Achim von Arnim
Die Kronenwächter
Achim von Arnim

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Sechste Geschichte
Der Mahlschatz

Frau Zähringer erwachte, als die liebe Anna eben eingeschlafen war; sie sah die Tochter neben sich, als sie eben über ihre Abwesenheit nachdenken wollte, und die Begebenheiten des vorigen Tages gewannen das Ansehen eines Traums. Sie stand auf und schlich nach dem Zimmer Bertholds herauf, blickte durch das Schlüsselloch und sah, daß er auch ruhig in seinem Bette liege. Da schien es ihr Gewißheit, daß sie sich nur mit einem bösen Traume geplagt habe. Sie ging herunter und schämte sich, weckte die Tochter, die auch keine Lust hatte, von der Geschichte anzufangen, so wenig wie Berthold, der auch zum Frühstück gerufen wurde. Die Leute Kuglers weckten sie aus dieser guten Meinung, sie verlangten von ihr Rat und nun entwickelte sich das Geheimnis. – Berthold erfuhr jetzt erst, daß Kugler ihn in Waiblingen suche, er fürchtete, daß seine Mutter erschrecken möchte, und behauptete, daß er nur durch ein eiliges Nachreisen das Ungewitter zerstreuen könne. Frau Zähringer gab ihm recht, und Anna wußte nichts dagegen zu erinnern, doch äußerte sie die Meinung, daß sie ihn gern begleiten möchte. Berthold faßte das auf und suchte der Mutter und Tochter zu beweisen, daß sie nichts in Augsburg hielte, Kuglers Wirtschaft würde dessen Schwester gern führen die eigne Wirtschaft sei schnell geordnet, die Mutter kenne Waiblingen, und selbst wenn sie in seinem Hause nicht zu wohnen Lust hätte, so sei doch eben so leicht ein eignes Haus für sie zu finden. In Apollonien sprach eine alte Liebe zu dem Orte für den Vorschlag, sie ließ sich noch erst recht lange bitten, bis Berthold ihre Einwilligung erzwang. Es wurde ein Fuhrmann aus der Nachbarschaft gemietet, mit großer Hast alle Kleider, Betten und Leinenzeug eingepackt, so daß alles übrige im Hause durch fremde Leute konnte besorgt werden, wenn sie etwa gar nicht wieder an den Ort ihrer Plage und Arbeit zurückkehren wollte. Die Geschäftigkeit unterdrückte Gefühl und Betrachtung; nach einer Stunde, als alles eingepackt, alles besorgt war, als die Pferde schon vor dem Wagen ungeduldig die Erde stampften, da fühlte erst Frau Zähringer, daß die Zeit im Unglück, wie im Glück den Menschen an den Boden fesselt, sie konnte nur unter heftigen Tränen die armselige Hütte verlassen. Berthold hatte manches Geschäft abgemacht in aller Eile, Herren Marx und Kunz sich empfohlen, er freute sich recht der Ruhe auf dem Wagen an Annens Seite, ein Tag der Reise macht vertraulicher, als ein Monat andrer Umgang, er freute sich, für Mutter und Tochter allerlei Besorgungen übernehmen zu können. Das Stoßen des Wagens setzte manche Erzählung in Umlauf. Berthold suchte Apollonia mit allem bekannt zu machen, was sich inzwischen in Wirtemberg verändert habe, wie der Graf Eberhard, der Bärtige, vom Kaiser zum Herzog gemacht sei und wie jetzt Herzog Ulrich gar seltsam regiere. Frau Apollonia erzählte, daß sie ihn in früheren Jahren einmal zu Augsburg gesehen, er sei ein bauchiger, dickköpfiger Herr gewesen, der sich zuweilen aus Hochmut alles Blut ins Gesicht geblasen und gedrängt habe, wie ein welscher Hahn. – »Er war schon in die Acht erklärt«, fuhr Berthold fort, »aber der Kardinal Lang machte seine Versöhnung mit dem Kaiser und jetzt wirtschaftet er noch rasender mit seinen Räten, welche nach der Bedingung dieser Versöhnung während sechs Jahren die Landesverwaltung führen sollten; ein paar hat er schon unter nichtigem Vorwande foltern lassen und einen im Kohlenfeuer fast gebraten.«

»Gott stehe uns bei«, sagte Apollonia. – »Wir können ruhig leben«, antwortete Berthold, »aller Zorn des Herrn ist persönlich, es leiden nur die von ihm, die er kennt, die Räte und Herren vom Hofe, seine Frau und Kinder.« – »Ist nicht seine Frau, die edle Sabina von Bayern, mit der er so prunkvoll Hochzeit gehalten, ihm entflohen?« fragte Frau Apollonia. – »Freilich«, antwortete Berthold, »wie konnte sie länger das qualvolle Leben ertragen, allen Weibern ihres Gefolges stellte er nach. Die schrecklichste Geschichte war wohl, als er der Frau des Hans von Hutten nachtrachtete, die ihm aber als eine ehrliche Frau widerstand. Das kränkte ihn, er stellte sich eifersüchtig wegen eines Rings, den Hutten von seiner Herzogin erhalten hatte, um ihn seiner Frau für ihre Standhaftigkeit einzuhändigen, er beschied Hutten in den Beblinger Wald, gebot ihm um Leib und Leben sich zu wehren und durchstach ihn, ehe er noch sein Schwert gezogen hatte. Dann hing er ihn an eine Eiche mit dem Gürtel und machte als Freigraf das Zeichen des heimlichen Gerichts zum Schutz seines sinnlosen Frevels über den Toten.« – Die Geschichte veranlaßte ein langes Gespräch über die Eifersucht, in welchem es sich äußerte, daß die Mutter wohl einige Eifersucht gegen die Tochter, die Tochter aber noch viel mehr gegen die Mutter hege und jeden Händedruck, jeden Kuß Bertholds mißgönne. Berthold aber nahm diese Äußerungen wie einen Scherz auf, er war zu bescheiden, sich so heftige Einwirkung auf die Gemüter zuzuschreiben, zu unbekannt mit sich selbst, um zu fühlen, daß diese Eifersucht Annens wohl einen Grund in ihm haben könnte, denn je mehr er Apollonien sprach, je mehr Erinnerungen der frühen Jahre erwachten in ihnen beiden.

Übrigens war es eine schwere Sache, dem Meister Kugler nachzureisen, um die Sorge, die seine Anfrage in Waiblingen verbreiten konnte, durch die Gegenwart des Vermißten zu zerstreuen. Kugler war des Reitens beim Einkauf des Viehs sehr gewohnt, in seinem Treiben lag immer etwas Rastloses und danach hatte er auch seinen Schecken ausgesucht, der nicht eher vom starken Trabe absetzte, bis der Herr ihn hielt. Fingerling war bequemer, sein Pferd geringer und so kam's, daß ihm Kugler vorbei geritten, ohne daß einer vom andern etwas gemerkt hätte, da Fingerling sein Pferd in einen Wirtsstall gezogen und selbst einem Mittagsschlummer auf der Ofenbank sich ergeben hatte. Er gewann einen solchen Vorsprung, daß Fingerling ihn selbst dann nicht erreichte, als Kugler einen Handel über ein paar Lämmer mit einem Bauern abschloß, die Lämmer über den Sattel band und nun doch etwas langsamer seinen Weg fortsetzte. Als er in Waiblingen angekommen, kümmerte er sich wenig um ein Wirtshaus, sondern ließ sich nach dem Hause des Bürgermeisters weisen, wo er wie ein Würgengel mit den Lämmern trabend einritt. Die alte Frau Hildegard trat auf den Lärmen an die Stiege, fragte ihn, was er wolle, und horchte auf seine Antwort sehr aufmerksam, konnte aber nicht klug daraus werden, so wenig war der Mann zur klaren Erzählung geeignet. Bald fragte er nach Berthold, ob ihm ein Unglück geschehen, bald schimpfte er auf ihn, daß er entwichen sei, bald machte er ihr als Mutter Vorwürfe, daß sie ihn nicht besser gezogen habe; dabei bähten die Lämmer und Kuglers Hund zeigte den neugierigen Haushunden knurrend die Zähne. Nachdem diese Unverständlichkeit etwas gewährt hatte, so glaubte Frau Hildegard ihrem Hausrecht etwas zu vergeben, wenn sie sich von einem Fremden so etwas bieten lasse, sie fing also an, auf Meister Kuglers Pferd zu schimpfen, das ihr den eben gekehrten Torweg verunreinige, auch auf den Hund, der einen ihrer Lieblinge zu zausen Anstalt machte, zuletzt auf den Meister, der kein vernünftig Wort rede. Meister Kugler schonte auch nicht, weil er sich im Recht glaubte; schon liefen die Leute aus der Schreibstube mit Knütteln herbei, als ein gellendes Jagdhorn durch die Unterhaltung schmetterte. Es war Fingerling, der sich diesen Spaß ausgesonnen hatte, um jeden Widerspruch der Alten mit seinem Jubel über das Geschehene zurück zu weisen und gleichsam die Sache mit Gloria zu verkünden. Der Lärmen schwieg und Fingerling stieg mit seligem Antlitze von seinem Rosse, als ob er eine Tasche voll Rosinen trüge, verkündete mit sehr abgemessener Sprache, vielleicht wohl gar in Reimen, den Turnierruhm, des Kaisers Gnade, die Verlobung Bertholds. Frau Hildegard schlug beide Hände zusammen, sie meinte den Alten wahnwitzig. Aber noch toller war's, als jene beiden in Streit gerieten, als Kugler von dem Berthold, als von einem verlornen Manne sprach, der auch wohl ein Ausreißer sein dürfte. Fingerling behandelte ihn als einen eifersüchtigen Toren, der dem ein Bein stellen wolle, der ihn aus beiden Sätteln gehoben, und das kränkte Kugler. Die Schreiberherren halfen dem schwächergestimmten Fingerling durch ihr begleitendes Chor, die Dienstmägde, die Arbeiter drohten in ihrer Art, schon bissen die Hunde auf Kuglers Hund los und alles schien über Kugler herfallen zu wollen, als Berthold, dessen Wagenrollen niemand bei dem Schreien beachtet hatte, mit seinen beiden Reisegenossen mitten unter ihnen stand. Kugler wollte ihm gleich zu Leibe gehen, da sah er die beiden Begleiterinnen und erstarrte in Verlegenheit. Die Mutter wollte Berthold umarmen, da trat sie scheu zurück vor den beiden Frauen, die er ihr zuführte, alles war verlegen oder verwundert, nur nicht Fingerling, der aus seinem Jagdhorne die süßesten Töne herausdrückte, welche auch das Beißen der Hunde in der Art trennte, daß diese mit allen heulenden Tönen, ihre musikalische Beistimmung gaben.

Alles zog sich während dieser Kunstgewalt ins Feierliche, Berthold küßte Frau Hildegard die Hand, auch Anna folgte seinem Beispiele, die Mutter begrüßte sie förmlich, worauf Frau Hildegard alle Zusammengehörigen in ihr Zimmer nötigte. Da geschah in Ordnung die Auseinandersetzung, bei welcher Frau Hildegard sich nicht enthalten konnte, so einige Worte von Verführung junger Leute zu sprechen, und wie sie zwar die Verheiratung des jungen Menschen immer gewünscht, aber sich doch jetzt nicht der Tränen erwehren könne, nun sie so unerwartet, ohne ihre Vermittelung erfolge, daß sie nun nicht mehr über seine Gesundheit im Schlafe wachen könne, nicht mehr ihr Bette neben das seine stellen dürfe. Ihr Argwohn gegen die fremden Frauen, die sie für Abenteuerinnen hielt, welche den Sohn künstlich beschwatzt hätten, verwandelte sich bald in Teilnahme und Rührung, als ihr Apollonia im Verfolg der Erzählung näher bekannt ward, von der sie sonst wie von einem Mädchen gesprochen hatte, zu der ihr Sohn nie aufblicken dürfe, und die nun nach so vielen ausgestandenen Leiden ihren ehemaligen Freund der Tochter abtreten müsse. Ihrem Gefühle nach sollten es sich alle noch überlegen, sie meine, der Sohn müsse Apollonien heiraten, das sei er ihr schuldig, mit ihr komme auch sein Alter überein. Der Vorschlag kränkte Annen und Frau Hildegard hatte Mühe, sie zu trösten, als sie ihr versicherte, daß sie auf den Vorschlag gar nicht bestehe. Der ehrliche Kugler fühlte sich bei der ganzen Sache am überflüssigsten, dachte deswegen auf eine Artigkeit, sich beliebt zu machen, und brachte die beiden Lämmer zum Geschenk, die schön weißgewaschen, wie sie waren, der Frau Hildegard so wohl gefielen, daß sie dieselben aufzuziehen beschloß. – »Wo mag damals in der Schreckensnacht mein Lamm geblieben sein?« fragte Apollonia. – »Von diesem Lamm stammt eine Herde«, sagte Berthold, »die sich jährlich auf dem Hofe vor der Stadt vermehrt und die feinste Wolle im ganzen Lande trägt. Lernt mich in meiner Treue gegen Tiere kennen, auf jenen Bäumen brüten jährlich und werden von mir gefüttert die Abkömmlinge der Elster, welche mir diese Baustelle zeigte.« Das gab Veranlassung, die Fremden umher zu führen, ihnen die Zimmer zu zeigen, die ihnen bestimmt wären. – So endete der Tag und Frau Hildegard freute sich , dem Sohne im Bette wieder wie sonst die Hand reichen zu können, und in diesem Gefühle gelobte sie zur glücklichen Vermählung desselben, die Mutter Maria mit dem heiligen Kinde, die am Hause nur schlecht gemalt, vom Regen ausgelöscht war, wieder auffrischen zu lassen. Der gute Sohn sann aber inzwischen darauf, wie er seiner Mutter eine stete Gesellschaft lassen könnte und berechnete sich, wie viel Dank er dem alten Fingerling schuldig sei und wie dieser auch so einsam lebe. Da trug er ihr vor, ob sie sich nicht mit dem guten Manne vermählen wolle, im Grunde wären sie doch in Hinsicht aller Wirtschaftsangelegenheiten längst mit einander verbunden; habe sie wegen ihres Schwindels sich sonst schon gegen ihren Willen vermählt, warum wolle sie jetzt nicht ihrem Alter und ihrer Bequemlichkeit dieselbe Gefälligkeit erweisen. Die Mutter wies das zwar von sich, sie sei schon neunzig Jahre, aber der Sohn meinte dennoch durch zu dringen, weil sie von ihrer Seite den Plan machte, Apollonien mit Meister Kugler zu verheiraten, wenn ihr entlaufener Mann für verschollen erklärt wäre, so daß ein Tag sie alle in gehörige Verbindungen versetzen könne. Der Mensch denkt und Gott lenkt.

Am Morgen wurde Anna sehr erschreckt, sie konnte sich nicht gleich erinnern, wo sie erwache, das Zimmer erschien in der Morgenhelle anders, als Abends in der Lampenerleuchtung. Sie rief die Mutter, aber diese hatte schon Zimmer und Bett verlassen, und erst allmählich besann sie sich auf alles. Sie strählte ihre Haare am Fenster und flocht sie auf, des herrlichen Anblicks über den blumenreichen Garten erfreut und darum weniger eilfertig: das alles sollte nun bald ihr Eigentum sein, in dem Gedanken fühlte sie ein stolzes Glück. Ein sanfter Wind wogte mit Ästen und Gesträuchen und wie er diese einmal stärker niederbeugte, sah sie die Mutter auf einer Gartenbank neben Berthold sitzen, wie er sie herzlich küßte. Sie zitterte, sie wollte nicht glauben, aber der Wind trat immer stärker auf und es war nicht zu zweifeln; nun suchte sie alles auf, Berthold und die Mutter zu entschuldigen, aber nichts wollte die Heftigkeit ihres Zorns erleichtern, als ein Strom von Tränen. Als sie noch weinte und ehe sie sich bezwingen konnte, trat die alte Frau Hildegard an ihrem Stabe ein und ließ durch ein paar Mädchen ein elfenbeinernes Schränkchen auf den Tisch in die Mitte der Stube setzen. Die Mägde gingen fort, die Alte hatte zu schwache Augen, um gleich die Tränen der künftigen Schwiegertochter wahrzunehmen, auch war sie sehr beschäftigt, die Seltsamkeiten des Schränkchens sorgsam auszupacken, so gewann Anna Zeit, sich etwas zu fassen. – »Das Schränkchen«, sagte Hildegard, »enthält den Mahlschatz der guten Mutter unsres Bertholds, wie wird sie sich freuen, wenn ein Blick aus jener Welt ihr gegönnt ist, diese Zeichen ihrer Liebe in Zeichen der Liebe ihres Sohnes verwandelt zu sehen. Ich, die ich viel älter war, als sie, sollte das alles noch vor meinem letzten Stündlein erleben.« – Anna kannte nichts von dem Geräte, freute sich aber an aller zierlichen Arbeit, während sie ungeduldig nach dem Fenster hinblickte, ob ihre schmerzliche Wahrnehmung sich ihr zu größerm Kummer wiederhole. – Frau Hildegard erklärte ihr nun die Bedeutung jeder einzelnen Gabe des Mahlschatzes. »Der Kranz mit drei Eicheln auf einem Stiele bezeichnet«, sagte sie, »die Unschuld, welche bisher unter dem höchsten Schutze der Dreieinigkeit gestanden, ihn überreichst du meinem Berthold am Hochzeittage, wogegen er dir die goldne Kette mit den Rubinen als ein Anerkenntnis deiner Unschuld verehrt. Dies ist das silberne Armgeschmeide, das ihr einander anlegt, als Zeichen, daß eure Hände nicht mehr frei sind. Dies ist der Schaugroschen, den du als Mietsgeld von dem Manne empfängst, ein Zeichen der treuen Dienste, die du ihm und seiner Wirtschaft leisten mußt. Dafür übergibst du ihm in der Hochzeitnacht dies feine Hemd, das du noch mit seinem Namen sauber zeichnest, und für das Hemde gibt er dir am Morgen diesen aus Silberdraht geflochtenen Gürtel, an welchem eine Geldtasche und ein Küchenmesser hängt, als Zeichen, daß du gegen jedermann das dir anvertraute Gut schützen sollst.« – Anna dankte ihr unter Tränen für alle die guten Lehren, sie wolle fleißig und treu wirtschaften, wenn nur Berthold gleiche Treue gegen sie erweise. Das Geheimnis ließ sich der Anfrage Hildegards nicht bergen, und Anna vertraute ihr, was sie eben gesehen und was vielleicht noch geschehe. Hildegard war betroffen, sie sagte, wenn auch jetzt zu diesen Zärtlichkeiten nur die Erinnerung der Stelle, wo er sich zuerst mit Apollonien begrüßt, den Stoff hergegeben habe, so sei freilich eine Rückkehr zu dem Jugendgefühle eine sorgliche Sache, weswegen sie immer noch wünsche, daß jene beiden einander ehelichen möchten und daß Anna einen Jüngling ihres Alters erwähle. Der Rat brachte die Jungfrau auf, sie schwor, daß sie ohne Berthold nicht leben könne, daß sie auch von Luther feierlich eingesegnet sei. Da gab ihr Hildegard den Trost, sie möchte nur schweigen und tun, als ob nichts sie kränke, damit nicht Unfrieden in die Ehe gesäet würde, sie wolle dafür sorgen, daß Apollonia nicht im Hause bleibe, so sei doch der Umgang weniger häufig. Zum Glück sei das artige Haus des Nachbars feil, das solle der Sohn für Apollonien kaufen und einrichten lassen.

Sehr unbefangen, wie es der Unschuld ihres Herzens ziemte, traten jetzt Apollonia und Berthold ein, grüßten, erzählten, wie sie im Garten des wunderbaren Zusammentreffens, der noch wunderbareren Trennung gedacht hätten, die Annen das Leben geschenkt habe. Berthold erzählte noch, es sei ihm einen Augenblick vollkommen wie damals zu Mute gewesen und sie hätten sich wie ein Paar Verliebte geküßt; dann habe er noch eine Inschrift an die Stelle gesetzt, wo ihm so viel Glück geworden. Alle gingen hinunter, diese Inschrift an Ort und Stelle zu hören, und Berthold las sie mit inniger Rührung, es war eine Art Gebet:

Gib Liebe mir und einen frohen Mund,
Daß ich dich, Herr der Erde tue kund,
Gesundheit gib bei sorgenfreiem Gut,
Ein frommes Herz und einen festen Mut;
Gib Kinder mir, die aller Mühe wert,
Verscheuch die Feinde von dem trauten Herd;
Gib Flügel dann und einen Hügel Sand,
Den Hügel Sand im lieben Vaterland,
Die Flügel schenk dem abschiedschweren Geist,
Daß er sich leicht der schönen Welt entreißt.

Anna wurde von dem Gebete sehr ergriffen, sie versprach ihm mehr, als der Himmel ihm geben könne. Es wurde von der Einrichtung des Hauses gesprochen und ehe noch Hildegard davon anfing, erklärte Apollonia, sie wolle weder auf Kosten, noch im Hause ihres lieben künftigen Schwiegersohns leben, aber die Stadt gefalle ihr wieder von neuem, sie höre, daß ihr ein mütterliches Erbe zugefallen sei, worauf die Stadt keinen Anspruch machen könne, sie wolle sich ankaufen, bis sie in den letzten Jahren zu dem Kloster zurückkehre, welchem sie damals entrissen worden. Frau Hildegard machte trotz aller Gegenrede Bertholds, der Apollonien nicht aus dem Hause lassen wollte, ihren Vorschlag wegen des Nachbarhauses, er gefiel Apollonien, doch gab Berthold nur ungern seinen Willen darein, weil beide Häuser durch ein schmales Fußgängergäßchen getrennt waren, so daß keine andre Verbindung, als durch das Zubauen der allgemeinen Straße zwischen den beiden gestiftet werden könnte.

Das Nachbarhaus wurde jetzt in Augenschein genommen. Es fand sich neu und dauerhaft, denn es wurde erst vor wenig Jahren auf der wüsten Stelle gebaut, nur konnte sich Frau Apollonia nicht zufrieden geben, daß ein Brunnen fehle, der ihr als eins der liebsten und wesentlichsten Teile der Wirtschaft erscheine. Bertholds Baulust machte gleich einen kühnen Plan. Auch ihm mangelte ein tiefer Brunnen in seinem Hofe, nur trübe, moorichte Quellen sammelten sich in dem Behälter, das er damals bei der ersten Besitznahme des Gebäudes ausgegraben hatte, zum Ersatz hatte ihm immer der schöne, tiefe Marktbrunnen gedient, der doch sehr unbequem weit vom Hause ablag. Jetzt fiel ihm ein, beiden Häusern den Dienst zu erweisen durch einen gemeinschaftlichen Brunnen zwischen beiden, ihnen nicht nur ein tieferes, reines Quellwasser, sondern auch die Freude der Verbindung am Brunnen wie den Altvätern der Bibel in den Wüsten Asiens zu verschaffen. Zwar mußte dann die kleine Straße, die dem ganzen Städtlein nützlich war, um zu den Bleichplätzen auf kurzem Wege zu gelangen, auf immer geschlossen werden. Er schwankte, aber Apollonia trieb ihn mit der Bewunderung seines Anschlags über sein gutes Gewissen und seine Besonnenheit als Bürgermeister hinaus. Er fühlte, daß er unrecht habe, ganz deutlich; unrecht, weil er die ehrwürdige Scheidewand des Hohenstaufenpalasts durchbrach; unrecht, als Verwalter des öffentlichen Vorteils, aber der Gedanke war ihm zu süß, er konnte sich nicht losreißen, er hätte gleich in Ungeduld Hand ans Werk legen mögen. Er hatte so viele Gaben himmlischer Gnade erhalten, daß ihn der Mangel dieses Brunnens so quälte, als ob alles, was er besitze, gar nichts dagegen bedeute.

Schon versuchte er den Boden, ob er fest sei, da hörte er Frauen in dem Gäßchen, die rühmten dies Gäßchen, wie es so reinlich und fest sei, der Regen schade gar nicht, kein Wagen komme ihnen da entgegen, wenn sie mit dem Linnen bepackt wären, die Kinder könnten da auch so sicher spielen, ohne Gefahr übergefahren zu werden. Es rief in ihm, dies sei die Stimme eines warnenden Engels, aber der Teufel stand auch schon neben ihm, der Doktor Faust, der, wieder angekommen aus der Fremde, sich nach seinem Wohlsein erkundigte und die Unterredung behorcht hatte. Er fühlte Bertholds Puls und sagte, sein Blut verdicke sich, es fehle ihm entweder an Luftbewegung, oder an fleißigem Gebrauche des reinen Wassers. Frau Apollonia fiel ihm in die Rede, daß es an der Seite der Stadt nur einen öffentlichen Brunnen gebe, der natürlich so verunreinigt würde, sie könne nicht leben, ohne einen Brunnen in ihrem Hause zu haben. Faust gab ihr mit schrecklich wichtiger Gebärde allen Beifall, wollte aber von der Wunderkur anfangen, wie er Berthold ein frisches Lebensblut verschafft habe und daß er dies schonen müsse; da führte ihn Berthold unter einem Vorwande bei Seite, steckte ihm eine Hand voll Geld zu, sagte ihm, er müsse diese Wunderkur verschweigen, weil er sich schäme, durch fremdes Blut genesen zu sein. Faust grinste über das seltsame Geheimnis und brummte: »Ihr meint wohl, die Frau möchte nach dem fragen, der Euch das Blut gegeben, Ihr solltet ihn einmal jetzt sehen, das ist ein rechter Heidengott, ein junger Herkules geworden, er wächst wie Holunder und ist fest wie Hagebuche. Seid ruhig, ich will schweigen, aber erfrischt Euch an gutem Wasser, ich sage Euch, ich habe es in den Füßen, wo Quellen liegen, mir wird da so wohl, als stiege ich in ein Bad; da wo Ihr eingegraben habt, liegt entweder ein Schatz, oder eine mächtige Quelle.« – »Ich will einen Rutenschläger bestellen, ehe ich anfange zu arbeiten«, meinte Berthold, »Euer Gefühl kann irren.« – »Herr«, sagte Faust ergrimmt und seine schwarzen Augäpfel traten hervor, wie Kugeln, die er eben fortschießen wollte, »Herr Bürgermeister, ich wünsche Euch alle Pestilenz auf den Hals, ich kuriere Euch nicht, wenn Ihr einen elenden Gauner von Rutenschläger befragen wollt, wo ich Euch schon Bescheid sagt habe. Ihr müßt hier einen Brunnen graben, oder ich schreie in der ganzen Stadt, der Bürgermeister ist ein toter Mann, der nur durch Bürgerblut lebt, und ihr braucht nur sein Blut dem Anton abzuzapfen, so muß er wie ein Blutigel, dem Salz aufgestreut wird, auch sein Blut entlassen. Nun Herr, habe ich Euch in meiner Gewalt, es ergibt sich keiner umsonst dem Teufel.« – Berthold sagte ihm, er sei trunken. – Faust antwortete: »Trunken bin ich, denn jetzt sind es gerade siebenundzwanzig Jahre, als ich zum letztenmal nüchtern war, aber im Wein ist Wahrheit, wenn das Wort heraus ist, so gehört's einem andern, und wenn ein Ding geschehen ist, so verstehen's auch die Narren, der Balbier läßt sich mit dem abgeschnittenen Haar nicht bezahlen; wüßte ein Mensch recht, wer er wär, er würde fröhlich nimmermehr, aber der Wein macht lustig, das ist seine Gerechtigkeit.« – Bei diesen Worten winkte er einem verschmitzten, bleichen Knaben, der auf ihn an der Türe wartete, ließ sich eine große Henkelflasche von ihm reichen und wankte langsam dem Ratskeller zu, indem er zuweilen anhielt, um mit Hülfe des Knaben, der beide Arme unterstemmte, die große, geflochtene Flasche ihrer letzten Tropfen in seinen Mund zu entledigen.

»Es ist ein seltsames Vieh, unser Doktor«, sagte Berthold zu Apollonien, die sich über ihn verwunderte, »aber ein Ingenium hat er, wie keiner, wenn er kaum seinen Weg sehen kann, da errät er am besten alle verborgne Übel und hier hat er eine außerordentliche Quelle entdeckt, wo wir einen Brunnen nötig haben. Ich kann nicht ruhen, bis ich Arbeiter finde, das Werk anzugreifen; ich sehe in Gedanken den Rand des Brunnens, die Sitze umher von Marmorstein, auf denen wir täglich mit einander frühstücken, wenn hell und herrlich der Morgen, und wenn er von Armen mit den ersten Gaben des Jahres, mit Krokus, Schneeglöckchen und Veilchen bekränzt wird, wenn wir unsre Kinder dabei taufen lassen; wenn bei Feuersgefahr dieser Brunnen die Stadt rettet, dann werden sie gern das kleine Gäßchen geopfert haben und werden es mir danken.«

Um keinen Widerspruch zu erfahren, eilte er, aufgemuntert von Apollonien, zu seinen Arbeitern, die Gasse wurde geschlossen, die Mauern durchbrochen, ehe noch die Sonne sank und Fingerling ihm sagte, daß die Zünfte einen Verdruß empfänden und zusammen gekommen wären, daß er eine solche gewaltsame Änderung und Zueignung ohne sie vorgenommen habe, nur ihre alte Anhänglichkeit halte sie ab, sich heftig dagegen zu erklären. Er meinte aber die guten Leute zu kennen, er wußte, daß sie einer großen, öffentlichen Lustbarkeit nicht widerstehen könnten und bat Fingerling, alle Zünfte mit Frauen und Kindern zu seinem Hochzeitfeste einzuladen, zugleich sollte er die Angelegenheit des Brunnens hin halten; wenn sie erst ein paar Wochen daran gewöhnt wären, würden sie einigen alten Weibern zu liebe, die das Linnen trugen, ihm diesen Gipfel des häuslichen Glücks nicht wieder entreißen.

Anna und Hildegard vernahmen nichts von der Sache, die erstere war allzu glücklich mit der Musterung aller Kostbarkeiten und Künstlichkeiten beschäftigt, welche die fürstliche Mutter dem Hause zur Überfüllung aller Zimmer verlassen hatte. Kaum gönnte sie sich Zeit zum Mittagessen, die neugierige Anna; wäre Berthold nicht mit seinem Brunnen beschäftigt gewesen, es hätte ihn kränken müssen, daß die Begierde auf Wirtschaftsgeräte, die sie bald als Eigentum betrachten sollte, ihre Aufmerksamkeit von ihm für den ganzen Tag abgelenkt hatte. Mit rastlosem Eifer wurden alle Zimmer, alle Schränke gemustert, und Frau Hildegard selbst hatte die Freude, manches durch die Berührigkeit Annens wieder zu sehen, was ihr zu schwierig war aufzuheben, selbst manches noch zu entdecken, wovon sie bisher keine Kunde gehabt hatte. Immer höher stiegen sie und kamen im Boden an eine Kammer, von der Frau Hildegard selbst nichts wußte. Da aber die Türe verschlossen war und kein Schlüssel unter allen sich dazu vorfand, so wurden alle durchversucht, ob sie paßten. Endlich fand sich ein Schlüssel von dem Zimmer Bertholds, der auch hier aufschloß, aber die Erwartung war betrogen, die Kammer schien nichts zu enthalten als einen mottenfräßigen, grünen Wams, den Frau Hildegard bei näherer Betrachtung für den grünen Schreiberwams, für die erste Gabe Apolloniens erklärte. Der wurde von Annen mit Hildegards Einwilligung gleich bei Seite geschafft, damit diese Erinnerung, von der er oft sprach, keine neue Neigung und Eifersucht erwecken könnte. Nun fand sich noch ein eiserner Kasten in einer Ecke, in welchem Anna nichts fand, als ein türkisches Messer mit einem Drachengriff und einem ledernen Beutel, beides war seltsam schön gearbeitet und gefiel ihr, sie meinte, es brauchen zu können. Aber Frau Hildegard gebot ihr beides hinzulegen, sie wolle ihr ein besseres Messer kaufen, das sie in der Wirtschaft brauchen könne und der Beutel scheine ihr ohnehin verstockt zu sein. Doch Anna dachte sich schon als Herrin des Hauses, glaubte das alles schon ihr Miteigentum, wollte mitgenießen, was ihr gefiel, und sparen, was überflüssig schien, sie meinte also, es sei verständig, Messer und Beutel mitzunehmen, ohne daß es die Alte mit ihren blöden Augen bemerke, nachher werde sie schon vergessen, ein überflüssiges Messer zu kaufen, und den Beutel brauche sie ohnehin gleich, um allerlei kleine Gaben zu bewahren, die sie während der Haussuchung erhalten hatte. So kamen beide bedeutsamen Gaben alter Zeit, das einzige, was von dem Schatze Bertholds übrig, in die Gewalt der schönen Braut, die ihre Seltsamkeit und die Gefahr, welche damit verbunden, nicht ahnden konnte, aber das Unrecht war ihr doch deutlich, denn sie nahm beides heimlich und es brannte sie doch schon etwas, wie den Adler die glühende Kohle, welche er statt des Opferfleisches in das sichere Nest trug.


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