Achim von Arnim
Die Kronenwächter
Achim von Arnim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierte Geschichte
Schloß Hohenstock

Der Reisewagen schwankte heftig ungeachtet des langsamen Fahrens über die rohen Steingerölle, die im Bergwege lagen, daß Berthold längst mit der Frau Anna ausgestiegen war und sich zu dem Ehrenhalt und Grünewald (der als Tirolerin gekleidet) gesellt hatte, die neben dem Wagen gingen und mit einander den Wagen durch Stricke, die sie an beiden Seiten angebracht, vom Umsturz abzuhalten suchten. »Das ist ein Mordweg!« sagte Anna. – »Es ist noch nicht unser schlechtester Weg«, meinte der Ehrenhalt, »so kann er freilich nicht in Ordnung gehalten werden, wie die Wege nach Augsburg, hier fährt kein Güterwagen, kein Reisender, zum Holzfahren ist er immer noch gut genug.« – »Warum bleiben wir nicht hier oben«, fragte Grünewald, »der Wald ist kühl, die Erdbeeren reif und mein Blumengewinde wächst mir immer wunderbarer in der Hand, daß ich Euch endlich damit umgürten muß, Frau Anna. Weilt hier. Der grün bewachsene, meilenweite Sumpf da unten ist für die Kiebitze, die darüber schreien, daß die Leute ihnen ihre sommerfleckigen Eier nehmen. Und was ist das für ein Schwalbennest in der Mitte, sieht aus wie eine gebrochene Kinnlade mit schwarzen Zähnen, da möchte ich nicht begraben sein.« – Der Ehrenhalt verwies sie als eine unverständige Närrin zur Ruhe, bei ihrem Kuhmelken und Pomeranzenverkauf werde sie viel wissen, was zu einer Ritterburg gehöre. »Seht Herr«, sagte er zu Berthold, »das ist Hohenstock, weil der Fels, worauf es steht, wie der Stock eines Baumes aus dem tiefen Bruch heraus sieht. Das ist gegen jeden Angriff sicher, wenn die Brücke und der einzige Damm zerstört sind, der bis dahin führt. Durch den Sumpf watet kein Mensch und die warmen Quellen hindern, daß er je zufriert; der Kaiser mag klug sein, aber wäre er recht gescheit, so setzte er sich in Ruhe auf Hohenstock, würde einer der Unsern und ließe die regieren, die dazu geboren sind. Bei uns da ist alles im Überfluß, was sich ein Mensch wünschen kann, Fische, Wildbret, Früchte, auf der Welt gibt's keine fruchtbarern Gärten, als die Ihr so rings an dem Schloßfelsen glänzen seht. Gott gebe, daß ich von der Wacht auf der Kronenburg entlassen, dort endlich in Ruhe meine Tage beschließen kann.« – Berthold und Anna wollte das Schloß nicht so erfreulich erscheinen, doch äußerten sie nur, daß ihnen der Bau gar seltsam verwirrt scheine, die Gebäude lägen in allerlei spitzen Winkeln, selbst in Krümmungen an einander, wie Kinder in ihren Spielen zu bauen pflegen. – »Das versteht unser einer nicht«, antwortete der Ehrenhalt, »aber seht, das große Schloß nach dieser Seite gehört Eurer Linie, und das kleinere drüben gehört dem Grafen Rappolt, und in dem Mittelschlosse ist die Kapelle und der Waffensaal.« – »Vom Grafen Rappolt habt Ihr mir nie ausführlich gesprochen«, sagte Berthold. – »Es ist nicht viel von ihm zu sagen«, antwortete der Ehrenhalt, »als daß er Euer Oheim ist, er ist meist verwirrt im Kopfe und was ihm allen Verstand nimmt, ist die Liebschaft zu seiner Ausgeberin Itha, die sein Sohn nicht mehr bei ihm dulden will, weil sie dem alten Manne alles abstiehlt und den Ihren zusteckt. ihr müßt ihn wohl besuchen, aber weiter kümmert Euch nicht um ihn, es kommt nichts dabei heraus, als daß Euch der alte Herr leid tut.«

Ein Wächterhorn von der Dammwarte verkündete ihre Ankunft nach dem Schlosse, als der Weg anfing, gepflastert zu sein. Alle stiegen in den Wagen und nun ging es fast eine Viertelstunde in vollem Lauf über den hohen Damm, der an beiden Seiten mit Obstbäumen und Weiden besetzt war, und über Brücken dem Schlosse zu, dessen hohe Lage sie erst jetzt in der Ebene erkannten.

Endlich rollten sie durch das enge Tor und da ging es langsam durch den schmalen Burgweg hinauf, der allmählich ansteigend um den Felsen lief, auf einer Seite von Mauern mit Türmen gedeckt, auf der andern Seite mit kleinen Häusern und Ställen besetzt, vor denen Landleute in so schlechter Bekleidung standen, daß die Städter sie für Bettler hielten. »Nein«, sagte der Ehrenhalt, »das sind in ihrer Art sehr reiche Leute, aber sie gehen gern bequem in ihren Kleidern und mögen sich ihr gutes Zeug nicht verderben; die haben mehr aufs Brot zu schmieren, als Eure Federhänse in der Stadt, die sich vor Gott mit dem Sprichwort rechtfertigen: Ein jeder sieht den Kragen und keiner in den Magen.« – Der Wagen hielt vor dem alten Schlosse und sie traten in große, gewölbte Zimmer, die nur von sehr kleinen, ohne Regel verteilten Fenstern erhellt waren, aber die Aussicht war schön über die grüne Fläche nach dem Gebirge, ein grünes Meer voll Vögel, statt der Fische. Auf eigensinnige Art war der Boden zwischen den verschiednen Zimmern verungleicht, es mußten immer Stufen gestiegen werden, um aus einem Zimmer ins andre zu gelangen. Große, schwere Schränke von Eichenholz, mächtige, gepolsterte Lehnstühle, große, runde Tische und ein Bette, in dem wohl viere Raum hatten, zierten das größte, mit achteckigen Steinen gepflasterte Zimmer. »Hier ist das Schlafzimmer für die Gäste«, sagte der Ehrenhalt, »laßt Euch ja nicht merken, daß Ihr eigentlich hier mehr zu befehlen hättet, sonst müßt Ihr hier bleiben gegen Euren und meinen Willen.« Anna erbleichte etwas, sie schrieb es dem mit Kalmus bestreuten Boden zu, auch war mit Wacholder geräuchert, weil das Zimmer so lange unbewohnt geblieben. Anna sah zum Fenster hinaus, um eine gewisse Beklemmung ihres Herzens aufzulösen, aber sie mußte es vor aufdringendem, üblen Geruche schließen. »Ihr müßt Euch nicht verwundern«, sagte der Ehrenhalt, »da unten ist der große Hundestall, doch wenn er Euch lästig, so schaffen die Knechte morgen alles fort. Kommt heute zu dem Oheim im zweiten Anteile, doch muß ich Euch vorher sagen, die vielen Kinder, die da herumfaulenzen, sind keine echte, das ist so uneheliches Zeugs, von ihm und der Frau Itha, seiner Ausgeberin, und Gott weiß von wem noch sonst; haltet Euch die vom Leibe, die schnüffeln und betteln überall, sind Wild- und Fischdiebe, wie keine auf der Welt; wenn der alte Graf ihnen nicht täglich die Haut gerbt, so behält der erste Anteil nichts.«

Nachdem Berthold und seine Frau angemeldet waren, so traten sie in das Zimmer des alten Oheims, der ihnen wie ein ernstes Knochengerippe von einem Riesen der Vorzeit entgegen trat und sie feierlich, doch verlegen, nicht als Verwandte, sondern als Fremde begrüßte. Es wollte sich kein Gespräch anknüpfen, der Alte brummte einige unverständliche Höflichkeit, während Berthold und Anna mit Verwunderung das Zimmer überblickten. Ein kleines Mädchen futterte da unzählige, junge Hühner, während die alten Gluckhennen gegen einander eiferten, eine Mästgans wackelte auch herbei und die Nudeln, mit denen sie genudelt werden sollte, dunsteten mit schrecklichem Geruch von dem scharf geheizten Stubenofen, in welchem gebacken wurde, während die Fenster gegen die Sommerhitze verschlossen waren. Drei alte, fette Hunde, deren Haar vom steten Liegen abgerieben war, bellten von den schmutzigen Polsterstühlen, indem sie sich ausstreckten, an der Decke wankte ein großer Wermutbüschel mit den Fliegenleichen und eine Wetterdistel drehte sich, als ob sie ein nahes, böses Wetter verkündigte. Sollte dies aber aus einer Weltgegend kommen, so mußte es zunächst von Frau Itha ausgehen, die im Hintergrunde den geschundnen, blutigen Körper eines Hasen spickte. Dies Ungewitter mit starken Schlägen traf aber ein etwas erwachsenes Mädchen, das sich an Anna heran geschlichen hatte und ihr die Röcke sacht von der Seite ein wenig aufhob, um zu sehen, von welchem Zeuge ihre Unterröcke wären, denn das erklärte sie jetzt unter der peinlichen Backengerichtsordnung der Mutter, als einzigen Grund ihrer heimlichen Bestrebungen. Der alte Rappolt wollte gern Frieden stiften, drückte aber dabei vorsichtig wie eine Katze, die Schläge fürchtet, die Augen zu, auch wurde seine Vermittelung abgewiesen. Dagegen stiftete sich sogleich Friede, als ein junger, derber Bursche Frau Ithen mit den Worten in die Hände griff. »Mutter, Sie ist verrückt, was sollen die fremden Leute von Ihr denken, Sie meint noch immer, daß Sie die Schweine unter sich hat, geh Sie mit Ihrem Küchenschmutz in die Küche.« Frau Itha entschuldigte sich und ging fort, der alte Rappolt sah mit dankbarer Rührung den höflichen Jüngling an und erklärte sich offner gegen Berthold. Die gute Frau sei sehr heftig, aber sie sei sein einziger Trost, er müsse beherrscht werden, Gram nehme ihm die Besinnung, und ohne ausgezankt zu werden, komme er zu keinem Entschlusse. Sie sollten sich vor den Kronenwächtern in acht nehmen, fuhr er nach kurzem Stillschweigen fort, eben so auch vor den andern. Er habe einen schönen Sohn von seiner verstorbenen, geliebten Frau gehabt, mit Namen Friedrich, den hätten sie zuerst auf der Kronenburg erzogen, der sei von einem fremden Ritter in das Wasser gestürzt worden, er habe es unter der Hand erfahren. Darauf er nach langen Jahren Zwillingssöhne, Anton und Konrad bekommen. Bald hätten ihm die Kronenwächter seinen kräftigen, hell gelockten Anton genommen und der sei entflohen, kein Mensch wisse wohin, nun sei ihm nur noch Konrad übrig, der sei ein dürrer Neidhart von Jugend an gewesen und werde jetzt auf der Kronenburg erzogen, wolle da nicht mehr gut tun, sie würden ihn auch bei Seite schaffen. Als er dies beendet, fiel er in ein Weinen und der Bastard riet Berthold fortzugehen, »denn«, sagte er, »kommt Vater auf die alten Geschichten, da weiß er nicht mehr, was er will, da kann die Mutter kaum mit ihm fertig werden, da will er Waffen anlegen und darf doch nicht heraus. Er hat einmal in seinen frühern Jahren die Kronenburg verraten wollen, ist im unterirdischen Gang im Sperrwasser gefangen und aufgefischt worden, seitdem mußte er hier hocken. Sie wollten nur Söhne von ihm haben, dann, sagten sie, wollten sie ihn hinrichten. Wie ginge er so gerne auf die Jagd, aber er darf nicht heraus, da sieht er drüben die Hirsche am Gebirge sich sonnen, seht Ihr, wie er hinsieht, er kennt sie alle am Geweihe, er darf aber nicht heraus. Das hat ihn so unsinnig gemacht.« – »Aber hört er denn nicht, was du jetzt sprachst?« fragte Berthold, indem er mit Annen fortging. – »Kein Wort hört er, wenn er so in sich versinkt«, antwortete der Knabe und nahm Abschied.

Berthold und Anna sahen einander verlegen an, als sie auf ihrem Zimmer allein waren, Anna war sehr enttäuscht von den hohen Erwartungen gräflicher Herrlichkeit, Berthold warnte sie. gegen niemand davon zu reden, sie ständen in einer unerbittlichen Gewalt. Die Tirolerin kam jetzt herein und brachte viele Nachrichten von der Burgverfassung. Eben seien wohl zehn Raubgesellen in Dienst genommen, um einen Nachbarn, der sich gegen die Bauern vergangen, das Vieh wegzutreiben, die tobten und tanzten in der Gesindestube, niemand höre ohne Fluchen und Schläge, was ihm gesagt würde: der eine habe ihr das Essen umgestoßen, weil er sie durchaus küssen wollte. Die Rosse lägen im Hofe, daß niemand gehen könne, die Hunde heulten und bissen aus allen Ecken, und die Enten stürmten die Küche, der Ehrenhalt sei fort und sie wisse keinen andern Rat, als daß sie drüben aus der Küche sich etwas ausbäte, um ihre Herrschaft zu speisen.

So waren beide genötigt, bei Frau Itha anzusprechen, die eben in dem Kreise mehrerer andrer Frauen beim Mahle saß, die sie ihnen als die Weiber von Kronenwächtern vorstellte, welche dahin gekommen, um ihren Männern weiße Wäsche zu bringen. Alle fielen über Anna her, sie zu herzen und zu küssen. Der Becher ging fleißig umher, Frau Itha ging zuweilen in die Schlafkammer, wo der Alte jammerte, und brachte ihm etwas, klagte aber dann bitterlich zu Annen, was sie für einen alten, gebrechlichen Herrn habe, wie der sie plage, da sei sie mit ihrem Berthold besser versorgt. Nun erzählten die Frauen von den Taten ihrer Männer: wie vielen Herren der eine gedient habe, ehe er von den Kronenwächtern aufgenommen sei, wie der andre einen Mauren im Zweikampfe erlegt habe, wo ein dritter unter den Schweizern gegen den Herzog von Burgund gefochten und das Gold nachher in Metzen ausgemessen habe. Der Ehrenhalt betrat jetzt das Zimmer, wurde von allen gar ehrfurchtsvoll begrüßt, die Frauen baten ihn, seine Geschichten im Morgenlande zu erzählen, wie er dem Emir, bei dem er gefangen, mit einem silbernen Becher den Hals zerhauen habe, worin ihm dieser Wein unter Verwünschung des Christentums gereicht, und wie er auf dem Pferde des Emirs der Strafe und der Gefangenschaft zugleich entkommen sei. Es wurde, als dieser Alte erzählte, eine lebendige Freude ausgegossen, jeder fühlte sich größer, nur Berthold fühlte sich unendlich gering, daß er noch nichts Kriegerisches getan. Noch schmerzlicher fühlte er sich gekränkt, als Frau Anna, die ihren Mann gern auch empfehlen wollte, mit der Turniergeschichte in Augsburg anrückte. Da riefen alle, es sei schade, daß er nicht einen Tag früher gekommen, es hätten gestern nahe der Burg ein paar Ritter auf Leben und Tod mit einander gerannt und wären beim zweiten Anlauf auf dem Platz geblieben, durch ihre Spieße unauflöslich verbunden.

Als sie alle auseinander gegangen, mußte Berthold eingestehen, so seltsam dies Völkchen sei, so stehe doch jeder fest auf seinen Füßen und wisse seine Bahn; er möchte gern auch im Kriege sich versuchen und wisse nicht, wie er es anfange. Anna dagegen wünschte sich und ihn von Herzen aus diesem Kreise, aus dieser Gegend fort, sie behauptete, daß die armen Spinnerinnen in Augsburg in ihren Spinnstuben nicht so roh und gemein, so grob und frech sich ausgedrückt hätten, wie diese edlen, ritterlichen Frauen, Berthold habe nur nicht alles gehört, was sie leise unter einander und zu ihr heimlich gesprochen hätten. Berthold wollte ihren Wunsch, bald abzureisen, gern erfüllen, nur bat er sie, ihn nicht so kund werden zu lassen, auch die Wände hätten da Ohren, das ganze Schloß sei von geheimen Gängen durchzogen, diesen sei alle Schönheit und Regelmäßigkeit aufgeopfert, das habe er endlich durch seine Kenntnis vom Bauwesen herausgebracht.

Am andern Morgen fragte Berthold den Ehrenhalt, ob er nicht den Zug gegen die Nachbarn mitmachen könne, wozu schon Leute geworben wären, die gestern im Schlosse gelegen. Der Ehrenhalt lächelte ihm zum erstenmal recht freundlich zu und sprach: »Es ist recht, daß ihr etwas tun wollt, was vor der Welt besteht, der alte Hohenstaufe regt sich in Euch, im Kriege macht der Mensch sein Schwert zum Maßstab der Welt und mißt alles nach seiner Elle von vorne durch, so kommt alles in die Lage, wie es ihm gefällt; er braucht nicht mehr zu denken, ob er es allen Leuten recht macht, die Leute müssen ihm tun, wie er ihnen tut. Was aber den Zug von gestern abend angeht, so ist der schon zurück und die Leute sind entlassen. Unser junger Graf Konrad hat einmal wieder schlimme Streiche gemacht, Ihr werdet das saubre Früchtchen heut noch sehen, ein rechter Lilaps und Hannepampel. Kaum war der Zug beim Lug, so sah der Graf im Vollmondschein ein aufgeschürztes Mädchen darin stehen, die Sumpfgras in ihre Kiepe für die Kühe ihrer Mutter schnitt. Gleich war er verliebt, rief sie zärtlich und als sie ihn verlachte und verhöhnte, weil er schwerlich ihr da durch das Wasser nachsteigen konnte, wo diese armen Leute seit erster Kindheit Steg und Weg auswendig lernen, so beschoß er sie mit stumpfen Bolzen, als wäre sie eine Festung. Das Mädchen war aufgeschürzt und schrie ach und weh, und suchte nach der andern Seite zu entkommen. Er setzte ihr mit den Reisigen wie einem Hirsch nach, der ins Wasser getrieben, ein paar stürzten, endlich fing er das arme, ganz erschöpfte Mädchen und brachte sie zu einem Einsiedler, der eine Art Possenreißer ist. Da wurde getafelt und getobt, daß ein frommer Reisiger, der draußen blieb, bei dem nächtlichen Sturm jeden Augenblick meinte, der Teufel werde die ganze Gesellschaft holen. Statt des Viehes bringt uns der Graf heute das Mädchen auf das Schloß, das er nicht lassen will und das doch zu den Ihren verlangt. Zum Glück schicken ihn die Kronenwächter bald fort zum Herzog Wilhelm von Bayern, er soll da dem Schwäbischen Bunde dienen und die tollen Hörner sich ablaufen. Vielleicht läßt sich etwas erreichen und auch Ihr sollt dann dazu wirken. Der Schwäbische Bund ist auf unsrer Seite, wie wir sicher glauben, Herzog Ulrich feindet ihn an, es brechen gewiß Streitigkeiten aus, der Herzog wird verjagt, der Kaiser stirbt bald, wir beherrschen das Land, vielleicht könnt Ihr in Eurer Stadt mehr dabei wirken, als unter den Reitern, wir brauchen auch Männer von der Feder, der Hutten führt sie zu wild und unbändig.«

Die Tirolerin kam jetzt aus der Küche hereingeflüchtet, Graf Konrad hinter ihr her, der ohne Aufhören schrie: »Sie hat einen Bart!« Der Ehrenhalt trat ihm entgegen. »Nun Graf, ich dächte, Ihr hättet heute keinen Grund, so laut zu krähen, der Zug ist schlecht ausgefallen, Ihr müßt fort von hier, die Briefe sind geschrieben, Ihr sollt zum Herzog Wilhelm von Bayern, doch lernt vorher noch anständig sein im Hause des ersten Anteils.« – Graf Konrad war schnell wie verwandelt, er entschuldigte sich mit der Seltsamkeit des Bartes an einem Mädchen, das noch so jung scheinen nahm gar artige Stellungen an und fiel Frau Annen gar nicht unangenehm in die Augen. »Er gleicht dem Malerburschen Anton«, fiel ihr ein, aber sie wagte es nicht auszusprechen, weil sie dem Manne nichts von der Geschichte am Morgen der Hochzeit erzählt hatte. Auch Berthold dachte umher, bis ihm die Ähnlichkeit mit Anton einfiel, während er den Grafen begrüßte. Die Tirolerin war bei Konrad gleich vergessen, und Grünewald kam diesmal mit dem Schrecken davon, erkannt und vielleicht sehr hart bestraft zu werden. Graf Konrad strengte alle seine Erfindung an, um durch artige Feste den Tag zu verschönern.

Er ritt mit Berthold und Anna zur Jagd, aber ein paar Gewitterschläge brachten so unglaubliche Regengüsse, daß sie in wenig Minuten ganz durchnäßt den Damm zur Heimkehr suchten. Ihr Weg führte sie an dem Felde vorbei, das zu Hohenstock gehörte, wo die Schnitter eben mit der Ernte beschäftigt gewesen, von bewaffneten Reisigen bewacht. Aber hier hatte der Himmel mit seinem Feuer gegen die Erde geschlagen, es brannte ein abgestorbner, wilder Birnbaum und der Hagel schüttete sich aus der Wolke wie aus einem zerrissenen Säetuche über die Weizenähren. Die Jagdgesellschaft mußte von den Pferden steigen, weil diese wild wurden, die Landleute deckten ihre Kinder mit Schürzen zu, aber alles schrie jammervoll. Nur zehn Minuten mochte der Hagel geschlagen haben und die Ernte, der Lohn eines mühevollen Jahres war wie von einem Kriegsheere in den Boden gestampft und zerstreut. So lange das Wetter so währte, war Konrad gar kleinmütig, fragte wohl gar wegen des Jüngsten Tages bei Berthold nach. Aber kaum verwandelte sich der Hagel in Regen, der Regen in Sonnenstrahlen, so kannte sein Mutwillen keine Grenze. Abgefallene Kappen und Hauben der Landleute spießte er sein Jagdspieß, hetzte mit seinem Pferde die Kinder wie Hasen, daß endlich Berthold seine Mißbilligung nicht länger zurückhalten konnte. Konrad fuhr mit häßlichen Reden gegen ihn an, nannte ihn einen Wolkenkratzer und Federfuchser, was Frau Anna so beschämte, daß sie in Tränen und dann in die Worte ausbrach: »Wie dürft ihr einen der Euren so schelten!« – Nun hielt sich Berthold nicht länger, er sagte, daß ein bedeutendes Geheimnis verraten sei, er möchte es verschweigen und seinen Hochmut bezähmen. Aber um so ärger verhöhnte ihn Konrad, schwor darauf, er sei von den Kronenwächtern zum besten gehalten mit seiner hohen Abstammung und dafür wolle er ihn sogleich aus dem Paradies verjagen, wo er sich fälschlich eingeschrieben habe. Dabei machte er eine Bewegung, als wolle er Berthold mit entehrenden Schlägen angreifen. – Berthold, dessen unruhiges Pferd seine Aufmerksamkeit forderte, hatte diese Tücke Konrads nicht beachtet, hatte nicht bemerkt, daß Frau Anna im Zorne ihr Messer gezogen und ihrem Berthold zum Schutz vor ihm schirmend gehalten, daß jener es sich durch die Hand geschlagen und nun erst den gewaltsamen Schmerz dieser Wunde fühlte. Da war ihm aller Mut gefallen, er bat um sein Leben, er bat jammernd um Verzeihung, um Hülfe, um einen Wundarzt, er verschwor sich bei allen Teufeln, daß er immer Unglück habe. Berthold meinte erst, daß Konrad von einem Blitzstrahl getroffen sei, jetzt aber sah er das blutige Messer in ihrer Hand und erkannte es gleich als jenes, das er bei dem Schatze gefunden hatte, und die Verwunderung darüber machte ihn einen Augenblick untätig. Dann aber kam er dem schwachmütigen Konrad zu Hülfe, verband seine Wunde mit allem Fleiß und suchte ihn zu trösten, die Hitze habe sein Gemüt verwirrt, er möchte sich heimführen lassen und sich zu beruhigen suchen.

Grünewald, die Tirolerin, hatte, ehe es noch so weit gekommen, den Ehrenhalt, der bei den Wachen der Schnitter sich befand, in großer Eile herbeigerufen. Dieser kam eilig geritten und machte Konrad ernste Vorstellungen, daß er überall Händel anfange und überall in den Händeln schlecht bestehe. Konrad war noch in der Periode der Schwachherzigkeit, er weinte über sein Unglück, bat tausendmal um Verzeihung und machte dem Ehrenhalt nur sanfte Vorwürfe, daß er ihm nicht anvertraut habe, diese Fremden seien mit seinem Hause verwandt. – »Wir sind's nicht«, sagte Berthold, der lebhaft das Versehen seiner Frau einsah, »wir rechnen uns nur zu den Euren, weil wir seit vielen Jahren jeden, der uns von hier gesandt, gastfreundlich aufgenommen haben, und so sollt auch Ihr uns willkommen sein, wenn Euch der Weg durch Waiblingen führt.« – Nach diesen Worten wuchs dem Konrad wieder Hochmut, das Blut der Wunde war gestillt, er schwang sich auf sein Pferd und ritt davon, indem er zum Ehrenhalt sagte: Er möchte erkennen, daß ihr Haus durch die Verbindung mit solchen Leuten keine Ehre gewinnen könne, er müsse mit der meuchelmörderisch ihm vielleicht für immer unbrauchbar gemachten Hand heimreisen, und das Volk lebe schon mehrere Tage auf Kosten seines Hauses. Berthold fand sich tiefgekränkt, er schwor, daß dieser junge Hochmut eine Art habe, seinen Zorn zu erregen, wie ihm nie etwas begegnet sei, er fühle sich auf ihn gehetzt, wie der Jagdhund auf die Fährte des Wildes, ohne genau zu wissen warum. – »Einem Verwandten läßt sich doch eher, als jedem andern, eine Kränkung überhören«, antwortete der Ehrenhalt, »doch daran erkennt Euer Blut, woraus Ihr stammt; lernt es fürchten, denn selten begegnen sich zweie der Euren in Frieden und Einigkeit. Es führte uns zu weit, Euch den Grund und die Veranlassung dieses Zwistes aus fernen Zeiten zu erzählen, es sei genug, Euch zu warnen; in diesem Zwiste ist alles untergegangen, was die Kronenwächter und alle edlen Geschlechter, die ihnen anhangen, für die Euren unternommen und beabsichtigt hatten. Die Kronenwächter trennten deswegen die verschiednen Zweige, ließen viele in der Unwissenheit, daß sie zu diesem Geschlechte gehörten, sorgten aber für ihre Aufziehung, daß sie brauchbar sich fänden, wenn die Stunde schlägt. Aber auch mit diesen, wenn sie zufällig einen der Unsern berührten, brach Streit aus und Blutvergießen. Frau Anna hat ein Wort fallen lassen, daß Euch großes Unheil droht! Können wir hier alles bewahren? Kann nicht eine Stunde kommen, wo Konrad Euch überfällt in der Sicherheit, im Schlafe; können wir doch kaum Frau Itha gegen ihn schützen, die schon einmal am Felsen mit ihm rang, als er sie herunter stürzen wollte. Ihn bändigt nur der Schrecken in seiner Seele, da schwankt er in seinen boshaften Entschlüssen, Mitleid und Edelmut sind ihm fern. Herr Berthold, Ihr müßt fort, Ihr dürft noch nicht untergehen, wir brauchen Kinder von Euch, Ihr seid hier nicht sicher, ich geleite Euch mit der Frau nach Isny, die Tirolerin mag den Wagen mit Euren Sachen nachfördern!« – »Nehmt mich mit«, rief die Tirolerin, »der böse Bube verfolgt mich überall.« – »Seid ruhig«, sagte der Ehrenhalt, »ich empfehle Euch meinen Waffenbrüdern, sie kennen ihre Pflicht. – Der Besuch war nur kurz«, fuhr der Ehrenhalt fort, »aber Ihr kommt nicht um Euer Erbteil, guter Berthold, es kann die Zeit der Not kommen, die Euch hieher treibt, Ihr wißt die Wege und habt hier den Reichtum an allem, was der Mensch zu seinem Unterhalt fordern kann, übersehen; dies Feld ist verhagelt, der Weizen nährt die Hirsche und Eber, seht, wie sie schon herandringen, nun sie nicht mehr zurückgejagt werden, aber jenseits des Waldes sind unsre Felder noch unversehrt, die Schnitter ziehen dahin und gingen auch diese durch die Witterung verloren, so schützen uns Vorräte auf zehn Jahre gegen jeden Mangel. Der ganze Felsen von Hohenstock ist innerlich zu einem großen Vorratshause ausgehöhlt, da können wir uns ruhig belagern lassen. Hier, wo sich der Wald öffnet, senkt noch einen Blick auf Hohenstock, verwundert Ihr Euch?« – »Es liegt in einem großen See«, rief Berthold, »kaum ragt der hohe Damm über das Wasser hinaus.« – »Seht«, fuhr der Ehrenhalt mit Behagen fort, »so etwas habt Ihr weder in Waiblingen, noch in Augsburg gesehen; der Wolkenbruch hatte unsre Fischweiher zwischen den Bergen zum Überfließen angefüllt, auch ist einer ganz abgelassen, um Fische für die Ernte zu geben, so können wir unsren Sumpf künstlich anfeuchten, wenn je ein seltsam trocknes Jahr seine Oberfläche zu erhärten drohte, daß Feinde sich darüber hinzugehen wagen möchten. Aber das denkt Euch einmal, was bei dem wildesten Gewässer, beim dichtesten Walde, bei dem höchsten Berggipfel nicht gedacht werden kann, so lange die Erde steht, ging nie ein Menschenfuß über diese Fläche, als nur auf dem einzigen Wege, auf dem Damme, den der Teufel erbauen half, aber freilich zur Mitgabe Zank und Streit in dieses Geschlecht pflanzte, indem solche wunderbare Liebe für diesen wunderbarsten Fleck der Erde entstand, daß jeder ihn allein und einzig zu besitzen trachtete.« – »Ja, es ist seltsam«, sprach Berthold, »nun ich auf längere Zeit von dem wunderbaren Schlosse Abschied nehme, quält es mich recht innig, daß ich nicht zum ausschließlichen Besitz desselben kommen kann, ich möchte dem Rappolt seinen Anteil mit meinem Hause abtauschen, geht das wohl?« – »Nimmermehr!« antwortete der Ehrenhalt. – »Gott behüte mich vor dem Neste!« fuhr Anna heraus, »das schöne Haus in Waiblingen, wer möchte es mit dieser Vorhölle der Langeweile vergleichen; ich atme erst wieder frisch, seit ich weiß, daß wir es so bald nicht wieder sehen; noch schwebt mir aller üble Geruch, das rohe Wirtschaften der Menschen, ihr Absterben in der Trennung von aller Welt deutlich vor, jeder sorgte nur für Essen und Trinken und aß und trank, und der Hochmut der Frauen und der steinerne Boden in den Zimmern, der wahnsinnige Alte, der Wacholdergeruch, die fischig riechenden Netze an allen Bäumen aufgehängt, der Kot überall, wo ein Mensch noch zu gehen Lust hatte, das Zanken und Schlagen mit den Dienstleuten, die doch nicht des Herrn Willen taten, das Diebswesen und die Heuchelei; wo in den Städten findet sich das alles so zusammen, wie in diesem Landleben.« – »Frau Anna«, sagte der Ehrenhalt, »Ihr werdet sicher noch einmal wünschen, hieher zurück zu kehren, verscherzt das nicht, Ihr wißt doch nur erst wenig von unserm Burgleben, das Jahr ist uns eine Tat, die uns vom Beginnen bis zum Schluß unter Arbeit und Festen an sich fesselt, als gehörten wir notwendig zur Welt, ja wir fühlen uns Mitschöpfer und Mitgeschaffene zugleich. Wer hat Euch die Grillen in den Kopf gesetzt?« – »Jeder, der mir begegnete«, rief Anna, »machte mich zum Vertrauten seiner Sorge, seiner Bosheit; seine Absichten schienen durch jede Verleumderei und doch wollten sie deren nicht Worte haben. Wie viele heimliche Liebeshändel, wie viel Eigennutz in der Liebe!« – »Sie sind wie die Kinder geblieben«, sagte der Ehrenhalt, »sie müssen bis an ihr Lebensende erzogen werden, sie sind Bauern, sie werden nie mit sich fertig, noch weniger mit ihren Wünschen und mit ihren kleinen Feindschaften, aber eben, weil sie nie zu leben aufhören, ist auch jedes neue Leben von ihnen zu fordern und durch sie zu fördern. Gebt acht, was Eurem Hause die Bauern werden bringen, wenn sie mit Macht und Andacht sich für die Euren erheben. Ihr werdet Euch schon eines andern bedenken, und vergeßt nicht, zu schweigen.« – Jetzt drängten sich einige Kinder zu Annen hin, denen sie im Schlosse einige kleine Gaben geschenkt hatten, sie weinten und wollten sie nicht abreisen lassen. »Wir haben wir hier so schnelle Freunde und Feinde gefunden«, sagte Anna, »sieh, wie die Kinder uns mit Gewinden von Kornähren fest zu halten suchen.« – »Die Blumen hat der Hagel nicht erschlagen« sagte die Tirolerin, »Ihr weint liebe Frau, erlaubt mir, daß ich in Eurem Namen und in Eurem Grame dem Schloß einen Abschied singe:

        Nun ade, du altes Schloß,
Das da über mir gehangen,
All mein Hoffen und Verlangen,
War auch nur ein Wolkenschloß,
Nun ade, ihr ew'gen Quellen,
Die ich gähnend angesehen,
Wenn ich hier nicht werde gehen,
Höret nicht zu fließen auf,
Denn die Welt hat ihren Lauf.

Nun ade, du Berg und Tal,
Die um Waldes Lieblichkeiten
Ihre Felsenarme breiten,
Ihr seid doch wie überall,
Nun ade, ihr Kindlein kleine,
Euch alleine will ich grüßen,
Für die Gaben laßt euch küssen,
Wißt nichts von des Schlosses Qual,
Seid wie frisches Grün im Tal.

Nun ade, du alte Zeit,
Die in ihren Mutterarmen
Sehnlich trug ein tief Erbarmen,
Mich zu trösten war bereit,
Aber gar nichts konnt ersinnen
Und mit mir fing an zu weinen,
Tränen froren im Besinnen,
So fiel Hagel mir zum Heil
Und zerschlug die Langeweil.«

Anna küßte erheitert die Tirolerin zum Dank und Abschied, der Ehrenhalt mochte über sie schelten, er mußte sie doch nach dem verwünschten Schlosse hinsenden, um Annens Reisegerät einzupacken, während er mit Berthold und Anna die unbequeme Landstraße übers Gebirge einschlug.


 << zurück weiter >>