihr alle Kenntnis von der unglücklichen Fortdauer meines Lebens zu entziehen. Ich deckte einen Augenblick mein Gesicht, während sie erzählte, daß sie wegen einer vergessenen Kiste, welche sehr wichtige Papiere des Marquis, ihres Mannes, enthielt, auf ihrer Fahrt nach Antwerpen habe umkehren müssen. Sie ergriff das Kistchen, wollte eben mit schnellem Abschied hinaustreten, als sie auf mich blickte, mich erkannte, mir in die Arme sank. Nach langem Kampf mit allen streitenden Gefühlen ward durch die Klugheit des Handelsmanns uns eine treue Erzählung unsrer Ereignisse verordnet. Meine Frau erzählte, es beruhigte sie, ich erkannte ihre Unschuld; um sie zu beruhigen, sagte ich ihr, ich sei auch vermählt. Der Handelsmann riet jetzt, meine Frau solle ihren Weg nach Antwerpen verfolgen, ich sollte ihr nacheilen, dort sei sie niemand bekannt, wir könnten ruhig überlegen, was die Umstände notwendig machten. Wahrscheinlich sah der gute Mann mich schon mit dem Marquis in blutigen Händeln und wollte sein Haus nicht gern dadurch beunruhigen lassen, doch war der Rat gut. Meine Frau ist in ihrem Wagen abgereist, niemand ahnt etwas in Brüssel von dem Vorgang. Wir eilen in ein paar Stunden ihr nach, welche Zeit ich benutzen will, um Ihrem Vater alles anzuzeigen. – Und Sulpiz? fragte ich. – Er folgt uns, wenn er genesen, für ihn soll gesorgt werden. – Ich konnte in diesem Augenblick die Frage nicht unterdrücken, ob er ein Hugenotte sei, wie ich dies aus seinen Klagen über Verfolgung in Frankreich schließen müsse. – Und wenn ich es wäre? antwortete er, und sah mit gespannter Aufmerksamkeit mich an. – So müßte ich dies Geheimnis wenigstens meinem Vater mitteilen, sagte ich. – Er umarmte mich und versicherte mir, dies sei das erste kluge Wort, wie es einem sich bildenden Weltmann gezieme, das aus meinem Munde geboren sei, aber es sei überflüssig, da er aus einem Blatte, welches er mir einhändigte, mir dartun könne, wie mein Vater sehr wohl mit seiner Glaubensansicht bekannt sei. Er ging dann seinen Geschäften nach und überließ mich der Betrachtung bei dieser Erklärung meines Vaters, für mich aufgesetzt, wenn mein Hofmeister mich zum Verständnis fähig glaube. Er berichtete darin, daß diese geheime Lehre aus den Verfolgungen hervorgegangen, welche aus dem offenen Bekenntnis des Glaubens ihre Schrecken über ganze Völker verbreitet hätten. Da hätten dann viele eingesehen, daß diese Welt die Wahrheit nicht verdiene und nicht ertrage, daß die Übermacht immer bei der Lüge sei und daß diese Waffe auch zum Schatz der Wahrheit zu gebrauchen und dem Frommen ein falscher Schein als eine Art Prüfung für dieses Leben zu gestatten sei, insbesondere, da es sich erweisen lasse, daß die verwerflichen Kirchenübungen und Glaubensgeheimnisse der Andersgläubigen, aus einem solchen höheren Standpunkt betrachtet, teils völlig gleichgültig würden, teils eine würdige Bedeutung anzunehmen imstande wären. Er selbst habe auf diesem Wege äußerer Verleugnung seinen protestantischen Glauben in der Mitte von Katholiken unangetastet bewahrt, ja er könne versichern, daß bei weitem der größere Teil der katholischen Geistlichkeit mit ihm übereinstimmend handele und diesem neuen Verhältnis den Namen Glauben der Sakristei beigelegt habe. Am Schlusse ward mir geboten, das Blatt zu zerreißen, weil es ihr Grundsatz sei, nie etwas Schriftliches über ihre Meinungen aufzusetzen.
Das vollbrachte ich, wie es mir geheißen, jedes Wort war mir eingeprägt. Der Hofmeister kam wieder, mir schien keine Zeit vergangen, und ich hatte ein paar Stunden bei dem wunderbaren Blatt geträumt. Die Pferde waren bereit, unsere Sachen aufgepackt, ich vermochte es über mich, Sulpiz um Verzeihung zu bitten, er mußte mir versprechen, nachzukommen. Erst in weiter Entfernung von der Stadt, als wir unsren Pferdeknecht vorausgeschickt hatten, fragte der Hofmeister: Was sagen Sie zu dem Blatt? Ich gestand ihm, daß ich nichts Festes darüber zu denken vermöge, ich hätte es in meinem Gedächtnis aufgenommen wie eine nicht abzuweisende feindliche Einquartierung. Ich hätte noch so wenig Haltung zu dieser Falschheit gegen die Welt, wie zu allen den Rücksichten, welche die gute Gesellschaft fordere. Der Hofmeister fragte weiter, ob ich nicht das Geheimnis eines Freundes bewahren würde, wenn dieser in Gefahr käme, durch weitere Verbreitung dieses Geheimnisses verkannt zu werden. Hätten Sie einen Blick in fremde Papiere getan, fuhr er fort, würden Sie die erlauerten Geheimnisse andern wiedererzählen? – Eine Blässe überzog mich, ein Zittern durchwallte mich, ich stammelte wie ein überraschter Sünder: Nein, nein! – Nun, fuhr der Hofmeister fort, wer ist Ihr wahrster Freund, wer gestattet den Begünstigten zuweilen einen tiefen Blick in seine Geheimnisse? Kann er es wollen, daß diese bessere Erkenntnis rohen Völkern mitgeteilt werde, die nur Mord zur Ausgleichung verschiedener Überzeugungen anzustiften wissen? In unserm Kreise pflanzt sich die Weisheit rein fort, denn sie kommt nicht zu den Unwürdigen. Ich war dieser Überzeugung, noch ehe ich den Kreis Ihres Vaters kannte. Als unter Ludwig XIV. die ersten Zeichen von Verfolgung gegen die Reformierten bemerkt wurden, fand ich es in Paris angemessen, meinen Glauben zu verheimlichen, die Messe zu besuchen und bessere Zeit abzuwarten. Dazu kam, daß ich in der Zeit, als das Edikt von Nantes aufgehoben wurde, den größten Teil meines Geldes katholischen Händen in Frankreich anvertraut hatte. – Als ich ihn bei dieser Veranlassung nach seinem Geschäft, welches er früher getrieben, fragte, antwortete er: Ich hieß in ruhigen Zeiten Chardin, war einst Handwerker und Hofmaann zu gleicher Zeit, nämlich Goldschmied in Lyon und Juwelenhändler in Paris; ich verfertigte, warum die Hohen einander beneiden, was manchmal über ihre Kräfte kostbar war, aber ihre Sehnsucht reizte, weil es ihnen die Gunst der schönsten Frauen zuwandte, und so kam es, daß ich mit vielen Hohen schon wegen der Mitteilung solcher Wünsche in einer Vertraulichkeit stand, wie sie sonst nur dem Rang gewährt wird. Eine gewisse Anlage zur höheren Geselligkeit entwickelte sich unter diesen Umständen sehr schnell, insbesondere, seit ich reich genug war, vielen Schmuck auf Kredit den Vornehmen anzuvertrauen. Ich galt in Paris für einen Katholiken, obgleich ich von anderer Religion war, denn ich besuchte, wie ich gesagt habe, die Messe, noch ehe dies geboten war, und meine Frau, die mir dies leicht hätte verargen können, erfuhr davon nichts bei meiner Heimkehr nach Lyon, wo ich mein Geschäft trieb. Bald werdet Ihr sie sehen und mir aufrichtig versichern können, ob meine Zuneigung mich nicht verblendet, wenn ich sie noch jetzt für eine der schönsten Frauen halte. Ihre feste Gesundheit hatte den Wandel gehemmt, den die Jahre sonst unerbittlich über das Theater der Schönheit hinführen. Wir hatten eine Tochter, die diesen Glanz von ihr geerbt hatte, ohne sie zu verdunkeln. Ihre ruhige treue Seele widerstand ungeachtet der langen Abwesenheit, zu der mich oft mein Geschäft zwang, und bei mancher kleinen Untreue von meiner Seite allem Andrang zahlreicher Verehrer; ihre Klugheit wußte ihnen meist früh genug jede Hoffnung zu nehmen, und diese ist das Öl der Flamme. Nur ein Verehrer, ein junger Dragonerrittmeister, der Marquis G., ließ sich von seinem verliebten Unsinn nicht heilen. Er war liebenswürdig und seine andern Erfahrungen hatten ihn dreist gemacht. Er wagte einen Versuch, meine Frau auf einer Lustfahrt von der Gesellschaft zu trennen, sie zu entführen. Meine Frau entging nur mit Mühe dem Plan und sah sich bei seinen Drohungen genötigt, den Obersten des Regiments um Sicherheit anzusprechen. Dieser war kein Freund des Marquis, er brachte die strengen Befehle des Königs mit Ernst zur Anwendung, der Marquis kam zu seiner Besserung auf unbestimmte Zeit in die Bastille. Unleugbar hatte meine Frau aus Notwehr ihn sehr unglücklich gemacht, er war durch Gunst und Verdienst zu den größten Hoffnungen auf seiner Bahn berechtigt, dennoch schien er kein Gefühl der Rache zu hegen; er war es unleugbar, der ihr auf tausend Wegen, ohne seinen Namen zu nennen, zärtliche Lieder, artige Geschenke aufdrängte. Meine Frau wollte nichts davon annehmen, aber ich befreite sie bei meiner Ankunft von dieser Prüderie, indem ich mich lachend der Gaben bemächtigte, die Bänder unter meine goldenen Ketten legte, die Dragees in den Mund steckte, die Lieder aber einer Dame bei Hofe schickte, der ich aus Rücksicht selbst den Hof machte, die eingemachten Früchte der Tochter für ihre Spielküche verehrte. Solch eine Liebschaft kam mir damals vor wie ein Puppenspiel, das ich nicht ernsthaft nehmen konnte; ich sah mein Geschick manchmal an die glückliche Ankunft einer Kiste mit Diamanten geknüpft, die Treue meiner Frau bewunderte ich, obgleich ihre Untreue mich auch nicht gekränkt haben würde. In so heiterer Laune überraschte mich das harte Gesetz des Königs, ich sah meine Frau unerschütterlich, nicht die Messe besuchen zu wollen, und sah mich dadurch gezwungen, von Lyon, wo wir als Hugenotten bekannt waren, nach Metz zu ziehen, wo ich mich einstweilen unter anderm Namen für einen wandernden Doktor ausgab, und mich durch Ankauf eines Hauses, das dem Bürgermeister gehörte, diesem beliebt machte. Das schützte uns längere Zeit, ich bewirtete alle Leute von Ansehen, und diese schienen gar nicht zu beachten, daß meine Frau die Messe nicht besuche. Aber noch ein Umstand war mir höchst günstig: eben der Marquis, der durch meine Fraiu in die Bastille gekommen, war nach einem Jahr daraus entlassen und dort als Kommandant über die Dragoner eingerückt, die zur Bekehrung der Reformierten ausgeschickt worden. Er hatte meine Frau sehr bald auch unter dem fremden Namen erkannt und unser Unglück erraten, aber seine Großmut wußte seine Liebe zu beschwichtigen, er schien meine Frau nicht zu kennen, und wies die Anzeigen der Religionsspione mit dem angenommenen Einwand zurück, als ob er meine Frau selbst sehr andächtig in der Messe gesehen. Während nun die Häuser unsrer Glaubensgenossen verwüstet wurden, hatte ich Zeit, meine Forderungen einzuziehen und mein Geld nach Holland zu schicken. Ruhig trat ich meine letzte Reise nach Paris an, die letzten Kapitalien einzukassieren, um dann in Holland oder in Berlin bei dem Großen Kurfürsten ein neues Geschäft anzuknüpfen und mit freier Religionsübung meine Frau zu erfreuen. Aber der Neid der unglücklichen Glaubensgenossen war mir inzwischen gefährlicher geworden als der Haß meiner Glaubensfeinde; sie hatten ihren Ärger nicht verbeißen können, daß ich mit den Meinen in Wohlleben ungestört bestanden, sie rechtfertigten ihren Ärger, indem sie mich als einen Angeber ausschrien, der bloß verreise, um zu verraten, was noch an Vermögen der Reformierten verborgen geblieben. So kam die Nachricht, daß ich ein heimlicher Hugenotte sei, an den Intendanten der Provinz, durch diesen, der keinen Scherz in solchen Sachen verstand, an den Gouverneur, und dieser schrieb dem Marquis, daß er den König benachrichtigen werde, wenn ich mich nicht bis zum nächsten Posttag im guten oder bösen zum Katholizismus bekannt hätte. Das war zu meinem Verderben hinlänglich, an Untersuchung war nicht zu denken in jener Zeit, die Gewalt eilte voraus, und die von Gott sichtbar begünstigten kleinen Haufen der Cevennen erschütterten allein in Strömen von Blut, die sie vergossen, das Gebäude des Religionsfrevels, welches über Frankreich lastete. Der Marquis kam eines Abends verkleidet zu meiner Frau, zeigte ihr den Befehl des Gouverneurs, fragte, ob sie in Güte sich zum katholischen Glauben bekennen würde, und als sie es mit den heiligsten Schwüren ablehnte, so ergriff ihn innige Verzweiflung, er schwor, daß er ihr nicht zu helfen wisse, er müsse das Haus am ändern Tage seinen Dragonern überlassen. Meine Frau sagte ihm, er möge handeln, wie ihm befohlen, sie erkenne die lange Schonung, die sie ihm danke, sie bedaure ihn, daß er ein Werkzeug ihrer Glaubensfeinde sei. Am andern Morgen, ehe noch jemand im Hause aufgestanden, ließ der Brigadier der Dragoner, weil ihm beim ersten Anpochen nicht gleich aufgemacht war, die Haustür mit einem Stück Holz einrennen, das zufällig angefahren ward. Die erwachten Mägde traten den Eindringenden nicht entgegen, sondern flüchteten sich fort über den Gartenzaun. Als meine Frau herunterkam, fand sie die Dragoner, wie sie ihre Pferde im Gesellschaftssaal fütterten; das eine Pferd hatte schon einen Aufsatztisch mit schönem Porzellan umgeworfen, die Dragoner putzten ihre Stiefel auf den seidnen Stühlen mit den Vorhängen von Damast ab, denn die Straßen waren an dem Tage sehr unrein. Welch ein Schrecken für eine Hausfrau; die ihre Sachen immer in schönster Ordnung zu erhalten gewohnt war, was hatte sie selbst von so unholden Gästen zu fürchten! Aber es schien doch, als ob der Marquis in Hinsicht ihrer persönlichen Behandlung dem Brigadier einen Wink gegeben, denn, obgleich er sie dringend aufforderte, das Geläute der Messe zu beachten, das eben erschallte, und ihr zuschwor, daß er sogleich ihr Haus räumen würde, wenn sie mit ihm zur Messe und Beichte gehen wolle, dennoch ließ er es bei Drohungen bewenden, als sie den Vorschlag ablehnte, schützte sie vielmehr gegen die Zudringlichkeit der Kameraden. Aber sie wußte aus den Erfahrungen andrer, wie wenig auf diese Großmut zu zählen, und fürchtete besonders für unsre Tochter, die dem einen dieser boshaften gestiefelten Bekehrer in die Augen zu stechen schien. Eine treue Magd übernahm es, sie mit einem sicheren Fuhrmann zu mir nach Paris zu bringen, und diese Abfahrt wurde unter tausend Tränen noch am Abend des Tages zustande gebracht. Schon am folgenden Tage ward diese Entfernung dem Intendanten berichtet, er kam selbst in das Haus um sich von der Wahrheit zu überzeugen, tobte dann wie ein Rasender gegen meine Frau und gab alles den Dragonern preis. Wenig Menschliches hatten sie in so schändlichen Bekehrungsversuchen bewährt, dies wenige nahm der Rausch meiner guten Weine hinweg. Sie zerhieben mit ihren Säbeln meine teuer mit dem Hause erkauften gewirkten Tapeten, um sich daraus Pferdedecken zu schneiden. Bald aber putzten sie sich damit aus wie in Meßgewändern, schmückten den Schenktisch wie einen Altar und befahlen meiner Frau, davor niederzuknien, sie sei Witwe, ich sei in Paris umgebracht, und sie müsse einen von ihnen heiraten. So wenig Glauben sie der Nachricht schenkte, so sah sie doch auch wenig Möglichkeit zur Rettung aus diesem Kreise von Bekehrern. Zum Glück fiel ihr ein, daß keine Ringe vorhanden, sie wolle gehen, diese zu holen, weil sonst ihr Wort keinen Glauben habe. Das schien ihnen einzuleuchten, sie sprang zur Tür hinaus, durch eine Seitentür auf die Straße und in einem Lauf zum Marquis. Erst wollte sie der Bediente nicht einlassen, weil der Marquis schon zu Bett, doch besann er sich, als er ihre Schönheit beleuchtet hatte und führte sie zur angenehmen Überraschung in das Schlafzimmer seines Herrn, wo dieser im ersten Schlaf lag, ohne von dem Geräusch der Eintretenden erweckt zu werden. Die Tür wurde hinter ihr zugeschlossen, und die arme Frau fand sich in der Verlegenheit, entweder den Schläfer zu erwecken und dadurch vielleicht neuen Andrang sich zuzuziehen oder bis zum Morgen auszuharren, wo bei aller Unschuld ihr Ruf für immer verloren sein könnte. Zweifelhaft, wozu sie sich entschließen soll, halb ohnmächtig läßt sie sich auf einen Ruhesessel nieder, neben welchem ein Tisch mit Papieren und eine brennende Lampe stand. Der Marquis hatte wahrscheinlich noch spät darin gelesen, ehe er sich ins Bett geworfen. Wie nun einmal weibliche Augen sind, sie schauen auch im Unglück nach etwas sich um, das sie zerstreuen kann. So las sie, fast ohne es zu wollen, einen Erguß süßer Zärtlichkeit, den der Abend dem Marquis entlockt hatte. Sie wußte mir nur noch die ersten Worte zu sagen:
Du jammerst, du Geliebte,
Und kennst noch nicht dein Leiden,
denn bei den nächsten Zeilen durchfuhr sie die schreckliche Nachricht, daß jene Rede des Dragoners, als sei ich gestorben, nicht etwa ein boshafter Scherz der Trunkenheit gewesen, sondern eine von dem Marquis voll Überzeugung aufgenommene Gewißheit. Der Ausbruch ihres Schmerzes löste jede Rücksicht auf den Ort, wo sie sich befand, meine arme Frau schrie auf, dann erstickten Tränen ihre Stimme. Der Marquis, aus tiefem ersten Schlaf erweckt, sprang aus dem Bett, griff nach einer Pistole, so taumelte er zu ihr hin und ließ die Pistole wieder, fast erstarrend, sinken, indem er ein weibliches Wesen und in diesem seine Geliebte erkannte. Töten Sie mich, rief sie, aber sagen Sie mir, lebt mein Mann? – Der Marquis hatte sich gefaßt, er zögerte, aber sie drang auf Entscheidung. Er reichte ihr den eingegangenen Brief aus Paris, vom Chef der Polizei, welcher nähere Nachricht forderte von der Familie eines in Paris wahrscheinlich ermordeten Juwelenhändlers Chardin, der nach eingegangener Nachricht von Lyon nach Metz gezogen sei; er habe bedeutende Zahlungen in Empfang genommen und sei dann verschwunden, ohne Nachricht zu hinterlassen, nachdem er am Morgen noch sehr heiter gefrühstückt und sich zu einer Abendgesellschaft eingeladen hätte. Es wurde große Sorgfalt empfohlen, da mehrere Prinzen, sogar die Frau von Maintenon, die größte Teilnahme für den Mann bezeugten, auch die Ausstattung für ein Kloster übernehmen wollten, insofern er die Seinen hilfsbedürftig zurückgelassen habe. Ich will hier meiner guten Frau Zeit zum Weinen lassen, unterbrach sich der Hofmeister, und dem Marquis, sich anständig anzukleiden, um Ihnen zwischendurch die Veranlassung dieses Gerüchtes zu erklären. Ein Freund, der auch zu den versteckten Bekennern meines Glaubens gehörte, warnte mich unerwartet, daß der Chef der Polizei Nachforschungen über mich anstelle, vielleicht bloß wegen der Gunst, worin ich bei Hofe stehe, vielleicht aber auch aus Ungunst derer, denen ich meine Gelder in der letzten Zeit etwas streng abgefordert hätte. Ich dankte dem Freund und benutzte augenblicklich den Wink, ließ die kleineren Forderungen in Stich, die Hauptsummen waren eingegangen, und machte meine Reise zu Fuß von Paris aus, ohne alle Begleitung, um jedem Verrat zu entgehen. Aber zufällige Verwundung eines Fußes hielt mich in einem elenden Wirtshaus zurück, von wo aus mir jede sichere Gelegenheit fehlte, meiner Frau Nachricht zu senden. Wie konnte ich alle Gefahren ahnen, die sich über meinem Hause gewitterhaft zusammengezogen hatten! Als ich ausreiste, waren wir von der ganzen Stadt geehrt, von den Vornehmsten wegen unsres Aufwandes gesucht, aber welche Güter bestehen, wo das einzige fehlt, das allein die Dauer und den Wert verleiht, die Freiheit des Glaubens und der Gesetze? Zwar ergriff mich in jener Nacht eine seltsame Bangigkeit, aber ich dachte nur der Gefahr, die mich bedrohte, wenn ich erkannt würde, und in diesem Sinn schrieb ich mir, als ich aus dem Wirtshaus fortschlich, folgende Reime auf, wie ich deren gar viele in müßigen Stunden verfaßt habe.
An Madame Chardin.
Wer wacht in dieser hellen Nacht
Und ringt um mich die Hände,
Und reißt mich aus des Schlafes Macht?
Ich seh' nur weiße Wände,
Die rings der Mondenglanz bescheint,
Am Fenster manches Tröpfchen weint;
Gern küßte ich die Tränen auf,
Ich eil' zu dir im raschen Lauf.
Wie eisig kalt ist diese Nacht,
Nach solchem warmem Tage!
Wer hat die Wärme angefacht?
Wer bringt der Kälte Plage?
Doch Dank sei ihr, sie treibt mich fort,
Bald wärmet mich dein erstes Wort,
Bald wärmet mich dein Händedruck,
Und deiner Lippen roter Schmuck.
So schleich' ich wie ein Nachtdieb hin,
Und geh' auf rechten Wegen,
Die Treue ist mir kein Gewinn,
Der Glauben gibt nicht Segen,
Und selbst der Reichtum mich nur quält
Im armen Land, dem Freiheit fehlt;
Die Liebe einzig lohnet mir,
Was ich durch Tugend hier verlier'.
Ich machte mich ungeachtet der Schmerzen am Fuß auf den Weg, ich glaubte die Sorgen meiner Frau um mich, die ich zu ahnen glaubte, lösen zu müssen. Ich kam am Morgen nach jener Nacht in Metz an, aber zu spät. Gleich am Tore begegnete mir ein Bekannter, und winkte mir, ihm in eine einsame Straße zu folgen. Dort sagte er mir, ich möchte fliehen, ich sei verraten als Reformierter, mein Haus sei zerstört, meine Frau und mein Kind hätten sich geflüchtet, niemand wisse wohin, ich selbst sei totgesagt worden. Alle Gedanken vergingen mir, aber auch alle Sorgen, was konnte ich noch verlieren in dieser Unglücksstadt? Ich ging wie ein Rasender ins Feld, alle meine Pläne waren durchschnitten, und doch dachte ich damals noch nicht, daß ich von meiner Frau erst nach zwei Jahren Nachricht erhalten würde, daß ich sie längere Zeit für tot halten müßte. Auf dem Pariser Wege brachte mich eine tröstliche Nachricht zur Besinnung. Ein Fuhrmann rief mich an, es war eben der, dessen Pferde meine Tochter fortgefahren und sie einem andern Fuhrmann übergeben hatte, der sie sicher nach Paris zu überbringen versprochen. Also doch einer meiner Lieben schien gesichert, und ich dachte wieder mit Umsicht an Hab und Gut. Besonders wichtig war es mir, einen Schrank mit Geldern und Kostbarkeiten zu retten, der selbst meiner Frau unbekannt geblieben, weil ich sie nicht immer ganz vorsichtig in der Bewahrung solcher Geheimnisse gefunden hatte. Ich beschloß, mich den Ungezogenheiten der Dragoner zu unterwerfen, solange meine Geduld aushielte. Für den Notfall bewahrte ich ein gutes Messer. So ging ich nach der Stadt und in mein Haus, voll der festen Überzeugung, ich sei auf alles gefaßt. Und doch erschütterte mich der erste Anblick. Die Dragoner spalteten eben einen schön ausgelegten Tisch, um ihn in den Kamin zu werfen, denn es war kalt. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gegeben, nach meinem reichlichen Holzvorrate im Keller zu suchen. Ich riß die Stücken fort und sagte ihnen, ich sei der Herr vom Hause, und wenn sie Holz nötig hätten, könnte ich ihnen noch Brennholz genug anweisen. Der Brigadier lachte und versicherte mir, es sei ihnen nichts an dem Tisch gelegen, aber wegen meiner glücklichen Ankunft müßten sie ein Gelübde erfüllen, welchem ich mich auch nicht entziehen könnte. Die andern versicherten, sie hätten meinetwegen große Angst ausgestanden, ich möchte mich setzen und ihren Wein kosten. Was half's, ein Glas Wein war mir höchst willkommen. Der Brigadier schenkte ein und versicherte mir, sie hätten den Wein sehr teuer bezahlt, ich möchte raten, was es für ein Jahrgang sei. Beim ersten Ansatz erkannte ich meinen besten Burgunder, den ich als besondere Gunst von einem Handelsfreunde erhalten. Ich versicherte ihm, der Bruder dieses Weins liege in meinem Keller, und habe einen hölzernen Rock an. Der Brigadier rühmte mich, daß ich Spaß verstände, nun müsse er um so eher sein Gelübde erfüllen. Er verlangte ein Kruzifix, und da ich keins im Hause hatte, befahl er mit Zorn, sogleich eins anzuschaffen, das dürfe in keinem Hause fehlen. Ich sagte, daß ich mich danach umsehen wolle, aber sie versicherten, es fehle an Zeit, und ehe ich mich besinnen konnte, war ich an ein großes Kreuzholz festgebunden, welches sie durch Einschlagen der Fächer einer Wand, hinter der sie etwas vermutet, freigemacht hatten. Der Brigadier entblößte seine Knie, ebenso taten die ändern, er warf in eine Porzellanschale fünf Dukaten, die damals unter solchen gemeinen Bekehrungsdragonern häufiger waren, als früher unter den Offizieren. So kniend brachten sie dies Opfer dar. Ich dankte ihnen verbindlichtst für dies vermeinte Geschenk, womit sie, wie ich mich ausdrückte, den Schaden ersetzen wollten, den sie meinem Hause getan. Aber sie lachten mich aus und erklärten, ich käme nicht eher los, bis ich gleiche Summe, wie sie zusammen, der frommen Stiftung geweiht hätte. Umsonst versicherte ich, kein bares Geld bei mir zu haben, ich mußte endlich einen zu dem Bürgermeister schicken, der auch mit vielen Tränen über mein Schicksal gegen einen Ring, den ich ihm übergab, die Summe auszahlte. So wurde ich meines Hauskreuzes erledigt und freundlich zu dem Gastmahle eingeladen, das sie für einen Teil des Geldes vom besten Garkoch holen ließen. Aber heimlich hatte ich als Gekreuzigter an meine Flucht gedacht und rühmte ihnen die zierliche Trinkstube, welche ich in meinem Keller vorgefunden hätte, von bequemen gepolsterten Sitzen umgeben, leicht zu heizen. Sie ließen sich den Vorschlag gefallen, gaben zwar anfangs auf mich genau Achtung, daß ich ihnen nicht entliefe, weil sie mich noch zu allerlei Possen ausersehen hatten. Als ich aber ein paarmal wiedergekommen und ihnen immer etwas Leckeres von den Nachbarn zugetragen hatte, achteten sie auf mein längeres Außenbleiben nicht, merkten auch nicht, daß ich die Tür im Weggehen verschlossen hatte. Ich entkam ungestört mit meinen heimlichen Schätzen in der Tasche auf dem Pferde des einen Dragoners, welches sich mir beim ersten Anblick als dauerhaft empfohlen hatte. Ein Bürger aus Metz erzählte mir nachher, daß diese Schandbuben wohl drei Tage in dem Keller eingeschlossen gewesen, dessen beide eiserne Türen ich leise zugeschlossen hatte, daß niemand ihres Geschreis geachtet, weil sie ohne Not die Tage vorher gleiches Geschrei hatten vernehmen lassen. Also erst nach drei Tagen hatten sie die Türen überwältigt, hatten im ersten Zorne den Rest meiner Meublen zerschlagen, verbrannt, sich betrunken, und wären dann fast mit dem Hause selbst verbrannt, das bei der übermäßigen Glut sich entzündet hatte. Sicher waren diese Henkersknechte zum Galgen bestimmt, weil sie dieser Gefahr, die auch den Unschuldigsten ergreifen konnte, glücklich entkamen. Das Dragonerpferd trug mich ohne weitere Unfälle über die Grenze, wo ich aber leider wegen des Fortschrittes der französischen Heere mich nur mit großer Vorsicht aufhalten durfte und jede Nachforschung wegen meiner Frau bis zum heutigen Tage vergeblich war. Selbst meine Tochter konnte ich nicht zu mir hinziehen, denn die fatale Gunst der Frau von Maintenon, die ich durch ein Paar wohlfeil ihr überlassene Diamantohrringe gewonnen, mittelte sie bei meinen Korrespondenten aus, wohin sie sich in Paris gewendet, und verschaffte ihr eine Stelle in der geistlichen großen Erziehungsanstalt. Der Wunsch, sie zu entführen, und nach Holland in Sicherheit zu bringen, den Ihr Vater billigte, war die Veranlassung, daß ich mich Ihrer Führung annahm. Ich hatte mit ihm verabredet, wenn ich Sie selbständig und weltklug genug fände, Sie dort zu verlassen und die Tochter in Ihrer Kleidung unter Ihrem Namen fortzuführen.
Aber wo blieb unterdessen Ihre Frau mit dem Marquis?, unterbrach ich ihn ungeduldig, als er mir diesen Plan noch weiter entwickeln wollte. Ich erinnere mich, fuhr er fort, wir verließen beide, als meine Frau, die meinen Tod für gewiß hielt, ihm zu Füßen fiel und in der Verzweiflung, von aller Welt nun verlassen zu sein, ihn bei der Liebe beschwor, die er ihr mit tausend Eiden bekräftigt, sie aus der Gewalt jener Barbaren zu befreien, die jeden Genuß von ihr zu ertrotzen sich berechtigt glaubten. Der Marquis schlug die Hände über dem Kopf zusammen, beschwor nochmals seine Liebe und bejammerte sein Geschick, dann zeigte er ihr ein Schreiben, nach welchem er wegen der langen Nachsicht, die er gegen einzelne reformierte Familien gezeigt, seiner Anstellung bei den Dragonern verlustig erklärt worden, doch sei ihm die Zusicherung gemacht, bei einem Regimente in den Niederlanden angestellt zu werden. Hier in Metz, sagte er, habe ich in diesem Augenblick kein Geschäft mehr, mein Nachfolger ist eingetreten, ein Mensch aus den Hefen des Volks, der nur durch seinen brutalen Glaubenseifer sich empfohlen hat. Was soll ich tun? – Die Angst meiner Frau stieg bei diesen Worten; der Tagesschimmer leuchtete in die Fenster, einzelne Menschen bewegten sich auf den Straßen, sie verhüllte ihr Gesicht und sprach: Sie haben um meine Gunst gefleht, als ich verheiratet war, jetzt bin ich Witwe, mein Glaube ist mein einziges Gut, er stärkt mich in diesen Stunden, mag ich irren, aber nichts ist mir zu teuer, diesen Glauben zu bewahren; Sie beschwören mir ihre Liebe, nehmen Sie hin die Reize dieses sterblichen Leibes und bewahren Sie die unsterbliche Seele, indem Sie mich in ein sichres, glaubensfreies Land führen. Der Marquis sank nieder zu der Knienden und schwor, daß nicht sie, daß er knien müsse, er müsse anbeten solche Gläubige, die ersten Küsse drückte er auf ihre Lippen, dann sprang er auf und trat stumm ans Fenster. Ein innerer heftiger Kampf schien ihn zu bewegen, er riß das Fenster auf, ließ den kühlen Luftstrom des Morgens über seine heißen Lippen hinwehen, sprach leise vor sich, dann wandte er sich um und redete mit gesenkten Augen, ohne die schöne Frau anblicken zu wollen. Sie sollen erkennen, daß ich, obgleich ein Katholik, doch nichts von der Verfolgungslust in mir trage, die Ihr Haus zerstörte, nie soll mir Ihr Herz vorwerfen, daß ich durch Not errungen, was mir die seltene Strenge Ihrer Grundsätze in glücklichen Tagen versagte. Daß ich nicht aus Gleichgültigkeit entsage, mag Ihnen der Entschluß beweisen, Sie zu retten aus den Gefahren dieses Landes, was es mir auch koste, noch mehr der Schwur, keiner andern Frau als Ihnen mich zu vermählen, und die Versicherung, Sie nicht eher mit der Anfrage über mein Geschick und Ihren Willen zu belästigen, bis Sie von jeder Sorge befreit sich über das Schicksal Ihres unglücklichen Mannes erst völlig versichert haben. – Meine Frau dankte Gott, daß er dies Geschick über sie verhängt, um die Größe der menschlichen Seele kennenzulernen, sie flehte ihn an, jeden Reiz von ihr zu nehmen, dessen sie sich sonst in stolzer Eitelkeit erfreut habe, wenn er die Blicke der Männer auf sie gezogen, um den Edelmut des Marquis keinem neuen Kampfe auszusetzen. Der Marquis versicherte, daß ihr Gebet jede Lockung des Bösen entfernt habe, und führte sie in ein entferntes Zimmer, wo sie ausruhen und den Abend erwarten könne, der ihre Flucht begünstigen werde. Der Marquis schickte darauf den Bedienten, der sie eingelassen, als Kurier in eine entfernte Gegend, damit er nichts verriete, wenn die Marquise von den Dragonern vermißt würde. Als dieser fort, nahm er von allen Bekannten förmlich Abschied, weil er zur Armee berufen, schien kaum aufzumerken, als die Leute von einer verschwundenen Frau redeten, welche die Dragoner aus ihrem Hause vertrieben. Am Abend mußte meine Frau Bedientenkleider anlegen, er gab ihr sein frommstes Pferd, so ritten sie ruhig zum Tor hinaus, so kamen sie über die Grenze, so kamen sie nach Harlem, wo der Marquis meiner Frau ein sicheres Unterkommen bei einer französischen Familie verschaffte, die früher ihres Glaubens wegen ausgewandert war. – So schied er von ihr, fragte ich, ohne einen Dank zu fordern? – Gewiß, antwortete er. – Das scheint mir für einen Franzosen unmöglich, entgegnete ich unbesonnen. –
Mein Hofmeister hielt sein Pferd an und sprach: Sie haben meine Ehre doppelt gekränkt, als Mann und als Franzose, ich fordere Genugtuung. Mit Studentenhitze ging ich darauf ein. Wir stiegen ab, wir zogen die Degen, aber ehe ich noch meinte, daß der Kampf anfangen sollte, hatte er, während ich mich nach meinem Pferde umsah, das sich losreißen wollte, mir den Degen mit großer Sicherheit aus der Hand geschlagen. Ich gab mich verloren, als er laut auflachte, seinen Degen einsteckte und auf sein Pferd sprang. Ich holte meinen Degen, reinigte ihn vom Schmutz, worein er gefallen, und fragte verwirrt, was das heißen solle? – Er antwortete: Ein kurzer, aber gründlicher Unterricht in der gesellschaftlichen Vorsicht, der Ihr Leben vor vielen unnützen Gefahren bewahren soll. Meine Herausforderung war nur Scherz, ich hätte es nie zum wirklichen Gebrauch der Klinge kommen lassen, wenn Ihre Unbesonnenheit, nach den Pferden umzuschauen, mir nicht die Pflicht gezeigt hätte, Ihnen diese Unbesonnenheit zu beweisen. Wenn sie also künftig mit Leuten nicht etwa Händel suchen wollen, so vermeiden Sie es, ihre Ehre zu kränken, und stehen Sie einmal mit Ihrer Klinge einem Gegner, so denken Sie so wenig an Ihr eignes Leben, wie an die ganze Sie umgebende Welt, sondern sehen Sie nur auf Ihren Gegner und dessen Klinge. Unsere Franzosen schonen nicht, wie es bei Studenten wohl der Fall ist, wo solche Schlägereien häufig nur eine Ehrensitte sind, bei uns sind die meisten Ausbrüche des Hasses, des Zornes, kurz alles, was in Menschen an abscheulichen Leidenschaften wohnt, unter einer sie beschränkenden Form. Daraus erklären sich die strengen Strafen, welche die Könige dagegen erlassen, und die Wirkungslosigkeit derselben. Gesetze können wohl den Himmel verschließen, aber nicht die Hölle. – Diese Belehrung schien mir etwas ernst, aber gerecht, ich war entwaffnet in aller Art und dankte ihm aufrichtig durch mein Versprechen, künftig meine Gedanken auch in Beziehung auf die zu prüfen, denen ich sie mitzuteilen Lust hätte. – Gut, gut, sagte er, aber Ihre Neugierde in Hinsicht der Großmut des Marquis muß ich nun schon zur Belohnung Ihrer Resignation befriedigen. Der Marquis hat keinen Dank, kein Gelübde, durchaus nichts während des ersten Jahres gefordert. Er zog in den Krieg, diente mit Auszeichnung, während meine Frau ebenso vergeblich, wie ich von ihr, Nachrichten von mir einzuholen trachtete. Der Krieg und die Religionsverfolgung hatte alle Verbindungen abgeschnitten, Sie wissen, daß ich selbst unter anderm Namen mitten unter Franzosen leben mußte, und daß mich die Liebhaberei zu Studien ebenso mächtig, wie die Furcht erkannt zu werden, fast zum indischen Einsiedler machte. Von meiner Tochter erhielt ich zuweilen durch einen Freund Nachricht, der sich ihr selbst nicht kundgab. So geschah es, daß der Marquis endlich nach dem Verlauf eines Jahres meine Frau um ihre Hand ansprach. Aber erst vor drei Wochen war die Hochzeit – so lange zögerte die treue Frau in der Hoffnung, ich könne noch leben. – Mein Gott, rief ich fast erstarrt, wie ist nun zu helfen? – Es ist freilich, antwortete er, ein recht unangenehmer Vorfall, aber was ist zu machen? Ich habe meiner Frau die Wahl gelassen. Zieht sie den Marquis vor, so bleibe ich tot. – Sie wollten sich umbringen? fragte ich, können so ruhig davon sprechen? – Verstehen Sie mich doch, antwortete er ungeduldig, ich trete nicht wieder auf in der Welt mit meinem rechten Namen, sondern befriedige die Neugier, die mich nach den Ländern treibt, wo die kostbaren Steine gegraben werden, nachdem ich vorher mein Vermögen der Tochter zugesichert habe. Mir wäre dies der willkommenste Entschluß, denn das Zwischenspiel in meiner Ehetragödie will mir gar nicht gefallen. Ein Mann, dem man so viel Edelmut verdankt, wie meine Frau dem Marquis, ist ein gefährlicher Nebenbuhler im Verhältnis zu einem andern, der ihr weiter nichts als ein reiches Leben zuführte, den sie wegen mancher kleinen Untreue anklagen kann, und der oft, statt ihre Zärtlichkeit zu vergelten, ihr mit Unmut vorwarf, daß sie es sei, die ihn hindre, seine Sehnsucht nach dem Morgenlande zu befriedigen. – Weiß denn der Marquis, fragte ich, daß Sie die Frau wiedergesehen? – Bewahre der Himmel, rief er, der darf es nicht wissen, sein Edelmut triebe ihn gleich fort. Zum Glück war er nach seinen Gütern im südlichen Frankreich vorausgereist, der Goldschmied in Brüssel hat geschworen, das Geheimnis zu bewahren. Die Ursache, warum ich Ihnen alles anvertraue, liegt nahe; Sie werden erraten, daß ich nur heimlich unter diesen Umständen meine Frau sehen kann, um mit ihr diese Angelegenheit zu überlegen, und dies wiederum nicht ohne Ihr Mitwissen, da wir stets zusammen wohnen. Kann ich auf Ihre Verschwiegenheit rechnen? – Ich beschwor diese mit den heiligsten Versicherungen. Er sagte, daß er vielleicht noch eine Bitte mir vorzutragen habe, und versank dann in Nachdenken. Weiter, öder Weg, langsame Pferde quälten mich, seit ich wußte, daß wir einer solchen Entwickelung entgegengingen. Endlich sind wir nun in Antwerpen, aber es war schon zu spät, als daß wir die Frau aufsuchen konnten, ich habe die halbe Nacht verschrieben.
Antwerpen.
Wer hätte das denken sollen, da sitze ich heute als Frau gekleidet, die Geschichte meiner Verwandlung aufzuschreiben, während mein Mann im Nebenzimmer noch besorgt mit raschen Schritten auf und ab geht. Zum Besten des Kindes, das ich unterm Herzen trage, sei dies Geheimnis der Mutter hier aufbewahrt. Am frühen Morgen weckte mich der Hofmeister und versicherte mir, er könne es nicht länger anhören, wie ich schnarche. Schlaftrunken blickte ich umher und rieb mir die Augen, ich konnte nur mit Mühe erkennen, welche seltsame Kleider neben mir auf dem Stuhle lagen. Mein Gott, rief ich ganz verwirrt, also wäre es doch wahr, was ich träumte, daß Ihre Frau aus Versehen in mein Zimmer gekommen, noch ehe ich aufgestanden, ich war in solcher Verlegenheit, weil ich unangekleidet aus dem Bette gesprungen. Er lachte, und ich besann mich eines Bessern, indem ich umherblickte. Dann erzählte er, wie er die ganze Nacht nachgesonnen, um der Gesinnung seiner Frau gewiß zu werden, und in dem Falle einer notwendigen Scheidung, wenn sie den Marquis mehr liebte, ihre ängstliche Gewissenhaftigkeit zu überwinden. Endlich sei ihm eingefallen, ihr glauben zu machen, daß er in der Zwischenzeit sich vermählt habe, und damit sie daran glaube, wolle er ihr diese zweite Frau vorstellen. Und Sie haben gleich eine Frau gefunden, die sich zu dieser gefährlichen Rolle hingibt, ist sie hier, sind dies ihre Kleider? Diese Fragen drängten sich ungeduldig aus meinem Munde. – Er antwortete nicht, sondern sprach davon, daß eigentlich die bloßen Regeln und Anweisungen in der Erziehung wenig fruchteten, und daß es daher zweckmäßiger sei, junge Leute zur eignen Erfahrung zu verweisen, ihnen diese zu eröffnen. Aus diesen Gründen glaube er sich als Erzieher vollkommen gerechtfertigt, wenn er mich bäte, diese Stelle als seine vermeinte Frau zu übernehmen; kein Bart mache die Sache unmöglich, und in Frankreich sei es gar nicht selten, Frauen mit männlich tiefer Stimme anzutreffen, ich brauche sie nur zu mäßigen. Er sei so gewiß seiner Sache gewesen, ich würde ihm diesen Scherz nicht verderben, daß er es sich nicht versagt habe, sogleich Kleider anzuschaffen, die meiner Größe angemessen wären. Aber ich verstehe nicht genug von weiblicher Haltung und Aufführung? fragte ich erschrocken. Dafür habe ich eine Ausrede, die jeder Französin einleuchtet, antwortete er, ich sage, das sind deutsche Sitten, außerdem hoffe ich Ihnen auch noch das Nötigste beizubringen, wie Sie sich verneigen müssen, welche Reden zwischen Frauen gewöhnlich. Die außerordentliche Lage wird vieles entschuldigen! Ich gestehe, der Antrag schien mir so spaßhaft, daß ich mich ohne Einwand dazu verstand und ihm versicherte, wie ich früher in Schulstücken schon mehrmals Frauenrollen gespielt hätte und die Kleider mit Anstand tragen könnte, auch das Notwendigste der Sitten gar oft zum Scherz, wie ich es bei meiner Mutter abgesehen, im Kreise meiner Kameraden nachgemacht hätte. Der Hofmeister war über diese Entdeckung sehr froh, umkleidete mich mit einer entsetzlichen Schnürbrust, die mir einiges Leiden machte, brannte selbst meine Haare und fügte künstliche lange Hinterhaare daran, die Gott weiß welchem Missetäter abgeschnitten sein mochten, dann türmte er eine Spitzenhaube oben darauf und gab mir einen Fächer in die Hand. So saß ich gerüstet bis auf die Schuhe, wo es sich aber leider ergab, daß mein Fuß in keinen einzigen der Damenschuhe passen wollte, die er von einem Schuhmacher hatte kommen lassen. Die Verzweiflung war groß, doch endlich fiel ihm eine große dicke Frau ein, die er im Hause gesehen. Er machte ihr einen Besuch und brachte nach einer Stunde deren wohlpassende Saffianpantoffeln triumphierend zurück. Nun gab er mir noch einige Regeln, wie ich über ihn klagen müsse, denn eine Frau müsse sich immer klagend und leidend anstellen, wenn sie auch das ganze Hauswesen über den Haufen liefe. Dann ging er eilig fort, seine Frau aufzusuchen und sein Bekenntnis abzulegen, daß seine Frau in der Nähe sei. Nach einer halben Stunde trat er mit heitrem Blick herein, winkte mir, daß ich käme, es lasse sich alles gut an, sie scheine den Marquis weit mehr zu lieben, als sie erst ihm eingestanden, und sie sei zur Scheidung entschlossen, wenn sie fände, daß seine zweite Frau seiner würdig sei. Mein Schicksal ist in Ihren Händen, sagte er, aber Sie müssen sich eifrig reformiert anstellen, Sie müssen mir viel widersprechen, auch wenn Sie gar keinen Grund wissen, Sie müssen öfter sagen, ja so sind die Männer, oder aber, hätte ich denken sollen, daß es mir so ergehen würde, zu solchem Unglück bin ich nicht erzogen, das ist mir nicht bei der Wiege gesungen. Unter solchen Erinnerungen kamen wir nach dem Wirtshause, wo seine Frau abgestiegen war. Ich erblickte flüchtig einen weiblichen Kopf, der sich bei unsrer Annäherung vom Fenster zurückzog. Wir stiegen eine Treppe an, er öffnete eine Türe und flüsterte zu mir: Sie hat es doch nicht lassen können, sich zu putzen, um die zweite Frau zu verdunkeln. Ich blickte auf und sah in einiger Verlegenheit diese etwas starke, aber noch immer wunderschöne Frau vor mir stehen. Sie schwankte, wie sie mich empfangen sollte, aber mein bescheidenes Wesen bestimmte sie, mich zu umarmen. Ich küßte sie von ganzem Herzen, ich war ihr im ersten Augenblick gut, Tränen strömten aus ihren Augen, und sie brachte endlich nur mit Mühe heraus, daß sie einer so sanften, bescheidnen Seele, wie ich ihr erschiene, die Hand eines Mannes willig abtrete, den sie jeder ändern würde streitig gemacht haben, die durch Schönheit oder Herrschlust ihn sich gewonnen hätte. – Das war kein Kompliment für meine weibliche Schönheit, aber ich mochte auch freilich ein etwas auszehrendes Ansehen in Vergleich mit der Fülle meiner Gegnerin darbieten. Ich befolgte die vom Hofmeister erhaltenen Regeln und klagte sehr bedeutsam über den Schaden, welchen meine Schönheit durch die Heirat erlitten, auch sei es ein grausames Schicksal des weiblichen Geschlechts, den Launen eines Mannes, selbst des besten, sich opfern zu müssen. Ich küßte hierbei dem Hofmeister die Hand, und die Frau winkte, daß sie mein Schicksal auch wohl erfahren. Die Männer, sagte sie, sind alle darin gleich, und keiner hat eigentlich Sinn für das Zartgefühl einer Frau, gern spräch' ich mit Ihnen eine Viertelstunde in Vertraulichkeit, Sie zu belehren, ganz als Schwester, denn ich habe Sie sehr liebgewonnen und kann es meinem Manne nicht verargen, daß er mich, die er tot glaubte, in Ihrer Nähe vergessen konnte. Der Hofmeister nahm unter dem Vorwande Abschied, daß er noch einige Besorgungen in der Stadt zu machen habe, und überließ mich ganz meiner eignen Geschicklichkeit. Um meine Verlegenheit verbergen zu können, wenn sie mich über Verhältnisse befragte, von denen ich nichts wußte, fing ich an, über ein Zahnweh zu klagen, das ich nicht fühlte, so durfte ich mein Gesicht mit einem Tuche decken und niederbeugen. Sie vermutete, daß diese Schmerzen bei der scheinbaren Gesundheit meiner Zähne die Vorbedeutung guter Hoffnung sei. Dies brachte sie auf einen langen Vortrag, wie ich mich mit meinem Manne zu benehmen hätte, sie sprach von seinem Leichtsinne, wie er gern mit allen Frauen scherze, sie wisse nicht recht, wie weit es gehe; dann von seinen Sonderbarkeiten, von seiner übertriebnen Ordnungsliebe, von seiner Gleichgültigkeit gegen die gereinigte Religionsübung, zu der er sich bekenne. Ach, sagte ich verstellt, die Männer haben keine Religion. Nein, rief sie, mein jetziger Mann hat Religion, er ist durch mich von den Irrtümern des Papsttums zum wahren Glauben bekehrt, das hat ihm meine Liebe und auch meine Hand zugesichert. Er ist nur nach Frankreich zurückgekehrt, das vertraue ich Ihnen unterm Siegel der Verschwiegenheit, um sein Besitztum rechtsgültig einem Vetter zu übergeben, der ihm dafür einen sehr vorteilhaften Tausch gegen Güter in den Niederlanden und Deutschland bewilligt. Wir gewinnen an Einkünften vielleicht die Hälfte, und, was mehr wert ist, die Glaubensfreiheit. Manche Männer, fuhr sie fort, haben eine viel größere Ansicht von allen solchen Dingen. Hätte mein erster Mann wenige tausend Taler aufs Spiel gesetzt, wir wären zur rechten Zeit, ohne uns zu trennen, der französischen Grenze miteinander entkommen, unser Leben wäre ungestört und ungetrennt geblieben.
Nach diesem Vorwurfe, den ich nicht ganz abweisen konnte, bat sie mich, von gleichgültigen Dingen zu reden, sie fühle sich von dem Entschlüsse dieses Morgens angegriffen, auch müsse sie noch ihre Toilette machen, da sie nur in Eile bei meiner Annäherung ein Kleid übergeworfen. Ich fühlte an der entschuldigenden Art, daß sie sich vor mir zeigen wollte, ich sollte das Übergewicht ihrer Schönheit anerkennen müssen. Wohl hatte der Hofmeister recht, daß Frauen viel eitler sind gegeneinander, als gegen Liebhaber; von jenen bewundert zu werden, scheint ihnen eine viel größere Wahrheit zu haben, denn diese bewundern, ohne zu unterscheiden, eine Frau im ganzen, oft getäuscht von der Begierde, sie zu besitzen. Sie zog ihre Schuhe aus und klagte, sie wären ihr zu weit, und sah nach meinen Schuhen, versicherte, sie säßen mir häßlich, die Deutschen verständen keine Schuhe zu machen, sie wolle mir ein Paar französische leihen. Noch denke ich mit Lachen den Kontrast zusammen, das zierlichste kleine Füßchen und meine Riesenpfote. Mit Dreistigkeit schwor ich, der Schuh würde mir passen, wenn ich nicht wegen Schmerzen, die ich von vielem Tanzen am Hochzeitstage bekommen, etwas um meine Füße gewickelt hätte, das sie heilen solle, jetzt müsse ich schon in den weiten Pantoffeln den Anspruch auf einen hübschen kleinen Fuß für einige Zeit aufgeben. Sie schien nicht ganz daran zu glauben, doch wollte sie mir ein Pflaster, das sie bei sich hatte, auflegen. Nun erbot ich mich, um aus der Geschichte zu kommen, ihre Haare zu kämmen. Ich dachte mir das leichter, als ich es fand; die Flechten hatten das gekrauste Haar fest zusammengezogen, der Angstschweiß lief mir über die Stirne, daß ich sie bei aller Vorsicht zu stark raufen möchte. Das Schnüren endlich machte mich ganz verwirrt, wie sollte ich alle die kleinen Schnürlöcher finden, durch welche sich der Schnürsenkel zurückgezogen. Dennoch nahm sie alles sehr gütig auf, sie sah, daß ich mir viel Mühe gegeben, schob mein Ungeschick auf meine Nationalität und küßte mich herzlich. Damit endete sich meine schwere Arbeit, sie machte mir den Vorschlag, auf die kurze Zeit, die sie in Antwerpen verlebten, in dasselbe Wirtshaus zu ziehen, ich stellte das meinem Manne anheim, der bald zurückkommen müsse. Wirklich kam er auch und brachte seiner ersten Frau sehr zierliche Geschenke als Abschiedsgabe, und freute sich, als ihm die Frau mit allen Zeichen der Aufrichtigkeit versicherte, daß ich die einzige Frau sei, der sie ihn abtreten könnte, sie habe mich ungemein liebgewonnen, und müsse ihm das Versprechen abnehmen, sobald sie sämtlich aus den äußeren Lebensverwirrungen befreit wären, denselben Ort künftig miteinander zu bewohnen. Ihre Hauptangelegenheit empfahl sie ihm nun mit großem Ernst, sie bat mich um Entschuldigung, wenn sie sich darüber nicht ausspräche, aber die Sache müsse mit so großer Vorsicht betrieben werden, daß das kleinste Wort, das ich fallen lasse, oder wenn ich gerichtlich befragt würde und mich schrecken ließe, sie unglücklich machen könnte. Ich stellte mich gleichgültig, aber die Sache erregte meine Neugierde. Nach einer Stunde erklärte der Hofmeister, daß eben jene Angelegenheit seine schnelle Abreise nach Paris notwendig mache. Die Frau bat, er möchte mich bei ihr lassen, ich sei da sicherer aufgehoben als in Paris, wo zwar die Verfolgung gegen Reformierte etwas nachlasse, aber doch noch nicht aufgehört habe. Schwer kämpfte er sich durch diesen allerdings verständigen Vorschlag, endlich gab sie nach, als er schwor, daß er keinen Tag ohne mich leben könne. Wir nahmen zärtlichen Abschied, ich war fast erschöpft von der Anstrengung meiner Rolle. Als ich nach Hause kam und der Hofmeister mir seine volle Zufriedenheit erklärte, fragte ich nach dem Geheimnisse. Das Pariser Geheimnis wollte er mir nicht anvertrauen, obgleich ich wohl einigen Anspruch darauf zu haben scheine. Ich tat nachher einen Blick in sein Tagebuch und sah darin freudige Ausrufungen, daß er seine Laura wiedersehen, sie befreien werde. Ist dies eine Freundin der Frau, die vielleicht mit ihrem Wissen seine Geliebte war? Wie konnte aber ein Mensch, der Augen hatte, eine andre lieben, als diese himmlische, schöne Frau? Unruhig reise ich von hier, ein Verlangen, meine seltsame Rolle noch einmal mit ihr zu spielen, diese zärtliche Nähe zu tausend Küssen zu benutzen, ein Ärger, daß ich so verlegen war, quälen mich abwechselnd, und ich finde meinen Herrn Hofmeister diesmal doch etwas unbesonnen, auch wenn ich bei der Geschichte etwas gelernt hätte. Er sagte mir freilich: Ich käme nun in das Land und in die Stadt, wo die meisten Frauen die tollsten Ausschweifungen sich zum Hauptgeschäft machten, nachdem sich ihre Jugend in strenger Einschließung von Klostermauern quälen lassen, die Erinnerung an diese schöne, tugendhafte Frau solle mich schützen, ich würde den Unterschied im Betragen nicht verkennen. – Ja, wäre sie mein, da könnte mich dieser Unterschied beglücken.
Paris
Als mein Hofmeister heute, wo ich die Zeit verschlafen, mich aufweckte, kannte ich ihn nicht wieder. Seine breiten Augenbrauen hatte er sich zu einer schmalen Linie abrasiert, ebenso seinen Schnauzbart; eine ungeheure Perücke, die weiß gepudert war, wallte um ihn her mit tausend Locken, übrigens war er schwarz gekleidet. Er sprach mich in einem Französisch an, wie es Deutsche reden, die darin mehr aus Büchern denn durch Übung unterrichtet sind. Als ich ihn erkannt und nach der Ursache gefragt hatte, sagte er, daß sein altes Gesicht in Paris allzu bekannt sei, er habe genug Deutsch gelernt, um sich für einen deutschen Magister auszugeben, er heiße künftig Kellermann und werde den pedantischen Reisehofmeister vor andern spielen, der alles sehen, alles aufschreiben will. Unter dem plausiblen Vorwande, daß ich seine Nähe nicht ertragen könne, würde er sich leicht aus den Häusern zurückziehen können, wo ihn ein alter Bekannter erkennen möchte, und ich könnte ungestört Paris nach allen Richtungen mir zunutze machen. Ich meine, das seltsame Geheimnis mit seiner Laura ist wirksamer als meine Erziehung, ich hoffe meine Neugierde zu befriedigen. Er hat übrigens für unsern Haushalt bestens gesorgt. Wir beziehen ein ansehnliches Quartier an der Seine, ein Wagen mit vier Pferden sind gekauft, außer dem Kutscher noch zwei Bediente angenommen. Alles weiß er sehr ökonomisch einzurichten, obgleich wir wie die Fürsten speisen, er hat alles genau kontrahiert. Drei prächtige Kleider sind für mich fertig. Dies möchte auch wohl die größte Annehmlichkeit hier in Paris bleiben, daß alle Lebensbedürfnisse sich so leicht und mannigfaltig anschaffen; sonst ist der Ort zwar ungeheuer schmutzig, an einem unbedeutenden Flüßchen gelegen, kein Gebäude ist hier wie unser Dom in Köln, kein Rathaus wie in Brüssel oder Löwen usw.
(Wir lassen hier so wie überall die Beschreibung der Sehenswürdigkeiten aus, die nun im Tagebuche sich drängen, weil die genaue Kenntnis des Hofmeisters den Besuch derselben erleichtert. Paris in der Zeit Ludwig XIV. ist oft beschrieben.)
Paris
Auch alle oder wenigstens einige der berühmten Frauen habe ich besuchen müssen, besonders solche, die meinen Hofmeister sonst nur selten oder nie gesehen haben, bei denen er also weniger Gefahr läuft, erkannt zu werden. Seine Laune ist unglaublich, seitdem er den Reiseplan nach Indien vor Augen hat, aller Ernst ist von ihm gewichen, und ich muß ihn hüten, daß er nicht gar zu tolle Streiche macht. Bei der Ninon, einer berühmten, galanten Frau, war es einzig, welche Dinge er sich auf Rechnung des deutschen Pedanten, den er spielte, erlaubt hat. Wie genau hat er nach ihrem Alter gefragt, nach ihren Liebhabern, wie sie ihre Schminke bereite, ob sie noch alle ihre Zähne habe, und das alles schrieb er sehr umständlich in eine große Brieftasche. Die Frau kam nicht aus dem Lachen, endlich wollte er sie gar zum Tode vorbereiten. Auch bei der Frau von Sevigny war er unerschöpflich in närrischen Einfallen, versicherte ihr, er arbeite an einer lateinischen Übersetzung ihrer Briefe, weil die Leute jetzt solche Kleinigkeiten liebten, und wolle sie mit eignen Zusätzen wenigstens verdoppeln, ihr auch der Unterhaltung wegen eine Liebschaft mit dem Könige andichten. Die Frau protestierte mit großer Angst, er werde ihr Verderben bereiten, er schien sich über die Verachtung seines Werks zu erzürnen und wollte es nun gar nicht herausgeben. Sie zog gelindere Saiten auf, die Übersetzung war ihr schmeichelhaft; endlich versprach er, alles nach ihrem Wunsche zu vollenden, ihr auch die Arbeit vor dem Drucke mitzuteilen, daß sie dieselbe ihrem Beichtvater zur Beurteilung vorlegen könne. Vergebens habe ich mich übrigens bemüht, eine Frau zu finden, welche die störende Erinnerung der unvergeßlichen Frau meines Hofmeisters vernichten könnte. Wie hat er einen solchen Schatz so leichtsinnig aufgeben können? Noch bebe ich von dem Nachgefühle jenes Tages, an welchem ich so unerlaubt frech mich ihr annäherte, tausendmal möchte ich ihr schreiben, sie um Verzeihung bitten, aber leicht könnte das ihr Glück untergraben. Vergebens ermahnt mich der Hofmeister, irgendeine der vielen schönen Frauen, die ich hier kennenlernte, zu lieben, ihnen allen den Hof zu machen, und erlaubt sich Dreistigkeiten in ihrem Umgange, um mich dreister zu machen, die alle Begriffe übersteigen. Aber diese Schönen finden sich höchlich geschmeichelt, einem deutschen Pedanten, der beständig mit arabischen Worten um sich wirft, wie sie es meinen, das Gehirn zu verwirren, daß sie ihm alle Unarten verzeihen. Da kommt er denn, wenn er beim Eintreten in eine Gesellschaft von allen angerufen wird, fast auf den Knien herangeschlichen, macht einen Sprung zur einen und küßt die Hand, während er der andern mit dem Fuße winkt, wackelt mit der Perücke, bewegt die Ohren wie ein Hase, verlangt die Schönste zum Tanze und führt unter dem Namen einer Allemande die abenteuerlichsten Sprünge und Stellungen aus, schlägt Purzelbäume, springt über die Damen fort, daß der Puder seiner Perücke sie wie eine Wolke verhüllt. Die ganze Gesellschaft sieht nur auf ihn, und naht sich ihm ein Spötter, so sagt er in seinem Deutsch-Französisch ihm so derbe Wahrheiten, daß die Lacher alle auf seiner Seite sind. Die Schönen wollen mir wohl, aber kaum bin ich mit einer allein, so plagt mich der Liebesgott, ihnen unter anderm Namen von der Frau des Hofmeisters zu erzählen. So bleiben mir nur die Häßlichen zur Unterhaltung treu, und ich liebe die Häßlichen jetzt außerordentlich. Sie übernehmen gern die Rolle der Vertrauten, ihr Geist ist nicht von Leidenschaften zerstreut, sie suchen ihren Körper vergessen zu machen, die ganze Welt ist ihnen zur Unterhaltung unterworfen, überhaupt wird hier das Unglaublichste zu diesem künstlichen Bau der Unterhaltung verwendet, niemand lernt alle Richtungen dieser Gänge kennen, der nicht von einer solchen Ariadne geführt ist. Franzosen, die im tätigen Leben leicht streitsüchtig sind, werden zum Besten dieser Welt des Geschwätzes wegen verträglich und ertragen gesellige kleine Bosheiten mit Vergnügen, die bei uns ganze Familien entzweien würden. Was lassen sie sich von Masken gefallen, die ihnen ganz unbekannt sind, und wie seltsam ist hier die Gewohnheit der Frauen, in Masken vor dem Antlitz auszugehen, wenn sie es vermeiden wollen, Toilette zu machen. So wird das ganze Jahr zum Karneval, und ich rate am Abend zehnmal vergebens, welche Frau es war, die mich vorübergehend an irgendein kleines Lebensereignis erinnerte. Immer kommt da mein Hofmeister vor mit seinen Sprüngen, besonders fürcht' ich mich jetzt vor den vielen Redereien wegen unsrer heutigen Anwesenheit beim Lever des Königs. Der König trat mit der Maintenon zur Tür seines Zimmers heraus, was meinem Hofmeister sehr unangenehm war, weil er die Frau zu oft gesehen und sie diesmal nicht hier erwartet hatte. Seine Entschlossenheit gab ihm ein, in einem tiefen Diener, den er machte, ganz ruhig zu verharren, und hoffte, der König würde nach Gewohnheit rasch vorübergehen. Dieser aber trank eine Tasse Schokolade im Gehen und sah verwundert die stets gebückte Gestalt, fragte, wer er wäre und trat hervor. Mein Hofmeister beantwortete alle Fragen über Deutschland in einem schrecklichen Deutsch-Französisch, ohne aus seiner scheinbaren Devotion emporzublicken. Dem Könige machte das Spaß, und als er fortging, setzte er ihm die kostbare Tasse auf den Rücken mit dem Bedeuten, daß er sie zum Andenken an Frankreich bewahren möge. Der König hatte gehofft, er würde sie aus Devotion mit noch einem tieferen Bückling hinwerfen, er aber mit seiner Gelenkigkeit langte mit beiden Armen so geschickt über den Rücken, daß er die Tasse bewahrte und die letzten Tropfen als eine nie genug zu rühmende Gnade austrank. Die Sache klingt hier recht lustig, dort aber stieg mir das Blut so zu Kopfe, daß ich wenig von der ganzen Feierlichkeit gesehen habe.
Paris
Mit meinem Hofmeister wird es immer ärger. Unter dem Vorwande, morgenländische Sprachen zu lernen, holt er sich Türken und Juden aus allen Ecken der Stadt zusammen und neckt sie mit ihren Glaubensmeinungen. Dann aber hat er noch einen viel seltsameren Sprachmeister. Fast alle Tage schließt er sich ein mit einem großen maskierten und verschleierten Frauenzimmer. Schon dreimal lauerte ich ihr auf, aber wenn sie mich im Hause erblickte, fragte sie nach einem ganz fremden Namen. Ich sagte ihr Artigkeiten, sie antwortete leise, aber sehr aufmunternd. Diese Verbindung muß also wohl sehr allgemeiner Art sein. Ich bat sie in mein Zimmer zu treten, sie verschob es auf einen andern Tag. Ist dies die edle Laura, nach der seine Tagebücher seufzen? Diese verdient nicht solche Ausdauer, ich muß es ihm sagen, muß auch einmal sein Hofmeister sein.
Paris
Er selbst gab mir die beste Gelegenheit zur Erklärung. Er sagte mir heute, daß eine Frau, die ihn wegen einer Erbschaft im Morgenlande zuweilen besuche, sich darüber beschwere, daß ich ihr auflauerte. Er bat mich, ihr diese Quälerei zu erlassen, sie habe ihre Gründe, im geheimen zu ihm zu kommen, ich solle alles bald erfahren. Ich warnte ihn, der Treue dieser Frau nicht zu trauen, sie habe mir ihr Versprechen gegeben, mich auch zu besuchen, ehe sie noch meinen Namen erfahren. – Und Sie werden Sie aufnehmen? fragte er. – Ich antwortete: Keineswegs, die Ehrfurcht, welche mir der Edelmut des Marquis im Verhältnis zu Ihrer Frau eingeflößt, bewahrt mich wie ein Schutzengel, ich möchte nicht schlechter erscheinen. Er zuckte mit den Achseln und sagte: Für jetzt ist es gut, daß Sie diese Gesinnung bewahren, Sie müssen die Welt erst kennenlernen, ehe Sie sich dem Vergnügen in aller Art hingeben; aber das können Sie mir glauben, jeder muß einmal seine Hörner ablaufen, besser früher als später, die Jugend verleiht den Torheiten einen Schimmer von Schönheit, und das Alter breitet über diese kleinen Sünden eine Nacht des Vergessens. Vor der guten Frau erschraken Sie allzusehr, Sie sind ein junger hübscher Mann, können Sie es ihr vorwerfen, daß Sie ihr besser gefallen als ich, der ich fast so braun bin wie ein Mulatte? Wer die Welt will kennen, muß sich ihr fügen. – Ich tauge zu keinem Weltmann, sagte ich, und brach das Gespräch ab. – Was soll dieser Leichtsinn unter dem Prophetenhimmel des Orients, wollte ich ihm sagen, aber ich war diesmal so klug, zu schweigen.
Paris
In so seltsamer Lage befand ich mich noch nie. Auf meinem Bett ist ein fremder Jüngling nach langem Kampf mit dem Schlaf von diesem überwunden hingesunken. Lieblichere Züge sah ich nie, er gleicht der schönen Frau des Hofmeisters, und das hat mich unwiderstehlich für ihn gewonnen. Auf den Hofmeister warte ich vergebens, es mag ihm ein Unglück begegnet sein, denn nie blieb er über elf Uhr aus. Nach Pflicht und Gewohnheit will ich mir die Zeit vertreiben, um mir selbst von diesem Ereignis Rechenschaft zu geben. Warum ging ich der Frau heute nach, die ich für die Geliebte meines Hofmeisters halte, und zwar, wie ich vermute, von der nichtswürdigsten Sorte? Wollte ich meiner Eitelkeit schmeicheln, ob sie mir wieder einen Händedruck im Vorbeigehen zuwenden würde? War es nicht gekränkte Eitelkeit, als ich an ihrer Seite einen jungen Mann erblickte, der ihre Hand gefaßt hatte und ihre ganze Aufmerksamkeit dergestalt fesselte, daß sie meine Annäherung nicht wahrnahm? Das kann der Fall sein, aber ich fühle es innigst, daß ich den beiden nicht aus diesem eitlen Grunde nachschlich, sondern aus innigem Mitleid gegen den, wie es schien, sehr unerfahrenen jungen Mann, der mit jugendlicher Inbrunst und Übereilung an den Blicken der Frau hing, obgleich sie verschleiert war, und die ganze Welt in ihrer Nähe zu vergessen schien. Ich war entschlossen, ihm ein warnendes Zeichen zu geben, daß auch andre leicht ihre Gunst sich erwerben könnten. Ich trat deswegen dreister als sonst zu der verschleierten Frau und faßte ihre Hand. Sie erschrak, schien sich aber im Augenblick zu fassen und bat mich leise, den jungen Mann von ihr fortzuführen nach meinem Hause, er werde ihr sehr überlästig. Sie flüsterte einige Worte zu demselben, der junge Mann wandte sich an mich und bat mich, ihn in mein Haus zu führen, weil er einem Manne nahe verwandt sei, welcher die Ehre habe, mein Führer auf Reisen zu sein. Ich versicherte ihm, sein Anblick habe mich durch Ähnlichkeit mit einer Frau, die ich ungemein hochachtete, unglaublich für ihn gewonnen, wahrscheinlich sei er noch näher mit der Frau meines Reisegefährten verwandt. Er versicherte mir, es sei seine Tante, und er freute sich der Anhänglichkeit, die ich gegen diese verehrte Frau geäußert habe. Die Verschleierte hatte sich inzwischen entfernt, ich sagte ihm, daß nur die Sorge um ihn mich so frech gemacht hätte gegen die verschleierte Frau, ich hätte ihm die Gefahr zeigen wollen, in die er sich mit einer Frau eingelassen, welche jedermann zu gehören scheine. Er schien ein wenig ungläubig zu lächeln und versicherte mir, er wisse dieser Frau vielen Dank, weil sie ihm weltliche Kleider geschafft habe, um aus der schrecklichen Haft des Jesuitischen Erziehungshauses zu entkommen, mich aber müsse er bitten, um seine Rettung zu vollenden, ihn schnell nach meinem Hause zu führen, sie wären von Polizeiaufsehern verfolgt worden und hätten sich nur durch das Eintreten und Verstecken in fremden Häusern gerettet. So eilten wir denn durch versteckte kleine Straßen nach meiner Wohnung, wo der junge, fast noch kindische Mann mit Heiterkeit sich der Erfrischung unsrer guten Küche überließ und mir fast unglaubliche Dinge von dem Hunger und der Unreinlichkeit erzählte, die ihn bei den Jesuiten geplagt hatten. Ich kann die Gefühle nicht schildern, die sein liebevolles Antlitz in meinem Herzen anregt, jetzt erst durchdringt mich die Freundschaft mit ihrem belebenden Strahle und schenkt meiner Seele Flügel. Welche leere Zufälligkeit war dagegen jene Studentenfreundschaft, die wir in Löwen für etwas Großes achteten, bloß durch Zusammenleben, oft nur durch Zusammentrinken geschlossen. Diesen jungen Verfolgten mit meinem Leben zu verteidigen, wäre mir keine Aufopferung, sondern ein Genuß, mich vor ihm mit meinem Herzen zu entfalten, in jedem vergossenen Blutstropfen müßte er das Signal unsrer Freundschaft erkennen. Ich höre Lärmen auf der Gasse, höre meinen Namen nennen, auch des Hofmeisters Stimme höre ich. Sie dringen in die Haustür. Die Gelegenheit, meinen Freund zu verteidigen, kommt früher, als ich dachte.
Paris
Endlich wage ich es, hier in der Bibliothek der Frau von Maintenon mein Tagebuch fortzusetzen, aber in deutscher Sprache, um mich bei jedem Überfall zu sichern.
Welche Veränderungen in so kurzer Zeit! Verheiratet bin ich und geschieden in derselben Stunde. Ich seufze und schmachte als Ehemann nach den Blicken meiner Frau, wie nach einer verbotenen Liebschaft. Wahrhaftig, das nenne ich eine vollständige Erziehung, daß ich die Liebschaft nun nach der Ehe durchmachen muß, weil vorher keine Zeit dazu vergönnt wurde.
Doch ich kehre zur Ordnung der Begebenheiten zurück, indem ich mich des vergeblichen Heldenmutes erinnere, mit welchem ich meine Klinge entgegenstreckte, als meine verschlossene Tür erbrochen war. Ein wunderlicher Anblick, und wenige Worte entwaffneten mich. Ich sah nämlich in der Mitte der Bewaffneten, an der Tür eben jene lange verschleierte Dame, die ich in so bösem Verdachte gehalten, wie sie Schleier und Maske von sich warf und nun als mein Hofmeister erschien. Er sagte mir mit wenigen deutschen Worten: Aller Widerstand könne nur schaden, ich möchte ihm den einen Dienst tun, die Tochter, die auf meinem Bett ruhe, für meine Frau auszugeben! – Bei dem Wort stand die Lösung aller Rätsel mir deutlich vor Augen, ich senkte den Degen und blickte nach dem Bett, wo sich der Jüngling unleugbar in eine Jungfrau verwandelt hatte; ich konnte über mein Gefühl nicht mehr irren, es verriet ihn jetzt auch seine Stimme, jede Bewegung, sein Wuchs, alles verriet ihn. Diese Gewißheit erfüllte mich mit einer Freude, als ob ich die größte Entdeckung in der Naturkunde gemacht hätte, die meinen Namen wie den manches albernen Entdeckers zu den fernsten Nachkommen bringen müßte. Mit Ungestüm erfüllte ich die Bitte des verkleideten Hofmeisters, dieses schöne Kind für meine Frau auszugeben, von der mich keine Gewalt trennen könnte. Ein Polizeileutnant trat vor und sagte, daß er an der Richtigkeit der Angabe, nach der Lage und den Umständen, wie sie die junge Entführte bei verschlossenen Türen gefunden, nicht zweifele, und nach seinen besonderen Aufträgen müsse er uns beide deswegen unverzüglich zur gnädigen Beschützerin der jungen Dame, zur Frau von Maintenon, fahren lassen. Mein Hofmeister sagte mir, daß ich mich sogleich mit seiner Tochter, die er seine liebe Laura nannte, entfernen möchte, wie uns vorgeschrieben sei, wir hätten nichts zu besorgen. Mit wenigen Worten nahm er von uns Abschied, wir fanden einen Wagen vor der Tür, stiegen ein, und da die Bewachung neben demselben ging, hatten wir Gelegenheit, uns über die Rätsel in diesen Vorfällen zu erklären. Ich erfuhr, daß die Geschicklichkeit meines Hofmeisters in Verkleidungen ihn als Frau längere Zeit sicher in das geistliche Erziehungshaus der Frau von Maintenon geführt hatte, wo er sich durch lebendige Erzählung geistlicher Wunder und Parabeln sehr beliebt machte. Auf diesem Wege war es ihm gelungen, seine Tochter, als der Türsteher abgerufen, unbemerkt aus dem Hause in ein nahes Quartier zu bringen, wo er männliche Kleider für sie in Bereitschaft hatte. Sein Geschäft, als er den jungen Herrn über die Straße weiter aus Paris führen wollte, fiel einem Polizeispion in derselben Art auf, wie ich ihn mißdeutet hatte, er verfolgte beide durch mehrere Straßen und setzte dadurch beide in große Verlegenheit. Der Vater benutzte alle Durchgänge durch Häuser, die ihm bekannt waren, um dem Feinde aus den Augen zu kommen, und er meinte schon alles gelungen, als er die Tochter damals mir übergeben hatte. Aus dem Erfolge ersahen wir nun leider, daß er selbst der Gefangennehmung nicht habe entkommen können. Die Gewalt der Verhältnisse drängte mich zu fragen, ob das Herz der schönen Tochter dem Willen des Vaters nicht widerspreche, sie mit mir verheiratet zu sehen. Als ich aber diese Frage eben wagen wollte, hielt der Wagen, wir wurden in das Hotel der Frau von Maintenon, und zwar jedes in ein besonderes Zimmer, geführt. Man bewirtete mich trefflich, aber das Unbestimmte meiner Lage benahm mir allen Mut, allen Schlaf, alle Eßlust. Am Morgen wurde mein Koffer mit meinen Kleidern mir gebracht, auch alle Bücher, Manuskripte, die in meinem Zimmer gelegen hatten. Ich erhielt den Befehl, mich hofmäßig anzukleiden durch einen Kammerdiener der Frau von Maintenon, und erfüllte diesen Willen ohne Widerspruch. Als ich fertig, rollte ich in einem Staatswagen nach dem Schlosse des Königs und wurde angewiesen, die Ankunft des Königs in einem prachtvollen Gemache ganz allein zu erwarten. Ungefähr nach einer Stunde verkündete der Ruf der Türsteher die Ankunft des Königs. Die beiden Türflügel öffneten sich, der König trat ein in seiner gewöhnlichen mehr ernsten als wohlwollenden Art, hinter ihm Frau von Maintenon, und hinter dieser da stieg mir das Feuer in die Augen, meine geliebte Laura, prachtvoll in Silberstoff gekleidet, die der Frau von Maintenon etwas zuflüsterte. Die alte Dame übersah mich mit großen Augen vom Kopf bis zu den Füßen, schien ein Wort der Billigung fallen zu lassen und sagte dann zum Könige, der eben vorüberschreiten wollte: Hier steht der junge Deutsche. Der König wandte sich zu mir hin, besah mich durch ein Glas und sprach dann in kurzen Sätzen: Entweder gleich heiraten die junge Demoiselle oder zeitlebens in die Bastille!
Da war keine Zeit mehr, Laura zu fragen, ob sie einstimmig wäre, ich merkte wohl, daß ich ein Vergehen, das ich nicht begangen, durch diese Heirat gut machen sollte. Meine Antwort war kurz und bündig: daß diese Heirat mich beglücke. Der König winkte seinem Beichtvater, der die nahe Kapelle öffnete und mit Übergehung mancher sonst üblichen Weitläufigkeiten uns doch nach den wesentlichen Formen des katholischen Ritus gültig vermählte.
Kaum war dies vorüber, so wurden wir vom Könige mit einer langen Ermahnung und Strafpredigt und einem unbedeutenden Geschenk entlassen. Der Beichtvater verordnete eine sechswöchentliche Trennung als Strafe für die Neuvermählte wegen ihres Entlaufens aus dem geistlichen Hause, sie sollte diese in einem Kloster von geringer Strenge zubringen. Mir selbst erlaubte Frau von Maintenon gnädigst den Aufenthalt in ihrem Hause, wo ich eine Bibliothek in Ordnung stellen sollte, die sie erst kürzlich gekauft hatte, sie sprach mich bei dieser Gelegenheit frei von aller Schuld und versicherte, daß ich gar nicht anders hätte handeln können. Nach dieser Sentenz wurde mir kaum noch ein Kuß gestattet, da mußte ich mich von meiner jungen Frau trennen, die ich bis heute nicht wiedergesehen habe. Ich bin unterdessen bei meiner Bibliothek fleißig gewesen, habe neben den theologischen manche lustige Schrift entdeckt, unter ändern den komischen Roman von H. Scarron, dem Manne der Frau von Maintenon. Lebte der gichtbrüchige Herr noch, er würde es gewiß zu einem Roman benutzen, wie ich verkleidet meine Schwiegermutter anführte und von der verkleideten Tochter dergestalt angeführt wurde, daß ich die schönste aller Nächte mit überflüssiger Schreiberei verloren habe. Der Hofmeister soll in der Bastille sitzen, ich sage aus, daß er für mich Lauren entführt hat; noch ahnte niemand, daß es Chardin sei, und dieses Tagebuch ruht in sicherer Haft auf meinem Herzen.
Paris
Sulpiz ist genesen, ist angekommen und hat große Entdeckungen gemacht. Er wußte von seinen Verwandten in Köln, daß der Vetter nach seiner Flucht Dienste bei einem französischen Regimente genommen hatte, aber gleich im ersten Gefechte durch eine Schußwunde zum Felddienste untüchtig geworden sei, worauf er sich nach Paris durchgebettelt und eine elende Stelle bei der Besatzung der Bastille erhalten hatte. Der erste Weg des Sulpiz in Paris war, diesen Vetter in der Bastille aufzusuchen, um meine Wohnung zu erfahren. Der Vetter wußte gar nicht, daß ich in Paris anwesend, weil die Besatzung unter keinem Vorwande die Ringmauern des schrecklichen Kerkers verlassen darf. Er fiel ihm mit Tränen um den Hals und klagte ihm die Not, in welcher sie durch die Knauserei des Kommandanten Bernaville schmachten müßten, und das Elend der Gefangenen, das, wenn sie längere Zeit blieben, alle Vorstellung übersteige. Hier erfuhr er, daß der französische Hofmeister, der mit mir in Löwen gewesen, verhaftet sei, aber doch noch gut gehalten werde, weil man noch fürchte, daß jemand vom Hofe sich bei ihm darnach erkundigen könne. Weil derselbe als ein sehr eifriger Katholik erscheine, habe er es dahin gebracht, daß ihm ein Marquis von G..., der als heimlicher Hugenotte angeklagt, beigegeben worden als Mitgefangener, und diesen unterrichte er scheinbar sehr fleißig. – So erfuhr ich durch Sulpiz die unerwartete Nachricht, daß meine beiden Schwiegerväter in der Bastille säßen. – Der Sulpiz erzählte dann, wie ihm der Vetter vertraut habe, daß er sich mit dem Hofmeister, der hier für einen Deutschen gelte, zur Flucht entschlossen habe, wenn die Gelegenheit sich biete; der Hofmeister wolle ihn zum Lohn reichlich bezahlen und ihn mit seinen Eltern versöhnen. Von mir hatte der Hofmeister gesagt, ich sei längst aus Paris gereist, wahrscheinlich um mich nicht in sein Schicksal zu verflechten. Aber er kennt mich nicht, der Wunsch, ihm beizustehen, ließ mir so wenig Ruhe, wie der Wunsch, meine Frau zu retten.
Paris
Da sitz' ich nun so manchen Tag
Ganz müßig vor den Schränken,
Weil ich kein Buch mehr lesen mag,
Weil mich die Worte kränken,
Ich hör' kein Wort von ihm und ihr,
Verschlossen ist die Kerkertür.
Ich sehe voll Bewundrung an
Dies schlechte Buch mit Schwanken,
Wie einer so was schreiben kann,
Ich kann's nicht überdenken,
Ich denk' und schreib an ihn, an sie
Und beug' zum Beten meine Knie.
Wie soll ich Ordnung bringen hier
In so viel tausend Bände,
Des Feuers Ungeduld in mir,
Wirft Blicke hin wie Brände,
Es brennt in mir nach ihm, nach ihr,
Verbrennen möcht' ich alles hier.
Ich sprach wie jener Muselman
Von den Bibliotheken,
Was gut, im Koran traf ich's an,
Das andre sind Scharteken:
Was ich nicht find' in ihm, in ihr,
Ist unwert, daß ich's registrier'.
Sulpiz hat vergebens getrachtet, den Vetter zu sprechen, der Dienst ist strenge in der Bastille. Ebenso vergebens bin ich in der Prozession zum Grabe des heiligen Paris gegangen, ich sah meine Frau nicht im Zuge der Klosterfrauen, die uns begegneten. Wie blickte ich so sehnlich nach den alten Türmen der Bastille, vor der wir vorbeizogen, aber nirgends war ein Zeichen sichtbar.
Paris
Ich sah meine Frau in der Prozession, und Sulpiz hat mir Nachricht gebracht von einem Rettungsplane. Kein Wort darf ich der Feder anvertrauen, mein Gebet steigt zum Himmel, daß ich euch, ihr greulichen grauen Bücherschränke, nimmermehr wiedersehe, ihr habt mir alle Gelehrsamkeit verleidet; ihr seid kleine Nebenhöllen mit tausend wohlgekleideten Teufelchen gefüllt, heute schließ' ich euch zu und werfe den Schlüssel in die Seine.
Amsterdam
Meine Frau befand sich unwohl und hat sich auf mein Ruhebett gelegt. Wie ich so nach ihr hinblicke, wurde mir der Augenblick recht gegenwärtig, als sie zum erstenmal in männlicher Kleidung auf meinem Bett ruhte. Ich durchblätterte mein vergessenes Tagebuch und faßte den Entschluß, nun meine Erziehung beendigt scheint, für die Erziehung meines zu hoffenden Kindes die Geschichte meiner Flucht aus Paris aufzuschreiben. Kann mich jemand undankbar schelten, daß ich die Bande brach, welche die Meinen fesselte? Heiraten konnte ich ohne König Ludwig und ohne seine Maintenon. Es war ein Zufall, daß er mich nicht in die Bastille sperrte. Sie wollte mir wohl, ich habe ihr das mit Dank und reichen Geschenken zu erwidern gesucht, sie hat mir verziehen und erleichtert zuweilen ihr Herz in Briefen voll Klagen über den Eigensinn des Königs, der selbst das Leben derer, die ihm die nächsten sind, nicht schont, wenn es auf Befriedigung seiner Launen ankommt. Er mag seine längsten Arme ausstrecken, er erreicht mich nicht, ich lebe geschützt von Millionen, die er zu unterdrücken trachtete. Wie hohl und leer ist alles, was unter dem Drucke seiner Krone zu gedeihen und zu glänzen schien: diese Akademien voll Geschwätz mögen seinen Namen tausendmal nennen, sie werden nur das Elend seiner Regierung, das Herabsinken seiner Völker unter ein Sklavenjoch verewigen; die Dichter kreischen umsonst ihre Verse zu seinem Lobe, es spricht sie keiner nach; Marmor läßt er behauen, aber es bleibt Stein; Steine läßt er zu hohen Schlössern auftürmen, aber das freie Maß des Schönen fehlt, das nur in freier Seele liegt. Was soll in so eitlem Bemühen der Glaube? Er preist sich als Beschützer desselben, indem er unterdrückt, was er nicht versteht, da tritt der Glaube zurück in das Heiligtum des Herzens, der Wahn tritt fessellos an seine Stelle und geißelt die Sklaven mit eigner und fremder Torheit.
Die häufigen Prozessionen, die sich damals zum Grabe eines vergessenen Heiligen drängten, wo große Wunder geschehen sollten, erweckten in dem unternehmenden Geiste des Hofmeisters den Plan zur Befreiung. Heimlich zu entkommen aus der Bastille schien ihm unmöglich, die Wachen waren in der Nacht so gut gestellt, der Vorsichtsmaßregeln so viele, daß dergleichen Unternehmungen noch keinem gelungen waren. Aber öffentlich zu entkommen, wenn die Straße bei der Bastille von Menschen vollgedrängt war, also keine Wache frei sich bewegen konnte, das schien ihm tunlich. Er wollte nicht, daß ich dabei verwickelt sein sollte, aber ich ließ mich nicht abhalten, als ich durch Sulpiz, der die Pferde zur Flucht meiner beiden Schwiegerväter bereit halten sollte, den Plan kennengelernt hatte. Ich wollte mich zugleich in den Besitz meiner Frau setzen und gewann eine Kammerfrau der Maintenon, ihr die nötigen Nachrichten mitzuteilen, wie wir uns in der Prozession begegnen und einander nähern könnten. – Es war der Tag Petri und Pauli, wir hatten mehrere Predigten von der Befreiung des Apostels Petrus gehört, wie die Engel ihn aus dem Gefängnis geführt, wie das Eisengitter sich geöffnet, das ihn verschlossen hielt, die Einbildungskraft aller war von diesem glücklichen Ereignis belebt, aber niemand von den Zuhörern wünschte sehnlicher seinen Lieben solche schützende, befreiende Engel als ich und Laura, der ich mich während der Predigt genaht, die sich unter meiner heimlichen Leitung langsam von den Ihren entfernt hatte, als ob sie fortgedrängt würde. Nach der Predigt suchten sie die Schwestern vergebens, dachten aber kein Arges dabei, da das Gedränge solche Ereignisse sehr gewöhnlich machte und manche bei der Heimkehr hinderte und verspätete.
Gern hätte ich mich mit der Süßigkeit dieses ersten freien Gespräches mit Laura überlassen, aber die Sorge, zu spät für das große Unternehmen einzutreffen, nötigte mich, oft die Uhr um Rat zu fragen, bald fortzudrängen, bald wieder innezuhalten, da solche Entfernungen in einer großen Volksmasse sich nicht nach Willkür zurücklegen.
Es war jetzt dunkel, wir warteten noch nicht lange vor der Bastille, als sich ein Gitterfenster des einen Turmes hell erleuchtete und sich dann rasch öffnete. Wir hörten es niederstürzen. Ein Engel erschien in dem Fenster mit einer Fackel und führte an der Hand einen Mann in schwarzem Pilgerkleide durch die Luft zur Erde herab. Obschon ich wußte, daß zwei Strickleitern dies Herabsteigen möglich machten, daß der Engel mein Hofmeister und der Pilger eben der Marquis, mein andrer Schwiegervater, war, so hatte die Wirkung dieses Schauspiels doch etwas Magisches, das mich in Erstaunen setzte und unwillkürlich mir wie mehreren ändern Umstehenden die Worte der Schrift über die Befreiung des Apostels aus dem Munde lockte. Ich stand mit einer guten Kreuzesstange neben dem äußern Wachtposten, der auf diesen Turm Achtung geben sollte; hätte er schießen wollen, so hätte ich ihn niedergeschlagen, aber der Soldat ließ sein Gewehr fallen, das ich sachte fortnahm, während er betete. Unten im Graben waren Engelkleider und Pilgerkleider von den beiden Schwiegervätern schnell abgeworfen, die Fackel ausgelöscht, und bald waren beide unter der Menge Andringender so verloren und übersehen, daß ich sie nur an dem verabredeten Rufe, Petrus und Paulus, erkannte und mich ihnen kennbar machte. So erreichte ich sie an der Hand meiner Laura, und keiner hörte viel auf das gräßliche Geschrei der Menge, als endlich die Offiziere der Besatzung, die einen Sturm auf dieses Schloß voraussetzten, mit allen Soldaten, die sie herbeischaffen konnten, einen Ausfall machten, der aber mit Kreuzesstäben und Fahnen der Prozessionen zurückgewiesen wurde. Der Vetter benutzte diese Gelegenheit, zu entkommen, denn da er die Aufwartung in dem Gefängnisse des Hofmeisters sich zu verschaffen gewußt, so wäre er gewiß in Untersuchung gekommen. An der verabredeten Stelle vor dem Tore, wo Sulpiz mit sechs guten Pferden wartete, traf er mit uns zusammen. Da gab es keine langen Erklärungen, nur der Hofmeister sprach laut, als ob wir zum Gefolge eines Prinzen gehörten und eilen müßten, seinen Wagen einzuholen. Erst nach einer Stunde, als wir einsam, weit vom Gedränge der Hauptstadt entfernt, den Glanz und Dampf unsrer Pferde im Mondschein beachteten, riet der Hofmeister, sie etwas zu Atem kommen zu lassen. Laura klagte, daß sie nicht länger das ungewohnte Reiten ertrüge, auch der Marquis ließ jetzt zum erstenmal eine Klage über seine Schulter hören, die er beim Herabsteigen verletzt hatte. Der Hofmeister bat uns, Geduld zu haben, die Bauern ließen meist ihre Wagen abends vor der Haustüre stehen, es werde sich schon ein brauchbarer darunter finden. Er musterte die Wagen im nächsten Dorfe und fand einen bedeckten Korbwagen, der uns paßte. Die Geschirre lagen auf einer Bank vor der Türe, und so waren wir eben fertig mit dem Anspannen, als die Leute im Hause erwachten. Chardin, der zu Pferde geblieben, wandte sich schnell um, befahl den Leuten zu schweigen, zahlte ihnen im Mondschein den doppelten Wert unsres Diebstahls vors Fenster und eilte uns dann nach. So kamen wir ohne Anstoß, indem wir den Pferden nur wenig Zeit zum Fressen gönnten, rasch vorwärts. Endlich aber versagten die guten Tiere ihren Dienst. Chardin fluchte, weil wir nach seiner Meinung nur noch eine Viertelstunde bis zu dem Orte hätten, wo er damals so herzlich gesungen: »Wer wacht in dieser hellen Nacht!« Die Pferde mußten sich bequemen und noch bis dahin aushalten. Endlich waren wir am Wirtshause, dort führte er mich und Laura beiseite und beschwor mich, von seiner Frau nicht zu sprechen, da der Marquis noch immer nicht von dem Entschlüsse abzubringen sei, sie ihm zurückzugeben, ungeachtet er ihm tausendmal beschworen, daß er sie nicht zurückfordre.
Den Marquis führte er auf ein besonderes Zimmer, untersuchte die Schulter, und da in dem Orte kein Wundarzt vorhanden, renkte er sie selbst mit großer Geschicklichkeit ein.
Als er nun ausführlich vernommen, wie ich von meiner Frau getrennt worden sei, ließ er Musik und Wein in Überfluß zusammenholen, bat alle jungen Leute des Dorfs zur Hochzeit, und ließ diese mit allen in dem Orte üblichen weltlichen Zeremonien nachfeiern. Mir wurden junge Männer, meiner Frau Mädchen zu Führern beigesellt, ich mußte meine Frau förmlich rauben, als ich sie ins Brautgemach führen wollte. Chardin entzückte die ganze Bauernschaft mit seinen Hochzeitsspäßen, er war so frisch mit ihnen, wie er zierlich in guter Gesellschaft sein konnte.
Ich stand spät auf, die Wirtin übergab mir einen kurzen Brief von Chardins Hand, er sagte darin, daß er mit diesem Feste meine Erziehung beendigt und sein meinem Vater gegebenes Versprechen, seine Tochter mit mir zu vermählen, erfüllt habe. Sein Vermögen als Mitgabe der Tochter habe er schon größtenteils meinem Vater übergeben. Er sei jetzt fortgeeilt nach Indien, weil der Edelmut des Marquis sich allen seinen Absichten würde entgegengestellt haben. Er hoffe uns wiederzusehen, wenn er die Diamantgruben und die Perlen im Meere zu seiner Befriedigung gesehen, auch eine Frau sich auserwählt habe, die sich nach seinem Tode lebendig verbrennen lasse, und dadurch die Tugend seiner europäischen Frau noch bei weitem überträfe. Zwei Jahre warten sei mit der Ewigkeit nicht zu vergleichen, in welche sich jene auf gut Glück stürzten, um die Seele der Geliebten einzuholen, und er könne immer ein paar Jahre daranwenden, um solch eine Frau für die Ewigkeit sich zu verdienen, der er willig seine sämtlichen alten Glaubensbekenntnisse aufzuopfern dächte.
Diese ironischen Äußerungen möchten wohl das einzige ihm entschlüpfte Zeichen des Unmuts über die Verheiratung seiner Frau gewesen sein, wenn ich aber der Heftigkeit seines Wesens in Brüssel gedenke, als er jene Entdeckung gemacht, so möchte ich fast glauben, daß nur sein großer Lebensmut ihn damals der Verzweiflung entrissen.
Als ich nach Chardin fragte, erfuhr ich, daß er gleich nach einer Serenade, die er uns gebracht, sich auf ein frisches, gekauftes Pferd gesetzt hatte und ohne Begleitung fortgeritten war.
Wir hatten keine Zeit, ihm in unsrer Betrübnis nachzublicken, der Marquis trieb zur Abfahrt. Wir kamen glücklich über die Grenze und ohne Unfall nach Amsterdam, wo wir die Marquise, meine Schwiegermutter, von unsrer Ankunft sehr überrascht fanden, da unser Fluchtgeheimnis keinem Briefe anvertraut werden durfte.
Sehr verwundert erkannte sie in ihrem Schwiegersohne die vermeinte zweite Frau ihres ersten Mannes.
Sie schämte sich der Vertraulichkeit, die sie mir bewiesen, aber die Ereignisse waren doch wohl zu bedeutend, um solchen kleinen Grillen nachzuhängen. Gut war es, daß Chardin sich aus diesem Weltteile fortgeschlichen hatte, meine Schwiegermutter hätte sich sonst so wenig entschlossen wie der Marquis, beieinander verehelicht zu bleiben. Jetzt aber beruhigte sich meine Schwiegermutter mit dem Gedanken, der Mann sei gar nicht so ernster Entschlüsse wert gewesen, er sei nichts als ein Spaßmacher, ein Komödienspieler, eine Maske gewesen.
Ich und meine Frau sind nicht dieser Meinung, aber warum sollten wir sie stören, gewiß aber ist es, daß ihr Ernst und sein Mutwille nicht zusammen gehörten.
Chardin ist auf einem portugiesischen Schiff glücklich entkommen, er schickte ein heitres Schreiben durch ein begegnetes heimkehrendes holländisches Schiff mit mehreren Krügen eingemachter ostindischer Früchte, die er dem Holländer abgekauft hatte. Eben fütterten wir einander damit, meine Frau und ich: Wunderbare süße Früchte – doch kaum so wunderbar, so süß wie meine Laura.