Achim von Arnim
Die Kronenwächter
Achim von Arnim

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Sechste Geschichte
Die hohe Fremde und ihr Ritter

Der Baumeister und der Prior saßen, der Zeit vergessen, bis Mitternacht beim Weine, nur Berthold zählte die Augenblicke, weil er die Angst der Mutter bei seinem späteren Ausbleiben kannte, aber er wagte nicht, die beiden Herren zu stören, deren Gespräch ihn bezauberte, weil er nie zwei Menschen über so hohe Dinge ausführlich hatte reden hören. – »Kein Glas mehr«, sagte der Baumeister, »sonst finde ich den Weg nach Hause nicht mehr!« – »Der junge Freund da wird Euch schon führen«, sagte der Prior, »er trinkt mäßig und hört lieber zu, das ist eine seltene Tugend bei den jungen Leuten unsrer Zeit. Noch ein Glas vom Besten und dazu singen wir noch einmal das Lied vom Babylonischen Turme:

Als der Turm zu Babylon
Mit dem Haupte wankte,
Läuft der Meister gleich davon,
Der vorher sich zankte,
Steckt den Plan in seine Tasche,
Saugt sich Mut aus voller Flasche,
Läßt sie nicht von seinem Mund,
Bis er sieht auf ihren Grund.

Lächelnd tritt er in sein Haus,
Spricht als rechter Kenner:
›Diese Rechnung war zu kraus,
Zähler ohne Nenner,
Mauern ohne Fundamente,
Sprache, die uns Menschen trennte,
Seht der Mond stieß an die Spitz,
Da verbrannte sie der Blitz.‹

Gib dem Himmel alle Schuld,
Wenn du schlecht bestanden,
Und du gehst in eigner Huld
Nimmermehr zu schanden,
Ist der Turm dir eingefallen,
Diese Dummheit kommt von allen,
Wer das Geld hat nach dem Streit,
Gilt doch einzeln für gescheit.

»Es ist doch seltsam«, sagte der Prior am Schlusse des Liedes, »daß bei allen großen Bauten immer große Streitigkeiten ausgebrochen sind, von denen in Straßburg seid Ihr noch besser, als ich, unterrichtet und nun bei meinen kleineren Bau an der Nonnenkirche will es wieder nicht friedlich enden. Der Mond scheint eben hell durch die Wolken, ich meine, wir besuchen einmal mein Werk, der Mond gibt allen Bauwerken das schönste Licht, denn der farbige Flitterstaat der vergänglichen Welt setzt dann unsre Arbeit am wenigsten zurück.« – »Das kann ein Grund sein«, sagte der Baumeister, »aber die Verhältnisse erscheinen größer, je weniger die bekannten Gegenstände uns deutlich sichtbar werden; ich freue mich auf ein Werk, das mir im Plane wohl gefällt.« – So rüsteten sie sich zum Fortgehen und Berthold begleitetes sie in Ergebenheit, indem er vergeblich nach einem Vorwande suchte heimkehren zu können. So kamen sie in die Nähe der Kirche, und der Baumeister lobte schon die schönen Verhältnisse. Vielleicht wären sie vorüber gegangen, wenn nicht eine alte Hebamme mit großer Angst an ihnen vorüber laufend erzählt hätte, es sei der Umgang der Geisternonnen nach der Kirche gegangen und singe jetzt darin. Der Prior wollte sie ausfragen, aber sie ließ sich nicht halten und schrie, als ob sie selbst gebären wollte. Der Prior stutzte, aber der Baumeister sagte ruhig: »So müssen wir uns in die Kirche begeben, wer weiß, was da für Unfug getrieben wird, den Gesang höre ich deutlich.« – Sie gingen beide der Kirche zu, während Berthold halb entseelt ihnen nachschlich, und sie doch in seiner Treulichkeit nicht verlassen wollte. Die Türe öffnete sich leise, sie standen bald in der Mitte der Kirche und staunten der lieblichen Erscheinung der schönen Mädchen, die entschleiert dem Altar nahe standen, an dessen höchster Stufe Apollonia mit ihrem Lamm, von der Last desselben gedrückt, sich niedergelassen hatte. Doch dieser Anblick und der Gesang dauerte nur wenig Augenblicke in seiner Schönheit und Würde: nicht Bertholds feurig erglühende Wangen, aber der weiße Mantel des Baumeisters störte die Versammlung. Die mutige Babeli schrie zuerst auf: »Der Kreuzritter!« und lief davon, ihr folgten die andern mit der Äbtissin, nur Apollonia, deren Kleid sich an einen Haken, woran der Teppich befestigt werden sollte, gehängt hatte, konnte nicht aufkommen. Ihr war, als halte sie eine Hand, aus der Erde erwachsen, endlich riß sie sich los und sprang den andern, aller Beruhigungsworte des Priors ungeachtet, wie ein verschüchtert Füllen blind nach, aber er sowohl, wie der Baumeister und Berthold, folgten ihr. Das war auch nützlich, denn an der Tür des nahen Klosters, die von den geschreckten Jungfrauen zu übereilt geschlossen war, fanden sie Apollonien in einer Art Betäubung niedergesunken. »Was ratet Ihr jetzt?« fragte der Prior. »Machen wir Lärmen an der Türe, so öffnen sie diese darum doch nicht in ihrer Furcht und der Lärmen könnte noch mir und dem Kloster in dieser argwöhnischen, geschwätzigen Zeit eine üble Nachrede machen.« – Der Baumeister schwieg, indem er Apollonien unterstützte, deren Lamm unser guter Berthold sorgfältig auf den Arm genommen hatte. Endlich ermunterte sie sich mit heftigem Weinen, indem sie ihren Ruf und die Liebe ihres Vaters schon als gänzlich verloren betrachtete. Umsonst suchte sie der Baumeister aufzurichten, sie sprach immer von der Strenge ihres Vaters und wie sie im Kloster so glücklich gewesen, das ihr nun auf immer verschlossen. Der Prior sah in der Ferne einige Leute, er drängte zu einem Entschluß, schlug Bertholds Haus vor, aber das lehnte Apollonia mit einem Seufzer ab, weil sie sich mit ihrem Vater auf ewig verfeinden würde. Die Tritte der Leute auf den Pflastersteinen wurden immer hörbarer, da führte der Baumeister die Betrübte fort, indem er zum Prior sagte, er wolle sie zu einer fremden Frau von gesetztem Alter bringen, die einen Sohn suche und gewiß an dieser Tochter ihre Freude finden würde, es sei dies dieselbe Bürgerin aus Straßburg, in deren Angelegenheit er ebenfalls einen Grund seiner Reise gefunden. »Das hätte Euch gleich einfallen sollen«, sagte der Prior ungeduldig, »mir ist nie so seltsam bange gewesen, wie in dieser Verwirrung.«

Sie gingen schnell und schweigend, endlich klopfte der Baumeister bei einem kleinen Wirtshause an, schnell wurde aufgetan und der Prior äußerte sich sehr überrascht, so viele Leute bei großer Erleuchtung in dienender Tätigkeit zu finden. »Sie ist reich, diese unsre Mitbürgerin«, sagte der Baumeister, »auch fordern die Sitte unsrer Stadt mehr Glanz und Aufsehen, als wirklich Verschwendung, wir tragen schon etwas vom Stempel unsrer Nachbarn, der Franzosen.« – Der Baumeister ging voran, und die andern blieben in einem hell erleuchteten Vorzimmer, Apollonia und Berthold sahen einander angenehm verlegen an, der Prior kneipte ihnen die Backe und fragte: »Kinder, habt ihr euch denn nichts zu sagen?« – Da trat in sehr bescheidner Tracht, aber mit edlem, festen Anstande eine Frau in dem Alter ein, wo gewisse Fülle leicht noch den verlornen Reiz erster Jugend ersetzt, es war ein so wohlwollendes Gesicht, das jeden aus der Verlegenheit riß. Sie hob das Kinn Apolloniens mit ihrer flachen Hand in die Höhe und sagte weiter: »Schweig nur, ich weiß alles schon, Geheimnisse sind meine einzige Freude auf Erden und ich weiß lange keine Nacht, die sich mir so schön angefangen. Wundert Euch nicht, Herr Prior, wenn ich von der Nacht, wie andre vom Tage, rede, ein seltsames Gelübde verpflichtet mich, den Tag zu meiden, das Antlitz der Sonne nie aus Absicht wieder zu sehen! Es war ein sehr unglücklicher Tag, der mir diesen Schwur abzwang, ich verlor Mann und Sohn in einer Stunde durch die verruchten Kronenwächter.« – »Schweigen wir davon«, sagte der Baumeister ernst, »wir sind in der Fremde, wir sind nicht mehr im Verbande treuer Städte und Ihr kennet am besten ihre Kundschaftet, wo sie herrschen.« – »Freilich«, sagte die Frau, »aber wer kann sich immer bezwingen, es fällt mir so manches ein, indem ich die beiden jungen Leute betrachte! Du bist recht hübsch, Apollonia, bilde dir nichts darauf ein, man achtet's nur, so lange man andern gefallen will; deine Augen sind groß und weit auseinander, wie ich es gern habe, der Mund ist fein geschnitten, die Nase recht gut gebogen, – die ganz krummen Nasen kann ich nicht leiden, sie sitzen im Gesicht, als ob sie die Veilchen der Augen absichern wollten, – dein Wuchs ist kräftig, du wirst noch wachsen; ohne gemein auszusehen, könntest du dich aller schweren Arbeit unterziehen. Aber Kind, so gut deine Hände gebaut sind, waschen mußt du dich!« – »Es kommt von den Blumen«, antwortete Apollonia, »mit denen das Lamm bekränzt war und auf die ich vor dem Kloster mich stützte.« – »Einerlei«, sagte die Frau, »du mußt dich waschen – ein Waschbecken ihr Leute!« – Die lebhafte Frau ließ sich nicht einreden und im Augenblicke trugen ein paar Mädchen in silbernes Waschbecken mit wohlriechendem Wasser und ein Handtuch herbei, das mit Spitzen besetzt war. Der Baumeister war sichtbar wegen dieser Waschung in Verlegenheit, aber er begnügte sich ans Fenster zu treten, als ob er die Adspekten der Sterne belauern wollte. Der Prior trat einen Augenblick zu ihm und sagte: »Was ist das für eine seltsame Frau, unter dem groben Kleide sieht ein Hemde von höchster Feinheit hervor und ist mit einem Diamanten zugesteckt, den jeder König in seiner Krone tragen könnte.« – »Es ist so der Brauch bei unsern reichen Bürgerfrauen«, antwortete der Baumeister, »Ihr müßt der guten Frau in gewissen Dingen nachsehen, ihr Verstand mag wohl von manchem Unglück angegriffen sein, aber sie ist sehr gut und muß mit aller Achtung behandelt werden.« – »Nun seht«, sprach die Gräfin, »Apolloniens schöne, länglichte Finger, welche weiße, weiche Haut, nur darum war es mir zu tun, daß jeder die anerkennen sollte; wie schön wird sich auf diesem Finger der Trauring ausnehmen – daß er dir nur nichts Trauriges bedeute!« – Bei diesen Worten steckte sie gerührt einen goldnen Ring an Apolloniens Finger und sprach: »Den behalt so lange, bis dir einer lieber ist, als du dir selbst.« Sie ging jetzt zu Berthold über und sagte: »Und dieser Johannes mit dem Lamme, will es scheren, um daraus feine Tücher für die ganze Welt zu verfertigen, ach Gott, den kann ich gar nicht ansehen, Ihr wißt Baumeister den Zug an den Augen, diese Hügel zur Stirne herauf, das kann ich gar nicht sehen, ohne zu weinen! Ihr Leute bringt mein Mitternachtessen; wer zu essen verlangt, lasse sich einen Teller geben, aber der Prior darf sich nicht so nahe setzen, der arme Mann hat so rote Augen, wüßte ich ihn nur zu heilen!« – »Die Augen sehen ins Himmelreich, davon sind sie rot«, sagte der Prior, »ins Himmelreich und ins Glas, kann sie nicht mehr rein polieren, sie sind dauerhaft rot angelaufen, es ist die Frage, ob's einer für Geld machen könnte, wenn's verlangt würde.« – »Ihr solltet beständig Brillen mit breiten Rändern tragen lieber Prior«, sagte die Frau, »so sähe niemand Eure Augen genauer und Ihr könntet für einen erträglichen Mann gelten. Ihr Leute schafft eine Brille!« Das Essen wurde in prachtvollen, silbernen Gefäßen gebracht, auch silberne Teller umgereicht und in dem Gedecke ließ sich deutlich ein fürstliches Wappen noch an der Krone erkennen, ungeachtet das Schild ausgeschnitten und ein schön gewebter Blumenstern eingenäht war. Auch eine Brille kam bald, die ein Mädchen dem Prior, der sich erst weigerte, auf die Nase steckte, mit dem Bedeuten, die gnädige Frau könne sonst aus Widerwillen nicht essen. Es wurden seltene, kostbare Speisen aufgetragen, aber die Frau nahm nur wenig davon, Apollonia und ihr Lamm waren zu ängstlich, um etwas zu verlangen, die andern hatten das Ihre reichlich genossen, desto lebhafter wurde von allen Seiten über Apolloniens Schicksal beraten. Der Prior sollte am Morgen der Äbtissin, die er durch Apolloniens wahren Bericht ganz in seine Gewalt bekommen, von dem Vorgange unterrichten und Apollonia in der Dunkelheit am folgenden Abend zu der frommen Herde zurückführen. Dem Bürgermeister hingegen sollte alles verschwiegen bleiben, da von seiner störrigen Gemütsart, die selbst vom eignen Vorteile nicht zu beschwichtigen war, einiger Skandal für das Kloster und für Apollonien zu besorgen wäre.

Der Tisch war aufgehoben, alles war besprochen, der Prior und Berthold wollten fortgehen, indem der letztere Mut gefaßt hatte, seiner Eltern zu erwähnen, da hielt der Baumeister beide auf, sagte dem Prior, daß er ihm mit Elsässer Weinen eine Antwort auf die Neckarweine schuldig wäre, und Berthold versicherte, daß er schon durch einen Boten des Priors seine Eltern seinetwegen beruhigt habe, sie alle wären der Frau, die sie aufgenommen und die nur bei Nacht Gesellschaft sehen dürfe, einiger Unterhaltung verpflichtet. – »Nun freilich«, sagte die Frau, »auch ich bin euch dergleichen schuldig; die beide Herren haben ihre Flasche, was fang ich aber mit euch beiden jungen Leuten an. Stellt euch einmal an, als wäret ihr verliebt, es gilt nur für diese Nacht und morgen ist Apollonia ein kleines, angehendes Nönnchen.« – Apollonia ließ es sich gefallen, ihre Hand Berthold zu geben, mehr wurde aber nicht aus der Sache. »Willst du eine Nonne werden?« fragte die Fürstin Apollonien. Diese antwortete ihr, daß sie erst recht zufrieden im Kloster geworden, sie müsse dahin zurückkehren. – Die Fürstin seufzte und sprach: »Es ist schwer, dem zu entsagen, was wir nicht kennen, wer aber die Welt mit aller Ihrer Freude kannte und alles verlor, der mag da gern absterben; suchte ich nicht den verlornen Sohn, ich hätte mich längst in die Stille der Klostermauern zurückgezogen.

Ich war einst ein recht wildes Mädchen«, fuhr sie nach einer Pause fort, »vielleicht merkt ihr davon nichts, als eine gewisse Lebhaftigkeit, die zuweilen in schnellen Sprüngen meiner Gedanken sich äußert und die Leute bange macht, weil ich des Übergangs nicht erwähne, ich könnte wohl von Sinnen sein: unser guter Baumeister war schon oft in dieser Meinung. Mein Vater, der keine Söhne hatte, förderte meine Neigung zu männlichen Beschäftigungen, weil er mich auf diese Art beständig um sich sehen und in müßigen Stunden der Jagd sich mit mir unterhalten konnte. Da fabelten wir oft, wie der Ritter durch Heldentaten aller Art ausgezeichnet sein müßte, der mein Herz rühren sollte; wir musterten alle junge Fürsten- und Grafensöhne Schwabens, fanden aber keinen meiner würdig.« – Sie ist also doch eine Fürstentochter, dachte der Prior, wie hätte sie sonst an solche Freier denken können. – »Statt aller der kühnen Abenteurer ward mir ein stiller Spinner und Weber zu Teil.« – »Ein Mann an der Spindel?« fragte der Prior. – »Ich kann Euch nicht erklären, was mich zu ihm führte«, antwortete die Frau, »Mich bestimmte ewige Zuneigung, die nie erlöschen wird, meinen Vater andre Gründe, kurz dieselben Kronenwächter, die ihn mir gaben, entrissen ihn mir, als er sich von ihrer Tyrannei loszureißen und an den Kaiser anzuschließen trachtete. Nicht Blödsinn oder Schwäche hatte ihn zu weiblichen Arbeiten herabgewürdigt, er war ritterlich geübt in allen Waffen, sondern eingeborne Lust und die vieljährige Einsamkeit im seltsamsten Winkel der Erde hatte ihn veranlaßt, bei solchen Beschäftigungen Geduld zu lernen. In kunstreich gewirkten Teppichen hatte er eine besondere Meisterschaft erreicht, in einem derselben, den mir der Vater brachte, entdeckte er mir seine Neigung. Seht, hier in diesem Kasten bewahre ich seine besten Arbeiten als treue Begleiter, seht dieses Geflecht seltsamer Pflanzen, das bis zu den Sternen reicht, Kinder sitzen in den Blumenkelchen und blicken sehnlich empor. Unter dem Dach dieser Pflanzenwelt sitzt er selbst einsam am Webstuhle, wo mit seltsamer Künstlichkeit sich alle Wurzeln zu einem Aufzug einer Arbeit hin vereinen, sein Schiff aber, welches den Einschlag trägt, ist wie ein Herz gebildet. Der Sinn dieses Bildes umfaßte sein reines Dasein. Wie konnte er mit diesem Herzen, mit dieser freudigen Anschauung der Welt die finsteren, drückenden Erwartungen seines Hauses ertragen und durchführen! Gern hätte er im offenen Kampfe mit dessen Unterdrückern gestritten, aber dieses katzenartige Lauern war ihm unmöglich.« – Apollonia bewunderte die Herrlichkeit dieses Gewebes, der Prior wollte es durchaus nicht glauben, daß so etwas gewebt werden könne, er meinte, es sei gemalt. – »Könntet Ihr so etwas weben«, sagte er zu Berthold, »da wollte ich Euer Tuch auch kaufen und Meßgewänder daraus schneiden lassen.« – »Ich schäme mich unsres Ungeschicks bei dem Anblick dieser Weberei!« sagte Berthold. – »Laßt Euch nicht irre machen, junger Herr«, unterbrach ihn die edle Frau, »wenn Ihr mit Lust und Liebe etwas unternommen habt; oft erzählte mir mein Mann, daß er wegen einiger Spottreden der Kronenwächter einmal die Weberei aufgeben wollte und seine Not einem alten, geistlichen Einsiedler klagte. Der schüttelte mit dem Kopfe und riet ihm beim Werke zu bleiben, ›denn‹, sagte er, ›wir Menschen sind Nachtwandler mitten am Tage, nur ein kleiner Kreis unsers Lebens ist zu unsrer Prüfung der freien Wahl überlassen, öfter ist es unsre höchste Tugend, dem Gesetze und dem Triebe unsres Herzens uns mutig zu überlassen, wo der Geist nicht widerspricht. – Kein Werk ist zu niedrig, das mit Liebe getan wird, und die Magd, welche in emsiger Häuslichkeit den Stall reinigte, wo unser Herr geboren ward, tat ihm mehr zu Liebe, als Fürsten und Völker jetzt vermögen, die ihm Kirchen zum Himmel erheben.‹ – Diese Bemerkung kränkt unsern guten Baumeister, darum wende ich mich zu meiner Geschichte. Diese Weberei gewann mein Herz, ich mußte den sehen, von dem lernen, der so etwas schaffen konnte, und mein Ritter behauptete immer, daß seine Arbeit ihren Preis und ihren unbewußten Zweck erreicht habe, indem sie ihm meine Neigung gewonnen. Meinem Vater war es gleichgültig, was uns verband, seine geheime Absichten wollten uns verbinden, so sah er es doch gerne, daß der Ritter mir Tage lang auf unserm Jagdschlosse in dieser künstlichen Arbeit Unterricht gab, und lachte, wenn ihm die Zofen hinterbrachten, daß dies Geschäft zwischen uns nicht ohne Liebelei ausgehen würde. In geselligem Spiele versteckter und doch nicht geheimer Wünsche webten wir zusammen diesen zweiten Teppich, den wir zusammen erfanden, als wär's eine fremde Geschichte, indem wir unsre Bilder nur in Ermangelung andrer anwebten. Seht mich als Jägerin auf einem getigerten Rosse, der Falke auf meiner Hand, das Jagdhorn über den Rücken, eingefangen aber selbst von goldnen Netze, in dessen Maschen listige Liebesgötter gaukeln, dort aber den Ritter, der nicht darauf Achtung zu geben scheint, weil er das Netz an eine Krone anzustricken und damit zu schließen trachtet.« – »Wunderschön«, rief der Prior, »hier ist weibliche Geschicklichkeit zu bewundern.« – »Nein Herr Prior«, sagte die Frau, »jenes ist als Arbeit tadelfreier, als dies Gewebe, hier ist mancher Fehler von mir nur künstlich durch meinen Meister versteckt worden, jenes hättet Ihr mehr bewundern müssen, wenn Ihr mir schmeicheln wolltet, das ist fehlerfrei, denn es ist von ihm. Das Gewebe machte mir viel unnützen Kummer, denn wie ich meinte, daß er mich bei dessen Endigung verstanden habe, so war mein Ritter statt dessen mit kurzem Abschiede von mir fortgeritten, ohne sich näher über seine Absicht zu erklären. Zorn trat der verschmähten Liebe nach, es war mir unleidlich, dem Ritter zu Ehren so viele liebe Gewohnheit aufgegeben, so viele Arbeit unternommen zu haben, ohne von ihm des rechten Danks gewürdigt zu sein. Mein Roß und mein Falke wurden wieder zu Gnaden angenommen, ich durchstrich den Wald allein, da mein Vater, wie ich zu erzählen vergaß, wegen eines Zuges zum Heiligen Grabe noch immer abwesend war, doch nahm ich gern einen Diener des Ritters mit mir, der bei seiner Abreise entlaufen und zu mir gekommen war. Einstmals machte mich dieser auf ein vielstimmiges Vogelgeschrei aufmerksam. Ich ritt voll Neugierde nach dem seltsamen Zauberklange und fand mich von einem goldnen Netze gefangen, der Ritter hatte es über mich geschlagen, indem dessen Enden an eine goldne Krone befestigt waren. So hatte sich alles erfüllt, mit vielen Küssen erzählte er mir, daß er den Auftrag meines Vaters, die lang bewahrte Krone der Hohenstaufen zu rauben und durch deren Überlieferung seine Versöhnung mit dem Kaiser zu machen, erst erfüllt habe. Die Krone sei in seiner Gewalt, er habe sein Gelübde erfüllt und nichts hindre unsre Verbindung. Da wendete sich mein Herz ganz zur Freude, der Diener pfiff fröhlich, er war immer mit seinem Herrn im Einverständnisse gewesen. Nach dem ersten Freudenergusse berichtete er mir, wie ihn das Geschick begünstigt habe, die Krone in seine Gewalt zu bekommen. Seht hier das dritte Gewebe, den Glasturm in der Mitte des Wassers und hier den kühnen Schwimmer auf dem abgerissenen, treibenden Holzstamme, die Krone auf dem Haupte.« – Hier hielt sie inne, aber der Prior bat dringend, um die Erzählung, er habe so oft von der Burg der Kronenwächter gehört und nimmer den Ort sich deutlich machen können, wo sie zu finden. – Die edle Frau fuhr dann fort: »Ich laß mich heute einmal gehen, ich weiß nicht warum, doch ihr seid gute Seelen und werdet mich nicht den Unerbittlichen verraten, die mir den Gemahl raubten. Der Ritter hatte durch seinen früheren Aufenthalt einige Kunde, in welcher Richtung das Schloß zu suchen sei. Vierzehn Tage war er einsam mit seiner Liebe zu mir durch Wälder und Auen hingestrichen, ein schmerzlich süßes Leben, doch ungewiß seines Entschlusses, es kostete ihm viel, den Willen meines Vaters zu erfüllen. Rätselhaftes, trostloses Geschick, seine Heiligen hat uns der Himmel entzogen, sie wandeln nicht mehr unter uns, die Engel verstecken sich den ernsteren Tagen, und die Gewalt der Jahrhunderte fällt wie ein Fels unerwartet, oft unerkannt auf die Brust des Erwachsenen, der gegen sie immer nur ein Neugeborner ist, und wer ist der Engel bedürftiger, als wir Abkömmlinge großer Begebenheiten.« – »Wir«, sagte der Prior mit Bedeutung. »Aber in so trauriger Welt wiegen sich dennoch«, fuhr die edle Frau fort, »alle Liebesgedanken an mich mit den klingenden Federspielen auf wilden Rosen des Weges, die Quelle des Weges glänzte von dem Heiligenschein, den sie der Welt zurückstrahlte, nichts entreißt dem jugendlichen Herzen Hoffnung und Reiselust. Endlich wurde ihm der Weg ungewisser, die Hirten seltener, die Wälder hörten auf, Wolken versteckten ihm die Gegend, sie lagerten sich feucht um ihn her und die Sonne ging über ihm, wie ein trübes Mondlicht in schwankender Bewegung. So kam der Abend still und anteillos, als ob er in eine andre Welt übergestiegen, es wurde immer kälter, ein Steinbock, der über eine nahe Klippe sprang, entdeckte ihm, daß er an einem Abgrunde stehe, in welchem zwei Geier mit gewaltigen Flügelrauschen sich um ein zerschmettertes Ziegenlamm mit den Schnäbeln zerzausten, daß ihm die Federn ins Gesicht flogen. Hier mußte er sich wenden, er hoffte auf nahe, menschliche Wohnung, weil er diese so lange nicht wahrgenommen, mußte aber immer weiter von den Menschen fort, immer höher hinauf eine Eisebene ansteigen, die jetzt noch leichter, als im Spätsommer zu überschreiten war, weil das Tauwasser noch keine bedeutende Risse darin gesprengt hatte. Es war ihm schmerzlich so weglos zu irren, aber die hohe Luft füllte ihn mit einem seligen Mute: er müsse seiner Liebe folgen und die alten Schmerzen seines Hauses enden. Da traten über ihm die Sterne aus blauer Himmelswoge hervor und er war gewiß, auch ich müßte in dem Augenblicke zu ihnen aufblicken und für ihn beten, wie er für mich. Und als er so still an einem Eisaltare betete und seine Tränen, die er nicht halten konnte, zum Opfer brachte, da hörte er jenseits einen Zug geharnischter Männer rasseln, die heftig gegen einen unter ihnen tobten, und ihm den Tod schworen, weil er auf der Wacht eingeschlafen sei, nun müßten sie darum in der kalten Nacht wie Gemsen auf den Gletschern herumsuchen, wo der Fremdling tot oder lebend zu finden und zu fangen sei, den ihnen der Hirte beschrieben. Ein paar ließen sich den Fremden beschreiben und der Ritter erkannte sich deutlich an dem Panzerhemde, das rot besetzt sei, an dem grünen Barett. So furchtbar diese Drohung war, so ging ihm doch ein Licht auf, er sei nahe der Kronenburg. Er versteckte sich so gut, daß sie ihn nicht erblickten, obgleich ihr Atem von der wehenden Luft sichtbar über ihn hingetrieben wurde; dann sprang er freudig auf, als sie vorüber, schritt über Eisspalten und kletterte über Felsenstücke, die auf der höchsten Bergebene wie Riesensitze zur Beratung zusammengetragen schienen. Und als er auch diese überschritten hatte, da senkte sich das Eisfeld nach der andern Seite. Er schritt um so schneller, je leichter es ihm jetzt wurde, auch war hier kein Gletscher, mildere Luft wehte ihn an und in der fernen Tiefe glaubte er ein Städtlein mit brennenden Lichtern zu erblicken, das von einem Freudenfeste wach erhalten worden. Er sehnte sich nach Ruhe, bald bemerkte er aber, daß es der Widerschein der Sterne gewesen, in einem großen Gewässer, das unbegrenzt vor ihm ausgebreitet lag, was er für Lichterglanz gehalten, bald deckte ein allgemeiner Nebel die ganze Aussicht, er konnte nicht weiter gehen ohne Gefahr, auch übermannte ihn der lange zurückgewiesene Schlaf. Ich lag damals schlaflos auf weichen Betten, sein Lager war hart, auch weckte ihn zuweilen Hunger, ohne daß er ihn vor Müdigkeit aus seiner Reisetasche befriedigte, sondern er schlief immer wieder zu schnell ein, die Kälte mochte dazu mitwirken. Endlich wachte er ganz vom Einstrahlen der Sonne, aber er öffnete nur mit Mühe die Augen, denn die Sonne, die aus dem Wasser emporgestiegen, blendete seine Blicke, die über tausend Wunder, wie über Traumbilder ungläubig hinirrten! Die beschneiten Wipfel hinter ihm wie Paradiesesmauern; Alpenrosen und Bergthymian blühten neben ihm, ein freudiger, wundervoller Teppich, wie er ihn oft in seiner Weberei ersonnen und doch nicht ganz erreicht hatte; vor ihm ein endloses Gewässer, der Bodensee, der über seine Ufer ausgetreten war und in den noch immer die Wasserfälle mit ausgerissenen Tannen und Felsenstücken niederdonnerten, die Sonne aber schwamm ruhig auf ihm, wie ein Glutschiff. Er ging entzückt taumelnd einige Schritte, sah nieder und warf sich erschreckt auf den Boden, schloß die Augen und drückte die Steine an sich, wie seinen letzten Halt. Über dem Wasser schien er sich zu schweben und ohne Hoffnung an dem glatten Felsen niederzugleiten, der gerundet ihm die Gefahr versteckt hatte, bis er in träumenden Gedanken die Höhe der Wölbung erreicht hatte und schon zwischen Himmel und Wasser schwebte. Sich selbst aufgebend, meiner noch denkend, ließ er sich einige Ellen niedergleiten, da stand sein Fuß an einem Vorstoß fest. Er blickte hin und sah, daß er einen gehauenen, schmalen Felsensteig erreicht hatte, der ihm von der Felsenwölbung versteckt gewesen war, er sah jetzt eine Felsenbucht zu seiner Linken, die nur durch diesen Fußgang eingänglich schien, das Wasser brauste gewaltig in Strudeln, und in der Mitte dieses Wellenschaums stand fast wie der Schatten eines Schlosses ein siebentürmiges, eckiges Schloß, das in seinen Türmen völlig durchsichtig und von Glasstücken erbaut schien, da jeder der Türme einen bunten Regenbogen auf die entfernte, schwarze Wasserfläche der Bucht und auf die schwarzen Felsen warf. Er hatte nie einen so gewaltsamen Anblick erlebt, die Sonne schien dienstbar dem Menschenwerke und gleich stand seine Überzeugung fest, dies sei die Kronenburg, die Pfalz der Hohenstaufen. Alle Furcht war verschwunden und Glut durchkochte seine Wangen, die Krone zu gewinnen, die ihm durch seine Geburt gehörte. Er eilte den Felsenweg nieder; sah, daß die kunstreiche, eiserne Laufbrücke über das Wasser gespannt war. Schon glaubte er alles gewonnen, da sah er vor der Brücke zwölf alte, starke, geharnischte Männer, ihre Füße blutig, als ob sie beim schweren Steigen über Gletscher sich selbst verwundet hätten, um einen Anhalt an der glatten Fläche zu gewinnen. Es waren dieselben, die ihn so zornig auf dem Gebirge suchten, aber sie schliefen jetzt wie todmüde Menschen unerwecklich, schienen aber nicht willig eingeschlafen, denn sie hielten noch ihre Schwerter, als wachten sie bei der Brücke. Da war's, als ob der Tod schon hinter ihm mit der Sense gehe, als ob die Engel ihm die Füße vorwärts höben und stellten, daß er die Brücke überschreite, so schneidend sauste die Luft hinter ihm, als er über die hochschwebende, eiserne Stufenbrücke schritt, so sorglich umflogen ihn die Tauben, daß er sich nicht einsam fühle und schwindle. Ich kenne euch Regenbogenhälse, dachte er, seid ihr heimlich mir nachgeflogen, ihr waret meine einzige Gespielen auf Hohenstock, leitet mich, ihr treulich Liebenden! So gelangte er an den hohen Eingang und erblickte an jeder Seite zwei eiserne Männer mit großen Doppelschwertern. Er zog sein Schwert, daß er nicht ungerächt fiele, aber sie standen still und er sah, daß ihr Antlitz von Glockengut bei der Berührung hohl erklang; diese herzlos Gewaltigen waren angekettet, weil die Wächter draußen auf Kundschaft harrten. Glorreich in sich betrat er den ersten Platz, da sangen die Vögel in ewigem, sichern Frieden und die Blumen schienen keinen Winter zu kennen, die Erde schuf sie in einer Fülle der Kraft, wie nirgend sonst; Fruchtbäume an Glasstäben der Glasmauer aufgebunden, standen in voller Blüte, große, bunte Schmetterlinge flatterten hier wie eine Herde. Und er trat weiter in den zweiten Hof, der von Wohnungen umgeben war, da stand ein hoher Schleifstein, der von einem rieselnden Wasser wie eine Mühle getrieben wurde und Schwerter lagen umher, die frisch geschliffen waren. Nie hatte er solchen Klingenglanz erblickt, er warf sein Schwert fort und wählte sich das schönste, der feine Sand des Mühlsteins war davon noch nicht abgewischt. Aber kaum war er so bewehrt, da brüllte ihm ein Löwe entgegen, der ein ganz junges Kind, als wär es von ihm geraubt, an den Windeln, worin es eingeschlagen, trug. Mitleid mit dem Kinde unterdrückte jede Rücksicht, er trat auf den Löwen zu, der das Kind nun fallen ließ. Der Löwe erhob sich auf seine Hintertatzen, er durchstach das gewaltige Ungeheuer. Das Kind schrie, er hob es auf, es schien unversehrt, das Kind war ihm lieb wie die Krone, er hatte es erstritten, er konnte es nicht lassen. Nun eilte er von einem Turme zum andern, die Krone zu finden, durch das Gepränge der Silbergefäße in den engen, gewölbten Gängen. Nicht schreckten ihn in doppelten Farbenspiegelungen die gemalten Wächter, nicht die Schneckentreppen in freier Luft, nicht die einzelnen Steine, auf denen er zur Spitze außerhalb dem Turme schreiten mußte, er sah auf das Kind in seinem Arm, wenn ihm graute. Endlich auf dem mittelsten, höchsten Turme sah er in einer kristallenen, matt geschliffenen Schale die Krone blinken, aber noch zwei Stufen waren zu überwinden, die sich um die enge Spitze des Turmes wendeten. Auch diese waren überwunden und schon hielt er die Krone in seinen Händen, einen schlechten, goldnen Reifen über einen eisernen Ring geschmiedet, da merkte er erst, daß er keinen Augenblick in der Höhe verweilen dürfe, sondern unmittelbar sich zurückwenden müsse, weil die obere Stufe zu schmal war, um ihn mit beiden Füßen zu tragen. Es gibt Augenblicke, die so furchtbar schnell zu einem Entschlusse drängen, daß der höhere Wille keine Zeit hat, den rohen Trieb zu bemeistern. Dem Ritter blieb in dem Umwenden scheinbar die Wahl, entweder die Krone, oder das Kind in die Wasserflut zu stürzen, wenn er nicht mit beiden niederfallen wollte. Daß er aber das Kind herabschleuderte, war nicht seine Wahl, wie er mir oft geschworen, sondern es geschah, ehe er wählte. Mit seinem Leben hätte er das Kind errettet, denn was war ihm die Krone? Nur als Brautgeschenk, um mich zu erhalten, hatte sie ihm einen Wert; er hätte mir gern entsagt, wenn er das Kind hätte retten können. Nie hat er das Schmerzliche dieses Augenblicks vergessen und sich oft gewünscht, er wäre nachgesprungen in die Flut, auch meinte er immer, daß er dafür einen gewaltsamen Tod wohl verdient habe. Das Unglück war geschehen, das Kind seiner Hand entschlüpft, er wünschte ihm nachzustürzen, aber er kam glücklich mit der Krone zum Schloßplatze nieder. Da hörte er die schweren Wächter über die Brücke kommen, ihm blieb kein Ausweg, als das Wasser, und darum folgte er dem Wasser der kleine Mühle, setzte die Krone auf sein Haupt, warf Waffen und Kleider fort und senkte sich mit dem Flüßchen am glatten Bauwerke in den See nieder, in welchem eine große Zahl von Stämmen, mit ihren unzähligen Ästen vom Berge niedergestürzt, umhertrieben und die Drehung des Wassers hemmten. Auf Hohenstock zur Schwimmerei erzogen, half er sich leicht zu einer Tanne hinüber, aber sie war zu klein und sank unter seiner Last, doch nutzte er ihre Hülfe, um zu einer größern sich hintreiben zu lassen, die ihn wie ein sicheres Floß aufnahm. Da blickte er um sich, sie deckte ihn mit ihren Zweigen, er sah, daß die Kronenwächter, die des Löwen Tod und den Verlust des Kindes wahrgenommen, umsonst riefen und suchten und schauten, sie bemerkten nicht, wo er entkommen; er trieb unaufgehalten der breiten Seefläche zu, von brütenden Tauben, die ihre Jungen in den Nestern nicht aufgeben wollten, in den Ästen umflattert, von namenloser Qual durchbebt, sein reines Leben mit dem Morde des Kindes befleckt zu haben.« – Hier schwieg die edle Frau, indem sie einen Teppich hervorsuchte, der Prior aber flüsterte zum Baumeister: »Hält sie mich wirklich für so einfältig, daß ich das Märchen glauben soll, ich war so oft am Bodensee und habe nie von solcher Felsbucht gehört.« Der Baumeister lächelte, winkte und strich sich über das Kinn, verzog auch den Mund, als ob er selbst nicht alles glaube, doch sagte er: »Wer kann vor den ärgerlichen Seeräubern da in alle Felsenschluchten fahren, sie unterbrechen allen Handelsverkehr der Städte.«

Nach einer Pause fuhr die edle Frau in ihrer Erzählung fort, als ob sie das leise Geflüster gehört hätte: »Vielleicht dünkt Euch diese Erzählung des Ritters ein Traum, den er sich ernstlich eingebildet hatte, ich fürchtete für seinen Verstand, als ich sie vernahm und suchte ihn um so liebreicher zu trösten, je lieber ich die Geschichte vergessen hätte. Ein Blumenkranz, den er mir mitbrachte, war mir lieber, als die berühmte Krone, ich nahm den Schlüssel des Kastens, wo er die Krone eingepackt, daß er der verhaßten Gedanken sich entschlüge, und zog mit ihm aus dem einsamen Jagdhause zum Schlosse meines Vaters, der bald darauf von der Pilgerreise, die er wegen der Türken nicht vollenden konnte, mit seinen früheren Planen beschäftigt, zurückkehrte. Mit heftiger Freude hörte er die Erzählung des Ritters, er schien alles zu glauben, ich mußte die Krone bringen, er küßte sie wie ein Heiligtum, sagte aber, sie sei bei mir sicherer, als bei ihm, er könne nicht jedem in seiner Umgebung trauen, seine Zeit sei noch nicht reif. Unsre Vermählung wurde als Dank für dieses Brautgeschenk ungesäumt, aber heimlich, vollzogen und der Ritter schien seinen Gram vergessen zu haben. Doch als ich ihn mit der Hoffnung erfreute, Vater zu werden, da trat es ihm schwarz in die Gedanken, die Kronenwächter möchten sich an seinem Kinde rächen, wegen des Verlusts des begünstigten Sprößlings. Er beredete mich, scheinbar mit ihm zu einem verwandten Hause nach Flandern zu reisen, uns aber im tiefsten Walde meines Vaters, als Bauern verkleidet, niederzulassen. Mein Vater willigte ungern in den Plan, er fühlte sich nahe dem Tode und hätte sich gern noch die letzte Zeit den Lebenden angeschlossen, aber er fürchtete selbst Gefahr, da er zwar noch nicht seine Aussöhnung mit dem Kaiser durch Überlieferung der Krone abgeschlossen, aber in der Unterhandlung begriffen war. Wir lebten ein glückliches halbes Jahr in der Einsamkeit, ein Diener sorgte für unser Bedürfnis, wir trieben es in kunstreichen Webereien zur größten Vollendung und erfreuten den Vater mit unsern Arbeiten, indem wir ihn durch diese Abbilder künstlich in unsre Nähe zauberten. Ich wurde von einem Sohne entbunden, genas bald wieder und nichts schien unserm Glücke zu fehlen.«

Die Fremde hielt inne, drückte ihre Stirn mit der Hand und fuhr fort: »Als wir eines Nachmittags den Huf eines Rosses durch den Wald schallen hörten, da fuhr ich auf, wie aus einem Traume, und der Ritter erschrak bei dieser Seltsamkeit, denn der Wald war so dicht, daß niemand seinen Weg durch denselben nahm, am wenigsten zu Rosse. Er griff nach seiner Armbrust, aber ich hielt ihn, denn im Augenblicke entdeckte ich, es sei ein sehr alter Mann, der sich mit seinem Roß durch die Büsche quälte, und mein unseliges Mitleiden raubte mir alles. Der Ritter unterhielt sich mit dem Alten, er nannte sich Martin.« – »Martin?« fragte Berthold halblaut. – »Martin nannte sich der Alte und seinen Herrn nannte er den Ritter von Golm, der unfern mit seinem Pferde harre, sie hätten sich durch Irrlichter anführen lassen, so wären sie schon in der Nacht von der Straße nach Augsburg abgekommen. Der Ritter entschloß sich, sie auf die rechte Straße zu begleiten, aber meine Neugierde erwachte, etwas Neues von der Welt zu hören, da mein Vater nicht schreiben mochte und der alte Diener zu einfältig war, etwas Neues zu begreifen. Der Ritter gab meinem unseligen Verlangen nach, zur Strafe dieser Neugier habe ich ihn verloren und dem Tageslichte entsagt, bis ich meinen Sohn wieder finde. – Er brachte den fremden Ritter und seinen Reisigen Martin in unser Haus, ich wandte mich mit allerlei Fragen an den Ritter, der alt und grämlich sie nur kurz beantwortete und sich verwunderte, was wir Wald-Bauerleute uns um die hohen Häuser Schwabens kümmerten. Mein Ritter gab vor, wir hätten sonst beide in einem der Häuser gedient und hätten uns in die Wildnis geflüchtet, weil der Herr unsre Heirat nicht zugeben wollen . Der alte Ritter stellte sich etwas ungläubig und wollte seine Waffen nicht ablegen, auch nichts genießen, was wir ihm vorsetzten, vielmehr mußte sein alter Martin ihm selbst etwas, das er bei sich führte, in der Küche wärmen. Der unbequeme Gast verdarb uns schon alle Laune, oder war's die Ahndung des nahen Unglücks, daß der Ritter und ich mehrmals mit heimlicher Trauer einander die Hände drückten. So stumm saßen wir drei bei einander, als ein seltsames Knistern und Sausen über uns meinen Ritter aus dem Traume weckte; er riet nicht lange, was es sein könne, denn Martin stürzte herein und sagte, der Schornstein müsse nicht fest gewesen sein, das Sparrwerk des Daches brenne. Ich eilte ab sinnlos nach der Wiege des Kindes und riß es heraus, der Ritter sprang nach dem verdeckten Behältnisse unter dem Bette, wo die Krone bewahrt wurde, und nahm die Krone offen in seine Hand. Wir eilten mit dem Ritter und Martin ins Freie und bemerkten dort, daß der Brand nur den oberen Teil des Daches ergriffen und daß wir noch in Sicherheit so manches unsrer Arbeiten und unseres Gerätes erretten könnten. Ich gab mein Kind dem alten Ritter und sprang ins Haus zurück, mein Gemahl folgte dem Beispiele und warf die Krone beiseite, indem er mit folgte. Wir brachten manchen seltnen Schrank und unsre Teppiche hinausgetragen und als wir fertig mit der Rettung unsrer besten Sachen waren, riefen wir nach dem Ritter, weil wir ihn nicht gleich sahen. Da hörten wir in einiger Entfernung sein Lachen und seiner Rosse Wiehern, Kind und Krone fehlten, wir fühlten und es erstickte unsre Worte, daß wir schrecklich betrogen waren, daß dieses Feuer nur angelegt worden, um zu entdecken, wo die Krone verborgen sei. Ich blieb sinnlos stehen und lehnte mich an einen Baum, mein Ritter zog sein Schwert und eilte den Räubern wie ein Rasender nach. Ich hörte Waffengeklirr, ich sah Martin, den Reisigen, im Gefecht mit meinem Herrn, da sank ich nieder. Ich meinte meinen Herrn gesehen zu haben, wie er mit blutigem, gespaltenen Haupte zu mir trat, vor mir niedersank, mich um ein letztes Andenken bat, und wie ich in Erstarrung den goldnen, schön geschuppten Trauring in die Wunde drückte. Ist's ein Traum gewesen, so war er schrecklich deutlich, aber kein andres Bild aus meinem wahnsinnigen Zustande ist mir so deutlich geblieben. Der alte Diener, der mich fand, konnte von meinem Ritter, von dem Kinde, von der Krone nichts entdecken, die Gesträuche waren mit Blut bespritzt, mein Herz wußte, es sei das Blut des Geliebten, mein Verstand unterlag, ich fühlte bald nichts von der Welt, deren Ungewißheit mich von ihr losgerissen hatte. Der alte Diener fand mich sinnlos, allmählich besann ich mich, der Tod des Vaters ging gleichgültig meinem Ohr vorüber. Erst im Hause dieses edlen Baumeisters lernte ich wieder denken, erkannte meine Schuld, und brachte zur Sühne meiner Neugierde das schmerzliche Gelübde, das Tageslicht zu meiden, bis ich den Sohn oder den Geliebten wieder finde.« – »Ich habe dies Gelübde nicht angeraten«, sagte der Baumeister, »wer etwas sucht, muß Tag und Nacht danach sich umsehen.« – »Vergebens sind meine Reisen gewesen«, fuhr die Fremde fort, »doch was ist vergebens? Seht hier auf diesem Teppich, den ich nicht vollenden konnte, und den ein junger Maler Sixt, der mich begleitet, mit geschicktem Pinsel füllte, das brennende Haus, unter welchem wir ein seliges Jahr wohnten, dort den tückischen Ritter mit Kind und Krone, den grimmigen Martin, den ich aus tiefster Seele verfluchte, und hier den blutigen Ritter, der ein Andenken von mir begehrt. – Aber was ist Euch, junger Herr?« fragte sie ängstlich, daß sie alle zusammenfuhren, den jungen Berthold, »Eure Tränen übermannen Euch ihr wechselt die Farbe wie ein Kranker.« – Mit gebrochener Stimme antwortete Berthold: »Mir wird gewiß wohl, wenn ich ins Freie komme, erlaubt mir nur wenige Zeit, ich werde mich erholen und Euch etwas überbringen, woran jetzt meine ganze Seligkeit gekettet ist.«

Er eilte nach seinem Hause, fand Frau Hildegard bei ihrer Lampe sitzen und beten, es tat ihm wehe, ihr zu sagen, daß er sie wohl nicht mehr lange als einzige, liebe Mutter verehren würde, er antwortete ihr daher nur unbestimmt auf die Frage, was er suche, und sie berichtete ihm während des Suchens, daß der alte Berthold wegen des ausgehängten Turmwächters zum Bürgermeister spät abends gerufen und noch nicht wieder gekommen sei, weswegen die Leute meinten, der Bürgermeister habe ihn einsetzen lassen. Diese unangenehme Nachricht ging ohne tiefen Eindruck an ihm über, sie merkte aber den Ärger und die Angst, in die er sich versetzt fühlte, als er den Kasten mit dem geliebten Haupte durchaus nicht an der Stelle finden konnte, wo er ihn hingestellt hatte. Frau Hildegard konnte keine Auskunft von ihm erpressen, was er suche; die Angst, das Kennzeichen seiner Geburt verloren zu haben, verwirrte ihn schon, er hörte auf nichts und hätte im unruhigen Durcheinanderwerfen die Kiste gewiß übersehen, wenn sie gleich vor ihm gestanden hätte. Endlich sprach Frau Hildegard mitleidig: »So ist nun der Mensch, er meint, der Teufel habe sein Spiel, wenn er irgend eine Kleinigkeit, die er braucht, nicht finden kann, und einen guten Gedanken, den ihm wohl ein Engel zum Trost der Seinen eingeben könnte, verschluckt er darüber, als ginge er nicht verloren, wenn er zu spät kommt. Laß die Suchen und rate mir, wie wir uns mit dem Bürgermeister benehmen!« – Das Wort drang in sein Herz, er fiel der Mutter Hildegard um den Hals, er suchte sie zu trösten wegen des Vaters; dann vertraute er ihr die Hoffnungen seines kindlichen Herzens, und wie er nun geschwiegen, um ihr die Sorge zu sparen, als ob seine Liebe schwächer werden könnte, wenn sie sich teilte. Frau Hildegard weinte und segnete die höhern Wege der Vorsehung, wünschte sich aber zurück in die stille Ruhe des Turmes, wie sie der Welt näher gekommen, werde sie auch von ihr bewegt; dann zeigte sie auf einen Wandschrank, wo unser Berthold das Heiligtum fand. Er drückte den Schädel so heftig an Mund und Herz, daß jenes Blinkende, was Martin für einen Helmring angesehen, aus der Öffnung des Schädels sprang und über den Boden rollte. »Es ist ein Trauring«, sagte Hildegard, die ihn aufhob, »hier steht der Tag eingegraben im innern Kreise.« Besinnungslos freudig sprang schon Berthold mit Schädel und Ring die Treppe hinunter zur Wohnung der edlen Fremden.


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